[AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

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  • kunibald
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    • 15.06.2014
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    • Meine Reisen

    [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    „Milano! Milano! Trento! Trento! München, wer will nach München?“
    „Ähm, Moment, wo sollen denn die Rucksäcke nach Innsbruck hin?“
    „Habe ich schon fünf Mal gesagt, was los, hast du geknutscht oder was?“

    Es geht mit dem N95 von Flixbus non-stop von Berlin nach Innsbruck. Abfahrt 21:00, Ankunft in der Früh. Ein so unverschämt gutes Angebot, dass sogar der favorisierte ÖBB Nightjet darüber vergessen wurde. Nachdem die mündliche Prüfung abgelegt, der leichte Kater ins Tierheim verfrachtet und die Rucksäcke geschnürt waren, musste nur im Baustellen-Chaos am ZOB der richtige Bahnsteig identifiziert (die Anzeigetafel ist logischerweise jenseits des Bauzaunes), der richtige Ablageplatz für die Rucksäcke gefunden (hinten links) und nach Abfahrt ein schnelles Schulle gezischt werden, bis der Schlaf uns in die Berge fuhr.

    Angekommen in Innsbruck spart sich Flixbus wohl die Bushaltestellen-Kosten und parkt an irgendeiner dubiosen Tankstelle dreihundert Meter vom Bahnhof entfernt. Die seltsamen Kaffeenamen verwirren zusätzlich das verschlafene Hirn, aber auch diese Hürde kann gemeistert werden. Im Anschluss fährt der Zug nach Landeck, von dort ein Bus nach Pettneu. Schwuppsdiwups, ist man einigermaßen ausgeschlafen am Einstieg in die Tour.

    Beim letzten Mal sind wir noch mit dem geliehenen Käfer von Kunibaldines Mutter gefahren, eine Erfahrung, die ob Stunden im Stau vor München, einer unbequemen Nacht auf der Raststätte und einer sehr grenzwertigen Rückfahrt mit kaputtem Kupplungsbein (in Kombination mit leistungsbefreitem Benzinmotor und Serpentinen!) nicht zwingend wiederholt werden musste.


    Tag 1: Aufstieg zur Edmund-Graf-Hütte (1150 hm Aufstieg, 0 hm Abstieg)

    Die Ortsansässigen haben ihren Kirchgang beendet und flanieren, angetan in feinstem Sonntagszwirn, durch das Dorf nach Hause. Wir Fremden werden sogleich erkannt und zum einzig denkbaren Ziel gewiesen. Die Wanderkarte verlangt am Ortsausgang einen nicht unwesentlichen Umweg über eine parallel verlaufende Straße, der Aussicht von mehr Ferienwohnungs-Schildchen und schlecht geparkten Autos mit deutschen Kennzeichen entziehen wir uns jedoch geschickt und schlagen den direkten Weg zum Waldrand ein. Am Parkplatz vor der Forststraße sind bereits diverse Grüppchen mit dem Sortieren der Rucksäcke, Sonnencreme verteilen und Umziehen beschäftigt. Wir schließen uns an und lassen uns Zeit, nichtsdestotrotz starten wir beinahe als erste auf die Forststraße (sind allerdings auch nicht durch Kinder gehandicappt).

    Die ersten Meter sind die anstrengendsten, zumal für untrainierte Schreibtischtäter für uns, deren höchste Erhebung die zehn Stockwerke im Uni-Hochhaus sind. Zu allem Überdruss scheint auch noch die Sonne, und so läuft bald der Schweiss in Strömen. Die Rucksäcke sind zu schwer, die Steigungen zu anstrengend, und überhaupt. Immerhin kommt irgendwann ein Schattenplatz, an dem die Snack-Vorräte nochmal ganz unverbindlich auf Vollständigkeit hin überprüft werden können.


    Der Stein des Anstoßes

    Auf halbem Weg eine Alm. Der Urlaub startet politisch höchstkorrekt mit einem Mohrenbier, dem sich Kunibaldine verweigert, ich werfe allerdings in Vorahnung auf so manches Hüttengespräch schonmal die Ansprüche über Bord und schlage zu. Außerdem wollte ich ein Stück Almkäse für unser Brot kaufen, was auf dem Weg in die Küche wohl zum seltsamen Wunsch einer Käsejause ohne Brot umgewandelt wurde, so dass zwei fein garnierte Scheiben Käse auf dem Holzbrett – ohne Brot – an den Tisch gebracht wurden. Da aber tatsächlich ein angemessener Preisnachlass auf Rechnung auftauchte, will ich mich nicht beschweren. Bald verziehen wir uns an den Fluss und schmausen Brot mit Almkäse.

    Kurz nach der Alm biegt man am Kletterfelsen links ab, das Gelände wird steiler und anstrengender (was in diesem Zustand heißt: Ist nicht mehr per Auto befahrbar), der Schweissfluss erreicht ein neues Maximum. Die absteigenden Leute schauen mir besorgt ins Gesicht: Rot angelaufen keuche ich den Weg entlang. Immer wieder folge ich den Strängen der Materialseilbahn und versuche das Ende zu ergründen. Vergeblich. Eine überholende Gruppe kennt den Weg und betont mehrfach, der EINFACHE WEG ginge rechts entlang. Ich fühle mich ein bisschen blöd.

    Wir gehen den EINFACHEN WEG und irgendwann taucht tatsächlich die Hütte auf. Puuh. Bergsteigeressen, Schach, Lesen, Bett.




    Tag 2: Hoher Riffler (3.168 m) im Nebel (800 hm Aufstieg/Abstieg)

    Endlich! Nebel und Regen! Nachdem wir schon bei der lezten Alpentour Gratwanderungen bei null Sicht genießen konnten und größten Gefallen daran gefunden haben, haben wir keine Mühe gescheut und wochenlang unsere Teller nicht aufgegessen, den namibischen Regenmacher geschüttelt und schlechtes Karma gesammelt, um die Chancen auf schlechtes Wetter zu maximieren. Was sollen wir sagen: Hat geklappt.


    Aufstieg

    Aus buchungstaktischen Gründen müssen wir zwei Mal zwei Nächte auf den Hütten bleiben, die so gewonnen Tage wollen wir mit Tagestouren füllen. Heute geht es auf den Hohen Riffler, den 3168 Meter hohen Hausberg der Edmund-Graf-Hütte. Dafür folgt man dem Wegweiser und später den Markierungen, das funktioniert auch bei Nebel. Kunibaldine flucht über die Wegbeschaffenheit (rutschiger Schotter), die Kälte und die Beschäftigung des Bergbesteigens an sich, ich habe einigermaßen Spaß. Oberhalb von 3000 Metern klart es etwas auf, man passiert ein Joch mit Schneefeld, links geht es zum Kleinen Riffler, rechts zum Blankahorn und geradeaus zum Hohen Riffler.


    Missglücktes Panorama 1. Geradeaus Blankahorn, Grat rechts Kleiner Riffler, im Rücken Hoher Riffler

    Bei der Ansicht des Vorgipfelplateus (den eigentlichen, geringfügig höheren Gipfel sparen wir uns) entfährt Kunibaldine doch ein glückliches Quietschen. Na also.


    Blick auf einen der beiden kleinen Gletscher


    Heidnische Fruchtbarkeitssymbole beim Abstieg

    In der Zeit, die wir nach oben brauchen, laufen andere hoch und runter. Frustrierend.

    Whisky, Bergsteigeressen, Schach, Lesen, Bett. Es tut mir ein bisschen Leid, nicht an den Hüttengesprächen teilzunehmen, aber während meiner Reisen habe ich hunderte Gespräche dieser Art geführt und bin noch immer übersättigt. Nichtsdestotrotz: Jemand am Tisch nennt die hiesigen Salamander Lakritze, ein Wort, welches sogleich in unseren Sprachgebrauch übergeht und uns auf die stete Suche nach Laktritzen schickt.


    Ein Lakritz

    Abends fällt mir auf, dass mein Brillenetui verschwunden ist. Ich kann es gar nicht leiden, wenn Dinge verschwinden, insbesondere nicht das Schutzding für meine sündhaft teure Sonnenbrille. Ich gehe alle möglichen Orte ab, schaue unter die Bänke, mache die Leute verrückt. Am Ende habe ich es auf zwei Ort eingegrenzt: Jemand hat es im Lager eingesteckt oder es ist den Hang hinabgerollt. Die Lagergenossen wissen von nichts und der Hang gibt sich trotz umfangreicher Investigation unwissend. Es nützt nix.


    Tag 3: Edmund-Graf-Hütte – Niederelbehütte (500 hm Aufstieg, 550 hm Abstieg)

    Wir ändern den Diätplan und tauschen zweimal Frühstück gegen einen Liter Teewasser. Ein paar Käsebrote sind mitnichten 26€ wert, zumal wir über 500 kcal Snacks pro Person und Tag in den Rucksäcken haben.
    Ob des Käsebrotverzichtes stehen wir etwas später auf und können sehen, wie sich schon alle den Hang hochschrauben, inklusive der Großgruppe einer Wanderschule mit tollen Wanderführer-Abzeichen auf den Neonjacken, die Werbesticker an den Wegmarkierungen hinterlässt und bei der ersten Möglichkeit ins Tal absteigt. Ob des instabilen Wetters? Man weiß es nicht. Sie sind auf jeden Fall nicht mehr auf der hohen Route aufgetaucht. Das Werbeprospekt gab für diese Tour nen glatten Tausi an, Anfahrt und Getränke exklusive. Ganz schön viel für eine Talwanderung.

    Kurz darauf stürzen auch wir uns in den Nebel, erreichen die erste seilversichterte Stelle (sicher eher für Schnee), ein paar schöne Bergseen und kurz darauf sind auch schon alle aufsteigenden Höhenmeter der heutigen Tour überwunden. Vorbei an einem Skigebiet (wozu haben die alle 10 Meter eine Webcam auf einem Roboterarm?!) und durch eine wunderschöne, vernebelte Alpenblumenlandschaft, in der wir auch unseren ersten und zweiten Lakritz entdeckt. Der erste verschwindet in einem Loch, der zweite stellt sich mittelmäßig erfolgreich mitten auf dem Weg tot. Diese Taktik ist wohl der Grund dafür, dass wir auf der Tour noch einige Lakritze mit rausgequollenem Gedärm finden sollten, aber kein weiteres Lebendes. Die schweren Meindls der versammelten Bergwanderschaft sind wohl einfach zu unbarmherzig für ein kleines, verängstigtes Lakritz.

    Am Ende der Blumenwiese gibt es einen Wasserfall und, schemenhaft, eine Hütte. Mit Sicht sähe das hier bestimmt toll aus, so ist es… etwas… grau.


    Hütte. Ganz sicher eine Hütte.

    Meine größe Sorge, das Außenband des rechten Knies, meldet sich vernehmlich und drückt mir auf das Gemüt. Nach dem Bergsteigeressen (Tiroler Gröstl mit Ei, mhhh!) klettern wir noch ein wenig um den See, was final für Knieschmerzen und gedrückte Stimmung sorgt, daran kann auch der wärmende Whisky (heute ein irischer Blend, nach den schottischen, torfigen Singe Malts der letzten beiden Tage) nichts mehr ändern. Ibuprofen, mein treuer Begleiter, wird aus dem Erste-Hilfe-Mäppchen entlassen und ich sinne darüber nach, wie ich dem Problem letztes Mal beigekommen bin.


    Bergsteigeressen

    Zurück in der Hütte sucht mich ein Lagergenosse der letzten Hütte: Er hat – oh Wunder – mein Brillenetui. Froh wird es schnell in den Rucksack verfrachtet. Hatte ich doch recht!

    Die Hütte ist mitnichten ausgebucht und steckt alle „jungen“ auf den Dachboden, der Rest bekommt Zimmer, manche allein, manche gruppenweise. Nun würde man denken, dass die alten ihre Knochen heilen und unterm Dach halligalli ist, aber nichts da: Während sich die Generation Ü50 mit Tablett um Tablett Enzian rote Wängchen ansäuft, ist bereits vor zehn auf dem Dachboden: Das Licht aus. Kein Joint geht herum, kein Schnaps wird heimlich aus dem Rucksack geholt. Brave Jugend heutzutage.


    Tag 4: Niederelbehütte – Darmstädter Hütte

    Das Wetter ist uns weiter hold, der Nebel hängt tief und versperrt die Sicht. Die schwere Route zur Darmstädter Hütte über die Kieler Wetterhütte wird aufgrund des Wetters von niemandem angegangen, dafür besteigen die meisten die Kreuzjochspitze vor dem eigentlichen Weg und brechen sehr früh auf. Als ich aufwache, hat die brave Jugend bereits gesammelt das Lager verlassen und ordentlich gefaltete Decken mit millimetergenau ausgerichteten Kissen hinterlassen.
    Wir Nicht-Frühstücker werden in einen kleinen Gastraum verfrachtet, der viel gemütlicher (da unrenoviert) als der große ist und damit kaum zum Aufbruch einlädt.


    Sichtweite am Morgen

    Zur Knieschonung machen wir nur den kurzen Weg. Die endgültige Lösung für das Problem liegt jedoch im Klopapier: Ich laufe meine Schuhe außen schneller ab als innen, so wird mein Knie mit jedem Schritt überstreckt. Wenn ich die so entstandene Schräge mit ein paar Lagen taktisch angebrachtem Klopapier unter der Einlegesohle ausgleiche, verschwindet das Problem, bereits die ersten Schritte laufen wieder schmerzfrei ab. In den nächsten zwei Tagen heilt das gereizte Knie noch ab, danach ist es wieder tadellos in Ordnung. Auf dieser Tour machte es mir keine Probleme mehr. Ich schreite glücklich pfeifend aus, Kunibaldine ist ganz verblüfft von der positiven Entwicklung der Dinge und lobt die gute Laune am Morgen. Durch ein paar Meter Wiese geht es hinauf zu einem Joch und von da aus zur schönsten Stunde der Tour.


    Ein paar Milimeter Klopapier entscheiden zwischen Schmerzen haben und Schmerzen nicht haben


    Aufstieg zur ersten Rinne

    Der Pfad ist einsam heute, die Meute ist mit der Besteigung ihres Berges beschäftigt und wir sind alleine. Nach dem Joch haben sich aus großen Blöcken übermenschhoch tiefe Rinnen gebildet, die noch immer mit tiefem Schnee gefüllt sind. Der Nebel verstärkt den Eindruck, dämpft alle Geräusche, schließt die Umwelt aus. Wir sind alleine in unserer verwunschenen Rinne am Rande des Schneefelds, schlürfen Kaffee und mampfen Schokolade. Schön.


    Die Rinne. War schöner als es aussieht.

    Nachdem wir das Wunderland verlassen haben, latschen wir ein zweites Joch hoch (langsam läuft der Höhenmetermotor an…) und haben: Sicht. Der Nebel hängt auf beiden Seiten des Jochs etwa 100 Meter unter uns, nur die schneebedeckten Bergspitzen schauen aus dem Watteteppich. Schon wieder schön.





    Nach dem Joch geht es so steil herab, dass die Kartenmacher nicht einmal probiert haben, den Weg in Zick-Zack-Linien durch die ganzen engliegenden Höhenlinien zu legen. Nein, einfach nur einen Strich. Wir tauchen ab in den Nebel, Kehre um Kehre, sinnieren über vergangene und vor uns liegende Wanderungen und treffen dann und wann auf aufsteigende Gruppen, die rätselhafterweise allesamt schlechte Laune haben zu scheinen. Wir machen noch eine kurze Pause und bekommen bald darauf die Antwort: Wir erreichen Weideland. Damit nicht genug: Von diversen Bächen geprägtes Weideland. Um genau zu sein, hat der Spaßvogel von Weganleger den Weg genau in ein Bachbett gelegt, welches in mühevoller Kleinarbeit vom anwesenden Höhenvieh zu einem kilometerlangem Schlammbad umgearbeitet wurde. Es geht also geraume Zeit durch Schlamm. Spätestens, allerspätestens jetzt beglückwünsche ich mich zu der Entscheidung, diese Reise mit meinen fetten Gore-Tex-Stiefeln angetreten zu haben und nicht mit meinen Scarpa Mojitos.


    Man kann es erahnen

    Auch der Rest vom Weg ist vom Wasser geprägt: Am Ende des Schlammbades wartet ein kurzes Stück Forststraße mit herandüsenden E-Mountain-Bikern und einem Wasserfall, der in einen türkisblauen See (Speicher Kartell) entwässert. Kunibaldine hüpft sogleich in den See, nachdem sie in Sibirien mal einen See aufgehackt hat und bei -30 °C schwimmen war, sind 4 °C Wassertemperatur bei 15 °C Außentemperatur beinahe tropische Verhältnisse. Ich probiere es, aber das ist nichts für mich.



    Nach dem See geht es, stets vorbei an Wasserfällen, auf einem Bachbett/Pfad wieder nach oben. Der Nebel zeigt keine Gnade, lässt keinen Blick in den Hang zu. Silhuetten erscheinen uns als Hütte, lassen uns in der Erwartung von einem frischen Bier bereits frohlocken, und entpuppen sich dann doch als kalte, bemooste Steinklötze (vulgo „hundsgemeiner Täuschungsstein“). Die Landschaft, die ich mir hier dem Nebel so vorstelle, hat überhaupt nichts damit gemein, wie sie sich am nächsten Tag entpuppt.



    Irgendwann verrät eine schemenhaft erkennbare Fahne, dass wir es diesmal nicht mit einem Stein zu tun haben.

    Auf der Hütte werden wir wärmstens begrüßt, der Wirt ist wahnsinnig freundlich. Kunibaldine, die schon die letzten Wochen von Knödeln geträumt hat, ist im Wunderland, ist doch die Darmstädter Hütte überall bekannt für ihre großartigen Knödel. Die erste Runde ist schnell geordert: Ein großes Bier, ein Weizen, und drei Knödel auf Salat. Mhh, das schmeckt!



    Zeitgleich mit uns kommt jemand an, der vorher noch den Gipfel bestiegen hat. Hatten wir ja schon: Frustrierend. Er kommt auch aus Berlin, und den Rest des Abends verbringt man mit Reden (jetzt doch).


    Tag 5: Darmstädter Hütte – Saumspitze (Versuch) – Darmstädter Hütte (700 hm Aufstieg, 700 hm Abstieb)

    Das schlechte Karma ist aufgebraucht und auch der namibische Regenmacher hat seine Magie getan, es hat aufgeklart. Die Augen müssen sich zunächst daran gewöhnen, weiter als 5 Meter gucken zu können, das Gehirn daran, wie es hier aussieht.

    Beim Nicht-Frühstück beratschlagen wir über den Tagesplan. In der Gaststube hängt ein Bild von der Saumspitze, die in der Ferne zu sehen ist. Prima, da gehen wir hin.

    Die Saumspitze ist schon so ein richtiger Berg. Man muss über Geröllfelder, durch Schneefelder, sich in einem großen, steinigen Hang voller Rinnen orientieren und dann auf einen Grat aufsteigen. An der steilsten Stelle des Grats, etwa 170 hm unter dem Gipfel, rutscht Kunibaldine aus und blockiert kurz. Ich hole sie auf eine sichere Sitzstelle, bringe ihren Blutzucker auf Anschlag und gebe ihr das verfügbare Heißgetränk, wir machen Selfies zur Ablenkung und steigen wieder ab. Gibt es halt Knödelglück statt Gipfelglück.


    Missglücktes Panorama vom Umkehrpunkt





    Tag 6: Darmstädter Hütte – Scheibler (2.978 m)– Konstanzer Hütte (800 hm Aufstieg, 1400 hm Abstieg)
    Wir optimieren die Aufstehtechnik und sind früh fertig, außerdem gehen die meisten (oder alle) heute zur Friedrichshafener Hütte und nicht unseren Weg. Der Abschied von der Hütte fällt schwer, es ist wirklich nett dort, auch wenn es oft hoch hergeht (schließlich kreuzen sich hier die Wege von 3 Hütten plus zwei Aufstiegen).
    Der Weg zum Kuchenjoch ist nett, es geht über ein ausgedehntes Schneefeld sowie eine längere seilversicherte Stelle. Kleine blaue Schmelzwasserseen säumen den Weg. Steinböcke beobachten uns und treten einige kleine Steinchen los, was wir ihnen aber nicht übel nehmen. Die ganze Zeit turnen sie über uns herum, halten uns unter Beobachtung. Von der Kuchenspitze immer wieder Steinschlag, aber zum Glück nicht in unsere Richtung.


    Weg zum Kuchenjoch


    Begleitung

    Von Joch Aufstieg auf den Scheibler, wir brauchen rund 45 Minuten, man braucht selten die Hände. Kurz vorm Gipfel steht plötzlich ein großer Steinbock auf dem Weg, er erschrickt, ich erschrecke, dann geht er weg, der Moment ist vorbei. Die Aussicht vom Gipfel ist großartig, ein tadelloses Aufwands-Aussichts-Verhältnis.





    Irgendetwas ist passiert in den vergangenen Tagen, waren wir am Anfang noch langsame Schnecken, sind unsere Körper jetzt auf Touren und die Erfahrung der vergangenen Bergtouren zeigt ihre Wirkung. Es macht immer mehr Spaß, zu laufen und wir nehmen deutlich mehr mit.
    Danach 1400 hm Abstieg auf einen Schlag, durch verschiedene Vegetationszonen und Bodentypen, vom unbewachsenen Gipfel zu den flachgründigen Initialstadien der Bodenentwicklung, über die Graslandschaften, Buschland, Blaubeerfeldern bis hin zu ausgewachsenem Nadelwald. Über der Buschgrenze sind oftmals noch Zwergkiefern in recht ausgedehnten Kolonien zu sehen.



    Über die Hütte möchte ich kein Wort verlieren, nur so viel: Es braucht sie wohl, die negativen Ausschläge, damit man das positive umso mehr zu schätzen weiß.
    Die Sektion Konstanz scheint mir auch ein bisschen komisch: In den 90ern noch den faschistischen Tätern des Naziregimes als „Kameraden“ zu gedenken zeugt wohl davon, dass man den einen oder anderen Schuss nicht gehört hat.

    Tag 7: Konstanzer Hütte – Krachelspitze (2.686 m) – Kaltenberghütte (1300 hm Aufstieg, 1000 hm Abstieg)
    Die letzte und länge Etappe der Tour. Mittels unserer innovativen Frühaufstehtechnik sind wir die ersten unterwegs, werden aber rasch von der Gruppe überholt, die uns am ersten Tag den EINFACHEN WEG nahegelegt hat. Mittlerweile sind wir aber gut drauf, und so gelingt es jener Gruppe kaum, Meter gut zu machen. All die mühsam umgewandelte potenzielle Lageenergie, die wir gestern in Vortrieb umgewandelt haben, müssen wir jetzt wieder aufbauen und gehen die bereits bekannten Vegetationszonen wieder ab, bis wir 900 steile Höhenmeter später wieder auf einem hochgebirgigen Joch stehen. Wir haben uns unser Frühstück bis hierhin aufgehoben, eine knappe Sache, 2 ½ Stunden Aufstieg brauchen Energie. Nach dem Joch ist der schwerste Teil des Tages überwunden, es geht hinunter in ein Tal, ein Gegenanstieg am Kaltenbergsee und -gletscher vorbei und hinauf auf das nächste Joch. Kunibaldine lässt es sich selbstverständlich nicht nehmen, in den Kaltenbergsee zu hopsen, eine Tat, die selbst vom Gipfel der Krachelspitze bewundernd beobachtet wird. Ein kurzer Hoppser auf die Krachelspitze, Aussicht und der vorletzte Schluck Whisky, Abstieg über verblockte Wiesen. Mittlerweile flutschen die Wege förmlich, wir unterbieten die angegebenen Wegezeiten statt sie maßlos zu überschreiten, wenn auch Kunibaldines Knie langsam auf Anschlag läuft. Licht und Schatten und so…




    Kaltenberggletscher und -see von unten und oben


    Krachelspitze Gipfel

    Die Hütte scheint sehr professionell geführt, ist aber auch mit einem Luxushotel im Tal assoziert. Die Spleens des einfachen Wanderers werden dennoch akzeptiert, das Halbpensionsessen sieht ziemlich fancy aus.



    Auf der Hütte das gewohnte Abendprogramm, der letzte Schluck Whisky, Schach, früh ins Bett. Eine letzte Aufgabe haben wir uns noch aufgespart.

    Tag 8: Kaltenberghütte – Maroiköpfe – Langen (400 hm Aufstieg, 1200 hm Abstieg)
    Frühstück gibt es erst ab 7 Uhr auf der Hütte, vorher ist auch der Gastraum verschlossen. Aber sobald das Teewasser in Kaffee verwandelt und inkorporiert ist, gehen abwechselnd in Schatten und in der aufgehenden Sonne auf die nahegelegenen Maroiköpfe, zwei etwa 2.500 m hohe Gipfel. Die sind eher flach und latschig, aber es ist ein schöner Abschied, zumal wir eh noch geraume Zeit bis zum Zug totzuschlagen haben. Es gibt eine letzte Schneeballschlacht am Schneefeld, eine Portion Kaiserschmarrn, eine Runde Schach, und dann kommt der unvermeidliche Abstieg.
    Ich begehe einen fatalen Fehler: Zwar verkauft die Hütte Almkäse vom nahegelegenen Senner, ich würde aber lieber beim Senner direkt kaufen und erkundige mich bei der Wirtin danach. Die Alpe wär stets offen, wird mir versichert. Ihr könnt‘s euch denken…
    Der Abstieg ist unspektakulär, Kunibaldines Knie sind nun wahrlich am Anschlag, die Forststraße ist auch nicht gerade hilfreich, aber nichts, was ein Pausentag nicht regeln würde. Wie gerne würden wir noch weitergehen!

    Unten im Dorf suchen wir noch einen Laden, aber vergebens. Im Langener Bahnhof gibt es ein tadelloses Bad, welches für eine ausgiebige Wäsche und den Wechsel in minder geruchsbelastete Kleidung genutzt wird, zudem beschenkt uns der Kaffeeautomat mit einer Tasse Kakao.

    Der Zug fährt ein, Österreich fliegt vorbei. Sieht schon anders aus hier als zuhause. Alles sehr steril, alles so umzäunt. So gerne ich in den Bergen bin, so sehr mich die Entfernung abhält… würde ich hier wohnen wollen?

    Innsbruck Hbf Sonntag Abend ist… großstädtisch. Nach all der Ruhe und Sauberkeit in den Bergen ein regelrechter Schock. Das Sozialgefüge des Pausenraumes ist interessant zu beobachten, der Sicherheitsdienst hat gut zu tun, aber auf diese Beobachtungen sowie auf den Einkauf im Supermarkt hätten wir liebend gerne verzichtet.

    Fazit: Hat Spaß gemacht! Eine beinahe rundum gelungene Tour, die geflutscht hat wie geölte Zahnräder, und die sich nie überlaufen angefühlt hat. Ein paar schöne Tage über den Wolken.

    Außerdem konnten wir ein altes Dogma aus diesem Forum widerlegen, nachdem nur auf Berge gehen für Berge trainiert. Vorletztes Jahr sind wir trainiert und fit in die Tour gegangen und mussten abbrechen, dieses Jahr gänzlich untrainiert und alles hat geklappt.

    Also: Nicht nur Bergsteigen trainiert für das Bergsteigen, auch Nichtstun trainiert für das Bergsteigen!

  • Voronwe
    Erfahren
    • 03.04.2008
    • 440
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

    Vielen Dank für's mitnehmen, sehr unterhaltsam geschrieben
    "We aren't lost! We only don't know where we are!" - Cartman

    Kommentar


    • OutofSaigon
      Erfahren
      • 14.03.2014
      • 382
      • Privat

      • Meine Reisen

      #3
      AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

      In der Tat: ein nett geschriebener Bericht, für den man sich bedankt.

      Allerdings verstärkt sich damit mein schon vorher bestehender Eindruck, daß das Verwall häufiger angesteuert wird, als ich das eigentlich erwarten würde; es gibt doch noch so viele andere schöne Gegenden in den Alpen; warum immer wieder Verwall?

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      • geige284
        Dauerbesucher
        • 11.10.2014
        • 827
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

        Toll, danke für den Bericht!
        Wir sind letztes Jahr eine ähnliche Runde durchs Verwall gelaufen, allerdings andersrum und mit Abstieg nach der Darmstädter Hütte.
        Immer wieder schön, wenn man sich in die beschriebenen Regionen denken kann.

        Lustigerweise hatte ich neulich den Nachtbus von Berlin nach Innsbruck ebenfalls genommen - schon eine tolle und beqeueme Verbindung. Zumindest für Nachtbusverhältnisse. Ich bin Donnerstag-Freitag gefahren und hatte quasi einen Tisch unten für mich. Bei der Beinfreiheit ist Nachtbus nochmal eine ganz neue Liga

        Kunibaldine flucht über die Wegbeschaffenheit (rutschiger Schotter), die Kälte und die Beschäftigung des Bergbesteigens an sich, ich habe einigermaßen Spaß
        Köstlich!!

        Ich erinnere mich hier und da an ähnliche Erlebnisse mit meiner Liebsten Um den Schein zu waren macht man auch ein klein bisschen mauliges Gesicht um oberflächlich das Leid zu teilen. Innerlich wird aber gegrinst wegen der coolen Tour

        Über die Hütte möchte ich kein Wort verlieren, nur so viel: Es braucht sie wohl, die negativen Ausschläge, damit man das positive umso mehr zu schätzen weiß.
        Puh, bin ich nicht allein mit meiner Einschätzung... Ich fand die Hütte auch eher einen Negativausreißer...

        Liegt der Herzstein am Joch unter der Krachelspitze noch??

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        • codenascher

          Alter Hase
          • 30.06.2009
          • 4957
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          #5
          AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

          Auch ich bedanke mich für den schönen und erfrischend geschriebenen Bericht.

          Wir waren ja vorletztes Jahr das erste Mal im Verwall, hat uns schwer gefallen.
          Meine liebste eröffnete mir gestern beiläufig, als ich in ner alten Globi Magazinausgabe geblättert habe und was von maximal 22kg Kraxentragegewicht gelesen habe, das wir das ja nächstes Jahr auch wieder bräuchten.
          Das wird ne Plackerei (#2 ist dann anderthalb), die ich aber gerne auf mich nehme. Und ich könnte mir wieder das Verwall gut vorstellen.

          Bin im Wald, kann sein das ich mich verspäte

          meine Weltkarte

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          • blackteah
            Dauerbesucher
            • 22.05.2010
            • 777
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

            Schöne Tour, schöne Fotos, unterhaltsam geschrieben –danke für deinen Bericht

            Kommentar


            • Wafer

              Lebt im Forum
              • 06.03.2011
              • 8636
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

              Hallo Kunibald.

              Meine Verwalltour liegt nun doch schon wieder 25 Jahre zurück. Vielen Dank für das unterhaltsame Auffrischen der angestaubten Erinnerungen. Sehr kurzweilig zu lesen, dein Bericht!
              Der Kaltenberggletscher hat sich in den Jahren ganz schön verändert!

              Gruß Wafer

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              • kunibald
                Erfahren
                • 15.06.2014
                • 153
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [AT] Auf der Suche nach Knödel und Lakritz - eine kurze Verwallrunde

                Danke für das positive Feedback!

                Liegt der Herzstein am Joch unter der Krachelspitze noch??
                Darauf habe ich nicht geachtet, aber unmittelbar hinter dem Joch gab es dieses herzförmige Schneefeld:



                Vielleicht ist's ja garnicht das Kracheljoch, sondern das Herzljoch

                Allerdings verstärkt sich damit mein schon vorher bestehender Eindruck, daß das Verwall häufiger angesteuert wird, als ich das eigentlich erwarten würde; es gibt doch noch so viele andere schöne Gegenden in den Alpen; warum immer wieder Verwall?
                Durch das Online-Buchungssystem sind viele Hütten einfach schon ausgebucht, wenn wir wissen, wann wir Zeit haben. Wir haben stundenlang über Karten gebrütet und mögliche Wege in verschiedenen Alpenregionen ausgetüftelt, aber immer wieder waren eine oder zwei Hütten mittendrin ausgebucht. Als höhenmeterschwache Flachlandtiroler möchten wir ungern vom Wirt hören "na, geht's ma runter, ist früh genug und hier ist alles voll", vom finanziellen einer Talübernachtung mal abgesehen. Am Ende war es dann halt das Verwall.

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