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Im Juli 2019 machte ich mich auf eine Reise, die in ihrem Verlauf mehr und mehr zu einem großen Abenteuer wurde. Wie vor drei Jahren war mein Ziel das Putorana-Plateau, eine abgelegene Region in der sibirischen Arktis mit zwei ganz unterschiedlichen Gesichtern: oben Tafelberge mit trostloser Steinwüste - unten in den Tälern Seen, Wasserfälle, und dichte Taiga.
Die Durchquerung des Plateaus dauerte zwei Monate. Startpunkt war die äußerste bewohnte Hütte 350 km nach der letzten Siedlung. Von dort ging es 40 Tage lang mit 65 kg Gepäck in die Wildnis hinein. Auf das Trekking folgten 400 km Flussfahrt, um nach insgesamt 60 Tagen kurz vor Wintereinbruch wieder Menschen zu erreichen. Von deren Blockhütten blieben noch weitere 250 km bis zu ersten Siedlung.
Vieles aus diesen zwei Monaten macht diese Tour für mich unvergesslich:
... völlig unberührte Landschaften
... eine Route, die vorher noch nicht begangen wurde
... das Gemeinschaftserlebnis mit neuen Bekannten
... Tage voller Ungewissheit und Sorge
... Fisch, Pilze und Beeren im Überfluss
... uralte Spuren von Pelztierjägern und Pionieren
... Begegnungen mit Rentieren, Wölfen, und... Bären
... zum Abschluss der goldene Herbst in der Taiga
Der Weg zum Plateau: ein Urlaub vor dem Urlaub
Schon die Anreise ist für sich genommen eine sehr interessante Tour. Wer meinen Bericht von 2016 gelesen hat, dem wird dabei einiges bekannt vorkommen. Zuerst fährt man von der Stadt Krasnojarsk aus drei Tage lang mit dem Flussdampfer den Jenissei hinunter bis zur Einmündung des Flusses Kureika, knapp unterhalb des Polarkreises. Weiter geht es mit dem Motorboot 450 km die Kureika hinauf bis an den Rand des Putorana-Plateaus.
Das Gebiet meiner Tour. Zum Vergleich: das grüne Rechteck ist ca. 500 km lang. Ich bin leider alleine unterwegs, da ein Mitfahrer kurz vor dem Start abgesprungen war. Allein in der Wildnis ist immer riskant, deshalb wird meine endgültige Route davon abhängen, ob ich mich unterwegs mit anderen Trekkern zusammenschließen kann. Eine kleine Chance gibt es dafür, denn ich hatte vom Kapitän des Motorboots erfahren, dass außer mir noch zwei Gruppen zum Putorana mitfahren werden.
Die 2000 km lange Strecke auf dem Jenissei wird von zwei Flussdampfern bedient. Mein Schiff ist wie vor drei Jahren die Alexander Matrosov.
Zunächst muss aber eingekauft werden. Proviant für zwei Monate hole ich in einem riesigen Supermarkt, wo man fast alles unter einem Dach findet. Das wichtigste: er ist klimatisiert, denn Krasnojarsk ist im Sommer eine heiße Stadt. Für Trockenfrüchte und Nüsse gehe ich auf den Markt, wo die Händler aus Usbekistan und Tadschikistan einfach viel bessere Qualität bieten. Die Rosinen sind unvergleichlich.
Im Hostel verpacke ich das Resultat meiner Shopping-Tour in zwei große Rucksäcke: 38 kg Lebensmittel, dazu eine Schwimmweste, Bärenpatronen, Angelhaken. Außerdem drucke ich sowjetische Militärkarten in 1:200.000 für das potentielle Tourengebiet aus. Da meine Route nicht feststeht, muss ich ein riesiges Gebiet abdecken und es werden insgesamt 40 Blatt A4. Und ich nehme Beschreibungen von sechs Flüssen mit, die für meinen Rückweg aus der Wildnis in die Zivilisation in Frage kommen.
In erster Linie ist der Flussdampfer Transportmittel für die Einheimischen - der Jenissei ist die einzige Straße. Die besseren Kabinen sind aber z.T. auch von russischen und ausländischen Touristen auf Flusskreuzfahrt belegt.
Alle paar Stunden legt das Schiff bei einem größeren Dorf an. Die Einwohner verkaufen Räucherfisch, Pilze, Beeren, Teigtaschen usw.
Auf dem Schiff lernt man schnell Leute kennen. Drei Touristen aus Moskau, die mit mir auf dem Motorboot zum Putorana fahren werden, wollen von dort mit Seekajaks in zwei Wochen zurück zum Jenissei paddeln. Für mich die falsche Richtung, mit denen kann ich mich also schon mal nicht zusammenschließen. Es soll aber noch ein Ehepaar an Bord sein, das auch mit uns zum Putorana will.
Meine Kabine liegt knapp über der Wasserlinie. Die Waschräume sind auf dem Gang. Ich habe Glück und behalte die Zweibettkabine für mich alleine.
Am dritten Tag kurz vor Mitternacht. Bald werden wir das Schiff verlassen.
Um zwei Uhr morgens ist das Dorf Kureika erreicht. Hier gibt es keinen Landungssteg, die Ausschiffung erfolgt per Rettungsboot.
Hier steigen wir ins Motorboot um, das uns 450 km die Kureika stromaufwärts bringen wird. Es geht sofort los, die Fahrt dauert mit Pausen 24 Std. Nach 90 km erreicht man die Siedlung Svetlogorsk am Staudamm, das Boot wird per Anhänger zum Kureika-Stausee hochgebracht. Hier beginnt dann eigentlich schon die Wildnis, denn auf den nächsten 350 km gibt es nur noch vier bewohnte Hütten. Die letzte davon ist unser Ziel.
Auf dem Kureika-Stausee
Bei einer Pause sammle ich ordentlich Birkenrinde für meine Tour. Wir haben mittlerweile den Polarkreis überschritten, hier wachsen die letzten Birken. Im Putorana gibt es dann nur noch Lärchen.
Das Motorboot fasst 6 Passagiere mit Gepäck.
Um ein Uhr morgens wird die Schraube gewechselt. Der Wasserstand ist relativ niedrig und die Kureika hat hier viele Untiefen. Unser Kapitän montiert eine alte Schraube, die bereits viele Macken hat. Um die ist es nicht schade. Dann geht es mit Karacho über die letzten, schwierigen 15 km bis zur Hütte.
Zwei Uhr früh. Die Hütte gehört Vladimir, einem Moskauer Fotografen, der hier seine Sommer verbringt. Ab jetzt heißt es für zwei Monate "Wildnis pur", wo nicht einmal mehr solche isolierten Hütten stehen.
Schlechtwetter hält uns erstmal bei der Hütte fest.
Einen Tag später klart es auf. Wir helfen Vladimir, Feuerholz zu machen. Material gibt es genug: vor drei Jahren kam ein Waldbrand bis in allernächste Nähe. Wir halfen damals, die Flammen zu löschen, aber wenn der Wind nicht mitgespielt hätte, wäre das ein aussichtsloses Unterfangen gewesen.
Vladimir ist sozusagen der letzte Außenposten der Zivilisation und deshalb eine beliebte Anlaufstelle für Touristen auf dem Weg ins Putorana. In dieser Saison sind wir die ersten. Die nächsten sollen am 3. August mit einem Hubschrauber aus Norilsk kommen.
Der Schilderbaum zeigt die Heimatorte der Gäste. Neuer Rekordhalter ist Hamburg mit 4397 km.
Sergei und Lena, das russische Ehepaar, das mit uns auf dem Motorboot hierher gekommen ist. Sie montieren einen Pfeil für die Stadt Kurgan am Ural. Von Vladimirs Hütte aus wollen sie in 45 Tagen bis zur Siedlung Tura gelangen.
Tura ist eigentlich auch mein Ziel. Die beiden schlagen vor, das wir gemeinsam gehen. Das macht aber wenig Sinn, denn ich habe zwei Rucksäcke, jeder von ihnen nur einen. Nur ein Rucksack - wie geht das? Sie rechnen mit 200 g Proviant pro Tag (ich mit 500-600 g), und Lena sagt, dass sie praktisch alle Kleider jetzt schon am Leib trägt. Aber im Moment ist es noch relativ warm, was macht sie dann ab Mitte August? In meinem Rucksack sind eine Menge warmer Sachen für später. Wie auch immer, mit meinen beiden Rucksäcken muss ich jeden Kilometer dreimal gehen und würde die beiden nur aufhalten.
Sergei und Lena drängen aber weiter darauf, das wir zu dritt gehen. Sie meinen, dass sie sowieso sehr langsam vorankommen, da Sergeis Rucksack 50 kg wiegt. Und sie scheinen ziemlich erfahren zu sein. Als wir auf frühere Touren zu sprechen kommen, stellt sich heraus, dass sie u.a. auf dem Pik Grandioznyi waren. Das ist ein isolierter Gipfel im Sayan-Gebirge, dessen Nordwand noch unbestiegen ist. Wer es bis zum Fuß dieses Berges schafft, der hat Respekt verdient. Und die beiden waren oben.
Also fangen wir an, die möglichen Routen für eine gemeinsame Tour zu besprechen. Ich schlage den interessantesten und direktesten Weg nach Tura vor: Anstieg aufs Plateau und Querung zum Oberen Beldunchana-See. Dann 20 km Bootsfahrt auf dem See, erneuter Anstieg aufs Plateau und Querung zum Oberlauf der Kureika. Auf der Kureika wieder 70 km Bootsfahrt, dann Querung zum Hegochar-See und weiter zum Fluss Kochechumo. Von dort sind es 650 km auf dem Fluss bis Tura.
Es ist ein Glück, dass ich Karten für alle denkbaren Routen ausgedruckt habe. Mit der Extrem-Variante über den Kochechumo nach Tura hatte ich am allerwenigsten gerechnet, aber die wird es nun. Großartig! Die Gegend, die vor uns liegt, wird nur ganz selten besucht. Natürlich gab es in der Vergangenheit vereinzelt Touristen, aber unsere Route ist in ihrer Gesamtheit wahrscheinlich so noch nie begangen worden, sonst würden sich im russischen Internet Spuren davon finden. Inzwischen sind auch die zahlreichen Tourberichte aus den 1970er und 1980er Jahren, der Boomzeit des Wildnistourismus in Sibirien, als Scans im Internet. Einige Gebiete sind seit damals wohl nicht mehr besucht worden.
Hier ist die Route nach Tura auf einer Karte zu sehen (es sind die hellblauen Wegpunkte, die anderen Farben markieren Touren aus früheren Jahren).
Am 13. Juli nachmittags verlassen wir schließlich Vladimirs Hütte. Bevor wir das Plateau erreichen, liegen einige Tagesmärsche durch schwieriges Gelände vor uns.
Unser langer Weg, der gerade begonnen hat, hält noch viele Überraschungen für uns bereit. Sergei und Lena werden unglaublicherweise mit ihren 200 g Proviant pro Tag auskommen. Für mich dagegen sind sogar die veranschlagten 600 g zu knapp bemessen. Auf Menschen werden wir nicht treffen, aber auf Spuren von Menschen, wie sie keiner von uns vorher in Sibirien gesehen hat. Und wir haben diese Tour zwar zu dritt begonnen, aber wir werden sie nicht gemeinsam beenden.
(Fortsetzung folgt, wann es die Zeit erlaubt. Fragen und Kommentare zwischendurch sind immer willkommen.)
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