[IS] Látraströnd

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  • Dieter

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    • 26.05.2002
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    [IS] Látraströnd

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    Vorwort

    Sieht man von Dalvík nach Osten über den Eyafjörður so erblickt man eine lang gezogene Kette von Bergen die bis tief in den Sommer noch leuchtend weiße Schneefelder tragen die sich weit die steil in den weiten Fjord fallenden Hänge herunterziehen. Nie habe ich diese Berge schneefrei gesehen.



    Látraströnd von Dalvík aus gesehen
    (zum Vergrößern anklicken)

    Jedes mal hat mich das Bild dieser Küste fasziniert. Látraströnd ist „unbewohnt“, „schlecht erreichbar“, „die Straße auf der Ostseite endet in Grenivík“ und „da kommt man nur mit dem Boot hin“. Das waren so die gängigen Aussagen meiner isländischen Freunde über dieses Gebiet. Und dann war da drüben dieser Berg, Kaldbakur, der 'kalte Rücken', der mit 1173 m höchste Berg der Kette. Steile Flanken zum Fjord hin aber ein schier endlos lang flach abfallender Rücken nach Süden Richtung Grenivík – die perfekte Sommerskitour.

    Grund genug einmal etwas genauer nachzufragen und Literatur und Karten zu studieren. Für einen längeren Aufenthalt in Island während des Sommers 2010 standen für mich einmal nicht das Hochland auf dem Programm, sondern Touren in Gegenden, die ich bisher noch nicht berührt hatte. Da ich mein eigenes Auto mit dabei hatte, fuhr ich die gesamte Nordküste Islands ab. Blieb, wo es mir gefiel und ließ mich treiben. In meiner zweiten Heimat am Eyafjörður hatte ich mir nun eine kleine Rundtour vorgenommen.


    (GPS Software: QuoVadis 7; Karte: Freie MapSource®-Karte Island; eigene GPS-Daten)

    Von Grenivík aus durch das Tal der Leirdalsheði nach Norden zum Hvalvatnsfjörður. Dann 'í Fjörðum' nach Westen der Küste folgend über den Þorgeirsfjörður zu Bucht Keflavik. Über den Paß Uxaskard hinüber an das Ostufer des Eyafjörður und dann nach Süden über die Látraströnd zurück nach Grenivík. Laut GPS 67 km aufgeteilt auf 5 – 6 Tagesetappen.

    Alle Ausrüstung, auch die Tourenski, liegen hinten im Auto, also von Dalvík rüber auf die andere Fjordseite!
    Zuletzt geändert von Dieter; 05.09.2020, 15:43. Grund: Kartenreferenz eingefügt

  • Shades
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    • 21.08.2015
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    • Meine Reisen

    #2
    AW: [IS] Látraströnd

    Das klingt nach einem interessanten Bericht!

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    • Dieter

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      • 26.05.2002
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      • Meine Reisen

      #3
      AW: [IS] Látraströnd

      Montag 21. Juni

      Am Morgen bringe ich noch ein Freundin zum Flugplatz nach Akureyri. Von Dalvík zum Fjordende sind es stolze 47 km – der Eyafjörður ist Islands größter Fjord. Und Dalvík liegt schon 20 km innerhalb des Fjords. Ich schaue noch zu wie die Fokker 50 nach Reykjavík abhebt und mache mich auf die Fahrt nach Grenivík.

      Erst auf der Ringstraße 1 bis zum Abzweig des Grenivíkurvegur 83 am Beginn des Anstieges zum Pass Vatnsskarð. Vorbei an Laufás dem, meiner Meinung nach, schönsten Torfgehöft Islands.


      Laufás

      Nach 40 km erreicht man den kleinen Ort Grenivík. Ein kleiner Fischerort, abseits der Ringstraße und abseits vom Tourismus. Zuerst besuche ich die Autowerkstatt, denn vor 2 Tagen habe ich mir bei einer Erkundungsfahrt hierher ein Loch in den Reifen gefahren. Der Werkstattbesitzer der auch der Chef der Firma Kaldbaksferðir ist hat den Reifen schnell und professionell geflickt, neu ausgewuchtet und montiert (für 2500 isländische Kronen – quasi für ein Trinkgeld!). Im Winter und im Frühjahr fährt er mit seiner großen Pistenraupe Skifahrer aus Akureyri auf den Gipfel des Kaldbakur, erzählt er mir.

      Der Campingplatz liegt hinter der Kirche, gleich neben dem örtlichen Schwimmbad. Nicht viel los hier – gerade mal ein, zwei isländische Wohnanhänger stehen auf der weitläufigen, von Bäumen umstandenen Wiese.

      Das Wetter ist grau und bedeckt. Um 14:00 Uhr fasse ich mir ein Herz und fahre die schon erkundete Piste zum Ausgangspunkt der Pistenraupenfahrten hoch. Die Piste ist eng, steinig und so steil, dass meine Reifen an einigen Stellen durchdrehen. Das letzte mal hat es mich hier einen Reifen gekostet. Ein Peugeot 307 ist nun mal kein Geländewagen. Immerhin spare ich mir so 400 Höhenmeter Aufstieg. Ich finde einen guten Parkplatz und nur gute hundert Meter weiter oben beginnt der Schnee. Ich krame die Skitourenausrüstung aus dem Kofferraum und stapfe vorsichtig den Steilen Bacheinschnitt hinunter, der von dem ersten Schneefeld trennt. Mit den Stiefeln Stufen schlagend geht es auf der anderen Bachseite genauso steil hinauf. Als es flacher wird ziehe ich die Felle auf und schlurfe gemütlich den langezogenen, breiten Bergrücken Richtung Gipfel hoch. Es ist windstill nur das leise Schleifen der Steigfelle, das klacken der Tourenbindung, das Knarzen der Plastikstiefel und mein Atem sind zu hören. Das Wetter hat sich nicht geändert. Eine graue Wolkenschicht hängt über dem Fjord und verhüllt mehr und mehr den Gipfel des Kaldbakur. Nach zwei Stunden erreiche ich auf etwa 760 m ü. NN die Wolkenbasis. Es hat keinen Sinn weiter zu gehen.



      Ich rüste meine Ski auf Abfahrt um und mache noch schnell in paar Fotos. Zuerst habe ich das Gefühl, dass ich noch nie auf Ski gestanden wäre, aber nach ein paar eckigen ersten Schwüngen kommt das Gefühl dafür wieder in die Beine. Der Firn ist schmutzig von eingewehtem Sand und die Ski gleiten schlecht. Trotzdem macht es Spaß eine schöne, rhythmische Spur zu legen. Unten wird es nochmal steil und den feuchten Bachhang hinauf zum Parkplatz dreckle ich mich ordentlich ein.




      Kaldbakur (interaktives Panorama anklicken)

      Zurück in Grenivík kaufe ich mir zwei Dosen Leichtbier und eine Fünferpackung Würstchen. Schnell noch ins Freibad neben dem Campingplatz. Kaum sitze ich im Hotpot - ich bin der einzige Badegast – kommt die Sonne heraus und der Kaldbakur dreht mir eine lange Nase.

      Sei's drum – morgen gehe ich die Tour an!
      Zuletzt geändert von Dieter; 05.09.2020, 14:40.

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      • Dieter

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        • 26.05.2002
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        #4
        AW: [IS] Látraströnd

        Dienstag, 22. Juni

        Obwohl ich gestern Abend noch viel vorbereitet habe, dauert es, bis ich meinen großen Rucksack endlich gepackt habe. Ich parke den Peugeot vor dem Schwimmbad und erkläre der netten Bademeisterin, was ich vorhabe, und dass ich am Sonntag wieder zurück sein will. Alles klar?

        Dann schließlich um 10 Uhr schultere ich den Rucksack und verlasse Grenivík auf der Straße nach Südwesten. Die knapp 3 km zum Beginn der Piste F839 über die Leirdalsheiði. Dem Schild am Beginn der Piste zufolge sind es 19 km bis zur Hütte Gíl.

        Als ich nach der zweiten Serpentine im Anstieg auf das Tal zur Straße hinunterschaue, sehe ich dort zwei dunkel gekleidete und berucksackte Wanderer ebenfalls auf auf die Piste einbiegen. Nur zu, man wird sich schon noch begegnen. Nach anfänglichen Sträuben hat sich mein Rücken wieder an den Rucksack gewöhnt. Dadurch, dass ich das Auto als 'Basislager' zur Verfügung habe, brauch ich nur das mitzunehmen, was ich wirklich während der nächsten sechs Tage brauche. Der Rucksack ist Rucksack ist auf dieser Tour deutlich weniger hoch, als auf den Hochlandtouren.

        Beim Start begleitete mich noch etwas Nieselregen der aber schnell abtrocknete. Es ist zwar immer noch bedeckt aber es ist trocken und warm. Die Jacke ist im Rucksack verstaut und die Ärmel sind hochgekrempelt. An einer ersten Furt meine ich, dass die beiden Wanderer hinter mir aufschließen würden, aber so kommen nicht in Sicht. Sie haben wohl einen anderen Weg genommen und ich bleibe allein - was sich die nächsten Tage auch nicht ändern sollte. Eine zweite Furt zwingt mich in die Sandalen. Das kalte Wasser erfrischt wohltuend die Füße. Gut ein Dutzend kleinerer Bäche lassen sich in Schuhen durchwaten oder über man balanciert von Stein zu Stein.

        An der Brücke über die Gljúfurá kann ich zwei mir bis dahin unbekannte Enten beobachten. Gerade noch gelingt mir ein Foto, bevor ein Geländewagen über die Brücke donnert und sie verscheucht.


        Kragenenten

        Nach der Brücke geht es einen langen, flachen Anstieg zum Hávörður hinauf. Durch meinen späten Aufbruch und meinem Prinzip am ersten Tag nur eine kurze Etappe zu gehen nehme ich mir den höchsten Punkt der Piste als ungefähres Tagesziel und nicht die Hütte Gil. Lieber langsam beginnen!


        Leirdalsheiði

        Tatsächlich wird von der 'Hohen Warte' aus der Blick nach Norden auf den Hvalvatnsfjörður frei. Finde etwas weiter ein zwar etwas schiefes, aber doch nettes Plätzchen für das Zelt. Auf der Piste kommt der Geländewagen aus Norden zurück - eine Mercedes mit deutscher MZG-Nummer. Der Fahrer steigt aus und wir quatschen ein wenig. Er sagt, er sei mit dem Wohnwagen unterwegs und da erinnere ich mich an das Gespann auf der Fähre gesehen zu haben. Lerne: Island ist klein!
        Das war die letzte Fahrzeugbegegnug, und auch das sollte sich bis zum Ende der Tour nicht ändern.


        Leirdalsheiði

        Kaum im Zelt genieße ich das erste wohlverdiente Tour-Nickerchen. Später ein Abendessen gekocht und dann ein paar Fotos der Umgebung gemacht. Die Berge sind noch voller Sommerschnee und das Quellmoos gibt einen schönen, leuchtend grünen Vordergrund. Leider ist es stark bewölkt. Nur im Norden ist ein schmaler, heller Streifen am Himmel zu sehen und lässt mich auf eine 'Mitternachtssonne' hoffen. Optimistisch stelle den Wecker auf 1:00 Uhr. Tatsächlich sehe ich dann einen roten Streifen und eine Ahnung von Sonne *).


        „Mitternachtssonne“?

        *) Als Zeitzone Islands gilt GMT (Greenwich Mean Time), was nicht seiner geographischen Länge entspricht. Pro Längengrad ergibt sich eine Abweichung des Sonnenstandes von der Uhrzeit um 4 Minuten. Das bedeutet, dass tiefste Stand der Sonne eintritt in:

        Egilsstaðir 14°W um 00:56
        Akureyri 18°W um 01:12
        Reykjavík 22°W um 01:28

        Da kann man als Reiseleiter Ende Juni den Touristen in Reykjavík um 24:00 Uhr perfekt eine „Mitternachtssonne“ verkaufen – natürlich nur so zum Test, ob jemand um die Uhrzeit noch mitdenkt

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        • Dieter

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          • 26.05.2002
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          #5
          AW: [IS] Látraströnd

          Mittwoch 23. Juni

          Da ich in der Nacht den Wecker verstellt habe, habe ich unbeabsichtigt bis 9 Uhr geschlafen – es lebe Island! Es ist auch gut so. Ich habe es nicht eilig und meine Tagesetappen sin eh überschaubar. Komme also erst um 11 Uhr los.

          Es ist deutlich windiger und kälter als gestern. Jack und Mütze kann ich gut vertragen. Der Weg geht stetig leicht bergab nach Norden zu der schon weithin sichtbaren Hütte Gil. Um 12 Uhr habe ich diese erreicht und lege dort eine kurze Pause ein um die Hütte zu inspizieren. Sauber in Schuss – gefällt mir!


          Gil

          Gil ist eine sogenannte gangamannaskáli, also eine Hütte (isl. skáli) die nicht für touristische Zwecke gebaut wurde, sondern die, vor allem während des Schafabtriebes (isl. göngur), von den einheimischen Bauern (isl. gangamanna) als Stützpunkt genutzt wird. Manche dieser Hütten, wie eben diese, sind auch für Wanderer zugänglich und man hinterlässt seine Übernachtungsgebühr in einer dafür vorgesehenen Kasse. Für den Unterhalt der Hütte Gíl und auch den weiteren Hütten auf dieser Tour sorgt sich der Verein Ferðafélag Fjörðungur in Grenivík. Möge das auch noch lange so funktionieren!



          Gleich westlich der Hütte führt eine Holzbrücke über die enge Schlucht (isl. gil) der Gilsá. Damit verlasse ich die Piste und muss meinen Weg selber finden. Von der Karte her ist es klar, wie die Route verläuft: man wählt nur den breitesten Schafpfad – so man einen findet, der einen nicht in die nächste Sumpfwiese führt. Eigentlich ist der ganze breite Talboden nicht als eine einzige Sumpfwiese.


          Schafe

          Gleich bei der Ruine des alten, 1899 aufgelassenen Bauernhofes Gil holen mich eine Herde Schafe und die sie besitzenden Bauernfamilien ein. Sie sind mit drei Fahrzeugen und Anhängern kurz nach mir an der Hütte angekommen und schicken nun ihre Schafe in eine knapp dreimonatige Sommerfrische. Die Schafe bleiben den ganzen Sommer unbeaufsichtigt und sich selbst überlassen in diesen Tälern. Anfang September, vor dem Wintereinbruch, findet dann der große gemeinsame Schafabtrieb statt an der sich alle Bauern, deren Familien und Freunde beteiligen. Zu Pferd, zu Fuß oder mit dem Quad müssen alle Seitentäler und Berghänge nach Schafen abgesucht und hinunter zum zentralen Pferch (isl. rétt) getrieben werden. Diese gemeinschaftliche Aktion findet traditionell bei Sauwetter statt und zieht sich schon mal über 2 - 3 Tage.

          Ich suche weiter meinen Weg talauswärts nach Norden. Habe den Eindruck, dass ich alle 50 Meter einen Bach und alle 20 Meter einen Graben queren muss. Immer wieder verliere ich die Spur. Ganz schön anstrengend, dabei sind geht es doch nur ein Wiesental entlang. Mach Pause an einem windgeschützten Fleck und setze wieder mal eine OK-Message mit dem SPOT ab. Über den nächsten Bach Storilækur kann ich mich trockenen Fußes schummeln und über die Þverá, die aus einem westlichen Seitental, dem Trölladalur kommt, führt ein Brücke. Bei Tindarstaðir überspannt ein Hängebrücke mit einem Steg den Hauptbach, der hier Austurá heißt. Weg ist ab hier gut erkennbar und bleibt auf der Westseite des Tales erst am Hangfuß um die Sumpfwiesen des Talgrundes zu vermeiden und dann nach Nordwesten ansteigend zu dem niederen Pass Þönglabakkaháls.



          Hvalvatnsfjörður (interaktives Panorama)

          Vom Anstieg aus hat man einen schönen Blick auf die sumpfige Talebene, den See Hvalvatn und die Brandung an den Ufern des Hvalvatnsfjörður.

          Ebenso beeindrucken die Nordflanke des Bjarnarfjall. Durch dessen steile Geröllfelder und Schrofen führt eine ziemlich heikle Route (lang, steil, ausgesetzt und Steinschlag gefährdet) über der Steilküste nach Osten ins ebenfalls unbewohnte Flateyardalur. Auf meiner Karte, die ich in Akureyri erstanden habe, ist die Route auf der Rückseite unter der falschen Nummer beschrieben - die Nummern 19 und 20 sind vertauscht (sic!). Liest man dann die richtige Beschreibung steht da kurz: „A very difficult, hazardous trail …“.

          Ich erinnere mich an eine Geschichte welche ich vor 8 Jahren erlebte:
          In Landmannalaugar traf ich eine jungen Italiener, der mir erzählte, dass er nun bei Akureyri noch eine Trekkingtour machen will. Gut zwei Wochen später, als ich wieder in München bin, lese ich von einem italienischen Wanderer der im Gebiet der Látraströnd vermisst wird. Er soll zuvor in Landmannalaugar gewesen sein. Später lese ich, dass die Suche ergebnislos eingestellt wurde. Der Wanderer bleibt verschollen. Ist es der selbe, den ich in Landmannalaugar kurz traf?

          Weiter an dem kleine, aber fast vollkommen zugewachsenen See Startjörn, vorbei. Nur ein Singschwanpärchen hat verraten, dass die kleine Verebnung ein See ist. Nun ist es nicht mehr weit bis nach Þönglabakki. Um 16:30 komme ich an der ehemaligen Rettungshütte an.


          Þönglabakki

          Früher stand hier einmal ein Kirche. Der Wohnplatz Þönglabakki wurde als letzter der Gegend 1944 aufgegeben. Der Friedhof ist noch erhalten und wird instand gehalten. Einmal pro Jahr findet hier eine Messe unter freiem Himmel statt, bei der die Nachkommen der Familien die vor hundert Jahren hier gelebt haben aus ganz Island sich hier zusammenfinden. Auf dem Fundament einer der alten Gebäude errichtete man dann später eine Hütte des nationalen Rettungsdienstes Slysavarnafélag Íslands. Diese orangefarben gestrichenen Rettungshütten an den unbewohnten Küsten Islands sollten Schiffbrüchigen eine Notunterkunft und damit ein Überleben ermöglichen. Sie waren mit Decken, Erste Hilfe Ausrüstung, Essensrationen, einem Ofen, Brennmaterial und einem Funkgerät ausgerüstet. Mit der Einführung moderner Kommunikations-, Ortungs- und Navigationsmittel und nicht zuletzt der Verfügbarkeit von Rettungshubschraubern sind diese Rettungshütten mehr und mehr überflüssig geworden.


          Þönglabakki

          Die Hütten hier im Gebiet Í Fjörðum und Látraströnd stehen seit 2006 unter privater Betreuung des Vereins Ferðafélag Fjörðungur haben aber, meines Wissens nach, ihre Funktion als Rettungshütte dadurch nicht verloren. 2008 ist die Hütte dann ausgebaut worden – ein Schmuckstück! Die Hütte ist voll ausgestattet und bietet Platz für 18 Personen in Doppelstockbetten.

          Ich richte mich gleich gemütlich ein und gönne mir heißen Tee und kleinur (unverzichtbares isl. Schmalzgebäck). Als ich aus dem Fenster schaue blickt mich aus der Wiese ein neugieriger Polarfuchs an. Schnell den Foto geholt und das Tele aufgesetzt. Er hat sich zwar zwischenzeitlich etwas von der Hütte entfernt, aber es reicht gerade noch für eine Blattschuss.


          Polarfuchs

          Nach einem Nickerchen wache ich um 19 Uhr wieder auf. Erst jetzt merke ich, wie kalt mir in der Hütte geworden ist. Mir fröstelt und sogar die Zähne klappern. Höchste Zeit sich etwas Heißes in den Magen zu bekommen. Nach dem Essen mache ich mich endlich daran das Tagebuch fortzuführen. Zwischendurch huscht der Fuchs wieder über die Wiese – irgendwas trägt er im Maul. Eilig verschwindet er den Hang entlang nach Norden. Zur Abwechslung pickt ein Vögelchen ans Fenster. Richtig was los hier!

          Wie immer interessante Lektüre im Hüttenbuch. Dort wird meine Tour unter dem Titel „Um Fjörðum og Látraströnd“ geführt. Außer 49 skátar (dt. Pfadfinder) auf ihrem „Roverway 2009“ haben nur etwa 10 ausländische Wanderer in jenem Jahr hierher gefunden. Sonst nur isländische Gruppen. Die Namensliste anlässlich der Messe in Þönglabakki am 17. Juli 2008 zieht sich über siebeneinhalb Seiten (ca. 160 Teilnehmer)!

          Es ist inzwischen 23 Uhr. Der Himmel über dem Meer im Norden ist wolkenverhangen. Werde in den Schlafsack kriechen. Später fällt orangefarbenes Licht durch einen schmalen Streifen über dem Horizont durch das Hüttenfenster. Habe eine Muskelkater in den Waden und in den Oberschenkeln. Ein Souvenir von der kleinen Skitour am Kaldbakur?

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          • Mika Hautamaeki
            Alter Hase
            • 30.05.2007
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            #6
            AW: [IS] Látraströnd

            Hui, das fängt schon sehr vielversprechend an.
            So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
            A. v. Humboldt.

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            • Dieter

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              #7
              AW: [IS] Látraströnd

              Donnerstag, 24. Juni

              Hatte des Wecker auf 7 Uhr gestellt, dass ich nicht wieder verpenne. Heute und morgen stehen Bergetappen auf dem Programm. Wetter wie gehabt: bewölkt, etwas weniger Wind aus Nordost und über dem Meer etwas aufgelockert. Die Gipfel der umliegenden Berge sind jedoch in Wolken.
              Lasse mir trotzdem viel Zeit und komme erst um 9 Uhr los.


              Odinshühnchen an der Botnsá

              Ich quere die die Botensá über eine Brücke, die hier einsam in der Landschaft steht und dann über den Talgrund bis zu dem verfallenen, ebenfalls 1944 aufgegebenen Gehöft Botn. Die Brandung ist dabei sich den Rest des Hofes in die See zu holen. Der steinige Strand des Þorgeirsfjörður reicht schon bis an die alten Legesteinfundamente. Direkt bei der Hofruine liegen Wrackteile eines Holzschiffes. Überall finden sich einzelne Planken, und dicke Bohle, rostige Bolzen, Schrauben, Schäkel und jede Menge nicht Zuordenbares. Nur ein Teil der Rumpfwand ist als größeres Stück in Verband erhalten geblieben. Beeindruckend massiv die doppelte Beplankung.



              Schiffswrack bei Botn, Þorgeirsfjörður (interaktives Panorama)

              Im Sommer 1950, zu Beginn des kalten Krieges, strandete hier nach einem Maschinenschaden ein Schiff der russischen Fischereiflotte.


              Fögrudalir

              Gleich hinter Botn beginnt der Aufstieg zu den Hängen der sogenannten Fögrudalir, den 'schönen Tälern', welche nach Westen von dem steilen Rücken des Blæjurkambur abgeschlossen werden. Auf den flachen Hängen der Fögrudalir verliert sich die Spur bisweilen dafür stoße ich auf eine erste Steinwarte (isl. varða) welche die Route markiert. Die mühevoll gewonnene Höhenmeter muss man beim Abstieg in das Tal Blæja wieder opfern, zwei Bäche queren und dann wieder steil hinauf zur Nordflanke des Hnjáfjall. Über beide Bäche kann ich gerade noch so hinüber balancieren, aber ohne Trekkingstöcke – keine Chance. Nach dem zweiten Bach lege ich eine Pause ein und setze mit dem SPOT eine Positionsmeldung ab. Der steile Gegenanstieg benötigt nicht mehr als 20 Minuten. Auch hier ist eine deutliche Pfadspur zu erkennen, die den Aufstieg erleichtert. Als ich die Höhe erreicht habe führt die Spur quer durch einer unangenehm steilen, bis zur 400 m tiefer tosenden Brandung abfallenden Geröllrinne mit dem schönen Namen Katlar. Das wäre kein größeres Problem, wenn nicht im Einstieg in die Rinne die schmalen, aber noch steileren Überreste eine Schneewechte liegen würden. Also muss ich die Katlar oben herum, weglos umgehen. Knapp 50 weglose, steile Höhenmeter und es ist geschafft und ich kann die Rinne umgehen. Wenig später erreiche ich den Grat zur Westflanke des Hnjáfjall. Der Blick steil hinunter ins Keflavíkurdalur wird frei.


              Keflavík

              Auf dem luftigen Sporn steht eine weitere Warte und markiert den steilen Abstieg in Schutthänge des Hnjáfjall. Ich nutze die Gelegenheit und die gute Aussicht auf den Pass Uxaskarð, über den ich morgen muss und mache ein Foto des Passes. Werde es heute Abend in Ruhe studieren.


              der morgige Weg über die Uxaskarð (Ostseite)

              Die ersten Meter knapp unterhalb des Grates verläuft der schwach erkennbare Weg über steiles, brüchiges Gestein und rutschigen Schutt. Trittsicherheit und sichernder Einsatz der Stöcke sind gefragt. Mit etwas Abstand zum Grat wird der Hang etwas flacher, der Schutt gröber und dadurch stabiler. Schließlich lasse ich mich verleiten in guter alpiner Tradition den direkten Weg zu nehmen und rutsche auf den Bergstiefeln zügig in der Falllinie die Schuttreiße hinunter (Don't do this with trailrunners!). Na ja, ganz so gut war die Idee auch nicht, denn unten wird es noch steiler und blockiger und ich muss weit nach links ausweichen. Knöchelschonend ist das Gelände hier in keinem Fall. Endlich erreiche ich den Talgrund und halte auf die orangefarbene Rettungshütte zu. Diese liegt auf der anderen Seite der Keflavíkurá und diesmal gibt es keine Brücke. Etwa 300 m oberhalb der Hütte finde ich eine etwa knietiefen Übergang – hätte die Furt tiefer eingeschätzt.


              Rettungshütte außen


              Rettungshütte innen

              Der Hütte, gebaut 1951, sieht man ihr Alter an (Stand 2010!). Wenn man vorher in Þönglabakki war, dann kommt sie einem vor, wie ein Bruchbude. Auf den zweiten Blick aber erkennt man, dass auch hier an Verbesserungen gearbeitet wird. So sind schon neue, dichte Fenster eingebaut. Die Küchenausstattung ist ergänzt worden und es gibt sogar frische Geschirrtücher! Eine neue Veranda – unerlässlich für isländische Grillabende – aus dicken Bohlen gezimmert ist fast fertig. Das Wasser allerdings darf man sich unten aus dem Fluss holen.

              Es ist 15:30 Uhr als ich die Hütte erreiche. Es folgt der übliche, eingespielte Ablauf: sich einrichten, Tee und Suppe kochen und dann ein „Noonerle“ (hdt. Nachmittagsnickerchen). Wieder ist mir kalt. Um 19 Uhr koche ich mir einen Beutel Boeuf Stroganoff. Ich teste das Handy, und wieder habe ich, entgegen jeder Erwartung, guten Empfang. Wahrscheinlich von der Insel Grimsey herüber, die noch 40 km weiter nördlich liegt.


              Keflavík und Hnjáfjall

              Danach ein Abendspaziergang in Richtung auf den kleinen automatischen Leuchtturm Gjögurviti, der die östliche Einfahrt in den großen Eyafjörður markiert. Der Wind bäst frisch aus Nordosten aber ab und zu bricht die Sonne durch und Lichtflecke ziehen wie von Scheinwerfern über Hänge und Tal.. Mach ein paar Fotos.

              Im Hüttenbuch, das auf seiner letzten Seite angekommen ist, finde ich nur sehr wenige Eintragungen von Nicht-Isländern. Vielleicht ein Dutzend während der letzten 12 Jahre.


              Hüttenfenster

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              • Dieter

                Dauerbesucher
                • 26.05.2002
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                #8
                AW: [IS] Látraströnd

                Freitag, 25. Juni

                Die Hütte ist scheißkalt. Die Fenster sind zwar dicht aber der Wind zieht an allen Wellblechecken und Enden herein.


                Keflavík am Morgen

                Kurz nach 7 Uhr bin ich auf. Erst ein Blick zum Wetter; Wind und Wolken wie gehabt? Die Uxaskarð ist in die Wolken eingetaucht und nicht sichtbar. Aber schon während des Frühstücks reißt es auf. Die Wolken sind nur dünn und überall kommt Sonne durch. Auch die Uxaskarð ist wieder da. Aufbruch um 8:30 Uhr.

                Quere zur Westseite des Tales und folge leicht ansteigend dem Hangfuß nach Süden. Der Weg? Ich nehme einfach einen Schafpfad der sich anbietet. Ein „offizieller“ Weg ist nicht zu sehen. Ich schrecke ein Schneehuhn auf, das direkt vor meinen Füßen, perfekt getarnt gebrütet hat. Beinahe wäre ich auf das Nest getreten.


                Schneehuhnnest

                Langsam arbeite ich mich quer am Hang höher. Die Sonne wärmt und ich kann die Jacke hinten an den Rucksack hängen. Bis auf ein paar Nebelfetzen um die Gipfel haben sich die Wolken verzogen.


                Päuschen

                Kurz bevor es mit dem Aufstieg auf die erste Verebnung zum Neðriskip ernst wird, treffe ich auf den Weg, zumindest ist er etwas breiter als ein Schafpfad und auch ein paar alte Hufspuren sind zu erkennen. Das deckt sich mit meiner Information, dass diese Tour gelegentlich auch von Einheimischen mit Packpferd gegangen wird. Ich steige langsam auf – ein Schritt einatmen - ein Schritt ausatmen. Die Atemfrequenz halte ich konstant. Für mich die beste Technik für Anstiege mit schweren Rucksack. Nach der ersten Verebnung ist der Weg mit gelben Pflöcken markiert.

                Nun geht es südlich um einen markanten Felskopf herum, bevor die Route immer steiler werdend in einer breiten Rinne zum Pass aufsteigt. An einer letzten Quelle mit leuchtend grünem Moos mache ich noch einmal Halt.


                auf halber Höhe

                Der Weg verliert sich ständig. Fast alle Pflöcke hat der Schnee im Winter umgelegt. Die, welche ich finde, richte ich wieder auf. Nach Süden geht es aus der Rinne hinaus in eine letzten blockigen Steilhang.


                die Rinne

                Um 13:00 Uhr habe ich es geschafft! In der flachen Passmulde der Uxaskarð *) steht eine Steinwarte mit einem gelben Pfahl. Das GPS zeigt mir eine Höhe von 509 m an. Ausgiebige Rast, Aussicht genießen, Fotos gemacht und eine OK-Message abgesetzt. Das kalte Wasser von der letzten Quelle schmeckt herrlich!


                Uxaskarð und Eyafjörður (interaktives Panorama)

                Wetter ist nicht planbar, ein Grund warum ich in Island auf Mehrtages- und längeren Touren keine Wettervorhersage höre. Die lokalen Eigenheiten, das Luv oder Lee einer Bergkette können über „Geht“ oder „Geht nicht“ entscheiden. Viel wichtiger ist die Beurteilung der Wetterlage am Tag und vor Ort. Heute ist – BINGOOO – kein Problem und alles perfekt!

                Der Abstieg Richtung Eyafjörður wird mir durch zwei lange Schneefelder erleichtert. Über sie komme ich bequem und schnell ins Fossdalur hinunter. Es kostet deutlich weniger Kraft als über den steilen Weg - trotzdem geht es enorm in die Oberschenkel. Kurz vor dem Talboden steht ein metallener Wegweiser „Keflavík 6 km“ in der Landschaft. Allerdings zeigt er in die falsche Richtung. Lawinen haben ihn offenbar etwas verbogen.


                Uxaskarð und Fossdalur

                Das warme Wetter und die Schneeschmelze sorgen dafür, dass ich im flachen Talboden des oberen Fossdalur immer wieder „versumpfe“ und durch Wasser platschend den Weg verliere und zu hoch am Hang bleibe und zu früh nach Südwesten queren will. Ein Blick aufs GPS bestätigt meinen Irrtum und ich finde schnell zur Pfadspur zurück.

                Der Aussicht im Abstieg zum Fjord ist herrlich. Das Wasser ist spiegelglatt und ich traue meine Augen kaum, als ich draußen den einen Buckelwal an der Wasseroberfläche erkenne. Der dunklen Rücken krümmt sich, er taucht elegant ab und lässt noch seine Fluke im Sonnenlicht aufblitzen. Auf einer Bergtour sieht man so manches – aber einen Wal?

                Der Weg geht jetzt konsequent Richtung Fjordufer. Die Vegetation wird immer üppiger und schließlich wate ich durch kniehohes Birkengebüsch. An der Kante der Steilküste bietet sich ein schöner Blick auf die vorgelagerten Schären. Ich entdecke eine kleinen, schwarzen Sandstrand. Es riecht nach Tang und Meer und Mövengeschrei und Entengeflatter bilden die Begleitmusik – was für ein Tag!

                In Látur **) habe ich wieder nur eine Rettungshütte wie in Keflavík erwartet, aber da steht zu meiner Überraschung eine nagelneue, als Blockhaus errichtete Hütte mit einer großen Sonnenveranda. Sieht eher aus wie ein großes, privates Sommerhaus.


                Hütte Látur

                Wieder so ein Schmuckstück des Ferðafélag Fjorðung! Man betritt die Hütte über ein Vorraum, Schlaf- und Aufenthaltsraum sind getrennt und auf der Rückseite gibt es eine separate Küche. Im Giebel noch ein kleines Matratzenlager mit fünf Plätzen. Die Einrichtung ist, da alles noch so neu (Stand 2010!), ein wenig karg, aber das wird sich bald geben. Ursprünglich stand an dieser Stelle ein in Holz gebautes, zweistöckiges Bauernhaus auf Steinfundament, das selbst einen alten Torfhof ersetzt hatte. 1942 wurde der Hof aufgegeben und offensichtlich abgerissen wahrscheinlich aber abgebaut und anderswo wieder errichtet. Auf den alten Betonfundamenten stand später eine der bescheidenen Seenot-Rettungshütten, wie in Keflavík. Der Neubau, errichtet auf den alten Fundamenten, richtet sich Form, Größe und Aussehen nach dem alten Vorbild.


                Schlafraum von Látur

                Ich sitze in der Sonne auf der Veranda der Hütte, das Meer ist kein 50 m von mir entfernt, und beobachte den Blast der Wale. Erst der Blast, dann der schwarze Rücken und zum Abschluss wieder die aufragende Schwanzflosse. Man braucht nur eine Weile hinauszuschauen um ein, zwei Tiere zu entdecken.


                Auf der Sonnenveranda

                Zum Abendessen gibt es Chilli con Carne – nach all den Jahren bin ich das Zeug endlich leid und habe die Hälfte davon weggeschmissen. Es schmeckte widerlich talgig – und es gibt keine Schnaps im Haus (oder Rucksack), der den Geschmack wegbrennen könnte.

                Abends bekomme ich noch unerwartet Besuch von drei Mitgliedern des freiwilligen Rettungsdienstes von Grenivík. Es sind zwei Jungs und ein Mädchen auf Übungsfahrt mit einem Schlauchboot. Sie sind professionell mit Trockenanzügen ausgerüstet – nicht sehr figurbetont aber äußerst zweckmäßig, wenn man in isländischen Gewässern auf kleinen Booten unterwegs ist. Wir plaudern noch auf der Veranda und schließlich machen sie sich wieder auf die gut 20 km lange Rückfahrt.


                Besuch


                goða ferð!

                Gegen 24:00 Uhr wache ich kurz auf. Ein Blick aus dem Fenster lässt mich noch einmal den Foto herauskramen und nach draußen gehen.


                gegen „Mitternacht“

                - - - - -

                *) Der Ortsname 'Uxaskarð' lässt sich mit 'Ochsenscharte 'oder 'Ochsenpass' übersetzen und weist darauf hin, dass er schon in früheren Zeiten auch als Übergang genutzt wurde.

                **) Der Name 'Látur' bedeutet einen Platz an dem Seehunde lagern, ihre Jungen bekommen und säugen.
                Zuletzt geändert von Dieter; 08.09.2020, 09:01. Grund: Korrekturen, 2 Fußnoten eingefügt

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                • Dieter

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                  #9
                  AW: [IS] Látraströnd

                  Samstag, 26. Juni

                  Den Wecker um 7 Uhr ignoriert und bis 8:30 Uhr weitergeschlafen. Habe keine Eile. 20 km in zwei Tagen – das ist zu schaffen. Es ist kühl in der Hütte. Das Dach isoliert wohl nicht so besonders. Während des Frühstück ein Regenschauer, der in Sprühregen übergeht. Das geplante Panoramafoto der Hütte hätte ich besser gestern gemacht! Lasse es ansonsten langsam angehen und werde mich auf jeden Fall gegen 11 Uhr auf den Weg machen.


                  Seitenbach

                  Unter den letzten feinen Regentropfen, verschließe ich die Hütte und klinke mich auf den nun deutlich erkennbaren Wanderweg ein. Langsam steigt der Weg dem Hang entlang höher. Südlich der Hütte sind die Látrarströnd ein Steilküste mit senkrechten Klippen und eindrucksvollen Wasserfällen. Von den steilen Berghänge kommen mehrere Wildbäche herunter und so sind einige und Schluchten zu queren. An der höchsten Stelle befinde ich mich gut über 200 m über dem Meeresspiegel und damit knapp unter der aktuellen Wolkengrenze. Einer der schluchtartigen Bacheinschnitte ist an einer Seite noch halb mit unterspültem Altschnee gefüllt. An dieser Stelle komme ich nicht rüber. Ich muss mir an einer anderen Stelle einen Weg über den Bach suchen.



                  Eyafjörður (interaktives Panorama)

                  Nachdem diese Hindernis umgangen ist führt der Weg wieder langsam zu der nun flacheren Küstenlinie hinunter. Je näher ich dem Meeresspiegel komme um so dichter wird die Vegetation. Schließlich wate ich durch hüfthohes Birkengebüsch, welches den Weg fast vollkommen verdeckt. Glücklich darf sich schätzen, wer diesen Abschnitt bei trockener Wetterlage begehen darf. Es regnet zwar nicht mehr, aber die Blätter sind noch von heute Morgen nass und sorgen höchst effektiv dafür, dass man bis auf die Haut durchnässt wird.


                  Der Rabe 'Krummi' – nach einem Kinderlied in Island, werden alle Raben so genannt

                  Auf einmal streicht ein großer Rabe den Hang hinauf, lässt sich, dicht am Weg, vor mir auf einem Felsblock nieder und beäugt mich kritisch. Als ich etwas näher komme macht er keine Anstalten zu fliehen, aber lässt mich auch nicht aus den Augen. Abwartend mustern uns gegenseitig auf geringe Entfernung. Schließlich hat er genug, schlägt zweimal mit seinen weiten Schwingen und gleitet hinab zu den Klippen.


                  Erste Begegnung mit anderen Wanderern

                  Als nächstes kommen wir doch tatsächlich zwei Menschen mit großen Rucksack entgegen. Nanu – jetzt wird es aber überlaufen hier! Das Paar kommt aus Reykjavík. Sie sind heute Morgen in Grenivík aufgebrochen und wollen gleiche Tour machen. Nur eben in Gegenrichtung. Ihr Tagesziel für heute ist Látur. Ich weise sie auf die nächste schwierige Furt hin und sie erklären, dass mich in meiner Gehrichtung keine derartigen Probleme erwarten würde. Wir verabschieden uns und wünschen uns noch gegenseitig „goða ferð“ – gute Reise.

                  Ich bin dann schon etwas erstaunt, als ich nach kurzer Zeit vor einem Bach (Refsá?) stehe, der sich bei bestem Willen nicht trockenen Fußes überschreiten lässt. Wie haben die Beiden das gemacht? Die großen Steine im Bachbett liegen zu weit auseinander und sind auch zu wackelig. Also Stiefel aus, Sandalen an und sich frische Füße geholt!

                  Nun wird der Weg einfacher und breiter und zu einer Fahrspur für ein Quad oder Geländewagen. Ich halte langsam Ausschau nach einem Platz, der meinen Standardanforderungen entspricht: begrünt, eben und in der Nähe von Wasser.


                  am Fjord

                  Meine Wunschzeltplatz finde ich dann bei dem verfallenen Torfhof Sker (aufgelassen 1931) - und was für ein schönes Plätzchen! Das Wetter hat sich im Laufe des Nachmittags stetig gebessert und so freue ich mich wieder mal mein Zelt benutzen zu können.



                  Sker, Eyafjörður (interaktives 360° Panorama)

                  Am Abend mache ich noch eine Spaziergang hinunter zum Strand und zu den Klippen und den vorgelagerten Schären (isl. sker). Das Wasser des Fjords ist ruhig und klar. Die Sonne taucht alles in ein warmes Licht und beleuchtet die Wasserfälle, die über die Klippen in den Fjord stürzen. Am steinigen Strand liegt Treibholz (Sibirien lässt grüßen), Tang, Muscheln, große, runde Steine und leider viel angeschwemmter Plastikmüll (meist der Fischerei zuordenbar). Zurück am Zelt angekommen, weht mittlerweile ein heftiger, böiger Wind von den Bergen herunter.


                  Blick nach Nordwesten
                  Zuletzt geändert von Dieter; 08.09.2020, 17:41.

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                  • Dieter

                    Dauerbesucher
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                    #10
                    AW: [IS] Látraströnd

                    Sonntag 27. Juni

                    Ein perfekter Morgen. Bis auf ein paar dünne Cirren ist es wolkenlos und es herrscht Windstillle. Es sind nur etwas mehr als 10 km bis Grenivík – ein gemütlicher Morgenspaziergang.



                    Sker, am Morgen (interaktives Panorama)

                    Ab der Hofruine Svínárnes wird die Fahrspur zu einer gut befahrbaren Piste. Ich b in auf der Zielgeraden, aber nicht im Endspurt. Ich lasse mir Zeit, genieße die großzügig eingelegten Pausen in der Sonne und schließe die Tour auch gedanklich ab.



                    Wie immer ziehen sich die letzten Kilometer bis zum Ziel – das ist auf jeder Tour so. Der bei meinem Aufbruch vereinsamte Campingplatz von Grindavík ist kaum wieder zu erkennen. Er ist fest in der Hand eines großen isländischen Familientreffens. Überall stehen große Geländewagen, Caravans, Zelte, Grillfeuer sind schon angefacht und selbst ein Hüpfburg für die 'krakkar' (isl. fam. Ausdruck für Kinder) fehlt nicht. Ohhh – nein Danke – hier werde ich nicht bleiben.

                    Im Schwimmbad nehme ich eine Dusche, ziehe frische Klamotten an und fahre zu einem gepflegten Stadtbummel nach Akureyri.


                    * * *
                    Zuletzt geändert von Dieter; 08.09.2020, 19:06. Grund: ooops - kleine Korrektur

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                    • November
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                      • 17.11.2006
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                      #11
                      AW: [IS] Látraströnd

                      Danke, große Klasse.
                      Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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                      • fhvdrais
                        Erfahren
                        • 16.08.2015
                        • 429
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                        #12
                        AW: [IS] Látraströnd

                        Danke für den Bericht!

                        Diese Rettungshütten hatte ich bisher nicht auf dem Schirm - stehen die in der Karte, gibt es vielleicht gar eine Übersicht im Netz?

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                        • Dieter

                          Dauerbesucher
                          • 26.05.2002
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                          #13
                          AW: [IS] Látraströnd

                          Diese Rettungshütten hatte ich bisher nicht auf dem Schirm - stehen die in der Karte, gibt es vielleicht gar eine Übersicht im Netz?
                          Diese orangefarbenen Rettungshütten sind in den Karten eingezeichnet. Sie stehen an unbewohnten Küsten (Hornstrandir!) und oft an Bergpässen. In der modernen Version dieser Hüttensind sie aus zwei miteinander verschraubten Fiberglasschalen gefertigt und sehen aus wie überdimensionale Eierkartons mit Antenne. In der Architektur gelten sie inzwischen auch als Vorbilder für sog."Tiny Houses".

                          Doch für ihre Benutzung gilt nach wie vor:


                          Schild in Hornstrandir

                          Der Begriff "Schutzhütte" wird hierbei sehr eng gefasst. Leider geschieht es nur allzu oft, dass diese Hütten missbraucht, die Notrationen geplündert und verdreckt zurückgelassen werden.

                          Die in diesem Bericht beschrieben Hütten sind eine Ausnahme! Sie sind "Schutzhütten" und gleichzeitig Wanderhütten.

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                          • Fjellfex
                            Fuchs
                            • 02.09.2016
                            • 1252
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                            #14
                            AW: [IS] Látraströnd

                            Dank auch von mir!

                            Mit den Bildern könnte man einen Kalender gestalten...

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                            • neumania
                              Erfahren
                              • 22.02.2015
                              • 292
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                              #15
                              AW: [IS] Látraströnd

                              Moin Dieter,

                              ja, sehr schöner Bericht von einer Ecke, die ich kaum kenne
                              Vielen Dank für's Mitnehmen!

                              ...und die Fotos, insbesondere die Panoramen, sind auch einfach toll.

                              Beste Grüße,
                              Markus

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                              • Mika Hautamaeki
                                Alter Hase
                                • 30.05.2007
                                • 3979
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                                #16
                                AW: [IS] Látraströnd

                                Grandios, vielen Dank für den tollen Bericht und die unglaublichen Bilder
                                So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                A. v. Humboldt.

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                                • TOFA
                                  Anfänger im Forum
                                  • 07.03.2017
                                  • 35
                                  • Privat

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                                  AW: [IS] Látraströnd

                                  Danke für diesen schönen Bericht! Ich lese Deine Texte sehr gern.

                                  Als ich vor zwei Jahren Ende August mit dem Rad in die beiden F Straßen (839 und 899) gefahren bin, habe ich immer nach rechts und links gespäht, ob sich da wohl auch Wanderungen planen lassen - bei Spätsommerwetter ist das eine sehr verlockende Welt. Nun habe ich Dank Dir ja einen ziemlich detaillierten Eindruck wie eine Tour dort aussehen könnte. Also vielleicht nächstes Jahr...?

                                  Ich möchte aber anmerken, dass sich von den Pisten aus gesehen, die Gegend dort so überhaupt nicht einsam darstellt, jedenfalls nicht so wie auf Deinen Fotos... Es herrschte sehr reger Verkehr - vor allem waren ganze Gruppen von Jeeps, Bikern und auch MTBs unterwegs. Neben den ausländischen Touristen scheinen auch die Bewohner aus dem Raum Akureyri die Flateyjarskagi als "Naherholungsgebiet" zu schätzen. War jedenfalls mein Eindruck an den Spätsommertagen dort...
                                  Aber es ist wie immer in Island, am besten ist man zu Fuß unterwegs...

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                                  • evernorth
                                    Fuchs
                                    • 22.08.2010
                                    • 1836
                                    • Privat

                                    • Meine Reisen

                                    #18
                                    AW: [IS] Látraströnd

                                    Eine mir kaum bekannte Gegend. Ayyh, dass hat mir gut gefallen.
                                    Vielen Dank für den schönen Bericht und die guten Fotos.
                                    My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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                                    • Albiown

                                      Erfahren
                                      • 18.08.2011
                                      • 371
                                      • Privat

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                                      #19
                                      AW: [IS] Látraströnd

                                      Ganz herzlichen Dank für den Bericht, Dieter! Und arr... bist du mir zuvor gekommen. Wollte genau diesen Zipfel dieses Jahr in einer fixen Tour erkunden, wäre mir Corona nicht dazwischengekommen!

                                      Sehr schöner Bericht, der zeigt, dass meine Vorfreude berechtigt war.

                                      lg!

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