[AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

Einklappen

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • squirrel
    Gerne im Forum
    • 25.04.2010
    • 83
    • Privat

    • Meine Reisen

    [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Länder: Österreich, Slowakei, Ungarn, Rumänien
    Route: Wien - Bratislava - Győr - Esztergom - Budapest - Szeged - Timișoara - Caransebeș - Hunedoara - Sebeș - Transalpina - Sibiu
    Reisezeit: Oktober 2010


    Auf http://www.bikemap.net/route/738572 lässt sich die ungefähr gefahrene Route verfolgen.

    Vorwort

    Warum diese Route?
    Drei Jahre Mitarbeit in einer deutsch-rumänischen Firma weckten mein Interesse, Rumänien etwas besser kennenzulernen. Timișoara als der rumänische Firmenstandort und als historisch bedeutsame Stadt stand schnell als Meilenstein fest, die Südkarpaten mit einigen der höchsten und bekanntesten Bergstraßen Rumäniens -- Transfăgărașan und Transalpina -- reizten mich als notorischen Pässefahrer. Sozusagen als "Anfahrt" bot sich der Donauradweg zwischen Wien und Budapest an -- die Strecke bis Wien war ich vor vielen Jahren schon mal gefahren --, sowie eine Durchquerung der pannonischen Tiefebene zwischen Budapest und Szeged.

    Planung und Vorbereitung:
    Das Ganze sollte eine zwei- bis dreiwöchige Radtour werden, und damit meine erste mehrwöchige Radtour und zudem meine erste Radtour in Länder, deren Sprachen ich so gut wie nicht beherrsche.
    Die Routenplanung blieb relativ grob und beschränkte sich auf die größeren Städte und eine grobe Zeitplanung: Wien (Start), Bratislava (nach einem Tag, plus ein Tag zur Stadtbesichtigung), Budapest, (nach 4 Tagen, plus ein Tag Stadtbesichtigung) Szeged (nach ca. 7-8 Tagen), Timișoara (nach ca. 8-9 Tagen, plus ein Tag Stadtbesichtigung) und Sibiu (nach ca. 13-17 Tagen, abhängig von den gefahrenen Karpatenpässen, plus ein Tag Stadtbesichtigung). Zurückgehen sollte es mit dem Zug.
    Übernachten wollte ich sowohl im Zelt (in den ländlicheren Gegenden) als auch in Pensionen oder einfachen Hotels (in den Städten). Daher wurden neben den Backrollern und der Lenkertasche auch noch eine Packrolle mit der Zeltausrüstung voll.


    Das will alles mit, Teil I


    Das will alles mit, Teil II (im Nachhinein viel mehr als nötig)


    Der Lastenesel

    Karten:
    • Ungarn: Länderkarte 1:300 000 und die Karten des Donauradwegs zwischen Budapest und Schwarzem Meer (1:100 000)
    • Rumänien: Länderkarte des world mapping project 1:600 000

    Als Training diente vor allem eine viertägige Pässefahrt durch Vorarlberg und Tirol -- die Silvrettastraße, die Kaunertaler Gletscherstraße, das Inntal und der Buchensattel boten sowohl Strecke als auch jede Menge Höhenmeter.

    Dienstag, 5.10.2010
    Anreise nach Wien & Donau-Auen


    6:15 -- zwei unbarmherzige Wecker reißen mich aus dem Schlaf, das Packen und Recherchieren von letzten Informationen am Vorabend zog sich bis in die Nacht. Der einsetzende leichte Regen überraschte mich, hatte ich doch nur den Wetterbericht für Wien und Bratislava abgerufen, nicht aber den für München...
    Ungeduldig warte ich an jeder roten Ampel auf der Fahrt zum Münchner Hauptbahnhof.
    Die Zugfahrt nach Wien über Salzburg nütze ich zum Schlafen und zum Lernen einiger slowakischer Worte. Es ist wolkenverhangen, die Landschaft kaum zu sehen.

    Am frühen Nachmittag erreiche ich Wien, der Regen hat aufgehört. Ohne einen Stadtplan scheitert mein Versuch, vom Westbahnhof an den Donaukanal zu gelangen. Erst als ich einen Kompass zu Hilfe nehme, gelingt es, die Richtung zu halten. Zumindest lerne ich so einige Straßen und Plätze Wiens abseits der üblichen Routen kennen, wenn auch nicht sehr systematisch... Auf der Praterinsel verliere ich erneut die Orientierung, gelange aber schließlich doch an und über die Donau. Zum Glück geht's gleich aus der Stadt raus!



    Leichter Nieselregen setzt ein, und ein kräftiger Wind von Osten erschwert das Vorankommen am Donauufer aus dem Stadtgebiet heraus. Als wäre das nicht genug, zwingt mich eine Umleitung wegen Deichausbesserungsarbeiten zu Extrakilometern. In Groß-Enzersdorf angekommen, entscheide ich für die verkehrsreiche, aber direktere Bundesstraße 3, und damit gegen die unbefestigten Waldwege zurück zu den Donauauen.
    Der Gegenwind und von vorne kommender Regen lassen mich nur langsam weiterfahren und nagen an der Motivation. Irgendwann erkenne ich, dass das Tagesziel Bratislava unter diesen Bedingungen unrealistisch ist, und nehme ein Zimmer in Orth an der Donau.

    Tagesdistanz: 55 km


    Mittwoch, 6.10.2010
    Bratislava & Slowakei


    Der neue Tag präsentiert sich genauso windig und feucht wie der vergangene. Tiefe Wolken hüllen die Hügelketten ein. Egal, ändern kann ich das Wetter nicht, also hilft nur weiterfahren.
    Die Ortsbilder der Dörfer hinter Wien werden recht schnell ländlich, und die Häuser älter, weisen aber teils sehr schöne und individuelle Fenstergestaltungen auf.






    Immer noch in Österreich

    Bei Hainburg sehe ich zum ersten Mal die Ausläufer der Karpaten. Das "andere Ende" dieses Gebirges möchte ich erreichen...

    Am Grenzübergang in die Slowakei begegne ich einem Radfahrer aus Basel, der den Donauradweg ab der Donauquelle gefahren ist (ca. 1000 km bis hierher) und heute zum Abschluss seiner 10-tägigen Tour noch Győr erreichen möchte. Allgemein sehe ich nur sehr selten andere Reiseradler entlang der Donau, die Saison ist eindeutig zu Ende.

    Am späten Vormittag quere ich die Donau über die Brücke Nový Most und erreiche das Zentrum von Bratislava. Ein Stadtplan ist schnell organisiert, und ich schiebe die Frage, ob ich hier übernachten soll, vor mir her, indem ich erst mal die Sehenswürdigkeiten der Stadt besuche: Martinsdom, Burg, Altes Rathaus etc.
    Beim Mittagessen entdecke ich auf der deutschen Ausgabe der Speisekarte das Gericht "Gemischter Salat mit gebratenem Hermelin". Seltsame Küche, denke ich mir, was Tierschützer dazu wohl sagen würden? Erst der Blick in die englische Übersetzung klärt auf, anscheinend handelt es sich bei Hermelin um einen Käse...

    Es ist Nachmittag, alle wesentlichen Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum sind hinreichend intensiv angeschaut, also verlasse ich die Stadt und folge der Donau auf der südlichen Uferseite. Der Donauradweg führt hier auf der Deichkrone entlang -- zügig zu befahren, aber landschaftlich etwas eintönig.



    Ich habe schon einen möglichen Übernachtungsplatz ausfindig gemacht -- unter dem überdachten Vorplatz eines kleinen, nicht mehr betriebenen Kiosks nahe des Radwegs -- und überlege nun mit der Straßenkarte, ob sich Weiterfahren noch lohnen würde, als ein slowakischer Radfahrer neben mir anhält. Er scheint meine Gedanken zu kennen, denn er gibt mir den Tipp, noch einige Kilometer weiter ins Grenzdorf zu fahren, dort gebe es freie Zimmer. Als ich mich dankend verabschiede, kehrt er ebenfalls um. Offensichtlich war er extra wegen mir umgedreht, um mir Hilfe bei der Suche anzubieten.

    In Čunovo finde ich ein günstiges Zimmer, eigentlich ist es ein Apartment. Nachdem ich eine Sippe Stechmücken ins Jenseits befördere, koche ich eines der mitgenommenen Fertiggerichte.

    Bisher hat die Kommunikation auf deutsch und gelegentlich auf Englisch sehr gut funktioniert, aber wie würde es ab morgen in Ungarn werden?

    Tagesdistanz: 67 km, Fahrzeit: 3:42 h


    Donnerstag, 7.10.2010
    Győr & der Nordwesten Ungarns


    Der Sonnenschein am morgen und die vor mir liegende Strecke abseits der Metropolen versprechen einen schönen Tag.



    Über eine Nebenstraße erreiche ich nach wenigen Kilometern Ungarn.



    Gleich nach der Grenze stoße ich auf die Beschilderung des EuroVelo-6-Radwegs, der sich in Ungarn etwa am rechtsseitigen Donauufer orientiert. Ich folge den kleinen grünen und gelben Schildern des EV6 und freue mich, den Weg nicht selbst suchen zu müssen...
    Der Weg ist meist gut beschildert und wählt verkehrsarme Strecken, die keine zu großen Umwege bedeuten.
    Aber nur meist. In Hegyeshalom finde ich keine Schilder mehr. Schlechte Beschilderung, oder habe ich etwas übersehen und bin falsch gefahren? Umkehren möchte ich nicht, also weiter mit der Landkarte. Bis zur Bundesstraße 1 ist es einfach. Diese hat sogar einen Radweg, ich wähne mich also auf der richtigen Route. Dann, ohne jede Vorwarnung, endet der Radweg zwischen zwei Ortschaften. Die Bundesstraße wartet mit einem "Fahrräder, Traktoren und Pferdegespanne verboten"-Schild auf, andere Wege gibt es aber nicht. Wie kann man so einen Radweg planen??
    Bis nach Mosonmagyaróvár sind es nur 6 Kilometer, also "übersehe" ich das Verkehrsschild und wähle die Bundesstraße. Der LKW-Verkehr ist zwar nicht angenehm, aber es geht, und einige einheimische Radfahrer auf der Straße zeigen mir, dass das Radfahrverbot anscheinend nicht so eng gesehen wird.

    In Mosonmagyaróvár treffe ich wieder auf die EV6-Beschilderung. Über Nebenstraßen geht es weiter auf der Kleinen Schüttinsel bis Győr, das ich mittags erreiche. Entlang des Weges sind etliche Schautafeln aufgestellt, die von der Geschichte dieser Region berichten, etwa vom früheren Verlauf des Flusses oder von den Donaumühlen, die jeden Winter aus dem Fluss entfernt werden mussten.

    In einem der Restaurants am Hauptplatz von Győr gönne ich mir ein Mittagessen. Das bestellte Gulasch ist mit einer kleinen orangen Schote garniert, die mich sofort an eine Habanero erinnert. Aber ein von Touristen häufig besuchtes Restaurant, denke ich mir, wird wohl kaum eine der schärfsten Chilisorten servieren, das gäbe zu viele Beschwerden. Außerdem ist Ungarn für seine Paprikas, weniger für seine Chilis bekannt. Völlig überzeugt von diesen Argumenten schneide ich ein größeres Stück der Schote ab.
    Das Flammenmeer in meinem Mund zeigt mir den Irrtum... Nachdem der erste Schock überwunden ist, bestätigt der zweite Geschmackstest das typische Aroma der Habaneros. Als Chili-Liebhaber lasse ich es mir nicht nehmen, den Rest der Chilischote (in kleineren Stückchen) zu genießen. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob derartige Schärfe in Ungarn normal ist, oder ob ich der einzige bin, der die Garnitur mitisst...

    Nach einem Blick in die Jesuitenkirche von Győr geht's weiter entlang des EV6, zunächst durch das Industriegebiet der Stadt, später über die erste nicht-asphaltierte, pfützen- und schlaglochübersäte Straße durch ein eher ärmliches Straßendorf.



    Hinter den Zäunen bellen mich Hofhunde an. Über Szőlőhegy komme ich zurück auf eine asphaltierte Straße, weiter geht es Richtung Nagyszentjános. Auf dem Weg durchquere ich einen Windpark -- heute weht nur ein mäßiger Gegenwind.

    Vor dem Ortseingang ein Wegweiser des EV6, rechts abzubiegen. Doch die Straße rechts endet nach wenigen Metern an einem Friedhofseingang! Karte rausgeholt -- das Schild hat recht, hier muss eine Straße langführen, parallel zur Bahnlinie nach Ács. Führt vielleicht auf der anderen Seite des Friedhofs eine Straße weiter? Leider nicht, stelle ich beim Durchqueren des Friedhofs (zu Fuß) fest. Bin ich zu früh oder zu spät abgebogen? Zweimal fahre ich durch die verschlafene Ortschaft, teste per Tiefensuche im Straßennetzwerk jede Abzweigung nach rechts, um doch immer wieder in Sackgassen oder kleinen Feldwegen zu enden.
    Ich werde leicht nervös. Es ist nicht mehr lange zur Abenddämmerung, ich bin mitten in der "Prärie", und mein Tagesziel ist nach dem Umweg am Vormittag und der Suchaktion in weiter Ferne.



    Nochmal zurück zum Wegweiser, der diese Suchaktion ausgelöst hat. Kurz vor dem Ende der Straße am Friedhof fällt mir ein bisher nicht als möglicher Weg wahrgenommener Feldweg auf. Die großen Pfützen und der Schlamm haben mich nicht daran denken lassen, dass dies die gesuchte "Nebenstraße" sein könnte. Sollte das mein Weg sein? Mangels alternativer Ideen versuche ich es. Nach 30 Metern bleiben meine Reifen im Schlamm stecken. Zu Fuß erkunde ich den Weg noch etwas weiter. "Unpassierbar", ist meine Einschätzung.


    Sind das die Verkehrswege des EV6, "die für Fahrradtouristen noch am ehesten akzeptabel sind"??



    (Der schlammige Feldweg wäre tatsächlich richtig gewesen, zeigen Luftbilder im Internet später.)

    Was tun? Alternative Routen würden mich entweder auf die vielbefahrene Bundesstraße 1 zurückbringen, oder ordentlich Extrakilometer bedeuten.
    Vorerst drängt sich aber die Frage nach einer Übernachtungsmöglichkeit auf. Touristisch gibt es in Nagyszentjános gar nichts, also suche ich nach einem geeigneten Platz zum Zelten, und werde in einem kleinen Stück Nutzwald fündig. Ich bin froh, das Zelt mitgenommen zu haben. Zu Essen gibt es Schokolade und Wasser.

    Wie lange werde ich morgen brauchen, diese "Straße" zu umfahren? Ist das nur der Vorgeschmack auf das, was kommen wird? Diese Gedanken begleiten mich, bis mich nach den Anstrengungen des Tages der Schlaf einholt.

    117 km, 5:57 h
    Zuletzt geändert von November; 06.11.2011, 19:20.

  • squirrel
    Gerne im Forum
    • 25.04.2010
    • 83
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

    Freitag, 8.10.2010
    Komárom & Esztergom


    Kalte Füße wecken mich noch vor Sonnenaufgang.
    Es ist zwar frisch, den Kocher aufbauen möchte ich dennoch nicht, und so verzichte ich auf den morgendlichen Tee und starte mit Studentenfutter und Wasser in den Tag. Lieber möchte ich schnell weg aus dieser fahrradunfreundlichen Gegend. Noch im Morgennebel wird das Zelt abgebaut.



    Auf der Karte entdecke ich noch eine Alternativroute, die keinen zu großen Umweg darstellt. Hoffentlich ist diese Strecke fahrbar.
    Anfangs rollt es sich angenehm auf einer schmalen, aber glatt asphaltierten Straße. Nach der ersten Siedlung ist es immerhin noch ein befestigter Fahrweg, schließlich ein traktortauglicher Feldweg. Immer schwieriger komme ich vorwärts, bis eine größere Pfützenlandschaft das Ende der fahrbaren Strecke markiert.



    Frustiert wäge ich zwischen einer Schiebe- und Tragepartie mit ungewisser Länge und dem Umkehren ab. Kurz vor der Entscheidung zum Umkehren höre ich etwas -- haben sich hierher noch andere Menschen verirrt? Tatsächlich. Ein Einheimischer mit einem einfachen Fahrrad hat die gleiche Route gewählt und durchquert die schlimmsten Schlammlöcher fahrend und schiebend, als wäre dies das Natürlichste auf der Welt. Was wohl seine Gedanken sind beim Anblick eines nachdenklich die Landkarte betrachtenden, schwerbepackten Radfahrers in Funktionsklamotten am Wegrand?
    Zumindest weiß ich jetzt, dass der Weg irgendwo hin führt. Über das angrenzende frischgepflügte Feld trage ich mein Rad an den überschwemmten Stellen vorbei. Recht bald danach stoße ich auf eine neugebaute Piste durch ein sumpfiges Gebiet. Die Piste wurde offensichtlich als Wartungszugang zu den Windrädern eines neu angelegten Windparks errichtet und ist in meiner Karte nicht zu finden. Eine grobe Fahrradreinigung, damit zumindest kein Schlamm mehr an den Reifen schleift, und es geht weiter, endlich wieder auf eine asphaltierte Straße, Richtung Ács.

    In dieser einsamen Gegend begegne ich auch dem ersten freilaufenden Hofhund. Den Thread zu rumänischen Hirten- und Hofhunden habe ich verfolgt, eine gewisse Unsicherheit in Anbetracht der Erfahrungen und Pfefferspray-Empfehlungen ist geblieben. Jedenfalls fahre ich an einem Hof mit eingezäuntem Hundegebell vorbei, als der Hund plötzlich durch den Zaun diffundiert und erst zögerlich, dann zielstrebig auf mich zuläuft. Den Reflex, mich der Begegnung duch Wegfahren zu entziehen, kann ich gerade noch unterdrücken. Die einzige Alternative ist Stehenbleiben und dem Hund zeigen, dass ich Verfolgungsrennen nicht mitspiele. Der Hund stoppt, die Reaktion war wohl die richtige. Das Spiel wiederholt sich, als ich weiterfahren möchte, dann wird es dem Hund zu langweilig und er lässt mich ziehen. Die erste Desensibilisierungsübung auf dem Weg ins vermutete Land der Hof- und Hirtenhunde ist geschafft...

    Die nächste Herausforderung begegnet mir in Ács in Form dieses EV6-Schildes.



    Welchem Pfeil kann ich eher vertrauen? Während der Tiefensuche verrät mir ein Radfahrer aus dem Ort, dass auf dem eingeschlagenen Weg das Wasser 20 cm hoch steht. Die Alternative ist die autoreiche Bundesstraße 1. Anscheinend hat die Region in den letzten Tagen und Wochen etwas viel Regen abbekommen.


    Der See ist eigentlich ein Feld.

    Nach den Erlebnissen seit gestern auf und neben dem EV6 verliert der Radwanderweg jetzt endgültig mein Vertrauen. Auf der anderen Seite, meine Karte bietet auch keine Möglichkeit, die Wegbeschaffenheit einer Straße im Voraus zu erkennen. Egal, auf der Bundesstraße kann man sich nicht verfahren, und bis Esztergom ist der Weg jetzt auf jeden Fall klar.

    [Am Rande: Der EV6 ist nicht schlecht oder generell unbefahrbar -- lediglich nach den Niederschlagsmengen in dieser Region lagen die Wegverhältnisse unter meinen Mindestanforderungen für fahrbare Wege. Später (schon ab Komárom) ist der Weg deutlich besser beschaffen, und in trockeneren Zeiten mag auch die beschilderte Strecke zwischen Győr und Komárom angenehm zu fahren sein, ebenso mit geländetauglicherer Bereifung. Auf der anderen (d.h. slowakischen) Donauseite soll das entsprechende Wegstück sehr gut zu befahren sein.]

    Mittags erreiche ich Komárom, der Ort lädt mich aber nicht zum Verweilen ein, so geht es weiter auf der B1. Teilweise führt hier sogar ein Radweg an der Straße entlang . Auch in den Abschnitten ohne Radweg ist der Verkehr nicht übermäßig stark. Von weitem schon ist die Basilika von Esztergom -- höchstes Gebäude Ungarns -- zu erkennen, und damit steigt meine Fahrmotivation, um die verspätete Mittagspause in Esztergom nachzuholen.

    Aus der (Nach)mittagspause auf dem Hügel der Basilika wird die Entscheidung, den Rest des Tages nicht auf dem Sattel, sondern in der Stadt zu verbringen.
    Die Basilika ist offen, aber Krypta und Kuppel sind erst morgen früh wieder geöffnet.

    87 km, 4:35 h


    Samstag, 9.10.2010 & Sonntag, 10.10.2010
    Donauknie & Budapest


    Zunächst geht es nochmal zum tiefsten Punkt der Basilika, und zum höchsten begehbaren Punkt, dem Rundgang um die Kuppel.




    Lichtspiele

    Die Aussicht über die Stadt und den Fluss ist fantastisch.



    Im dünner werdenden Frühnebel lässt sich der Donauverlauf mit dem beginnenden Donauknie erahnen.

    Die Strecke entlang dem Donauknie ist gut beschildert, und weitgehend mit Radwegen vom motorisierten Verkehr getrennt. Die Hügelketten, die Touristenschiffe auf der Donau und die gemütlichen Radwege erinnern mich sehr an den Donauradweg zwischen Passau und Wien. Auch zwei Donauüberquerungen per Fähre wecken Erinnerungen.
    Meine Motivation ist heute nicht übermäßig hoch, bis Budapest ist es ja nicht mehr weit zu fahren. So überliste ich mich mit kleinen Tricks, wie ein Touri-Schiff einzuholen, um ein Foto davon machen zu können.
    Auf der zweiten Donauüberquerung bei Vác treffe ich die letzten Reiseradler für die nächsten Wochen. Es ist eine 10-köpfige Gruppe aus München, die heute ihr Reiseziel Budapest erreicht. Auf der rechten Donauseite, in Tahitótfalu, angekommen, ist es aus mit dem idyllischen Radweg. Die Vororte von Budapest gehen fließend ineinander über, und der Verkehr auf der Hauptstraße Richtung Hauptstadt nimmt mit jedem Kilometer zu. Das Schild "Radfahren verboten" gehört mit zu den Launen der Verkehrsplaner, wird aber auch von den lokalen Rennradfahrern nicht beachtet, also folge ich ihrem Vorbild.


    Wann kommt die Flut? (Seitenarm der Donau)

    Die nächsten zwei Nächte verbringe ich in einem sozialistisch anmutenden Hotel am Ufer des Donaukanals. Das Haus hat seine besten Zeiten schon lange hinter sich. Hoteleinrichtung und Personal erfüllen beinahe jedes meiner Klischees, wie ich mir ein Hotel während der Zeit des Sozialismus vorstelle: Ein großer Gebäudekomplex, aber kaum Gäste; Zimmereinrichtung, die in den 80er-Jahren modern gewesen sein mag; die Abwesenheit jeglicher schmückender Elemente in der Lobby, den Gängen und dem Treppenhaus; knapp abgezirkeltes Frühstück nach dem Prinzip "mal schauen, was heute gerade in der Küche ist"; Personal, das mit den normalsten Geschäftsprozessen überfordert ist:
    Beim Bezahlen: "Could I get a receipt please?" -- "Our computer has a problem." -- "Could I get a hand-written receipt then?" -- "This will take a few minutes." Am nächsten Tag weiß niemand davon, dass ich schon gezahlt habe.
    Immerhin, ich finde den Stil des Hotels äußerst amüsant und muss jedes Mal lachen, wenn mir ein neues Detail auffällt.

    82 km, 4:20 h

    Sonntag ist Ruhetag und Zeit, einige der Sehenswürdigkeiten Budapests kennenzulernen.
    Zuletzt geändert von squirrel; 13.02.2011, 22:47. Grund: Typo

    Kommentar


    • Guy Threepwood
      Anfänger im Forum
      • 01.06.2009
      • 26
      • Privat

      • Meine Reisen

      #3
      AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

      Der Übersetzungsfehler mit dem Hermelin ist herrlich
      Zum Salat hätte ich gerne einen auf Teakholz gerösteten Panda und als Nachtisch einen kandierten Maulwurf.

      Schöne Tour, freu mich auf die Fortsetzung.

      Kommentar


      • hrafn

        Erfahren
        • 06.08.2009
        • 418
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

        Schöner Bericht! Bin auch auf die Fortsetzung gespannt.
        Bekennender Kampfradler!

        Kommentar


        • squirrel
          Gerne im Forum
          • 25.04.2010
          • 83
          • Privat

          • Meine Reisen

          #5
          AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

          Montag, 11.10.2010
          Zwischen Donau und Theiß, Teil I


          Heute soll es noch ein Stück weit entlang der Donau weitergehen, um dann die Donau in Richtung Szeged zu verlassen. Ich freue mich auf eine flache, ländliche und lange Etappe, und bin gleichzeitig gespannt auf das, was mich jenseits des Donauradwegs und vermutlich jenseits der touristischen Infrastruktur erwartet.

          Zunächst muss ich jedoch Budapest von Nord nach Süd durchqueren. Trotz des teilweise ausgeschilderten Radwegs ist dies nicht ganz einfach, mehrmals enden Radwege ohne jede Vorwarnung, einmal geht es nur über eine Treppe zurück zur Uferstraße. Kurzzeitig steigt die Frage auf, warum ich das alles mache, und ob es nicht auch einfachere Gegenden zum Radfahren gegeben hätte...
          Bevor diese Gedanken Raum gewinnen, bin ich aber schon dem gröbsten Verkehrsgewühl der ungarischen Hauptstadt entkommen. Am linken Ufer der Kis-Duna (Kleindonau, ein Nebenarm südlich von Budapest) passiere ich die Außenbezirke auf kleinen Straßen und Radwegen, zuerst ein Industriegebiet, dann wieder Wohnbezirke. Recht schnell weicht das städtische Landschaftsbild einem relativ unberührt erscheinendem.



          Mittags mache ich an einer Bushaltestelle in einer Ortschaft auf der Donauinsel Csepel Pause. Ein ankommender Bus spuckt ein paar Leute aus, und ein älteres Ehepaar setzt sich auf meine Bank. Wir kommen ins Gespräch. "Gespräch" ist eigentlich das falsche Wort, denn nur der Mann spricht einige wenige Brocken deutsch (und ich gerade mal fünf Worte ungarisch). Es bestätigt sich die Aussage der Kommunikationswissenschaft, dass der Inhalt des Gesagten nur wenige Prozent der übertragenen Botschaft ausmacht. Die anderen ca. 90% -- vor allem Gesten und die Landkarte als Utensil -- sind jetzt extrem praktisch.
          Die pantomimisch unterstützten Versuche des Paares, mir etwas ungarisch beizubringen, sind nur mäßig erfolgreich, was aber weniger an mangelndem pantomimischen Talent, sondern eher an der Fremdartigkeit der ungarischen Sprache und meinem filternden Kurzzeitgedächtnis liegt.
          Trotz der sprachlichen Barriere interessieren sich die beiden sehr für meine Reise: Woher ich komme, wohin ich möchte, warum ich alleine unterwegs bin...
          Als sie hören, dass ich heute noch mindestens Dunaújváros (noch ca. 60 km) erreichen möchte, ernte ich ungläubige Blicke. Ráckeve, eine Ortschaft in etwa 20 km Entfernung, antwortet der Mann, und macht dann eine Geste mit neben dem Kopf gefalteten Händen. Wie, heute nachmittag nur noch 20 Kilometer und dann übernachten? Noch ein paar Mal wiederholt der Mann seine Aussage, als ob er mir einschärfen möchte, heute nicht weiter zu fahren. Irgendwann stimme ich nickend zu, aber nicht ohne verunsichert zu sein. Traut er mir einfach nicht mehr zu, oder kennt er vielleicht den Straßenzustand und weiß, dass mehr als Ráckeve nicht realistisch ist? Ich hoffe auf Ersteres, als ich mich von den beiden verabschiede.
          Nach dieser Begegnung habe ich das Gefühl, tatsächlich in Ungarn angekommen zu sein, abseits aller touristischer Infrastruktur.

          Meine Hoffnung stellt sich als berechtigt heraus, Ráckeve ist auf relativ guten Straßen bald erreicht. Nochmal geht es auf die andere Seite der Kis-Duna, von wo aus schmale Uferstraßen und -wege durch eine ruhige Gegend mit zahlreichen Angelmöglichkeiten führen.



          An der Einmündung der Kis-Duna in die "große" Donau verlasse ich den Strom, dem ich seit einer Woche gefolgt bin, und verlasse damit auch die markierte Route. Das nun folgende Orientieren mit der Landkarte trainiert die Fähigkeit, zufällig konstruiert erscheinende Zeichenketten ohne erkennbare Bedeutung auswendig lernen und zeichenweise mit den entsprechenden Zeichenketten auf Straßenschildern zu vergleichen: Kunszentmiklós, Alsószenttamás und Szabadszállás heißen die nächsten Punkte auf der Strecke.



          Ein Stück weit vor dem letzten dieser Orte suche ich einen Lagerplatz für die Nacht. Im feuchten Flachland mit wenigen Bäumen und viel landwirtschaftlich genutzter Fläche dauert es eine Weile, bis ich einen geeigneten, halbwegs sichtgeschützten Platz zum Zelten finde -- der Rand eines abgeernteten Feldes, von der Straße durch ein paar Bäume und Büsche abgetrennt. Auf meine Ankunft hat ein Heer durstiger Mücken gewartet. In der Regenjacke mit zugezogener Kaputze wird das Zelt aufgebaut, während ich mich in einen mückensicheren Bunker wünsche. Dafür belohnt der Blick in einen klaren Sternenhimmel nach der Dämmerung.

          112 km, 5:43 h


          Dienstag, 12.10.2010
          Zwischen Donau und Theiß, Teil II


          Noch in der Morgendämmerung stehe ich auf.



          Nachdem ich gestern gut voran gekommen bin, ist mein Plan für heute, Szeged zu erreichen, was viele Kilometer und wenige Fotostopps und Pausen bedeutet. Während ich noch den Topf vom Frühstück saubermache, hält ein Auto am Wegrand neben meinem Zelt -- vermutlich die Besitzer des Feldes. Zwar verstehen wir einander sprachlich nicht, aber sie sehen, dass alles in Ordnung ist, und kehren wieder um.

          Die Landschaft der Großen Ungarischen Tiefebene erleichtert das Vorankommen, indem sie nur wenige Höhepunkte bietet. Ackerbau, ganz vereinzelter Weinanbau, von Baumreihen umsäumte langgestreckte Straßen prägen das Landschaftsbild. Auch das Wetter kommt mir mit nur leichtem Ostwind und Sonnenschein bei angenehmen Temperaturen entgegen.
          Lediglich die kleinen Landstraßen machen das Fahren am rechten Straßenrand durch Schlaglöcher und Unebenheiten im Asphalt wenig komfortabel. Wo es verkehrsmäßig möglich ist, fahre ich in der besser erhaltenen Spurmitte -- was an anderer Stelle Aufmerksamkeit verlangt: Das Überholverhalten der Autos nimmt zu und wird riskanter, je weiter ich nach Südosten komme. Nicht immer ist ein entgegenkommender Radfahrer ein Argument, nicht zu überholen... Ein Zeichen, dass es nicht mehr weit bis nach Rumänien ist, zumindest wenn ich Erzählungen über den Straßenverkehr in diesem Land glauben darf.

          Nach einer Mittagspause in Kiskunfélegyháza erreiche ich Szeged kurz vor der Abenddämmerung und nehme dort ein Zimmer. Nach dem Abendessen erkunde ich einen Teil des Stadtzentrums.

          142 km, 6:29 h

          Kommentar


          • squirrel
            Gerne im Forum
            • 25.04.2010
            • 83
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

            Mittwoch, 13.10.2010
            Szeged - Timișoara


            Bis Timișoara sind es noch 120 km, also gibt es wieder ein motivierendes Tagesziel.
            Bevor es richtig losgeht, nehme ich mir noch etwas Zeit, die Votivkirche von Szeged zu besuchen.

            Über die Theiß gelange ich schnell auf die Straße in Richtung rumänischer Grenze. Es ist eine Europastraße mit jeder Menge Autos und LKW, die erfreulicherweise über einen gut ausgebauten Radweg verfügt.
            Es kommt wie es kommen muss auf ungarischen Radwegen: Unvermittelt endet der Radweg, und auf der Straße verbieten gleich drei (!) Schilder das Radfahren. Diesmal ist das Verbot jedoch absolut berechtigt, denn praktisch ohne Seitenstreifen, auf einer Straße mit hohem LKW-Anteil und mit ständigen riskanten Überholmanövern wäre das Fahren einfach nur gefährlich. Das Problem ist, es gibt keine Alternative, und eigentlich sind noch über 10 Kilometer auf der Straße zu fahren. Eine Weile beobachte ich die vorbeifahrenden Fahrzeuge, dann nutze ich mangels anderer Optionen eine größere Lücke im Verkehr und versuche so schnell es geht die nächste Ortschaft in 2-3 km Entfernung zu erreichen. Ein auf meiner Spur entgegenkommendes Fahrzeug drängt mich auf das schmale Bankett der Straße. In Klárafalva angekommen, teste ich eine Seitenstraße. Mein Selbsterhaltungstrieb verbietet mir, länger auf der Europastraße zu fahren. Mit etwa 15 km Umweg und an einigen Anlagen des Erdgasfeldes von Makó vorbei (auch hier ist die Durchfahrt verboten) erreiche ich Kiszombor, von wo aus eine verkehrsarme Straße zum Grenzübergang Cenad führt. Zweifel kommen auf, ob ich heute noch Timișoara erreichen kann -- es ist schon mittag vorbei und ich habe erst ein Drittel der geplanten Strecke geschafft.

            "Mulțumesc" -- "Cu plăcere"
            Nach den sprachlichen Abenteuern in Ungarn klingen die ersten rumänischen Worte bei der Grenzkontrolle fast vertraut, obwohl ich auch nur wenige Worte rumänisch gelernt habe. Wahrscheinlich ist es die Nähe zu den anderen romanischen Sprachen.
            Das Erste, was mir nach der Grenze auffällt, ist die perfekt asphaltierte Straße. Auch einen leichten Rückenwind spüre ich (aber das liegt nicht an Rumänien, sondern an der Richtungsänderung).


            Cenad, typisches Ortsbild in der Region

            Recht bald begegnen mir auch die ersten streunenden Hunde, aber sie erscheinen mir weder gefährlicher noch aufdringlicher als die freilaufenden Hühner in den Dörfern. Nur sind die Hunde anscheinend nicht so vorsichtig wie die Hühner, denn plattgefahrene Hühner sehe ich nirgends, überfahrene Hunde dagegen jede Menge am Straßenrand.
            Geldwechsel in Cenad, eine kurze Mittagspause in Sânnicolau Mare, dann folge ich immer weiter der Straße nach Timișoara.
            Neugierige Blicke und Zurufe von Kindern begleiten mich in den Dörfern. Reiseradler scheinen hier kein alltäglicher Anblick zu sein. Außerhalb der Orte ist es das Hupen der Autofahrer vor dem Überholen, das mich begleitet. Ich kann es nicht ganz einordnen, fasse es aber eher als Gruß denn als ein "Fahr zur Seite" auf.

            Dank gutem Wind und glatter Straßen schaffe ich es doch noch bis nach "Timi".
            Spontan bietet mir eine Kollegin, D., Gastfreundschaft an. So bekomme ich abends sogar noch eine Stadtführung und Tipps, was ich morgen noch genauer anschauen kann.

            134 km, 6:05 h


            Donnerstag, 14.10.2010
            Timișoara


            Nach drei längeren Etappen freue ich mich über einen Ruhetag.
            Der Tag beginnt mit einem leckeren rumänischen Frühstück mit Eiern, Schinken, Käse, Tomaten, Paprika und Brotaufstrich komplett aus eigener Produktion (was auch auf den Wein und Ţuică (Pflaumenbrand) zutrifft, auch wenn diese beiden wohl nicht zum typischen Frühstück gehören...).

            Ich begebe mich auf die Spuren der Rumänischen Revolution von 1989 (die in Timișoara ihren Ursprung nahm), der ungezählten Kirchen und der vielen Parkanlagen. Besonders beindruckend ist die Dokumentation im (relativ unbekannten) Museum der Revolution von 1989, insbesondere weil die Führerin Zeitzeugin der Ereignisse ist und sehr gut deutsch spricht.


            Die Revolution aus Kinderaugen


            Rumänisch-orthodoxe Kathedrale der Heiligen drei Hierarchen und davor ein Geschenk Roms, beides Wahrzeichen der Stadt


            Finde die fünf Katzen!

            Abends treffe ich einige Kollegen zu einem Bere Timișoreana und besuche mit D. eine Jugendgruppe.


            Freitag, 15.10.2010
            Timișoara - Caransebeș


            Mit D. diskutiere ich meine Ideen für möglichen Routen nach Sibiu. Ergebnis ist eine lange Liste von sehenswerten Orten auf dem Weg nach Siebenbürgen und etliche Kilometer mehr, wenn ich all diese Orte auch erreichen möchte.
            Außerdem bekomme ich ein paar praktische Tipps zum Zugfahren in Rumänien. Meine Zweifel an der Möglichkeit zur Fahrradmitnahme in Zügen bleiben bestehen, als uns am Ticketschalter der Bahn bestätigt wird, dass man keine Fahrradkarten für die Züge kaufen kann. Wenn überhaupt, dann geht das beim Schaffner des Zuges. So bleibt mir nur, Ds. Kommentar "In Rumänien geht alles" zu vertrauen, einem Satz, der manchen Unterschied zwischen den Kulturen und Denkgewohnheiten, denke ich, ganz gut beschreibt.
            Schließlich bietet mir D. noch an, dass ich auch bei ihren Eltern in Caransebeș übernachten könnte, wenn ich heute soweit komme.

            Doch eigentlich möchte ich Timișoara gar nicht verlassen, so vertraut ist es mir in der kurzen Zeit geworden -- im Gegensatz zu den Unsicherheiten auf dem weiteren Weg: Vorhergesagter Regen, Befürchtungen über schlechte Straßen und das Fahrverhalten der Rumänen sowie die Frage, wie gut die Kommunikation fast ohne rumänische Sprachkenntnisse möglich ist, motivieren mich nicht zu einem schnellen Aufbruch.
            Daher verbringe ich noch etwas Zeit im Parcul Central, besuche ein Internet-Cafe und esse zu mittag, bevor ich die Stadt in Richtung Lugoj verlasse. Hügelketten am Horizont kündigen das Ende der großen Tiefebene an und bringen nach vielen Tagen Flachland endlich landschaftliche Abwechslung.

            In Lugoj steuere ich den Bahnhof an. Zum einen will ich heute noch Caransebeș erreichen, zum anderen hätte ich gerne etwas mehr Gewissheit, dass ich mein Rad problemlos in der Bahn transportieren kann, bevor ich noch weiter nach Osten fahre.
            Für nicht mal einen Euro bekomme ich ein Ticket für die ca. 40 km lange Strecke. Der Zug ist ein Personal, die langsamste der vier Zugkategorien in Rumänien. Ich verzichte darauf, am Schalter auch nach einem Fahrradticket zu fragen und wähle die Strategie der vollendeten Tatsachen: Das Fahrrad in den Zug hieven und zerren und dann schauen, was passiert.

            Die Zugfahrt ist definitiv ihren Preis wert -- in Deutschland hätte ich ein ähnliches Fahrerlebnis bestenfalls in einem Freizeitpark und für ein Vielfaches des Preises bekommen. Die Federung und Schwingungsdämpfung müssen wohl klemmen oder sind eingerostet, die Türen müssen beim Anfahren von Hand geschlossen werden, oder sie bleiben einfach offen. Geschlossen heißt noch lange nicht verriegelt, und so lasse ich mein Fahrrad -- im Eingangsbereich neben einer Tür stehend -- keine Sekunde aus der Hand.

            Der Schaffner fragt bei der Fahrkartenkontrolle natürlich nach der Fahrradkarte, die ich nicht habe, und gibt mir daraufhin zu verstehen, dass ich aussteigen muss. Das Machtgefälle ist also herausgearbeitet, und so kann ich nur mit Worten und Gesten nach einem Preis fragen und Zahlungsbereitschaft signalisieren. Nach einigem Nachbohren kann ich für 3 Lei (70 Cent) doch weiterfahren. Eine Fahrkarte stellt der Schaffner nicht aus... Aber der Proof of Concept ist geglückt.

            Der Zug braucht gut eine Stunde für die kurze Strecke. In Caransebeș werde ich nach etwas Wegsuche freundlich von Ds. Eltern aufgenommen. Wieder bin ich überrascht, zum einen darüber, wie gut die Kommunikation auch ohne gemeinsamer Sprache funktioniert, und zum anderen über die großzügige Gastfreundschaft, die ich hier erfahren darf.

            71 km, 3:14 h
            Zuletzt geändert von squirrel; 05.06.2011, 20:34. Grund: Fotos ergänzt, diakritische Zeichen korrigiert; Typo

            Kommentar


            • Enja
              Alter Hase
              • 18.08.2006
              • 4750
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

              Schöner und spannender Bericht. Ich interessiere mich gerade auch für diese Gegend......

              Kommentar


              • squirrel
                Gerne im Forum
                • 25.04.2010
                • 83
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                Samstag, 16.10.2010
                Caransebeş - Hunedoara


                Über Nacht ist der angekündigte Regen eingetroffen. Morgens ist es kühl, feucht und neblig. Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von meinen Gastgebern und nehme die Auffahrt Richtung Haţeg in Angriff. Die Abgeschiedenheit der Gegend und die wolkenverhangenen Berge rechts und links der Strecke erzeugen eine Stimmung, die Erinnerungen an Landschaften in Myst weckt.



                Ein freundlicher Gruß in Richtung eines älteren Ehepaares vor ihrem Haus, und ich werde nach dem Woher und Wohin meiner Reise gefragt. Ehe ich mich versehe, bekomme ich Äpfel und Trauben in die Hand gedrückt, und meine Versuche, nichts oder nur einen Teil davon anzunehmen, scheitern. Im Gegenteil, weil ich das Obst schlecht verstauen kann, bekomme ich eine große Plastiktüte dazu -- mit noch mehr Obst!

                Berührt von der Gastfreundschaft, die ich die letzten Tage erleben durfte, fahre ich die leichten Steigungen weiter. Ich habe nie um etwas gebeten, und bin trotzdem reich beschenkt worden von Menschen, die mich nicht kannten und die in vergleichsweise bescheidenen Verhältnissen leben. Von diesen Menschen kann ich, glaube ich, noch einiges lernen.

                In der Mittagspause gibt es vor allem Trauben -- eine leckere Erfrischung, aber leider nicht besonders transportfähig. Nach der Pause hole ich eine Pferdekutsche mit drei Männern und einem Kind ein. Eine ganze Weile halte ich mit ihnen Schritt, während wir uns unterhalten. Drei von ihnen sprechen rumänisch, der vierte dolmetscht zwischen rumänisch und englisch.

                Die letzten Kilometer des Passes Poarta de fier a Transilvaniei (Transsilvanisches Eisernes Tor, 700 m, nicht mit dem Eisernen Tor der Donau verwechseln) ziehen sich mit 7 % Steigung, dann ist die der Übergang vom Banat nach Siebenbürgen erreicht. Auf dem Weg bergab halte ich in Sarmizegetusa, dem ehemaligen Hauptort der römischen Provinz Dacia, wo es einige Überreste der römischen Siedlung zu sehen gibt.

                In Haţeg setzt Regen ein, dennoch fahre ich weiter in Richtung Hunedoara. Meine Karte verschweigt, dass dabei noch zwei Hügelketten mit je 100-150 Höhenmetern Anstieg überwunden werden müssen -- nicht schlimm, aber unerwartet und im Regen auch kein Vergnügen.

                Kuriosität des Tages ist ein Hotelangestellter in Hunedoara, der zwar kassiert, mir aber keine Quittung ausstellen darf. Das dürfe nur sein Chef, und der ist nicht da. Dann mal vertrauen...!

                98 km, 5:20 h, Höhenmeter: 770


                Sonntag, 17.10.2010
                Hunedoara - Sebeş


                Der neue Tag beginnt ebenso regnerisch wie der vorige aufgehört hat. Hoffend und wartend auf ein Ende des Regens vernichte ich die letzten Trauben. Als sich das Wetter bessert, radle ich zur nahegelegenen Burg Corvinilor, einer gut erhaltenen bzw. restaurierten Verteidigungsanlage aus dem 15. Jahrhundert. Heute ist die Anlage eine beliebte Filmkulisse.



                Ansonsten ist die Stadt eher von Industrieanlagen geprägt und wenig einladend, daher fahre ich nach Simeria und auf einer welligen Nebenstraße weiter nach Geoagiu.


                Blick in die Munţii Apuseni

                Aus irgend einem Grund gefällt es mir auf dieser Straße nicht mehr, also wechsle ich auf die Europastraße in Richtung Sebeş und Sibiu. Ein kleiner Seitenstreifen ermöglicht das Radfahren, Fahrfreude lässt der Verkehr jedoch nicht aufkommen: Obwohl Sonntag ist, sind jede Menge schwerer LKW unterwegs. Jedes Mal, wenn ein LKW an mir vorbeifährt, muss ich dem plötzlichen Sog entgegensteuern, um auf dem schmalen Korridor zwischen LKW und Straßenrand zu bleiben. Eine Unfallstelle mit zwei LKW verdeutlicht eine weitere Gefahr, die sich durch die vielen am Straßenrand verstreuten Reifenüberreste schon länger angedeutet hat: Dem vorderen LKW ist ein Vorderreifen geplatzt, der nachfolgende LKW ist aufgefahren. Reifen scheinen tendenziell so lange gefahren zu werden, bis es nicht mehr geht.


                Hoffentlich wird dieser Reifen schnell ausgetauscht.

                Auch die häufigen Gedenkkreuze für Unfallopfer sprechen eine mahnende Sprache, aber ob sie gehört und verstanden wird?



                In Sebeş übernachte ich, auch um Zeit zu gewinnen für die Planung der Route für die nächsten Tage. Zur Auswahl stehen Süd (Transalpina), Nord (Alba Iulia und Mediaş) oder Ost (direkt nach Sibiu).

                82 km, 4:17 h

                Kommentar


                • squirrel
                  Gerne im Forum
                  • 25.04.2010
                  • 83
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                  Montag, 18.10.2010
                  Transalpina: Sebeș - Obârșia Lotrului


                  Es zieht mich in die Berge, und dagegen haben die Städte-Alternativen keine Chance...
                  Außerdem soll zumindest heute noch das Wetter stabil bleiben. Im Hotel bekomme ich die vage Auskunft, dass die Transalpina "not completely" asphaltiert ist. Was das konkret bedeutet, bleibt meiner Fantasie überlassen.

                  Das Wetter ist tatsächlich stabil -- die Wolken in den Bergflanken halten sich hartnäckig. Nur kurz habe ich das Glück, von der Sonne angestrahlt zu werden. Damit bekomme ich zwar keinen einzigen der höheren Gipfel zu Gesicht, dies wird aber durch die herbstlich geschmückten Laubwaldhänge mit ihren intensiven Farben ausgeglichen.



                  Der nördliche Teil der Transalpina trennt die Munții Șureanu im Westen von Munții Cindrel und Munții Lotrului im Osten und führt dabei über einen 80 km langen Anstieg zum Pass Tărtărău (ca. 1700 m Höhe). Bis auf die letzten 10 km steigt die Straße nur sanft an und verläuft dabei meist durch Waldgebiete.
                  Der Taleinschnitt, durch den die Straße im mittleren Teil führt, ist teilweise fast schluchtartig eng, so dass die Suche nach einem nicht zu schattigen, steinschlagsicheren Platz für die Mittagspause nicht einfach ist.



                  Die Straße ist zu einem großen Teil frisch asphaltiert und sehr angenehm zu fahren. Nur selten begegnen mir motorisierte Fahrzeuge, und wenn, dann sind es meist langsam fahrende Holz- oder Kiestransporter.



                  Entlang der Auffahrt gibt es einige ca. 100 m kurze ungeteerte Abschnitte und einen etwa 2 km langen Abschnitt, an dem derzeit gearbeitet wird. Dieser Abschnitt mit feuchtem Untergrund reicht jedoch aus, den Raum zwischen Schutzblech und Reifen mit Schlamm auszufüllen:



                  Auf den letzten Kilometern vor der Passhöhe zieht die Steigung ordentlich an und zeigt mir die Grenzen meiner Kondition.
                  Im Schneckentempo und im einsetzenden Regen erreiche ich die Passhöhe, die keinerlei Markierung aufweist -- erst im Bergabrollen bemerkt man, wo man war.

                  Die 7 km lange Abfahrt nach Obârșia Lotrului ist kein Vergnügen: Fahrtwind lässt den Regen von vorne kommen, und ein etwa 2 km langes nicht asphaltiertes Teilstück mit Schlaglöchern, rutschigem Rollsplit und Baustellenfahrzeugen belasten meine Bremsen und meine Unterarme sehr stark.

                  In Obârșia Lotrului habe ich die Wahl zwischen einem geschlossenen Campingplatz und einer Pension. Die Kälte der Abfahrt und der stärker werdende Regen erleichtern die Entscheidung für die gemütlich geheizte Pension.

                  89 km, 5:37 h, 2390 hm


                  Dienstag, 19.10.2010
                  Obârșia Lotrului - Sibiu


                  Als ich gerade mein Fahrrad belade, setzt Regen ein -- und der sollte für den Rest des Tages nicht mehr aufhören. Also geht es in Regensachen zunächst etwas bergab bis zu Stausee Lacul Vidra (ca. 1300 m Höhe), an dessen Auslass eines der größten Wasserkraftwerke Rumäniens errichtet ist.


                  Bei gutem Wetter sicherlich ein fotogenes Bildmotiv, bleibt für mich die Schönheit der Landschaft leider in den tiefhängenden Wolken verborgen.

                  Während der 12 Kilometer, die die Uferstraße dem Stausee folgt, werden meine Fahrradschuhe und der Oberstoff meiner Regenjacke immer mehr vom Regen durchtränkt. Die Fahrt auf der so gut wie verkehrsfreien Straße gleicht einem einsamen Kampf gegen den zermürbenden Regen. Die Straße verlässt das Ufer des Sees, um mit durchschnittlichen 7 % Steigung zum Pass Curmătura Vidruței (1571 m) zu klettern. Der Anstieg ist nicht besonders schwierig, stellt aber Geduld und die Fähigkeit zur Selbstmotivation auf die Probe. Meine leise Hoffnung auf einen Wetterwechsel mit dem Passübergang wird in einer dichten Wolkenwand begraben.


                  Die Passhöhe von Curmătura Vidruței

                  Die Abfahrt ist ähnlich steil und schlaglochübersät wie die gestrige, nur der Regen ist heute stärker. Schnell sind auch meine Handschuhe durchnässt.
                  Ich bemerke, dass mein Bremsweg deutlich länger ist als gewohnt, und dass ich trotz kräftigem Bremsen kaum langsamer werde. Ein kurzer Stopp zeigt, dass die Bremsgummis an beiden Bremsen fast komplett abgefahren sind -- wohl eine Folge der letzten beiden Passabfahrten, die auf den schlechtesten Straßenstücken nur mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit befahrbar waren. Die Stellrädchen an den Bremshebeln helfen mir nicht mehr; ich müsste die Bremsblöcke neu ausrichten oder gleich neue Bremsgummis montieren (bei meinen Bremsen werden nur die Bremsgummis und nicht die ganzen Bremsschuhe ausgetauscht). Auf diese pfriemelige Wartungsarbeit im strömenden Regen habe ich keine Lust, lieber schiebe ich mein Fahrrad auf den steilen Streckenabschnitten. Diese ziehen sich länger als ich dachte, immerhin baut die Straße ab der Passhöhe insgesamt über 1200 Höhenmeter ab, davon etwa 1000 bis zum ersten Ort, Voinessa. Danach nimmt das Gefälle merklich ab.
                  Um die nasskalten Hände und Füße auszugleichen, ziehe ich eine weitere Schicht Kleidung an und setze mich wieder auf's Rad. Der weitere Weg ist eine Mischung aus leicht abfallender Straße, ebenen Abschnitten und einigen Gegenanstiegen. Für die Landschaft habe ich schon lange keinen Blick mehr, mein einziges Ziel ist es, möglichst schnell einen Bahnhof der Linie nach Sibiu zu erreichen.
                  An einer Serpentine, die nach einem kleineren Stausee Höhe abbaut, komme ich in eine kritische Situation: Ich unterschätze das Gefälle, kann nicht stark genug bremsen und merke, dass ich die enge Kurve nicht bekomme. Ein Kiesfeld am linken Straßenrand bringt mich zum Stehen. Allein der durch mein Gepäck weit hinten liegende Schwerpunkt verhindert den Absprung nach vorne. Glücklicherweise ist weit und breit kein Auto unterwegs (sonst wäre ich jetzt vielleicht auf Failblog zu sehen ).

                  In Brezoi angekommen, an der Europastraße von Râmnicu Vâlcea nach Sibiu, gibt mir ein Einheimischer den entscheidenden Tipp, in welche Richtung der nächste Bahnhof zu finden ist. Sein Tipp ist sehr wertvoll, ich erreiche den Bahnhof 10 Minuten vor der Abfahrt des letzten direkten Zuges Richtung Sibiu.

                  Während der zweistündigen Zugfahrt belagere ich die Heizung, wirklich viel trockener werde ich dadurch aber nicht. Es ist dunkel, als ich in Sibiu ankomme, und ich bin über die bekannten Hotelketten froh, die sich in dieser Stadt mit unübersehbaren Gebäuden niedergelassen haben und meine Zimmersuche vereinfachen.

                  Ca. 81 km, 960 hm

                  Kommentar


                  • luckyloser
                    Erfahren
                    • 01.07.2009
                    • 186
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                    coole tour!!

                    das wäre auch mal strecke für mich... in solchen länder ist man irgendwie zu selten unterwegs.
                    Viel zu spät begreifen viele, die versäumten Lebensziele:
                    Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur,
                    Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's! Reise, reise!

                    (Wilhelm Busch, 1832-1908)

                    Kommentar


                    • squirrel
                      Gerne im Forum
                      • 25.04.2010
                      • 83
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                      Mittwoch, 20.10.2010
                      Sibiu


                      Nachdem ich am Frühstücksbuffet meine Energievorräte wieder aufgefüllt habe, ist es an der Zeit, den restlichen Aufenthalt zu planen. Auf der einen Seite gibt es in Sibiu und in der Region um Sibiu noch etliches zu sehen und zu er-fahren, auf der anderen Seite stehen der Zustand meines Fahrrads und die angekündigten niedrigen Temperaturen, tags wie nachts. Ich entscheide mich, Sibiu zum Ziel zu erklären und heute abend den Rückweg anzutreten.
                      Am Bahnhof kaufe ich ein Ticket für den Accelerat um 3:20 (nachts) nach Timișoara. Accelerat ist die zweitniedrigste Zugkategorie und ungefähr mit einem Regional-Express vergleichbar. Über 6 Stunden wird der Zug für die ca. 300 km benötigen. Mein Plan ist, morgen vormittag in Timișoara die weitere Zugfahrt zu organisieren.

                      Sibiu selbst -- Kulturhauptstadt Europas 2007 -- hat eine schön gestaltete Altstadt und eine über 800-jährige Geschichte zu bieten.


                      We're watching you

                      Den Nachmittag verbringe ich im historischen Brukenthal-Museum, das die Geschichte Sibius und Siebenbürgens mit Ausstellungen unter anderem zu Handwerk, Waffen, Münzen und sakralen Gegenständen zeigt.

                      Ein rumäniendeutscher Museumsangestellter schildert mir seine Wahrnehmung der Situation der deutschen Minderheit und gibt mir einen Einblick in die Schwierigkeiten eines Geringverdienenden in Rumänien. Brot, Kartoffeln und Gemüse bestimmen seinen Speiseplan, und selbst während der kommunistischen Herrschaft sei sein Kühlschrank voller gewesen. Die Begegnung stimmt mich nachdenklich, und ich hoffe, dass die immer noch vorhandenen sozialen Probleme nicht zu einer Verklärung der Vergangenheit führen.

                      Abends kaufe ich etwas Proviant für unterwegs und esse noch etwas Warmes, in Erwartung einer langen Nacht.
                      Es hat wieder zu regnen begonnen. Die Stunden bis zur Abfahrt meines Zuges verbringe ich in der kalten Bahnhofshalle mit einigen anderen wartenden Rumänen. Nach einigen Stunden ist mir so kalt, dass ich gerne den Schlafsack auspacken würde. Aber das Risiko, darin einzuschlafen, ist mir zu hoch, und einige der wartenden Gestalten sind mir suspekt.

                      Irgendwann, deutlich nach Mitternacht, setzt sich ein Mann neben mich auf die Bank und bittet mich zunächst um etwas Geld. Nach einigen erfolglosen Versuchen bietet er mir dann eine einfache analoge Kompaktkamera zum Kauf an -- komplett auf rumänisch, ich verstehe erst nicht, was er genau möchte. Das Ganze kommt mir komisch vor, und ich pariere jeden seiner vielen Versuche zwar freundlich, aber mit ablehnenden Worten und Gesten. "Sorry, I don't understand", "I do not need a camera", "Nu, mulţumesc", "I think we have to give this up" ... Einige andere Wartende verfolgen interessiert unseren Dialog. Ich bin mir nicht sicher, ob in ihren Blicken neben Interesse auch noch Mitleid zu sehen ist, und wenn ja, Mitleid mit wem. Irgendwann sieht aber auch mein Gegenüber ein, dass er mit mir kein Glück hat, und gibt auf...
                      ... um plötzlich wieder da zu sein, als ich um ca. drei Uhr früh auf den Bahnsteig gehen möchte. Er führt mich zum richtigen Bahnsteig, begleitet mich zum Zug und zeigt mir das richtige Abteil des sich später in verschiedene Richtungen trennenden Zuges... und steigt mit mir ein.
                      Als ich mich neben mein Fahrrad setze, sitzt er mir schon gegenüber, im fast leeren Abteil. Ich werde etwas misstrauisch und fürchte, die ganze restliche Nacht kein Auge zutun zu können. Noch einmal bietet er mir -- vergeblich -- die Kamera an. Dann beginnt er, von seinen drei copii (Kindern) zu erzählen und deutet gestenhaft Hunger an. Diese Sprache verstehe ich schon eher, und so kann ich ihm wenigstens den zuvor gekauften Brotlaib anbieten. Auch meine Salami wechselt den Besitzer, der damit vielleicht nicht das Erhoffte erhalten hat, aber dennoch dankbar ist. Rechtzeitig vor der Abfahrt verlässt er den Zug dann auch, so dass ich auf der Zugfahrt doch noch ein paar Stunden Halbschlaf bekomme.

                      A propos Zugfahrt: Der Accelerat ist ein moderner Triebwagenzug, und der Schaffner ermittelt diesmal den Preis für mein Fahrrad an Hand einer Tarifmatrix aus Strecke und geschätztem Gewicht.


                      Donnerstag, 21.10.2010
                      Zurück in Timișoara


                      In Timișoara angekommen erfahre ich, dass die Weiterfahrt erst morgen früh möglich ist. Dafür bekomme ich eine Verbindung rausgesucht, bei der ich einzig in Budapest umsteigen muss. Und funktioniert diese Verbindung auch mit meinem Bicicletă? "Conductor" bekomme ich als Antwort. Eine Fahrradreservierung für die beiden ICs ist am Schalter nicht möglich. Allmählich verstehe ich, dass es in Rumänien einfach das Konzept der Fahrradmitnahme im Zug nicht gibt -- daher auch kein Vorverkauf und keine Reservierung.
                      Ob der Preis von 429 Lei (ca. 100 Euro) denn für mich ok ist, werde ich gefragt. Offensichtlich passiert es der Schalterangestellten sehr selten, dass jemand ein Ticket für so viel Geld kauft. Ich unterdrücke meine Freude über den günstigen Preis -- es ist kaum mehr als der Hinweg München-Wien -- und bejahe. Die Freude über die einfache und günstige Verbindung übertönt die Unsicherheit wegen der Fahrradmitnahme.

                      Den restlichen Tag über besuche ich nochmal die zentralen Plätze Timișoaras und genieße die Herbstsonne.


                      Freitag, 22.10.2010
                      Train hopping


                      "In Rumänien geht alles", erlebe ich wieder einmal, früh morgens am Bahnhof: Der IC nach Budapest hat weder Gepäckwagen noch sonst wo dedizierte Abstellplatz für Fahrräder, aber es ist für den Schaffner völlig in Ordnung, dass das Fahrrad an der letzten, verschlossenen Durchgangstür lehnt.
                      Im fast unbesetzten Zug lasse ich die weiten Ebenen Ungarns an mir vorbeiziehen.

                      Was in Rumänien geht, geht leider nicht überall: In Budapest macht mir der Schaffner des Railjet schon vor dem Einsteigen unmissverständlich klar, dass er mein Fahrrad auf keinen Fall mitnehmen wird. Also geht's zum internationalen Fahrkartenschalter, wo ich zwei Angestellte mindestens eine Viertelstunde damit beschäftige, eine fahrradtaugliche Verbindung nach München zu suchen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Noch drei mal soll ich umsteigen und werde erst am nächsten Morgen ankommen
                      Außerdem muss ich zu einem anderen Bahnhof in Budapest, 7 km durch die Innenstadt mit einem Fahrrad ohne Bremsen und mit 90 Minuten Zeit...
                      In Győr darf ich umsteigen, in Wien ein weiteres Mal. Dort frage ich nochmal nach der schnellsten Verbindung nach München. Es ist tatsächlich möglich, noch heute nacht anzukommen, aber dazu muss ich noch dreimal umsteigen, und auch in Wien den Bahnhof wechseln...
                      Nach Zugwechseln in Wien Mitte, Wien Westbahnhof, Wels, Passau und Landshut erreiche ich tatsächlich kurz nach Mitternacht München -- 18 Stunden nach der Abfahrt in Timișoara und mit insgesamt 10 Zügen.


                      Fazit & Lessons learned
                      • Je weniger Planung, desto mehr Abenteuer
                        Anders ausgedrückt: Mit mehr Kartenmaterial und vorab recherchierten Zugverbindungen hätte ich einige Extrameilen und Wartestunden sparen können.
                      • Das Zelt war einige Male recht nützlich, aber mit konservativerer Planung der Etappen wäre es auch ohne Zeltübernachtungen gegangen. In allen größeren Orten gab es Pensionen oder Hotels.
                      • Oktober ist temperaturmäßig schon fast zu spät, insbesondere in den Bergen. Ende August oder September könnte die ideale Reisezeit dieser Region sein.
                      • In keinem der besuchten Länder bin ich von Menschen enttäuscht worden oder habe mich je unsicher gefühlt, insbesondere habe ich (entgegen mancher Vorurteile) keine offensichtliche Kriminalität wahrgenommen. Im Gegenteil, speziell in Rumänien hat mich die Offenheit und die Gastfreundschaft der Menschen sehr beeindruckt. (In einigen Reiseberichten habe ich aber auch von anderen Erfahrungen gelesen, daher kann ich das nicht verallgemeinern.)
                      • Ungarn kann mit schönen, abwechslungsreichen Landschaften entlang der Donau aufwarten. Die weiten Tiefebenen, die einen großen Teil des Landes ausmachen, wären mir aber auf Dauer zu flach zum Radfahren.
                        Rumänien bietet neben abwechslungsreichen Landschaften auch Spuren aller geschichtlicher Epochen, oft direkt am Weg.
                      • Ungarn und Rumänien sind deutlich weniger fahrradfreundlich als z.B. D/A/CH, was Straßenzustand, Verkehr und das Radwegenetz angeht. Trotzdem ist es mit etwas Planung meistens möglich, gut geeignete Strecken zu finden.
                        Die ausgeschilderten regionale und Fernradwege können hilfreich sein, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Radwegplaner sich in ihrer Ausbildung zu lange mit raumfüllenden Kurven beschäftigen.


                      In Rumänien gibt es für mich noch einige sehenswerte Orte und fahrenswerte Pässe, das Land bleibt damit definitiv auf meiner Liste möglicher Ziele (ist zufällig schon jemand eine Tour entlang der gedachten Linie Transfăgărașan - Sighișoara - Moldauklöster gefahren?).

                      Kommentar


                      • volx-wolf

                        Lebt im Forum
                        • 14.07.2008
                        • 5576
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                        Oh, irgendwie ist mir dieser Reisebericht durchgerutscht ... aber nun habe ich ja etwas zu lesen, bis der aktuelle weitergeschrieben ist

                        Moralische Kultur hat ihren höchsten Stand erreicht, wenn wir erkennen,
                        daß wir unsere Gedanken kontrollieren können. (C.R. Darwin)

                        Kommentar


                        • Abt
                          Lebt im Forum
                          • 26.04.2010
                          • 5726
                          • Unternehmen

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                          In Rumänien gibt es für mich noch einige sehenswerte Orte und fahrenswerte Pässe, das Land bleibt damit definitiv auf meiner Liste möglicher Ziele (ist zufällig schon jemand eine Tour entlang der gedachten Linie Transfăgărașan - Sighișoara - Moldauklöster gefahren?).


                          Ja wir,- und weiter.
                          Wir,- von 1986-88. Wir,- das sind Ebsels, Odysseus und meine bescheidene Wenigkeit, zeit-und jahrweise in erweiterter und wechselnder Besetzung.
                          Auch mir ist dein Bericht hier leider durch die Lappen gegangen. Deine Erlebnisse von unterwegs, über den Zugtransport mit Rad, die erlebte Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft hast du hier ganz ausgezeichnet beschrieben. Danke
                          Zuletzt geändert von Abt; 06.01.2012, 13:23.

                          Kommentar


                          • Skyalf
                            Neu im Forum
                            • 14.12.2013
                            • 8
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [AT] [SK] [HU] [RO] Mit dem Fahrrad von Wien bis in die Südkarpaten

                            Etwas spät zwar - aber auch ich bedanke mich für den kurzweiligen Reisebericht ...

                            Skyalf

                            Kommentar

                            Lädt...
                            X