[MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

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    [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

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    So, nach einer doch ziemlich stressigen Anreise sitze ich hier im vermutlich einzigen Internetcafe von Lutenblag und genieße meinen ersten Abend in Molwanien. Die anderen sitzen in einer Art Kneipe nebenan, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, euch die Eindrücke des ersten Tages unserer Molwanienreise zu schildern.

    Prolog

    Schon viele Jahre habe ich geplant, einmal durch Molwanien zu reisen (Leute, die noch nie von diesem Land gehört haben, finden hier einen ersten Einblick). Dieses wilde und raue Land am Rande Europas war mir bisher nur von Reiseführern bekannt. Auch im Forum fand sich kein Reisebericht. Im Dezember habe ich sodann beschlossen, den Traum in die Tat umzusetzen. Auf meine Anfrage im Forum meldeten sich tatsächlich einige interessierte Mitreisende. Nach einem Treffen hatte sich dann die Reisegruppe gebildet, die Aufgaben wurden verteilt, Reisführer nach lohnenden Zielen durchsucht und schließlich eine grobe Route festgelegt.

    Seit heute, dem 01. April, sind wir unterwegs. So oft wir die Möglichkeit haben, werden wir euch unsere Erlebnisse in Molwanien in diesem Reisebericht nahe bringen.

    01. April 2011 – Anreise nach Lutenblag
    Am späten Vormittag trudeln alle nach und nach auf dem Flughafen Ludwigshafen-Speyer ein. Die molwanische Fluggesellschaft Aeromolw fliegt von hier aus die einzige Linienverbindung aus Deutschland nach Lutenblag. Als ich ankomme sind Chouchen und Patiperra bereits da und trinken, wie sie sagen „den letzten Filterkaffee für 4 Wochen“. Alle freuen sich. Wir sind ganz aufgeregt, schließlich werden wir auf unserer Molwanien-Tour durch Gegenden kommen, die vom Tourismus noch weitgehend unberührt sind.

    Kurz nach mir kommen noch Anja2, hotdog und schließlich unser Fotograf Libertist an. Während Anja2 und Patiperra leider aus beruflichen bzw. schulischen Gründen nur die Schönheiten Lutenblags mit uns betrachten können, wird die restliche Gruppe von vier Personen (Chouchen, hotdog, Libertist und ich) die gesamte Reise durch das unbekannte Molwanien unternehmen.

    Wir sind gerade dabei, durch die Sicherheitskontrolle zu gehen, als von hinten durch die Abflughalle eine Gestalt mit großem Rucksack auf uns zu läuft. Es ist Lutz-Berlin, der sich im letzten Augenblick und nach langem Zögern nun doch noch für unsere gemeinsame Molwanienreise entschieden hat.

    Nach 2,5 Stunden Flug, setzen wir äußerst hart auf der Piste auf. Nach der Landung klatschen alle. Wir auch. Beim Blick über die von Riefen durchzogene Betonpiste ist die Landung ein echtes Kunststück. Die Stewardess hatte uns bereits während des Fluges darauf hingewiesen, dass wir uns sicher fühlen können - was uns außerordentlich misstrauisch gemacht hatte. Die Piloten sind angeblich sämtlich aus der ehemals stolzen kommunistischen Luftwaffe Molwaniens requiriert, der Rotska Aeroforzci. Das stickige und offensichtlich ziemlich abgenutzte Flugzeug, das Aeromolw stilecht für die Fluglinie nach Molwanien requiriert hat, stammt augenscheinlich auch noch aus der Flotte der Rotska Aeroforzci.

    Bei der Einreise stehen wir in den langen Schlangen, von denen wir bereits im Reiseführer gelesen haben. Chouchen hat die Einholung der Visa übernommen, da das molwanische Konsulat seinen Sitz aus Kostengründen nicht in Frankfurt sondern in Mainz-Gonsenheim hat. Nun steht sie mit den mit allerlei bunten Stempeln versehenen Pässen neben uns in der Reihe. Nach etwa einer knappen Stunde sind wir an der Reihe und dürfen in das einer größeren Wahlkabine gleichende Passhaus eintreten.

    Patiperra ist als Zoll- und Einreisebeauftragte bereits auf diesen Moment vorbereitet. Obwohl ja in Molwanien mit dem molwanischen Strubl gezahlt wird, soll sich laut Reiseführer wegen der hohen Inflationsrate des Strubls Knoblauch als zweite Währung etabliert haben. Um die Passkontrolle noch weiter zu erleichtern hat also Patiperra die am Flughafen gekaufte Flasche Wodka in eine Thermoskanne mit warmen Knoblauch gefüllt und überreicht sie dem Passkontrolleur mit den molwanischen Worten (übersetzt): „Ein flüssig Knoblauch machen leichter Kontrolle.“

    An dieser Stelle kann ich bereits vorweg nehmen, dass die Reiseführer die große Entwicklung, die die molwanische Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahren vollzogen haben, nicht berücksichtigt haben. Natürlich haben wir an vielen Stellen noch das ursprüngliche, wilde Molwanien vorgefunden. In vielen anderen Bereichen hat allerdings mittlerweile auch in Molwanien die Moderne Einzug gehalten: So zum Beispiel auch bei der Grenzkontrolle.

    Der Passkontrolleur öffnet die Flasche und trinkt die Hälfte des Knoblauch-Wodkas aus. Zufrieden grinsend stellt es die Flasche hin und sagt in einem routiniert wirkenden Englisch: „Sssänk you. I want now tenn Dollarrs frrom you. And frrom you. And frrom you. Euros is also gutt.“ Wir schauen uns an, holen dann jeder einen 10-Euro-Schein aus der Tasche und dürfen anschließend passieren. Wir gehen aus dem Flughafengebäude, nehmen den Bus in die Stadtmitte und schon sind wir endlich in Lutenblag.



    Busbahnhof vor dem Flughafen; unser Zubringerbus in die Innenstadt ist hier rechts abgebildet. (Foto: Libertist)

    Nach unserer Ankunft im Zentrum von Lutenblag wird schnell klar, dass wir die Nacht statt wie geplant im Hostel auf dem Campingplatz im Zentrum von Lutenblag verbringen werden. Genau genommen befindet sich der Campingplatz im Hinterhof des Wohnblocks, in welchem auch das Hostel untergebracht ist. Das Hostel wurde im Reiseführer als „typische Herberge mit der Molwanien eigenen Gemütlichkeit“ beschrieben. Die Gemütlichkeit kam durchaus auf, weil sich bei den Herren 18 Leute ein 12-Bett-Zimmer teilen müssen. (6 Betten werden für 16 Stunden vermietet, die übrigen jeweils nur für 8 Stunden mit einem Wechsel um 3 Uhr morgens). Da es nur eine kleine Dachluke gibt, und sich unsere mitteleuropäischen Nasen noch nicht an die typische Duftpalette einer voll besetzten molwanischen Herberge gewöhnt haben, sind wir dann schließlich mit unseren Zelten auf den Hinterhof gezogen. Das dortige Haus ist angeblich vor ca. 10 Jahren eingestützt, sodass wir auf den vom Hostelbesitzer liebevoll begrünten Trümmern unser Nachtlager aufschlagen konnten.



    Hier ein Foto von dem Zimmer, das uns Männern im Hostel angeboten wurde. (Foto: Lutz-Berlin)




    Die Sanitätanlagen des Hostels sind auf dem in Molwanien technisch neuestem Stand. (Foto: Cattlechaser)

    So, jetzt gehe ich wieder rüber zu den anderen. Ich werde vermutlich in der nächsten Woche auf kein Internetcafe treffen. Aber ich melde mich wieder so bald es geht, vermutlich ab dem 08. April wieder, wenn wir in der nächst größeren Stadt sind.
    Zuletzt geändert von Cattlechaser; 17.08.2012, 10:10.
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    #2
    AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

    EDIT 07.04.2011, 21:30 MEZ

    Hier bin ich wieder mit den Neuigkeiten zu unsere Reise. Molwanien ist technisch natürlich noch sehr rückständig, verglichen mit dem Stand in Mitteleuropa. Aber auch hier hält die Moderne Einzug. Jetzt beispielsweise sitze ich vor einem kleinen, etwas verfallenen Haus in der Großen Ebene (Plana Monotona Desolata) im Süden Molwaniens mit dem leicht antiquierten Notebook von Oleksej (von diesem wird noch die Rede sein) und schreibe an meinem Reisebericht. Die anderen sitzen drin und werden von Oleksejs Familie liebevoll umsorgt. Oleksejs Mama schaut zwar Chouchen immer so fürsorglich an, als gäbe sie eine gute Schwiegertochter ab, aber die anderen passen schon auf. Uns geht es gut. Hier kommen erst einmal die Berichte zur Zeit in Lutenblag. Wenn möglich, werde ich morgen Abend dann berichten, wie wir in dieses Dorf in der Großen Ebene gekommen sind.


    2. April – Lutenblag, Stadtteil Blag

    Nach einem prüfenden Blick über das im Hostel angebotene Frühstück (alte Cornflakes, Rest undefinierbar) gehen wir spontan wieder zum Zelt zurück und werfen die Gaskocher an. Vor dem Zelt brühen wir uns so einen Instantkaffee und bereiten Bannockfladen und Müsli zu. Der Duft lockt auch zwei von den Hostelgästen heran. Aleksej und Marcevj fragen, ob sie sich zu uns setzen, erhalten eine frische Tasse Kaffee und es wird der Beginn unserer ersten freundschaftlichen Kontaktaufnahme mit diesem (hin und wieder) außerordentlich gastfreundlichen Volk.

    Die beiden können leidlich Englisch. Zusammen mit dem bisschen Molwanisch, das wir uns in den vergangenen Monaten angeeignet haben, klappt die Verständigung ganz gut. Die beiden sind 20 Jahre und stammen aus irgendeinem kleinen Dorf in der Großen Ebene und werden ab Sommer an die Universität Lutenblag studieren. Sie sind für eine Woche in Lutenblag, um die dafür notwendigen Formalitäten zu organisieren. Dies ist nicht so einfach, da für die Einschreibung an der Universität fünf verschiedene Behörden zuständig sind, welche alle jeweils in einem anderen Stadtteil von Lutenblag untergebracht sind. Zudem hat die „Große Studentische Vorprüfungsbehörde“, die die wichtigsten Stempel ausstellt, nur montags 10 Uhr bis 11:30 Uhr sowie donnerstags von 15 Uhr bis 17:15 Uhr geöffnet. Um Geld zu sparen haben sie die letzten Nächte auf einem Parkplatz in Aleksejs Auto geschlafen. Der gestrige Nachtfrost hat sie aber dann doch in das Hostel getrieben. Heute fahren sie zurück in ihr Dorf.

    Nach dem Frühstück bietet uns Aleksej an, uns mit seinem Auto ein paar der Sehenswürdigkeiten Lutenblags zu zeigen. Das Gefährt stellt sich als alter Lada, Baujahr 1983, heraus. Durch die durchgerosteten Bodenbleche ist an einer Stelle das Straßenpflaster zu sehen. Oleksej, Lutz-Berlin, Anja 2 und ich drängen uns zu viert hinten auf die Rückbank, Chouchen und Patiperra teilen sich den Beifahrersitz. Wären hotdog und Libertist nicht auf eigene Faust losgegangen, hätte Oleksej vermutlich noch den kleinen Kofferraum geöffnet. Bei der gemütlichen Enge ist es nicht weiter schlimm, dass die Temperatur in Lutenblag an diesem Tag ohnehin nur etwa 5 Grad erreicht und die Heizung nach Aussage von Aleksej „mindestens 15 Jahre“ nicht mehr geht. Die Luft wird schnell warm – und riecht nach 10 Minuten auch entsprechend. Lutz-Berlin fummelt mit Mühe ein Fenster halb auf.

    Von dem Hostel fahren wir zunächst über die holprigen Gassen, die wir gekommen sind, und biegen dann auf den großen Boulevard von Blag ein. Oleksej und Marcevj haben uns empfohlen, zunächst diesen Stadtteil zu erkunden.

    Wie der Reiseführer Molwanien schreibt, liegen Lutenblag entlang der Ufer des Slyk, dem großen Strom Molwaniens. Lutenblag bestand ursprünglich aus zwei Städten, Luten, dem „Ort vieler Hügel“ und Blag, „städtischer Zipfel“. Der Name der Stadtteile sagt schon fast alles über sie aus. Während in Luten bürgerliche Prachtvillen aus einer längst vergangenen Epoche über der Slyk trohnen, schwiegt sich das enge und quirlige Blag an die Slyk an. Die berühmtesten Sehenswürdigkeiten Blags, der ehemalige königliche Palast und die römischen Ruinen, liegen am Rande der Altstadt von Blag.

    Wir fahren an der Uferstraße der Slyk entlang, über den berühmten Bullewardt. Marcevj betont, dass man diese Stelle Lutenblags als das „Venedig des Ostens“ bezeichnet. Lutz-Berlin bemerkt, dass er Venedig einmal im November bei einer großen Überschwemmung ähnlich erlebt habe. Die Hälfte der breiten Uferstraße ist nämlich überspült. An den etwas willkürlich hingestellten Absperrungen stehen Bauarbeiter, rauchen merkwürdig grau qualmende Zigaretten und diskutieren miteinander, während sie immer wieder wild in Richtung des aufgestauten Wassers gestikulieren. Oleksej erklärt uns, dies sei nicht normal für den Bullewardt an der Slyk. Momentan werde nur die Kanalisation von Lutenblag saniert. Aus diesem Grunde werden die Abwässer derzeit in die Slyk umgeleitet, was zu den Überschwemmungen führe. Das sei aber ganz schnell wieder vorüber, in spätestens drei Jahren solle die Sanierung abgeschlossen sein. Die Trinkwasserversorgung von Lutenblag sei ebenfalls gesichert – man pumpe das Wasser jetzt etwas 10 Kilometer weiter flussabwärts aus der Slyk.



    Foto: Cattlechaser [Die Ufer der Slyk bei den Bauarbeiten an den Abwässerkanälen Lutenblags sind beeindruckend.]

    Patiperra nutzt die Erzählungen von Oleksej, um ihn an dem nächsten kleinen Lebensmittelladen – nicht mehr als ein Kiosk für unsere Verhältnisse – anzuhalten, damit sich jeder eine Plastikflasche frisches Wasser kaufen kann. Wir schauen derweil in die Gassen der Altstadt von Blag.



    Foto: Libertist (bei seiner eigenen Stadterkundung geschossen)

    Wir fahren weiter zu den römischen Ruinen. Die Ausgrabungen befinden sich am Westrand der Altstadt. Neben einigen Häusern ist der alte Palast der römischen Stadthalters ausgegraben worden. Die Pracht der römischen Bauten ist allerdings nicht mit dem zu vergleichen, was man in vielen mediterranen Ländern im Süden Europas findet. Wie viele andere Länder Osteuropas wurde auch Molwanien im 1. Jahrhundert n. Chr. vom Römischen Reich erobert. Es kam in Molwanien auch nie zu irgendwelchen regionalen Erhebungen. Die römische Herrschaft bracht schlicht und einfach in sich zusammen, als einige Jahrhunderte später Hunnen und Germanen durch Molwanien marschierten. In der Zwischenzeit berichten aber römische Quellen von einer Besonderheit der molwanischen Okkupation. In seinem Bericht „de bello molwanico“ schreibt beispielsweise der römische Feldherr Schifio davon, dass molwanische Söldner niemals ein einziger Widerwort von sich gaben und alle Befehle sklavisch ausführten – bis sie mehr als 50 Meter von einem römischen Offizier entfernt waren. Beispielsweise desertierten reihenweise Kohorten mit molwanischen Söldnern in einer Schlacht, wenn bei den Gegnern ein höherer Sold zu erwarten war. Die römischen Prachtstraßen, so berichtet er, welche als Transitstraßen quer durch die Weiten Molwaniens geplant waren, endeten in der Regel an der nächsten Hügelkuppe hinter der jeweiligen römischen Garnisonsstadt, da sich dort sowohl molwanische Bauarbeiter als auch das Baumaterial aus der römischen Herrschaft verabschiedeten. Diese typisch molwanische Eigenschaft mag dazu geführt haben, dass der römische Einfluss in Molwanien vergleichsweise gering blieb.

    Zum Schluss unserer Tour durch Blag fahren wir zum ehemaligen Königlichen Palast. Von außen ist diesem noch die ganze untergegangene Pracht des alten molwanischen Königreiches anzusehen. Dies verführt uns dazu, den Eintritt zu zahlen. Lieder ist das Gebäude von innen enttäuschend. Nachdem es nach dem Zweiten Weltkrieg direkt von der Roten Armee okkupiert worden war, war es nach fünf Jahren schließlich in so einem schlechten Zustand, dass sich selbst das Zentralkomitee der KP Molwaniens weigerte, dort einzuziehen. Aktuell fungiert das Gebäude als Hauptquartier der Feuerwehr. Die Eintrittsgelder werden übrigens dazu verwendet, die Feuerwehr mit Nachschub zu versorgen, zum Beispiel mit Feuerwasser.



    Foto: Cattlechaser
    (Die ehemalige Große Empfangshalle des königlichen Palastes. Heute ist es die Maschinenhalle der Stadtfeuerwehr von Lutenblag.)


    3. April – Lutenblag, Stadtteil Luten

    Für den heutigen Tag haben wir vorgenommen, den Rest von Lutenblag anzusehen. Gestern haben wir ja bereits die Altstadt und die römischen Ruinen im Stadtteil Blag gesehen. Heute werden wir daher den nördlich der Slyk liegenden Stadtteil Luten ansehen. Luten ist wie schon beschrieben der hügelige Teil der beiden alten Stadtkerne.

    Wir laufen über die Slykbrücke und winden uns durch die Straßen den Berg hinauf durch Luten. Rechts und links sind immer wieder große repräsentative Villen des alten molwanischen Großbürgertums zu sehen. So blitzt immer wieder der alte Charme von Luten auf, welches in den Geschichtsbüchern als das „Kassel Osteuropas“ bezeichnet wird. Die Villen sind heutzutage entweder ziemlich herunter gekommene Einrichtung der Universität Lutenblags oder aber völlig verfallen, weil die Eigentumsfrage der vorkommunistisch erbauten Häuser gerade zum fünfzehnten Mal von molwanischen Obergerichtshof verhandelt wird. Libertist zieht uns durch die engen Gassen, die von den bergauf führenden Alleen abzweigen, um unzählige Fotos zu schießen.

    Libertist kommt plötzlich völlig aufgelöst aus einer Seitengasse und winkt uns gestikulierend zu sich. Er hat tatsächlich das Geburtshaus des großen molwanischen Schriftstellers und Jurzse Vepcojat (1897-1946) gefunden. Jurzse Vepcojat hat in den Zwanziger Jahren das sog. „Beleidigende Theater“ erfunden, welches dann seit den Sechzigern seinen Siegeszug in die gesamte Welt angetreten hat. Und nun stehen wir hier vor dem Geburtshaus dieses bedeutenden alten Mannes des Theaters im 20. Jahrhundert.



    Foto: Libertist



    Foto: Libertist (Straße in Luten. Das Geburtshaus von Jurzse Vepcojat ist das zweite von links.)

    Früher hatte man wohl einen wunderschönen Blick über die grünen Hügel Lutens zum Ufer des Slyk. Seitdem die kommunistische Führung mit dem III. Viereindritteljahresplan aus dem Jahr 1957 das Zeitalter der Radikalen Industrialisierung eingeleitet hatte, änderte sich die Situation aber schlagartig. Am Ufer der ehemals grünen Slyk wurden mehrere Stahlwerke gebaut, welche mit den Bäumen und Büschen aus den als „bürgerlich“ empfundenen Vorgärten der Stadtvillen von Luten befeuert wurden. Da es die Arbeiter aus dem Stadtteil Blag nicht zu weit zur Arbeit haben sollten, wurden die Stahlwerke direkt zwischen die Villen von Luten geplant. Der ehemals berühmte „grüne Blick von Luten“ hat so im Laufe der Jahre ziemlich an seiner charakteristischen Farbe verloren.

    Da die Kommunisten mit den großbürgerlichen Villen nicht sonderlich viel anfangen konnten, haben sie diese irgendwann in den Sechzigern dann mit praktischen Wohnblöcken durchsetzt, um der Arbeiterklasse einen Zugang zur bürgerlichen Wohngegenden zu verschaffen.

    Schließlich sind wir auf dem Lutenljaw angekommen, der mit 400 Metern höchsten Erhebung der Stadt, von der man den berühmten Blick haben soll. Wir sind ehrlich gesagt nicht sonderlich eingenommen. Der Zahn der Zeit hat doch etwas an diesem Stadtteil genagt. Lediglich Lutz-Berlin ist völlig fasziniert, weil er sich stark an den Blick auf Berlin-Marzahn erinnert sieht.



    Foto: Libertist (Bei dem Gebäude unten rechts handelt es sich übrigens um den Hauptsitz des molwanischen Geheimdienstes, welcher allerdings größtenteils verwaist ist, nachdem die Großteil der Geheimdienstler wegen besserer Bezahlung zu den Russen übergelaufen ist.)

    Nach unserer Tour durch Luten zerstreuen wir uns und erkunden in kleineren Gruppen den Stadtteil.


    4. April – Lutenblag, Abschlusstag

    Den heutigen Tag haben alle zur freien Verfügung.

    Am Spätnachmittag treffen wir uns aber wieder. Heute ist unser letzter gemeinsamer Tag in Lutenblag, den wir bei traditionellem molwanischem Essen ausklingen lassen wollen. Oleksej und Marcevj sind ebenfalls wieder mit dabei. Sie haben ihre bürokratischen Wege in Lutenblag erledigt und werden morgen wieder in ihre Heimatdörfer zurück fahren.

    Wir haben in den letzten Tagen mit positivem Erstaunen festgestellt, wie gut Anja2 in den wenigen Monaten Molwanisch gelernt hat. Kaum haben wir uns alle versammelt, so teilt sie uns schon mit, dass sie sich in den letzten Stunden ein wenig umgehört hat, um ein möglichst gutes und typische molwanisches Restaurant zu finden. Dies sei, so sagt sie, insofern ziemlich leicht gewesen, da ihr insgesamt nur vier Restaurant empfohlen worden seien. Dies deckt sich auch ungefähr mit den Vorschlägen des molwanischen Reiseführers. Sie führt uns schließlich ins berühmte Kreiselrestaurant, einem beständig rotierenden Gebäude auf einer großen Betonstele, das gleichzeitig als Fernsehturm und Mobilfunkmast fungiert. Vor Ort stellt sich leide heraus, dass der rotierende Ausblick aber derzeit wegen Stromausfalls nur eingeschränkt genossen werden kann.

    Am Eingang werden wir von einer gequält lechelnden (also zwischen Lächeln und Hecheln schwankenden) Empfangsdame begrüßt. Wir sehen durch die Holzbalken der angedeuteten Trennwand auf die Terrasse. Dort sind von etwa 20 Tischen noch mindestens die Hälfte frei. Die Empfangsdame bittet uns jedoch, noch einige Zeit in der „Clublounge“ zu warten, bis ein Tisch für uns frei sei.



    Foto Libertist (die „Clublounge“)

    Anja2 weist die Empfangsdame darauf hin, dass noch etliche Tische frei seien. Diese entgegnet daraufhin, die Gäste der scheinbar freien Tische seien gegenwärtig sämtlich auf der Toilette und wenn Anja2 nicht sofort den Mund halte, werde es mit Sicherheit noch länger dauern, bis die Gäste von der Toilette zurück kehren und ihren Platz räumen würden. Das ist großartig, wir sind ganz begeistert, gerade eben Zeuge der weltweit berüchtigten molwanischen Gastfreundschaft geworden zu sein. Oleksej und Marcevj meinen nur achselzuckend, in einem guten Restaurant wie diesem müsse man dies hinnehmen. Es gehöre in Molwanien eben zum guten Ton eines Restaurants, durch fingierte Reservierungen Exklusivität zu fingieren.

    Wir nehmen also in der Lounge Platz und bestellen zum Zeitvertreib zunächst einmal jeder einen Zeersturm (der molwanische Knoblauchschnaps). Wir bekommen schließlich alle ein kleine Flasche (0,33 Liter) serviert. Anja2 erklärt uns auf Nachfrage, dass man in einem typisch molwanischen Restaurant eben auch den molwanischen Aperitif in typischen Maßeinheiten serviert bekommen. Dies tut unserer Stimmung keinen Abbruch. Patiperra hat Würfelbecher mitgebracht. Wir fangen an zu knobeln. Mit den ersten Schlucken Zeersturm wird die Stimmung noch besser, wir lachen und werden immer lauter. Irgendwann kommt die Empfangsdame und fragt nach, ob wir etwas mit unserer Gesprächslautstärke machen könnten. Anja2 erwidert, wir würden gerne sofort leiser sein.

    Nein, meint die Empfangsdame, es gehe darum dass wir nicht laut genug sein. Die anderen Gäste hätten bereits gefragt, ob wir uns langweilen, weil wir so gedämpft feierten. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und arbeiten kräftig weiter an unserem Zeersturm. Als die Flaschen leer sind ist etwa eine halbe Stunde vergangen und die Empfangsdame teilt uns mit, dass Gäste die Toiletten und dann ihren Sitzplatz verlassen hätten, so dass wir nun essen könnten. Sie führt uns zu einem großen Tisch. Es dauert aber immer noch eine Viertelstunde, bis der uns gegenüber sitzende Kellner an den Tisch kommt, da dieser offenbar große Mühe damit hat, den Nachbartisch abzuräumen.



    Foto: Libertist

    Oleksej und Marcevj halten sich wie vorher abgesprochen zurück. Als der Kellner schließlich kommt fragen wir nach der Karte, erhalten aber zunächst ein laut schallendes Gelächter, welches weiter anschwillt, als wir unsere Frage wiederholen. Wider ist es unser molwanisches Sprachtalent Anja2, welche die Klärung der Situation übernimmt. Speisekarten gibt es in Molwanien grundsätzlich nur an Ostern und dem Tag der Arbeit, da man an diesen Tagen aus mehreren Gerichten auswählen darf. An allen anderen Tagen erübrigt sich eine Speisekarte, da ein Restaurant traditionell nur das traditionelle molwanische Gericht anbietet. Oleksej und Marcevj, die abmachungsgemäß geschwiegen haben, können sich wie der Kellner vor Lachen kaum noch halten. Wir fügen uns in die örtlichen Gebräuche und Anja2 fragt, was es denn nun heute gebe.

    Es gibt Hrosflab, das ist ein Brei aus gut abgehangenen Fleischsorten, vornehmlich alter Hammel und Ziegenbock, im Sommer auch manchmal Gecko und im Herbst meist ein Zugvogel-Potpourri. Dazu serviert man in Knoblauch eingelegte Rote Beete und Hammelmöhren. Wegen der besonderen Qualität des Restaurants hat man unser Essen heute noch mit einer Rosskartoffel garniert.

    Da Essen schmeckt wirklich großartig, auch wenn immer einmal ein merkwürdig süßlicher Geschmack von altem Fett hervorkommen zu scheint. Das ist uns aber egal. Wir essen und essen die Unmengen, die scheinbar zu einem molwanischen Abendessen gehören zu scheinen.

    Ich bin nicht der einzige, dessen Magen der Symphonie der molwanischen Küche nicht stand hält. Mit Lutz-Berlin wechsele ich mich auf der Toilette des Restaurants ab. Die Toilette entspricht übrigens dem gewohnten molwanischen Standard. Das schöne an dem molwanischen Essen ist: Wenn es erst einmal wieder raus ist, dann trinkt man einfach einen Zeersturm hinterher und alles ist vergessen. So beschränkt sich die Phase unserer Übelkeit auf eine halbe Stunde.

    Wir ziehen an diesem Abend durch die Kneipen Lutenblags. Der eine oder andere Laden ist dabei, den wir nur deshalb finden, weil Marcevj und von Oleksej die Hinterhausspelunke als einen „studentischen Geheimtip“ anpreisen. Nun ja, die Getränke sind billig, wenn auch undefinierbar, und die Stimmung ist großartig. In einem Laden singen sämtliche Gäste melancholische molwanische Volkslieder, die uns Marcevj simultan ins Englische übersetzt. Die meisten handeln von Einsamkeit in der Steppe und der Sehnsucht nach etwas zu trinken. Die Lieder enden übrigens immer damit, dass derjenige, der das Lied angestimmt hat, sein Glas austrinkt und auf den Tisch knallt, was ihm dann prompt alle Mitsingen nachmachen.

    Am späten Abend haben wir unsere beiden molwanischen Bekannten wirklich ins Herz geschlossen. Marcevj und von Oleksej geht es wohl ähnlich. Oleksej erfährt, dass wir von Lutenblag nach Süden in die Große Ebene (Plana Monotona Desolata) wollen. Er stammt aus einem kleinen Dorf in der Großen Ebene und lädt spontan die gesamte Gruppe zu sich ein. Diese Einladung wird er im Übrigen den nächsten Tag in nüchternem Zustand erneuern, so dass wir sein Dorf als unser Reiseziel erwählen. Marcevj erfährt, dass wir eine Rucksacktour durch die Molwanischen Alpen planen und gibt zu verstehen, dass er schon als Bergführer in den molwanischen Alpen gearbeitet habe; es sei ihm deshalb eine große Ehre, mit uns in einigen Tagen durch die Molwanischen Alpen zu steigen. Wir sind überwältigt von der großen Gastfreundschaft, die uns von den Molwaniern entgegen schlägt.
    Zuletzt geändert von Cattlechaser; 23.05.2011, 08:07.
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      #3
      AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

      EDIT: 08.04.2011, 22:20 Uhr

      Jetzt sitze ich wieder vor dem Häuschen von Oleksejs Familie. Drinnen feiern sie immer noch. Wenn ich nach Hause komme, brauche ich bestimmt eine neue Leber. Der Zeersturm ist wirklich verheerend. Trotzdem: Es geht uns allen immer noch prächtig. Morgen werden wir zu unserer Trekkingtour über den Bzejenko-See in die Postenwalj-Berge aufbrechen. Wir freuen uns ungemein. Es ist wegen unseres Reiseplans faktisch ausgeschlossen, dass ich in den nächsten 6-7 Tagen online gehen kann. Vorerst aber einmal unsere Erlebnisse bis inklusive heute.


      5. April – Erster Abschied und durch den Süden des Zentralen Tieflandes


      Nach unserem gemeinsamen Frühstück verabschieden wir uns sowohl von Oleksej und Marcevj als auch von Patiperra und Anja2, Die beiden Molwanier fahren mit dem alten Lada in ihre Dörfer zurück, wir werden sie ja noch auf unserer Reise wiedersehen.

      Anja2 und Patiperra müssen aus privaten Gründen wieder zurück nach Deutschland. Der Beruf bzw. die Schule ruft. Es wird eine herzliche Verabschiedung. Die Sprachgewandtheit von Anja2 werden wir genauso vermissen wie den unerschütterlichen Optimismus von Patiperra. Die beiden nehmen ihre Rucksäcke und steigen in den Bus zum Flughafen. An dieser Stelle vielen Dank von der ganzen Reisegruppe für die tolle gemeinsame Zeit. Wir werden das Ganze auf dem Nachtreffen sicherlich noch einmal zusammen Revue passieren lassen.

      Für uns andere, Chouchen, Hotdog, Lutz-Berlin, Libertist und mich, geht es zum Zentralbahnhof von Lutenblag. Die abenteuerliche Suche nach einer Zugverbindung nach Süden beginnt.

      Das Heimatdorf von Oleksej, dessen Name ich bis heute weder aussprechen noch mir merken kann, liegt in der Nähe des kleinen Städtchens Slakoff. Dieses Städtchen befindet sich wiederum im Osten der Großen Ebene, in der Nähe der Postenwalj-Berge, laut Karte ungefähr 250 Straßenkilometer von uns entfernt. Es ist mithin ein idealer Ausgangspunkt für unsere geplante Tour entlang des Bzejenko-Sees und der anschließenden Durchquerung der Postenwalj-Berge. Problematisch hierbei ist lediglich, dass die Bahnverbindungen in Molwanien nicht so funktionieren, wie wir uns dies vorstellen.

      Chouchen und Libertist stellen sich in die unendlich lange Schlange, um die Fahrkarten zu erstehen. Nachdem sich allerdings eine halbe Stunde nichts bewegt hat, schenken sie den Wartenden vor Ihnen jeweils einen Zeersturm in einen Plastikbecher, gehen dann an die Spitze der Schlange und schenken dem Schalterbeamten den Rest der Literflasche Zeersturm. Wir beobachten, wir der Schalterbeamte plötzlich wild über einem Fahrplan gestikuliert und stakkatoartig auf Chouchen und Libertist einredet. Ich kann das zweifelnde Stirnrunzeln von Chouchen aus dreißig Meter Entfernung erkennen. Der Schalterbeamte kritzelt schließlich lange etwas handschriftlich auf ein Papier und entlässt dann unsere beiden ratlos wirkenden Mitreisenden.

      Auf unsere Frage, was er denn gesagt habe, antwortet Chouchen: „Ich habe kein einziges Wort verstanden, nur dass es sehr schwer ist, mit der Bahn nach Slakoff zu kommen, man fünfmal umsteigen muss und es zirka fünf Tage dauert.“ Hotdog betrachtet kichernd den mit molwanischen Hieroglyphen bekritzelten Zettel. Sie fragt in die Runde, was auf molwanisch: „Was ist der schnellste Zug in die Nähe von Slakoff“ bedeutet. In diesem Moment fehlt uns unser Sprachtalent Anja2, aber wir bekommen den Satz mit Mühe zusammen. Dann geht sie auf eine Gruppe jüngerer Menschen zu, die so aussehen, als ob sie etwas Englisch verstehen und radebrecht den molwanischen Satz nach dem schnellsten Zug nach Slakoff. Die Leute lachen, diskutieren kurz miteinander und geben ihr dann eine knappe Antwort auf Englisch. Nach zwei Minuten kommt sie zurück: „Also, der nächste Zug geht in etwa 40 Minuten. Es ist der Schnellzug – Ezprezz – von Lutenblag nach Svetranj. Wir sollen einfach in Bog aussteigen und die letzen 30 Kilometer nach Süden mit dem Eselkarrenbus fahren.“ Somit hat Hotdog sich heute um die Reisplanung verdient gemacht.

      Und tatsächlich fährt der Zug, den Hotdog spontan den „Molwanienexpress“ tauft, wenig später pünktlich nach Süden ab. (Na ja, genau genommen fährt der Zug nicht wie angekündigt 40 Minuten sondern 55 Minuten später ab, aber das ist weder in Molwanien noch bei der Deutschen Bahn eine Zeiteinheit, bei der man von Verspätung reden könnte.)



      Foto: Lutz-Berlin (Der Molwanienexpress von Lutenblag nach Süden)

      Der Molwanienexpress wird seinem Namen leider nicht wirklich gerecht. Hin und wieder wird ein kleiner Bahnhof ignoriert, wenn dieser nur von einem Dutzend Häusern umstanden ist oder scheinbar völlig ohne Bezug zu einer (nicht vorhandenen) Siedlung in die endlose Weite des Zentralen Tieflandes gebaut wurde. Aber meist halten wir auch in kleinen Dörfern, in welchem dann die ganze bunte Mischung der molwanischen Landbevölkerung inklusive Säcken voll Kartoffeln, Knoblauch und Rote Beete sowie Hühnern in Käfigen und Ferkeln an Stricken ein- und aussteigt. Die meisten Lastensäcke werden dabei im Übrigen von alten, schwarz gekleideten Frauen geschultert; soweit ein Mann dabei ist, übernimmt dieser meist die verantwortungsvolle Aufgabe, den Weg bzw. den Platz für die Säcke schleppende schwarze Frau frei zu räumen.

      Nach vier Stunden sind wir endlich in Bog. Wir steigen aus und laufen über die Hauptstraße die paar hundert Meter zum Eselkarrenbusbahnhof. Circa eine Stunde später (-die etlichen Kommunikations- und Übersetzungsversuche vor allem von Hotdog kürze ich einfach ab-) wissen wir, dass weder heute noch morgen noch übermorgen ein Eselkarren nach Slakoff gehen wird. Grund hierfür, so erfahren wir, ist der Regierungswechsel, welcher vor wenigen Monaten in Molwanien stattgefunden hat. Nachdem die Ex-Kommunisten und die Bauernpartei die Koalition gegenseitig aufgekündigt haben, hat sich nun die Koalition aus der Bauernpartei den Konservativen Sozialisten und der Partei „Unser Mütterchen Molwanien“ gebildet. Dies hat dazu geführt, dass alle führenden Ministeriumsbeamten ausgetauscht wurden. (Was in diesem Sinne „ausgetauscht“ bedeutet, bleibt uns aufgrund unserer mangelhaften molwanischen Sprachkenntnisse verborgen. Das molwanische Verb „exczandjiare“ kann von „auswechseln“ über „entlassen“ bis zu „hinrichten“ alles Mögliche bedeuten.) Jedenfalls hat der Austausch dazu geführt, dass sich aktuell verschiedene Abteilungen des Transportministeriums um die Zuständigkeit für den Eselkarrenexpress in dem Zentralen Tiefland streiten, was wiederum zur Folge hat, dass aktuell keine Transporte stattfinden.

      Es bleibt uns nichts anderes übrig: Wir laufen los. Immer nach Süden. Unser Ausrüstungsspezialist Libertist hat glücklicherweise den gesamten Süden Molwaniens als Kartenmaterial dabei. Ich habe am Flughafen noch über sein Extragewicht gelacht. Der Weg führt uns aus Bog heraus. Er wird schnell von einer Teer- zu einer Kopfstein- und dann zu einer Schotterstraße. Schließlich wird der Weg zu einer staubigen Piste, die auf beiden Seiten von Alleebäumen umstanden ist. Die Weite des Zentralen Tieflandes ist beeindruckend. Im Süden ragt eine Hügelkette auf, die das sehr flache Zentrale Tiefland von der sehr flachen Großen Ebene trennt. Dort müssen wir hin. Wenige Kilometer dahinter liegt das Städtchen Slakoff.



      Foto: Cattlechaser (Hauptstraße von Bog nach Slakoff)

      Da wir erst am Nachmittag in Bog losgekommen sind, gehen wir an diesem Tag nicht sehr weit. Nach ca. 12 Kilometern schlagen wir unser Lager auf. Wir zelten am Rande eines kleinen Sees, welcher von einem dichten Sträucherwald umwachsen ist. Libertist und Lutz-Berlin haben schnell eine Menge trockenes Totholz gefunden, von welchem wir ein Feuer anzünden. Leider lockt dies auch die Mücken an, die in Molwanien scheinbar nur zwischen Dezember und Februar verschwunden sind. Aufgrund der großen Blutsaugerattacken verschwinden alle schnell in die Zelte. Nur Lutz-Berlin und ich sitzen noch etwas draußen. Wir haben heute Mittag in eine frisch gepflückte Knoblauchzehe gebissen, was die kleinen Stechmonster vertreibt. Die enorme Stechmückenpopulation in Molwanien erklärt auch, warum praktisch die gesamte Landbevölkerung nach „Eau de Ail“ duftet.


      6. April – Weiter durch den Süden des Zentralen Tieflandes

      Heute ist Trekkingtag. Wir brechen die Zelte ab und beginnen mit unserem Marsch durch das Zentrale Tiefland. Die Landschaft ist in ihrer großartigen Monotonie unglaublich beruhigend. Wir sind uns einig, dass wir selten so gut abschalten konnten wie bei diesem gleichförmigen Streifen Land, den wohl Gott in einer Sonntagslaune zwischen dem ZDF-Fernsehgarten und der letzten Wiederholdung von „Die Mädels vom Immenhof“ so nebenbei aus dem Pantoffel geschüttelt hat. Immer wieder überholen uns folkloristisch gekleidete Einheimische, die auf ihren pittoresken Eselskarren ihrem Tagwerk entgegen streben.

      Wir fressen Kilometer um Kilometer. Etwas 30 Kilometer schaffen wir an diesem Tag. Die Wegstrecke ist aber viel länger, als ursprünglich von uns vermutet. Libertist hat die Karten auf einem Flohmarkt in Wien von ehemaligen Rotarmisten gekauft. Die Karten stammen sämtlich aus dem Jahr 1987. Damals wollte wohl die kommunistische Partei Molwanien noch über die Gestaltung des Kartenmaterials den technischen und logistischen Fortschritt Molwaniens demonstrieren, weshalb zahlreiche damals nur auf dem Papier geplante Straßen bereits als fertig in die Karten eingezeichnet wurden. Wir laufen also im Zickzack über die vorhandenen Nebenstraßen, um ungefähr dem Verlauf der eingezeichneten aber nicht existenten Hauptsstraße zu folgen.

      Am späten Nachmittag erreichen wir die Hügel, die das Zentrale Tiefland von der Großen Ebene trennen. Die gelb-braune, von einigen Sträuchern und Steppengras durchzogene Landschaft des Zentralen Tieflandes wird hier grün. Auch einzelne Wäldchen finden sich in den Tälern wieder. Wir erreichen eine Unterkunft der MBA (Molwanian Bothy Association), die wir für die Nacht beziehen.



      Foto: Lutz-Berlin


      7. April – Bei Oleksej und seiner Familie in der Großen Ebene

      Als wir über den Pass fahren, und auf das Land jenseits der Hügelkette sehen, erblicken wir zum ersten Mal die Große Ebene. Die Große Ebene ist das Steppenland, welches von drei Seiten – Westen, Süden und Osten – von den molwanischen Alpen umrahmt wird. Wieder einmal müssen wir die Feststellungen des Reiseführer Molwanien revidieren. Die Landschaft der Großen Ebene (Plana Monotona Desolata) besteht nicht etwa ausschließlich aus „Disteln und Unkraut, unterbrochen von steinigem Brachland“. Vielmehr finden sich sehr häufig noch windzerzauste Dornenbüsche und pittoreske Schlammlöcher in der Steppenlandschaft, die uns durch ihre Gleichmäßigkeit melancholisch einnimmt.

      Der Weg zieht sich über die staubige Straße durch das weite Land. Wir sehen einzelne Dörfer in der Großen Ebene verstreut, alle kaum mehr als Meiler von kaum einem Dutzend Häuser. Hin und wieder begegnen wir Ochsenpflügen, mit denen die örtlichen Bauern jetzt ihre Felder bestellen.

      Gegen Nachmittag erreichen wir das Dorf, bei dem es sich zumindest laut unserer Karte um den Heimatort von Oleksej handeln müsste. Das Dorf besteht eigentlich nur aus einer einzigen Straße, an der sich die aus Lehm gebauten Bauernhäusern links und rechts gruppieren. Hinter den Häusern sieht man windschiefe Verschläge, in denen das wenige Vieh – meistens Hühner, ein paar Schweine und einige molwanische Rumps (hiervon wird noch die Rede sein) – gehalten wird. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass das Kopfsteinpflaster einige Schlaglöcher hat. Vielmehr sind medizinballgroße Löcher im Pflaster, die uns immer wieder zu einem Zickzackkurs um die Löcher herum oder (wenn man Chouchens Technik folgt) zu kleinen Sprüngen über die Löcher hinweg zwingen. Lediglich Hotdog genießt die Schlaglochpiste - sie sagt, es erinnere sie an ihre Sonntagsausflüge in der Uckermark.

      Eine kleine dicke alte Frau in schwarzer Kleidung (von der wir zunächst vermuten, es handele sich um Oleksejs Großmutter, später stellt es sich heraus, dass es sich um Oleksejs 48-jährige Mutter handelt) kommt auf uns zu und drückt uns so herzlich, als wolle sie sämtliche Luft aus uns heraus pressen. Dann fasst sie uns an den Ohren und spuckt uns dreimal ins Gesicht. Wir freuen uns sehr: Das ist laut Reiseführer der Brauch der alten Frauen in der Großen Ebene, um Fremde vor den bösen Geistern zu schützen.



      Foto: Libertist (hier seht ihr Oleksej, links, mit seiner Mutter, Bildmitte)


      Wir haben natürlich unterwegs noch ein Gastgeschenk mitgebracht und von einer alten Frau am Wegesrand einen großen Ballon Zeersturm erworben. Der erste Geruchstest von Oleksejs Mama ergibt, dass es sich um eine sehr gute Variante handelt, die Glykol nur in halbwegs vertretbaren Dosen enthält.



      Foto: Libertist (Bei dieser Straßenhändlerin haben wir den Ballon Zeersturm erworben. Das Gelbe ist übrigens molwanischer Knoblauch Extra-Stark)

      Es wird ein langer Abend. Oleksejs Mama versucht übrigens beständig, Chouchen mit Oleksej zu verheiraten. Hotdog hatte sie nach meiner Einschätzung ebenfalls prüfend als Schwiegertochter erwogen, dann aber vermutlich wegen des zu großen Alterunterschiedes wieder verworfen. Auf Chouchens berechtigten Einwand, Oleksej sei ja dann doch ein paar Jahre jünger, entgegnet die Mutter, die molwanischen Männer würden so schnell altern, in drei bis vier Jahren falle das niemand mehr auf. Zwischendurch, so übersetzt Oleksej, ist sie sogar der Meinung, sie wolle den Priester rufen, um die Hochzeit sofort zu besiegeln. Nach dem nächsten Zeersturm hat sie das allerdings schon wieder vergessen.


      8. April – Die Rumpjagd

      Als Resultat des Abends stehen wir heute spät auf. Uns allen brummt der Schädel. Nur Oleksej findet, der Abend sei sehr lustig aber leider viel zu kurz gewesen. Seine Mutter serviert uns Eichelkaffee, den sie anlässlich der Situation mit etwas aufgebrühtem Kautabak verlängert hat. Ihre Schwiegertochter in spe behandelt sie ganz freundlich, ohne mit einem Wort auf die verpasste Hochzeit vom gestrigen Abend einzugehen.

      Dank unserer Bekanntschaft mit Oleksejs Familie haben wir heute die Ehre, an einer Treibjagd auf ein Rump teilzunehmen. Dieser Jahrhunderte alte Brauch ist zentraler Bestandteil der molwanischen Kultur in der Großen Ebene. Rumps sind so etwas wie die kleine osteuropäische Abart der Büffel. Sie sind etwa so groß wie ein Schaf, so behaart wie ein ungarischer Puuli und riechen so wie eine ganze Bisonherde in der Sommerhitze. Früher war das Rump in der Großen Ebene weit verbreitet. Es galt als Sport des molwanischen Adels, mindestens einmal im Jahr auf die Rumpjagd zu gehen. Da der molwanische Adel in alter Zeit zahlenmäßig sehr gering war, hatte dies für die Rump-Population keine großen Auswirkungen. Problematisch wurde es nach der kommunistischen Machtübernahme nach 1945. Die Kommunisten erklärten zunächst die alten feudalen Gebräuche als abgeschafft. Die Funktionäre besannen sich aber schnell darauf, dass die Rumps der Großen Ebene nun dem ganzen molwanischen Volk gehörten. Es wurde schnell zum Statussymbol unter den Funktionären, mindestens einmal im Jahr auf Rumpjagd zu gehen. Da es aber wesentlich mehr kommunistische Funktionäre als molwanische Adelige gab, wurde das Rump in der Großen Ebene innerhalb von 30 Jahren ausgerottet. Das letzte freilebende Tier soll im Mai 1976 vom Diktator General Szunjicizc persönlich erschlagen worden sein.

      In der Zucht konnten aber Bestände des molwanischen Rumps erhalten werden. So lebt Oleksejs Familie beispielsweise davon, neureichen molwanischen Städtern aus Lutenblag einer ihrer etwa 60 Rumps für die Jagd zu Verfügung zu stellen. Wenn sie heute für uns ein Rump zur Verfügung stellen und eine Jagd organisieren, ist das eine große Ehre. Das ganze Dorf – in etwa 80 Leute – kommt für diesen Zweck zusammen.

      Das Rump wir in ein abgezäuntes Gelände von etwa zwei Hektar gelassen. Eine Rumpjadg ist immer eine Treibjagd. Um es aber den zumeist angetrunkenen Jägern leichter zu machen, wir das „Spielfeld“ auf die erwähnten zwei Hektar verkleinert. Besonderheit ist auch, dass das Rump niemals erschossen oder erstochen werden darf, man muss es mit derjenigen Flasche, aus der man den letzten Schluck Alkohol getrunken hat, erschlagen. Bei den kommunistischen Funktionären wurde zumeist die für Devisen importierten Flaschen mit amerikanischem Burbon genutzt. Wir geben uns mit den Zeersturmflaschen des gestrigen Abends zufrieden. (Die molwanischen Adligen durften Rumps übrigens nur mit Champagnergläsern erschlagen, was manchmal zur Folge hatte, dass die gejagten Rumps erst nach zwei Tagen an Entkräftung starben.)

      Die Treibjagd verläuft so, dass sich das Dort an das eine Ende des Geländes in einer Reihe aufstellt und dann schrittweise wild lärmend auf das Rump zugeht. Immer wenn das Rump versucht, durch die Reihe durchzubrechen, bekommt es einen Hieb mit der Schnapsflasche. Da Rumps nicht immer friedliche Tiere sind, kann es bei dieser Prozedur auch schon einmal den einen oder anderen Verletzten geben. Es geht mehrere Male hin und her. Etwa zwei Stunden dauert es, bis das Rump faktisch bewusstlos zusammen bricht. Wir als Gäste werden gerufen, weil man uns die hohe Ehre überlässt, dem Rump den finalen Hieb zu setzen.

      Oleksejs Mutter drängt sich laut gestikulierend nach vorne und drückt Chouchen ihre Schnapsflasche in die Hand. Chouchen schaut mich etwas hilflos an; vielleicht leitet in Molwanien die Tötung eines Rumps durch eine Frau die jeweilige Verlobungsfeier ein? Da drückt zumindest das Grinsen von Oleksejs Mutter aus. Während Chouchen noch unentschieden vor dem Rump steht fasse ich mir ein Herz und erledige das Rump durch einen Hieb mit dem Zeersturmballon. Oleksejs Mutter schaut mich an, als würde sie gerade alle Flüche der Großen Ebene rekapitulieren. Das macht aber nichts, da die Dorfbewohner in lauten Jubel ausbrechen. Zu meinen Ehren rufen sie auf Deutsch: „Maaann! Staark! Maaann! Staark!“. Ich gehe zu Oleksejs Mama und drücke sie. Diese schaut gleich etwas milder drein.

      Die Dorfbewohner beginnen derweil, das Rump zu häuten, eine Grube auszuheben, dort ein Feuer anzufachen, die Grube mit Wurzelgemüse (besonders mit der berühmten molwanischen Roten Beete) zu füllen, das Rump beizufügen und das Rump dann im geschlossenen Erdloch zu garen









      Fotos von Lutz-Berlin (Zubereitung des Rumps im Erdloch)

      Es wird wieder einmal ein langer Abend. Wir lernen innerhalb von drei Stunden die gesamte Dorfbevölkerung kennen. Jeder umarmt uns, will mit uns anstoßen. Mehrmals reiben uns alte Frauen die Ohren und spucken uns dreimal ins Gesicht (wegen der bösen Geister, siehe oben). Chouchen und Hotdog werden mit Heiratsangeboten in Ruhe gelassen. Stattdessen versuchen mehrere molwanische Bauern Libertist, Lutz-Berlin und mir die charmanten Seiten ihrer teilweise zahnlosen Töchter beizubringen. Ich zeige auf meinen Ehering und lehne ab, was in Molwanien angesichts der gelebten Vielehe kein Argument ist.

      Nun ja. So sind wir also hier. Glücklich und alle ziemlich betrunken in der Großen Ebene. Ich gehe jetzt mal wieder rein. Libertist und Lutz-Berlin schlagen sich ganz wacker gegen alle Versuche, zahnlose Töchter an den Mann zu bringen. Und danke der insistierenden Art von Hotdog ist auch Chouchen noch immer nicht verheiratet und wird es auch heute Abend nicht werden.

      Bis in einigen Tagen.
      Zuletzt geändert von Cattlechaser; 13.04.2011, 13:54.
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        #4
        AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

        EDIT 15. April, 17:55 Uhr

        Ich bin mal wieder online und melde mich aus einem Internet-Cafe in Svetranj. Das ist die Provinzhauptstadt der Molwanischen Alpen. Es war eine Menge los, aber lest selbst.


        09. April – Durch die Große Ebene zum Bzejenko-See

        Wir lassen es gemütlich angehen und setzen erst am späten Vormittag unsere Reise nach Süden fort. Heute geht es durch die Große Ebene (Plana Monotona Desolata) an den Westrand des Bzejenko-Sees, der im Osten direkt in die majestätischen Postenwalj-Berge, die Könige der molwanischen Alpen, grenzt. Morgen früh werden wir uns mit Marcevj treffen, der sich als Bergführer für die Postenwalj-Berge angeboten hat.

        Die staubigen Straßen verlaufen in merkwürdigen Zickzacklinien durch die Große Ebene. Der Verlauf lässt sich durch keinerlei landschaftliche Gegebenheiten wie Seen, Flussläufe oder Erhebungen begründen. Hotdog merkt an, sie habe in dem Werk „Die Geschichte Molwaniens“ gelesen, dies habe seine Ursachen in dem sog. „Molwanischen Wegelagererrecht“. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in dem damaligen Königreich Molwanien so etwas Ähnliches wie das moderne Rechtssystem. In diesem wurden die damaligen Feudalrechte aber noch zu großen Teilen festgeschrieben. So galt im Codex Civilis Molwania, dass derjenige, durch wessen Land eine Straße führte, die Höhe des Zolls bestimmen durfte. Der damals langsam verarmende molwanische Landadel nutze dieses Recht exzessiv aus. Besonders schlimm war die Situation wohl in der Großen Ebene. Dies führte dazu, dass die wenigen großen Handelsorganisationen Verträge mit Großgrundbesitzern schlossen, welche den Wegzoll vorab auf eine bestimmte Höhe begrenzte. Erst danach wurde die Transitstraße gebaut. Da aber längst nicht alle Großgrundbesitzer – insbesondere nicht solche aus dem molwanischen Landadel - bereit waren, die Wegzollbegrenzungen zu akzeptieren, wurde der Straßenverlauf so gewählt, dass die Straße um alle Territorien mit besonders hohem Wegzoll herum führte. Genau dies führte dann zu der teils chaotischen Streckenführung.

        Uns macht es nichts aus. Das Wetter ist warm, die Luft ist klar. Wir genießen die weiteren Blicke über die Große Ebene, an deren Südende bereits das Massiv der Postenwalj-Berge zu erkennen sind.



        Foto: Libertist (Blick über die Große Ebene zu den Postenwalj-Bergen, im Vordergrund ein wühlender Molwanischer Kampfmaulwurf)


        Wir wandern den ganzen Tag in mäßiger Geschwindigkeit durch. Libertist, der mit seinem in Wien erworbenen Kartenmaterial die Führung übernommen hat, ist der Einzige, der hin und wieder laut fluchend die gelassene Stimmung trübt. Wir können es ihm allerdings kaum übel nehmen. Er fühlt sich für die Führung der Gruppe gegenüber verantwortlich und führt uns mehrmals über die offiziell eingezeichneten, geradlinig verlaufenden Hauptstraßen in eine völlig zugewachsene Sackgasse. Hier hatte scheinbar das kommunistische Molwanien vor mehr als 20 Jahren an einer gerade verlaufenden Stecke gebaut, das Vorhaben aber dann irgendwann aufgegeben. In Libertists Karten sind die Straßen aber trotzdem als durchgängig eingezeichnet, was ihn eben so kolossal ärgert.

        Es ist bereits später Nachmittag, als wir auf einen nun wohl tatsächlich zum Bzejenko-See verlaufende Transitstrecke treffen. Die ersten Ausläufer der Postenwalj-Berge formen ein breites Tal, durch das der gesamte Verkehr fließt. Besonders die Viehhändler sind heute unterwegs, so dass die Kuhpopulation die Autodichte übertrifft.




        Foto: Libertist (dichtes Treiben an der Transitstraße zum Bzejenko-See)


        Wir laufen an diesem Tag insgesamt 34 Kilometer. Es dämmert schon, als wir an den Westrand des Bzejenko-Sees kommen. Für heute sind wir an unserem Ziel angelangt. Das Licht reicht für ein Foto nicht mehr aus, also bauen wir die Zelte auf, werfen die Kocher an und verschieben alles andere auf den morgigen Tag.


        10. April – Entlang des Bzejenko-See zu den Postenwalj-Bergen

        Morgens holen wir das Foto vom Bzejenko-See nach, welcher wir wegen der einsetzenden Dunkelheit gestern nicht machen konnten.




        Foto: Cattlechaser (am Nordwestrand des Bzejenko-Sees)


        Der Bzejenko-See ist wegen seiner romantischen Lage eines der großen Glanzlichter eines jeden Molwanienbesuches. Der Ruf des Sees hat allerdings dazu geführt, dass die einzig nennenswerte Tourismusindustrie sich an der Südseite des Bzejenko-Sees mit Betonburgen verewigt hat. Da zu kommunistischen Zeiten nur ein Baumodell zur Verfügung stand, sind diese Touristenbauten von einer gewissen architektonischen Monotonie. Der Nordrand des Sees hingegen besticht noch mit einige ursprüngliche Dörfer die das Gefühl des romantischen Bzejenko-Sees erhalten haben. Leider wurden zwischen den Dörfern in der Vergangenheit die großen Industrieanlagen gebaut. Die Entscheidung für die Industrialisierung der nördlichen Seite wurde übrigens getroffen, weil man den Tourismusbetrieb im Süden nicht stören wollte. Typisch für die Nordseite ist daher dass von Kettenraupen gezeichnete Bild der Uferstraße.

        Wir gehen nördlichen an der Uferstraße entlang bis zum ersten Dorf am See. An der Dorfkirche treffen wir zum verabredeten Zeitpunkt auf Marcevj. Wir sind alle froh, dass Marcevj sich als Bergführer angeboten hat. Schließlich kommt man sonst wohl kaum zu dem Erlebnis, sich in den Molwanischen Alpen von einem Einheimischen führen zu lassen. Er hat seine Studentenkleidung gegen eine komplette Outdoorausrüstung getauscht, zumindest was man nach molwanischen Maßstäben darunter versteht. Sein Zelt besteht aus einer zusammenklappbaren Sperrholzstange, über die er eine zu Recht geschnittene Plastikplane stülpt. Seine Isomatte ist ein aus einer Industrieruine heraus gebrochene Schicht Bauschaum, die er zusammengerollt in eine Plastiktüte gesteckt hat.

        Einige Kilometer weiter treffen wir auf ein großes weißes Gebäude, welches Chouchen sofort als das Atomkraftwerk Gutenblag erkennt.



        Foto: Chouchen (Atomkraftwerk Gutenblag)


        Chouchen hat in den vergangenen Wochen auch die kleinsten Nachrichten aus Molwanien verfolgt und zeigt sich über die Situation bestens informiert. In den Nachrichten über Japan und Fukushima ist völlig untergegangen, dass es im einzigen molwanischen AKW Gutenblag wohl eine kleine Havarie gab. Der Pressesprecher der molwanischen Betreiber hat aber in der Situation entscheidend beschwichtigt. Es habe weder „BUMM“ noch „Bumms“ noch „bumm“ sondern nur ein bisschen „bumm“ gemacht. Die Evakuierungsmaßnahmen seien insofern rein vorsorglich gewesen [gemeint war nicht die Bevölkerung sondern die Kuhherden, welche zur Schlachtung und zum Weitertransport nach Lutenblag bestimmt waren].

        Die Schäden der letzten Woche wurden bereits wieder mit Moltofill fachgerecht verspachtelt. Die beiden Arbeiter, die den „bumms“ des AKWs verursachten, wurden formschön einbetoniert und flankieren jetzt den Weg zur Brennelemente-Kammer.
        Die Improvisationskünste der Molwanier sind einfach sagenhaft! Herauszuheben ist auch das praktische Ergebnis des Umbaus. Da die Molwanier hohen Wert auf Sicherheit legen, haben sie (wie auf dem Bild zu sehen) bereits Löcher in Dach eingebaut, um eine Wasserstoffexplosion nach einer Kernschmelze zukünftig von vorneherein zu verhindern. Chouchen lobt die hohe molwanische Ingenierskunst.

        Chouchen und ich lassen uns nicht davon abbringen, eine Führung im AKW Gutenblag mitzumachen, die die Regierung wohl aus PR-Gründen westlichen Touristen anbietet. Die anderen machen es sich zwischenzeitlich draußen gemütlich und genießen es, die miteinander spielenden dreiäugigen Enten und die vielen zweiköpfigen Kröten zu bewundern.

        Wir kommen begeistert von der Führung wieder. Die innere Ausgestaltung des AKWs steht der äußeren architektonischen Gestaltung in Nichts nach.




        Foto: Cattlechaser (Kontrollraum des AKWs Gutenblag)


        Das AKW Gutenblag wurde übrigens bewusst in den Siebzigern am Bzejenko-See gebaut, um weitere Touristen mit den durch die Kraftwerksabwärme erhöhten Wassertemperaturen anzulocken. Dies ist in der Tat gelungen. Das Wasser des Bzejenko-Sees hat bereits jetzt im April die Temperatur eines Thermalbades. Die Verfärbungen im Wasser stammen übrigens vom Chemiewerk neben dem AKW Gutenblag und werden auf die Südseite des Sees von den Touristen gar nicht wahr genommen.




        Foto: Libertist (Warmes Baden im Bzejenko-See dank dem AKW Gutenblag)


        Wir gehen noch einige Kilometer weiter und wandern durch den Nadelwald am Bzejenko-See.

        Der Reiseführer Molwanien schreibt hierzu auf Seite 86: „Korrektur! In einer früheren Auflage wurden die Wälder nördlich des Bzejenko-Sees beschrieben als eine der ‚landschaftlich vollkommensten Regionen’. Hierbei handelt es sich um einen Druckfehler; tatsächlich sind sie eine der landschaftlich verkommensten Regionen.“ Möglicherweise, so vermuten wir, handelt es sich auch nicht um einen Druckfehler sondern um eine Betrachtung vor und nach der vor einigen Jahrzehnten eingeleiteten Industrialisierung.




        Foto: Libertist (Wald am Rande des Bzejenko-Sees)


        Wir laufen fast die gesamte Nordseite des Bzejenko-Sees entlang, ca. 28 Kilometer. Am Ende des letzten Dorfes und hinter allen Produktionsstätten und Fabriken, also dort wo nun wirklich und endlich die Natur am Bzejenko-See beginnt, lassen wir uns für diesen Abend nieder.


        11. April – Die Postenwalj-Berge, Tag 1

        Heute geht es los. Es beginnt das Herzstück unserer gesamten Molwanien-Tour. Wir laufen quer durch die Postenwalj-Berge, die sich zwischen dem Bzejenko-See und der molwanischen Südgrenze über 2.000 Meter hoch in den Himmel strecken. Ich habe für die Erkundung den wohl berühmtesten Trek Molwaniens ausgewählt, den Valentinki Provendij (Weg der Liebenden). Zuvor hatten wir uns alle gefragt, wie der legendäre Treck zu seinem Namen gekommen ist. Wir laufen los. Die ersten Kilometer verlaufen flach am Südrand des Bzejenko-Sees. Nach wenigen Kilometern wissen wir, wie der Weg der Liebenden zu seinem Namen gekommen ist: Heidekraut, Ginsterbüsche und gebrauchte Kondome flankieren ihn. Die ersten Kilometer sind so etwas wie ein überdimensioniertes Autokino für junge Molwanier, denen die Wohnungsknappheit einen natürlichen Freiheitsdrang impliziert.

        Nun gut, Marcevj versucht uns mit Geschichten von den Unschönheiten des Weges abzulenken. Die Vermüllung des Pfades nimmt ein abruptes Ende, als er das Ende des Sees erreicht und nach Südosten in die Postenwalj-Berge abknickt.

        Durch eine Felsklamm steigt der Weg über ein Sand- und Geröllfeld steil an. Bevor wir unsere ersten Schritte in die Postenwalj-Berge setzen, bewundern wir ein Naturschauspiel, wie es vor uns nur wenige Mitteleuropäer zu sehen bekommen haben. Vor uns grast eine ganze Herde von Molwanischen Steinböcken! Die Molwanischen Steinböcke haben nicht mit dem Alpensteinbock gemeinsam. Sie sind vielmehr eine spezielle Mutation wilder Ziegen, die nur hier, am Nordrand der Postenwalj-Berge verbreitet sind. Ihre Population wird, so Lutz-Berlin, auf lediglich noch 400 Exemplare geschätzt. Der Molwanische Steinbock hat sich dem extrem trockenen und damit an Nahrung armen Sommer am Nordrand der Postenwalj-Berge angepasst, in dem der kleines Geröll und Felssand frisst (daher der Name „Steinbock“) Aus dem Sand filtert sein extrem robuster Mangen die letzten Spuren vertrockneten Grases und von Moos heraus, bis er am Ende wieder kleine Sandhaufen ausscheidet. Lutz-Berlin, der immer davon geträumt hat, einmal den legendären Molwanischen Steinbock in freier Wildbahn zu sehen, hört vor Ehrfurcht fast auf zu atmen. Libertist behält einen kühlen Kopf und schießt ein Foto.




        Foto: Libertist (Herde Molwanischer Steinböcke vor unserem Aufstieg in die Postenwalj-Berge)


        Der Pfad steigt durch das felsige Tal steil an. Wir beginnen zu schwitzen und keuchen. Marcevj versucht uns immer wieder aufzumuntern. Er erzählt uns Geschichten, wie er mit seinem Vater früher immer in die Postenwalj-Berge gegangen ist.

        Es ist bereits Nachmittag, als wir den Bludsenwad-Pass erreichen. Wir sind auf über 1.500 Meter angestiegen. Der Blick auf die Mjoppi-Hochebene eröffnet sich vor uns. Hinter der Passhöhe fällt der Pfad nur wenig ab. Wir steigen noch auf etwa 1.100 Höhenmeter ab. Dann bauen wir an einem großen Karsee unsere Zelte auf. Zum Abendessen zaubert Marcevj eine Überraschung aus dem Rucksack. Oleksejs Mutter lässt uns grüßen und sendet uns frische Rump-Nieren, auf Stock über dem Feuer aus Sperrholzplatten geräuchert. Marcevj ist stolz darauf, die geräucherten Nieren in diese Höhe geschleppt zu haben und teilt diese aus wie der Pfarrer eine Hostie im Gottesdienst. Hotdog beißt mit einem Gesicht, das Todesverachtung signalisiert, in ihre geräucherte Niere und lässt das abgebissene Stück in ihr Taschentuch verschwinden, als Marcevj ihr den Rücken zuwendet. Ich beiße ebenfalls ein Stück ab. Es schmeckt, als hätte man ein abgehangenes Stück Dörrfleisch über brennenden Wetterschutzlack gehalten. Es ist das Gefühl, dass das Essen mit jedem Kauvorgang im Mund nicht weniger sondern mehr wird. Mein Blick zu den anderen signalisiert mir, dass es allen so geht. Ich habe noch einen Rest Zeersturm im Flachmann, den ich herumgebe. Zur Verdauung. Hotdog sendet mir ein dankbares Lächeln.


        12. April: Die Postenwalj-Berge, Tag 2

        Die Nacht war eigentlich lang und doch kurz. Obwohl wir recht früh in die Zelte gekrochen sind, hat uns das immer wieder auf und abflachende Schnarchgeräusch aus dem Zelt von Marcevj unruhig schlafen lassen. Libertist ist zwischenzeitlich aus dem Zelt gekrochen, um zu kontrollieren, ob es sich tatsächlich um Schnarchen handelt oder ob ein molwanischer Elch direkt neben unserem Nachtlager seine nächtlichen Brunftgesänge aussendet. Marcevj hat augenscheinlich gut geschlafen. Als wir uns aus den Zelten schälen, hat er bereits an einer nahe gelegenen Quelle Wasser geholt und Tee gekocht. Wir frühstücken gemütlich, brechen das Lager ab und machen uns auf. Heute geht es hinauf ins Zentrum der Postenwalj-Berge.

        Der Pfad windet sich in Serpentinen den Hang hoch. Zwischen weit heraus ragenden Felsvorsprüngen hat sich Schotter verbreitet, einzelne Moosflächen und dornige Büsche sind die einzigen grünen Tupfer im Felsgrau. Wir steigen höher und höher. Schweigend. Hintereinander. Das schöne Wetter der letzten Tage hat den Schnee in dieser Höhe zwar größtenteils getaut, aber je höher wir steigen desto mehr Schneefelder sind in den Mulden und an den Nordhängen auszumachen. Marcevj führt uns in einer Felsscharte, die zu einem Pass hinauf führt. Wir steigen weiter und weiter.

        Schließlich flacht der Pfad ab und wir stehen auf dem felsigen Sattel zwischen zwei hohen Gipfeln der Postenwalj-Berge. Auf einer Höhe von 2.500 Metern begegnen wir hier einer Gletscherzunge, an deren Fuß wir unsere Mittagspause machen. Chouchen heizt die Kocher an und bereitet uns allen Tee und Heiße Brühe zu. Ich hänge vollkommen erschöpft auf meinem Rucksack, den ich an einen großen Findling gelehnt ab. Marcevj steht derweil mit Hotdog und Libertist am Ende des Gletschers und erklärt anhand der Gletscherschichten das Klima Molwaniens.




        Foto: Libertist (Am Rande des Gletschers; die Industrialisierung hat ihre Spuren hinterlassen)


        Zwei schwarze Maserungen durchziehen die Jahrhunderte alten Eisschichten des Gletschers. Die erste ist recht weit unten zu finden. Dies, so erklärt uns Marcevj, stammt vom Vulkanausbruch des Sprunzvljav – der einzige Vulkan Molwaniens, der nach geologischen Zeitrechnungen noch als aktiv gilt. Der Sprunzvljav an der Südgrenze Molwaniens brach letztmals 1872 aus. Die Eruption dauerte über einen Monat und vernichtete den Großteil der Ernte in der Großen Ebene. Das Jahr 1872 ist deshalb auch als das „Jahr ohne Ernte“ oder das „Auswanderungsjahr“ bekannt.

        Die zweite Schicht ist nicht so schwarz, sondern geht eher ins Bräunliche über. Dafür ist diese Schicht wesentlich dicker und im oberen Bereich der Gletscherzunge zu finden. Marcevj erklärt uns, dass dies aus der Zeit zwischen 1970 und 1989 stammt. Dieser Zeitraum ist in Molwanien als Der große Sprung in die Zukunft bekannt. Das kommunistische Zentralkomitee entschied damals, dass ein Arbeiter- und Bauernstaat einen zumindest wahrnehmbaren Anteil an Industrie und damit auch an Industriearbeitern haben sollte (welche man im Namen des Kommunismus dann mit sozialen Errungenschaften beglücken wollte). Der große Sprung in die Zukunft wurde verwirklicht, in dem man die maroden Industrieanlagen, welche in den Bruderstaaten des KOMINTERN abgebaut wurden, nach Molwanien verbrachte und dort wieder aufbaute. Es handelte sich meist um Anlagen, die in Städten wie Charkow, Timisao und Bitterfeld ausrangiert wurden, weil die von ihnen ausgehenden Umweltbelastungen der örtlichen Bevölkerung nicht mehr vermittelbar waren. Die braun-schwarze Schicht im Gletscher erklärt sich aus den Emissionen dieser kurzen Periode der molwanischen Industrialisierung. Ergänzend ist zu erwähnen, dass die alten Industrieanlagen die kurze Boomphase der molwanischen Wirtschaft auslösten, als sie von 1990 bis 1993 an die meistbietenden Schrotthändler Westeuropas verkauft und dorthin verbracht wurden.

        Nach unserer Mittagspause kraxeln wir wieder abwärts. Zwischen den schroffen Felswänden der Berggipfel steigen wir etwa 700 Höhenmeter an, bis wir eine weitere Hochebene auf 1.800 Höhenmetern erreichen.




        Foto: Libertist


        Durch die Lücken in den Felsscharten haben wir immer wieder wunderschöne weit reichende Blicke über die Postenwalj-Berge in die Große Ebene. Anmutig stehen wir dort und genießen den erhebenden Ausblick.

        Plötzlich kommt ein böiger Wind auf. Nebelschwaden kriechen durch die Scharten in die Hochebene. Marcevj schaut verwirrt. Wir marschieren zum Rand einer Felsscharte und sehen in die Ebene. Dicke, dunkle Wolken massieren sich im Westen und kriechen unübersehbar an den Berghängen nach oben. Libertist fragt Marcevj verwirrt auf Englisch, wie die Wetterprognose denn für heute sei. Marcevj versteht nicht, obwohl wir die letzten Tage problemlos mit ihm auf Englisch kommuniziert haben. Wir bringen alle unsere wenigen Brocken Molwanisch zusammen und erläutern ihm die Frage in Molwanisch. Marcevj versteht immer noch nicht. Libertist zuckt mit den Schultern und meint, er könne nicht glauben, dass unser Bergführer sich nicht um die Wettervorhersage gekümmert habe. Die Wolken sind auf der Hochebene angelangt. Die Sicht verschlechtert sich immer mehr. Es beginnt mit Schneeregen, dann geht der Niederschlag in Schnee über. Wir fragen Marcevj, was wir nun machen sollen. Marcevj meint, dies sei halt das molwanische Aprilwetter und gehe schnell vorüber. Wir sollten einfach weiter gehen. Er dreht sich in die Richtung, die wir ursprünglich eingeschlagen hatten, und marschiert weiter. Wir anderen sehen uns zunächst ratlos an und trotten dann hinterher.

        Nach einer Viertelstunde sind unsere Regenjacken mit einer Schneeschicht bedeckt. Auch das Geröll ist von einer ersten Schneeschicht überzogen. Wir haben alle unsere Spikes angelegt – bis auf unseren Bergführer Marcevj, der eine solche Ausrüstung im Hochgebirge im April scheinbar nicht für notwendig gehalten hat. Die Sicht wird immer schlechter. Libertist und ich beraten kurz und schlagen dann vor, die Zelte aufzuschlagen. Chouchen, Lutz-Berlin und Hotdog schließen sich ohne Diskussion an. Marcevj sieht uns eine Minute zu und beginnt dann auch, sein Zelt aufzubauen.




        Foto: Libertist (Zum Beginn des Schneefalls – noch können wir lachen)


        Für den Rest des Nachmittages verkriechen wir uns in die Zelte, kochen, trinken Tee und reden in wechselnden Besetzungen. Es schneit unablässig. Als wir gegen 22 Uhr in die Schlafsäcke kriechen, liegt der Schnee schon 15 Zentimeter hoch.


        13. April: Die Postenwalj-Berge, Tag 3

        Es hat die ganze Nacht geschneit. Als wir die Zelte aufmachen, müssen wir erst einmal de Eingang frei graben. Der Schnee liegt etwa 30 Zentimeter hoch. Es grieselt nur noch ein bisschen. Dafür beträgt die Sichtweite bei dichtem Nebel nur etwa 10 Meter. Mit Mühe können wir die Zelte von Chouchen und hotdog sowie von Marcevj ausmachen. Chouchen und Hotdog schmelzen bereits Schnee. Die Laune ist nicht prächtig, aber gemessen an den Umständen recht gut.




        Foto: Libertist (Unser zugeschneites Zelt, in einer kurzen Niederschlagspause aufgenommen.)


        Der Schnee setzt gegen Mittag wieder ein. Bei dem dichten Nebel ist an einen Abstieg nicht zu denken. Marcevj hat sich den größten Teil des Vormittags in sein Zelt zurück gezogen. Wir machen uns einige Sorgen. Chouchen kriecht zu ihm ins Zelt und unterhält sich ein bisschen mit ihm. Es ist nicht viel aus ihm heraus zu holen. Auf die Frage, wie er denn den Abstieg plane, meint er: „Tomorrow is better, you see. No problem so weg o down tomorrow.“ Wo genau kann oder will er Chouchen nicht verraten.

        Wir ziehen uns alle kurz zu Libertist und mir ins Zelt zurück. Mit Ausnahme von Marcevj, der weiter in seinem Zelt hockt. Wir sind uns einig, dass Marcevj keinerlei Ahnung hat, wie das Wetter wird, wo wir absteigen könnten oder wie man ansatzweise eine Gruppe im Hochgebirge führt. Wir tragen unsere Informationen und Ausrüstung zusammen. Libertist hat seine Molwanienkarten, die im Gebirge wundervoll detailreich sind. Mit falsch geplanten Straßen ist hier nicht zu rechnen, genau so wenig mit umgesetzten Bergmassiven oder Ähnlichem, so dass wir die Karten aus tauglich erachten. Hotdog und ich haben beide Peilkompasse mit, ich zusätzlich noch einen Höhenmesser.

        Zum König unserer gedrängten Versammlung wird aber Lutz-Berlin, als er mitteilt, ein Sattelitentelefon zu haben. Es funktioniert. Er ruft mal eben in Berlin an. Dort klemmt sich sein Kumpel hinter den Computer. Wettervorhersage für Molwanien für morgen: Strahlender Sonnenschein, selbst in den Postenwalj-Bergen. Temperaturen in der Ebene gegen 15 Grad. 0 Grad-Grenze bei 2.000 Metern. 20 Minuten und einen Anruf später hat unser Basislager in Berlin auch eine Absteigsroute gefunden, zumindest über die im Internet verfügbaren GPS-Daten der MBA (Molwanian Bothy Association). Wir müssen die Hochebene durch die westliche Scharte verlassen, uns in nordwestlicher Richtung am Bergrand nach unten arbeiten bis zu einem Sattel in ca. 1.000 Meter Höhe; dann geht es nach Südwesten bis wir das Tal erblicken, in welches wir zur nächsten Siedlung absteigen können.

        Den Rest des Tages schlagen wir tot, so gut es geht. Gegen 17 Uhr hört es auf zu schneien. Es klart langsam auf. Die Wettervorhersage unseres Berliner Basislagers scheint zu stimmen.


        14. April: – Die Postenwalj-Berge, Tag 4

        Der Morgen ist klar. Die Vorhersage hat sich bewahrheitet. Wir machen Tee und Frühstück. Heute können wir absteigen.

        Marcevj rennt ganz aufgeregt von Zelt zu Zelt und erzählt uns, dass wir heute absteigen können. Es sei alles kein Problem, wir sollten einfach unseren Weg nach Süden weitergehen und unten sei der Schnee schon viel weniger. Wir stehen gerade in 40 Zentimetern Schnee. Der Abstieg über die vom Berliner Basislager vorgeschlagene Westroute wird schon schwer genug. Nun schlägt also Marcevj eine Südroute vor. Wir schauen uns alle an. Libertist reagiert am schnellsten und bittet Marcevj, uns die Route auf der Karte zu zeigen. Dieser meint, es könne nicht sein, dass Libertist ihm als Bergführer misstraue und verkriecht sich beleidigt ins sein Zelt. Nach kurzer Besprechung in unserem Zelt nimmt Chouchen die Karte von Libertist und kriecht zu Marcevj ins Zelt. Dieser kommt nach einer Viertelstunde zusammen mit Chouchen wieder heraus und verkündet, wie könnten jetzt ansteigen, er habe eine noch bessere Route gefunden. Dabei deutet er auf die von uns vorher markierte Westroute. Chouchen hat es geschafft, unseren „Bergführer“ von seiner „eigenen“ Idee zu überzeugen.

        Marcevj geht von nun an voran, dicht gefolgt von einem von uns, welcher abwechselnd Peilkompass und Karte übernimmt. Am Anfang ist das Gehen mühsam und auch gefährlich. In den hohen Schnee treten wir vorsichtig unsere Spuren in der Hoffnung, nicht auf loses Geröll zu treten und abzurutschen. Als wir auf dem Sattel ankommen, ist der Schnee bereits wegen der hohen Temperaturen zusammen getaut. Hier machen wir Pause. Lutz-Berlin telefoniert noch einmal per Satellit mit dem Berliner Basislager und lässt sich die einzuschlagende Südwestroute bestätigen.



        Foto: Cattlechaser (Auf dem Sattel, der Schnee wird schon weniger.)


        Wir gehen, offiziell geführt von Marcevj, die Flanke des Hanges in südwestlicher Richtung. Schon können wir, wenn auch tief unten im Tal, die Bergwerkstadt Bottropski sehen.




        Foto: Cattlechaser


        Über uns hören wir ein Grollen. An einer Flanke des Berges ist über einem Altschneebrett eine große Nassschneelawine abgegangen. Langsam arbeiten wir uns den steilen und kargen Hang nach unten. Es ist schon früher Abend, als wir im Tal kurz vor Bottropski ankommen. Die Stadt ist alles andere als eine Schönheit, aber egal – wir sind alle heil unten. Marcevj schaut bedröppelt. Er weiß durchaus, wie der Abstieg gelaufen ist. Sein molwanischer Stolz hindert ihn aber, dies zuzugeben. Kurz vor Bottropski schlagen wir die Zelte auf uns sind in kaum vorstellbarer Geschwindigkeit in unseren Träumen.


        15. April: Von Bottropski nach Svetranj


        Es ist herrlich, wieder am Rande der Zivilisation aufzuwachen. Das gute Wetter von gestern hat angehalten. Weit oben sind die Berge noch weiß vom Schnee, aber unten im Tal ist alles wieder grün. Typisches Aprilwetter. Die wenigen Meter nach Bottropski fallen nicht schwer. Bottropski selbst ist nichts, was man gesehen haben müsste. Ein kleines Städtchen inmitten der Postenwalj-Berge, das man um eine Kupfermine herum gebaut hat. Häuser grau in grau für die Minenarbeiter und kleine Bungalows am Hang für die Führungskräfte. In der Ortsmitte gibt es einen großen Supermarkt, eine Schule, ein Verwaltungszentrum und eine kleine Krankenstation. Dies alles ist um den Leninplatz herum gruppiert, den man scheinbar nach 1989 vergessen hat, in Freiheitsplatz oder so ähnlich umzubenennen. Wir kaufen erst einmal ein und besprechen dann alles Weitere. Vor uns lägen noch drei weitere Tagesetappen in den Postenwalj-Bergen, aber angesichts der Erfahrungen im Schnee verspüren wir wenig Lust, wieder aufzusteigen. Also werden wir die Reise etwas verkürzen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Svetranj, der Regionshauptstadt der Molwanischen Alpen, fahren.

        Marcevj ist heute im Gegensatz zu den letzten Tagen wieder sehr gesprächig. Niemand von ihm hat ihm wirklich übel genommen, dass er als Bergführer ein Totalausfall war. Er ist ein netter, freundlicher Kerl, der uns allen ans Herz gewachsen ist. Ohne dass er es zugeben möchte plagt ihn aber wohl das schlechte Gewissen. Er bemüht sich nach besten Kräften, in Bottropski eine Verbindung nach Svetranj zu finden, fragt die Leute auf der Straße, geht in das Verwaltungszentrum, läuft sogar zum Pförtner des Verwaltungsgebäudes der Kupfermine. Die Antwort ist immer dieselbe: Montags geht ein Bus nach Svetranj hin, freitags kommt er zurück. Heute ist Freitag. Das bedeutet drei Tage Zeit in einem der ödesten Flecken Osteuropas zubringen. Außer Kupfer zu gibt es nicht, was man in Bottropski machen kann.

        Aber Marcevj lässt nicht locker. Er findet ein Loch im Zaun zur großen Abraumhalde des Kupferbergwerkes. Große LKWs werden hier von noch größeren Baggern mit Abraumgestein beladen und verbringen ihre Ladung dann irgendwo anders hin. Vielleicht schütten sie eines der wunderschönen Nebentäler zu, die wir von den Höhen der Postenwalj-Berge betrachtet haben. Marcevj geht zu einem der Fahrer, spricht eine längere Zeit mit ihm. Dann kommt er zurück. Ob wir alle zusammen legen und ihm 20 Euro geben könnten? Ich vertraue ihm und rücke das Geld ohne weitere Diskussion raus. 20 Euro mögen für uns nicht viel sein; für einen molwanischen LKW-Fahrer in den Postenwalj-Bergen sind sie nicht nur harte Devisen sondern eine richte Summe Geld. Marcevj geht zurück, gibt das Geld dem wartenden Fahrer, steigt ein und die beiden fahren davon. Wir beobachten das Schauspiel von der anderen Seite des Zauns. Fünf Minuten später kommen sie die Straßen entlang, die außerhalb des Zauns verläuft. Der LKW stoppt und kippt seine Ladefläche leicht in unsere Richtung. Einsteigen, fordert uns Marcevj stolz auf. Was bleibt uns anderes übrig. Wir springen hinten auf die beachtlich große Ladefläche. Netterweise haben sie vorher das Abraumgestein ausgeladen. Weil ich das Fahrtgeld gezahlt habe, bieten mir die anderen an, neben Marcevj und dem Fahrer im Fahrerhaus zu sitzen. Ich überlege einen Moment, ganz Gentleman zu sein und dies Chouchen oder Hotdog anzubieten, schaue zunächst auf die verdreckte Ladefläche, dann auf den bequemen Beifahrersitz und steige dann vorne ein. (Ja, ich weiß. Aber Chouchen und Hotdog haben die Fahrt tapfer und kommentarlos ertragen.) Sodann geht es los, an den Gebäuden des Bergwerks vorbei und auf die Straße Richtung Svetranj.



        Foto: Cattlechaser (Vorbei an den Minen von Bottropski)


        Wir rütteln über die Straße, die nichts weiter ist als eine sehr breite Piste für schwer beladene LKWs. Die anderen hinten schüttelt es richtig durch, bei uns vorne geht es. Wir genießen bei aller Rüttelei aber noch den Blick auf das schöne Tal in den Postenwalj-Bergen, die anderen auf der Ladefläche können dies sogar aus der Cabrio-Perspektive machen. Nach dreißig ziemlich langen Kilometern werden die Hänge flacher, die Berge niediger. Schließlich verschwinden die Berge und wir blicken auf die Große Ebene, die im Hintergrund gut sichtbar U-förmig von den Molwanischen Alpen umrahmt wird. Wir fahren noch ein paar Kilometer, bis wir zur nächst größeren Siedlung kommen. Dort geht noch heute der Zug nach Svetranj. Wir bedanken uns bei dem Fahrer, der uns vor dem Gebäude heraus lässt, welches angesichts der nahen Schienen als Bahnhof zu orten ist. Der Ort ist im Übrigen fast noch öder als Bottropski und verdient keine weitere Erwähnung. Zwei Stunden nach unserer Ankunft fährt der Regionalzug ein.




        Foto: Cattlechaser (Zug nach Svetranj)


        In zwei endlosen Stunden, bei der wir wirklich bei jedem – jedem – JEDEM!!! – Dorf halten, sind wir die 40 Kilometer nach Sevtranj gefahren. Es ist mittlerweile schon später Nachmittag. Wir suchen uns eine Unterkunft, was nicht schwer ist, da es in Sventranj keinen Campingplatz und nur ein Hostel gibt. So sind wir also nun schließlich hier im Hostel gelandet:




        Foto: Cattlechaser (Unser Hostel in Svetranj)


        Die restliche Zeit spannen wir aus. Alle sind ziemlich geschafft, zum einen von der langen Fahrt zum anderen aber auch von den vergangen Tagen auf Tour. Ich nutze die Gelegenheit, um ein bisschen Reisebericht zu schreiben. Das einzige Internet-Cafe von Svetranj ist mit Hilfe von Marcevj auch schnell gefunden.

        Von allen anderen, die sich gerade im Hostel ausruhen, liebe Grüße in die Heimat. Morgen werden wir Svetranj erkunden und dann geht es wieder zu Fuß weiter: Nach Norden über die Ruinen von Grotti in das Westliche Plateau. Wir werden nun am 21. April zurück kommen. Dann kann ich euch auch berichten, wie wir die Reise zu Ende gebracht haben und die anderen werden vielleicht ihr Reisefazit einstellen. Bis dahin viele Grüße aus Svetranj in Molwanien.
        Zuletzt geändert von Cattlechaser; 22.05.2011, 21:19.
        Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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        • lifetrotter
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          • 17.04.2009
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          • Meine Reisen

          #5
          AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

          Hallo,

          vielen Dank für diesen tollen Reisebericht. Schon nach dem ersten Reisetag hat dieser Bericht bei mir große Sehnsucht geweckt. Nach etwas Recherche im Internet habe ich auch gleich für den 1. April 2012 meinen Flug gebucht.
          Deswegen werde ich mich vielleicht mit einigen Detailfragen an euch wenden.

          Freue mich auf die Fortsetzung des Reiseberichts in ein paar Tagen.

          LG, lifetrotter
          Dies ist ein elektronisch erstellter Beitrag. Bitte entschuldigen Sie das Fehlen von Kaffeflecken und Kuchenkrümeln.

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          • Atze1407
            Fuchs
            • 02.07.2009
            • 2425
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            #6
            AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

            Ich wünsche Euch viel Spass und kommt Gesund zurück.

            Interessante Eindrücke.

            Gruß
            Atze
            Wenn du den Charakter eines Menschen kennenlernen willst, gib ihm Macht.
            Abraham Lincoln

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            • Cattlechaser
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              • 04.08.2010
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              #7
              AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

              So, die ersten Tagen unserer Reise könnt ihr jetzt unter #1 bis #3 nachlesen. Ich hole deshalb diesen Thread einmal nach vorne. Wegen der noch folgenden Berichte der kommenden Tage benötige ich ohnehin noch einen Platzhalter.

              Jetzt gehe ich aber endgültig wieder rein. Es wird ziemlich kalt hier draußen und drinnen fangen sie gerade wieder an, molwanische Volkslieder zu singen. Das geht zwar immer nur um Einsamkeit in der Steppe und einen Zeersturm (Knoblauchschnaps), hört sich aber wunderschön melancholisch an.

              Bis bald.


              EDIT 22.05.11:

              16. April: Svetranj

              Svetranj ist keine sonderlich große Stadt, aber sie verkörpert auf wenigen Quadratkilometern wohl das, was eine molwanische Stadt ausmacht. An den breiten Ein- und Ausfallstraßen reihen sich die Plattenbauten, die bereits jetzt, nach wenigen Jahrzehnten, den leicht morbiden Ostblockcharme erkennen lassen. Das alte Zentrum stammt hingegen noch in fast unveränderter Form aus den gloriosen Zeiten der molwanischen Monarchie.

              Wir gehen von unserem Hostel ein paar Meter bis zum Rand der Altstadt. Eng drängen sich die Häuser aneinander. Dass man in der alten molwanischen Monarchie nicht sonderlich viel Wert auf gute Beleuchtung der engen Gassen gelegt hat, ist in Betracht der mittelalterlichen Gassen in Mitteleuropa keine sonderliche Überraschung. In Molwanien scheint dies aber eine lange gepflegte Tradition zu sein. Die Altstadt ist abseits der beiden in Nord-Süd und Ost-West-Richtung verlaufenden Flanierstraßen ein einziges dunkles Labyrinth von Gassen und verbeulten Verkehrsschildern.



              Foto: Cattlechaser


              Wir laufen über die Ost-West-Meile und schauen hin und wieder in einzelne Gassen. Hotdog und Lutz-Berlin sind an einem Stand hängen geblieben, an der ein traditioneller Kesselflicker seinem Handwerk nachgeht und auf zwei alten WMF-Suppentöpfen herumschlägt. Wir anderen gehen ein bisschen vor und werden von zwei Straßenhändlern angesprochen werden. Sie wollen uns, so erklärt uns Marcevj, die angeblich „beste Rote Beete“ der Großen Ebene verkaufen. Als wir ablehnen haben sie auch noch den „frischesten Sauerampfer“ oder aber auch den „leckersten selbstgebrannten Zeersturm“ im Angebot. Nach einigen Minuten Palaver hat sie Marcevj abgeschüttelt. Wir schauen uns um. Hotdog und Lutz-Berlin sind verschwunden.

              Wir schauen noch in einige der Gassen. Keine Spur von ihnen. Wir warten. Nach 20 Minuten geben wir auf. Wenn wir davon ausgehen, dass die beiden zusammen sind, dürften sie halbwegs sicher sein. Das meint auch Marcevj. Also gehen wir zum Hostel zurück und ruhen uns über den Mittag aus.

              Nach etwa zwei Stunden erscheint Hotdog. Sie hat nach klaren optischen und olfaktorischen Signalen bereits einige Einheiten Zeersturm intus. Sie erzählt uns etwas von netten Leuten und einer tollen Kellerkneipe – Lutz-Berlin sei noch da; sie sei nur gekommen, um uns zu holen. Wir sind etwas ratlos, wollen die beiden aber auf keinen Fall alleine lassen. Also gehen wir alle zusammen los. Hotdog führt uns durch die Gassen der Altstadt, bis sie die baufällige Tür eines ebenso baufälligen alten Hauses öffnet und uns tatsächlich in eine Art Kellerkneipe führt, die mit dem Mobiliar eines deutschen Partykellers aus den Siebzigern ausgestattet zu sein scheint.



              Foto: Cattlechaser (Die kleine Kneipe am Ende des Straße, Eingang links neben dem blauen PKW)


              Hotdog und Lutz-Berlin haben tatsächlich eine lustige Runde von Molwanier aufgetan. Ein halbes Dutzend Handwerker und einige Studenten haben recht früh am Tag mit dem Zeersturm angefangen und einen gesanglichen Potpourri der schönsten molwanischen Volkslieder hinlegen. Lutz-Berlin hat ein besonderes Lied, welches laut Marcevj mit „Weite Ebenen, hohe Berge“ übersetzt, schon so oft gehört, dass er die Passagen im Refrain mitsingen kann. Die Handwerker klopfen ihm auf die Schulter, schenken uns allen einen Zeersturm aus und prosten uns zu. Hotdog übt derweil mit Lutz und den Studenten ein anderes Lied ein. Sie ist auch schon relativ textsicher. Das Lied heißt laut Marcevj „Grünes Gras, Graue Berge und Rote Beete“.

              Es wird ein langer … nein, nicht Abend, sondern Nachmittag. Irgendwann verabschiede ich mich. Mein Molwanisch ist an diesem Nachmittag exorbitant besser geworden – vor allem das Umgangssprachliche. Die anderen können schön ein halbes Dutzend molwanische Volkslieder zumindest im Refrain mitsingen. Chouchen und ich sind an diesem Tag die ersten, als wir gegen 18 Uhr ins Hostel zurück kommen. Die anderen trudeln nach und nach ein. Marcevj und Lutz-Berlin bekomme ich schon nicht mehr mit, da ich gegen 20 Uhr in den Schlafsack krieche.


              17. April: Zu den Ruinen von Grotti

              Chouchen und ich sind als erste wach. Den anderen geht es schlecht. Seeeehr schlecht. Nachdem wir zwei Tee ausgetrunken haben, kriechen die ersten aus ihren Schlafsäcken und kommen in die Küche des Hostels. Das Frühstück fällt ziemlich wortkarg aus.

              Marcevj fährt heute zurück in sein Heimatdorf. In einigen Tagen muss er mit Oleksej wieder nach Lutenblag. Wir werden ihn sehr vermissen. Zum Abschied drücken wir ihn alle ganz fest und versprechen, aus Deutschland zu schreiben. Nachdem wir ihn zum Zug gebracht haben, nehmen wir ein Taxi vom Hauptbahnhof und lassen uns aus der Stadt und durch die wenigen Dörfern, die man mit Abstrichen noch als „Ballungsraum“ bezeichnen könnte, fahren und absetzen. Die Gegend ist karg, und stark landwirtschaftlich genutzt. Einzig die Nordwestausläufer der molwanischen Alpen geben der Gegend noch weit entfernt eine visuelle Begrenzung.



              Foto: Cattlechaser


              Stundenlang laufen wir durch diese Öde. Es ist schon später Nachmittag, als wir uns den auf einem Hügel gelegenen Ruinen von Grotti nähern. Die Ruinen sind die Überreste einer alten Festung, in welcher die Fürsten von Grotti den Römern, Hunnen, Osmanen, Kreuzrittern und allen möglichen anderen friedlich oder feindlich durchziehenden Reisenden Widerstand leisteten. Charakteristisch für die Ruinen ist ein fast einen Meter breiter Riss, der sich von oder nach unten durch die ehemalige Burgmauer zieht und den Eckturm abgrenzt. Der Legende nach, so der Reiseführer Molwanien, stammt der Riss von Buljflab III., der sogenannten „Feisten Fürstin“.




              Foto: Libertist


              Die Stadt Grotti hat heutzutage ihre frühere Bedeutung verloren und ist nur noch eine Provinzstadt am Rande der Großen Ebene. Architektonisch ist die Stadt wirklich simpel zu ergründen. Sie gliedert sich in eine nicht nur zer- sondern bereits vollkommen verfallene Altstadt, hinter der man in einiger Entfernung als Krönung des realsozialistischen Baustils die Neustadt von Grotti aufgebaut hat.



              Foto: Cattlechaser


              Die Stadt ist wenig anziehend. Wir lassen sie schnell hinter uns und schlagen in gebührendem Abstand unsere Zelte auf.


              18. April: Zum Westlichen Plateau


              Es hat die gesamte Nach durchgeregnet. Die Regenwolken liegen noch wie Blei über der Großen Ebene und tauchen alles in ein ödes Grau. Es ist kalt. An diesem Tag liegt der Rand der Berge schon deutlich vor uns. Wir müssen noch zwei Stunden durch die Große Ebene laufen. Hin uns wieder kommen wir durch kleine Ansiedlungen, in denen man auf den durch den Regen schlammig gewordenen Pfaden noch Pflüge mit Zugochsen statt Traktoren sieht. Am Rande einer stillgelegten Kolchose sind molwanische Schrotthändler an der Arbeit.



              Foto: Cattlechaser


              Wir laufen weiter über die schlammigen Straßen. Die Regenwolken lockern sich langsam auf. Gegen Mittag kommt die Sonne raus und es ist wesentlich wärmer.

              Die weite und öde Große Ebene endet abrupt an einem Abhang. Es geht steil hinunter. Der Abhang ist bewaldet! Wir haben seit den Postenwalj-Bergen keinen Wald mehr gesehen! Auf der gegenüber liegenden Seite steigen die Nordwestausläufer der Molwanischen Alpen genauso steil an. Fast sämtlicher Regen wird hier abgefangen und fließt in das vor uns liegende, tief eingeschnittene Tal, das von einem breiten Fluss gegraben wurde. Mühsam arbeiten wir uns durch den lichten Wald den Hang herunter. Unten ist der Fluss noch viel breiter, als er von oben ausgesehen hat. Wir fragen uns, wo wir diesen Fluss queren sollen. Auf der Karte von Libertist ist eine Brücke eingezeichnet. Die stammt aber vermutlich noch aus den Planungen der Achtziger Jahre und ist auf der Karte (- genau, die von den Rotarmisten in Wien -) eingezeichnet. Die Brücke ist vermutlich nie gebaut wurden. Wir finden zumindest keine Spur hiervon.

              Wir setzen uns erst einmal ins Ufer und beratschlagen. Zum Furten ist der Fluss zu tief. Die nächste Brücke ist laut Karte einen Tagesmarsch entfernt. Schwimmen kommt angesichts von Temperatur und Fließgeschwindigkeit schon gar nicht in Frage. Gerade versinken wir in ratloses Schweigen. Dann rudert ein Flussfischer um die nächste Biegung. Wir winken ihn herüber und erklären ihm in radebrechendem Molwanisch unsere Lage. Die Verhandlungen gestalten sich schwierig. So wie wir es verstehen, fordert er einen Betrag für einen geschätzten Tagesfang an molwanischen Flussforellen. Die gesamte Diskussion ist letztlich fruchtlos. Wir werden zahlen. In Erinnerung an den Song von Chris de Burgh „Don’t pay the ferryman“ handele ich allerdings heraus, dass wir die Hälfte der Fährgebühr vor und die andere Hälfte nach der Beförderung zahlen. Er fährt zweimal. Mehr als vier Personen passen gleichzeitig nicht in den alten Kahn. Uns ist schon etwas bange, aber es geht alles gut. Wir kommen sicher auf die andere Seite.



              Foto: Lutz-Berlin (im Vordergrund unser Fährboot)


              Vom anderen Ufer geht es steil bergan. Im tief eingeschnittenen Tal machen wir einen Pfad aus, der sich langsam durch das ansteigende Tal nach oben windet. Wir quälen uns. Die Gruppe zerfällt zwischendurch, weil jeder sein eigenes Tempo gehen möchte. Es wird Nachmittag, bis wir oben ankommen. Auf der Passhöhe genehmigen wir uns erst einmal eine ausgiebige Pause.

              Der Pass liegt schon einige Kilometer hinter uns. Wir steigen durch lichte Wälder hinunter in das Westliche Plateau. Die Berge laufen in grünen Hügeln aus. Am Rande einer Lichtung schlagen wir unser Lager auf. Allen knurrt der Magen. Wir beratschlagen, ob wir mit den Kochen einfach ein bisschen Wasser für die Outdoor-Tütennahrung warm machen sollen, oder ob wir etwas real zusammen kochen. Lutz hat in seinem Rucksack noch einige Kartoffeln und Karotten, die er sich in Svetranj im Zeersturmrausch von einem Straßenhändler hat andrehen lassen und er hat es bisher noch nicht fertig gebracht, diese wegzuwerfen. Chouchen regt scherzhaft an, wir sollten doch einen Eintopf kochen: mit den Kartoffeln, den Karotten und einigen der zahlreichen Eichhörnchen, die durch den lichten Wald wuseln. Chouchen kichert noch, aber für uns stellt sich auf einmal die Frage: Wie fängt man eigentlich ein Einhörnchen?

              Chouchen ist noch ganz von ihrem eigenen Scherz berauscht, also sinniert sie mit dem ihr eigenen Humor munter weiter. Die molwanischen Eichhörnchen seien ja unglaublich zutraulich, es müsse also möglich sein, sie mit einfachen Mitteln zu fangen. Wie wäre es denn, wenn man eines unserer Multifunktionsmesser halb aufklappe, etwa soweit, dass es kurz vor dem Zurückschnappen sei. Das Messer könne man doch mit dem ausgefahrenen Korkenzieher auf der anderen Seite fixieren. Auf das halb aufgeklappte Messer müsse man dann nur eine der Nüsse aus unseren Vorratsbeuteln legen und schon sei das Eichhörnchen gefangen.

              Chouchen kichert noch. Libertist hat derweil schon sein Taschenmesser heraus geholt, es vor einem großen, von Eichhörnchen bewohnten Baum in die Erde geschraubt und die Falle ausgefahren.

              Wir gehen einige Meter zurück. Es dauert nicht lange, da erscheint ein Eichhörnchen, schnuppert an der Nuss und greift dann zu. Das Messer klappt zu – das Eichhörnchen ist gefangen. Nun stellt sich nicht nur die Frage: Wie fängt man ein Eichhörnchen, sondern auch: Wie tötet man ein Eichhörnchen? Ich fluche, beschließe zwischenzeitlich, nach Rückkehr einen Thread hierzu in den ODS zu eröffnen. Um das Ganze zusammen zu fassen: Libertist und ich finden einen Weg. Es geht ganz schnell. Die Eichhörnchen leiden nicht lang. Also fängt uns jetzt Libertist insgesamt vier Eichhörnchen, die ich umgehend häute und ausnehme.

              Hotdog und Lutz heizen die Töpfe an. Der Fond wird mit unseren Tütensuppen aufgepeppt, dann kommen Kartoffeln, Karotten und Eichhörnchen rein. Es schmeckt übrigens ziemlich gut, so etwa wie Kaninchen. Chouchen will zunächst nichts essen. Sie fühlt sich schuldig und meint, die toten Eichhörnchen sehen so aus wie ihre Katze zu Hause. Libertist meint, dass aber ihr Hund zu Hause die Essbarkeit von Eichhörnchen keinesfalls anzweifeln werde. Chouchen entgegnet wieder, dass dieser aber niemals eine Messerfalle für Eichhörnchen aufstellen werde. Schließlich lässt sie sich aber doch einen Teller geben und knabbert zum Schluss auch noch das gekochte Fleisch von den Eichhörnchenknochen. Für die Möglichkeiten in der Wildnis haben wir ein köstliches Mahl bereitet.


              19. April: Weingebiet im Westlichen Plateau

              Nach dem Lagerabbau gehen wir noch ein bisschen die grünen Hänge herab, bis wir direkt in das Westliche Plateau gehen. Das Westliche Plateau ist die molwanische Weinbaugegend. Doch die Gegend hält gleich morgens die erste Überraschung für uns bereit.

              Wir laufen durch Weinberge. Gelb-rote Weinberge. Ohne Zweifel, die Blätter sind tatsächlich gelb-rot gefärbt. Wie im Herbst. Wir haben jetzt April! Es ist natürlich wunderschön anzusehen, aber es irritiert tatsächlich sehr.

              Foto: Cattlechaser (folgt noch!)

              Später lassen wir uns von einem Weinbauer über die Gründe aufklären. Die Molwanische Regierung versuchte in den Siebzigern und Achtzigern so etwas wie einen molwanischen Edeltourismus aufzubauen. Die kommunistischen Funktionäre, vor allem aus der UdSSR, sollten hier gegen Devisen oder Rohstofflieferungen vom Großen Bruderland ihren Nobelurlaub machen. Dafür benötigte man natürlich ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Man kam auf die Idee, dass man etwas bräuchte, um die Weinregion im Westlichen Plateau auch im Frühling und Sommer wie im Herbst gefärbt aussehen zu lassen. Die molwanischen Biologen züchten daher über Jahre eine Weinsorte, der im Frühjahr rot und gelb gefärbte Blätter wachsen, welche sich ab September dann grün färben. Das Schauspiel an sich war damit perfekt. Die letzten Reste hiervon können wir heute genießen.

              Nachdem aber die Molwanische Regierung in ihrem Wirtschaftsplan den flächendeckenden Anbau der neuen Rebsorte angeordnet hatte, wurde man auf ein unwesentliches Details aufmerksam, dass die molwanischen Biologen bei Züchtung niemals interessiert hatte: Die neue Rebsorte hatte schlichtweg ungenießbare Trauben die in großen Mengen konsumiert sogar giftig waren. Das bewirkte zunächst die Verordnung, dass die neue Rebsorte von nun an als „Zierpflanze“ galt und aus ihr kein Wein hergestellt werden durfte. Dies ging ein Jahr gut, da sich die Weinkolchosen alle daran hielten. Zahlreiche Weinarbeiter sahen aber nicht ein, dass man reife Weintrauben verkommen lassen sollte, ernteten schwarz und kelterten schwarz.

              Für die Molwanier selbst war dies kein großes Problem. Die molwanische Leber ist geprägt durch den Konsum von Zeersturm. Sie übersteht auch den Konsum von Alkoholika wie der „Zierpflanzenwein“. Ein ausgewachsener Kater nach drei Tagen Tiefschlag ist das Maximum, welches ein Molwanier hier erleiden kann. Problematisch wurde dies aber, als ein Weinbauer in einer schwarz eingerichteten Weinschenke einen hohen kommunistischen Funktionär der KPdSU aus Moskau abfüllte, der am Tag darauf an multiplen Organversagen starb. Der molwanische Weinschenk wurde hingerichtet. Die Sowjetunion drehte aber sofort die Ölpipeline zu. Molwanien erlebt daraufhin den sogenannten „Eiswinter“, der zur Abholzung sämtlicher Wälder rund um Lutenblag führte. Im nächsten Jahr kamen ohnehin keine hochrangigen Touristen aus der Sowjetunion mehr, weswegen die molwanische KP verfügte, den Zierpflanzenwein wieder durch genießbare Sorten zu ersetzen. Nur an einigen Stellen blieb –mehr aus Schlampigkeit als aus Nostalgie– die alte Ziersorte erhalten.

              Wir laufen weiter durch die Weinberge. Die Besiedlung wird nun dichter. Weindörfer reihen sich an die Hügel. Die Landschaft wird flacher. Langsam werden die Weinanbaugebiete von Getreidefeldern abgelöst.

              Unsere heutiges Ziel ist die Provinzstadt Stompff, die wir am späten Nachmittag erreichen. Es gibt hier kein Hostel, also campen wir mit Erlaubnis des Besitzers auf einer Wiese direkt neben einem Weinbauernhof am Rande des Städtchens. Wir haben nur an dem großen, leicht verfallenen Bauernhaus unter Mobilisierung unserer sämtlichen molwanischen Sprachkenntnisse um Erlaubnis, die Zelte auf einer nahen Wiese aufzustellen. Die Bauersleute nehmen uns sprichwörtlich mit offenen Armen auf. Die Bauernfrau kassiert sofort fürsorglich Hotdog und Chouchen ein, vermutlich weil sie der Meinung ist, Frauen müssten zusammen halten. Die beiden dürfen mit Ihr zusammen mehrere Kilogramm Rote Beete schälen und waschen, um daraus die Rote-Beete-Puffer herzustellen, für das die Region berühmt ist. Zur Entschädigung bekommen sie allerdings auch sofort einen der besten Weine des Hauses – selbst gekeltert, wie sich versteht. Wir Männer halten uns nicht mit dem Schälen von Rote Beete auf, sondern gehen direkt in den Weinkeller. Der Weinbauer kann recht gut Englisch. Die Verständigung klappt. Wir bekommen zunächst einen Einführungskurs über Weinanbau in Molwanien. Unsere Kenntnisse über den weiter oben erwähnten Zierwein stammen übrigens von unserem Gastgeber. Das Ganze wird begleitet von zahlreichen Kostproben. Ehrlich gesagt sind manche der Weine doch äußerst „erdig“. Aber auch der eine oder andere außergewöhnlich gute Tropfen ist dabei. Wir nennen es –in Deutsch, also ohne Kenntnis unseres sehr charmanten Gastgebers- die Weinlotterie. Besonders wichtig ist natürlich (egal ob der Tropfen gut oder scheußlich ist), dem Gastgeber immer das außerordentliche Geschmackserlebnis durch wohlwollendes Grinsen zu demonstrieren. Lutz und ich müssen einmal schleunigst den Raum verlassen, als wir sehen, wie Libertist versucht, einen essigartigen Landwein mit Tränen in den Augen als Krönung der molmanischen Weinbaukunst zu loben.

              Die Weinprobe im Keller endet, als die Frauen uns zu Rote-Beete-Puffern mit frisch gerupftem Brathuhn rufen. Ihrem Bewegungsablauf nach haben auch sie während des Kochens eine ausgiebige Weinprobe genossen. Zum Essen sind auch die Nachbarn dar, die jeweils eine selbst gekelterte Flasche Wein mitbringen. Es wird ein wunderbarer Abend mit einer wirklich überwältigenden molwanischen Gastfreundschaft.


              20. April: Zurück nach Lutenblag


              Das Frühstück nehmen wir erst am späten Vormittag ein. Die Frauen werden von unserer Gastgeberin etwas früher mit molwanischem Charme geweckt. Sie dürfen für uns Männer die Sbrzlag zubereiten, den traditionellen molwanischen Frühstück aus Haferbrei, Zuckerrüben und ausgekochten Schafsfüßen. Chouchen ist ob des früheren Aufstehens etwas zerknirscht. Hotdog hingegen hat beste Laune. Wo sonst, so sagt sie, bekommt man kostenlos einen Kochkurs in traditioneller molwanischer Küche.

              Es ist wieder ein Abschied mit großer Wehmut. Uns wird wieder einmal bewusst, wie schnell und herzlich wir hier in Molwanien aufgenommen wurden. Gegen Mittag der der tägliche Fernbus nach Lutenblag. Der Fahrer wirft mit rotziger Verachtung unsere Rucksäcke auf den Dachgepäckträger. Wir sitzen dicht gedrängt mit einigen Dutzend Molwaniern in einem stickigen, vom deutschen TÜV laut Nummernschild GI-CG-irgendwas im April 2002 ausrangierten Reisebus und schunkeln mit ausgeleierten Stoßdämpfern über Landstraßen in Richtung Lutenblag.



              Foto: Lutz-Berlin


              Die Fahrt ist lang und schlaucht uns ziemlich. Einzige Auflockerung ist die Mittagspause an der heiligen Kathedrale von St. Smaczilrg. Der Heilige Smaczilrg war ein Mönch aus Konstantinopel, der Molwanien im 7. Jahnhundert n. Chr. christianisierte. Er endet übrigens als Futter einer Rump-Herde. Irgendjemand hat aber zumindest seine Gebeine aufgesammelt, da sie in der Kathedrale aufbewahrt sind. Da außer uns eigentlich nur Molwanier im Bus sitzen, ist es unwahrscheinlich, dass der Busfahrer die Mittagspause wegen der Touristen einlegt. Den Grund erfahren wir aber, als sich nach Ankündigung der Pause von 30 Minuten praktisch sämtlichen molwanischen Fahrgäste an der Imbissbude vor der Kathedrale anstellen. Ein Mitreisender erklärt Libertist, dass es hier angeblich das Beste Hrosflab des westlichen Molwanien gibt. (Wir erinnern uns an unseren Restaurantbesuch in Lutenblag: Hrosflab ist das molwanische Nationalgericht; ein Brei aus gut abgehangenen Fleischsorten, vornehmlich alter Hammel und Ziegenbock.)

              Wir Touristen begnügen uns mit der Rucksacknahrung und sehen uns in der Zwischenzeit die Kathedrale an.




              Foto: Lutz-Berlin


              Der Innenraum der Kathedrale ist eine wilde aber umso aufregendere Stilmixtur aus allen Epochen und Kulturen. Es spiegelt die Einstellung der Molwanier zu Religion wieder, die während ihrer bewegten Geschichte und zahlreichen Invasoren unzählige Male die Religion wechseln mussten und dies subtil aber sehr gerissen für sich zu nutzen wussten. So haben sie aus allen Religionen, die ihnen in den letzten Jahrhunderten aufgezwungen wurden, da ihrer Kultur nahe stehende adaptiert. Von der Vielgötterwelt des Römischen Reiches haben sie die opportunistische Verhandlung mit verschiedenen Himmelskräften übernommen. Vom Katholizismus ist der Hang zur barocken Lebensweise im Hier und Jetzt geblieben. Vom Islam haben sie die Vielehe adaptiert und von der atheistischen Kommunistenherrschaft im 20. Jahrhundert haben sie gelernt, die theologischen Institutionen nicht immer so ernst zu nehmen.

              Die Pause ist vorbei. Wir steigen ein und rattern fast zwei weitere Stunden über schlechte Straßen, bis wir endlich nach Lutenblag kommen. In Lutenblag gehen wir in das altbekannte Hostel, checken ein und gehen konsequenterweise direkt durch in den Hinterhof, um dort unsere Zelte aufzustellen. Es ist schon spät. Eigentlich wollten wir heute Abend noch ein bisschen durch die Altstadt von Blag ziehen, aber es macht sich eine gewisse Müdigkeit breit. Im Hostel finden sich auch noch einige nette Leute und so klingt unser Urlaub langsam in der Küche des Hostels aus.


              21. April: Heimflug

              Der heutige Tag ist schnell erzählt. Wir stehen ziemlich früh auf, der Heimflug ist bereits morgens. Frühstücken, dann zum Busbahnhof und Fahrt zum Flughafen. Das Gepäck wird wie gewohnt auf dem Dach festgemacht.

              Wir checken ein und bewältigen die Passkontrolle mit einer Passiergebühr von 10 Euro pro Person.

              Das Flugzeug von Aeromolw ruckelt beim Start wieder ordentlich über die Piste, aber nach drei Wochen Molwanien sind wir abgebrüht. Lutz-Berlin und Hotdog klatschen sogar, als der Start ordentlich beendet und das Flugzeug in der Luft ist. Eine Menge Molwanier neben und vor uns klatschen übrigens mit.

              Bereits Mittags landen wir in Ludwigshafen-Speyer, nachdem der Pilot bei ersten Landeanflug die Maschine wieder in die Luft gehoben, einen wohl unfreiwilligen aber spektakulären Kreisel um den Dom von Speyer geflogen und die Maschine beim zweiten Versuch für molwanische Verhältnisse sanft gelandet hat.

              Die von uns, die mit der Bahn zurück fahren, leeren den letzten Rest Zeersturm. Wir verabschieden uns herzlich von einander. Drei Wochen Molwanien haben uns zu einem großartigen Team zusammen geschweißt. Neben der Faszination dieses nahen und doch exotischen Landes im Osten Europa werde ich vor allem die tollen Menschen unserer Reisegruppe nicht vergessen. Ich freue mich auf das Nachtreffen.
              Zuletzt geändert von Cattlechaser; 24.05.2011, 08:48.
              Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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              • Wollsocke

                Erfahren
                • 21.10.2005
                • 246
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                Habe den Bericht meiner aus Molwanien stammenden Putzfrau gezeigt.
                Sie hat auf dem Foto von Lutenblag ihr Geburtskrankenhaus entdeckt...
                You made her day...mein Gott hat die sich gefreut. Molwanien soll ja kommendes Frühjahr in die EU aufgenommen werden.

                Herzlichen Dank für den tollen Bericht
                »Heut’ mach ich mir kein Abendbrot, heut’ mach ich mir Gedanken.« W.Neuss

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                • khyal
                  Lebt im Forum
                  • 02.05.2007
                  • 8195
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                  Schoener Bericht, Anja2 hatte uns gestern beim EONG bereits viele Bilder gezeigt...

                  Habe auch den Tip mit den billigen Fluegen zum Monatsende beachtet und nun einen Flug fuer den 31.Juni ab Hangelar fuer 60 Dollar bekommen.

                  Gruss

                  Khyal
                  www.terranonna.de

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                  • heron
                    Fuchs
                    • 07.08.2006
                    • 1745

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                    Grossartig! +
                    - bin schon ganz gespannt auf eure Wandererlebnisse - aber Molwanien ist schon jetzt an die erste Stelle meiner Liste gekommen.

                    Auch die Bilder sind aussergewöhnlich gut und illustrieren diesen schönen Bericht hervorragend.
                    Danke und weiter so!
                    Ich habe keine grossen Ambitionen. Still sitze ich und betrachte wohlgemut das Gewimmel der Welt.
                    Ich benötige nur so viel, wie ich mir ohne Anstrengung und Demütigung beschaffen kann. (György Bálint)

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                    • Cervantes
                      Dauerbesucher
                      • 26.10.2009
                      • 502
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                      Danke für den tollen Bericht.
                      Anja2 hat uns auch ein bisschen Molwanisch beigebracht, ist ja gar nicht so schwer!
                      Jetzt will ich auch unbedingt das "Kassel Osteuropas" kennenlernen, nachdem ich
                      den 1. April schwitzend in der flimmernden Hitze Auyuverdas zugebracht habe, das ja allgemein als das "Castrop-Rauxel Südeuropas" bezeichnet wird.

                      Freue mich auf die Fortsetzung(en).

                      Müßiggang ist besser, als gar nichts zu tun.

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                      • Sarekmaniac
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 19.11.2008
                        • 10958
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas



                        Danke Cattlechaser, insbesondere für die ethnologisch präzise Beschreibung der Rump-Jagd. Schön, das im postmodernen Molwanien die alten Traditionen wiederbelebt werden.

                        Das Einzige was mich wundert ist, dass das Rump offensichtlich ohne Sauerampferblätter gegart wurde?

                        Im Osten der Plana Monotona Desolata existiert noch eine andere Form der Rumpjagd, in dem dem Rump Nokia-Gummistiefel über die Hörner gestülpt werden, die mit dem traditionellen hakosz, einem Messinghaken an einem beschnitzten und verzierten Tollkirsch-Stecken, heruntergeangelt werden müssen. Das Rump überlebt und wird wieder freigelassen. Der siegreiche "Angler" darf die Stiefel behalten - Gummi ist bekanntlich seit der Rodung der letzten molwanischen Kautschuk-Wälder in den 1950er Jahren Mangelware. Ich greife vor, aber: Seid ihr auch im Osten gewesen? Meines Wissens ist das Gummistiefel-Ritual bisher nie gefilmt worden, Bilder wären toll.
                        Zuletzt geändert von ; 13.04.2011, 09:44.
                        Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
                        (@neural_meduza)

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                        • Gast-Avatar

                          #13
                          AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                          Habt ihr euch schon über das Gesundheitswesen informiert? Ich habe zwischenzeitlich gehört, es gebe ein Abkommen mit Bayern! - kariöse Milchzähne bayrischer Schulkinder werden importiert und in Njemiczswaytsch (oder so ähnlich) in einer nagelneuen Fabrik aufgearbeitet (die molwanische Delegation hatte, es muss zur Sonnenfinsternis 1999 gewesen sein, Landgüter von KT besichtigt und war angesichts blitzblanker Molkereien sehr angetan, die Übersetzerin hat da irgendwie Milchzähne ins Spiel gebracht und Molwanier scheinen die nicht zu haben als Kind, Anpassung an die Umstände im Laufe der Jahrhunderte, sie bekommen gleich bleibende Zähne, von wegen Rump kauen). Siemens leistet im Gegenzug Unterstützung bei der Reparatur von Atomkraftwerken und Bosch liefert die Werkzeuge für besagte Fabrik, die irgendwie aussehen muss wie eine Molkerei.

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                          • Anja2
                            Dauerbesucher
                            • 17.08.2007
                            • 995
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                            Danke Cattlechaser, ich bin nun gesund und erholt wieder zu Hause angekommen. Leider
                            bin ich am Flughafen in eine unschöne Gepäckkontrolle gekommen, ich hatte doch tatsächlich noch eine Flasche Brennspiritus im Rucksack, wie konnte mir dass nur passieren.
                            Da der Flughafen so klein ist werden die Kontrollen vom Piloten selbst durchgeführt aber ich hatte mal wieder Glück im Unglück! Nachdem der Pilot und der Rest der Besatzung,
                            meinen Rucksackinhalt einer landestypischen Geschmackskontrolle unterzogen hatte, wurde der Inhalt für i.O. erklärt und nachdem die Brennspiritusflasche mit einem wohlwollenden Rülpser des Piloten
                            geleert war, ging die Besatzung über die weiße Linie wieder zurück ins Flugzeug. Da so viele Molwanier nach Deutschland auswandern, war der Flieger auch überwiegend mit Molwaniern besetzt und so kam ich auch noch einmal in den Genuss der traditionellen Gesänge wärend des gesammten Fluges, ich bin froh die Sprache so gut zu können, so konnt ich die Texte prima verstehen.
                            "Elo riw nrhaf mim Ffup hcan Anolecrab" erinnerte mich doch sehr an ein deutsches Volkslied und die weitere Heimreise verlief reibungslos. Ich freue mich euch wieder zu sehen bis dahin alles Gute
                            Anja
                            Aerodynamisch gesehen sind Hummeln nicht in der Lage zu fliegen -
                            doch da Hummeln nichts von Aerodynamik verstehen,
                            werden sie wohl auch weiterhin fliegen.
                            (Jack Black, Das MindStore-Buch)

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                            • Cattlechaser
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                              • 04.08.2010
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                              #15
                              AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                              Wie ihr in Post #4 seht, bin ich mal wieder online. Ich habe die vergangenen ereignisreichen Tage dort ins Netz gestellt. Am 21.04. kommen wir zurück. Dann werde ich berichten, wie die Reise ausgegangen ist.

                              Bis dahin viele Grüße aus Molwanien
                              Zuletzt geändert von Cattlechaser; 22.05.2011, 21:31.
                              Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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                              • Cattlechaser
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                                #16
                                AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                                Wir sind bereits vor einem Monat aus Molwanien zurück gekommen. Den restlichen Reisebericht findet ihr in #7.

                                Viel Spaß bei Lesen und noch einmal vielen Dank an alle Mitreisenden.
                                Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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                                • Gecko
                                  Erfahren
                                  • 15.08.2007
                                  • 453
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                                  #17
                                  AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                                  Cattlechaser, auch von mir noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön für diesen überaus unterhaltsamen und informativen Reisebericht! Prokracztinik!, wie der Molwanier sagt. Beeindruckend, bis in welche Tiefen der molwanischen Kultur ihr in der Kürze der Zeit hinabgestiegen seid. Es gibt sie noch, die Entdeckerinnen und Entdecker und die bislang - warum auch immer - kaum entdeckten Weltgegenden.

                                  Als Amateurzoologe neide ich euch natürlich vor allem die Begegnungen mit der molwanischen Großfauna, Molwanischer Steinbock und Rump. Hochinteressant, die Beschreibung der Rumpjagd - dass ihr diese (alles andere als possierlichen) Tierchen, wenn auch nicht in freier Wildbahn so doch in ihrem angestammten Habitat erleben durftet! Habt ihr bei Oleksejs Familie etwas über die Brutbiologie der Rumps erfahren können?

                                  A propos Brutbiologie, seid ihr - vielleicht in den Erzählungen älterer Dorfbewohner - auf Erwähnungen des Molwanischen Strauß (Struthio decapitans) gestoßen? Dieser wehrhafte Großvogel ist ja nicht nur für sein Verteidigungsverhalten bekannt (bei Gefahr steckt er nicht seinen eigenen Kopf in den Sand respektive Staub, sondern den seines Gegners), sondern auch dafür, dass er in enger Abhängigkeit vom Rump lebt(e). Dementsprechend ist er wohl in Folge der Rumpausrottung in freier Wildbahn verschwunden. Aber wer weiß...

                                  Gruß,
                                  Marcus

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                                  • Philipp
                                    Alter Hase
                                    • 12.04.2002
                                    • 2753
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                                    #18
                                    AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                                    Sehr schön geschrieben (wobei ich mich mitunter frage, inwieweit den Beschreibungen von Molwanien nicht unsere ewigen überheblichen Vorurteile über Osteuropa zu entnehmen sind...ein bißchen rassistisch ist das Ganze ja schon ).

                                    Werden wir einmal über die wahren Aufnahmeorte der Bilder aufgeklärt?

                                    Gruß, Philipp
                                    "Oft vereint sind im Gemüte Dämlichkeit und Herzensgüte." - W. Busch

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                                      • 18.04.2008
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                                      #19
                                      AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                                      Zitat von Philipp Beitrag anzeigen
                                      ...wobei ich mich mitunter frage, inwieweit den Beschreibungen von Molwanien nicht unsere ewigen überheblichen Vorurteile über Osteuropa zu entnehmen sind
                                      Osteuropa? Ich hatte den Eindruck, dass Cattlechaser beim Bildersortieren durcheinander gekommen ist und uns versehentlich ein paar Bilder aus Marseille, Neapel und Köln-Kalk untergejubelt hat.
                                      Schutzgemeinschaft Grüne Schrankwand - "Wir nehmen nur das Nötigste mit"

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                                      • Cattlechaser
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                                        • 04.08.2010
                                        • 848
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                                        #20
                                        AW: [MW] Molwanien - das Land am Rande Europas

                                        Zitat von Philipp Beitrag anzeigen
                                        Sehr schön geschrieben (wobei ich mich mitunter frage, inwieweit den Beschreibungen von Molwanien nicht unsere ewigen überheblichen Vorurteile über Osteuropa zu entnehmen sind...ein bißchen rassistisch ist das Ganze ja schon ).

                                        Werden wir einmal über die wahren Aufnahmeorte der Bilder aufgeklärt?
                                        Danke an alle für das Lob.

                                        Der Bericht spielt natürlich mit Klischees und ist insofern durchaus politisch inkorrekt. Ich habe aber bewusst die unglaublich gastfreundlichen, aufrichtigen und durchgängig ehrlichen Menschen in Molwanien beschrieben, die im Gegensatz zu den Strukturen in Molwanien stehen. Jeder Molwanier, der sich angegriffen fühlt, möge mir entweder vergeben oder mir eine erboste PN schicken.

                                        Die Fotos, die ich gemacht habe, stammen selbstverständlich alle aus Molwanien. Sie weisen allerdings große Ähnlichkeiten mit Aufnahmen aus, die ich einmal vor unserer Reise gemacht hatte. Bei Durchsicht meiner Archive könnten die von mir eingestellten Fotos theoretisch auch aus folgenden Gegenden stammen:

                                        01. April - Sanitäranlagen: Rumänien
                                        01. April - überfluteter Boulevard: Rumänien
                                        02. April - Empfangshalle: Rumänien
                                        05. April - staubige Straße: Rumänien
                                        10. April - Bzejenko-See: Kaukasus, südl. Armenien
                                        10. April - Kontrollraum AKW-Gutenblag: Philippsburg, Block II, Baden-Württemberg
                                        13. April - Postenwalj-Berge und Stadt Bottropski: Kaukasus, südl. Armenien
                                        14. April - Stadt Bottropski: Kaukasus, südl. Armenien
                                        15. April - Hostel in Svetranj: Wohnhaus in Eriwan, Armenien
                                        16. April - Altstadt und Kellerkneipe in Svetranj: Altstadt von Palermo, Sizilien
                                        17. April - Die Weite Ebene: bei Gela, südl. Sizilien
                                        17. April - Neustadt von Grotti: Agrigento, Sizilien
                                        18. April - Pferdekarren: Temeschwar, Rumänien
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