[SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

Einklappen

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • Sarekmaniac
    Freak

    Liebt das Forum
    • 19.11.2008
    • 10958
    • Privat

    • Meine Reisen

    [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: SE, NO
    Reisezeit: März/April
    Region/Kontinent: Nordeuropa


    Den Kungsledenabschnitt von Kebnats/Saltoluokta nach Vakkotavare erledigen die meisten Wanderer mit dem Bus. Dreißig km Asphalttreten im Sommer sind wirklich nicht prickelnd, und wegen der prekären Eisverhältnisse kann im Winter das Skilaufen über den Langas schwierig bis unmöglich sein.

    Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare ist dagegen sehr schön, wenn man im Uhrzeigersinn läuft. Dann sind es nicht 30, sondern ewa 300 km, für die man 18-20 Tage veranschlagen sollte. Ich habe es diesen Winter ausprobiert. Es war eine lange und, im ersten Teil, sehr einsame Tour. Es war, wie immer, traumhaft schön. Und es war KALT.

    Von Saltoluokta startend, habe ich zunächst fünf Tage lang nachgeschaut, ob die Sarekberge noch alle da stehen, wo sie hingehören. Dann ging es weiter nordwärts die schwedisch-norwegische Grenze entlang bis Røysvatn, eine Hütte am Nordkalottleden. Von dort in einem Bogen über diverse Seen bis zur schwedischen Sitashütte. Von da via Hukejaure und Čuhčavaggi nach Singi und weiter auf dem Kungsleden südwärts bis Vakkotavare.



    Die Strecke im Überblick



    14. März 2008
    Anreise, und von Kebnats nach Saltoluokta (3,5 km)

    Nach 36 Stunden Zugfahrt komme ich morgens gegen 9:00 Uhr in Gällivare an. Die verbleibende Zeit bis zur Abfahrt des Busses nutze ich, um im ICA den Proviant zu vervollständigen: Milchpulver, Tortellini, getrocknetes Rentierfleisch, Fruchtsuppen, etwas zum Frühstück im Bus. Dann geht es weiter mit dem Bus bis Kebnats, wo ich zum ersten Mal auf die Ski steige, um in herrlichem, flachem Nachmittagslicht das kurze Stück über den See bis zur Saltoluokta-Fjällstation zu laufen:



    Meine drei Mitreisenden aus dem Bus, ebenfalls mit kompletter Tourenausrüstung, lassen sich von Skootern des STF abholen, das sind mir Helden! In Salto miete ich mich in der alten Station ein, gehe in die Sauna und genieße abends das sehr schmackhafte, nur leider etwas übersichtliche Drei-Gänge-Menü. Den Abend verbringe ich damit, das Gepäck vom Reisemodus in den Tourenmodus zu bringen.









    15. März 2008
    1. Tag: Saltoluokta – Kungsleden – Pietshaure (ca. 18 km)


    Schon morgens um 6:00 Uhr wache ich und lese draußen das Thermometer ab: -14 Grad, und kein Wölkchen am Himmel! Schöner kann eine Tour gar nicht beginnen. Ich genieße eine letzte Dusche im Servicegebäude, mache die Pulka startklar, ziehe die Felle auf und fege die gute Stube. Nach einem reichlichen und gemütlichen Frühstück in der Fjällstation (das entschädigt mich für den Vortag) breche ich gegen 10:30 Uhr auf.





    Am ersten Tag einer Tour ist Einlaufen angesagt, und meine heutige Etappe ist dafür bestens geeignet. Auf dem markierten Kungsleden geht es auf der schönen harten, plattgetrampelten Spur gut 300 Höhenmeter bergan, bis ich nach etwa 1,5 Stunden den Abzweig nach Westen Richtung Pietshaure erreiche. Ich mache eine Mittagsrast im Sonnenschein und verstaue die Felle im Rucksack. Dann laufe nochmal etwa 2 Stunden einen markierten Weg bis zum Ufer des Pietsaure. Dort hören die Markierungen auf, aber die Skooterspuren freundlicherweise nicht. Den Rest des Nachmittags verbringe ich mit der Querung des Pietsaure. Immer im Blick: Der markante Gipfel des Slugga, den ich am nächsten Morgen umrunden werde, um Richtung Sarek abzubiegen. Es ist sonnig und nahezu windstill und ich genieße die stimmungsvolle Landschaft im flacher werdenden Licht. Gegen 17:00 erreiche ich das Westufer und zelte ca. 300 m hinter dem Ausfluss.





    Zuletzt geändert von Sarekmaniac; 07.07.2012, 17:44.
    Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
    (@neural_meduza)

  • Gast-Avatar

    #2
    AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

    Ich freue mich schon jetzt auf die nächsten 19 Tage

    Mehr davon. *ichbraucheunbedingturlaub*

    Kommentar


    • Gast-Avatar

      #3
      AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

      Mach mich nur wahnsinnig.

      Kommentar


      • ich
        Alter Hase
        • 08.10.2003
        • 3566
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

        Super!

        ICH WILL MEHR!!!!
        Nicht nur Fuchs sein, auch n puschigen Schwanz haben!

        Spaß im Winter und Wandern mit Kindern

        Kommentar


        • Daniel1981
          Erfahren
          • 17.09.2006
          • 141
          • Privat

          • Meine Reisen

          #5
          AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure


          Da kann ich mich nur anschließen. Bitte mehr...

          Kommentar


          • Sarekmaniac
            Freak

            Liebt das Forum
            • 19.11.2008
            • 10958
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

            16. März 2008
            2. Tag: Pietshaure–Liehtjijavrre (ca. 19 km)




            Vom strahlenden Sonnenschein des Vortags ist nichts mehr zu sehen. -5 Grad, Nebel, vereinzelte leichte Schneeschauer und Windstille. Aber kein Whiteout, zum Glück.



            Um 9:30 stehe ich auf Skiern. Zuerst geht es noch ein Stück flach Richtung Nordwest, bis zum Rissajaure. Ein etwas anstrengender Däne hat mir vorgestern beim Abendessen einen Vortrag darüber gehalten, dass von hier aus der allerbeste und deshalb auch mir unbedingt anzuratende Weg hoch am Hang des Njiravbuollda entlang führe. Da er die Strecke, so wie es klang, quasi kannte wie seine Westentasche, war ich schon fast überzeugt. Doch als er mir sagte, dass er bis zum Rissajaure „zwei Tage, manchmal auch drei“ brauche, schwante mir, dass er wohl doch kein Fachmann für optimierte Wegführung war.

            Und so bleibe ich am rechten, östlichen Ufer des Sluggajåhkå, ziehe die Felle auf und steige langsam über die nördlichen Ausläufer des Slugga auf. Den ganzen Vormittag umrunde ich den Berg, am Nachmittag habe ich ihn dann im Rücken, kann ihn wegen des trüben Wetters aber nur andeutungsweise sehen:




            Auf gut 800 m ü.M. dürfen die Felle dann wieder ab; kurz danach finde ich eine gute Stelle, um den Fluss zu queren. Die Topografie ist hügelig und unübersichtlich. Einmal schnalle ich im felsdurchsetzten Gelände die Ski ab und lasse die Pulka von Hand eine größere Felsstufe hinunter. Ich benutze die Grenzmarkierungen des Stora-Sjöfallet-Nationalparks als Leitlinie, an der ich mich einige km entlang hangle, bis ich mit GPS-Peilung (zu sehen ist weiterhin nicht viel) direkt auf den Liehtjijavvre zuhalte. Auf den verschneiten Seen läuft es sich, nach dem felsigen Auf und Ab, sehr angenehm. Mitten auf dem See überschreite ich die Grenze zum Sarek-Nationalpark, und in der Tat: Innert Sekunden wird es wild, einsam und gefährlich. Das muss wohl mit dem hier beheimateten Mythos zusammenhängen.
            Gegen 17:30 passiere ich die Rentierwächterhütte am Ende des Sees und suche mir einen Zeltplatz. Ich stelle den Tunnel so auf, dass die eine Apside gen Guhkesvagge und die andere Richtung Richtung Ähparmassiv gerichtet ist. Der Blick könnte also traumhaft sein, doch das bleibt leider Theorie. Und so koche ich mir eine Portion Tortellini mit Tomatensoße und betrachte beim Abendessen die Nebelschwaden.






            17. März, 3. Tag
            Liehtjijavrre –Bielajavratja–Rapadalen–Mahtujagasj (ca. 18 km)




            Über Nacht hat es geschneit. Wieder Nebelschleier den ganzen Tag und leichter Ostwind. Von den Bergen nichts zu sehen, auch wenn der Sichthorizont so groß ist, dass die Orientierung problemlos ist. Und etwas kälter ist es geworden, etwa -10 Grad, als ich morgens aufbreche. Ich denke, wie schon gestern abend, beim Gehen darüber nach, was ich sehen würde, wenn ich etwas sehen könnte: Ähpar links, Sarekmassiv rechts, und geradeaus das Ålkatjmassiv. Um diesen schönen Anblick gebracht, schaue ich ganz schön muffelig, als ich bei einer Pause auf dem Bierikjavrre ein Selbstporträt schieße:



            Aber das täuscht. Eigentlich bin ich ziemlich gut gelaunt. Und Jammern nützt ja eh nichts. Also: weiter geht's.
            Auf dem Bierikjavrre liegen ca. 20 cm Pulverschnee auf dem Eis, der aber sehr locker ist und sich gut beiseite schieben lässt. Um im weichen Untergrund besseren Griff zu bekommen, wachse ich den Ski von vorn bis hinten.

            Ich habe jetzt seit zwei Tagen keinen Menschen getroffen und freue mich deshalb sehr, als mir bei Sarvalåpptå zumindest fünf Rentiere über den Weg laufen. Sie stapfen durch den tiefen Schnee und lassen sich von mir nicht im mindesten stören. Und ich sehe noch ein Tier: Eine Krähe mit einem Zweig im Schnabel fliegt quer über die Hochebene. Nestbau im März? Der Klimawandel lässt grüßen. Außerdem entdecke ich Vielfraßspuren; der Urheber ist natürlich nicht zu sehen.
            Der Ausblick von der Hochebene über das Rapadalen muss wetterbedingt ebenfalls ausfallen; der markante Låddebákte, der sich ca. sechs km links von mir fast senkrecht über der Rapa erhebt, lässt sich im Nebel nur sekundenweise erahnen. Ich halte mich auf etwa 800 m Höhe und biege langsam Richtung Nordwest ins obere Rapadalen ein. Die Sicht wird schlechter, und entsprechend langsamer komme ich im konturlosen Gelände voran. Mein eigentliches Tagesziel, Mikka, werde ich wohl nicht mehr erreichen, aber ich möchte gern noch die beiden etwas heiklen Bäche queren, die aus den Sarekbergen in die Rapa fließen – wer weiß wie Wetter und Sicht morgen sind. Langsam nähere ich mich dem Tjågnårisjågåsj. Ich habe Glück: Vor mir klafft zwar ein Riesenloch, im Nebel kaum zu erkennen, aber etwas unterhalb davon entdecke ich eine verlässliche Schneebrücke.

            Wie man sieht, sieht man nichts. Aber das Bildbearbeitungsprogramm bringt es an den Tag:





            Eine halbe Stunde später erreiche ich den Mahtujagasj. Hier muss ich etwas länger suchen. Ich bin zu tief geraten und stehe plötzlich vor einem unpassierbaren, kleinen Canyon, der sich zur Rapa hin öffnet. Dass so ein kleiner Bach ein solches Chaos anrichten kann... Also heißt es, etwa 50 Höhenmeter entlang des Mahtujagasj aufsteigen, bis ich eine gute Passage finden. Zum Zelten ist das Gelände auf der anderen Seite zu schräg, und so gehe ich noch ein Stückchen weiter gen Mikka, bis sich kurz nach 18:00 Uhr ein flaches Plätzchen findet. Ich stiere talabwärts in den Nebel. Wenn ich schon nichts sehe, will ich wenigstens lecker essen. Also gibt es Rentierfleisch, Oliven, getrocknete Tomaten, Blauschimmelkäse aus dem Jämtland, Knäckebrot und zum Nachtisch Nypponsoppa und Griesbrei. Satt und warm mache ich mich an die üblichen Abendrituale: Fußpflege, die Tagesetappe auf der Karte nachtragen, schon mal im Detail schauen, was mich am nächsten Tag so erwartet, Tagebuch schreiben. Es ist zwölf Grad minus, etwas kälter als morgens, als ich mich in den Schlafsack verziehe.


            18. März, 4. Tag
            Mahtujagasj–Ruohtesvagge–Nijakvagge (ca. 18 km)


            Gegen Mitternacht wache ich auf. Es ist -18 Grad, aber das ist nicht der Grund. Mir ist speiübel, und ich weiß sofort, woran das liegt: Die getrockneten Oliven waren wohl ein bißchen sehr salzig. Nachdem ich ein paar Minuten ausgeharrt habe, in der vergeblichen Hoffnung, dass die Übelkeit vergeht, ist klar: Alles muss raus. Irgendwo tief in meinem Gedächtnis taucht das Wort „Salzvergiftung“ auf, und dass mit so was nicht zu spaßen ist. Ich begebe also mich in die Abside und staune. Ich wusste nicht, dass menschliche Mägen die Fähigkeit zu selektiver Verdauuung haben. In meinem Magen zumindest sind nur noch Oliven. Rentierfleisch, Käse, Brot und Co: alles schon weitergeleitet. Als der Magen ganz leer ich, trinke ich die Thermoskanne mit heißem Tee bis auf den letzten Tropfen aus und lege mich wieder schlafen.



            Am nächsten Morgen ist der Nebel weg! Ich habe verschlafen, es ist schon acht Uhr, als ich aufwache. Ich bleibe noch ein bisschen liegen und genieße die Sonnenstrahlen, die aufs Zelt fallen. Trotz der nächtlichen Eskapaden fühle ich mich fit. Draußen sind es knackige minus 15 Grad, und bei Panoramablick aufs Rapadalen mache ich mich gut gelaunt ans Frühstück.

            Zuerst muss ich heute ein Stück aufsteigen, um auf die Talschwelle des Ruohtesvagge zu gelangen. Nach einer einer Dreiviertelstunde erreiche ich Mikka und lege aus purer Neugier ein erstes Päuschen ein. Ich möchte endlich einmal das Hüttchen mit dem Hjälptelefon besichtigen, nachdem ich immer wieder den Geheimtipp gehört habe, dass man da (sogar im Sommer) ganz toll übernachten kann. Mein Fazit: In größter Not würde es gehen, aber es ist schon arg siffig. Lieber Zelt. Noch in der Hütte, höre ich Rotorgeräusche, und als ich herauskomme, steht ein Heli der Polizei direkt über der Hütte. Die haben wohl meine Pulka gesehen. Ich bemühe mich, keinen rettungsbedürftigen Eindruck zu machen, was auch gelingt: Der Hubschrauber steigt wieder auf und verschwindet über dem Ålkatjmassiv. Noch eine eine ganze Weile höre ich ihn dort hin- und herfliegen. Übungsflug? Rettungsflug? Bevor ich mich wieder auf den Weg mache, schieße ich noch ein Abschiedsfoto: Die alte, marode Bevåkarstuga soll dieses Frühjahr abgefackelt werden.

            Der Heli war erst der Anfang: Einsamkeit war gestern. Die Sarekquerung via Ruohtesvagge-Rapadalen ist auch im Winter eine populäre Route, das Osterwochenende steht bevor, und entsprechend zahlreich sind die Wanderer und ihre Spuren. Drei kommen den Mikkagletscher herunter, von Richtung Kisuris her kommen zwei auf der linken, zwei auf der rechten Seite das Tal hinauf, und dann noch einer, und noch einer. Das reinste Männleinlaufen.



            Die beiden Spuren links und rechts in der Talsohle sind so schön und breit, ich kann mich gar nicht entscheiden:



            Sonne, Windstille und zwischen durch immer wieder ganz leichte Schneeschauer. Im oberen Teil des Ruohtesvagge liegt viel tiefer, fluffiger Schnee, aber weiter unten wird der Untergrund griffig und hart. Ein perfekter Tag! Und es wird ständig kälter, ich merke es im Gesicht.



            Zum ersten Mal auf dieser Tour denke ich darüber nach, dass es vielleicht doch eine gute Idee gewesen wäre, zusätzlich den Carinthia-Außenschlafsack mitzunehmen. Ich bin überhaupt sehr leicht unterwegs in diesem Frühjahr: Ohne dicke Fleecehose und ohne Fleecejacke (das Softshell ist Windschutz und Wärme zugleich, hatte ich zu Hause beschlossen). Und statt einer Daunenjacke habe ich meine alte Daunenweste von Robert's mit polnischer Gänsedaune mit. Die ist noch aus der guten alten Zeit, als bekanntlich alles, also auch die Daunen, viel besser war als heute. Aber ernsthaft: Sie ist wirklich sehr warm. Zu sagen, sie hat mir auf der Tour das Leben gerettet, wäre übertrieben. Aber ohne die Weste wäre es wohl ab Kutjaure eine reine Hüttentour geworden. Doch davon später...





            Um den Schlafsack etwas zu trocknen, packe ich ihn aus und breite ihn auf der Pulka aus. In der kalten blauen Abenddämmerung erreiche ich die Renvaktarstuga im unteren Ruohtesvagge. Auf der Höhe des Nijákvagge schlage ich eine halbe Stunde später das Zelt auf. Es ist -20 Grad. Nach dem Abendessen mache ich noch einen Spaziergang vor das Zelt und bewundere den Dreiviertelmond, der den Kisuris anstrahlt wie eine Theaterkulisse. Für Fotoexperimente mit Stativ habe ich keinen Nerv. Schade im nachhinein, aber ich bin müde und möchte in den Schlafsack, solange mir noch warm ist. Ich lasse die Daunenweste einfach an, als ich in die Tüte krieche.

            19. März, 5. Tag
            Nijakvagge–Kisuris–Kutjaure (ca. 25 km)




            Nachts gegen zwei Uhr muss ich nochmal vors Zelt. -25 Grad. Gosch. Trotzdem schlafe ich erholt, erstaunlich nach vier Tagen im feuchter werdenden Daunensack. Aber die zweistündige Trockenaktion auf der Pulka hat ein bißchen was gebracht, zumindest beschließe ich, das zu glauben. Morgens um 7:00 Uhr hat es minus 22 Grad. Trotzdem sitze ich wenig später mit langer Unterhose und Angoraoberteil beim Frühstück im sonnengewärmten Zelt.




            OT: Auch im Sommer ist der Kisuris übrigens sehr schön anzusehen:






            Absolute Windstille und Sonne, wie schon gestern. Nur etwas Hochnebel aus dem einzelne kleine Flocken fallen, doch die Dunstschleier verflüchtigen sich bald. Das markante Dreigestirn von Akka, Niak und Kisuris begleitet mich heute den ganzen Tag. Es wird die bisher längste Etappe der Tour. Ich habe beschlossen, einen Ruhetag einzulegen. Und da zu einem Ruhetag für mich ein gemütlich bullernder Holzofen gehört, fällt die Kisuris-Hütte aus, und ich beschließe, direkt nach Kutjaure durchzulaufen. Das ist eine meiner Lieblingshütten. Die meisten Wanderer, die in Sarek oder Padjelanta wollen, gehen via Akka und Kisuris und nur wenige über Vaisaluokta und Kutjaure, so dass hier viel weniger los ist. Und die Lage der Kutjaurestugan ist einmalig schön.

            Ich starte in perfektem Schnee. Na gut,die Schneedecke könnte ein bißchen fester sein. Darauf 1 cm eiskalter feinstes Pulver. Ich laufe mit dem Wachs des Vortags los und muss nur einmal, mitten auf dem Kutjaure, nachwachsen. Vom Zeltplatz aus geht zuerst durch flaches, von Hügeln und Moränen durchzogenes Gelände. Kurz nach dem Aufbruch mache ich eine unerfreuliche Entdeckung. Ein paar Superschlauberger haben ganz offensichlich ihren gesamten Müll im Schnee vergraben. Überall am Zeltplatz Fuchsspuren. Trekking-Fastfood-Tüten (schwedischer Provenienz), Plastiktüten, Papier, alles hat der Rotfuchs ausgegraben und in der Gegend verstreut:



            Wie blöd kann man sein? Wenn es irgendwann einmal Zugangsbeschränkungen und Permits für den Sarek geben sollte, dann wegen solcher Idioten.

            Der Niak erinnert mich an ein Riesen-Krustentier. Hoffentlich im Winterschlaf: Ich schaue besser, dass ich weiter komme...






            Ich halte mich ziemlich weit links und laufe auf etwa 900 m Höhe die Ostflanke des Kisuris entlang. Ich muss dafür zwar etwas aufsteigen, gehe dafür aber den nervigen Buckeln aus dem Weg. Auf der Höhe des Bachs, der aus dem Kisurisgletscher entspringt, erreiche ich die Baumgrenze und fahre langsam Richtung Sjnjuvtjudisjåhkå ab. In der Nähe des Flusses kommt mir ein schwedische Paar entgegen. Nach einem kleinen Schwatz folge ich ihren Spuren bis zur Kisurishütte. Sie verlaufen in etwa auf dem Sommerweg; ca. einen km oberhalb der Hütte queren sie den überschneiten Bach.

            An den Kisurishütten halte ich mich nicht lange auf. Ich widerstehe der Verlockung, meine Pause ins Warme zu verlegen. Ich kenne mich und weiß, dass ich dann eine Stunde festhängen werde. Und bis nach Kutjaure sind es noch etwa 10 km. Also nur eine Tafel Schokolade zwischen den Hütten, und ich breche wieder auf. Doch wo lang? Der Birkenwald von Kisuris ist dicht und hat es in sich:



            Eine Pulkaspur führt nach rechts, Richtung Sjnjuvtjudisjåhkå. Da will ich auch hin! Am Rand des Steilufers angekommen, staune ich nicht schlecht: Die Pulkaspur führt im Zickzack um die Bäume herum und geradewegs hinunter. Links und rechts davon erkennbar: Die Spuren blitzsauberer Schwünge. Und ich bilde mir immer ein, ich könnte ganz gut Ski fahren... Wie man da runter fahren kann, ohne einen Totalschaden zu erleiden, ist mir ein völliges Rätsel.



            Ich lasse es nicht darauf ankommen, schnalle die Ski ab und mache mich, die Pulka im Schlepptau, zu Fuß auf. Das funktioniert sehr gut, der Schnee ist hüfttief, und der Schlitten überschlägt sich höchstens siebzehn Mal.



            Um 15:30 Uhr stehe ich endlich am Seeufer. Jetzt geht es (fast) nur noch geradeaus. Auf dem See liegt viel loser Schnee, und Richtung Allak-Sameviste finden sich leider keine Skooterspuren. So dauert der Weg über den Kutjaure etwas länger als erhofft. Langsam schwindet das Licht, und als ich mitten auf dem See noch einmal anhalte, um nachzuwachsen, fährt mir die Kälte in die Glieder.
            Ab Allak führt ein Skooterweg in einem großen Bogen den Hang hinauf und dann von Norden zurück zur Kutjaurestugan. Ein ziemlicher Umweg, und die Felle müssten auch nochmal drauf. Doch im Mündungsbereich des Sieberjåhkå hat jemand ein Zeichen hinterlassen: "Till stugan" steht mit dem Skistock im Pulverschnee geschrieben, und eine Langlaufspur führt den Fluss hinauf. Also entscheide ich mich für den direkten Weg, der mich rasch zur Hütte führt. Nur leider liegt sie 20 Höhenmeter über mir. Der Langläufer ist das Steilufer zu Fuß hoch. Dass mache ich jetzt auch, seufz, und erfinde nebenbei eine neue ing-Sportart. Ich ramme die Ski wie Pickel vor mich in den Schnee oder ziehe mich an den kleinen Birken hoch, die sich im Fels verkrallt haben, und lege eine runde Pulka-Climbing ein. Vorher werfe ich einen Blick auf das Thermometer: -25 Grad. Als ich oben an der Hütte bin, sind es -20 Grad.

            Die Hüttenwirtin ist Gunnel Jauhiainen, die ich vor einigen Jahren auf der Pårtehütte kennen gelernt habe. Ihr Mann Nisse begleitet sie und packt mit an, wie immer. Er war der Langläufer und hat ein richtig schlechtes Gewissen, weil er meint, mich mit seinem Spruch im Schnee in die "Falle" gelockt zu haben (er kennt eben diese modernen Trendsportarten nicht). Es ist einfach nur herrlich, in einer wohlig warmen Hütte anzukommen. Andere Gäste sind nicht da, und so habe ich den ganzen rechten Raum für mich allein. Zelt und Schlafsack werden zum Trocknen aufgehängt. Ich mache einen Riesentopf Wasser warm, wasche mich von Kopf bis Fuß, und nach dem Abendessen geht es gleich ins Bett.


            20. März 2008
            6. Tag: Ruhetag in Kutjaure


            Schon vor sechs Uhr höre ich Nisse und Gunnel in der Küche rumoren. Sie benutzen den Raum zum Kochen, weil das Stugvärdszimmer in Kutjaure sehr beengt ist. Ich schlafe wieder ein, und als ich um neun aufstehe, sitzen die beiden schon beim zweiten Frühstück. Zwischen sechs und neun haben sie Holz gehackt und Wasser geholt, so das ich, wie mir ebenso fröhlich wie kategorisch verkündet wird, von diesen Pflichten befreit bin. Außerdem gibt es heute Abwechlung von meiner eher schlichten Tourenkost: Björn, der Hüttenwirt von Akka, und zwei norwegische Freunde haben ihren Besuch angekündigt, und Gunnel lädt auch mich zum Essen ein. Schon vormittags setzt sie einen Riesentopf. Rentiergulasch auf dem Küchenherd auf. Der Duft in der Hütte ist unbeschreiblich.

            Draußen herrschen wieder Windstille und Sonnenschein, dieses Wetter wird langsam gespenstisch. Nisse hat frühmorgens das Thermometer draußen an der Hüttenwand abgelesen: -29 Grad. Und unten auf dem Fluß war es gestern abend fünf Grad kälter als hier oben! Ich verlasse die Hütte heute nur, um zum Klohäuschen zu gehen (was auf Kutjaure einer kleineren Expedition gleichkommt) und mache mir ansonsten einen richtig faulen Tag. Nachdem ich die Unterwäsche durchgewaschen und aufgehängt habe, widme ich mich meiner Urlaubslektüre, Joe Simpson's "In the Void". Das Buch ist ein schöner Beitrag zum Thema "Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um". Simpson zeigt, wie ich finde, sehr anschaulich, dass es keine große Kunst ist, sich in den Bergen in die Scheiße zu reiten, man muss nur einfach sträflich leichtsinnig sein. Mein Lieblingssatz ist: "Simon, ich wünschte, wir hätten den Kompass mitgenommen".

            Dann treffen die Gäste ein, und es wird ein richtig netter Abend.



            Anders als in Kutjaure hat Björn in Akka ein Telefon und Radioempfang. Er berichtet, im Verlauf der nächsten ein zwei Tage sei ein Wetterumschwung angesagt, Westwind, etwas Neuschnee und vor allem mildere Temperaturen. Das lässt doch hoffen.



            Als die Sonne untergeht, mache ich einen kleinen Gang um die Hütten und fotografiere das grandiose Laponia-Panorama: Akka links, Niak und Kisuris rechts, und über allem der Vollmond.





            Zuletzt geändert von ; 09.01.2009, 18:11.
            Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
            (@neural_meduza)

            Kommentar


            • Sarekmaniac
              Freak

              Liebt das Forum
              • 19.11.2008
              • 10958
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

              Die Bilder muss ich noch nachtragen. Der Imageshack-Server macht Zicken, und ich muss jetzt los, Mehrwert schaffen
              Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
              (@neural_meduza)

              Kommentar


              • Gast-Avatar

                #8
                AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                Da kann ich mich nur anschließen. Bitte mehr...
                ICH WILL MEHR!!!!
                Mach mich nur wahnsinnig.
                *ichbraucheunbedingturlaub*
                Also mehr, mehr davon, wie man früher sagte....
                Mich läßt das kalt Unendlich..
                Und bitte mehr davon...

                Kommentar


                • Sarekmaniac
                  Freak

                  Liebt das Forum
                  • 19.11.2008
                  • 10958
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                  21. März 2008
                  7. Tag: Kutjaure–Gålogielas (ca. 18 km)




                  Von einem Wetterumschwung ist erstmal nichts zu merken: -31 Grad sagt das Thermometer frühmorgens um sechs. Um 10:00 Uhr verabschiede ich mich von Gunnel und Nisse. Die Ski auf der Pulka, steige ich zu Fuß bis zum Fluss hinunter und bugsiere den Schlitten über die Hängebrücke. Dann steige ich am Westufer des Sieberjåhkå auf. Als ich die Felsschwelle auf der Höhe des Wasserfalls erklommen habe fegt mir plötzlich ein eisiger Wind ins Gesicht und der federleichte Pulverschnee zu meinen Füßen gerät in Bewegung. Ich ziehe die Neoprenmaske auf und schaue auf die Uhr: Für mich ist ganz klar: Wenn der Wind in den nächsten ein, zwei Stunden stärker wird, gehe ich zurück nach Kutjaure. Ich habe bis Røysvatn rund 60 km in schwierigem Gelände vor mir, das sind selbst bei optimalen Verhältnissen drei stramme Tagesetappen. Wind bei -30 Grad kann ich da echt nicht gebrauchen.



                  Doch schon nach knapp einer halben Stunde hat der Wind sich wieder gelegt, und nach einer kurzen Denk- und Schokopause entscheide ich mich dafür, weiter zu gehen. Ich folge dem Sieberjåhkå, mal am linken, mal am rechten Flussufer, immer die Grenzmarkierungen des Padjelanta-Nationalparks im Blick. In der sumpfigen Ebene des Bajkasjávrre sind viele kleine Bergnasen auf der Karte eingezeichnet, das Ganze sieht ziemlich unpassierbar aus. Doch als ich dort ankomme, erweist es sich als unkompliziert, ohne große Umwege mitten zwischen den Hügeln durch zu gehen.



                  Die absolute Windstille und der Sonnenschein sind geradezu gespenstisch. Es ist bitter, bitter kalt. In jeder kleinen Senke steht die Kaltluft, und ich achte bei den Pausen darauf, jedesmal ein Hügelchen zu erklimmen. Und kurz sind die Pausen, sonst wird mir zu kalt; ein paar Schlucke Tee, ein Stück Schokolade.
                  Ich bewege mich recht langsam, besonders bei Steigungen, um allzu tiefe Atemzuge zu vermeiden. Den Stibokjaure, der den Sieberjåhkå speist, und den nördlich davon gelegenen Gálbejávrre umgehe ich lieber - der eiskalte Gang über den Kutjaure ist mir noch in bester Erinnerung. Stattdessen steige ich den Gålogielas hinauf, einen flachen Höhenrücken, der die beiden Seen trennt. Buchstäblich mit jedem Meter, den ich aus dem Flusstal aufsteige, merke ich, wie es "wärmer" wird (ein relativer Begriff). Mitten auf dem Bergrücken, etwa 60 Höhenmeter über den Seen, schlage ich bei einem großen Rentiergatter das Zelt auf.



                  Als die wärmende Sonne verschwindet, sinkt die Lufttemperatur rasch: -20 Grad, -22 Grad. Als ich gegen 21:00 Uhr in den Schlafsack krieche, ist es im Zelt -27 Grad. Ich bin heilfroh, nicht unten am Seeufer zu sein.


                  22. März 2008
                  8. Tag: Gålogielas–Skájdevarre (ca. 22 km)







                  Als ich um sieben Uhr aufwache ist es im Zelt etwas wärmer, etwa -17 Grad, den die Sonne ist schon aufgegangen. Ich frühstücke und packe in zwei Stunden; um 9:15 stehe ich auf den Ski.

                  Zuerst geht heute es zwei km leicht bergab, den Gålogielas hinunter, und danach ein halbes Stündchen über den Gálbejávrre (kalt, kalt, kalt!). Dann steige ich das kleine Tal zwischen Oarjep Gálbek und Nuortap Gálbek hinauf. Das Gelände gespickt ist mit nickeligen Steigungen , tief eingeschnittenen Bachläufen, Geröllwällen. Die Entdeckung einer Bilderbuch-Vielfraßspur versüßt mir den Aufstieg. Der typische "Dreisprung", der beim charakteristischen Diagonalgalopp des Vielfraßes entsteht, ist sehr gut zu erkennen. Die Spur führt hin und her, kreuz und quer durch das Tal, und obwohl der Vielfraß wahrscheinlich inzwischen 30 km weit entfernt ist (oder feixend irgendwo hoch oben am Hang hinter einem Felsen sitzt und mir beim Pulkaschleppen zuschaut) besteht meine Beschäftigungstherapie für die nächsten anderthalb Stunden darin, ihn hinter jedem kleinen Hügelchen vor mir zu vermuten. Vom Järv natürlich keine Spur. Aber Spaß macht die "Vielfraßjagd" trotzdem.




                  In meinem Rücken die ganze Zeit zu sehen: Das Akkamassiv:




                  Das Tal öffnet sich schließlich zu einer kleinen Hochebene, Biernnaskåhppe, die nach Norden hin zum Valldajahka abfällt. Der Begriff Hochebene passt nicht wirklich: Wieder zahllose Buckel, Bachtäler, Felsbänder und -rinnen, die allesamt quer zu meiner Laufrichtung verlaufen. Und so folgt eine zwar insgesamt nette, jedoch von zahllosen Denkpausen unterbrochene Abfahrt entlang des Suollajåhkå:



                  Und nochmal, mit nachgezeichnerter Abfahrtsspur:




                  Ich komme ziemlich genau an der Sommerbrücke heraus, die demontiert ist und auf einem großen, schneefreien Felsblock ruht. Von dort laufe ich Richtung Nordwest quer über den Valldajåhkå und dann über eine große Sumpffläche, hinter der der nächste Aufstieg auf den Skáidevarre beginnt. Unten im Flußtal mache ich Pause (strategischer Fehler: kalt!). Am Skáidevarre steige ich so steil wie möglich mit Spitzkehren auf, um schnell Höhe zu machen; auf ca. 700 m Höhe gehe ich dann ohne größere Hindernisse die glatt gehobelte Ostflanke entlang und bestaune das Gerümpel im Talgrund hundert Höhenmeter unter mir.









                  Da ich mich 400 unterhalb des Gipfelzugs bewege, verschwindet die Sonne früh. Schon um 17:00 laufe ich im Schatten; sofort hat es -24, -25 Grad; es ist wirklich nicht mehr feierlich. Um 17:45 finde ich auf ca. 730 m Höhe einen kleinen flachen Sockel für das Zelt. Ich wäre heute gern noch fünf, sechs km weiter gekommen, aber die Kälte beginnt mir ernsthafte Sorgen zu bereiten. Es ist definitiv viel zu kalt für die Ausrüstung, die ich mit habe, und ich möchte deshalb zumindest halbwegs ausgeruht und nicht völlig ausgepowert in den Schlafsack kriechen. Ich koche heute, was am schnellsten geht: Tortellini mit Tomatensoße, dann heiße Fruchtsuppe, heißen Kakao, Grießbrei, Tee, und noch eine Tafel Schokolade hinterher. Essen wärmt von innen, heißt die Devise.
                  Vor dem Schlafengehen kontrolliere ich die Temperatur, diesmal vor dem Zelt: -31 Grad. Wie war das noch mal gewesen: Wetterumschwung? Von wegen. Ich tröste mich damit, das es noch schlimmer sein könnte. Zum Beispiel könnte mein Zelt 120 Höhenmeter tiefer stehen, am Skáidejåhkå, wo der Sommerweg verläuft...



                  23. März 2008
                  9.Tag: Skájdevarre–Røysvatn (ca. 22 km)


                  Ich ziehe in dieser Nacht, bis auf Softshellhose und Goretex-Jacke, alles an, was ich an "Wärmespendern" habe: Unten lange Unterhose und Fleecehose, obenrum dünnes Unterhemd, dickes Unterhemd, Angorahemd, Daunenweste und Softshellhacke. Ich stelle mich auf eine bibbernde Nacht ein, doch erstaunlicherweise schlafe ich recht bald ein und schlafe, bis morgens um halb sieben, sogar halbwegs durch. Trotzdem fühle ich mich morgens gerädert und etwas entnervt. Ich diagnostiziere einen mentalen Kälteschaden, der nur durch einen unverzüglichen, warmen Hüttenaufenthalt zu kurieren ist. Eine Alternative besteht sowieso nicht, denn der Schlafsack hat in den letzten beiden Nächten arg an Loft verloren; noch so eine Nacht ist nicht drin.



                  Um kurz vor neun ziehe ich los. Die Sonne scheint gleißend vom wolkenlosen blauen Himmel, so dass die Nacht bald vergessen ist.



                  Und dann noch eine gemütliche Hütte in Aussicht: Es ist einfach ein herrlicher Tag. Ich halte mich zunächst weiter auf ca. 720 m Höhe, bis ich nach einer Stunde einen kleinen Sattel mit einer Reihe kleiner Seen erreiche, die in den Jiegnájávrásj entwässern. Ich umrunde die westlichen Ausläufer des Gáissemierro und dann die namenlose Höhe 992. Eigentlich wollte ich von hier mehr oder weniger dem Sommerweg folgen, um dann über die Südflanke des Rikkek gen Sårgåjávrre abzufahren. Aber der Rikkek und der Canyon, der sich längs der Südflanke eingefräst hat, sind eindeutig kein Skigelände. Mir ist schleierhaft, wie ein Fluss, der (auch wenn es eine Eiszeit her ist) eine derartig furchterregendes Gerümpel hinterlassen hat, namenlos bleiben konnte. Und so taufe ich ihn kurzerhand auf den Namen "Arnejåhkå" und halte den gebotenen Abstand. Stattdessen fahre ich direkt zum Rikkejåhkå ab, bzw. ich lande da, den zielgerichtet abfahren ist etwas schwierig. Das ganze Gelände zwischen Rikkek und Sårgåjávrre ist eine einzige glaciale Trümmerlandschaft. Was auf der Karte wie eine Seenplatte aussieht, sind die Überreste zahlloser Flüsse, die vor Urzeiten Richtung Sårgåjávrre geflossen sind. Canyons und metertiefe Rinnen quer zum Hang, unzählige Löcher, Senken und Hügelchen, schneefreie, manchmal zehn m hohe Felsbänder. Sobald ich in die erste Senke hineingefahren bin, ist der Sichthorizont gleich Null, und das taktische Spielchen beginnt. Gegenanstieg aus dem Loch heraus, dann Laufen quer zum Hang, bis eine gangbare Stelle für die Abfahrt in den nächsten Canyon gefunden ist, usw.







                  Das Ganze ist wegen der zahllosen Gegenanstiege nicht nur physisch anstrengend, sondern auch mental fordernd. Es braucht einen guten Blick und vor allem viel Geduld. Hetzen bringt gar nichts, auch wenn mir schwant, dass es ein langer Tag werden wird. Zum ersten Mal seit Tagen hadere ich nicht mit dem Wetter. Wenn jetzt Nebel aufziehen würde, müsste ich das Zelt aufstellen aufstellen und abwarten. Ohne Sicht kann man in diesem Gelände keinen Schritt tun.

                  Es ist ein Tag von außerirdischer Schönheit. All die verschneiten Falten, Runzeln und Löcher der Bergrücken sind tiefblau verschattet. Und immer wieder sehe ich, wenn ich mal wieder ratlos an einem Vorsprung stehe, meinen eigenen, langgezogenen Schatten tief unter mir.









                  Vom Jiegnájávrásj bis zum Rikkejåhkå brauche ich anderthalb Stunden; und dann noch mal zwei Stunden ständiges Auf und Ab bis zum nordwestlichen Ausläufer des Sårgåjávrre. Am Seeufer mache ich eine kurze Pause im Sonnenschein. Der Blick nach Südwest auf das Akkamassiv ist einfach atemberaubend, ich kann mich gar nicht sattsehen.







                  Doch die Kälte bringt mich schließlich wieder auf die Beine. Außerdem ist es schon Viertel nach drei, und von hier nach Røysvatn sind es noch etwa acht km und 300 Höhenmeter Aufstieg – plus x Gegenanstiege, denn das Gelände ist genau so wie das Stück, das ich gerade hinter mich gebracht habe. Ich steige über kleinen Berg Ähpárijtjårro vom Seeufer auf und suche mir dann in großen Schleifen meinen Weg nordwärts. Ein besonders hohes Felsband beschäftigt mich fast eine halbe Stunde, solange laufe ich, erst nach links und dann nach rechts, unten entlang, bis ich eine Scharte für den Aufstieg finde. Kurz danach reißt eines der Stahlseile des Pulkagestänges. Ja, ich hätte auch einfach das Originalgestänge mitnehmen können. Aber ich bastle nun mal für mein Leben gern... Also, Leatherman raus, Pulkagestänge abmontiert, Repschnüre angeknotet. Abgesehen davon mache ich keine Pause mehr bis zur Hütte. Nur noch einmal bleibe ich stehen, um das mittlerweile ca. 50 km Luftlinie entfernte Akkamassiv zu bewundern, das in den letzten Strahlen der Abendsonne leuchtet. Der Anblick entschädigt für alles.



                  Ich sehe die Hütten schon aus anderthalb km Entfernung, doch sie verschwinden noch mehrfach aus meinem Blickfeld, weil ich immer wieder in kleinen Senken abtauche. Um 18:45 Uhr stehe ich endlich vorm Haupthaus. Fast 10 Stunden auf Ski, von wenigen kurzen Pausen abgesehen. Nach Karte bin ich etwa 18 km und 400 Höhenmeter gegangen, die unzähligen Schleifen und Umgehungen mitgerechnet, wohl eher 22 km. Und wie viele Höhenmeter, möchte ich lieber nicht so genau wissen.



                  Die Hütten sind unbewohnt, also auch nicht vorgewärmt. Schade, etwas Gesellschaft hätte mich nach den drei Tagen Einsamkeit sehr gefreut. Da ich allein bin, ziehe ich nicht in das Haupthaus, sondern die Lillestuga. Mangels Schlüssel muss ich den Türbeschlag mit dem leatherman aufschrauben; die peinlichen Details dazu lassen sich hier nachlesen (Post 14)...
                  Die Hütte ist wahnsinnig schön: Zwölf Quadratmeter pure Gemütlichkeit, und vor allem schnell aufzuheizen. In der Hütte, die laut Gästebuch zuletzt vor fünf Tagen besucht wurde, herrschen minus sieben Grad − geradezu kuschelig, wobei mir jetzt auffällt, dass ich den ganzen Tag über nicht einmal auf das Thermometer geschaut habe. Irgendwie ist mir in der letzten Nacht jegliches Interesse an Temperaturstatistik verloren gegangen. Jetzt schüre ich den kleinen Kanonenofen, hänge den Schlafsack zum Trocknen auf, koche eine Thermoskanne Tee, setzte mich auf einen Stuhl und tue dann etwa eine Stunde lang nichts, außer das Feuer zu füttern. Auf den letzten drei, vier km bin ich ganz schön auf dem Zahnfleisch gegangen, und mein Magen hat geknurrt wie wild. Jetzt bin ich eher jenseits von Gut und Böse und ziemlich aufgekratzt. Erst gegen halb neun beginne ich zu kochen und esse ohne großen Appetit: Etwas Suppe, Rentierfleisch und Knäckebrot. Dann lege ich mich ins Bett und schlafe wie ein Stein.
                  Zuletzt geändert von ; 30.01.2009, 18:10.
                  Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
                  (@neural_meduza)

                  Kommentar


                  • Moltebaer
                    Freak

                    Liebt das Forum
                    • 21.06.2006
                    • 12313
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                    Das lädt zum Träumen ein, sind echt klasse Bilder dabei.

                    Zitat von Sarekmaniac


                    Schöne Landschaft mit Spitzenwetter, herrlich.
                    Wandern auf Ísland?
                    ICE-SAR: Ekki týnast!

                    Kommentar


                    • acet
                      Gerne im Forum
                      • 12.06.2006
                      • 80

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                      haste dir das brennholz selbst gesammelt oder ist das an den Hütten aufgestapelt?
                      Gefundene Rechtschreibfehler dürfen behalten werden

                      Kommentar


                      • Sarekmaniac
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 19.11.2008
                        • 10958
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                        Zitat von acet Beitrag anzeigen
                        haste dir das brennholz selbst gesammelt oder ist das an den Hütten aufgestapelt?

                        Das Holz zum Heizen kommt aus den Holzschuppen bei den Hütten. Sammeln ist nicht (zu viel Schnee, und vor allem: Keine Bäume)
                        Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
                        (@neural_meduza)

                        Kommentar


                        • p.casso
                          Erfahren
                          • 19.02.2008
                          • 106
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                          Es ist eine wahre Freude, Deinen Bericht zu lesen. Herzlichen Dank.
                          Das Leben liebt das Gleichgewicht!

                          Laotse

                          Kommentar


                          • J.page
                            Erfahren
                            • 09.05.2008
                            • 451
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                            Hej Barbara
                            es ist immer schön bekannte Gesichter zusehen .... die Welt ist ein Dorf..hab die beiden 2005 auch in Parte getroffen

                            gruss Jonas

                            ...NICHTS GEHT IM LEBEN DER STERBLICHEN AUCH NUR EIN STÜCK WEIT OHNE UNHEIL...

                            Kommentar


                            • Schwede
                              Erfahren
                              • 09.10.2008
                              • 134
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                              Hej! Hej!

                              Dein Bericht ist Klasse!

                              Wir waren schon oft dort oben - aber immer im Sommer.
                              Habe irgendwie Muffe im Winter dort mit Zelt - ich schwitze recht schnell - und wir sind schon seit 9 Jahren kein Ski mehr gefahren.
                              Ich wüßte gar nicht welche Ski & Schuh, geschweige denn Wachs. Und Felle hab´ich das letzte Mal im Yosemite / Californien 1993 genutzt.
                              Aber wenn ich Deine Zeilen lese und die Bilder sehe: TRAUMHAFT!
                              Ich bin am überlegen...

                              Gruß
                              Schwede
                              "Wir haben hier eine merkwürdige Grenze überschritten"
                              "Unsere Welt ist zu einer unwirklichen Welt geworden."

                              Kommentar


                              • Sarekmaniac
                                Freak

                                Liebt das Forum
                                • 19.11.2008
                                • 10958
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #16
                                AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                                Zitat von Schwede Beitrag anzeigen
                                Ich bin am überlegen
                                Überlegen? Was gibt es da denn zu überlegen? Nix wie los!

                                OT: Und morgen geht's weiter. Versprochen
                                Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
                                (@neural_meduza)

                                Kommentar


                                • Schwede
                                  Erfahren
                                  • 09.10.2008
                                  • 134
                                  • Privat

                                  • Meine Reisen

                                  #17
                                  AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                                  Zitat von Sarekmaniac Beitrag anzeigen
                                  Überlegen? Was gibt es da denn zu überlegen? Nix wie los!

                                  Drängel mich net.
                                  Bin älterer Herr. Das braucht etwas.
                                  Dieses Jahr ist erstmal IM angesagt.

                                  Kann ich Dich was fragen, wenn Fragen auftreten?

                                  Gruß
                                  Schwede
                                  "Wir haben hier eine merkwürdige Grenze überschritten"
                                  "Unsere Welt ist zu einer unwirklichen Welt geworden."

                                  Kommentar


                                  • Gast-Avatar

                                    #18
                                    AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                                    Da gibts kein Zögern Schwede... hab gerade die Pulka gepackt, am Wochenende gehts in das midvinterliche Fjäll...

                                    Kommentar


                                    • Schwede
                                      Erfahren
                                      • 09.10.2008
                                      • 134
                                      • Privat

                                      • Meine Reisen

                                      #19
                                      AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                                      Ich schrieb doch: Dieses Jahr IM!

                                      Nextes Jahr?

                                      Aber was ist mit Skiern? Wahrscheinlich müssen mein Weibchen & ich erstmal einen kleinen Urlaub machen, um wieder auf Skiern stehen zu können?!?
                                      Welche Ski nutzt Ihr? Sind die vergleichbar mit den im alpenländlichen gebräuchlichen 90er Jahre Touren-Skiern?
                                      Waxen?
                                      Oder geh´ ich einfach zum Globi?

                                      DAS WEIß´ ICH NET! DAS SIND MEINE ????????

                                      Der Rest wie Kondition, Proviant, Kleidung - Gelächter!

                                      Danke fürs Mutmachen. !!!!

                                      Wartet ab: Dieses Jahr nach dem IM Switzerland kommt im September erstmal eine schöne LANGE Sarektour...
                                      und dann...
                                      wer weiß...?!

                                      Gruß
                                      Schwede
                                      "Wir haben hier eine merkwürdige Grenze überschritten"
                                      "Unsere Welt ist zu einer unwirklichen Welt geworden."

                                      Kommentar


                                      • Stev
                                        Erfahren
                                        • 17.01.2006
                                        • 440
                                        • Privat

                                        • Meine Reisen

                                        #20
                                        AW: [SE, NO] Eine Skitour von Kebnats nach Vakkotavare - 300 km rund um den Akkajaure

                                        Einfach nur schöööööön.
                                        Vielleicht bekomme ich es auch mal im Winter hin. Sommer und Herbst habe ich schon einige mal durch aber der Winter fehlt mir noch.
                                        Stev
                                        Die 3 Feinde der Programmierer: Sonne, Frischluft und das ewige Gebrüll der Vögel.

                                        Kommentar

                                        Lädt...
                                        X