[ES] Via de la Plata - 1.000 Kilometer Spanien pur (+ Fotos)

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  • Werner Hohn
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    • 05.08.2005
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    • Meine Reisen

    #21
    12. Tag: Donnerstag, 8. März 2007 Zum Feierabend ein Dreckloch
    Etappe: Cáceres - Cañaveral
    Tageskilometer: 44 Gesamtkilometer: 345


    Hinter Casar de Cáceres, Tajo-Stausee
    Der Katalane hat die Nacht im Tiefschlaf verbracht. Martín und ich dagegen sind froh, dass wir wenigstens einige Stunden Schlaf hatten. Das Schnarchen des neuen Mitwanderers war grauenhaft! Dank vorsorglicher Lebensmitteleinkäufe hatten wir alle einige Kilos mehr im Rucksack, als wir uns frühmorgens auf dem Weg zur Stierkampf-Arena machten. Wie so oft wenn man kleinere oder auf größere Städte verlässt, sind wir am Anfang mal wieder auf den Einfallstraßen, die um diese frühe Uhrzeit nur von wenigen Berufspendlern bevölkert sind, unterwegs.
    Schon gestern hatte sich das Landschaftsbild geändert. Die aufgelockerten Wälder mit Steineichen waren zurückgeblieben, jetzt drückte die offene Wiesen- und Waldlandschaft der Landschaft ihren Stempel auf. Unserem neuen Begleiter sind Martín und ich natürlich mal wieder zu langsam. Er wird in Casar de Cáceres auf uns warten. Uns ist das nur recht, so können wir ungestört unser gewohntes Tempo gehen.

    Casar de Cáceres ist bekannt für einen nur hier hergestellten Käse. Für meine beiden Spanier bedeutet das Großeinkauf! Eingedenk der Tatsache, dass ich schon einige Kilos in Lebensmittel zusätzlich im Rucksack habe, verzichte ich auf diesen Einkauf. Brot, Wurst und Käse werden mir bis zum Etappenziel reichen - ja, mit Sicherheit sogar noch einige Tage mehr! Schon kurz hinter der Ortsgrenze sind die beiden meiner Meinung, und beschließen ihre doch mittlerweile großen Vorräte bei einer ausgiebigen Frühstückspause zu verkleinern.

    Nach der Pause verkündet der Katalane, dass wir beide mal wieder zu langsam für ihn seien und zieht im Marathonstil ab. Martín und ich sind eigentlich ganz froh über seine Entscheidung. Obwohl ein Landsmann von Martín, wird auch er nicht warm mit dem Neuen, dieser Eindruck drängt sich mir jedenfalls auf. Sogar seinen Namen haben wir mittlerweile wieder vergessen. Mein Fall ist der Mann ebenfalls nicht.

    Heute ist einer dieser Tage, die obwohl ohne großartige Höhepunkte verlaufen, in Erinnerung bleiben. Ich weiß nicht warum, vielleicht liegt es an dieser ruhigen unaufgeregten Landschaft oder daran, dass wir beide, ohne uns groß darüber zu verständigen, schweigend nebeneinander herlaufen. Das ist die schöne Seite mangelnder Sprachkenntnisse: man hat einen Grund zum Schweigen.

    Am Tajo-Stausee müssen wir mal wieder auf eine angeblich stark befahrene Autostraße, doch wie schon so oft in dieser Ecke Spaniens, der Verkehr hält sich in Grenzen. Einzig der Windzug, der durch vorbeidonnernde LKWs verursacht wird, sorgt auf der Brücke dafür, dass ich meinen Hut fester in den Nacken drücken muss. Doch auch das überlebt er. Das war’s dann auch schon, mehr hat die in den Pilgerführern als gefährlich beschriebene Strecke nicht hergegeben. Zugegeben: Wenn man auf der Brücke auf einen pennenden Autofahrer trifft, hat man als Fußgänger schlechte Karten.
    Zum Glück verläuft der Weiterweg nach Cañaveral wieder über einsame verlassene Feldwege. Als wir am späten Nachmittag in dem Nest eintreffen, wartet am Ortsrand schon unser dritter Mitwanderer auf uns. Als Marathonläufer ist er schon lange da, so lange, dass er fast schon zu den Ureinwohnern zählt, gibt er augenzwinkernd zu verstehen.

    Auch hier sind am späten Nachmittag nur alte Leute unterwegs, die uns zum Hostal, wo es den Schlüssel für die Herberge gibt, lotsen. Es handelt sich um ein leerstehendes Haus, das von der Gemeinde für Wanderer und Pilger zur Verfügung gestellt wird. Treppe hoch, Tür aufschließen, umsehen – Schock! Die Bude ist ein Drecksloch. Das Badezimmer wurde montagelang nicht gereinigt. Seifenreste, Klopapierreste, Haare, all diese unappetitlichen Hinterlassenschaften unserer Vorgänger/innen, sowie die leere Gasflasche, die das Wasser erwärmen soll, lassen in mir den Gedanken aufkeimen, dass heute die erste Katzenwäsche der Wanderung fällig ist. Beim nächsten Blick in die Küche, wo uns der Schimmel aus alten Töpfen entgegen springt, uns ein alter Kühlschrank erwartet neben dem ein überquellender Mülleimer steht, dessen Gestank vom undefinierbarem Inhalt herrührt, ist klar, dass wir hier nicht essen werden. Das alte Wohnzimmer ist wenigstens soweit sauber, dass wir uns zutrauen aus unseren Plastiktüten zu essen.
    Einen Vorteil hat diese Herberge aber, hier gibt es drei Schlafräume. Der Katalane als Weltmeister im Schnarchen wird ein eigenes Schlafzimmer haben! Die Matratzen sind in einem so erbärmlichen Zustand, dass ich einige Zeit darauf verwende sie nach unerwünschten Mitschläfern abzusuchen. Erstmals kommt meine Isomatte zum Einsatz.
    Beim obligatorischen Rundgang im Dorf, werden wir von einigen alten Frauen darüber aufgeklärt warum es in der Herberge so aussieht wie es aussieht: Im letzten Jahr müssen drei „Pilgerinnen“ hier die Sau rausgelassen haben. Während einer Schlechtwetterperiode, die sie zwang mehrere Tage hier zu verbringen, sollen in der Herberge Gelage stattgefunden haben, an denen auch einige der noch hier im Ort lebenden jungen Männer nicht ganz unschuldig gewesen sein sollen. Die Mädels sollen bei der Abreise eine Riesensauerei hinterlassen haben, so die Gerüchteküche. Die Frauen die ehrenamtlich die Herberge reinigen und in Schuss halten, haben sich dann für die Zukunft geweigert dies weiterhin zu tun. Ganz besonders, nachdem sie beim Blick in die Spendendose auf deren blanken Boden sahen. Die drei Damen hatten „vergessen“, die von allen erwartete freiwillige Spende zu hinterlassen – ganz besonders nach einem mehrtätigem Aufenthalt. Wahrheit oder Ausflucht der etwas beschämt dreinblickenden älteren Damen des Ortes?




    13. Tag: Freitag, 9. März 2007 Fürsorgliche Bevormundung
    Etappe: Cañaveral - Carcaboso
    Tageskilometer: 40 Gesamtkilometer: 385


    Galisteo, "Wasserweg" im trockenen Spanien
    Ohne die berühmte Träne im Knopfloch, wir waren froh dieses Etablissement ohne unerwünschte „Mitwanderer“ zu verlassen, machen wir uns im Schein der Stirnlampe auf den Weg nach Norden. Sobald es hell genug ist macht der Katalane sich wieder aus dem Staub. Diesmal dauert es aber nicht lange bis wir wieder auf ihn treffen. Eine etwas komplizierte Wegführung, die in seiner spanischen Wegbeschreibung nicht näher erklärt wird, lässt es ihm ratsam erscheinen auf uns zu warten. Martín, der mittlerweile auch auf die deutsche Wegbeschreibung vertraut, ist dies nicht so ganz recht. Er war der Meinung, dass wir den erst nach einigen Stunden wieder sehen.

    Heute sind es wieder Stein- und Korkeichenwälder, die an unserem Weg liegen. Ereignislos zieht sich der Weg meist an einem Zaun entlang. Ein kurzes Schwätzchen mit einigen Arbeitern, die eben diesen Zaun reparieren, ist die einzige Abwechselung. Gegen Mittag wird’s aber wieder spannender. Schon von weitem können wir einen einzelnen Menschen erkennen, der offensichtlich pilgert. Trotz der großen Entfernung erkennen wir nämlich einen langen Pilgerstab in seiner Hand. Weil Bernard, so sein Name, sehr, sehr langsam ist, haben wir ihn schnell eingeholt. Er ist genau wie wir in Sevilla gestartet, aber zwei Wochen früher und lässt sich, wie schon gesagt, Zeit. Nicht dass er jede Sehenswürdigkeit am Weg mitnimmt, nein, der Franzose geht einfach langsam und macht viele Pausen. Versehen mit einem unerschütterlichem Gottvertrauen ist er mit einem Minirucksack unterwegs, in dem sogar der Schlafsack fehlt. Er verlässt sich darauf, dass er in jeder Unterkunft eine Decke vorfindet. Im Gespräch erwähnt er, dass er mit einem Deutschen unterwegs ist. Der kann nicht weit vor uns sein. Weil wir kurz vor Galisteo sind, werden wir den Deutschen wohl dort treffen. Meine beiden spanischen Mitwanderer haut diese Auskunft nicht so sehr aus ihren Wanderschuhen, mich schon eher.

    Von der letzten Anhöhe vor Galisteo haben wir ungehinderten Blick auf die von den Mauren errichtete zinnengekrönte Stadtmauer, an dessen Fuß die Bar Los Emigrantes steht. Wir haben nur noch gut zwei Stunden bis zu unserem heutigen Etappenziel und wollen hier zu Mittag essen. Es ist zwar noch zu früh für das spanische Mittagessen (noch keine 14 Uhr), aber dieses Geschäft lässt sich die Wirtin nicht entgehen und öffnet für uns den Speiseraum. Wie in vielen spanischen Bars, deren Böden meist vor Dreck strotzen, ist der separate Speiseraum peinlichst sauber. Hier treffen wir auch auf den anderen Deutschen. Gerd, auch um die fünfzig, ist genau wie wir alle in Sevilla gestartet und hat unterwegs den Franzosen getroffen, mit dem er seit einigen Tagen unterwegs ist. Im Gegensatz zu Martín und mir gehen die beiden tagsüber getrennt und treffen sich erst abends in der Herberge wieder. Bernard, der Franzose, findet sozusagen jeden Abend ein gemachtes Bett vor.

    In der Zwischenzeit ist auch Bernard eingetroffen und es wird unser erstes gemeinsames Essen. Auf dem Camino francés ist das gemeinsame Essen mit fremden Pilgern an der Tagesordnung, hier jedoch in dieser menschenleeren Weite ist das schon etwas Besonderes. Gerds erste Handlung besteht darin, dass er mit seine Sonnencreme über den Tisch reicht. Auch wenn es hier tagsüber nicht mehr so warm wird wie in Andalusien, so hat die Sonne es doch geschafft, dass die Haut an einigen Stellen in meinem Gesicht in Fetzen hängt. Er tut zwar nicht weh, aber es sieht unschön aus.

    Nach dem ausgiebigen Mittagessen ziehen wir alle noch eine Ehrenrunde durch Galisteo und machen uns dann auf den Weg nach Carcaboso. Ereignislos zieht sich der Weg zu dem Ort mit der besonderen Pilgerunterkunft.

    Señora Elena, die Besitzerin der Bar Ruta de la Plata, vermietet auch Zimmer an Pilger und Wanderer. Ihre wirklich herausragende, ja man kann beinahe schon sagen bevormundende Unterbringung ihrer Gäste, hat ihren Niederschlag schon in einigen Pilgerführern gefunden. Mich schickt sie zuerst einmal in die Apotheke, ich soll mir eine Sonnenmilch zulegen. Und das sofort! Martín wird in einem mütterlichen Ton belehrt, wie er die Wäsche zu waschen hat und wo er sie aufhängen soll. Ich weiß jetzt schon, dass Martín etwas falsch machen wird. Natürlich hat er seine Wäsche nicht richtig ausgewrungen, „so werden die Strümpfe, T-Shirts und die Unterwäsche bis morgen nicht trocken“, macht sie ihm beim Kontrollgang ziemlich deutlich klar und zeigt ihm wie es nach ihrer Vorstellung sein sollte. Hinter ihrem Rücken stehend kontrolliere ich verstohlen noch mal meine Wäsche, ob sie ihren hohen Ansprüchen genügen kann. Danach werden wir noch mehrfach gefragt, ab wir ausreichend Decken haben und werden aufgefordert die Räume so zu verlassen wie wir sie vorgefunden haben – extrem sauber. Auf die Nachfrage nach einem Restaurant gibt Elena uns zu verstehen, dass wir im Supermarkt einkaufen und hier zu Abend essen sollen, weil das hiesige Restaurant nicht gut sei. Den schüchternen Einwand von Martín, dass wir das selber ausprobieren wollen, fegt sie vom Tisch. Mittlerweile sind der Katalane, der uns mal wieder davongelaufen war, Gerd und Bernard auch da. Mit Mühe und Not und unter Aufbietung seines ganzes spanischen Mannesstolzes kann Martín Señora Elena davon überzeugen, dass der Katalane ein eigenes Zimmer braucht.

    Wir haben uns schon gewundert wo der Katalane ist. Wir dachten er sei auf dem Weg zum nächsten Ort. Er teilt uns aber mit, dass er mit seiner Familie telefoniert habe, und hier seine Tour nach Santiago de Compostela nach nur drei Tagen beenden wird. So richtig traurig sind Martín und ich nicht darüber.
    Zum ersten Mal seit vielen Tagen sitzen wir mal wieder in einer größeren Runde um einen Tisch. Es tut gut mal wieder mit anderen Menschen zu sprechen, auch wenn man dafür längst verschüttete oder rudimentäre Fremdsprachenkenntnisse bemühen muss.
    Am nächsten Morgen werden wohl zwei Zweiergruppen starten.




    14. Tag: Samstag, 10. März 2007 Auf alten Viehtrieben und römischen Wegen
    Etappe: Carcaboso – Aldeanueva del Camino
    Tageskilometer: 39 Gesamtkilometer: 424


    Steineichen-Dehesa
    Alle, auch der Katalane, stehen morgens vor der Tür und machen sich auf den Weg. Der Katalane zur nächsten Bushaltestelle, Gerd und der Franzose müssen noch zum Bäcker, nur Martín und ich ziehen sofort los. Vorher hat Señora Elena jedem 2 € für einen Kaffee und einen schäbigen Keks abgeknöpft. Zur ersten - und heute als einige der wenigen Ausnahmen nicht einzigen - Pause sitzen wir bei strahlendem Sonnenschein in einer wunderschönen Eichen-Dehesa, umgeben von Stieren und Kühen. Es ist sehr selten, dass der Pilgerweg über Wiesen führt auf denen Stiere weiden. Es sind jedoch mit Sicherheit keine Kampfstiere. Diese Tiere sind zu kostbar, als dass Fremde Zutritt zu deren Weiden hätten. Hinzukommt dass Kampfstiere sich nicht an Menschen gewöhnen sollen, sonst würden sie zu zutraulich und damit für die Arena wertlos.

    Martín und ich nehmen zwar wahr, dass wir durch eine saftiggrüne Landschaft ziehen, in der das Wasser noch auf den Wiesen steht, aber uns steht mehr der Sinn nach Tratschen. Dass der Katalane familiäre Gründe nur vorgeschoben hat, ist unser beider Vermutung. Welcher spanische Mann bricht wegen seiner volljährigen, verheirateten Tochter eine dreiwöchige Wanderung ab, es sei denn sie ist gerade von einer Brücke gesprungen oder bringt Drillinge zur Welt. Und nichts davon hat er erwähnt. Der Menschenmangel, ganz besonders der Frauenmangel, so vermuten wir, hat ihn wohl dazu veranlasst aufzugeben. Unterwegs in hautengen Laufleggins und auch sonst in einem modischen Outfit, war uns schon aufgefallen, dass das Hauptaugenmerk unseres Mitwanderers dem leider (oder zum Glück) hier fehlenden Teil der weiblichen Erdbevölkerung galt. Ganz besonders fiel uns das bei den allabendlichen Runden durch den Etappenort auf. Nicht nur, dass er sich in Schale warf, nein, bedingt durch die hautenge Hose, konnte er auch das was viele Männer als ihr wichtigstes Körperteil betrachten effektvoll in Szene setzen. Seine Schilderungen von den Erlebnissen der letztjährigen Wanderung auf dem Camino francés bestätigten das von uns gehegte Vorurteil zusätzlich. Im Gegensatz zum gestrigen Tag haben Martín und ich heute genügend Gesprächsstoff. Von einem richtigen Gespräch kann bei mir aber immer noch keine Rede sein, obwohl wir schon zwei Wochen unterwegs sind. Martín jedoch gibt sich Mühe und was viel wichtiger ist, der Vormittag geht rum.

    Als wir an den Cañadas Reales (königlicher Weideweg) kommen, sind wir sicher, dass wir mit unserer Vermutung richtig liegen. Wir waren schon mehrfach auf solchen Weidewegen, die früher ganz Spanien durchzogen, unterwegs. Dieser Weideweg hier ist jedoch ein Prachtstück. Noch heute ist er in voller Breite über eine Länge von mehreren Kilometern erhalten. Zwischen den hier mehr als 70 Meter voneinander entfernten Weidezäunen marschierend kann man gut nachvollziehen wie der alljährliche Viehtrieb von Norden nach Süden vonstatten ging. Weil diese großen Viehtriebswege immer wieder von land- und machtgierigen Großgrundbesitzern beschnitten und zum Teil sogar unterbrochen wurden, stellte das spanische Königshaus die wichtigsten Strecken unter ihren Schutz. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass einige Wege bis heute erhalten geblieben sind. Den meisten ist es allerdings schlecht ergangen: Verschwunden unter Autobahnen, Nationalstraßen oder einverleibt von den hier immer noch tonangebenden Großgrundbesitzern erinnert man sich erst seit Neuerem wieder an dieses alte spanische Kulturgut. Da wo dieser Weideweg endet steht der Torbogen von Cáparra. Von Cáparra, einer ehemaligen römischen Siedlung, ist nur dieser Torbogen erhalten geblieben, umsäumt von einigen Fundamenten. Lange Zeit vergessen in der Weite der extremadurischen Landschaft, finden nur wenige Touristen hierhin. Für uns einer der wenigen Orte, in denen wir auf Kultur machen. Die Rucksäcke bleiben unter dem Torbogen stehen und wir machen uns auf Besichtigungstour. Sorge, dass die uns hier geklaut werden müssen wir uns nicht machen, dies ist ein Land mit ehrlichen Leuten. Dummerweise haben wir unsere Rücksäcke so geschickt unter den Torbogen gestellt, dass kein Tourist ein Foto machen kann ohne dass diese nicht mit angebildet werden, was uns einige böse Blicke einbringt.





    Cáparra - der römische Torbogen, Gehöft in der Dehesa
    Auf den letzten Kilometern zu dem heutigen Etappenziel erleben wir noch ein kleines Wunder: Wir treffen auf eine große spanische Wandergruppe. Für diese Region mehr als außergewöhnlich. Fürs erste haben wir einen gemeinsamen Weg. Genug Gelegenheit für die Wanderer uns beide auszuquetschen. Einige Kurzetappen der Vía sind ein paar schon gegangen, die ganze Strecke aber noch nicht, was jetzt natürlich nachgeholt werden muss.
    Weil auch hier mal wieder der Autobahnbau ins Landschaftsbild eingreift und der Pilgerweg mal wieder verschwunden ist, gehen wir auf Nummer sicher und bleiben die letzten Kilometer nach Aldeanueva del Camino auf der nicht mehr befahrenen alten Nationalstraße.

    Als Gerd und Bernard eintreffen, haben wir schon die Wäsche gewaschen und den ersten Rundgang durch den Ort hinter uns. Die beiden wollen morgen eine etwas kürzere Etappe gehen. Martín und ich planen aus alter Gewohnheit und weil es uns Spaß mach mal wieder eine längere Strecke über 40 Kilometer. Es ist unser letzter gemeinsame Abend, weshalb Bernard, Martín und ich ins Restaurant zu einem letzen gemeinsamen Abendessen aufbrechen. Gerd bleibt lieber in der Herberge, er will sich ausruhen.




    15. Tag: Sonntag, 11. März 2007 Auf dem Weg zu einer Legende der Vía de la Plata
    Etappe: Aldeanueva del Camino – Fuenterroble de Salvatierra
    Tageskilometer: 43 Gesamtkilometer: 467


    Bei Calzada de Béjar
    Aldeanueva del Camino befindet sich noch im Tiefschlaf als Martin und ich uns auf den Weg machen. Weil die Vía de la Plata mal wieder über eine Verkehrstraße geführt wird, haben wir uns mit Absicht für diesen frühen Aufbruch entschieden. Bis Baños de Montemayor hält sich der Verkehr wegen der frühen Stunde auch schön in Grenzen. Größeren Andrang, und zwar einen Menschenauflauf, gibt es vor einer Bäckerei in diesem Städtchen mit dem gekrönten Kirchturm. Es wird eine lokale, in fett gebackene Spezialität verkauft. Martín, schon wieder völlig ausgehungert, reiht sich ans Ende der Schlange an. Ich mache mich auf den Weg zu dem kleinen Lebensmittelladen.

    Es bewahrheitet sich mal wieder der alte Satz, dass man nicht hungrig einkaufen soll, denn als ich ihn wiedersehe, trägt er eine große Papiertüte in der Hand. Das Fett hat sich schon durch die dünne Tüte gearbeitet. Na, das kann ja heiter werden, mit Sicherheit wird es Schwerstarbeit für unsere Mägen. Der steile Anstieg zur Provinzgrenze zwischen der Extremadura und der zentralspanischen Provinz Kastilien und Leon bis rauf 900 m, ist entsprechend mühevoll.




    Kastilien und León
    Hier oben sind wir endlich auf der spanischen Hochebene, der Meseta, und im angeblichen Herz Spaniens. Im heutigen Kastilien, bestehend aus den drei autonomen Gemeinschaften Kastilien la Mancha, Madrid und eben aus Kastilien und Leon hat das Hochspanische, die Sprache die von fast 30% der Weltbevölkerung gesprochen wird, ihren Ursprung. Und hier ist das politische Herz Spaniens – nicht nur heute, auch schon im frühen Mittleralter. Von Kastilien ging die christliche Rückeroberung der spanischen Halbinsel aus.
    Wirtschaftlich mag es den drei Regionen in etwa gleich gut gehen. Kastilien und León, eine der größten Regionen des Landes, jedoch zählt hier im Westen an der Grenze zu Portugal, immer noch zu den ärmeren Landschaften Spaniens. Der Streifen zwischen Salamanca, Zamora mit meist kleinen oder kleinsten Dörfern - wie immer die alle heißen - ist geprägt von Landflucht und von den unvermeidlichen Großgrundbesitzern. Die beiden Städte Salamanca und Zamora wirken wie ein Magnet auf die Landbevölkerung. Wer dort kein Auskommen findet, geht zur Not auch in die weite Feld. Viele Familien Südamerikas haben ihre Wurzeln hier in dieser Region. Die Folge ist, dass die Dörfer nur noch von alten Menschen bewohnt sind oder sogar leer stehen.
    Hier oben auf der großen spanischen Hochebene, der besagen Meseta, die sich über fast ganz Zentralspanien ausbreitet, werden die Kampfstiere für die Arenen Südspaniens gezüchtet. Und hier findet man eine der schönsten und lebendigsten alten Städte Spaniens - Salamanca!

    Saukalt kann es hier im Winter werden. Eisige Winde aus der nördlichen Hemisphäre können in kalten Jahren so viel Schnee mitbringen, dass weite Gebiete für Tage unpassierbar sind. Diese Wettersituation ist zwar selten, es kann aber schon mal vorkommen. Uns verspricht der Wetterbericht zwar kalte, dafür aber trockene und sonnige Tage.

    Abrupt hat sich jedoch der Bewuchs geändert. Die Kork- und Steineichenwälder Andalusiens und der Extremadura haben schlagartig knorrigen, uralten, um diese frühe Jahreszeit noch ohne ihre Blätter dastehenden Eichen und Buchen Platz gemacht. Die Wiesen sind hier oben auf gut 900 m auch nicht mehr so grün wie weiter unten im Süden. Moosbewachsen, auch uralt, oft von Buchen- und Eichenhecken überwuchert, zeugen die Feldsteine der Trockenmauern von längst vergangenen Zeiten, in denen meist Tagelöhner und abhängige Bauern für die Großgrundbesitzer schufteten.

    Ein „Herrenreiter“ der uns hinter Puerto de Béjar beinahe über den Haufen reitet, und uns dabei keines Blickes würdigt, scheint zu bestätigen, dass sich einiges aus der alten Zeit bis in die Gegenwart gerettet hat.
    Wir sind so früh in Calzada de Béjar, dass wir den Gedanken an ein Ausweichquartier (hier gibt es eine gute private Herberge), welches wir uns gestern vorsorglich ausgesucht hatten, beiseite schieben und nach einem Schwätzchen mit einigen Omas weiterziehen.

    In Valverde de Valdelcasa, in Valdelcasa, alles kleine Ortschaften an unserem weiteren Weg, überall das gleiche Bild: Alte, steinalte und ein paar nicht mehr ganz so junge Menschen sitzen in der wärmenden Nachmittagssonne und freuen sich, dass der Winter vorbei ist. Oft sehen wir noch ganz alte Häuser aus grauen Feld- oder Granitsteinen dieser Region, die noch bewohnt sind. Wenn ich mir ausmale, wie kalt es darin im Winter ist, läuft es mir den Rücken runter. Wenn ich das richtig überblicke, sitzt hier so gut wie niemand alleine vorm Fernseher. Jedenfalls nicht heute, an einem Sonntag. Oma und Opa sitzen in kleinen Grüppchen beisammen und schwatzen.

    Ein paar Kilometer vor Fuenterroble de Salvatierra weisen viele gelbe Markierungspfeile auf eine Umleitung der Vía hin. Weil es im letzten Ort einen ziemlichen Pfeil-Wirrwarr gab, sind wir beide misstrauisch und gehen auf der alten Route weiter. Die Wegbeschreibung im Pilgerführer macht's möglich, denn vorsorglich wurde die alte Markierung entfernt. Wir hätten uns an den neuen Pfeilen orientieren sollen! Die alte Route endet in einem überfluteten Weg, Durchkommen nicht möglich.

    Seit der letzten Pause, wir aber noch eine gute Stunde bis zum heutigen Ziel, brennt der rechte kleine Zeh etwas. Anhalten und nachsehen? Ach was, wir sind ja gleich da! Gegen 18:00 Uhr sind wir dann endlich in der von allen gelobten Herberge von Pfarrer Don Blas.




    Herberge von Don Blas in Fuenterroble de Salvatierra
    Martín, der als Spanier von ihm gehört haben müsste, zuckt nur mit den Schultern. Der Mann ist ihm unbekannt, ebenso seiner Wegbeschreibung aus dem Jahr 2001. Da steht auch nix drin. Ihm ist es auch egal wer eine Herberge betreibt, Hauptsache er hat ein Dach überm Kopf und eine Dusche. In den deutschsprachigen Wander- und Pilgerführern wird der Mann als Engel der Pilger, beziehungsweise als Legende der Vía beschrieben.
    Er ist jedenfalls nicht da und sonst auch niemand. Wir springen erstmal unter die Dusche und gehen danach in die Bar, einige Meter weiter die Straße hoch und kaufen in dem dazugehörenden Miniladen (2 x 3 m) fürs Abendessen ein. Dass heute Sonntag ist und der Laden eigentlich geschlossen ist, stört niemand.
    Als wir zur Herberge zurückgekommen, sind zwei Männer da, die uns einladen von den Vorräten zu essen. Dann sind sie verschwunden. Wir machen uns über den Schinken und die Wurst aus der Vorratskammer her. Waren diese Vorräte gemeint, oder das Obst in der Kiste und der Inhalt des Kühlschranks? Wurst und Schinken schmeckten jedenfalls sehr gut. Kein Wunder in einem Land in dem zwar nicht Milch und Honig fließen, mit Sicherheit aber Wurst und Schinken!
    Abends dann kommt er, Don Blas, zwei dürre Sätze, ein Griff in den Kühlschrank (den meinten also die zwei Männer) und schon steht unser Abendessen auf dem Tisch. Er will uns noch den Pilgerstempel geben, das haben wir schon selbst erledigt, und schon ist er wieder verschwunden. Das war er also! Ich kann den Mann ja verstehen. In dem einen Pilgerführer bekommt er fast einen Heiligenschein, in dem anderen wird von einem gemeinsamen Abendessen gesprochen. Nicht nur bei mir werden diese Aussagen zu einer erhöhten Erwartungshaltung geführt haben. Und der Pfarrer wird wohl auch keine Lust und auch keine Zeit haben, so gut wie jeden Abend in fremder Runde ein gemeinsames Abendessen abzuhalten. Besonders weil nicht jeder als Pilger unterwegs ist und sein Hauptaugenmerk gilt ganz offensichtlich seiner Gemeinde. Der von Gemeindemitgliedern ausgemalte Gemeinschaftssaal des Pfarrhauses (unsere Herberge) zeugt davon.

    An diesem Abend darf ich das machen, was ich schon seit mindestens acht Jahren nicht mehr gemacht habe: ich muss eine Blase aufstechen! An meinem kleinen Zeh blüht eine winzig kleine Blase. Das war also das brennen, von heute Nachmittag. Das kleine Bläschen wird der fällige Tribut an die großen und langen Etappen der letzten paar Tage sein und der Tribut an meine Leichtwanderschuhe, besser Freizeitschuhe. In der Größe ist das Dilemma nicht weiter der Rede wert - hoffe ich.




    16. Tag: Montag, 12. März 2007 Schinden für einen Pausentag
    Etappe: Fuenterroble de Salvatierra – Salamanca
    Tageskilometer: 52 Gesamtkilometer: 519


    Blick zurück in Richtung Fuenterroble de Salvatierra
    Ausnahmsweise ist heute ein Tag, an dem wir uns Zeit lassen können. Wir sind der Meinung, dass wir in den letzten Tagen genug große Etappen zurückgelegt haben und wollen heute nur bis nach Morille. Bis dahin sind es nur etwas mehr als 30 Kilometer, für unsere Verhältnisse ein Spaziergang. Als die Herbergstür hinter uns ins Schloss fällt, ist es schon weit nach acht, aber bitter kalt. In der Nacht hat es gefroren, die Wiesen sind dick mit Reif bedeckt und auf den Pfützen hat sich eine Eisschicht gebildet. Weil ich nur mit zwei dünnen Sommerhosen unterwegs bin, habe ich zwangsläufig alle an. Darüber kommt noch die Regenhose. Ich hab mal wieder vergessen, dass wir auf knapp 1000 Meter sind und dass auch in Zentralspanien noch Winter ist. Anfangs müssen wir mal wieder über einen fast 100 Meter breiten Weideweg, der nach der alltäglichen Frühstückspause in einen steilen Bergpfad übergeht. Einer der wenigen wirklich steilen Strecken der letzten 500 Kilometer. Oben auf dem Pico de la Dueña steht neben den neuen Wahrzeichen unserer Zeit – der Kamm wird von Windkraftanlagen gekrönt – klein und unscheinbar das uralte Cruz de Santiago. Angeblich liegt hier auf gut 1100 Meter die Hälfte der Gesamtstrecke hinter uns.

    Für mich wichtiger ist jedoch, dass mein rechter kleiner Zeh höllisch weh tut. Ich müsste mal nach ihm sehen, aber dafür eine extra Pause einschieben? Das würde ja bedeuten, dass ich gegenüber Martín ins Hintertreffen gerate. In den ersten Tagen unserer gemeinsamen Wanderung war Martín so langsam, dass ich hin und wieder mal eine Pause einschieben konnte, in der Martín weiterging. Sollte sich dies jetzt umgekehrt haben? Nach mehr als zwei Wochen wandern ist natürlich auch bei Martín ein gewisser Trainingseffekt feststellbar. Jedenfalls hat sich sein Tempo beträchtlich erhöht. Wenn ich jetzt eine Pause einschiebe um meinen Zeh zu verarzten, wird er mich zwar fragen, ob er warten soll, eher würde ich mir aber die Zunge abbeißen als ihn zum Warten aufzufordern. So kommt es dann auch. Ich mache Pause und Martín zieht von dannen. Er ist es gewohnt, dass ich ihn schnell wieder einhole. Aus der winzig kleinen Blase ist ein dicker Brummer geworden. Dies bedeutet aufstechen, ausdrücken und weiter. Nach jeder Pause, das weiß ich jetzt schon, muss ich mich erstmal an den Anlaufschmerz gewöhnen. Der kleine Zeh liegt wie wohl bei jedem Menschen dummerweise in der Knickfalte des Wanderschuhs und wird so mit jedem Schritt zusätzlich malträtiert. Nach wenigen 100 Metern lässt der Schmerz nach und ich kann mich daran machen Martín, dessen Vorsprung inzwischen beträchtlich gewachsen ist, wieder einzuholen.

    Weil es heute nur eine kurze Etappe werden soll, machen wir heute ausnahmsweise eine zweite Pause. Unter einem Baum liegend, es ist mittlerweile wieder sehr warm geworden, kommt bei uns der Gedanke auf, ob wir wirklich nur bis Morille gehen sollen. Wir haben erst Mittag, in spätestens zwei Stunden werden wir in dem kleinen Nest mit der Pilgerherberge sein. Unsere Planung sah vor, dass wir morgen gegen Mittag dann in Salamanca eintreffen würden. So hätten wir dann einen halben Tag für die Stadtbesichtung. Bei uns keimt der Gedanke auf, dass wir, trotz meiner Fußprobleme, diese Strecke auch heute noch schaffen können. Aufkommende Zweifel wegen der Länge der zusätzlichen Strecke zerstreut mal wieder der deutsche Wanderführer. Da steht was von 17 Kilometern, in Martíns spanischer Ausgabe von 23 Kilometern. Uns beiden ist klar, dass die deutsche Angabe falsch sein muss, aber wie das nun mal so ist im Leben, hin und wieder muss man sich auch mal selbst bescheißen. Um halb drei sind wir in Morille und hier fällt endgültig die Entscheidung: Wir gehen durch, dadurch gewinnen wir einen ganzen Pausentag für Salamanca! Gegen 18 Uhr, so reden wir uns ein, werden wir in der Stadt sein.





    Cruz de Santiago, Steinmännchen vor Salamanca
    Auf der Anhöhe hinter Morille sehen wir zum ersten Mal in der Ferne die Silhouette der Stadt. Und schon wieder bescheißen wir uns. Wir wissen beide, dass es in der Zeit nicht zu schaffen ist. Wie zu erwarten sind wir gegen 18 Uhr nicht in Salamanca, sondern auf der Höhe von Miranda de Azán. Noch immer liegt die Stadt in weiter Ferne. Für uns hält dieser Tag mehrere Premieren bereit: Nicht nur, dass wir zum ersten Mal mehr als 50 Kilometer gehen, die 500-Kilometermarke überschreiten, nein, zum ersten Mal gibt es auch drei Pausen. Es ist schon fast neun Uhr abends als sich die Herbergstür für uns öffnet.

    Der Hospitalero ist überrascht uns so spät noch zu sehen und meint wir wären erst gegen Mittag in Morille losgegangen ... Nach ein paar Worten der Aufklärung, kapiert er, dass wir bei Pfarrer Don Blas in Fuenterroble gestartet sind. In der Herberge sind noch zwei Finnen und ein Spanier, der mit dem Fahrrad unterwegs ist. Der sieht so aus, als sei er der letzte Überlebende der längst vergangenen Hippiekultur. Wegen Rückenschmerzen muss er hier leider seine Tour beenden.

    Abends kommt dann noch eine Studentin, die Deutsch und Englisch studiert, und gemeinsam mit dem Hospitalero tratschen wir noch bis fast Mitternacht. Wie nicht anders zu erwarten dreht sich alles um das Thema Pilgern. Als ich den Spaniern erzähle, dass das Pilgerbuch eines deutschen Entertainers die Millionenauflage überschritten hat, schütteln sie ungläubig mit dem Kopf. Dass Deutsche in den letzten Jahren sehr aufs Pilgern abfahren, ist auch in Spanien angekommen, dass es aber solche Ausmaße angenommen hat, verwundert doch sehr.




    17. Tag: Dienstag, 13. März 2007 Salamanca – ein Traum!
    Etappe: Ruhetag in Salamanca
    Tageskilometer: 0 Gesamtkilometer: 519


    Casa de Las Conchas (Muschelhaus), Kathedrale
    Einen ganzen Tag für eine der schönsten Städte Spaniens. Weil wir alle offiziell nur eine Nacht in der Herberge bleiben dürfen, schmeißt uns alle der Hospitalero in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus. Er hat heute seinen letzten Tag, und später kommen die Betreiber für die Endabnahme, so erzählt er uns. Die Rucksäcke deponiert er in seinem Zimmer. Am Nachmittag dürfen wir wieder erscheinen. Dann wird er uns „neu“ aufnehmen.

    Was zunächst ärgerlich ist, stellt sich nun als Glücksfall raus. Die Stadt gehört uns und der aufgehenden Sonne. Zunächst noch graubraun, taucht die Morgensonne den Sandstein in ein rotgold leuchtendes Farbenbad. Dass um diese frühe Uhrzeit so gut wie kein Mensch unterwegs, ist erhöht den Reiz zusätzlich. Als die Hauptpost öffnet herrscht auf den Straßen dann das übliche Treiben einer Großstadt.

    Auf die Post muss ich, weil ich endlich mein Zelt zurück nach Deutschland schicken will. Ursprünglich hatte ich vor hin und wieder im Zelt schlafen, ja hin und wieder auch in einem Hotel oder Hostal zu übernachten. Doch weil es so schön praktisch und billig ist und alle Herbergen, bis auf eine Ausnahme, in einem akzeptablen bis guten Zustand waren, ist daraus nichts geworden. Und für die zweite Hälfte der Strecke wird sich daran auch nichts ändern, im Gegenteil: Ab Galicien wird es mit den Herbergen noch besser.





    Universität, innen und außen
    Der Rest des Tages ist ausgefüllt mit Besichtigungen, Besorgungen, Rumgammeln. Wir zigeunern durch die wunderschöne Altstadt, machen mal einen Abstecher in die Uni, oder springen mal kurz in ein Museum. Kurz, es tut gut mal wieder in einer Stadt zu sein.
    In Salamanca gibt es fast alles zu kaufen, nur keine brauchbaren Wanderschuhe. Die Blase an meinem Zeh habe ich meinen weichgelaufenen Freizeitwanderschuhen zu verdanken. Die sind in der Zwischenzeit so formstabil wie ein luftleerer Fußball. Aber wie gesagt, in Salamanca gibt es alles ... Also müssen die alten Schuhe noch etwas halten. Am Nachmittag sind wir wieder an der Herberge und warten jetzt gemeinsam mit dem Hippie-Spanier von gestern Abend darauf, dass diese geöffnet wird. Zwei Polizisten kommt dies wohl alles spanisch vor. Mit dem Ergebnis, dass sie unsere Pässe sehen wollen. Bei Martín ist alles ok, dann kommt der Hippie-Spanier an die Reihe. Mit einem süffisanten Grinsen reicht er den Polizisten einen etwas seltsamen Ausweis. Sekunden später stehen beide stramm. Wie uns der Spanier später erklärt, ist er, obwohl er aussieht wie ein Hippie und weit über 50 ist, Oberst der spanischen Polizei. Zwar schon länger ohne festen Bezug zu irgendeinem Dienstplan (so eine Art bezahlte Dauerdienstbefreiung), aber immer noch Oberst und somit im Zweifelsfall Vorgesetzter unserer beiden fleißigen Polizisten. Dann bin ich an der Reihe. Und da die beiden dem Anschein nach zeigen wollen wie fleißig sie sind, starten sie eine Anfrage sogar über Europol. Was sich natürlich länger hinzieht. Nach gut 20 Minuten habe auch ich das Prozedere überstanden und wir dürfen gehen. Weil wir am nächsten Tag wieder früh los wollen, liegen wir an diesem Abend weit vor Mitternacht im Bett.

    Hier liegt nun mehr als die Hälfte des Weges hinter mir. Salamanca - das wollte ich auf alle Fälle erreichen. Bei einem Abbruch vor der Zeit, hätte ich mit der zurückgelegten Strecke ganz gut vor mir bestehen können. Eins ist jedoch sicher: Trotz Fußproblemen wird es weiter nach Norden gehen. Und noch etwas ist sicher: Ich werde mich nicht in meinem Bekanntenkreis melden und sagen, was ich gerade mache oder wo ich im Augenblick bin. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, dass in Salamanca die erste Postkarte im Briefkasten landet oder die erste SMS fällig ist. Bis auf meine Frau und meine Kinder (mit denen stehe ich in täglichem Kontakt) kann sich der große Rest der Welt in dem Glauben wiegen, dass ich auf Camping/Rucksack/Kurzwandertour an der spanischen Mittelmeerküste bin.
    Es gefällt mit etwas aus der Welt gefallen zu sein. Dabei soll es fürs Erste bleiben!




    18. Tag: Mittwoch, 14. März 2007 Highway to hell?
    Etappe: Salamanca – El Cubo de la Tierra del Vino
    Tageskilometer: 34 Gesamtkilometer: 553


    Bei Calzada de Valdunciel, Herberge/Kirche in El Cubo de la Tierra del Vino
    Die Straßen der Stadt, die gestern Nachmittag noch von Horden junger Leute bevölkert waren, sehen heute morgen nur zwei einsame Wanderer und die Männer der Stadtreinigung. Im Gegensatz zum Weg nach Salamanca hinein (bis an den Stadtrand durch offenes Land und Feldwege) müssen wir hier auf den Seitenstreifen der Nationalstraße, die auch den beziehungsreichen Namen „Ruta de la Plata“ trägt. Jedenfalls künden überdimensionale Schilder davon. In der einschlägigen Pilgerliteratur (mein Pilgerführer macht darin keine Ausnahme) und in den verbreiteten Pilgerberichten wird immer wieder von den mörderischen Bedingungen für Wanderer auf den Nationalstraßen berichtet. Da kann man von mutwilligen Lkw-Fahrern lesen, deren Freizeitvergnügen im Abdrängen von Pilgern besteht und von Autofahrern, die unachtsam sind und somit den Wanderer angeblich gefährden sollen. Entweder liegt es an meiner etwas lockeren Sicht auf diese Dinge oder daran, dass ich den Großteil meines Arbeitslebens hinter einem Lenkrad verbracht habe, als gefährlich oder sogar lebensbedrohend würde ich dies nicht bezeichnen. Man kann natürlich das Pech haben, dass man es genau anders erlebt. Hier und heute ist es jedenfalls nicht so. Das Ausweichen in den Graben oder den lebensrettenden Sprung hinter die Leitplanke bleiben uns erspart. Im Gegenteil: Fast alle Lkw-Fahrer hupen oder grüßen freundlich und auch die Pkw-Fahrer bilden darin keine Ausnahme. Es ist nicht der schönste Abschnitt der Vía, meist führt er über offene durch unendliche Felder geprägte Landschaft, es ist auch kein Weg zum Paradies, aber mit Sicherheit auch kein Weg zur Hölle.

    In Calzada de Valdunciel ist dann mal wieder mein rechter Fuß fällig. Die eine Blase ist nun nicht mehr allein, an der Ferse hat sich eine zweite gebildet, die Schonhaltung macht’s möglich. Weil es halt so praktisch ist und wir eh Pause haben, erledigen wir direkt unseren Tageseinkauf.

    Es ist wie in so vielen Dörfern durch die wir in den letzten Tagen gekommen sind, als Fremder drängt sich der Eindruck auf, dass es außer Rathaus und Kirche keine weiteren Einrichtungen gibt. Man muss sich durchfragen und dann steht man meist vor einer ganz normalen Haustür hinter der sich ein Bäcker, ein Metzger oder ein kleiner Lebensmittelladen verstecken kann. Dieses Nest macht darin auch keine Ausnahme. Nach dem Woher und Wohin ruft die Verkäuferin im Lebensmittelladen ihren gut 20 jährigen Sohn herbei. Stolz erzählt sie, dass er letztes Jahr in Deutschland im Urlaub war. Meine Vermutung nach der Fußball-WM wird verneint, der junge Mann hat eine klassische, ich würde sagen ein Alte-Leute-Besichtigungstour hinter sich: Schloss Neuschwanstein, Brandenburger Tor, Rheintal ... Seine drei Kumpels, die mit waren, waren genauso begeistert wie er. Bei mir wirft das dann doch ein paar Fragezeichen auf.
    Vor El Cubo de la Tierra del Vino drücken wir noch mal aufs Tempo, denn von weitem leuchtet, wie wir vermuten, ein neuen Einkaufszentrum. Je näher wie kommen, desto mehr Einzelheiten können wir erkennen: Ein sehr großer Parkplatz, dies war wohl unser Anhaltspunkt für ein Einkaufszentrum, ein hoher, sehr hoher Zaun, mehrere Wachtürme und zum Schluss die vergitterten Fenster weisen eher auf ein Gefängnis hin. Ein kleines Schild am Eingang beseitigt alle Zweifel. Es handelt sich um eine neue Jugendstrafanstalt.

    Heute gibt es mal wieder eine besondere Herberge. Der ehemalige Pfarrer von El Cubo de la Tierra del Vino hält in seiner Kirche zwei Räume für Obdachlose bereit. Den Pfarrer gibt es nicht mehr, die Übernachtungsräume haben ihn jedoch überlebt. Nach langer Zeit findet sich in dieser Pilgerherberge mal wieder ein brauchbares Pilgerbuch. Für die letzte Nacht hatten sich zwei Deutsche eingetragen, die mal probieren wollen, wie das mit dem Pilgern so ist, so steht es jedenfalls in dem Buch. Sie wollen von Salamanca nach Zamora pilgern. Die mit Abstand beschissenste Strecke der gesamten 1000 Kilometer.
    Völlig ungewohnt durchblättert Martín hektisch das Pilgerbuch. Normalerweise interessieren ihn diese nicht sonderlich. Irgendwann wird er dann auch fündig und erzählt mir aufgeregt warum ihn das Buch diesmal so interessiert. Im letzten Jahr war sein Nachbar aus Mallorca auf der Vía unterwegs. Aus gesundheitlichen Gründen hat der hier das Handtuch geschmissen, und er hat sich hier in dem Pilgerbuch verewigt. Ich kenne Martín inzwischen so gut, dass ich mit vorstellen kann, dass ab hier jeder weitere Meter für ihn zu einem persönlichen Triumph über seinen Nachbarn wird.

    Fürs Abendessen verziehen wir uns in einen nahe gelegenen kleinen Park, der mit Geldern der EU gefördert wurde. Genutzt wird der Park von fast niemandem. Im Sommer meiden die Leute den Park wegen der Hitze, im Winter sitzen die alten Leute vor ihren warmen Öfen. Man kann oft sehen, dass in diesen abgelegenen Regionen mit EU-Geldern (meist weist auch ein kleines Schild auf diesen Geldgeber hin) völlig unsinnige Kleinprojekte gefördert wurden. Vom kleinen Teich, auf dessen Grund eine erbärmliche Pfütze daran erinnert was er mal werden sollte, über überdimensionierte Zufahrtsstraßen für einige Gutshöfe bis hin zu den der prallen Mittagssonne ausgesetzten betonierten und mit schmiedeeisernen Bänken dekorierten Dorfplätzen. Es steht Geld zu Verfügung, das weg muss, aber der Landflucht wird damit kein Einhalt geboten. Das Geld wäre besser in Betreuungsprojekte für alte Leute und für die wenigen Jugendlichen angelegt. Für uns ist dieser Park jedoch ein idealer Pausenplatz. Und weil sich keine Obdachlosen blicken lassen, sofern es in dieser Gegend überhaupt welche gibt, gehört die Kirche diese Nacht uns alleine.

    Ach ja, Wein gibt es hier schon lange nicht mehr. Der Ortsname verspricht zwar ein Land voller Eimer und Kübel mit diesem Getränk, doch eine Ungezieferplage hat schon vor Generationen alle Rebstöcke vernichtet. Dabei ist es geblieben.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 04.01.2022, 18:06.
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    • Werner Hohn
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      #22
      19. Tag: Donnerstag, 15. März 2007 Ich bin dann mal auf Arbeit, und Spanien – Deutschland 0 : 1
      Etappe: El Cubo de la Tierra del Vino - Zamora
      Tageskilometer: 31 Gesamtkilometer: 584


      Höhepunkte: Pause im Graben, Grasweg, Am Ortsende schon wieder namenlos
      Völlig unerwartet fängt dieser Tag mit einer Pause an und das auch noch mit einer längeren. Es geht schon auf halb acht zu, doch von Morgendämmerung ist noch nichts zu sehen. Draußen ist es immer noch stockfinster. Zum ersten Mal auf dieser Wanderung bremst uns dichter Nebel aus. Sogar im fahlen Licht der Straßenlampe können wir kaum etwas erkennen, von Sonne gar nicht zu reden. Gegen diese Suppe hat die keine Chance. Für Zamora haben wir einen halben Tag Stadtbesichtigung eingeplant, gegen Mittag wollten wir eigentlich in der Stadt am Rio Duero eintrudeln. Gegen neun Uhr ist es endlich soweit. Der Weg ist, wenn auch schemenhaft, erkennbar. Hin und wieder taucht eine altes Andreaskreuz aus dem Nebel auf (anfangs sind wir in der Nähe einer Bahnlinie), zur Pause im Straßengraben ist es immerhin so hell, dass wir erkennen können wo wir sind.

      Besondere landschaftliche oder kulturelle Reize hat die Route nach Zamora nicht. Einige Dörfer mit menschenleeren Straßen, weite Felder, mal ein Schafstall, mal ein streunender, abgemagerter Hund. Nix was uns beide aus den Schuhen kippen lässt. Der landschaftliche Höhepunkt ist der kurze Trampelpfad durch ein kleines Feuchtgebiet. Immerhin wächst hier mannshohes Gras, oder irgendwas in der Art.
      Martín erledigt vom Handy aus ein paar Geschäfte auf den Balearen, tritt, wenn ich das richtig verstehe (er spricht dabei grundsätzlich mallorquin) einem Handwerker verbal gehörig in den Arsch, und erklärt anschließend seiner Frau in dürren Worten, dass es uns beiden fantastisch geht. Das ist dann doch etwas übertrieben. Es geht uns weder gut noch schlecht. Wir sind einfach da und haben etwas Langeweile.

      Wir sind bald drei Wochen unterwegs. Jeden Tag das gleiche Bild: Aufstehen. Nach dem Wetter sehen. Rucksack auf. Gehen. Pause. Gehen ... Wandern ist zur Routine geworden. Wenn die Strecke keine Höhepunkte bietet, drängt sich schon mal der Vergleich mit einem Arbeitstag auf. Nicht unbedingt ein schlechter. Man reißt ihn halt so runter, wie man einen Stapel Arbeit runterschafft. Nicht besonders motiviert, Lust kommt aber auch nicht auf. Die Arbeit muss halt gemacht werden! Abends hat man den Tag meist schon wieder vergessen und freut sich aufs Füße hochlegen. So ist es heute. Damit es nicht zu langweilig wird, sehe ich beim Gehen zwei kleine Speicherkarten durch und schaffe dabei etwas Platz für neue Bilder. Man kann ja nie wissen.

      Der Höhepunkt des Tages kommt von ganz anderer Seite. Der Sieg Deutschlands über Spanien - und das endgültig! Das wird mir jedenfalls später versichert. Martín ist mit einer spanischen Wegbeschreibung aus dem Jahr 2001 unterwegs, ich mit einer deutschen von 2006. Misstrauisch war er, den Kopf hat er mehr als einmal geschüttelt, immer wieder hat er meine Angaben (er kann das Buch natürlich nicht lesen) anhand seiner Kopien überprüft. Er wollte nicht verstehen, dass in so einem kleinen Buch, das zudem noch aus einem anderen Land kommt, mehr und bessere Infos stehen als in seinem. Nicht nur, dass die Wegbeschreibung beutend besser ist, am meisten ärgert ihn, dass in dem deutschen Wanderführer mehr Herbergen aufgeführt sind. Und das noch mit genauer Wegbeschreibung durch die Städte und Dörfer bis zur Herbergstür. Ganz besonders letzteres wurmt ihn von Anfang an. Er war erst überzeugt wenn wir vor der Herbergstür standen. Zur Sicherheit, hauptsächlich jedoch um mir zu zeigen, dass er dem Buch nicht traut, hat er sich zusätzlich im Ort durchgefragt.




      Zamora
      Auf der Brücke übern Rio Duero mache ich ihm klar, dass wir nach meiner Wegbeschreibung zur Herberge gehen werden. Bei seiner Fragerei wird nämlich nichts rauskommen. Offiziell gibt es in Zamora keine Pilgerherberge und weil der Jakobsweg in dieser Stadt nicht unbedingt als touristischer Heilsbringer betrachtet wird (viele Bewohner wissen, dass es die Vía de la Plata hier gibt, aber das war’s auch schon), werden uns die Leute nicht helfen können. Dass es im Studentenwohnheim einige Pilgerzimmer gibt, sofern das nicht voll belegt ist, steht aber in meinem Buch. In Martíns Schwarte findet sich darüber keine Zeile. Etwas widerwillig trottet er hinter mir drein. Ab der Brücke habe ich nur noch Augen für die Straßennahmen und die Angaben im Buch. Bloß nicht verlaufen und hoffentlich ist das Wohnheim nicht voll belegt! Der Triumph soll vollständig sein! Trotzdem hält Martín vorsorglich Ausschau nach einem preiswerten Hotel. Erst als wir die Anmeldung und den Zimmerschlüssel im Studentenwohnheim in der Hand halten, kapituliert er. Wir werden in Zukunft nach meinem Buch gehen! Der Katalane, jener der uns nach drei Tagen wieder verlassen hat (das liegt schon unendlich weit zurück), hat das schon nach wenigen Stunden erkannt und sein spanisches Buch nicht mehr aus dem Rucksack geholt. Martín hat 600 km für diese Erkenntnis gebraucht. Nicht nur, dass er in einem Ort mit einem deutschen Bürgermeister wohnt, nein, ab morgen geht er auch nach einem deutschen Buch. Das machen wir schon seit Wochen so, zugegeben hat er das bis heute jedoch nicht. Etwas verletzter Nationalstolz spielt da sicher mit.

      Nachmittags gönnen wir uns eine verkürzte Stadtbesichtigung. Für das höchstwahrscheinlich bekannteste Fotomotiv der Stadt, die Mühlen im Fluss, haben wir nach dem verspäteten Aufbruch leider keine Zeit mehr. Außerdem nervt die Blase am rechten Zeh gewaltig. Es dauert immer länger bis der Anlaufschmerz überwunden ist. Zudem gewöhne ich mir langsam eine Schonhaltung an, deren Folgen bekannt sind: Irgendwann wird’s woanders weitergehen mit den Blasen. Noch ist keine zweite Blase zu sehen. Hoffentlich bleibt es dabei.

      Im Studentenwohnheim gibt es kostenloses Internet. Als die Jungs (es sind keine Frauen da!) endlich beim Abendessen sind, kann ich einen freien Rechner ergattern. Ein Blick in die E-Mails, in diverse Foren, ein Kurzbericht im Forum für die Via; und in einem Aufwasch besorge ich Martín den Rückflug nach Mallorca: Air Berlin am 30. März.
      Den Termin für meine Rückreise will ich noch nicht festlegen. Eine der ganz großen Vorteile, wenn nicht sogar der eigentliche Beweggrund dieser langen Wanderung, war das völlige Fehlen von Zeitdruck - bis jetzt. Das war gut so und soll auch so bleiben. Gut 400 Kilometer haben wir noch vor uns bis Santiago de Compostela. In 15 Wandertagen kann man das ganz gemütlich machen – jedenfalls wir. Wir rechnen sogar nur mit 14 Tagen. Trotzdem, ich habe keinen Bock auf einen festen Termin. Eher bin ich bereit einen höheren Flugpreis zu zahlen oder die Rückfahrt mit dem Europabus anzutreten.
      Martín geht ab morgen jedenfalls auf Zeit. Und ich? Ich werde mit ihm gehen und wie es aussieht seinen Zeitplan locker halten können. Es sei denn meine Füße sind gegenteiliger Meinung. An diesem Abend sieht es nicht danach aus.




      20. Tag: Freitag, 16. März 2007 Unendliche Weiten
      Etappe: Zamora – Granja de Moreruela
      Tageskilometer: 40 Gesamtkilometer: 624


      Platz genug
      Aufgeräumt, übersichtlich, ordentlich, alles Attribute mit der sich die Landschaft beschreiben lässt, in der wir uns heute bewegen. So ganz anders als am vorigen Tag schaut's hier nicht aus, aber hier ist es bedeutend spannender und schöner. Gestern, das war ein eher unaufgeräumtes Klein in Klein, der große Überblick wollte sich nicht einstellen. Heute sind es die riesigen Felder und Wiesen auf denen nur ganz selten ein Strauch oder Baum überlebt hat und die wenigen Dörfer - die oft in einer Mulde verschwinden - durch die die Landschaft für mich spannend wird. Das hier ist keine dieser monotonen Ebenen, die dann irgendwann vom Horizont verschluckt werden. Langgestreckte Senken, walbuckelige Hügel bieten dem Auge Widerstand und halten deshalb eine erwartungsvolle Spannung aufrecht. Sogar die nahe N-630 mit ihrem Verkehrslärm stört heute nicht.

      Angefangen hatte der Tag mit einer kleinen Meinungsverschiedenheit mit dem Wachmann des Studentenwohnheims. Der wollte uns perdu so früh nicht gehen lassen! Wir mussten ihm erst unsere Quittung unter die Nase reiben und uns in seiner Ausgangsliste eintragen, bevor er uns widerwillig aus dem Haus lies. Der Blick in die Ausgangsliste erklärte uns dann auch woher das nächtliche Türschlagen und Gerenne auf dem Flur stammte: Minutiös wurde festgehalten wer wann mit wem hier durch musste. In einem deutschen Studentenwohnheim eine schätzungsweise unbekannte Form der Kontrolle.
      Ab Roales del Pan, in dem es trotz des Namens kein Brot gibt, dafür einen „Betonkünstler“ der neben unzähligen Tieren auch zwei moderne lebensechte Rucksackpilger in seinem Vorgarten stehen hat, sind wir dann endlich in dieser Menschenleere unterwegs.





      Drei stehen noch
      Eins nervt allerdings gewaltig, und das schon seit unserem frühen Aufbruch, am linken Fuß brennt der kleine Zeh, am rechten Fuß tut die Ferse weh. Bei der Frühstückspause in Montamarta wird aus der Vermutung Gewissheit – nun werde ich mit drei Blasen unterwegs sein. Die alte, am rechten Fuß, hat sich zu allem Überfluss mit Blut gefüllt. Der Apotheker freut sich sichtbar über ein einträgliches Zusatzgeschäft. Ein Satz Blasenpflaster in allen Größen, sowie eine Großpackung Aspirin werden mich nun begleiten. Ganz unbekannt scheint das Fußproblem in dieser gottverlassenen Gegend nicht zu sein. Für die Einheimischen hat der Apotheker bestimmt nicht das komplette Sortiment an Lager. Gut verarztet und bepflastert – vorsorglich habe ich alle kritischen Stellen an beiden Füßen getapet – und in der Hoffnung das es bei den drei Blasen bleibt, machen wir uns auf den Weg zur Kapelle am Ricobayo-Stausee, die hoch überm See thront.

      Trockenen Fußes können wir über den Grund des Stausees gehen. Es sieht nicht so aus, als hätte hier in den letzten Jahren Wasser gestanden. Leider ist die Kapelle verrammelt, dafür ist die Burgruine Castrotorafe sperrangelweit offen. An den spärlichen Mauerresten dieser einst großen Burganlage des Santiago-Ordens lässt sich schwerlich eine verschließbare Tür anbringen.





      Ruine von Castrotorafe, Ruine ohne Namen, Die Neue
      Im Pilgerführer steht was von der schlimmsten Unterkunft der ganzen Via de la Plata, trotzdem bin ich mehr als froh als wir am späten Nachmittag in Granja de Moreruela eintreffen. Zu unserem Glück hat sich die Unterkunftssituation seit Drucklegung des Buches bedeutend verbessert. In Zeiten, in denen sogar gestandene Autofahrer vom Pilgern reden, hat hier jemand die Zeichen der Zeit erkannt und eine Bar mit privater Pilgerunterkunft eröffnet. Neu, sauber, preiswert. Uns beiden passt das wunderbar in den Kram. Und wie fast immer sind wir alleine in der Herberge. Unser einziges Gesprächthema an diesem Abend sind meine Blasen. Martín, dessen Blasen seit hunderten Kilometern keine Probleme mehr machen, ist fassungslos. Ich auch! Mit der ein oder anderen Blase habe ich schon gerechnet, aber drei? Jetzt bin ich froh, dass ich gestern keinen Rückflug gebucht habe. Zur Not kann ich einige Ruhetage einschieben; mein Begleiter sieht das gezwungenermaßen nicht so locker. Für ihn würde das bedeuten, dass er alleine nach Santiago gehen muss. Begeistert ist er von diesen Aussichten nicht.

      In Granja de Moreruela teilt sich die Via in eine Route über Ourense und eine gerade Strecke nach Astorga. Die letztere führt zum Camino francés, dem eigentlichen Jakobsweg, und über den weiter nach Santiago de Compostela. Das ist auch der Verlauf der historischen Via de la Plata.
      Die meisten gehen von hier den Mozarabischen Jakobsweg (der von Granada kommt) über Ourense, deshalb wird diese Route im allgemeinen Sprachgebrauch als die eigentliche Via bezeichnet. Wie auch immer, wir beide gehen über Ourense. Ob wir morgen bis Tábara (nur 26 km) oder bis Santa Croya de Tera (gut 50 km) gehen, machen wir vom Zustand meiner Füße abhängig.




      21. Tag: Samstag, 17. März 2007 Der Tag der Leiden
      Etappe: Granja de Moreruela - Santa Croya de Tera
      Tageskilometer: 50 Gesamtkilometer: 674


      Rio Esla, Am Abzweig in Granja
      Um es kurz zu machen, wir sind in Santa Croya de Tera gelandet. Trotz der 50 km sind wir relativ früh eingetrudelt. Meine Füße zieren jetzt allerdings zwei zusätzliche Blasen. Fünf Stück sind es schon.
      Nur neun Stunden waren wir für diese Strecke, die zugegebenermaßen nicht sonderlich schwierig ist, unterwegs. Und es war mal wieder ein richtiger Arbeitstag, man könnte auch sagen ein Arbeitssieg. Ob ich für die nächste Etappe noch arbeitsfähig bin werde ich morgen früh sehen.

      Angefangen hatte der Tag an der Sandsteintafel, die auf den Abzweig des Mozarabischen Jakobswegs bzw. auf den Beginn des Camino Sanabrés hinweist. Die Sohlen meiner Wanderschuhe sind mittlerweile so dünn, dass ich jeden einzelnen Stein spüre. Wenigstens höre ich nach einigen Kilometern mit dem Humpeln auf, jedoch nicht lange. Abwechselnd melden sich beide Füße mit neuen Druckstellen. Für mich heißt das: Tape und Blasenpflaster! Weiterlaufen und hoffen, dass es schon gut geht, wie an den vorhergehenden Tagen, kommt nicht mehr infrage. Folglich steigt auch die Zahl der täglichen Pausen sprunghaft an. Nicht nur eine große am Morgen wie bisher, nun wird ein Stopp eingelegt wenn's unten brennt.

      Wenn heute auch die Blasen meine Hauptbeschäftigung sind, die Landschaft kann ich immer noch genießen. Hinter dem Fluss Esla wird der Weg ausgesprochen schön. Nicht nur, dass er durch eine malerische Landschaft führt, dieser Abschnitt hat die heute angeblich so begehrte Premiumwanderweg-Qualität. Ein schmaler Trampelpfad führt am Ufer entlang und dann, da wo die Schlucht sich weitet, zur Anhöhe hinauf von der wir eine herrliche Aussicht auf das im Morgennebel weich gezeichnete Umland haben. Leider kann der weitere Weg über Faramontanos de Tábara nach Tábara das nicht halten. Es sind wieder die schon seit Tagen vertrauten breiten Wege, nur das hier die landschaftlichen Höhepunkte fehlen. Allerdings quetscht sich zwischen die Ebenen heute schon mal ein kleiner Hügelzug oder ein Tal.

      In Tábara stellt sich dann die Frage ob wir hier in die Herberge gehen, oder ob wir noch mal eine komplette Tagesetappe dran hängen. Schmerzen habe ich schon an meinen Füßen - die ich aber ganz gut ertragen kann - es ist aber erst Mittag. Zeit genug hätten wir. Nach einem Rundgang durch den Ort fällt die Entscheidung: wir gehen nach Santa Croya de Tera. Ob ich über diese Entscheidung am Abend noch glücklich seine werde? Blasenpflaster und Tape habe ich seit meinem letzten Apothekeneinkauf mehr als genug.





      Bodegas in Faramontanos de Tábara, Kloster in Tábara
      Ereignislos zieht sich unser Weg nach Norden. Einzig die Pilgerunterkunft in Bercianos de Valverde reißt uns aus der Lethargie des Gehens. Das ist kein Dreckloch mehr, das ist eine Müllkippe. Beim Blick durchs Fenster kommen wir zu dem Entschluss, dass wir hier auf gar keinen Fall übernachten würden. Jedes Notlager unter einem Baum ist dieser Halde vorzuziehen. Das scheint auch der Eigentümer unserer heutigen Herberge sich gedacht zu haben. Auf dem bewaldeten Höhenzug hinter dem Ort baut er eine überdachte Notunterkunft. Eine quadratmetergroße Werbetafel verspricht deren baldige Fertigstellung. Dummerweise verbinden Martín und ich das Versprechen der Tafel mit dem baldigen Ende unserer heutigen Etappe. Doch leider dauert es noch mehr als zwei Stunden, die sich qualvoll in die Länge ziehen, bis wir in der Unterkunft sind.

      Die Eigentümer der „Casa Anita“, Anita und Domingo haben vor Jahrzehnten in Deutschland gearbeitet und führen eine der besten Herbergen am Weg. Obwohl wir völlig überraschend für Domingo eintrudeln, überschlägt er sich vor Hilfsbereitschaft. Er nimmt sich sogar Zeit für ein Abendessen mit uns (er brät einen Riesenbatzen Fleisch im Kamin) und versorgt uns mit den Neuigkeiten der Via. Dabei erfahren wir, dass er zum Freundeskreis der Vía de la Plata gehört und morgen, am Sonntag, Pfarrer Don Blas (den mit der Herberge aus Fuenterroble) auf einem Treffen eben jenes Vereins sehen wird.

      Domingo gibt sich sichtbar Mühe uns für diesen Abend das Gefühl des Zuhauseseins zu vermitteln. Leider trifft er auf wenig aufmerksame Zuhörer. Wir sind beide platt und ausgebrannt. Die letzten beiden Stunden bis zur Unterkunft waren eine furchtbare Quälerei. Ich bin erledigt wie schon seit Jahren nicht mehr. Zu allem Überfluss schmerzt der linke Fuß höllisch. An ein Auftreten ist nicht zu denken. Zudem habe ich das Gefühl, dass ich leichtes Fieber habe. Da ist wohl eine Entzündung im Anmarsch.

      Später kommt dann noch der Chef der jahrhundertealten Laienbruderschaft Cofradía de los Falifos, die in Rionegro del Puente eine neue Herberge betreibt. Er will uns überreden, dass wir morgen dort übernachten. Mit 26 km wäre das eine handliche Etappe, wir wollen jedoch durch bis Mombuey, das ist nur 10 km weiter.




      22. Tag: Sonntag, 18. März 2007 Nach 700 Kilometern wieder alleine
      Etappe: Santa Croya de Tera - Rionegro del Puente
      Tageskilometer: 26 Gesamtkilometer: 700


      Adobe-Häuser in Olleros de Tera, Herberge in Rio Negro del Puente
      Schon auf der Brücke, die Santa Croya de Tera mit Santa Marta de Tera verbindet, habe ich die Schnauze voll. Mein linker Fuß schmerzt höllisch. An ein vernünftiges Auftreten, geschweige schmerzfreies Gehen, ist überhaupt nicht zu denken. Am liebsten möchte ich sofort in die Herberge von Domingo und Anita zurückkehren und einen Ruhetag einlegen. Obwohl es heute Morgen wieder saukalt ist, läuft mir vor Anstrengung der Schweiß den Rücken runter. Dabei sind wir noch keine 500 m gegangen. Das kann ja heiter werden! Bis zur Kirche im Ort am anderen Flussufer haben sich wenigstens meine Kreislaufprobleme gelegt. Ich will wenigstens noch die älteste Jakobus-Figur der gesamten Vía de la Plata mit eigenen Augen sehen. Das muss schon sein, wo doch jeder Bericht und alle Pilgerführer ausdrücklich darauf hinweisen. Ob es an der Figur liegt, oder daran, dass ich mich langsam doch etwas eingelaufen habe, das Gehen ist nicht mehr ganz so schmerzhaft.

      Auf den ersten 11 km bis Calzadilla de Tera wird mir wieder schmerzhaft klar, dass dieser Tag schlimmer werden wird als der vergangene. Beinahe alle halbe Stunde muss ich mich um meine Füße kümmern. Mal ist ein Blasenpflaster verrutscht, dann wiederum meldet sich eine neue Druckstelle die versorgt werden will, oder die Schuhe, die ich schon seit Tagen nicht mehr vernünftig binden kann, sitzen zu locker oder zu fest.
      Obwohl Sonntag ist, gelingt es uns in Calzadilla de Tera eine Ladenbesitzerin zu überreden extra für uns ihr Geschäft zu öffnen. So toll wie sie erwartet hat, ist unser Einkauf dann doch nicht. Mir ist das alles egal. Bei mir fällt sogar das Frühstück aus. Mich interessieren nur noch meine Füße! Während Martíns Frühstückspause entferne ich alle alten Verbände und Pflaster und verarzte mich komplett neu. Kein Tape oder Pflaster soll diesmal eine Falte oder eine Blase werfen. Zusätzlich erhöhe ich meine Asprindosis um die pochende Entzündung im Zaum zu halten.

      In Villar de Farfón wiederholt sich das ganze Spiel. Martín mache ich klar, dass er bis Mombuey schon mal vorgehen soll. Bei mir kann das heute länger dauern. In Erinnerung an seine erste Woche (da wurde er von Blasen gequält) sagt er, dass er bei mir bleiben wird. Die sehr schöne Strecke am Stausee entlang bis hierhin habe ich vor Schmerzen schon nicht richtig mitbekommen, von dem noch schöneren Abschnitt über die Hochebene nach Rio Negro noch weniger. Mir stehen die Tränen in den Augen, mit Sicherheit sind es keine Freudentränen.

      Für mich steht nun endgültig fest, dass ich in Rio Negro bleiben werde, und das gleich für mehrere Tage. Meine Füße brauchen unbedingt Erholung. Die Herberge ist fast neu und wurde uns gestern Abend wärmstens ans Herz gelegt. Weil mein Begleiter seit Zamora einen festen Rückreisetermin hat, werden wir uns wohl oder übel trennen müssen. Wir doktern zwar noch etwas an seinem Zeitplan rum, letztendlich haben wir aber keine andere Wahl: Martín muss, obwohl er noch einen oder zwei Tage Luft hat, weiter. Die zwei Tage Spielraum muss er sich in Reserve halten für schlechtes Wetter oder andere unvorhersehbare Ereignisse. Nach 700 km fällt uns beiden in der Abschied schwer. Ich bin noch nie mit jemand anderem eine so lange Strecke gemeinsam gewandert. Bei ihm ist es genauso. Uns beiden steckt ein dicker Kloß im Hals und bei mir drängt sich auch noch eine Träne in den Augenwinkel. Wir machen es kurz und schmerzlos. Mitten auf dem großen Dorfplatz von Rio Negro del Puente schütteln wir uns die Hand, drehen uns um, und jeder geht seines Weges. Martín die knapp 10 km nach Mombuey und ich die wenigen Meter zur Herberge.

      Die ist fast neu und in einem klasse Zustand, sogar Elektroheizung gibt es hier. Um mich abzulenken und nicht trübselig zu werden, erkundige ich zuerst die Umgebung. Eine Kirche, ein vergitterter kleiner Lebensmittelladen, zwei Kneipen/Bars und ein in die Jahre gekommenes Rathaus. Frisch renoviert, fällt die Pilgerunterkunft etwas aus dem Rahmen. In der Bar Palacio melde ich mich vorsorglich fürs Abendessen an. Weil es sich um eine ganz normale Bier/Kaffee/Fernsehbar handelt kann man hier in der Regel nicht essen. Es lohnt sich nicht mehr für die wenigen noch hier wohnenden Menschen die Küche offen zu halten. Sollte jedoch ein Wanderer oder Pilger hier hängen bleiben, stellt einem die Frau des Eigentümers gerne solide spanische Hausmannskost auf den Tisch. Obwohl ich noch keine Stunde im Ort bin, weiß jeder, dass ich Probleme mit meinen Füßen habe. Und von den Männern, die am Tresen stehen, werde ich folglich ausgiebig bedauert. Na ja, die Besitzerinnen des Lebensmittelladens und der Bar betreuen auch die Herberge. Ehrenamtlich versteht sich. Bei den wenigen Menschen im Ort sind Neuigkeiten schnell rund.

      Spät am Abend trudeln noch zwei alte Bekannte ein: der finnische Opa und sein Enkel. Mit beiden hatten wir kurz in Salamanca gesprochen, heute kommen sie aus Santa Marta de Tera. Sie hatten in der dortigen Herberge übernachtet. Ohne das wir es wussten waren wir nur wenige hundert Meter voneinander untergebracht. Die beiden gehen genau wie Martín mit dem spanischen Buch von 2001. Darin steht kein Wort von der „Casa Anita“, in der wir die letzte Nacht verbracht haben. Besonders der Enkel freut sich über die Abwechslung. Mit noch nicht mal 20 Jahren ist es für ihn natürlich nicht ganz einfach wochenlang mit einem mehr als 50 Jahre älteren Mann unterwegs zu sein - auch wenn es sein Opa ist. Einem Familienmitglied kann man schlecht entrinnen, zumal er der restlichen Familie versprochen hat, den alten Mann bis zum Schluss zu begleiten.

      Auch für mich ist es ein Glücksfall, dass die beiden heute hier eingetroffen sind. Das lenkt mich vom Trübsalblasen und vom Selbstmitleid ab. Außerdem lohnt es sich jetzt die Waschmaschine anzuschmeißen. Anhand meiner Wegbeschreibung aktualisieren wir noch ihr Buch. Der Rest des Abends ist ausgefüllt mit dem Austausch von Erinnerungen, guten und schlechten Erfahrungen auf der Via und dem Labern über Gott und die Welt. Die beiden wollen morgen weiter nach Cernandilla. Bis dahin sind es zwar nur 20 km, eine Tour über deren Länge ich mir vor zwei Tagen nicht den Kopf zerbrochen hätte, im Augenblick jedoch eine utopische Entfernung. Den Gedanken mit den beiden Finnen morgen früh aufzubrechen, verscheuche ich direkt wieder. Ich werde mindestens drei Tage in dieser Herberge bleiben, nehme ich mir fest vor. Die Entzündung muss erst ausheilen, vorher ist an ein Weiterkommen nicht zu denken.




      23. Tag: Montag, 19. März 2007 Zuhause im Nirgendwo
      Etappe: Rionegro del Puente (Ruhetag)
      Tageskilometer: 0 Gesamtkilometer: 700


      Rionegro del Puente
      Junge, Junge! Die beiden Finnen lassen sich aber Zeit. Die wollen doch heute weiter - oder doch nicht? Erst gegen halb neun wühlen die sich aus den Schlafsäcken. Martín und ich haben uns um diese Uhrzeit meist die ersten Gedanken über den passenden Platz für die Frühstückspause gemacht. Mir soll es recht sein. Ich gehe heute nicht weit, höchstens bis zur Bar. Und weil ich schlecht geschlafen habe, das Brennen und Pochen im Fuß ist erst gegen Morgen erträglich geworden, habe ich heute mal keine Probleme mit dem Ausschlafen.

      Die beiden machen sich auf den Weg zum Lebensmittelladen. Vergeblich wie sich rausstellt. Der macht erst gegen 10 Uhr auf. Okay, dann eben in die Bar auf einen Kaffee und die Zeit totschlagen. Meinen Einwand, dass es nur 2 Stunden bis Mombuey sind und dort alles was das Pilgerherz begehrt zu kaufen gibt, lehnt der Ältere ab. Ohne Kaffee und Frühstück geht er keinen Meter. Um halb elf haben die zwei es endlich geschafft. Mann-o-Mann! Aber wie sagt der Kölner: „Jeder Jeck ist anders.“

      Ich mach mich dann auch mal auf die Runde. Kaffee in der Bar und das Essen für heute Abend bestellen, weiter zur anderen Bar (hat aber noch zu) und zum Schluss in den Laden neben der Herberge. An der Wursttheke treffe ich eine Frau aus Deutschland, die schon seit dreißig Jahren hier wohnt, und ihr Geburtsland nicht wieder betreten hat. Dank Satellitenfernsehen spricht sie immer noch sehr gut Deutsch. Es sei aber auch höchste Eisenbahn gewesen, meint sie, sonst hätte sie die Sprache verlernt. Ansonsten fühlt sie sich hier pudelwohl und denkt nicht mal im Traum daran ihre Zelte abzubrechen. Die große weite Welt braucht sie nicht, wenn es sie doch mal überkommt, hat sie mehr als 50 Fernsehkanäle. Seitdem es die Herberge gibt, verirrt sich immer öfter auch die weite Welt in dieses Nest – wenn auch meist nur für eine Nacht. Sie weiß natürlich schon längst, dass ein fußkranker Pilger aus ihrer alten Heimat sich für ein paar Tage in diesem Nest einquartiert hat.

      Gegen Mittag kann ich mich endlich überwinden meinen Füßen eine gründliche Inspektion und Reparatur zukommen zu lassen. Alles muss runter. Kein Pflaster, kein Tape, kein noch so teures von der Werbung hochgelobtes Produkt kommt da in Zukunft dran. Nur Luft, Alkohol und Jod. Wenn es zu arg scheuern sollte, wird ein einfaches Pflaster drüber geklebt. Es ist die spanische Methode: tagsüber Jod, nachts Luft damit die Blasen austrocknen können.

      Bis auf zwei gehen die Blasenpflaster, die angeblich eine innige Verbindung mit der Blase eingehen sollen, fast von alleine ab. Die beiden hartnäckigsten werden solange mit Alkohol bearbeitet bis nichts mehr davon übrig ist. Anschließend werden alle Blasen mit einer Nadel aufgestochen (sofern das nicht schon geschehen ist) und gründlich ausgedrückt. Schon nach einer halbe Stunde steht in den meisten wieder die Brühe. Also wieder von vorne. Wo geht die Flüssigkeit eigentlich hin wenn ein Blasenpflaster als Sperre davor ist? Auf der großen Stufe vor dem Eingang der Unterkunft in der warmen Sonne sitzend, wird der Vorgang bis zum Abend noch mehrfach wiederholt. Selbst nach Stunden suppen die noch. Aber ich habe jetzt Zeit. Vorsorglich habe ich schon mal für 3 Nächte bezahlt.

      Es ist schon komisch. Ich fühle mich hier sauwohl. Es gibt so gut wie keinen Verkehr, das Nest ist beinahe ausgestorben. Geschäfte in den ich aus Langeweile sinnlos Geld ausgeben könnte gibt es auch nicht. Touristisch hat Rionegro nichts zu bieten. Höhepunkt ist das halbstündige Gedudel einer an Big Ben erinnernden Melodie, die von der Rathausuhr kommt. Das Gedudel höre ich schon seit Wochen. Ganz Kastilien-León hat sich dem Anschein nach auf diese Melodie geeinigt. Würde die Vía de la Plata nicht hier entlang führen, kein Mensch käme auf die Idee diesen Ort zu besuchen. In einem regulären Reiseführer werde ich Rionegro del Puente vergeblich suchen. Kurz, das hier ist der oft zitierte "Arsch der Welt".

      Und an diesem "Arsch der Welt" bin ich gut aufgehoben. Es ist vergleichbar mit, sich wie zu Hause fühlen. Neben der neuen, sauberen und warmen Pilgerherberge liegt das hauptsächlich an den Menschen. Sie geben mir das Gefühl hier willkommen zu sein, und dass im Notfall jemand da ist, der sich um mich kümmern wird oder zur Hilfe kommt. Es kann ja sein, dass alles pure Einbildung ist (so gut ist mein Spanisch immer noch nicht), wenn ja, dann ist das auch egal. Mir geht es heute ausgesprochen gut. Zur Not kann ich mich auch eine Woche oder länger hier verkriechen, bis ich wieder schmerzfrei laufen kann.

      Abends meldet sich Gerd (der mit dem Franzosen unterwegs ist) per SMS. Er ist in Richtung Benavente unterwegs (also auf der eigentlichen Vía) und wird in 2 Tagen Astorga am Hauptweg erreichen. Sein Begleiter Bernard wird dann wohl oder übel alleine unterwegs sein müssen. Der geht, genau wie alle anderen, über Ourense. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Bernard mich hier noch antreffen wird.
      Einer wird mich auf alle Fälle hier noch antreffen. Michael ist in der Herberge in Calzadilla de Tera und wird morgen Mittag hier vorbeikommen. Per SMS verspricht er mir eine Suppe frisch aus der Tüte, dafür aber auf seinem neuen Kocher, zu kochen. Wir schicken uns zwar jeden Tag eine SMS mit unserem Standort und einigen Neuigkeiten. Aber das letzte Mal gesehen haben wir uns in Cáceres, bei Kilometer 300. Beinahe in einem anderen Leben. Langsam wird mir bewusst, dass alle an mir vorbeiziehen. In ein paar Tagen werde ich die alleinige Nachhut sein.




      24. Tag: Dienstag, 20. März 2007 Zu Tode betrübt und himmelhoch jauzend
      Etappe: Rionegro del Puente – Mombuey - Cernadilla
      Tageskilometer: 19 Gesamtkilometer: 719


      Hochebene vor Mombuey, Kirchturm und Detail in Mombuey
      Der Gedanke mit der Nachhut geht mir am nächsten Morgen nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich hier wirklich drei Tage bleibe, vielleicht noch länger, werde ich alleine auf weiter Flur sein. Sicher, den Franzosen und die beiden Finnen werde ich wieder einholen können. Martín und Michael, mit beiden bin ich seit Anfang der Tour mehr oder weniger gemeinsam unterwegs, werden auf und davon sein. Martín ruft jeden Abend an und will wissen wie es mir geht und wann ich nachkomme. Gestern war er schon in Requejo. Nach anderthalb Tagen hat er schon mehr als 54 km Vorsprung. Und Michael wird spätestens heute Nachmittag hier in Rionegro sein, mir die versprochene Suppe kochen, und dann weiterziehen. Wenn Bernard auch durch ist, wird sehr wahrscheinlich niemand mehr kommen. Um diese Jahreszeit ist auf der Via tote Hose.
      Wegen der „toten Hose“ bin ich eigentlich auf diesem Jakobsweg gelandet. Überfüllte Wanderrouten auf denen sich die Wanderer oder Pilger gegenseitig in die Hacken treten und schon beim morgendlichen Start der Run auf die nächste Unterkunft losgeht, meide ich nach Möglichkeit. Aber so ganz alleine?
      Da ist zunächst der sportliche Ergeiz, der den Gedanken an das heutige Weitergehen aufkommen lässt, und zum anderen muss ich mir langsam eingestehen, dass ich mich in den letzten drei Wochen an den Inselbewohner gewöhnt habe. Den letzten Ausschlag gibt ein Telefongespräch mit Martín, der ausnahmsweise mal morgens anruft, und sagt dass er heute bis A Gudiña gehen wird. In der dortigen Herberge kann er zwei Tage auf mich warten. „Offiziell“ gibt er an, dass er sich an die präzise deutsche Wegbeschreibung gewöhnt hat. Vermutlich geht es ihm aber ähnlich wie mir. Mehr als 700 km gemeinsamen Wanderns hinterlassen nun mal bei den meisten Menschen Spuren. Zugeben wird er das aber nie.

      Um 11 Uhr stehe ich im Laden und verabschiede mich von der Besitzerin. Sie hat mich die 10 Meter zwischen der Herberge und ihrem Geschäft heranhumpeln sehen und schüttelt nur den Kopf. Mit diesen Füßen würde ich es nicht bis Mombuey schaffen, meint sie zum Abschied. Insgeheim geht sie davon aus, dass sie mich schon heute Nachmittag wieder sehen wird.

      Schon nach weniger als einem Kilometer hätte ich am liebsten kehrt gemacht. Der eine Tag Ruhe hat nichts gebracht. Überhaupt nichts! Ich tröste mich, dass ich mir für die kurze Strecke wenn es sein muss 8 Stunden Zeit lassen kann. Die noch nicht mal 48 Stunden Pause in Rionegro verklären sich schon jetzt zu einem Paradies. Ich könnte jetzt gemütlich in der Sonne sitzen und das schmerzfreie Leben genießen. Anderseits ist es für mich wichtig wieder unterwegs zu sein, sogar wenn dabei noch nicht mal 10 km rausspringen. Wenn es sein muss, kann ich in den nächsten Tagen die Streckenlänge um die 10 bis 15 km halten. Hauptsache wieder in Bewegung! Bis Lubian reiht sich eine Herberge (wenn manchmal auch als Notunterkunft) an die andere. Notfalls gibt es auch Hotels oder Hostals. Das sind die Überbleibsel aus besseren Zeiten, als der Fernverkehr noch auf der N-525 unterwegs war. Heute nimmt die Autobahn den Verkehr auf.

      Zwei Stunden später stehe ich nach elender Quälerei vor der Herberge in Mombuey. Es dauert noch mal eine halbe Stunde bis ich, nach einigen Missverständnissen mit Gang zum Rathaus und zum Bürgermeister, endlich den Schlüssel in der Hand halte und mich ausruhen kann. Ich kann nicht behaupten, dass ich eine wesentliche Verbesserung in Sachen linker Fuß merke. Eher das Gegenteil. Ich brauche unbedingt neue Schuhe mit harten Sohlen, die es aber auch hier nicht gibt. Außerdem ist mir schweinekalt. Fast genau so dringend brauche ich eine richtig warme Jacke oder Pullover. Der eine altersschwache Radiator der Herberge wird es nicht schaffen die Temperatur um mehr als 3 Grad zu heben.

      Zwischenzeitlich ist Michael hier eingetrudelt und zieht nach kurzer Unterhaltung weiter. Ich kann ihn ja verstehen, auch ich hätte keinen Bock schon mittags die Etappe zu beenden – jedenfalls nicht mit gesunden Füßen. So schnell wie er gekommen ist, ist er auch wieder verschwunden.

      Ich plündere noch den Aspirin- und Jodvorrat der Apotheke und mache mich auf die Suche nach einem offenen Klamottenladen, denn mittlerweile ist der Ort in die Siesta gefallen. Die Eigentümerin des einzigen Bekleidungsgeschäfts sieht mich herumirren und schließt für mich die Ladentür auf. Zehn Minuten später verlasse ich den Laden wieder und bin stolzer Besitzer einer superdicken Fleecejacke. 22,50 mit Ausverkaufs-, Pilger-, Mitleids- und „Mädchen“rabatt. Angeblich ist es eine Frauenjacke. Solange die warm hält, ist das mir egal. Viel wichtiger ist, dass die Frau mir von der neuen Herberge in Cernadilla erzählt hat, und dass auf dem Padornelo-Pass Schnee liegt. Na ja, noch bin ich auf 900 m und wenn es in diesen kurzen Etappen weitergeht, werde ich den auf gut 1300 m liegenden Pass erst in einer knappen Woche erreichen.





      Noch ist alles im Winterschlaf, Etwas Farbe in der grauen Steinwelt
      Das die Herberge in Cernadilla ganz neu ist, sogar eine Heizung soll es dort geben, ganz im Gegensatz zu der hiesigen Unterkunft, in deren dicken Granitmauern noch die Kälte des Winters steckt, lässt mir keine Ruhe. Wahrscheinlich ist Michael da gelandet. Ich könnt ja hinhumpeln, oder? Fünf Minuten später liegt der Schlüssel im Briefkasten und ich bin wieder unterwegs.

      Der zweite Teil des Tages entwickelt sich so wie ich es zwar erträumt habe, aber mit der Erfüllung dieses Traums niemals gerechnet hätte: Die Schmerzen im linken Fuß sind wie weggeblasen! Nur die zahlreichen Blasen tun noch weh, das kann ich aushalten, daran kann ich mich gut gewöhnen. Der dumpfe pochende Schmerz im Fuß, der mir die Tränen in die Augen getrieben hat, der hat sich verabschiedet. Hoffentlich kommt er nie wieder. Eine SMS von Michael bestätigt, dass er in Cernadilla ist, und ich erinnere ihn mit der Antwort an die versprochene Suppe.
      Als ich eintreffe ist er doch überrascht, dass ich es bis hierhin geschafft habe. Nicht nur er.

      Die neue Herberge ist klein, schnuckelig und gemütlich warm. Meine neue, dicke Fleecejacke werde ich nicht brauchen, sogar als Kopfkissen ist sie zu dick. Von Martin kommt noch die Bestätigung, dass er in A Gudiña ist und dort zwei Tage auf mich warten wird, länger auf gar keinen Fall.
      Wenn meine Füße sich so gut halten wie auf den letzten 10 km, kann morgen die Aufholjagd beginnen. 76 km sollten trotz der zwei Pässe kein Problem sein. Die Füße müssen allerdings auch meinen Optimismus teilen.




      25. Tag: Mittwoch, 21. März 2007 Die Aufholjagd kann beginnen
      Etappe: Cernadilla - Requejo
      Tageskilometer: 35 Gesamtkilometer: 754


      Häuser und Kirche in Palacios de Sanabria
      Nun also mit Michael, mit dem ich diese lange Wanderung vor Wochen im warmen Andalusien begonnen habe. Unser letzter gemeinsame Start liegt schon Wochen zurück. Im Kloster von Alcuéscar war das, da war auch noch der Katalane dabei. Es wird unsere letzte Gelegenheit sein gemeinsam in den Tag zu starten. Er wird davonziehen. Meine Füße sind nicht in der Lage sein hohes Tempo zu halten, zudem will er eine superlange Etappe gehen. Ich plane vorsichtshalber mit Puebla de Sanabria als heutigem Etappenziel. Das würde bedeuten, dass ich morgen weit mehr als 50 Kilometer gehen muss, wenn ich Martín noch einholen will. Mehr ist heute mit Sicherheit nicht drin.

      Wie erwartet zieht Michael schon nach wenigen Kilometern das Tempo an und ist schnell hinter der nächsten Biegung verschwunden. Was soll´s! Das war klar. Der Mann kann einfach nicht langsam gehen. Warum sollte er auch?
      Ich werde eh kurz die Vía de la Plata verlassen müssen, in Palacios de Sanabria soll es ein Schuhgeschäft geben. Zwar höre ich nach kurzer Einlaufzeit mit dem Humpeln auf, auch bringe ich schon wieder ein brauchbares Tempo zustande, aber neue Schuhe müssen unbedingt her. In Palacios soll es welche geben. Oder war es in Puebla? Kann sein, dass ich die Apothekerin in Mombuey falsch verstanden habe. Oder war’s gar nur ein Schuster? Schon kurz hinterm Abzweig nach Palacios de Sanabria fängt mich ein Autofahrer ab. In der Annahme, dass ich mich verlaufen habe, will er mir unbedingt den richtigen Weg zeigen. Nach umständlicher Aufklärung warum ich hier rumstapfe, klärt er mich lachend auf, hier gibt es weit und breit keinen Schuster, geschweige denn ein Schuhgeschäft. Immerhin noch früh genug, so hält sich der Umweg in Grenzen.

      Der kleine Umweg bringt mich direkt nach Otero de Sanabria und seiner alten Kirche, über deren Eingang zur Sakristei eine eindrucksvolle bunte Holzschnitzerei an die Qualen des Fegefeuers mahnen soll. So schlimm kann das Fegefeuer nicht sein, jedenfalls nicht, wenn ich dieser Darstellung Glauben schenken darf. Auf alle Fälle war alleine schon die Schnitzerei diesen kleinen Umweg wert. Früher führte die Via direkt hier vorbei (alte, langsam verblassende gelbe Pfeile sind noch zu sehen), die neue Strecke berührt den Ort nur noch am Rande. Leider werden deshalb die wenigsten Wanderer in Zukunft in den Genuss dieser Darstellung kommen.
      Otero de Sanabria ist wie viele Orte hier im äußersten Westen Kastilien-Léons am Aussterben. Jede Menge verfallender Häuser legen davon ein eindrucksvolles Zeugnis ab. Die steinernen Grundmauern werden noch viele Jahre stehen. An Dachstühlen, Umrandungen und Anbauten aus Holz ist der Lauf der Zeit nicht spurlos vorüber gegangen. Allzu oft künden nur noch verfaulende Reste, die sich hinter den Granitmauern verstecken, von einst intakten Häusern. Selbst bei einigen noch bewohnten Gebäuden ist ein Großteil der Bausubstanz verfallen. Die überwiegend alten Bewohner schaffen es anscheinend gerade noch, ihre unmittelbar zum Wohnen benötigten Zimmer in Schuss zu halten.
      Bei uns würde man sagen, dass es eine strukturschwache Gegend ist, für Spanier ist das hier eines ihrer Armenhäuser. Man hängt es nicht an die große Glocke, aber es gibt noch mehr davon in diesem Land, das einen Teil seines Glücks über lange Jahre in einem überbordenden Tourismus gesucht hat. Zaghafte Renovierungen an leider nur sehr wenigen Häusern, lassen hoffen, dass die Menschen dieses Landstrichs ihre Tradition und damit auch ihre Gebäude für erhaltenswert halten. Das immer mehr Geld hierhin fließt, kann man an einigen neuen, dafür allerdings meist gesichtslosen, Häusern erkennen.





      Puebla de Sanabria
      Es ist noch kein Mittag, als ich unterhalb der mächtigen Burg von Puebla de Sanabria stehe. Was tun? Hier sollte für heute Schluss sein. Zunächst suche ich nach einem Schuster. Der war es also, den die Apothekerin in Mombuey gemeint hatte. Leider ist der Besuch für die Katz. Er hat nur sehr wenige Schuhe vorrätig, und die sind ohne Ausnahme zu klein. Der Spanier an sich lebt auf relativ kleinem Fuß, meint er. Mit meiner in Mitteleuropa eher durchschnittlichen Schuhgröße 43, stoße ich hier an den alltäglichen Rahmen. Ich werde mit meinen alten, ausgelatschten Tretern weiter gehen müssen. Seit zwei Tagen klappt das ganz gut. Warum also nicht? Und weil das alles wieder läuft wie am Schnürchen, beschließe ich, dass es heute noch weiter geht. Bis nach Requejo, am Aufstieg zum Padornelo-Pass, sind es noch knapp 3 Stunden. Vor wenigen Tagen noch undenkbar, heute Mittag schon wieder die normalste Sache der Welt. Wenn wider Erwarten meine Füße doch schlapp machen, werde ich mich mit Schlafsack und Isomatte irgendwo ins Grüne legen und abwarten.

      Das ist dann doch nicht eingetreten, die Füße haben durchgehalten. Ich bin in der Herberge in Requejo gelandet. Die ist im Keller einer Apotheke. Einen Schlüssel gibt es nicht, anmelden muss man sich auch nicht, noch nicht mal einen Kasten für eine Spende gibt es. Dafür gibt es so gut wie nagelneue Betten und Matratzen. Damit es nicht des Guten zu viel wird, ist der Keller ungeheizt, dank der frühen Jahreszeit also kälter als kalt, und eine Wand ist klitschnass. Schimmel so weit das Auge reicht. Leider ist das nahe Hostal voll belegt und im noch näheren Hotel rührt sich auf mein Klingeln keine Menschenseele. Ich muss hier wohl oder übel die Nacht verbringen.

      Michael, den ich weit vor mir auf dem Padornelo wähnte, kommt abends auch noch. Er hat mal wieder eine seiner großen Pausen gemacht, dabei habe ich ihn unbemerkt überholt. Beide sind wir überrascht uns hier zu sehen. Ihm ist das Loch allerdings eindeutig zu kalt und zu nass, er will’s im Hotel versuchen. Eine SMS von ihm bestätigt, dass er es geschafft hat. Man muss nur lange genug den Finger auf der Klingel halten.

      Vermummt in zwei Hosen und zwei Fleecejacken (endlich kommt die neue zu Ehren) spiele ich mit dem Gedanken des Umzugs. Soll ich auch aus dieser vor Kälte und Nässe starrenden Notunterkunft ausziehen? Das Hotel ist bestimmt geheizt. Doch der Keller der Apotheke hat einen ganz großen Vorteil: ich kann gehen wann immer ich will und am nächsten Morgen will ich sehr früh los, nach Möglichkeit noch vor Anbruch der Morgendämmerung. Das Hotel ist um diese Uhrzeit bestimmt noch verschlossen. Meine heutige Unterkunft nicht, oder?
      Mit Schrecken fällt mir auf, dass alle Fenster vergittert sind (der Keller war in besserer Zeit das Medikamentenlager), in der Alutür steckt ein funktionstüchtiges Sicherheitsschloss, die Apotheke über mir ist nach Geschäftsschluss verlassen. Kurz, ich bin der einzige Mensch im Haus. Was ist, wenn nachts jemand kommt und die Tür abschließt? Immerhin ist über mir eine Apotheke. Dass sich im Keller jemand aufhält, weiß nur die Frau aus der Bar, bei der ich meine Einkäufe gemacht habe. Zur Sicherheit verklebe ich das Schloss mit Panzertape und klemme meinen Trekkingstock so zwischen Türgriff und Rahmen, dass er auf alle Fälle scheppernd auf den Steinboden fällt, wenn jemand an der Tür rüttelt um sie trotz des verklebten Riegels zu verschließen.
      Es ist wichtig, dass ich morgen in aller Herrgottsfrühe unterwegs sein kann. Bis A Gudiña, jenseits zweier Pässe, wird's sonst eng.
      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 04.01.2022, 18:10.
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      • Werner Hohn
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        #23
        26. Tag: Donnerstag, 22. März 2007 Steine und Steine
        Etappe: Requejo – A Gudiña,
        Tageskilometer: 44 Gesamtkilometer: 798


        Dopingsteine
        Gestern, vor dem Einschlafen war ich mir noch nicht sicher welchen Weg ich heute Morgen nehmen soll, die offizielle Route oder die alte Strecke. Beide führen zum Padornelo hinauf. Zweifellos ist die erste Variante schöner, sie führt durchgehend über schmale und steile Trampelpfade zum Pass. Die halboffizielle Strecke nimmt den Seitenstreifen der N-525, auf der seit Bau der Autobahn so gut wie kein Verkehr ist, besonders so früh am Morgen. Als ich um 6 Uhr vor der Tür stehe (das Klebeband am Schloss habe ich natürlich wieder entfernt), nimmt mir die Dunkelheit die Entscheidung ab. Bei dem wenigen Licht kann ich die Markierungspfeile nur sehr schlecht erkennen, und für großartige Suchaktionen nach dem richtigen Weg, habe ich heute keine Zeit. Das bedeutet, ab auf den Seitenstreifen.

        Spätestens als die Sonne aufgeht und die kahlen Laubbäume und Bergkuppen mit einem kupferfarbenden Licht überzieht, bin ich sicher, dass es die richtige Entscheidung war. Zumal der tiefe Talgrund, in dem ich mich, wenn ich den Hauptweg gegangen wäre jetzt aufhalten würde, noch im Dunkeln liegt. Als dann auch noch der Tunnel auf der Passhöhe hinter mir liegt, nur zwei Autos waren in den letzten anderthalb Stunden unterwegs, bin ich wieder auf der Originalroute.

        Hinterm Padornelo gehe, stolpere, rutsche, fluche und freue mich zugleich über die herrlichen alten Verbindungswege über die die Via de la Plata jetzt geführt wird. Fluchen und Stolpern wegen der kindskopfgroßen Steine, den tiefen ausgewaschenen Furchen, in denen das Wasser fließt, freuen, weil es meinen Füßen wider Erwarten gut tut; und weil es ein wunderschöner Weg ist. Bis Lubián geht das so.

        Das erste bewohnte Haus in Lubián ist die Pilgerherberge. Im Vorbeigehen registriere ich, dass mir die Wäsche, die auf dem Balkon hängt, irgendwie bekannt vorkommt. Die sieht finnisch aus. Rundrum sind alle Rollladen unten, die Haustür ist verrammelt, aber durch lautes Klopfen wird auch der müdeste Pilger wach. Es sind tatsächlich der Opa und sein Enkel aus Finnland, die mich vor 3 Tagen in Rionegro eingeholt und anschließend überholt haben. Bei der Antwort auf meine Frage warum sie um 10 Uhr, bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel noch im Bett liegen, fällt mir die Kinnlade runter. Den beiden Männern vom Polarkreis ist es in Spanien zu kalt! Außerdem braucht der Opa mal wieder eine längere Pause zum Erholen.

        Insgeheim bewundere ich ja den Enkel. Weil er seiner Familie versprochen hat bei seinem Opa zu bleiben, egal was kommt, passt er sich klaglos an dessen Tempo an. Ausgestattet mit einem MP3-Player, mehr hat er nicht zur Ablenkung, hat er schon eine 6-tägige Pause (sein Opa hatte 6 Blasen an den Füßen) am zweiten Tag ihrer Pilgerschaft in Castilblanco de los Arroyos überstanden. Nur wer schon mal in diesem Nest war, kann nachvollziehen, was das bedeutet: kein Radio, kein Fernseher, kein Internet, kein Buch, keine Zeitung die er lesen konnte, noch nicht mal eine Sehenswürdigkeit mit der er sich die Zeit totschlagen konnte. In einigen anderen Nestern entlang der Route wurde das noch mehrmals wiederholt - wenn auch nicht mehr für 6 Tage. Drei Wochen vor mir gestartet, werden sie auch mit Sicherheit drei Wochen nach mir in Santiago ankommen. Wäre ich an der Stelle des Enkels, ich hätte meinen Opa schon lange in Richtung Heimat verfrachtet. Diese Geduld zu einer scheinbar nicht endenden Pilgerschaft hätte ich nicht. Vielleicht unterscheidet sich auch dadurch mein Wandern vom Pilgern.

        In Lubián an der Grenze zu Galicien, taucht er dann endlich auf, der erste von einem galizischen Bildhauer gestaltete Markierungsstein. In ganz Galicien stehen diese Steine an den Pilgerwegen, wobei keiner dem anderen gleicht. Am meisten freue ich mich aber auf den ersten galizischen Kilometerstein. Bis dahin muss ich mich aber noch gedulden, davor liegt noch der Pass von A Canda.





        Galicien: Steine und Regenwolken


        Galicien
        Lange Zeit vergessen, dazu noch das Armenhaus Spaniens, das ist Galicien. Grün, bergig, nass - alles Attribute die auf diesen Landstrich passen. Galicien ist die feuchteste Ecke Spaniens. Es regnet nicht jeden Tag, aber wenn, dann ausgiebig und in großen Mengen. Die Wetterküche auf dem nahen Atlantik sorgt für steten Nachschub.
        Viele, unendlich viele Menschen sind von hier in die Neue Welt ausgewandert. Eine Familie sollte bekannt werden: die Familie Castro. Der Vater von Fidel Castro, dessen Namen untrennbar mit der Insel Kuba verwoben ist, stammt aus Galicien.
        Die Küsten sorgen hin und wieder für Schlagzeilen, wenn mal wieder ein Tankerunglück in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerät.
        Ansonsten ist hier nur noch Santiago de Compostela - nach Rom vielleicht das bedeutendste Pilgerziel der Christen – von Bedeutung. Das Pilgern ist in Galicien in den letzten Jahren ein so bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden, dass die Regionalregierung die Einrichtung, die Pflege und den Erhalt der alten Pilgerwege mit bedeutenden Mittel fördert. Überall im Land sind Pilgerherbergen wieder in Stand gesetzt worden, oder, sehr oft sogar, neu gebaut worden. Sie zählen zu den besten, saubersten und meist auch schönsten Pilgerherbergen in Spanien. Zudem sind die Unterkünfte kostenlos, was nicht heißen soll, dass Spenden nicht gerne gesehen werden.

        Mittags, nach einem kleinen Umweg über die ganz alte Passstraße, bin ich oben. Ein paar Schneereste unter den Kiefern erinnern ans Wetter der vergangenen Tage. Mir soll’s egal sein. Eine Pause, eine sehr ausgiebige Pause auf einer Granitbank und das satte Gefühl einer unglaublichen Befriedigung, dass werde ich für immer mit diesem Pass verbinden. Nun bin ich in Galicien, ab hier ist es nur noch ein Katzensprung, weniger als 230 Kilometer. Zur Not hüpfe ich die auch auf einem Bein.

        Am meisten freue ich mich über den ersten richtigen Kilometerstein mit Muschel und kleinem Messingschild, auf dem die Entfernung bis Santiago steht. Der erste Stein ist uninteressant, der zeigt die Entfernung über Verin an der portugiesischen Grenze an, der zweite, eine halbe Stunde später, ist meiner. „212 km Por Laza“ steht da. Für den weiteren Weg gibt das die zweite Luft. In unregelmäßigen Abständen kommt ein Stein nach dem anderen. Sogar mit drei Stellen hinterm Komma, also bis auf den Meter genau.

        Die grünen Bäume und Wiesen der Extremadura und die weiten, übersichtlichen Ackerflächen der Meseta liegen nun endgültig zurück. Ab hier wird die Landschaft kleinteiliger, der Blick reicht oft nur bis ins Tal und zu den Berghängen. Der Frühling hat es noch nicht bis hierher geschafft. An den Buchen und knorrigen Eichen ist noch kein grünes Blatt zu sehen. Alles ist grau und braun. Die Natur ist noch immer im Winterschlaf. Für Farbtupfer sorgen nur die grünen Wiesen und der meist blaue Himmel. Der hat sich auch gewandelt. Ganztägig blau ist er nicht mehr. Nun mischen sich immer häufiger graue Regenwolken dazwischen.

        Zum Ausgleich gibt es schöne Wege, sehr schöne Wege sogar. Die breiten, schnurgeraden Wirtschaftswege haben ausgedient. Steine, Felsen, Rinnen, Wurzeln, Lehm und Wasser, jede Menge Wasser, daraus sind die Wege nun. Meist eingefasst von alten Mauern, hat das Wasser keine andere Möglichkeit. Es bleibt auf den Wegen, bis sich irgendwann eine Lücke oder ein Durchgang auftut.
        Es gurgelt, es sprudelt, es plätschert an allen Ecken, es läuft aus allen Wiesen. Wasser, überall Wasser. Sehr oft helfen nur große Granitplatten, Trittsteine aus Granit oder Stege aus Granit über die tiefen Tümpel und Rinnsale. Hier ist alles aus diesem harten Stein der die Zeiten überdauern wird. Martín hat mich telefonisch vorgewarnt. Ich soll die N-525 nehmen, das sei bedeutend einfacher. Seinem Rat bin ich zum Glück nicht gefolgt. Um nichts in der Welt möchte ich diesen Weg missen. Selbst ein kleiner Regenschauer kann meine Begeisterung für Weg und Landschaft keinen Dämpfer verpassen.

        Kurz vor A Gudiña, in O Cañizo treiben zwei Frauen zwei Kühe über die Dorfstraße. Als ich zum Überholen ansetze, bitten die mich das zu unterlassen, die Kühe würden mir folgen. Dann eben nicht. Nach wenigen Metern wird klar warum. Überall im Ort öffnen sich die Stalltüren und die Kühe trotten auf die Straße. Alle laufen der führenden Kuh mit der Glocke hinterher. Bis zum Ortsausgang ist eine kleine Herde von 25 Stück Vieh beisammen. Dort werden sie vom Dorfhirten übernommen und zur Weide geführt. Bei uns im Westerwald hat der letzte Dorfhirte sein Handwerk vor 40 Jahren an den Nagel gehängt, in diesem Winkel Europas findet anscheinend immer noch ein Mensch sein Auskommen mit dieser Arbeit.





        Bei O Pereiro
        Nachmittags bin ich am Ziel, A Gudiña, hier wartet Martín auf mich. Prompt laufen wir uns auf der Straße übern Weg. Großes Hallo, Freude auf beiden Seiten, ab zur Herberge, unter die Dusche, Etappen planen (es bleibt bei unserer ursprünglichen Einteilung), schnell in die Bibliothek und rein ins Internet. Ich kann nun auch meinen Rückflug buchen: 30.März mit Air Berlin. Zufällig ist das genau der Flug der Martín nach Mallorca bringt (Air Berlin fliegt so gut wie alle Flüge von und nach Spanien über Mallorca). Wir werden also unsere gemeinsame Wanderung im Flieger ausklingen lassen.

        Später kommt auch noch Michael. Es sieht danach aus, als ob wir drei nun mehr oder weniger zusammen bleiben werden. Die Etappenlänge wird ab heute durch die galizischen Herbergen vorgegeben. Lange Strecken von 40 und mehr Kilometern gehören ab morgen der Vergangenheit an. Es sei denn, Wetter oder Gesundheit machen uns einen Strich durch die Rechnung.
        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 04.01.2022, 18:12.
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        • Fjaellraev
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          • Meine Reisen

          #24
          Ich könnte es eigentlich jedes Mal schreiben wenn du einen neuen Teil online stellst - Wahnsinn!
          Beachtliche Tour, Hammerbilder und super Text

          Gruss
          Henning
          Es gibt kein schlechtes Wetter,
          nur unpassende Kleidung.

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          • Werner Hohn
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            #25
            Hallo Henning,

            danke für die Blumen, aber ich bin froh wenn's hinter mir liegt. Dann noch das Korrekturlesen inn der ausgedruckten Version (am Bildschirm klappt das nicht), und gut ist's.

            Gruß, Werner
            .

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            • Fernwanderer
              Alter Hase
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              • Meine Reisen

              #26
              Zitat von Fernwanderer Beitrag anzeigen
              Die spannenderen Etappen kommen ja wohl noch oder?
              Da sind sie, oh Mann was für eine "Pilgerfahrt".

              Deine Route ist übrigens per Michelinkarte ganz gut zu verfolgen.

              Grüße
              Fernwanderer
              Zuletzt geändert von Fernwanderer; 10.09.2007, 07:45.
              In der Ruhe liegt die Kraft

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              • Werner Hohn
                Freak
                Liebt das Forum
                • 05.08.2005
                • 10870
                • Privat

                • Meine Reisen

                #27
                Noch besser geht es mit Google Maps. Die Furt vor Guillena auf der ersten Etappe (2. Tag) kann man sogar aus dem Weltraum gut erkennen. Ich stehe übrigens neben dem Silo mit dem langen Schatten, und mache gerade das Bild.

                Gruß, Werner
                .

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                • Werner Hohn
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                  • 05.08.2005
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                  #28
                  27. Tag: Freitag, 23. März 2007 Dörfer, Dörfchen, geschundene Kreaturen
                  Etappe: A Gudiña - Laza
                  Tageskilometer: 36 Gesamtkilometer: 834


                  Da hinten ist Portugal

                  Rechts Martín, links ich, so wie wir es schon seit Wochen gemacht haben. Er hat seinen Stock in der rechten Hand, ich in der linken. So kommen wir uns nicht ins Gehege. Nach 100 km des Alleinwanderns habe ich mich schon längst wieder auf meine Art des schnellen Gehens eingeschossen. Nun also wieder runter mit dem Tempo, es wird wieder gemütlicher werden. Warum nicht? Über viele Tage hat das in der Vergangenheit gut geklappt, und treiben müssen wir uns nicht mehr. Der verbleibende Rest ist locker machbar. Sollte es wider Erwarten doch eng werden mit unserem Zeitplan, gibt es eben eine Doppeletappe. Das wir solche Etappen draufhaben, haben wir uns mehr als einmal bewiesen. Vorgesehen ist das jedoch nicht.

                  Anfangs ziehen dichte Wolkenfelder über die Kammstraße (wir sind immer noch auf 1.000 m), weil’s noch dunkel ist, stört uns das nicht weiter. Später, hoffen wir, werden sich die Wolken verziehen, denn meine Wegbeschreibung spricht von herrlichen Fernsichten übers galizische und portugiesische Bergland. Als die Sonne dann endlich aufgeht, lösen sich im Nu die Wolken auf und wir haben wieder unseren strahlend blauen Himmel. Die Sicht über die Berge ist wirklich beeindruckend. Womit wir das verdient haben? Wir wissen es nicht und wollen es auch nicht wissen. Was wir mit Sicherheit wissen: Wir gehören zu einer verschwindend kleinen Minderheit in Spanien, die sich über gutes Wetter freuen kann.

                  Seit Tagen hat der Wetterbericht Hiobsbotschaften für dieses sonnenverwöhnte Land. Auf den Balearen Wind und Regen. An der Mittelmeerküste vertreibt Starkwind auch den hartnäckigsten Badegast vom Strand. Im Baskenland und in Navarra (Nordspanien) schüttet es wie aus Eimern, das Wasser spült die Straßen weg. In den Bergen nördlich von Léon und Astorga sind 30 cm Schnee gefallen, sogar in den Bergen um Madrid soll es geschneit haben. Überall in Spanien schlägt das Wetter Kapriolen, nur bei uns nicht. Auf allen Wetterkarten haben die Symbole für Wolken, Wind und Regen das ganze Land fest im Griff - bis auf einen kleinen Landstrich ganz im Nordwesten. Für das südwestliche Galicien haben die Meteorologen keine andere Möglichkeit, es kommt das Symbol für Sonnenschein auf die Karte. Hier muss es um diese Jahreszeit regnen, schneien, stürmen. Das Wetter hat keine andere Wahl, es muss! Alle Aufzeichnungen, jede Statistik, jegliche Erfahrung, so gut wie jeder Reisebericht, alle sagen, dass man hier im März Scheißwetter hat – ohne Ausnahme.
                  Michael, der zwischenzeitlich auf uns aufgelaufen ist, Martín und ich, wir können es bestätigen: Alles Quatsch! In Galizien ist der Himmel blau, die Mittagsonne warm und Regen fällt auch im Frühjahr so gut wie nicht. Wir sind zwar noch nicht lange in dieser Region, um genau zu sein erst einen Tag, aus unerfindlichen Gründen sind wir alle der Meinung, dass es so bleiben wird.

                  Zur Bestätigung setzt Michael sich mal wieder in die Sonne zu einer seiner obligatorischen großen Pausen. Für uns Gelegenheit davon zu ziehen. Wir werden ihn am Abend wieder treffen.

                  Das was der Kammweg, besser Kammstraße, am Morgen versprochen hat, hält er fast den ganzen Tag. Fernsichten, Aussichten, Wind und Sonne, kein Autoverkehr, nur moderate Anstiege, zum Schluss ein langer Weg hinunter nach Laza. Dazwischen ein eindrucksvoller, gut gefüllter Stausee (es muss hier also doch regnen), Dörfer und Ansiedlungen. Es sind kleine, kleinste, allerkleinste Dörfer. Manchmal nur drei, vier Häuser, manchmal etwas größer.
                  Einige Dörfer tragen das Wort „Venda“ in ihrem Namen, das Äquivalent zum spanischen „Venta“, dem Wort für Ausschank, Verkauf. Kaufen oder sich ein Bier ausschenken lassen kann man hier schon lange nicht mehr. Auf der Piste, auf der wir uns bewegen, waren in lange vergangen Zeiten Händler und Reisende unterwegs. Die Reisenden der damaligen Zeit konnten sich in den Rasthäusern notdürftig verpflegen. Bei dem einen Wirt gab es Wurst und Käse, bei dem nächsten Brot - damals, heute ...
                  Spätestens als in der ersten Hälfte des vergangen Jahrhunderts die Bahnlinie Vigo – Ourense - Puebla de Sanabria (einspurig und ohne Oberleitung bis heute) ihren Betrieb aufnahm, begann nach einem letzten Aufblühen während des langwierigen Bahnbaus, der wirtschaftliche Untergang der Herbergen. Die ehemaligen, nun ohne Bewohner auskommenden Häuser (der Bahnbau hat so lange gedauert, dass es sich gelohnt hat feste Steinhäuser zu bauen) der Bahnarbeiter würden, könnten sie, bestimmt von den längst vergangenen Zeiten schwärmen. Es ist niemand mehr da, der sich nach getaner Arbeit vor die Haustür setzt, um den Betrieb auf dem Bahnsteig der „Estación de Castrelo do Val Verin“ zu betrachten. Er müsste auch lange warten. Kein Zug, kein Auto, noch nicht mal ein potentieller Passgier ist zu sehen. Nach Abzug der unzähligen Arbeiter verlagerte sich der Verkehr auf die Bahnstrecke mit ihren unzähligen Tunneln, und die Zeit läuft seitdem an diesem Landstrich vorbei.



                  Stausee, Flechten, Bauer in Laza

                  Das gleiche Bild wie seit Wochen schon, aber intensiver. Die Menschen hat es nicht gehalten in dieser Einsamkeit und wirtschaftlichen Not des spanisch/portugiesischen Grenzlandes. Bis zum Nachmittag treffen wir nur auf einen jungen Menschen. Zum Ausharren verdonnert, freuen sich die wenigen Alten über die Abwechslung die wir in ihren Alltag bringen. Niemand dreht uns den Rücken zu, keiner schimpft über unliebsame Pilger und niemand holt die Hühner oder Hunde von Straße. Warum auch? Autoverkehr, welcher dieses Bezeichnung verdient, gibt es nicht, und die wenigen Passanten müssen sich mit dem Tierleben abfinden.

                  In Galicien sehe ich endlich mal wieder Katzen. Seit Wochen begleitet uns Hundegebell oder es läuft uns einer übern Weg, aber Katzen ... Fehlanzeige. Im großen Rest Spaniens sind die anscheinend verpönt. Hunde dagegen gibt es bis zum Abwinken. Hier, in Andalusien, in Kastilien-León, von der Extremadura nicht zu reden, überall laufen Hunde durch die Gegend. Anfangs habe ich noch beobachtet wie sich die Tiere verhalten. Nach Tagen hat das nachgelassen, ich habe mich dran gewöhnt. Sie gehören dazu. Ein Dorf ohne freilaufende Hunde? Ein Bauernhof ohne Hund an der Kette oder im Zwinger, gelegentlich auch freilaufend? Sie gehören dazu, wie das tägliche Brot. Für die Spanier auf dem Land sind das Nutztiere. Besondere Pflege, Zuwendung oder Liebe kann der Hund nicht erwarten, eigentlich kein Tier.
                  Es sind Nutztiere, die den Hof bewachen, früher die Ziegen- und Schafherden in Zaum hielten oder zur Jagd abgerichtet wurden. Für letzteres noch immer. Bei der überbordenden Jagdleidenschacht der spanischen Männer ist es nicht verwunderlich, dass es in den Dörfer aus sehr vielen Häusern, Hütten bellt, knurrt oder erbarmungswürdig jault. Sogar der oft mit viel Aufwand abrichtete Jagdhund darf in der Regel nicht auf besondere Zuwendung hoffen. Ich weiß nicht mehr wie viele Tiere ich an zu kurzen Ketten, in verdreckten, der prallen Sonne schutzlos ausgesetzten Zwingern, oder ohne den kleinsten Wassernapf gesehen habe. Irgendwann schaut man nicht mehr hin. Wenn man die Spanier darauf anspricht, gibt es garantiert böse Widerworte. Hunde stehen ganz unten in der Mitgefühlhierarchie, weit hinterm Pferd oder sogar dem Kampfstier.
                  Aus diesem Reservoir kommen die freilaufenden halbwilden Hunde. Meist streunen sie um die Dörfer rum. Teils geduldet, teils gejagt. Es sind geschundene Tiere. Die Angst in ihren Augen kann jeder sehen, man muss nur hinschauen. Die tun nichts. Es reicht mal eben für ein kurzes Bellen gegen den Fremden, dann ziehen die schon ihren Schwanz ein und trotten davon. Wenn doch mal einer seinen ganzen verbliebenen Mut zusammennimmt und nicht von unserer Seite weichen will, müssen wir uns nur nach einem Stein bücken. Mehr nicht, das reicht. Die Hunde kennen die Bewegung und deren schmerzhafte Folgen. Noch bevor die Hand am Boden ist, ist der erste verschwunden. Spätestens wenn man den Arm zum Wurf ausholt, gibt auch das letzte Tier Fersengeld. Woher die viel verbreitete Angst vor Hunden auf den Pilgerwegen stammt? Keine Ahnung. Von den Freilaufenden habe ich mich jedenfalls nicht gefürchtet. Einzig die wenigen Hunde, die ein festes Revier als ihr Eigen betrachten (Bauernhof, einsamer Stall), konnten sich schon mal wild aufführen. Aber das ist bis jetzt nur einmal passiert.

                  Wir treffen gerade noch pünktlich zum Ende der galizischen Mittagszeit in Laza ein. Halb drei ist fast schon zu spät. Die Köchin zaubert für uns trotzdem noch einen Topf Linsensuppe, ein deftiges Gulasch, Bratkartoffel, Salat und einen Korb Brot auf den Tisch. Leider, leider, dass müssen wir später feststellen, hat das Essen erhebliche Nachwirkungen. Nein, nicht die Linsen. Vollgefressen, müde und schlapp wird der letzte halbe Kilometer bis zur Herberge zur Qual.

                  Am späten Nachmittag wieder das Übliche: Duschen, Wäsche waschen, Michael trifft ein, die Runde durchs Dorf, der fällige Einkauf, einen Blick auf die morgige Etappe und ins ausliegende Pilgerbuch, den Hintern in den Sessel (die Herbergen in Galicien sind ausgesprochen komfortabel eingerichtet), die Füße hoch, Feierabend. Ich glaube, ich werde das in Zukunft vermissen. Kann ich bis in alle Ewigkeit so weitermachen?


                  28. Tag: Samstag, 24. März 2007 Ein Muschelsammler und ein rostiger Blechkasten
                  Etappe: Laza – Xunqueira de Ambía
                  Tageskilometer: 33 Gesamtkilometer: 867


                  Rückblick nach Laza

                  Auch an diesem Morgen schaut der Himmel über Galicien wieder auf zwei dick verpackte Wanderer, die schon im Morgengrauen weiter ziehen. Wir können einfach nicht anders, Martín und ich lieben das frühe Losgehen. Michael lässt es gemütlicher angehen. Er wird die Herberge verschließen und den Schlüssel durchs Fenster der Protección Civil werfen, dann nachkommen, uns einholen, evenutell überholen und doch nach uns im Tagesziel eintreffen. Bisher war's so, und es wird sich auch nicht mehr ändern.

                  Zur Routine geworden ist es, dieses frühe Loswandern, und trotzdem hat es seinen Reiz nicht verloren. So früh am Morgen ist die Welt nur für uns da. Es ist meist niemand da, der sie uns streitig machen will. Hier oben im Nordwesten Spaniens, wo das feuchte Atlantikklima die Oberhand gewonnen hat, fehlt meist sogar die Sonne, der wir aber gerne einen Teil unserer Welt abtreten würden. Spätestens wenn die ersten Einheimischen durchs Dorf ziehen oder mit dem alten Traktor aufs Feld raus fahren, ist auch die Sonne wieder dabei. Der dünne Nebelschleier, der sich am längsten noch zwischen den kahlen Bäumen an den Rändern der Bäche hält, leistet noch am heftigsten Widerstand. Wenn der verschwunden ist, dann kommt die Zeit des blauen Himmels, der weißen Schönwetterwolken und als Krönung oft noch ein frischer Nordwestwind.

                  Heute morgen stehen mal wieder ein paar Höhenmeter an, und die sogar nach oben. Bevor wir den Anstieg angehen, müssen wir noch ein Schwätzchen halten – eigentlich nur ich. Und das „müssen“ ist wörtlich zu nehmen, denn das „Schwätzchen“ findet auf deutsch statt. In Tamicelas ruft uns ein alter Bauer ein „Guten Morgen!“ vom Feld aus zu. Aha, mal wieder ein ehemaliger Gastarbeiter. Da kann man nicht einfach nach einem flotten Gruß weiter gehen. Ich jedenfalls nicht.
                  Erstaunlich viele der Alten waren vor zwanzig, dreißig Jahren in Deutschland zum Arbeiten. Die Spanier blieben meist nicht lange. Nur wenige Jahre bis das Haus, die Anschaffung für die Landwirtschaft oder die Aussteuer in der Heimat bezahlt war. Von diesen Menschen wurden wir dann oft mit einem „Guten Tag. Wie geht es?“ begrüßt. Oft ist es uns passiert, dass zwar mühsam, aber stolz, mit den wenigen Wörtern Deutsch die noch präsent waren, eine Unterhaltung in Gang kam. Als Spanier stand Martín dann immer etwas belämmert abseits und fragte sich mehr als einmal, warum das halbe Land vor langen Zeiten in Deutschland zum Arbeiten war. Noch mehr verwundert war er über die positiven Erinnerungen an die Jahre in der Fremde. „Muss ja ein Paradies gewesen sein, damals bei euch!“ habe ich mehr als einmal gehört. In dem Punkt habe ich meine Zweifel. Aber mit der Zeit verblassen in der Erinnerung wohl die schlechten Tage. Höflichkeit und Freundlichkeit gegenüber dem Fremden, werden das Ihrige dazu beigetragen haben, dass die Schilderungen so positiv ausfielen.

                  Beim nächsten Gespräch hat Martín dann wieder die Oberhand, jedenfalls sprachlich. Zusammen mit Michael sind wir in der Pilgerbar „Rincón de Peregrino“ in Albergaría gelandet. Deren Besitzer hat es mit seiner Bar in alle Pilgerführer und in viele Reiseberichte geschafft – außer in die spanischen. Martín ist der Schuppen völlig unbekannt. Der geschäftstüchtige Inhaber nagelt, sofern vom Gast gewünscht, eine Jakobsmuschel mit dessen Namen an die Decke seiner Bar. Auch wenn sich der Andrang auf der Vía in Grenzen hält, es ist schon beachtlich, was da an Kalkgehäusen unter der Decke hängt. Ab heute ist natürlich auch mein Name dabei. Es ist ein Stück Pilgerfolklore, und für den Wirt ein Garant für ein sicheres, wenn auch geringes Einkommen. Es wird wohl keiner hier reingehen, ohne wenigstens einen Kaffee oder ein Bier zu trinken. Wenn es in meinem Fall auch der schlechteste Kaffee der letzten 800 km ist. Bitterer, verkochter Filterkaffee der Stunden in der Kanne ausharren musste. Ich habe ihn erlöst.



                  Soutelo Verde - Dachboden mit Maiskolben - In der Pilgerbar

                  Der bärtige Wirt will mir unbedingt noch die Muscheln mit den Namen einiger bekannter Pilgergrößen (meist Autoren von Pilgerführern) aus Deutschland zeigen. In steh in solchen Fällen immer wie ein Idiot rum. Soll ich anerkennend nicken, auf meinen Pilgerführer klopfen ...? Es interessiert mich nicht die Bohne.

                  Der schöne Abstieg nach Vilar de Barrio nährt in mir die Hoffnung, dass unser Weg durch die Hügellandschaft am nördlichen Horizont gehen wird. Wie das nun mal so ist mit der Hoffnung, sie kann trügerisch sein. Wir müssen mitten durchs platte, langweilige Bauernland, durch meist langweilige und gesichtslose Dörfer und sind froh, als endlich die Herberge von Xunqueira de Ambía auftaucht. Alternativ hätten wir die Unterkunft in Vilar de Barrio als Etappenziel wählen können. Aber 20 km für einen ganzen Tag? Und was macht man mit der gewonnen Freizeit? Besonders in Villar?

                  Zudem hat mich die Herberge in Xunqueira wie ein Magnet angezogen. Die Kiste hat einen Architekturpreis gewonnen. Die „Blechkiste“, das war sofort klar nachdem ich das erste Bild gesehen hatte, muss ich unbedingt sehen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Wunderschön! Endlich hat sich mal jemand getraut etwas gegen den allgemein bevorzugten Postmodernengemütlichkeitserkersprossenfensterrundbogenkitsch, der sich wie ein Seuche durch halb Europa zieht, zu bauen. Der oder die Architekten haben sich das im Verbund mit der galizischen Regionalregierung getraut. Nicht nur in dieser Gegend fällt das Haus aus dem Rahmen. Außen ein rostiger Blechkasten, erinnert mich das Haus sofort an die rostigen, riesigen Stahlplastiken des Amerikaners Richard Serra. Innen nicht sonderlich gemütlich, aber zweckmäßig. Leider ist die Hütte innen total vergammelt. Entweder wegen baulicher Mängel (fehlende Isolierung zwischen Metallhaut und Wand?) oder falsche Lüftung, vielleicht auch beides, jedenfalls fällt die Farbe in großen Placken von den Wänden.
                  Zudem ist’s ziemlich dreckig. In der Küche finden wir nur dreckige Gammeltöpfe, der Mülleimer quillt über und stinkt wie eine Güllepumpe, die Duschen schreien ebenso nach einer Grundreinigung. Wegen mangelndem Pilgeraufkommen im Winter, hat das Haus vermutlich seit Monaten keinen Putzeimer mehr gesehen. Aber von außen ist diese Herberge ein Hit, höchstwahrscheinlich nicht für alle, für mich schon.

                  Abends gibt es für uns drei noch eine Premiere. Zum ersten Mal treffen wir auf Radpilger! Ein Pärchen aus Kanada gibt sich die Ehre. Die machen die ganze Vía in drei Wochen, danach bleiben noch ein paar Tage für den Rest Europa. Weil die zwei keinen großen Wert auf unsere Gesellschaft legen (oder wirken wir schon wie ein altes, in starren Regeln verfangenes Team?), sitzen mal wieder die üblichen Verdächtigen zusammen: M, M und W. Dass wir noch auf anderer Pilger, Wanderer, Radfahrer oder sogar auf Reiter treffen ist unwahrscheinlich. Einen Tag vor uns sind eine junge Frau und ein junger Mann aus Deutschland (das wissen wir von Martín, der hat sie in der Herberge in A Gudiña getroffen), die erst vor wenigen Tagen in Puebla de Sanabria ihre Pilgerschaft begonnen haben, sagen uns die Eintragungen in den Personenlisten. Sollen wir uns anstrengen um die noch einzuholen? Wofür sollen wir uns schinden? Also doch ein „altes“ Team? Team, trotz Michael der alleine geht, und uns meist erst am Nachmittag wieder trifft? Nee, wir haben Zeit! Wir gehen jetzt nach festem Terminplan, es sei denn ...


                  29. Tag: Sonntag, 25. März 2007 Ungewissheit in Ourense
                  Etappe: Xunqueira de Ambía - Ourense
                  Tageskilometer: 21 Gesamtkilometer: 888


                  Getreidespeicher, Das letzte Storchennest

                  Und weil uns neben besagtem Terminplan auch die Länge der Tagesetappen bekannt ist, haben wir uns heute auf eine kurze Strecke eingestellt. Seit langen mal wieder problemloses Halbtagswandern. Wir wollen gegen Mittag in der kleinen Stadt am Rio Miño sein. Mit der Kathedrale und den heißen Thermalquellen übt Ourense einen gewissen touristischen Reiz auf mich aus. Es gibt mal wieder was zu sehen.
                  Wider Erwarten kommen wir nicht so richtig in die Pötte. Mir sagt die Strecke nicht so richtig zu. Keine Ahnung warum. Wir bewegen uns durchgängig auf kleinen und kleinsten Kommunalsträßchen, auf denen an einem Sonntagmorgen so gut wie kein Autoverkehr herrscht, und auf denen wir deshalb ganz gut vorankommen müssten. Aber irgendwo hängt es. Manchmal hat man das ja bei den kurzen Etappen. Man muss sich nicht unbedingt ins Zeug legen und vertrödelt deshalb die gewonnene Zeit. Das ist es aber auch nicht. Als wir endlich die hässlichen Außenbezirke von Ourense erreichen ist schon längst Mittag. Nach unserer Planung wollten wir um diese Uhrzeit schon in der Herberge sein.

                  Warum Martín nicht so richtig in die Pötte kommt, hat ernstere Gründe. Als er mir eröffnet, dass er sich beschissen fühlt, fange ich an mir wirkliche Sorgen zu machen. Er ist krank, sagt er. Dann muss es ihm wirklich sehr schlecht gehen, sonst würde er das nicht sagen. Sein Stolz würde das einfach nicht zulassen, so gut kenne ich ihn nach den Wochen des gemeinsamen Unterwegsseins. Er will nur noch eins: In die Herberge und sich ausruhen.

                  Als wir die gegen halb drei erreichen sie natürlich verschlossen. Zum Glück hängt ein Zettel mit einer Telefonnummer an der Tür. Wenig später taucht die Hospitalera auf und lässt uns nach genauer Anweisung ins Haus. Martín haut sich direkt aufs Bett, und ich erhalte von der Herbergsfrau die strenge Anweisung niemanden ins Haus zu lassen. Wirklich niemand! Bis 16 Uhr ist die Herberge geschlossen. Punkt! Kaum ist sie weg, steht Michael vor der Tür. Was will man machen? Ich kann den Kerl doch nicht draußen lassen, während ich es mir unter der heißen Dusche gemütlich mache.

                  Für Martín soll ich Äpfel besorgen. Er braucht unbedingt Äpfel, sonst nichts. Bei meinen Hinweisen auf Arzt und Krankenhaus gibt er mir zu verstehen, dass er mich nicht versteht. Mein Spanisch sei miserabel. Äpfel helfen bei ihm immer. Na dann.

                  Als ich wieder in der Pilgerherberge bin ist Martín weg, dafür ist die Hospitalera da. Er habe sich ein Taxi bestellt und sei zu einem Arzt gefahren, eröffnet sie mir. Danach gibt es einen heftigen Anschiss weil ich Michael hereingelassen habe. Sch...., das hatte ich schon wieder vergessen. Meine eilends vorgebrachten Gründe (Pilger, Freund, Deutscher, fremd im Land) finden kein Gehör. Wenn sie sagt die Tür bleibt zu, dann bleibt die Tür auch zu! Na das kann ja noch heiter werden.

                  Da wir nicht wissen bei welchem Arzt Martín ist, können wir nichts anderes tun als abwarten. Am Abend bin ich zurück von der Stadtbesichtung und er ist immer noch nicht da. Langsam mache ich mir Sorgen. Unsere Hospitalera, die, wie sich nun rausstellt, viel freundlicher und hilfsbereiter ist als angenommen, rät mir zu weiterer Geduld. Ich soll mal zum Abendessen gehen, dabei drückt sie mir einen Zettel mir einer Adresse in die Hand.



                  Ourense - Plaza Mayor, Kathedrale

                  Der Zettel führt mich zu einer kleinen Bar ganz in der Nähe der Herberge. Hier kann man essen? Hinterm Tresen der Wirt, vorm Tresen niemand, an einem der wenigen Tische sitzen vier alte Männer und spielen Domino. Donnernd hauen die Rentner die Steine auf den Tisch. Aha, immerhin gibt es hinterm Raumteiler einige gedeckte Tische. Viel Auswahl habe er nicht, erklärt mir der Wirt. Als Vorspeise gibt es spanischen Schinken frisch vom Knochen geschnitten mit Melone. Für den Hauptgang kann er nur Rinderfilet und Bratkartoffeln anbieten. Die Nachspeise ist wie üblich: ein Pudding, ein Becher Yoghurt aus dem Kühlregal oder Obst, dazu eine Flasche Wein oder Wasser. Ja, dann nehme ich das doch alles – bis auf den Wein.

                  Der Schinken ist der Hammer, die Melone ist frisch, der Hauptgang ist lecker und macht satt, auf den Nachtisch verzichte ich. Dafür nehme ich den bei mir mittlerweile obligatorischen Kaffee. Als ich zahlen will, weiß der Wirt nicht so richtig wie viel er mir abknöpfen soll. Ich habe viel zu wenig gegessen, eröffnet er mir, normalerweise verlangen seine Stammkunden beim Hauptgang einen heftigen Nachschlag, und denen berechne er 10 Euro. Verschämt fragt er mich, ob ich mit 7,50 Euro einverstanden sei. Wer kann da widersprechen.

                  Zurück in der Herberge kommt langsam Licht ins Dunkel um Martín. Immerhin weiß die Hospitalera jetzt wo er steckt. Martín ist von dem Arzt, den er aufgesucht hat, ins Krankenhaus gesteckt worden. Mehr konnte sie noch nicht in Erfahrung bringen. Es dauert noch mehr als eine Stunde bis sie die Abteilung raus hat, in der er liegen soll. Wieder eine Stunde später wissen wir, dass er heute noch entlassen wird. Endlich positive Nachrichten. Mir fällt ein Stein vom Herzen.

                  Als Martín dann kurz vor Mitternacht auftaucht, erklärt er warum wir ihn nicht erreichen konnten. Im Krankenhaus ist er komplett ausgezogen worden. Alle seine Sachen, natürlich auch das Mobiltelefon, wurden weggeschlossen und er auf ein Einzelzimmer gelegt. Das Zusammenspiel von fehlender Wäsche (noch nicht mal eine Unterhose habe man ihm gelassen) und mehreren Infusionen, die in seine Armvenen steckten, habe es ihm unmöglich gemacht uns zu benachrichtigen. Woran er erkrankt sei, oder warum ihn der Arzt direkt ins Krankenhaus eingewiesen hat, kann oder will er uns nicht erklären. Ich vermute er will es nicht, nur soviel gibt er preis, dass die Ärzte ihn für mehrere Tage behalten wollten, und dass das Krankenhaus sehr modern sei.
                  Er wurde auf eigenen Wunsch und auf eigenes Risiko entlassen und hat eine schriftliche Erklärung abgeben müssen, dass er eine Begleitung hat. Als Pilger waren Behandlung und Aufenthalt für ihn kostenlos, die Verwaltung hat noch nicht mal nach seiner Versicherung gefragt, nur nach dem Pilgerausweis.

                  Mich interessiert es schon gewaltig was die Ursache für seinen „Schwächeanfall“, so drückt er sich aus, war. Vielleicht ist es auch besser, wenn wir einen oder zwei Tage Pause machen, biete ich ihm an. Er meint nur „Morgen geht es weiter, es war nichts.“

                  Den halben Tag hatte ich in Gedanken schon an mehreren Szenarien gearbeitet: Es sind nur noch gut 110 km bis Santiago, die können wir wenn die Gesundheit uns keinen Streich spielt zur Not in zwei Tagen runterreißen, und unser Flug geht erst in einer Woche. Zeit und Entfernung sind nicht das Problem. Sollte Martín länger ausfallen, so würde ich mich für ein paar Tage in der Stadt einquartieren und auf seine Genesung warten. Das Angebot lehnt er ab. Wie gesagt: „Es war nichts, und morgen geht es weiter.“ Schön, dann gehen wir. Im Grunde habe ich nichts anderes von ihm erwartet. Entweder er liegt im Krankenhaus oder wir gehen. Die morgige Etappe ist ja auch nicht sonderlich lang.


                  30. Tag: Montag, 26. März 2007 Das Ende naht
                  Etappe: Ourense - Cea
                  Tageskilometer: 19 Gesamtkilometer: 907


                  Alte Getreidespeicher in Viduedo

                  Mal sehen wie Martín sich heute anstellt. Vermutlich überhaupt nicht. Wenn es sein muss, wird er die Zähne zusammenbeißen und ohne Klagen nach Cea gehen. Schon am Stadtrand wird er gefordert: Es geht steil den Berg rauf. Der „Camino Real“, auf dem wir die Stadt verlassen, nimmt die Falllinie um den Talkessel zu verlassen. So sehr ich Martín auch beobachte, ein Unterschied zu den Tagen vorher kann ich nicht feststellen, er geht sein Tempo wie immer. Keine Spur davon, dass er vor noch nicht mal einem halben Tag im Krankenhaus lag, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Entweder war’s wirklich nur ein leichter Schwächeanfall, oder die haben ihm in der Klinik ein Dopingmittel verabreicht.

                  Es geht mal wieder durch die Vororte. Im Unterschied zu gestern, da waren einige hässliche Industriegebiete dabei, sind das hier reine Wohngebiete. Fast alles neue Häuser von denen jedes vierte zum Verkauf steht. Dabei sind die neuen Häuser noch nicht mal billig. Zwischen 200.000 und 350.000 Euro muss man schon hinlegen. Es ist paradox: Hier steht ein neues Haus nach dem anderen zum Verkauf und auf dem nahen Land verfallen die alten Steinhäuser, weil niemand mehr da ist, der sie bewohnen will. Die Ursache liegt hauptsächlich an der wohl nicht mehr umkehrbaren Landflucht, ist aber auch eine Folge des vom Staat gewollten Immobilienbooms. Die Zinsen sind zwar relativ hoch, aber eindrucksvolle Steuergeschenke machen das wieder wett. Neben dem Tourismus ist der überbordende Bauboom einer der Hauptmotoren, die das hohe spanische Wirtschaftswachstum am Laufen halten. Noch, denn irgendwann wird diese Immobilienblase platzen.
                  Martín ist in seinem Element. Spanische Immobilien, damit kennt er sich aus. Und ich bin endgültig beruhigt. Wenn er bei dem Anstieg Luft für langatmig Erläuterungen hat, dann kann es ihm nur gut gehen. Bis zur Bar in Tamallancos bin ich in die Feinheiten des hiesigen Immobilienmarktes eingeweiht. Zeit für eine Pause, vom Gehen und auch von Hauskauf und -verkauf.

                  Obwohl wir uns nur einen Steinwurf von Ourense entfernt haben, ist das hier schon wieder eine ganz andere Welt. Wir sind wieder auf dem Land. Und so schaut die Bar auch aus: Eine lange Theke, die schon bessere Zeiten gesehen hat, darauf die chromblitzende Kaffeemaschine älteren Baujahrs, daneben drei Zapfhähne. In einem Verkaufsrondell setzen uralte Musikkassetten spanischer Interpreten langsam Staub an. Davor eine erkleckliche Anzahl abgewetzter Barhocker. Drei blankgescheuerte Resopaltische, deren bleistiftdünnes Stahlgestelle, genau wie die der Stühle, seit Jahrzehnten der Schwerkraft trotzen komplettieren die Einrichtung. Die Wände strahlen in einer undefinierbaren, dafür abwaschbaren Farbe. Hinter einer Trennwand aus Glas führt die Eigentümerin der Bar noch einen kleinen „Supermercado“. Hauptsächlich verstaubte Konserven, Schokolade, Süßigkeiten, zwei Sorten Wurst, Käse und Brot breiten sich auf 2 mal 3 Metern Verkaufsfläche aus. Genau das was wir noch brauchen.

                  Während wir noch unschlüssig vor dem Regal stehen, zapft die Wirtin Martíns alkoholfreies Bier und ich warte auf die Kaffeemaschine. Ich bin mal wieder der erste Gast, der einen Kaffee haben will. Macht nichts. Man muss nur Geduld haben bis die vorsintflutliche Anlage Wasser und Mechanik aufgeheizt hat.

                  Zeit und Geduld haben wir. Nach Martíns langer Erläuterung sitzen wir einfach nur da und schauen mangels anderer Barbesucher auf das Leben jenseits der offenen Eingangstür. Ja, wenn es da mal was zu sehen gäbe. Ein paar Autos eiern um die Kurve an der Bar, auf der langen Gerade kündigt sich ein Holztransporter durch das Kreischen der Bremsen an. Hoffentlich halten die Bremsen was der Lärm verspricht. Wenn nicht ... die Verlängerung der Gerade führt zu unserem Tisch. Nachher werden auch wir auf dieser langen Gerade unterwegs sein. Noch nicht, gleich erst. Es hat noch Zeit für den zweiten Kaffee. Ein bisschen dösen, blinzelnd den Wolken hinterher sehen und dabei dem Geräusch des zischenden, brodelnden Kaffeeautomates lauschen. Man könnte Überlegungen anstellen ob man sich darüber ärgern soll, dass wir mal wieder einen Kilometer am Rand einer Nationalstraße entlang wandern müssen. Man könnte, man muss aber nicht, und ich werde auch nicht.

                  Nach wochenlangem Unterwegssein ist es beinahe gleichgültig ob’s mal wieder für kurze Zeit an einer Straße entlang geht. Über Menschen die sich darüber aufregen, dass es auf einer Weitwanderung, meinetwegen auch auf einer Pilgerschaft, gelegentlich über Autostraßen oder über breite, schnurgerade, befestigte Wirtschaftswege geht, werde ich mich wahrscheinlich immer wieder wundern.
                  Was wären die alten halsbrecherischen Dorfverbindungswege Galiciens ohne die kleinen Autostraßen der Region? Was die uralten, von knorrigen Eichen begrenzten Wiesenwege Kastiliens, ohne die lärmenden Straßen der wenigen Städte? Wo könnte sich der Blick so unendlich weiten, wie auf einem Weg unter dem alles versprechendem Horizont der Meseta? Würde man noch nach Wochen von den schattigen Wegen der Kork- und Steineichen-Dehesas der Extremadura träumen, wenn die staubigen, verlassenen Dorfstraßen fehlen würden? Und der allererste richtige Weg, jener lange, gerade, schattenlose, von leergeräumten Feldern begrenzte Feldweg, der zur Furt bei Guillena führt, also der vom ersten Wandertag, ganz da unten bei Sevilla, erinnert man sich später noch daran, ohne das stundenlange Gehen durch die andalusische Hauptstadt mit ihrem brausenden Verkehr?

                  Bei dem Gedanken an einen paradiesischen 1000-Kilometer-Weg über einsame, schmale, traumhafte, naturnahe Pfaden läuft mir ein Schauer des Entsetzens den Rücken runter. Das Paradies hat einen großen Nachteil: es ist langweilig! Es fehlt der Kontrast, die Abwechslung, die Aufregung, und es fehlt das Aufatmen wenn es geschafft ist.



                  Cea - In der Herberge, Kirchturmspitze

                  Für solche Gedanken hat man Zeit in einer namenlosen spanischen Bar am Rand der N-525. Ich werde sie vermissen, diese Bar und all die anderen Bars auf dem Lande, die morgens vor Sauberkeit blitzen, und vor deren Tresen sich mittags der Dreck häuft. Und ich werde die Via de la Plata vermissen, diesen Weg durch ein Spanien, das mir hier wie aus der Zeit gefallen scheint. Als wir uns wieder auf den Weg machen wird mir plötzlich bewusst, dass das bald alles vorbei ist. Für mich jedenfalls: Es sind keine 100 km mehr bis zur Rückkehr ins normale Leben.

                  Es geht nun schnell. In Viduedo steht ein Haufen alter galicischer Getreidespeicher, hinter Casasnovas holen wir uns auf einem überfluteten Waldweg nasse Füße und kurz vor Cea treffen wir auf Michael. Der sitzt mitten auf dem Weg und wartet auf uns. Obwohl er später gestartet ist, noch einkaufen war, die längere Variante gegangen ist (von Ourense nach Cea gibt es zwei Wege, die sich auch kombinieren lassen) hat er uns mal wieder überholt.

                  Gemeinsam geht’s in die erste Bar in Cea. Bevor wir zur Herberge gehen, wollen wir noch ein warmes Essen. Die junge Bedienung erfasst schnell wen sie vor sich hat und rät uns zu einem Schnitzel mit Pommes. Wir hätten es uns ersparen sollen. Schmeckt nicht, zu teuer und unfreundlich dazu.

                  Mit dem Hospitalero, den wir im Lokal getroffen haben, geht’s in die Pilgerherberge. Das Haus ist der Hit. Ein uraltes, von mächtigen Granitquadern getragenes galicisches Wohnhaus wurde von der Regionalregierung zur Pilgerherberge umgebaut. Nach kurzer Einweisung sind wir uns selbst überlassen. Wir sind zu dritt in einem Haus, das in der Hauptsaison auch schon mal mehr als 60 Menschen Unterkunft bietet. Platz haben wir genug. Ungestört können wir es uns in den Sessel bequem machen. Es ist niemand da der uns den Platz streitig macht. Die Vorstellung, dass hier mehr als ein Dutzend Menschen rumwieseln könnten, erinnert mich daran wie privilegiert wir sind. Wir können mehrere Betten belegen, uns in der Küche und am Tisch ausbreiten, brauchen keine Schlange vor der Dusche (es gibt nur zwei) stehen und müssen uns nicht aufregen, wenn nachts jemand zur Toilette geht und dabei dank Bewegungsmelder ungewollt das Licht einschaltet. In aller Ruhe kann ich die ausliegenden Pilgerbücher mit den Kommentaren lesen. Einige Namen in den Büchern und den ebenfalls ausliegenden Listen sind mir aus dem Internet bekannt. Die Vielschreiber aus dem Netz waren alle schon mal hier – na ja, fast alle.

                  Am meisten sind die Spanier vertreten. Cea ist der erste Etappenort für die Pilger, die in Ourense ihre Pilgerschaft beginnen. Die Strecke von Ourense bis Santiago de Compostela reicht für die begehrte Pilgerurkunde - die 110 km sind eigentlich schon 10 zuviel.


                  31. Tag: Dienstag, 27. März 2007 Die lindgrüne Essenshöhle
                  Etappe: Cea – Lalín-Bendoiro-Laxe
                  Tageskilometer: 32 Gesamtkilometer: 939


                  Langsam wird's grün

                  Bis gestern Abend waren wir noch unschlüssig welchen Weg wir heute gehen sollen: den direkten (und auch etwas kürzeren) oder die offizielle Route übers Kloster Oseira. Wenn’s mir auch schwer gefallen ist, wir haben uns für die direkte Route, die ebenfalls markiert ist, entschieden. Somit bleibt das wirklich sehenswerte Kloster weiter auf meiner Liste der Orte die ich mal besuchen möchte. Wie ich die Sache mit der Liste einschätze, wird das wohl eher nichts. Im Lauf der Jahrzehnte ist die besage Liste ins Unendliche angewachsen.
                  Wir hatten das Kloster schon für den gestrigen Tag als Alternative im Hinterkopf. Durch unser Trödeln wurde es aber so spät, dass wir froh waren in Cea die Füße hochlegen zu können.

                  Und heute übers Kloster? Nur für einen Stempel? Reinspringen, Stempel abholen, ein Stapel Fotos auf der Speicherkarte ablegen und weiter? Nee, muss nicht sein. Und nur die 9 km bis zum einsam gelegenen Zisterzienserkloster, und dann dank frühem Feierabend genügend Zeit für eine ausgiebige Besichtigung? Dafür wären wir einen Tag länger unterwegs und müssten den halben Tag opfern, den wir als Puffer mitschleppen. Der Hauptgrund ist wohl eher, dass wir uns innerlich schon aufs Ende eingestellt haben. Wichtig ist nur noch das Ankommen in Santiago. Und so ein Kloster, mein Gott ja, man kann es ja nachholen ... irgendwann wenn’s einen mal wieder in die Ecke verschlägt.

                  Ausnahmsweise startet Michael mit uns beiden. Junge, das hatten wir schon lange nicht mehr. Als es hell genug ist um die Markierung auch ohne Stirnlampe zu erkennen, gibt er Gas. Er bleibt sich treu. Bei der Frühstückspause im Wartehäuschen einer Bushaltestelle ist er wieder da. Nach der Umleitung, auf die wir wegen des allgegenwärtigen Autobahnbaus geschickt werden, ist er wieder weg. In Castro Dozón treffen wir ihn wieder, diesmal in Begleitung. Er hat einen gleichaltrigen Deutschen, der seine Wanderung in Ourense begonnen hat, aufgegabelt. Ich glaube, darauf hat er seit Wochen im Stillen gehofft. Endlich mal los von den Alten. Alle Mitwanderer oder –pilger mit denen er es im letzten Monat zu tun hatte, waren 50 +. Zum Teil sehr viel „+“.

                  In unserem heutigen Etappenort gibt es zwar eine neue Herberge, aber weit und breit nichts Gescheites zu essen. Der Gedanke an ein aufgeschnittenes Brot, das mal schnell untern Toaster geschoben wird, lässt uns seit Mittag nach einen brauchbaren Restaurant oder einer Bar Ausschau halten. In Estacion de Lalin, einem Nest das die Vía nur am Rande streift, ist es dann soweit. Die erste Bar erfüllt unsere Kriterien bei weitem nicht, das Restaurant, 100 m weiter, dagegen voll und ganz. Der Parkplatz vorm Haus platzt aus allen Nähten. Ein untrügliches Zeichen für gute Küche. Diesmal sind es keine Lkw, hier stehen nur Pkws der Mittel- und gehobenen Mittelklasse. Das Essen kann nur gut sein!

                  Als ich die verschrammte Alutür öffne, bleibt mir die Luft weg, und das im Wortsinne. Die Luft im Speiseraum besteht aus purem Zigarettenqualm. Im Sonnenlicht, das sich nur mit Mühe einen Weg durch die Scheiben bahnen kann, ballen sich atemberaubende Qualmwolken bis unter die Decke. Mein erster Gedanke: Nur raus hier, das überlebst du nicht. Martín hat aber schon den einzigen freien Tisch entdeckt und steuert den zielstrebig an. Also dann, ich seh’ es mal sportlich. Immerhin war ich auch mal Raucher, vor vielen Jahren hätte ich mich hier pudelwohl gefühlt.

                  Die Wände sind grün, lindgrün und erstrahlen in dem speckigen Ton zu der nur abwaschbare Farbe nach vielen Jahren fähig ist. Bei dem seltsam gesprenkeltem Braun, das die gusseisernen Heizkörper verschönert, brauche ich schon länger. Erst ordne ich das Muster einer mir unbekannten Maltechnik zu, dann wieder einer rachitischen Spritzpistole der siebziger Jahre. Es dauert seine Zeit bis sich der Schleier vor meinen Augen lichtet und den Rauch aus dem Gehirn vertreibt. Von wegen Maltechnik oder Sprühpistole. Das fleckige Braun sind dicke Nikotinablagerungen!

                  Die Tische haben mindestens 30 Jahre auf dem Buckel, schließe ich beim Anblick der rostenden, vielfach übermalten dünnen Tischbeine. Die Tischdecke kommt von der Endlospapierrolle, aber es gibt Servietten aus Stoff. Neu ist nur der Fernseher, der in einer Ecke unter der rauchigen Decke hängt und lautstark durch den Raum dröhnt, auf den aber niemand achtet. Der bis an den Anschlag aufgedrehte Fernseher, eine zugegebenermaßen nervige Angewohntheit aller spanischen Bars und Restaurants. Es ist laut hier, ziemlich laut. Neben dem Fernseher sorgen laute, zum Teil über mehrere Tische geführte Gespräche, das ständige Rufen nach der Bedienung, die schrille Glocke aus der Küche für einen gleichbleibend hohen Lärmteppich. Am Nachbartisch spielen drei Handwerker Karten und donnern ihre Karten mit einer solchen Vehemenz auf die dünne Tischplatte, dass man sich Sorgen um diese machen müsste. An der Theke steht ein Bauer und unterhält sich lautstark mit dem unsichtbaren Gegenüber.

                  Es wird was dauern, meint die Bedienung, und macht dabei eine ausholende Handbewegung. Wir haben Verständnis. Kaum ist ein Platz leer, schon geht die Tür auf und ein neuer hungriger Gast nimmt Platz. Die scheinen sich alle zu kennen. Ungefragt nehmen die meisten an einem Tisch Platz und beginnen ein Gespräch mit ihrem Nachbarn. Allerdings verstehen wir kein Wort, die sprechen alle Galizisch. Die Zusammensetzung der Gäste ist hochinteressant und würde so manche Frauenrechtlerin die Zornesfalte auf die Stirn treiben. Im Lokal sind nur Männer - ausnahmslos. Ich sehe alle Altersklassen, und an ihrer Bekleidung gut auszumachen, auch verschiedene Gesellschaftsschichten. Nach einiger Zeit fällt mir auf, dass es so ganz ungezwungen doch nicht zugeht. Die besser gestellten Herren haben schon ihre eigenen Tische und werden auch prompt bedient. Die Bedienung ist die große Ausnahme in diesem Raum: Sie ist die einzige Frau im Raum. Sie ist die Besitzerin und schmeißst den Laden. Vater und Mutter stehen in der Küche und verausgaben sich an der bodenständigen Küche Galiciens.



                  Das ist im Winter immer grün, Beides wird hier nicht mehr benötigt

                  Das ist keine Küche die besondere Feinheiten liebt. Sie ist derb, die Köche wissen, dass Fett ein guter Geschmacksträger ist, und die Gäste lieben es, wenn die Fleischportion den größten Anteil stellt. Hier gehört der Knochen noch zum Gulasch und zum Braten, Fettaugen auf den Suppen zeugen von guten Zutaten, in den Würsten geben Fleisch, Fett (gelegentlich auch Knorpel) und scharfe Gewürze ihr Bestes. Es ist die Art des Kochens, die von der Oma auf die Mutter und weiter auf die Tochter gegeben wird. Noch gibt es viele solcher bodenständiger Küchen in Spanien, trotz des alldurchdringenden Gesundheitswahns, und auch zum Hohn auf die EU-Richtlinien.

                  Es gibt auch noch den genuinen Ziegen- und Schafskäse vom Bauern um die Ecke, bei deren Genuss längst vergessene Geschmackserinnerungen wieder belebt werden. Die knallrote Wurst, die keinem Einheitsgeschmack Tribut zollen muss, dafür aber den Menschen der Region schmeckt, hat immer noch ihren festen Platz in den Verkaufstheken. Der Höhepunkt ist aber der Jamón Ibérico für den die halbwilden schwarzen Schweinen ihr Leben lassen müssen. Dagegen schmeckt jeder andere Schinken wie Pappe. Egal ob aus dem Schwarzwald, Parma oder sogar der spanische Serrano-Schinken (der vom normalen Schwein stammt). Alles das hat unter dem oft gleichen Namen schon längst Einzug in die Theken der großen spanischen Supermarktketten gefunden. Aber wie groß war meine Enttäuschung beim Biss in die Wurst oder beim Riechen am Käse. Alles Einheitsbrei, bestimmt für den genormten Geschmack Europas.

                  El Cubo de la Tierra del Vino, das Nest da unten zwischen Salamanca und Zamora, wird nicht nur wegen des langen Namens oder der Kirche, deren Vorraum als Unterkunft dient, einen Ehrenplatz in den Erinnerungen erhalten, auch die Oliven im kleinen Lebensmitteladen gehören dazu.
                  Ob wir den Oliven wollen, will die Besitzerin von uns wissen. „Warum nicht“, denke ich und sehe mich nach den Olivendosen um. Die hat sie nicht gemeint. Sie deutet auf den Eimer zu ihren Füßen. Da sind die nach eigenem Rezept eingelegten Oliven drin. Bei dem Eimer handelt es sich um einen ehemaligen Kanister für Olivenöl. Der ausgefranste Rand erinnert eher an ein Haifischmaul als an eine Dose. Da hat jemand sich mit einer Blechschere ausgetobt. Bei uns ein klarer Fall für die Gewerbeaufsicht. Ganz so scharf sind die Zacken aber dann doch nicht. Ein dicker, schwarzer Rand aus Öl, Essig, Gewürzen und weiß der Teufel was, entschärft die Angelegenheit. „Oh Mann! Das kann ich nicht essen!“, ist mein zweiter Gedanke. Der erste hat leider zugestimmt – bevor ich den Kanister gesehen habe. Zwei Kellen Oliven wechseln den Platz vom Blech in die Plastiktüte. Gut so, da kann die ganze unappetitliche Sache unauffällig im Müll verschwinden. Neugierig wie die Dinger denn schmecken, habe ich eine vorsichtig probiert. Es war der Hammer! Keine Ahnung was die Frau da alles reinkippt, ich will es auch nicht so genau wissen, es waren die besten Oliven, die ich bis jetzt gegessen habe.

                  Hier im Restaurant haben wir uns mit der Bestellung mal wieder an die Empfehlung der Bedienung gehalten: Bohnensuppe, Rinderbraten mit Bratkartoffeln und Gemüse. Wir sind immer gut damit gefahren. Die Frage nach einer Speisekarte kann man sich ruhig ersparen. In einer Bar gibt es die meist eh nicht, und in einem Restaurant hat die oft nur eine Alibifunktion. Es sein denn man ist in einer Touristenregion unterwegs. Davon sind wir hier aber meilenweit entfernt. Entweder man bestellt das Menú del día, und erhält dann meist ein ordentliches Essen, oder man richtet sich nach dem Tipp der Bedienung.

                  Was die Frau uns schließlich auf den Tisch stellt ist richtig gut. Kein Vergleich zum Essen gestern in der Bar in Cea. Dass ich mir zum Nachtisch einen Kaffee bestelle, ist der einzige Fehler. Martín ist schlauer, er nimmt die Erdbeeren mit Sahne, die er am Tisch hinter meinem Rücken gesehen hat. Eine Riesenportion frische Erdbeeren mit einem Berg Sahne. Man könnte neidisch werden, wenn die Rechnung nicht wäre. Die frischen Erdbeeren werden sich bestimmt da niederschlagen. Tja, wie man sich irren kann. Martín zahlt genau wie ich 9 Euro.

                  Am späten Nachmittag sind wir in der Pilgerherberge, erhalten mal wieder eine Einweisung von der Frau, die das Haus betreut und wir sind wieder alleine. Später kommen unsere jüngeren Mitwanderer. Mit vier Leuten sind wir fast eine Großgruppe.

                  Als es dunkel ist liegen wir alle in den Etagenbetten. Es ist in den letzten Wochen selbstverständlich geworden dieses frühe Schlafengehen und das frühe Aufstehen. Unsere einzige Sorge gilt dem Wetter. Der Wetterbericht hat für den nächsten Tag Regen versprochen – und das durchgehend. Aber das wurde uns für heute auch versprochen. Gereicht hat’s nur fürn kurzen Schauer. Bis heute hatten wir unglaubliches Wetterglück. Warum nicht auch auf den letzten 50 Kilometern?
                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 03.04.2012, 18:14. Grund: Bild neu hochgeladen
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                    #29
                    32. Tag: Mittwoch, 28. März 2007 Vom Besaufen im Regen
                    Etappe: Lalín-Bendoiro-Laxe – Vedra-Susana-Santiaguiño
                    Tageskilometer: 35 Gesamtkilometer: 974


                    Gehöft in Santiaguiño
                    Schon eine knappe Stunde nachdem wir unterwegs sind wissen wir es: Die Wettervorhersage für heute ist ein Volltreffer. Diesmal ist es kein Regenschauer, nein, heute lernen wir Galicien von der nassen Seite kennen. Und mal nicht nur eben so. In der Nacht hat es schon wie aus Eimern gegossen. Beim frühmorgendlichen Aufbruch fällt zum Glück kein Tropfen aus dem konturlosen grauen Himmel. Für uns das Startsignal.

                    Schon nach einer Stunde stecken wir in Poncho und Regenhose. Wie es aussieht wird es dabei bleiben. Nach einer weiteren Stunde wechseln wir freiwillig von der Vía auf die Nationalstraße. Auf den Feld- und Wiesenwegen versinken wir bis über die Knöchel im Schlamm. Martín mit seinen Halbschuhen leidet besonders. An ein vernünftiges Vorankommen ist nicht zu denken, dann lieber durch die haushohen Gichtfontänen, die die Lastwagen hinter sich herziehen.
                    Das ist dann auch der Zeitpunkt an dem ich das Gefühl habe, ich könnte auch barfuß gehen. Dass meine Wanderschuhe mit einer wasserdichten Membran versehen sind, verkündet nur das kleine Etikett eines bekannten Herstellers, meine Füße verkünden, dass sie im Wasser stehen. Zum Glück sind Poncho und Regenhose dicht. Hinter Silleda können wir wieder auf die Vía de la Plata. Glücklicherweise wird die Route jetzt über kleine Sträßchen oder befestige Waldwege geführt.

                    Eigentlich sollte ich mich über das beschissene Wetter ärgern, wider Erwarten macht es Spaß, nein, es ist toll! Das hier wird der erste Tag, an dem man sich von morgens bis abends übers Wetter ärgern könnte. Ein Tag, an dem der Gedanke an ein Hotel mit einer bullernden Heizung zum vorzeitigen Abbruch führen könnte.

                    Genau das hatten Martín und ich uns gestern Abend vorgenommen. Wenn es zuviel wird mit dem Regen, suchen wir spätestens in Silleda ein Hotel und starten am nächsten Morgen um 6 Uhr zur letzten Gewaltetappe bis Santiago de Compostela. Doch ich denke nicht im Traum daran. Zum ersten Mal seitdem wir uns getroffen haben und gemeinsam gehen, werde ich mich nicht an unsere Absprache halten. Ich werde durchgehen bis zu dem Ort mit dem langen Namen. Vedra-Susana-Santiaguiño, ein Kaff im Nirgendwo, ein Kaff in das sich nie ein Fremder verirren würde, wenn da nicht die letzte Herberge vor Santiago de Compostela wäre. Das ist es aber nicht was mich treibt, auch das nahe Santiago nicht.

                    Martín muss das gespürt haben. Bei unser einzigen Pause in einer halb abgebrannten Bar (zielsicher hatten wir die schäbigste von zweien angesteuert) an der Landstraße nach Silleda, gibt er mir zu verstehen, dass er mich verstanden hat. Ich hab’s mit keinem Wort gesagt. Mein Verhalten ist aber unmissverständlich: Erstmals bleibe ich nicht bei ihm. Ich bin immer 50 bis 200 Meter vor ihm und erstmals gehe ich mein Tempo. Es geht ihm an die Nieren, das ist unübersehbar. Er war nicht ohne Grund vor wenigen Tagen im Krankenhaus, und die 9 Jahre, die er mehr auf dem Buckel hat, machen sich ebenfalls bemerkbar. Es ist gemein von mir, aber das ist mein Tag.




                    Die Herberge in Santiaguiño. Irgendwo am Wegrand
                    Es gibt solche Tage, da spür ich, dass es ein besonderer Tag wird. Seltene Tage des Glücks. Tage an denen ich mich noch Jahre später besaufen kann. Das sind jene raren Tage, die eine Keil in die bürgerliche Existenz schieben und die Tür zu einem anderen Leben einen Spalt weit öffnen. Tage, die den Traum vom Unterwegssein, vom sorglosen Leben, vom Wohlfühlen in der Fremde und den Geruch der Freiheit in sich tragen. Es sind allerdings auch Tage, die ganz tief im Innern bohren und für eine stete Unruhe sorgen, bis ich wieder den Rucksack packe und losziehe.

                    Es ist eine Auslaufen, wie eine Ehrenrunde auf dem Sportplatz, nur das da niemand ist, der die Hände zum Applaus hebt. Ich brauche heute niemand der applaudiert. Heute nehme ich Abschied von der Vía de la Plata, von der Route an der ich ein Spanien gefunden habe, welches ich schon in den Geschichtsbüchern wähnte. Es ist mein Abschied von den großartigen, beschissenen, langweiligen, aufregenden, nervenaufreibenden, unendlich weiten, rauen, einsamen, den Menschen klein machenden Landschaften am westlichen Rand Europas.

                    Es ist ein Abschied von einem Weg, der süchtig machen kann, man muss sich nur darauf einlassen. Auf die Ungewissheit, auf die Fremde, auf das Ausgeliefert sein, oft aufs Alleinsein, ja, hauptsächlich muss man sich auf die Einsamkeit einlassen wollen und können - sogar wenn man nicht alleine ist.

                    Heute ist auch Platz für all die Menschen am Weg, die uns geholfen haben, denen wir gleichgültig waren, die uns freundlich gesonnen waren, die uns bevormunden wollten, die uns bewirtet haben, die selbstlos waren, ja sogar für den, der mich beschissen hat. Es ist jedoch kein Abschied von den wenigen Menschen, die mit mir unterwegs waren. Um diese Jahreszeit waren es so wenig, dass ich ihre Namen so schnell nicht vergessen werde, und ich habe das Gefühl, dass die mich noch lange begleiten werden – und sei es nur in den Träumen.

                    Abends sind wir wieder alleine in der Herberge, denn Michael ist in Silleda ins Hotel gegangen (er hat noch Zeit, sein Rückflug geht später) und der andere Deutsche taucht auch nicht auf. Die Heizung ist bis zum Anschlag aufgedreht, ideal um die Nässe und Kälte aus dem Körper zu vertreiben. Heute Abend gibt es mal wieder kalte Küche. Eine Bar oder gar Restaurant gibt es hier nicht. Das Essen haben wir von Ponte Ulla bis hier hoch geschleppt – wie üblich mal wieder in viel zu großen Mengen.

                    Es wird ein stiller Abend. Auch Martín hängt seinen Gedanken nach, schaut sich meine Fotos an, versucht durch die Reste des deutschsprachigen Wanderführers zu steigen. Er sieht sehr zufrieden aus. Kein Wunder, er wird der erste Mensch aus seinem Heimatort sein, der Santiago de Compostela innerhalb eines Jahres über zwei unterschiedliche und zudem komplett gelaufene Pilgerwege erreicht hat. Oder werden es sogar drei Wege innerhalb 12 Monaten? Er hat da so eine Idee ... 1.800 km von Lyon aus, in diesem Herbst. Im November könnte er Santiago erreichen. Ich sag es doch: Es gibt Tage an denen man sich besaufen kann, und das ganz ohne Alkohol - sogar Martín.

                    Die neue Herberge von Santiaguiño ist der ideale Ort für einen stillen Abschied von der Vía de la Plata. Soll man diesem Weg mehr Besucher wünschen? So wie auf dem Hauptweg, auf dem sich die Massen ballen? Oder soll die Vía so bleiben wie sie ist? Ich bin da mal ganz egoistisch. Sie soll so bleiben wie sie ist, denn so wie ich sie vorgefunden habe gefällt sie mir. So wie es jetzt ist, ist es „meine“ Vía de la Plata und das soll sie auch bleiben.
                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 04.01.2022, 18:13.
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                      #30
                      Es gibt solche Tage, da spür ich das es ein besonderer Tag wird. Seltene Tage des Glücks. Tage an denen ich mich noch Jahre später besaufen kann. Das sind jene raren Tage die eine Keil in die bürgerliche Existenz schieben und die Tür zu einem anderen Leben einen Spalt weit öffnen. Tage, die den Traum vom Unterwegssein, vom sorglosen Leben, vom Wohlfühlen in der Fremde und den Geruch der Freiheit in sich tragen.
                      Es sind allerdings auch Tage die ganz tief im Innern bohren und für eine stete Unruhe sorgen, bis ich wieder den Rucksack packe und losziehe.
                      Wunderschön geschrieben, das kann ich so richtig gut nachempfinden.

                      Danke für Deinen Bericht.

                      Gruß hikingharry

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                        Das ist der einzige Absatz/Satz den ich fast wörtlich aus meinem Tagebuch übernommen habe. Um ehrlich zu sein, dieser Tag war einer der wenigen an denen ich das Tagebuch mit ganzen Sätzen gefüllt habe. Ich bevorzuge bei meinen Aufzeichnungen Stichworte.

                        So, jetzt noch der Rest, damit das hier endlich zu einem Ende kommt.

                        Gruß, Werner
                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 15.10.2007, 16:43.
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                        • Werner Hohn
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                          • 05.08.2005
                          • 10870
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #32
                          33. Tag: Donnerstag, 28. März 2007 Irgendwie muss man ein Ende finden
                          Etappe: Vedra-Susana-Santiaguiño – Santiago de Compostela
                          Tageskilometer: 17 Gesamtkilometer: 991

                          Bei den Kilometerangaben muss mir ein kleiner Fehler unterlaufen sein. 980 km trifft eher zu.


                          Santiago de Compostela

                          Das wird er also werden, unser letzter Tag auf diesem Jakobsweg. Er lässt sich ausgesprochen gut an: es regnet nicht. Sollten wir am letzten Tag mal wieder Glück mit dem Wetter haben? Verdient hätten wir es ja, schon aus dem Grund, weil wir immer schönes Wetter hatten. Das Regenwetter von Mittwoch sollte uns wohl nur daran erinnern, dass es auch anders geht.

                          Zuerst gibt es noch etwas Eukalyptuswald (diesen Baum hätte man ruhig da lassen sollen, wo er heimisch ist) der aussieht als wäre jemand mit einem großen Gebläse durchmarschiert. Danach kommen wir allmählich in den Einzugbereich der Pilgermetropole. Völlig zersiedelt ist die Landschaft nun. Ein Nest nach dem anderen. Mal nur zwei, drei Häuser, mal ein kleines Dorf. Dazwischen etwas Wald, einige Felder. Erstaunlich ist nur, dass wir nicht viel vom Verkehr mitbekommen. Kleine und kleinste Landstraßen machen es möglich.

                          Und irgendwann sind wir da, von der letzten Anhöhe vor Santiago sehen wir zum ersten Mal die Kathedrale. Ist das der Zeitpunkt für Gefühlausbrüche, für Empfindungen die sich für immer in die Erinnerung einbrennen werden? Wenn ich den Erzählungen vieler Pilgerberichte vertrauen soll, auch die Autorin meines Wanderführers muss es so empfunden haben, sollte das jetzt mit mir geschehen. Ist es aber nicht. Ja okay, da ist es also unser Ziel. Mehr war’s nicht. Meine Ankunft war gestern. Heute, das ist halt das Stück, das ich noch gehen muss, um zu einem geographischen Ende zu kommen. Es waren unsere allerletzten Kilometer von vielen. Haben die sich von den anderen unterschieden? Nein, eigentlich nicht. Vielleicht bin ich schon zu oft irgendwo angekommen, vielleicht will ich überhaupt nicht angekommen?

                          Gegen Mittag sind wir da. Es ist noch nicht viel los. Ein paar vereinzelte Pilger vom Camino francés, einige Touristen, ansonsten „Tote Hose“. Unser erster Weg führt nicht in die Kathedrale, wir wollen ins Pilgerbüro, da können wir unsere Rucksäcke unterstellen. Auch da ist nichts los. Die Frau am Computer freut sich, dass sie mal wieder Pilgerpässe von der Vía in ihrer Hand hält; und ehe ich mich versehe halte ich meine Pilgerurkunde in den Händen. Und was für eine Enttäuschung! Kein einziges Wort kann ich lesen. Natürlich, ich hätte es mir denken können, die katholische Kirche greift für so was natürlich auf „ihre“ Sprache zurück. Alles in Latein, sogar mein Name.

                          Mit der Urkunde ist das so’ne Sache. Brauche ich die überhaupt? Sicherlich nicht. Da bedeuten mir die Stempel im Pilgerausweis schon mehr. Anfangs habe ich drüber gelächelt, wollte es nicht. Für mich hatte das den muffigen Geruch der Stempelstellen an deutschen Wanderwegen, oder der Stocknägel auf die meine Eltern früher immer so scharf waren. Wie das nun mal so ist, Meinungen könnten sich ändern. Schon an unserem ersten Etappenort wurde mir ungefragt der Stempel in den Pilgerpass gedrückt. So ging es dann weiter und irgendwann habe ich mich dran gewöhnt. Und irgendwann habe ich mich über jeden Tagesstempel gefreut, nicht nur als Nachweis, schließlich weiß ich auf welcher Strecke ich unterwegs war, an so manchem Stempel hängt eine kleine Geschichte oder ruft Erinnerungen wach. Aber die Urkunde? Nein, ich glaub die brauche ich nicht, die wird im großen Karton untertauchen müssen.

                          Anschließend der obligatorische Gang zur Kathedrale. Hier ist mehr Betrieb. Es sind viele Pilger vom Camino francés in der Kirche. Auf dem Hauptweg muss ja mächtig was los sein. Wir suchen uns noch eine Unterkunft (wegen der nahen Osterwoche mit großem Pilgeransturm sind alle Pilgerherbergen zwecks Renovierung geschlossen) und danach holen wir unsere Rucksäcke im Pilgerbüro ab. Hier ist Halligalli. Vorm Tresen hat sich eine lange Schlange gebildet. Ein Spanier, Lehrer wie Martín mitbekommt, hält den Verkehr auf. Er will circa 40 Pilgerurkunden für eine Schulklasse. Angeblich ist er mit den Kindern von Sarria bis hierher gepilgert. Leider nehmen ihm das die Leute hinterm Tresen nicht ab. Es fehlen jede Menge Stempel und die Kinder sehen aus, als wären sie soeben aus dem Bus entstiegen. Die Unterhaltung wird dann laut, und dann noch etwas lauter, bis wir dann gehen. Was fürn Aufwand für ein Stück Papier. Das ist der Moment an dem ich mich mal wieder glückliche schätze mit einem Spanier unterwegs zu sein. Ohne Martín hätte ich kein Wort verstanden.

                          Mit all unserer Erfahrung, oder war es nur Faulheit, haben wir uns ein schäbiges Hostal ausgesucht, das zudem noch in der Straße mit den meisten Kneipen der Altstadt liegt. Wie eine schmale und hohe Altstadtgasse als Resonanzkörper zweckentfremdet werden kann, wird uns in der Nacht eindrucksvoll demonstriert. Bis zum Morgengrauen machen wir beide kein Auge zu.


                          34. Tag: Freitag, 30. März 2007 Der langweiligste Tag der letzten Wochen
                          Etappe: keine
                          Tageskilometer: 0 Gesamtkilometer: 991

                          Zeit, davon haben wir heute genug. Logisch, es steht keine Etappe an, auch die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten haben wir uns gestern zu Gemüte geführt. Aus Langeweile drehen wir unzählige Runden. Hier ein Kaffee, dort ein Kaffee; dazwischen mal - Abwechslung muss sein - Interesse heuchelnd durch einen den vielen Läden, deren Regale von unsäglichem Pilgerkitsch überlaufen. Wir erkunden wo der Bus zum Flughafen abfährt, völlig überflüssig, wir werden ein Taxi nehmen. Dann alles wieder von vorne. Kaffee, Pilgerkitsch ...

                          Dann ist es soweit. Wir gehen in die Pilgermesse. Vor der Kathedrale treffen wir auf Gerd den wir das letzte Mal vor 500 km gesehen haben. Gerd ist dem historischen Verlauf der Vía de la Plata gefolgt und in Astorga auf dem Camino francés gestoßen. Wir staunen bei seinen Erzählungen von übervollen Herbergen und schlechtem Wetter.

                          Tja, dann die Pilgermesse. Wenn ich es genau nehme, habe ich hier nichts zu suchen. Weder war ich aus religiösen Motiven unterwegs, noch gehöre ich einer Kirche an, ich war noch nicht mal auf der Suche nach was auch immer. Und trotzdem, sogar ein bekannter Pilgerführer empfiehlt die Pilgermesse den Pilgern ohne religiösen Hintergrund (also den Wanderern) als würdigen Abschluss.

                          Würdig? Bei mir kommen da Zweifel auf. In meiner Kindheit war ich Messdiener, erzogen wurde ich in einem katholischen Elternhaus und lebe immer noch in einem christlichen Umfeld. Von einer Messe, und sei es eine Pilgermesse, in einer katholischen Kirche habe ich eine bestimmte Vorstellung.
                          Aber das hier? Während der Messe werden die Türen der Kirche verschlossen, nur gemerkt habe ich davon nichts. Ein steter Fluss von Neugierigen zieht durchs Kirchenschiff. Wo kommen die alle her? Aus allen Ecken und Bänken blitzt es. Als der Pfarrer am Altar steht, sehe ich vor lauter in die Höhe gehoben Fotoapparaten nichts mehr. Ein Spanier mit mehreren Apparaten um den Hals und in der Hosentasche liegt fast vor dem Altar und wechselt hektisch von einer Kamera auf die nächste. Hinter mir erhält eine asiatische Reisegruppe wortreiche und laute Erklärungen.
                          Der „Höhepunkt“ ist zweifellos erreicht, als der Pfarrer bekannt gibt, welche Gruppe hier seine Pilgerung beendet. Früher wurden noch die Namen vorgelesen, heute reicht es immerhin noch für eine allgemeine Erwähnung im Stil von „Eine Gruppe von 5 Personen aus XY ...“. Als eine Gruppe Niederländer, die den kompletten Weg von den Pyrenäen gegangen ist, erwähnt wird, reißen die im Stil eines Siegers ihre Arme nach oben. Das ist das Startsignal für alle anderen. Immer wenn eine Gruppe erwähnt wird: Arme nach oben winken, rufen, klatschen. Es sind an diesem Tag viele angekommen, trotz früher Jahreszeit. Als die zahlreichen Gruppen aus Sarria dran sind reicht es uns, wir gehen. Das ist keine Messe, das ist eine folkloristische Veranstaltung.

                          Mir fällt dann ein, dass wir zwei Dinge vergessen haben: Um während der Messe erwähnt zu werden, muss man im Pilgerbüro Bescheid sagen, und wir haben beide nicht das Pilgerritual vollzogen: jenes Berühren einer bestimmten Säule mit den Händen und dem Kopf, als Zeichen das der Weg beendet ist.

                          Wir sind froh als wir im Flugzeug sitzen und auf dem Weg nach Mallorca sind. Laut Flugplan habe ich dort zwei Stunden Aufenthalt, in denen mir Martín seine Familie vorstellen will. Leider haben wir jede Menge Verspätung. Nahtlos muss ich von einem Flugsteig auf den nächsten wechseln. Es reicht noch nicht mal für einen richtigen Abschied. Es ist wie Wochen zuvor in Rio Negro del Puente: wir geben uns die Hand, drehen uns um und gehen.
                          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 03.04.2012, 18:18. Grund: vB-tags ausgetauscht
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                          • Wädi
                            Neu im Forum
                            • 17.10.2007
                            • 1

                            • Meine Reisen

                            #33
                            Vielen Dank ...

                            Hallo Werner

                            Erst einmal möchte ich Dir gratulieren für das Durchhaltevermögen für Weg und Bericht. Und ich möchte Dir danken für die ausführliche Beschreibung des Weges. Ich habe seit Anbeginn Deinen Bericht aufmerksam verfolgt und mich immer wieder sehr gefreut wenn es weiter ging.

                            Ich möchte die Via im nächsten Januar/ Februar gehen. So waren mir vor allem Deine wettermässigen Beschreibungen wichtig. Du hast viel erlebt und wirst das dank Deinem Tagebuch auch nicht so schnell vergessen. Vielleicht werde ich auch versuchen meine Eindrücke in einem Tagebuch festzuhalten.

                            Gruss,

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                            • Werner Hohn
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                              Liebt das Forum
                              • 05.08.2005
                              • 10870
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #34
                              Aha, eine/r (?) der stillen Mitleser. Man hofft drauf und hört leider nie was von ihnen.

                              Zitat von Wädi Beitrag anzeigen
                              [...] Ich möchte die Via im nächsten Januar/ Februar gehen. So waren mir vor allem Deine wettermässigen Beschreibungen wichtig.
                              Bitte nicht vergessen: Wir hatten unverschämtes Glück mit dem Wetter. In der Regel ist es nass und kalt. Es kann sogar schneien.
                              [...] Du hast viel erlebt und wirst das dank Deinem Tagebuch auch nicht so schnell vergessen. Vielleicht werde ich auch versuchen meine Eindrücke in einem Tagebuch festzuhalten.

                              Gruss,
                              Genau, die ganze Arbeit habe ich mir wegen des Vergessens gemacht. Nach Jahrzehnten schaut man auf die Bilder, und immer öfter fehlt was.

                              Sollte es von dir ein öffentliches Tagebuch geben, lass von dir hören.

                              OT: Die gröbsten Fehler sind nun raus - hoffe ich. Und einen Sack Kommas habe ich auch noch verteilt.

                              Gruß, Werner
                              .

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                              • Fernwanderer
                                Alter Hase
                                • 11.12.2003
                                • 3885
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #35
                                Da ich anderweitig lobend als Motivationscoach erwähnt worden bin, will ich mal die Blumen auch abschließend an meinen gelehrigen Schüler weiterreichen.
                                Meine persönliche Wertung mit

                                hatte ich ja schon abgegeben. Ein bischen detaillierter hieße das:
                                Du hast sehr schön die Stimmung auf so einer Tour eingefangen. Während man zuerst quasi mit dem Fallschirm aufschlägt und ein wenig desorientiert und genervt ist, gewinnt das ganze laufend an Zug und Ziel. Höhen und Zwischentiefs, tieferes Verständnis für die Umgebung und Kontakte unterwegs reichern dann das an was vorher eher nervig oder belanglos war und verwandelt es in interessante und berührende Eindrücke. Echt genial wie Du Dein verfrühtes Finale beschreibst und dann unplanmäßig aus der Tour "herausfällst" und Dich im Alltag der Termine wiederfindest.
                                So liest man nicht nur mit, sondern war ein bischen dabei auf der Via de la Plata.

                                Meinen Glückwunsch zu diesem Bericht
                                Fernwanderer
                                In der Ruhe liegt die Kraft

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                                • Werner Hohn
                                  Freak
                                  Liebt das Forum
                                  • 05.08.2005
                                  • 10870
                                  • Privat

                                  • Meine Reisen

                                  #36
                                  Danke schön!

                                  Gruß, Werner

                                  PS Es hat mehr geholfen als du dir vorstellst - vermutlich.
                                  .

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                                  • Radicle
                                    Neu im Forum
                                    • 01.01.2008
                                    • 2

                                    • Meine Reisen

                                    #37
                                    Finanzierung?

                                    Hallo Werner.
                                    Auch ich habe in deinem Reisebericht 'geblättert' und finde ihn ebenfalls gelungen. In diesem Jahr werde auch ich - vorraussichtlich in Begleitung - den Jakobsweg wandern und frage mich, wieviel Geld du ungefähr ausgegeben hast? Ich denke, wir werden eher den Weg von Saint-Jean-Pied-De-Port nach Santiago de Compostela wandern.. vielleicht noch weiter zum Kap Finisterre. Mich interessiert jetzt, wieviel Geld ich für diese Reise zurücklegen sollte.. natürlich ohne große Hotelbesuche o.Ä.
                                    Ich danke euch im vorraus und hoffe, dass ihr mir ungefähre Richtwerte zukommen lassen könnt. Ansonsten wünsche ich euch allen noch viel Spaß und viele schöne Erfahrungen beim Wandern.
                                    Schöne Grüße,
                                    Klara.

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                                    • Werner Hohn
                                      Freak
                                      Liebt das Forum
                                      • 05.08.2005
                                      • 10870
                                      • Privat

                                      • Meine Reisen

                                      #38
                                      Hallo Klara,

                                      deine Frage ist schnell beantwortet: 1.000 Euro.
                                      Darin sind neben den Kosten für Essen und Trinken und die Spenden in den Herbergen (3 - 20 Euro), auch die Kosten für 2 Übernachtungen in einem Hostal, 1 neue Jacke, 1 Hose, 1 Speicherkarte für die Kamera und das Porto für ein Paket nach Deutschland enthalten. Die Kosten für die An- und Abreise sind nicht mit drin.
                                      Das meiste ist fürs Essen in Bars/Restaurant drauf gegangen.

                                      Vermutlich bewegen sich die Kosten auf dem Hautpweg auch in diesem Rahmen.

                                      Gruß, Werner
                                      .

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                                      • sven_2007
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                                        • 21.12.2007
                                        • 5

                                        • Meine Reisen

                                        #39
                                        Hallo Klara,

                                        mit meinem Beitrag möchte ich nur Werner Hohns Angaben untermauern:

                                        Wenn Du Dich ohne größere Voraberfahrung auf den Camino Francés begibst, mußt Du heute nach Meinung erfahrener Pilger von ca. 28,00 € pro Tagesetappe ausgehen. Da die Strecke SJPdP nach Santiago de Compostela in 33 Etappen unterteilt ist, kämst Du nach dieser Rechnung auf 924,00 €.

                                        Mit einem Paket zurück Richtung Deutschland (und darum wirst auch Du vermutlich nicht herumkommen!) kämst Du bei dieser Rechnung auf ca. 1.000,00 € für Deinen Pilgerweg.

                                        Mein letzter Camino Francés liegt schon etwas länger zurück, weshalb ich meine etwas jüngeren Erfahrungen vom Camino del Norte beisteuere.
                                        Übertragen auf den Hauptweg hieße dies, daß Du bei 779,5 Kilometern für die Gesamtstrecke (und vorausgesetzt, Du übernachtest nicht regelmäßig in spanischen Paradores) mit ca. 1,17 € / Kilometer auf spanischen Pilgerwegen rechnen müßtest.

                                        1,17 € / km * 779,5 km = 912,02 € + das obligate Rückpaket und wieder bist Du bei Werner Hohns 1.000,00 €.

                                        Kilometer-Angaben und Etappen-Zahl habe ich den folgenden empfehlenswerten Links entnommen:

                                        http://www.mundicamino.com

                                        http://caminodesantiago.consumer.es

                                        Viel Spaß bei Deinen Vorbereitungen

                                        Philipp
                                        Blasen an den Füßen des Trekkers sind wie der Raucherhusten des Rauchers:
                                        Die unabdingbare Begleiterscheinung einer Leidenschaft.

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                                        • Radicle
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                                          • 01.01.2008
                                          • 2

                                          • Meine Reisen

                                          #40
                                          Hallo!
                                          Ich danke euch.. nun kann ich mich schon etwas besser auf die Reise vorbereiten. Das mit den Etappen verstehe ich noch nicht so ganz: Stehen die in dem Reiseführer, damit man sich sicherer sein kann, am Abend eine Unterkunft zu haben?..ich denke, die Etappen variieren wohl nach Lust und Laune, aber dies ist ein Richtwert an dem man sich orientieren kann, oder?
                                          Ich wollte zurück fliegen.. aber könnte man die Hinreise nicht auch per Mitfahrerzentrale starten, oder wäre dies unüberlegt?
                                          Wie man bei Werner gesehen hat, sind Spanischkenntnisse nicht unbedingt notwendig. Doch du konntest sicherlich trotz deiner sprachlichen Unsicherheit anfangs immernoch besser Spanisch sprechen als ich. Wird dies sehr hinderlich sein?
                                          Und noch eine letzte Frage:
                                          Ist das doof, meine Fragen hier zu stellen?..ist ja schliesslich ein Wanderbericht. Wenn ja: wohin? ;)
                                          Lieben Gruß,
                                          Klara.

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