[PT][ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

Einklappen

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • cd
    Alter Hase
    • 18.01.2005
    • 2983
    • Privat

    • Meine Reisen

    #21
    AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

    Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
    Wollte mal sehen ob es gelesen wird.
    Aber natürlich wird das gelesen!

    Ich finde diesen Bericht echt genial, toller Schreibstil, toll zu lesen, herrlich.
    Außerdem finde ich es sehr interessant, zu lesen, wie es auf "dem" Jakobsweg so zugeht.
    Weiter so, ich freue mich auf die Fortsetzungen!

    chris

    Kommentar


    • paddel
      Fuchs
      • 25.04.2007
      • 1864
      • Privat

      • Meine Reisen

      #22
      AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

      Aber natürlich wird das gelesen!

      Ich finde diesen Bericht echt genial, toller Schreibstil, toll zu lesen, herrlich.
      Außerdem finde ich es sehr interessant, zu lesen, wie es auf "dem" Jakobsweg so zugeht.
      Weiter so, ich freue mich auf die Fortsetzungen!
      Das kann ich nur bestätigen.

      Super Bericht!!!
      Froh schlägt das Herz im Reisekittel,
      vorausgesetzt man hat die Mittel.

      W.Busch

      Kommentar


      • BlaesFevrier
        Dauerbesucher
        • 11.05.2007
        • 557

        • Meine Reisen

        #23
        AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

        Daß ich Dein "Geschreibsel" für die Sahnestücke unserer Reiseberichte halte, hab' ich ja schon mal gesagt. Die anderen hier scheinen da auch meiner Meinung zu sein.
        Aber Lust, den Weg auch zu laufen, machen mir Deine Zeilen nicht. Im Gegenteil: Du klingst - besonders im aktuellen Abschnitt - überwiegend eher sehr frustriert, kann das sein?
        Zuletzt geändert von BlaesFevrier; 13.07.2008, 22:18.

        Kommentar


        • Werner Hohn
          Freak
          Liebt das Forum
          • 05.08.2005
          • 10870
          • Privat

          • Meine Reisen

          #24
          AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

          Ja, stimmt. Obwohl ich damit gerechnet hatte, war ich am Anfang doch sehr frustriert. Weniger tagsüber, eher abends in den Herbergen. Bergwanderer die viel in überfüllten Hütten übernachten können das eventuell nachvollziehen.

          Gut, dass das so rübergekommen ist; hoffentlich kommt der Rest auch so rüber, denn es geht nicht so weiter.
          Ein kleines vorgezogenes Fazit: Es war eine "Super Jeile Zick" um einen Kölner Bänkelsänger zu zitieren.

          Werner
          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 14.07.2008, 13:25.
          .

          Kommentar


          • hotdog
            Freak

            Liebt das Forum
            • 15.10.2007
            • 16106
            • Privat

            • Meine Reisen

            #25
            AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

            Bemerkenswert, dass deine Bilder die Überfüllung nicht widerspiegeln. Wie lange musstest du an deinen Motiven ausharren bis kein Mensch mehr ins Bild gelatscht ist? Ich bin dafür immer zu ungeduldig...

            Schöne Lektüre übrigens. Danke!
            Arrivederci, farewell, adieu, sayonara WAI! "Ja, wo läuft es denn? Wo läuft es denn hin?"

            Kommentar


            • Juniper
              Erfahren
              • 12.09.2006
              • 153
              • Privat

              • Meine Reisen

              #26
              AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

              Ich kann mich den anderen nur anschließen, Werner: ein toller Bericht !

              Das der Camino ziemlich überfüllt ist, habe ich im Sommer 2003 auch so empfunden. Wir mussten damals mal einen Tag "gegen den Strom" wandern (hatte meinen Geldbeutel am Schlafplatz liegen lassen) und uns sind innerhalb der ersten 4 Stunden über 100 Leute entgegengekommen. Danach habe ich aufgehört zu zählen...
              Deine Persönlichkeit ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.

              Kommentar


              • Werner Hohn
                Freak
                Liebt das Forum
                • 05.08.2005
                • 10870
                • Privat

                • Meine Reisen

                #27
                AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                @ hotdog

                Ich musste mich nur um 90° drehen, denn abseits des Weges geht niemand. Es kommen aber noch ein paar Fotos die den Andrang verdeutlichen.

                @ Juniper

                Aha, noch jemand der den Camino kennt. Es sind doch mehr in diesem Forum als gedacht. Bist du den ganzen Weg gegangen?

                Vielen ist der Andrang immer erst am Nachmittag, in der Herberge aufgefallen. Weil fast alle das gleiche Tempo gehen, bekommt man beim Gehen den Anstrum überhaupt nicht mit.
                Da ich nun mal zu denen gehöre, die auf solch einfachen Wegen relativ flott unterwegs sind, zudem mache ich fast nie eine Pause, habe ich jeden Tag das Feld von hinten aufgerollt und hat so einen guten Eindruck von der Konkurrenz.
                Man geht aber nicht den ganz Tag im Pulk. Das verläuft sich relativ schnell. Spätestens an der zweiten Bar hat man alle überholt und ist beinahe alleine unterwegs.

                Bis es hier weiter geht, wird es noch was dauern. Im Augenblick kann ich fast keine Zeit dafür abknappsen.

                Werner
                Zuletzt geändert von Werner Hohn; 20.07.2008, 13:02.
                .

                Kommentar


                • Werner Hohn
                  Freak
                  Liebt das Forum
                  • 05.08.2005
                  • 10870
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                  Samstag, 3. Mai 2008 Weites Land und ein unverhofftes Wiedersehen
                  Etappe: Azofra – Viloria de Rioja
                  Tageskilometer: 30 Gesamtkilometer: 167
                  Unterkunft: Refugio Acacio & Orietta


                  Meseta und Berge
                  Grüne Getreidefelder, die sich im Wind wiegen, dazwischen eine Staubpiste und in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Sierra de la Demanda. Keine Zäune, keine Mauern, von Wäldern ganz zu schweigen engen die Landschaft ein. Gelegentlich ein Baum mitten auf dem Feld, ein paar kümmerliche Sträucher am Wegesrand, roter Mohn, ein Zistrosenbusch, der in voller Blüte steht, hin und wieder ein gelber Pfeil, eine einsame Scheune, ein bröckelndes Wegkreuz - mehr Abwechslung wird dem Auge nicht geboten.
                  Hinter einem Hügel schiebt sich die Spitze eines Kirchturms hervor um den sich einige lehmbraune, verwitterte Häuser drängen. Kaum aufgetaucht, verschwindet das Dorf schon wieder hinter der nächsten Biegung, als wolle es sich vor den Fremden verstecken.

                  Gemächlich schlängelt sich die Piste durch die Felder, nimmt in sanften Kurven die nächste Anhöhe, fällt dann plötzlich steil in die flache Senke, um dann schnurgerade in der Ebene auszulaufen. Bis sich das Ganze wiederholt, Kilometer um Kilometer.

                  Ich bin auf der Meseta, auf der Hochebene die fast die ganze Iberische Halbinsel bedeckt, unterwegs. Es gibt Menschen, die wollen hier nicht hin, für die ist die Meseta eine Zumutung und nehmen folglich den Bus. Stundenlanges Gehen in vermeintlich monotoner Landschaft wirkt auf viele abschreckend. Auf mich nicht, ich will hierhin, und das wegen dieser angeblich monotonen Landschaft. Meditatives Gehen, seinen Gedanken freien Lauf lassen, nirgendwo kann man das besser als auf dem Weg durch die Meseta, ganz besonders um diese frühe Tageszeit.


                  Endlose Wege in der Meseta
                  Eigentlich sollte ich mich bei meine Mitschläfern aus der alten Schule bedanken, denn ich wollte viel später los. Gestern Abend hatte Jenny, die Frau kommt aus Holland und denkt praktisch, den Vorschlag gemacht; dass, wenn wir nur 10 Leute in der Notunterkunft sind, uns auch auf langes Ausschlafen einigen könnten. Leider hatte sie nur in mir einen Gleichgesinnten gefunden. Folglich irrten die Ersten wieder vor 6 Uhr mit ihren Taschenlampen durch den ehemaligen Klassenraum. Für Jenny ein gefundenes Fressen und Anlass für einen nicht sonderlich schmeichelhaften schriftlichen Kommentar an der Schultafel über die „bescheuerten“ Deutschen, immerhin auf Holländisch.

                  Jetzt, Stunden später, bin ich den Frühaufstehern dankbar. In Santo Domingo de la Calzada bin ich zwar so früh, dass ich die Kathedrale mit dem berühmten Hühnerkäfig verschlossen vorfinde, dafür laufen mir aber Hahn und Huhn in einem Weidenkorb übern Weg. Ein Mann bringt die Tiere in ihre „Unterkunft“, in die Pilgerherberge. Das Federvieh wird regelmäßig ausgetauscht und kann sich in der Pilgerunterkunft von den Strapazen des Kirchenlebens erholen.

                  Irgendwo zwischen der ehemaligen Bischofsstadt und Grañon laufe ich auf Marius auf und bleibe bei ihm hängen. Marius ist halb so alt wie ich, wohnt in Rheinhessen, will nur bis Astorga, denn den Rest bis Santiago hat er im letzten Jahr schon kennengelernt. Er weiß genau wo er heute hin will. Marius will nach Viloria de Rioja, dort soll es eine gemütliche und stimmige Herberge geben, die zudem auch sehr gepflegt sein soll. Unter „stimmig“ kann ich mir zwar nichts Genaues vorstellen, aber im Internet wird die Unterkunft anscheinend übern Klee gelobt. Mir soll’s auch egal sein, denn ich will nach Belorado, mindestens.

                  Marius hat nicht zuviel versprochen. Außen Schrott, innen Top. Frisch renoviert, sauber und was viel wichtiger ist, nur 16 Betten. Marius bleibt, ich auch. Belorado fällt aus. Wir haben die freie Bettenwahl, was um die Mittagszeit nicht weiter verwunderlich ist. Bei Orietta, sie ist aus Italien, und Acacio, er stammt aus Brasilien, die beiden betreiben die Herberge, hängt der Haussegen schief. Er surft nur im Internet, was ihr überhaupt nicht passt, denn die Arbeit bleibt an Orietta hängen. Solange hier nicht die Teller fliegen , soll es uns egal sein.


                  Meseta und Hügel
                  Aber was macht man um diese Uhrzeit in einem Nest mit dreißig Häusern? Duschen, Wäsche waschen, eine Tasse Kaffee, Pilger gucken, fertig. Beim obligatorischen Rundgang durchs Dorf erfahren wir, dass es hier vor Jahren zwei Bäcker, einen Metzger und die obligatorische Bar gab. Sogar die gibt es nicht mehr. Eine freundliche Bewohnerin, die zusammen mit ihrem Schäferhund auf der Straße in der Sonne sitzt und uns das alles erzählt, spendiert Marius eine Dose Bier und mir ein Glas Wasser. Weil ihr das Glas Wasser doch zu schäbig vorkommt, bekomme ich zusätzlich eine Orange. Freundliches Spanien.
                  Und dann? Rumlungern vor der Herberge, was sonst. Weil kein anderer da ist und mir gerade danach ist, drücke ich Marius meine komplette Lebensgeschichte ins Ohr. Da er sich nicht sonderlich wehrt, die meiner Kinder direkt hinterher. Zeit totschlagen in der spanischen Provinz.

                  Nach und nach treffen unsere Mitschläfer für die Nacht ein. Ein altes Ehepaar aus Hamburg die gesundheitsbedingt nur Teilstrecken zu Fuß gehen; Paul, ein Deutscher der in Spanien lebt und Franco, ein Spanier aus Madrid. Es ist kaum zu glauben, die Herberge ist noch nicht mal zur Hälfte belegt. Woanders rennen die Leute damit sie ein Bett bekommen und hier kann man sich ausbreiten.

                  Als letzte, kurz vor dem gemeinsamen Abendessen, kommt noch Maria mit der niemand gerechnet hat. Orietta streckt still und heimlich Reis und Bohnen, schmeißt ein paar Salatblätter zusätzlich in die Schüssel und freut sich über einen zusätzlichen Gast. Wir anderen freuen uns aufs gemeinsame Abendessen. Immerhin ist das Essen warm, und eine Alternative haben wir hier nicht. Gut gelaunt, aber etwas einsilbig sitzt Franco mit am Tisch. Natürlich reden wir alle in unserer Muttersprache, die nun mal nicht die Seinige ist. Fremd im eigenen Land, sagt er mir, komme er sich an einigen Tagen auf dem Camino vor.

                  Maria, die Frau, die mich in Puente la Reina mit „He du, ja du!“ angesprochen hat, würde ich nie wiedersehen. Darauf hätte ich mein gesamtes Bargeld und die PIN-Nummer der Bankkarte verwettet. Nun sitzt sie hier mit uns am Tisch und freut sich übers Essen und vermutlich auch, dass sie mich eingeholt hat. Nicht weil sie mich toll findet, eher weil sie gezeigt hat zu was sie fähig ist. Heute ist sie 43 Kilometer gegangen, gestern waren es 32, macht zusammen 75. Unglaublich! Solche „Und wenn ich dabei hopps gehe, ich schaff das schon“-Etappen kenne ich nur von meiner Frau.


                  Sonntag, 4. Mai 2008 Leise Landschaften
                  Etappe: Viloria de Rioja - Agés
                  Tageskilometer: 36 Gesamtkilometer: 203
                  Unterkunft: Albergue San Rafael (Gemeindeherberge)


                  Kirchentür in Villambistia,Schuhregal in Agés
                  Der Tag beginnt still, fast lautlos. Heute ist Sonntag, vielleicht liegt es ja daran. Wohl nicht, jedenfalls nicht nur. Auch nicht an der Wanderroutine, die sich unweigerlich eingeschlichen hat. Ebenfalls nicht am einsam gelegenen Startort, immerhin bleibt der „Massenstart“ heute Morgen aus.

                  Es ist die Landschaft. Ruhig, lautlos, wie hinter einer dicken Scheibe. Klar, auch an einem Sonntag fahren Autos, laufen schwatzende Pilger über den Jakobsweg, knattert ein Roller mit abgesägtem Auspuff durch Belorado, das in der sonntäglichen Halbnarkose dahindämmert.

                  Es ist tatsächlich die Landschaft. Diese Landschaft schreit nicht, brennt sich nicht für Tage und Wochen in die Erinnerung ein.
                  Nicht mehr groß und weit, wie am vorigen Tag. Bewaldete Hügel blockieren die Sicht in die Ferne. Kein Blick mehr auf die hohen Gipfel im Süden. Kleinteilig, ja kleinlich, unspektakulär zeigt sich das Land hier. Sicher, anfangs sind die Felder noch groß, die Wiesen ebenfalls. Aber kein einzelner freistehender Baum fesselt den Blick, denn baumbestandene Bachläufe durchschneiden die Blickachse. Kaum wird der Wegverlauf sichtbar, verschwindet die staubige Ackerstraße zwischen grünen Hecken. Diese Landschaft ist leise, alltäglich. Mehrmals bleibe ich stehen um mich umzudrehen; denn kaum durchwandert, schon wieder vergessen.

                  Sogar die Fernsicht beim Aufstieg von Villafranca Montes de Oca in die nördlichen Ausläufer der Oca-Berge, immerhin mehr als 1.100 Meter hoch, ist unspektakulär. Die Kombination aus frühsommerlichen Mittagsdunst und kahlen, beinahe schwarzen Laubbäumen erinnert eher an altbekannte Blicke in dunkle Täler deutscher Mittelgebirge, als ans heitere, lichtdurchflutete südliche Europa.
                  Spanien hat heute sein Alltagsgewand an, nicht passend für einen Sonntag mit strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen. Unaufgeregt wie ein Spaziergang zwischen Mittagessen und Kaffee in heimischen Gefilden.

                  Einzig die Feuerschneise, Panzerpiste, Motocross-Rennbahn, was auch immer, jedenfalls grauenvoller als die vielgeschmähten Waldautobahnen unsere Region, bleibt in Erinnerung. Himmel Gott noch mal. Kilometer um Kilometer zieht sich die gut 20 Meter breite Feuerschneise, denn das ist sie tatsächlich, nach Westen. Gibt es wirklich keine Alternative?

                  Und San Juan de Ortega mit seinem Kloster bleibt in Erinnerung. Vielleicht wegen der Piste, wahrscheinlich aber, weil es plötzlich da ist. Ohne Vorwarnung. Eben habe ich noch mit einer Spanierin gesprochen, die sich am Kloster abholen lässt, ihre freien Tage neigen sich dem Ende zu, da waren wir noch im Wald, und jetzt stehen wir am Rand einer großen Lichtung aus der die typischen Türme spanischer Kirchen in den Himmel wachsen. Bis zum UNESCO-Weltkulturerbe hat es das Kloster nicht gebracht, vermutlich noch nicht mal in die gängigen Reiseführer, aber es reckt sich aus diesem Tag hinaus.

                  San Juan de Ortega, Agés oder Atapuerca, in einem der drei Nester wird der Tag heute enden. Ganz gegen meine Gewohnheit habe ich mir vorgenommen auf keinen Fall weiter als Atapuerca zu gehen. Denn danach kommt schon Burgos, und das will ich mir ansehen. Dafür brauch ich einen halben Tag - mindestens. Also, eines der drei Nester wird’s werden. Nester sind es tatsächlich. Atapuerca hat etwas mehr als 200 Einwohner, Agés noch keine 60 und San Juan de Ortega, ein Weiler der nur aus einem alten Kloster sowie ein paar Häusern besteht, noch weniger. In allen Orten gibt es jedoch eine Unterkunft, sprich eine Pilgerherberge. Das reicht vollkommen, um die Käffer ins Bewusstsein der pilgernden Weltöffentlichkeit zu rücken.

                  Es wird dann Agés. Warum? Es war einfach da und die Gemeindeherberge hatte noch ein paar Betten frei. Mehr braucht’s nicht. Nachmittags quillt der winzige Ort vor Pilgern über, sodass die Nachzügler weitergeschickt werden. Maria gehört auch dazu. Vermutlich ist sie die Letzte die in Atapuerca noch ein Bett bekommt. Zwar auf dem Flur, aber immerhin.

                  Und ich? Das Kirchlein besichtigen, sonst gibt es nichts; danach der Versuch einer Wandergruppe aus Belgien die Einsamkeit der Vía de la Plata nahezubringen; im Windschatten eines Getränkeautomats der Wäsche beim Trocknen zusehen; beim gemeinsamen Abendessen in der Bar, mangels Alternative sind alle da, muss die Vía noch mal ran. Eine Dänin, eine Deutsche und ein Österreicher sind dankbare(?) Zuhörer meiner wehmütigen Erinnerungen.
                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 31.12.2015, 16:05. Grund: Die finale Runde?
                  .

                  Kommentar


                  • Bleausard
                    Erfahren
                    • 24.04.2008
                    • 146
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                    Hallo Werner,

                    freue mich, wenn Du in Burgos ankommst, denn ab dann werde ich Dir gedanklich auf Schritt und Tritt folgen können ;)

                    Mach weiter so, halte durch, es liest sich großartig und so toll, dass ich mein eigenes Tagebuch, an dem ich ca. eineinhalb Jahre gesessen habe, bzw. noch sitze (bin sozusagen da gerade mal nach ca. 90 Din A4 Seiten in Santiago angekommen) wohl wegwerfen werde.

                    Jens

                    Kommentar


                    • jasper

                      Fuchs
                      • 02.06.2003
                      • 2462
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #30
                      AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                      Hallo Werner,

                      kann mich dem als eifriger Mitleser nur anschließen! Weiter so!!!
                      Ich begehe den Jakobsweg auch jeden Morgen ca. 100 Meter, wenn ich mit dem Hund raus gehe!

                      MfG,

                      Jasper
                      www.backcountry-hiking.de
                      ... unterwegs in der Natur

                      Kommentar


                      • heron
                        Fuchs
                        • 07.08.2006
                        • 1745

                        • Meine Reisen

                        #31
                        AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                        Hallo Werner

                        Ein ausserordentlicher Lesegenuss!

                        Die Bilder und dein Bericht zur Meseta sind jedoch das einzige, was mir Lust auf den "Weg" machen würde. Und solche Landschaften gibts ja glücklicherweise auch anderswo.

                        danke für das Vergnügen und ich warte gerne auf die Fortsetzungen - wenn sie denn kommen.

                        gx
                        sabine
                        Ich habe keine grossen Ambitionen. Still sitze ich und betrachte wohlgemut das Gewimmel der Welt.
                        Ich benötige nur so viel, wie ich mir ohne Anstrengung und Demütigung beschaffen kann. (György Bálint)

                        Kommentar


                        • Gast-Avatar

                          #32
                          AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                          Joho Werner,
                          der Jakobsweg ist weder konzeptionell noch landschaftlich mein Fall, dennoch schaue ich hier jeden Tag rein und hoffe auf eine Fortsetzung. Denn dein Reisebericht ist prosaisch von so hoher Qualität, dass ich nicht wie so häufig von außen, distanziert deine Odyssee verfolge, sondern -wie in einem guten Roman- mich richtiggehend mit dem Herrn Wanderer identifiziere.
                          Absolut top!

                          Kommentar


                          • SwissFlint
                            Lebt im Forum
                            • 31.07.2007
                            • 8569
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #33
                            AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                            Wie soll ich das jetzt formulieren...
                            Pilgerweg... ich bin nun perplex, wie die Leute das anzugehen scheinen.. gehen die nie beten? Sie gehen nicht den ganzen Weg zu Fuss von zuhause aus.. aber warum gehen sie ihn denn überhaupt?

                            Ich habe Nachbarn, die jedes Jahr 3 Tage den Jakobsweg laufen.. immer wieder ein Stück weiter... das kann ich verstehen.. aber das was du erzählst.. das verstehe ich nicht..
                            Zurück von Weltreise! http://ramblingrose.ch/

                            Kommentar


                            • Werner Hohn
                              Freak
                              Liebt das Forum
                              • 05.08.2005
                              • 10870
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #34
                              AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                              Danke Leute, so viel Lob liest man natürlich gerne.

                              Jens, bei mir würde das auch so lange dauern wenn ich nur für mich, bzw. meine Familie schreiben würde. Öffentlich, im Forum, entsteht immer ein gewisser Druck - auch wenn es nur langsam voran geht. Also, wie wär es? Stell deinen Bericht rein.

                              Für deinen Hund, jasper, kommt noch was. Er muss sich aber noch ein paar hundert Kilometer gedulden. Dann treffe ich auf Lili, ein sehr erstaunliches junges "Mädel", die in Begleitung ihrer "Mutter" unterwegs war.

                              heron, sie werden kommen. Es stimmt schon, es gibt schönere Weg und schönere Landschaften, aber nirgendwo sonst gibt sich die Welt so locker und unverkrampft die Hand. Sogar ich als vorsätzlicher Camino-Miesepeter war überrascht.

                              An dich Jan Vincent und deinen Kumpel habe ich unterwegs mehrmals gedacht. "Oh, jetzt jemand mit einer Videokamera!" Der Jakobsweg wäre ein lohnendes Ziel für Männer die mit einer Videokamera umgehen können. Weniger die Landschaft, eher die Typen und das was einige von sich geben.

                              SwissFlint, natürlich sind auch einige "echte" Pilger unterwegs. Darunter einige sehr erstaunliche, mit teils unglaublichen Geschichten, die hier jedoch nicht ausdrücklich in Erscheinung treten werden. Sie sind aber in der Minderzahl.

                              Sinnsucher, Esoterikspezialisten, Krishnajünger, usw. laufen da auch rum. Die Masse sind einfache Wanderer, so wie ich. Allerdings geht die Masse heute Pilgern. Ich war einer der Wenigen, der ausdrücklich als Wanderer unterwegs war.
                              Wenn ich das jetzt vertiefe, nehme ich mir die Themen für die nächsten Tage.

                              Werner
                              .

                              Kommentar


                              • Bleausard
                                Erfahren
                                • 24.04.2008
                                • 146
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #35
                                AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                                Hallo Werner,
                                vermutlich hast Du recht. Aber wie gesagt ich bin jetzt auch "angekommen". Mal sehen, vielleicht stelle ich Teile davon ein. Aber erst wenn ich aus Kanada zurück bin (Oktober). Müsste ja auch ein wenig ändern (wegen Recht am Bild etc...).

                                Jens

                                Kommentar


                                • Werner Hohn
                                  Freak
                                  Liebt das Forum
                                  • 05.08.2005
                                  • 10870
                                  • Privat

                                  • Meine Reisen

                                  #36
                                  AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                                  Montag, 5. Mai 2008 Stadt, Land, Kirche und eine unerfreuliche Geschichte
                                  Etappe: Agés - Burgos
                                  Tageskilometer: 20 Gesamtkilometer: 223
                                  Unterkunft: Herberge „Santiago y Santa Catalina” über der Capilla de la Divina Pastora


                                  Pass vor Burgos / Kathedrale
                                  So grau und dunkel kann Spanien sein. In der Nacht hat es ausgiebig geregnet. Nebel, wenn auch nicht sonderlich dichter, liegt über den Feldern. Das kräftig leuchtende Frühjahrsgrün, das mich seit Beginn der Wanderung begleitet, hat einer farblosen und kraftlosen Herbstvariante weichen müssen. Sogar das Holzkreuz am kleinen Pass, der über eine verbuschte Hochebene führt - an schönen Tagen ist es bestimmt eine weithin sichtbare Landmarke - reckt seine Balken sehr spät in den kaum wahrnehmbaren Himmel.
                                  Das ist der erste Morgen, seitdem ich unterwegs bin, an dem die Sonne nicht zu sehen ist. Noch nicht. Denn schon beim Abstieg vom kleinen Hochplateau leuchtet in der Ferne Burgos überraschend im hellen Sonnenlicht auf. Und das ist erst der Anfang. Innerhalb weniger Minuten - fast sieht es so aus, als wolle uns die Sonne demonstrieren, zu was sie hier im Süden fähig ist – ist der Nebel verschwunden und Spanien leuchtet wieder in den gewohnten Farben.

                                  Nur die in schlammige Lehmpisten verwandelten Wege erinnern noch an den Regen der vergangenen Nacht. Und dieser Lehm hat es in sich. Zäh, unglaublich klebrig und sagenhaft schwer. Nach nur wenigen Schritten haftet unter den Sohlen ein kiloschwerer Brocken dieser graubraunem Pampe, die bei jedem Schritt eine innige Verbindung mit dem Feldweg eingehen will. Vermutlich ist das eine nur hier vorkommende Mischung, extra für den Camino, witzelt eine Amerikanerin, die sich in Trekkingsandalen mehr schlecht als zügig durchs Gelände quält.

                                  Fürs langsame, genussvolle Quälen habe ich heute keine Zeit, denn ich gehe ein imaginäres Rennen gegen vermutlich mehr als zweihundert Mitbewerber. Zum ersten Mal ist es mir nicht egal, wann ich in der Herberge eintreffe, denn für Burgos soll es eine ganz bestimmte sein. Entweder ich schaff’ es bis Mittag bis zur Tür der Herberge „Santiago y Santa Catalina”, die über einer kleinen Kapelle mitten in der Altstadt liegt, oder Burgos fällt wegen „Wandertrieb“ aus.
                                  Am anderen Ende der kastilischen Metropole gibt es zwar noch eine Pilgerunterkunft, aber dann bin ich beinahe schon an der Stadtgrenze, und wie ich mich kenne, würde ich dann doch weiter gehen. Zurück gehe ich nicht gerne und wenn ich schon mal so weit bin ...?

                                  Erster, noch vor 11 Uhr! Klar doch, meine „Mitbewerber“ haben es mir auch zu einfach gemacht. Vor jeder Bar am Weg standen Rucksäcke und legten Zeugnis darüber ab, wer drinnen bei Milchkaffee und belegtem Brot die Zeit verrinnen lässt. Vermutlich bin ich einer der Wenigen, der unbedingt in diese Herberge will, viele werden ins Hotel gehen. Burgos ist ja groß und bietet reichlich Alternativen.


                                  Burgos - Kathedrale und der Koffer des spanischen Nationalhelden
                                  Weil die Herberge nur über achtzehn Betten verfügt, ist innerhalb kürzester Zeit die Rucksackschlange vollzählig. Zur Begrüßung gibt es neben einer Belehrung übers richtige Pilgern, den Betreiber kann man ruhigen Gewissens in die Schublade „Pilgerurgestein mit Abneigung gegen Touristenwanderer“ einordnen, ein Gitarrenkonzert mit klassischer spanischer Gitarrenmusik.
                                  Trotz, eigentlich weil, der Herbergsvater die Freundlichkeit nicht erfunden hat, ist es schön hier. Achtzehn Betten verteilt auf fünf Deutsche, zwei Frauen aus Frankreich, je ein Ehepaar aus Brasilien und Norwegen, ein junger Mann aus Mexiko und sechs Spanier verhindern das in den großen Herbergen oft erlebte Treffen der „Landsmannschaften“.

                                  Die zentrale Lage mitten in der Altstadt, nur wenige hundert Meter sind es bis zur Kathedrale und nur ganz wenige Schritte bis zu den Bars, Kneipen und Restaurants, lässt sich mit Geld nicht bezahlen. Vermutlich nimmt er deshalb nur 5 Euro für die Nacht, oder steckt doch der uralte Pilgergedanke des Helfens, Schützens und Unterkunft geben dahinter?

                                  Und endlich kann ich unter verschiedenen Restaurants wählen, kann mal wieder einen Blick in eine richtige Speisekarte werfen! Was hängt mir das immergleiche, einfallslose „Menu de peregrino“ in den allgegenwärtigen Bars, die sich aufs Abfüttern der Pilger eingeschossen haben, zum Hals raus. Schon das alleine ist Anlass genug den Wandertag mittags in Burgos zu beenden.

                                  Rosi, die Frau mit der ich in Pamplona gestartet bin, läuft mir über den Weg. Das ist ja mal eine Überraschung. Gesundheitsbedingt fährt sie viel mit dem Bus, aber Rosi hatte ich schon lange wieder vergessen.
                                  Gemeinsam besichtigen wir die Kathedrale. Natürlich, die muss man besichtigen, egal ob Christ oder Tourist. Immerhin steht die Kirche auf der Welterbeliste der UNESCO, ragt aber nicht nur deshalb aus einer Reihe stattlicher Bauten aus dem Stadtbild heraus. Die „Catedral Santa Maria“ ist riesig, strahlt nach der Renovierung im reinsten Sandsteinweiß und ist beeindruckend. Leider kommen die Ausmaße im Innern nicht richtig zur Geltung, denn der groß geratene Chorbereich macht alles wieder klein. Da kann noch jeder Fremdenführer oder jedes Begleitblatt auf die Vierung hinweisen. Hier, und nur hier, soll sich die wahre Schönheit und Größe dieser Kirche zeigen. Leute, Fremdenführer, Begleitblattschreiber! Seit ihr schon mal im Kölner Dom gewesen?
                                  Ärgerlich ist nur, dass die Spanier Eintritt für eine Kirche nehmen. Typisch Spanien. Entweder die Kirchen sind verschlossen, oder sie halten die Hand auf. Geld und Religion gehören in Spanien schon seit alters her zusammen.

                                  Vor der Herberge treffe ich am Abend noch Jenny, die Holländerin aus der Herberge in Azofra, sowie Barbara, die war auch mit uns im ehemaligen Klassenzimmer und Tanja. Die drei Frauen erzählen, dass sie kurz vor Burgos von einem Mann sexuell belästigt wurden.
                                  Weil Barbara und Tanja gemeinsam unterwegs waren, konnten sie den Mann, der mit heruntergelassener Hose und eindeutiger Handarbeit aus einem Auto stieg, in die Flucht jagen.
                                  Jenny, die alleine unterwegs ist, musste sich wenig später schon wehren, denn diesmal wurde der Mann - offensichtlich derselbe - sehr zudringlich, beinahe schon gewalttätig.

                                  Für die drei Frauen hat an diesem Montag der Camino, oder die Vorstellung vom Camino, seine Unschuld verloren. Oder wie Jenny es ausdrückte: „Mein Camino ist kaputt!“

                                  Dienstag, 6. Mai 2008 Ein Klassiker feiert Wiederauferstehung: Die Bettenjagd
                                  Etappe: Burgos - Hontanas
                                  Tageskilometer: 30 Gesamtkilometer: 253
                                  Unterkunft: Albergue Municipal (Gemeindeherberge)


                                  Vor Hornillos del Camino // Am Ziel aller Sehnsüchte
                                  Vermutlich hat sich unser Herbergsvater genau das vorgestellt, was er auf seiner Runde entlang der Stockbetten nun zu sehen bekommt. Bis auf drei oder vier Leute sind alle schon weg. Dabei hatte er uns doch gestern Abend eindringlich aufgefordert, nicht vor 8 Uhr loszugehen. Ohne Kommentar stapft er missmutig die Treppe zum Obergeschoss hinauf und wird nicht mehr gesehen. Wenn’s ihm nicht passt, so fragen wir uns, warum tut er sich das an und macht seinen Kontrollgang? Will er täglich seine Meinung bestätigt sehen, dass es keine wahren Pilger mehr gibt? Nun ja, unzählige Male wird er erlebt haben, dass die Menschen eigene Vorstellungen vom Pilgern haben, und die Zukunft wird auch nichts anderes bringen, egal wie missmutig er seine Ansprachen abhält oder schweigend seinen Kontrollgang macht.

                                  Burgos – Santiago, dass sind keine 500 Kilometer mehr. Diese Strecke passt auch in den dreiwöchigen Jahresurlaub, denken bestimmt viele; und so sieht es heute Morgen auch aus. Jede Menge unbekannte Gesichter sind zu sehen. Meist gibt schon von weitem der große vollbepackte Rucksack das erste Indiz, später, beim Näherkommen beseitigt der Blick auf die saubere Hose und die lehmfreien Schuhe die letzten Zweifel. Es wird noch voller werden, das steht unumstößlich fest. Den deutschen Feier- und Brückentagen im Wonnemonat Mai sei’s gedankt.

                                  Noch kämpfen die meisten mehr mit der drückenden Hitze, dem ungewohnten Rucksack, denn mit der angeblichen Bettennot. Immerhin haben einige schon etwas davon gehört. Erstaunlich ist nur, dass die das schon vor ihrer Abreise wussten. Ist auch kein Wunder. Es soll ja Leute geben, die nichts besseres zu tun haben, als ihre tagesfrischen Erlebnisse jeden Abend übers Internet zu verbreiten. Das große Angstthema Betten oder keine Betten nimmt in deren Beschreibungen einen breiten Raum ein. Angst, Grauen und eben der Kampf ums tägliche Überleben verkaufen sich immer gut – und sei es nur der vermeidliche Kampf ums Bett.

                                  Das ist dann doch komisch, wenn man von einem Mann aus Süddeutschland, der den ersten Tag unterwegs ist, detaillierte Infos über die jeweilige Bettensituation in den verschiedenen Orten erhält. Er ist ziemlich enttäuscht, als ich ihm klar mache, dass ich noch immer ein Bett gefunden habe, noch nie draußen schlafen musste, ja, noch nicht mal auf dem Flur oder in einer richtigen Notunterkunft. Meinen Nachsatz, es liege wohl daran, dass ich ziemlich flott unterwegs bin und schon mittags mein Tagespensum runtergespult habe, nimmt er als Bestätigung seiner Meinung. Ja, rennen wolle er nicht, er will auch am Abend noch ein Bett in der Herberge. Tja, da wird er wohl oder übel einige Mal draußen schlafen müssen oder den allseits beliebten Taxidienst in Anspruch nehmen müssen.

                                  Dieser Meinung sind auch Gustavo und Toschi. Seit Hornillos del Camino bin ich mit den beiden unterwegs. Gustavo ist Spanier, lebt aber in Deutschland und ist Fan des FC Schalke 04. Neben persönlichen Gründen, wer hat die hier nicht, ist er für eben diesen Fußballverein nach Santiago unterwegs. Unübersehbar hängt neben der Muschel ein Schalke-Emblem am Rucksack. Ende kommender Saison muss die Schale endlich auf Schalke landen, meint er, und schaden wird es bestimmt nicht, wenn er in seine Beweggründe für die Pilgerung den Verein mit einschließt.
                                  Er hat, obwohl mit dem Land vertraut und seiner Sprache mächtig, alles bis ins Kleinste durchgeplant. Sogar das Hotel für die Rückreise ab Bilbao ist schon gebucht.

                                  Toschi kommt aus dem Osten der Republik. Vielleicht Berlin oder Umgebung. Tonfall und Schnauze lassen keine anderen Schlüsse zu. Toschi hat das ganz spontan gemacht. Auch so ein Kerkeling-„Opfer“. Buch gelesen und entschieden, diesen Weg muss er gehen. Irgendwo hat er einen dreißig Jahre alten Außengestellrucksack aufgetrieben, im Baumark ein Monstrum von Schlafsack erstanden, dazu eine Luxus-Isomatte, ein Sekundenzelt und schon konnte es losgehen.
                                  Saint-Jean-Pied-de-Port, den vermeintlichen Startort des Jakobsweges, hat er nach einer teuren Taxi-Odyssee von Pamplona aus im Morgengrauen erreicht. Dann konnte es endlich losgehen. Hurra, Jakobsweg! Nach zwei Tagen hat er sein Zelt einfach irgendwo stehen gelassen. Lehrgeld, welches jeder zahlt, speziell wenn man einen uralten Rucksack sein eigen nennt, der das ganze Gewicht nur auf die Schultern verteilt. Ob die schwere Isomatte dem Zelt folgen wird, ist noch nicht entschieden. Die könnte zum meist nachgefragten Ausrüstungsgegenstand mutieren.


                                  Hontanas // Hauptstraße
                                  Toschi redet viel. Wirklich. Den Kerkeling kann er auswendig nacherzählen, wenn dann noch Zeit ist schiebt er ohne Mühen die „Herr der Ringe“-Filmtrilogie nach. Sollte der geneigte Zuhörer keine Zeichen des Missfallens von sich geben, kann er auch noch mit einer ausführlichen Inhaltsangabe der Star Wars Filmreihe auftrumpfen. Für Toschi alles kein Problem. Seltsam, es nervt nicht.

                                  Wo die beiden sich gefunden haben, wissen sie schon nicht mehr so genau. Seitdem sind sie mal mehr, mal weniger gemeinsam unterwegs. Im Augenblick mal wieder mehr. An diesem Mittag hänge ich mich einfach mal dran, denn es wird bestimmt unterhaltsam.

                                  Es ist heiß, drückend und diesig geworden. Sogar die Landschaft macht bei diesem Wetter schlapp. Mal wieder typische Mesetalandschaft aus endlosen grünen Getreidefeldern. Ein Land wie ein Ozean. Kaum ein Baum, kaum ein Strauch, hie und da mal eine Wegkreuzung. Das war’s schon. Die Herberge San Bol ersparen wir uns. Dreihundert Meter abseits des Weges, nein, muss nicht sein. Wir sind froh, als endlich dieses verdammte Kaff aus einer Senke auftaucht, in das wir wollen. Hontanas liegt so gut versteckt, dass sogar der Kirchturm erst am Ortsrand sichtbar wird.

                                  Natürlich bekommen wir einen Schlafplatz in der Gemeindeherberge. Aber dann geht es los. Ameisengleich zieht es die Leute nach Hontanas. Die beiden privaten Hostals winken schon lange zur Gemeindeunterkunft durch. Wer bei den Privaten nicht reserviert hat, ist chancenlos.
                                  Schon früh werden die ersten Pilger mit dem Taxi in den nächsten Ort geschickt. Als der Strom der Neuankömmlinge nicht enden will, wird die erste Notunterkunft, später auch die zweite, aufgeschlossen.
                                  Wir sitzen auf der Straße und schauen uns das Schauspiel an. Jenny, die Holländerin, kommt und wird per Taxi in den nächsten Ort verfrachtet. Schön, dass sie trotz ihres gestrigen Erlebnisses wieder unterwegs ist. Am Empfang der Pilgerunterkunft versucht jemand mit einen Stapel Pilgerausweise für sich und seine Wandergruppe Betten zu reservieren. In einer von der öffentlichen Hand geführten Herberge sollte ihm das hoffentlich nicht gelingen. Später kommt ein älterer Mann und verkündet, ihm könne der Trubel nichts anhaben, denn in seinem Rucksack stecke ein Leichtzelt der 1000-Euro-Klasse. Er sei für jeden Notfall gerüstet, und nimmt dann doch das Taxi ins 10 Kilometer entfernte Hotel, womit er bei den interessiert lauschenden Zaungästen Erstaunen auslöst. Wie mag der Notfall definiert sein, bei dem er sein Zelt auspackt?
                                  Wer noch später kommt, wird in einer Garage untergebracht. Darunter ist ein junger Deutscher, der an diesem Morgen vor Burgos gestartet ist, und von einer Herberge zur nächsten weitergereicht wurde. Nach mehr als 50 Kilometern freut er sich über jeden Schlafplatz, auch wenn es eine Matte in einer offenen Garage ist.

                                  Wie nicht anders zu erwarten, ist die Jagd um die Betten mal wieder das Thema des Abends. Anders als noch vor Tagen wird diese Problematik heute ganz unterschiedlich gesehen. Vielen Neuankömmlingen treibt es die Sorgen-, bei einigen sogar die Zornesfalten ins Gesicht. Wir, die schon länger unterwegs sind, haben uns daran gewöhnt und sehen das alles etwas lockerer.

                                  Einig sind wir uns allerdings darüber, dass, wer sich die Zeit fürs Blümchenzählen oder Vogelstimmenlauschen nicht nehmen lassen will, gut zu Fuß sein muss oder seine Etappen verkürzen sollte. Als Alternative sehen wir nur einen gut gefüllten Geldbeutel oder die Kreditkarte. Die Hotels am Weg – sofern es welche gibt - lassen sich ihre Dienste ganz gut bezahlen. Nennt sich Angebot und Nachfrage. Wirtschaftsfaktor Jakobsweg. Viele wollen es nicht wahrhaben, aber so ist es nun mal.
                                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 31.12.2015, 16:19. Grund: Die finale Runde?
                                  .

                                  Kommentar


                                  • paddel
                                    Fuchs
                                    • 25.04.2007
                                    • 1864
                                    • Privat

                                    • Meine Reisen

                                    #37
                                    AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                                    Wirtschaftsfaktor Jakobsweg
                                    Naja, beim Lesen kam mir durchaus der Gedanke ob ich nicht da runter ziehen sollte und ein Hostel am Jakobsweg eröffnen

                                    Ansonsten: Weiterhin super geschrieben, hoch interessant und klasse Fotos!

                                    Grüße!
                                    Froh schlägt das Herz im Reisekittel,
                                    vorausgesetzt man hat die Mittel.

                                    W.Busch

                                    Kommentar


                                    • Werner Hohn
                                      Freak
                                      Liebt das Forum
                                      • 05.08.2005
                                      • 10870
                                      • Privat

                                      • Meine Reisen

                                      #38
                                      AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                                      Haben wir uns auch überlegt. Aber wenn der Erfolg kommt, kommen auch die Einheimischen. Dann musst du als Ausländer teilen, oder dein Leben wird nicht ganz einfach. Alternativ bleibt nur noch eine Pilgerherberge, die auf Spendenbasis betrieben wird. Allerdings bleibt da nichts hängen. Da braucht es schon Freiwillige die gegen Kost und Logis mitarbeiten.

                                      Die Fortsetzung komm noch diese Nacht.

                                      Werner
                                      .

                                      Kommentar


                                      • Werner Hohn
                                        Freak
                                        Liebt das Forum
                                        • 05.08.2005
                                        • 10870
                                        • Privat

                                        • Meine Reisen

                                        #39
                                        AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                                        Mittwoch, 7. Mai 2008 Wiederholungen
                                        Etappe: Hontanas – Boadilla del Camino
                                        Tageskilometer: 30 Gesamtkilometer: 283
                                        Unterkunft: Private Herberge „En el Camino“


                                        Castrojeriz
                                        Vor mir läuft ein Wäschesack. Sogar ein Wäschesack für Kinderwäsche. Jedenfalls lassen die Motive keinen anderen Schluss zu. Doch der Sack wird nicht von einem Kind geschleppt, sondern von Roberto, einem ausgewachsenen Brasilianer und der ist jenseits der 50. In seinen winzigen Rucksack passt nun mal nicht alles rein, und da hat er sich kurzerhand irgendwo einen Wäschesack zugelegt, der nun prallgefüllt an seinem Rucksack baumelt. Ein kurzer Gruß – und vorbei.
                                        Ein paar Schritte davor, Maurice, Franzose, auch 40 plus. Drahtig, sympathisch, einsprachig, aber damit ist er hier nicht allein, und wie die meisten Franzosen mit leichtem Gepäck unterwegs. Drei, vier Worte – und vorbei.
                                        Etwas weiter der deutsche Stammtisch. Mann, die nun wieder! Die wähnte ich weit hinter mir. Vermutlich sind die Frührentner mal wieder Bus gefahren. Ich ahne schon, was kommt wenn ich auf deren Höhe bin. Meckern, Vergleichen, Besserwissen. Stammtisch eben. Die habe ich jetzt schon ein paar mal getroffen und immer war es so. Heute morgen will ich mir das nicht wieder anhören. Da hilft nur eins: Das ohnehin nicht niedrige Tempo noch weiter erhöhen und lautlos anschleichen, damit die Jungs sich erst gar nicht auf mich einstellen können. Hurra, es klappt! Die Vier sind so überrascht, dass ich noch nicht mal eine Erwiderung auf meinen kurzen Gruß bekomme.


                                        Hinter Castrojeriz
                                        Davor zwei pralle Hintern, die von viel zu engen Jeans in Form gepresst werden. Über jedem Hintern schwebt ein zu großer Rucksack mit der obligatorischen Muschel. Von der hoch oben am Deckelfach befestigten Isomatte baumelt typischer Pilgerkitsch, ein Minikalebasse aus Plastik. Das, und die noch in Originalfolie verschweißte Isomatte deuten auf Spanierinnen hin. Letzte Zweifel zerstreut der unaufhörlich Redeschwall der beiden. Dass sie dabei die Breite der ganzen Straße beanspruchen, ist offenbar selbstverständlich. Die reden und reden, und ich versteh’ fast nix. Maschinengewehrartiges, raues Spanisch. Die Spanierinnen kriegen noch nicht mal mit, dass wir unter dem gotischen Torbogen der Klosterruine San Antón durchlaufen. Ihr Redeschwall stoppt jedenfalls nicht für eine Sekunde und ihre Köpfe drehen sich auch nicht zu den Torbögen hoch.

                                        Wir alle sind auf der Landstraße zwischen Hontanas und dem alten Pilgerort Castrojeriz unterwegs. Und da steigen schon die Ersten aus und suchen eine Herberge. Wir sind erst 10 Kilometer unterwegs, sprich grade mal 2 Stunden, aber bei einigen sind die Erlebnisse des gestrigen Tages noch so frisch, dass sie sich schon jetzt um eine Unterkunft bemühen. Anderen steckt, weil es für sie die erste war, die lange Etappe von gestern in den Knochen. Nun ja, die erste Euphorie ist bei einigen Neuankömmlingen verflogen. Schön, bleibt wo ihr wollt, ich muss nur noch über den Pass hinter Castrojeriz und dann bin ich wieder allein in der Weite der Meseta unterwegs.

                                        Wie man sich irren kann. Ja, die Weite, die ist da. Unweigerlich gibt die Weite den Blick auf den Weg frei. Wie Ameisen ziehen die Menschen über die staubigen Feldwege ihren Tageszielen entgegen. Bei denen vor mir kann ich noch die Rucksackmarke erkennen, dann nur noch die Farbe der Kleidung. Immer mehr verlieren sich die Details, bis nur noch schwarze Punkte übrig bleiben, die vom Mittagsdunst verschluckt werden.


                                        Sogar die Meseta verschwindet im Mittagsdunst. Wenn auch heute eine große Landschaft mit viel Raum, so doch kein Anfang, kein Ende, nichts Festes, nichts Bestimmtes. Der Himmel diffus, weich, obwohl hell, lichtlos, kraftlos. Die Farben stumpf, ohne Glanz. Das Land steht, bewegt sich nicht, kein Wind, nicht mal ein Hauch streicht über die Felder. Der Horizont hat seine Grenze verloren. Kein Punkt, keine Linie, kein Übergang vom Land zum Himmel. Land und Himmel, Erde und Luft verschwinden in der Ferne in einem Nichts.

                                        Heute darf man nicht in die Ferne schauen. Heute ist ein Tag fürs Nahesehen. Dann sind die Farben wieder da. Fast unmerklich bewegen sich die Ähren, und wenn man nur bis zur nahen Kuppe schaut, ist auch der Horizont wieder da.

                                        Ich soll da mal rein sehen, hat die Frau zu mir gesagt, und dabei auf den schäbigen Eingang, der eine ebenso schäbige Mauer durchbricht, gezeigt. Ja, so muss das Paradies aussehen. Jedenfalls für Pilger. Grüner gepflegter Rasen, Pool (um diese Jahreszeit noch abgedeckt), saubere Wege, malerisch verteilte Blumenkübel, Terrasse, Sonnenschirme und ein freundlicher Besitzer. Klar hat er noch ein Bett. Die meisten sind schon reserviert, aber einen Schlafsaal hält er immer frei für die die einfach so reinschneien. Eine Tradition, die er beibehalten will, erklärt er. Ich bleibe und bereue es schon bald.


                                        Im Pilgerabseits - Melgar de Yuso
                                        Wahrscheinlich hätte ich mich an jedem anderen Tag hier wohl gefühlt, doch heute ist es die falsche Unterkunft. Die Herberge ist tatsächlich ein Traum. Fünf Sterne Plus - mindestens. Und trotzdem es passt nicht!
                                        Jenny, ist da. Marius, der mich ins Refugio von Viloria de Rioja gelockt hat, ebenfalls. Schön. Aber der Rest? Viel Schickimicki. Modisch auf der Höhe der Zeit. Bunt, grell, alle Farben, die sich die Marketingstrategen für diese Outdoorsaison haben einfallen lassen. Verspiegelte Sonnenbrillen, knatschbunte Treter, Badehandtücher am Pool, Sonnencreme, Gelächter, gute Laune, eiskaltes Bier. Kurz: Urlaubsstimmung wie beim Pauschalurlaub. Überflüssig zu erwähnen, dass mein Rentnerclub von heute früh auch noch eintrudelt. Schlau und organisiert wie die nun mal sind, wussten sie von dieser Herberge und haben reserviert. Auf dem Rasen am Pool gibt es dem Anschein nach nur Einen, der per Zufall hier gelandet ist, und das bin ich.

                                        Ich hätte weitergehen sollen. Weiter nach Fromista mit seiner herrlichen romanischen Kirche. Noch weiter, bis in den Abend. Irgendwo in den kleinen namenlosen Nestern gibt es immer ein Bett. Und warum nicht? Bequemlichkeit? Das sichere Bett für die Nacht? Eh schon vor dem Zeitplan? Vermutlich alles. An Boadilla del Camino kann es nicht gelegen haben. Tot, leblos. Einzig die drei Pilgerunterkünfte sorgen für etwas Leben.

                                        Maria ist in der einfachen Unterkunft in der alten Schule untergekommen. Zwölf Betten, beengt, die Sanitäranlagen nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Dafür ruhig, ursprünglich. Niemand trumpft auf. Kein grüner Rasen, nur ein grauer betonierter Schulhof. Spät am Nachmittag öffnet nebenan die Bar, die von einigen Bewohnern betrieben wird. Luxus, Moderne? Fehlanzeige. Die Einrichtung stammt noch aus der Franco-Ära.
                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 31.03.2013, 13:07. Grund: Fotos nun aus der Galerie neu hochgeladen
                                        .

                                        Kommentar


                                        • Werner Hohn
                                          Freak
                                          Liebt das Forum
                                          • 05.08.2005
                                          • 10870
                                          • Privat

                                          • Meine Reisen

                                          #40
                                          AW: [PT, ES] Drei Caminos und ein Vorspiel im Sand

                                          Zitat von Juno234 Beitrag anzeigen
                                          Schön geschrieben, Werner
                                          Es grüßt der faule Juno/Reinhard, der immer noch mit der Via de la Plata zugange ist
                                          Junge, was hat das gedauert, bis der Groschen gefallen ist. Reinhard? Welcher Reinhard ist auf der Via unterwegs? Dabei wolltest du nur auf die andere hinwiesen.

                                          Schön dass es dich noch gibt.

                                          Grüße, Werner
                                          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 19.08.2008, 23:45.
                                          .

                                          Kommentar

                                          Lädt...
                                          X