AW: Die Latschenfrage: welches Schuh-System nutzt ihr?
13.02.2019 11:39

Zitat von
Feurio
Besten Dank für den Beitrag. Ich finde es höchst erstaunlich, dass Du keine wirklich nassen Füße bekommst. "Ein Lederfutter wird natürlich immer etwas feucht, aber in der Praxis bisher nicht so, dass es sich beim Gehen nass angefühlt hätte."
Im Schwarzwald bist Du doch auch im Dauerregen unterwegs gewesen, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe in Lederstiefeln bei ausreichend Nässe irgendwann zwangsläufig eingewässerte Füße... ob das an deiner raffinierten Pflegetechnik liegt?
Meine Pflegetechnik ist nicht raffiniert. Zum Beispiel habe ich früher nur sehr grob vorgereinigt, und die Anweisung, vor der Pflege die Schnürsenkel herauszunehmen, habe ich praktisch nie befolgt. Es gab früher mal die Bequemlichkeitsdoktrin, dass der Schmutz am Schuh gemeinsam mit dem Pflegemittel zur Wasserdichtigkeit beiträgt. (Die wird von den Herstellern jedenfalls nicht vertreten.) Auch nehme ich bei meinen relativ kurzen Touren nie Pflegemittel mit.
Von oben läuft ja kein Wasser in die Schuhe, das ist mir jedenfalls noch nicht passiert. Als die Lowa Mega Camp neu, d.h. wirklich neu waren, habe ich mich bei einer winterlichen Tagestour mit Christine am Rand von Berlin probehalber in ein Fließgewässer gestellt (»Wir müssen furrrrten, wir müssen furrrrten!«), dann wurde es nach einigen Sekunden feucht in einem der beiden Stiefel und ich bin schnell wieder rausgesprungen.
Ähnliches ist mir im Schwarzwald zwei oder drei Mal passiert, dann später mal mit einem Lowa Mountain Boot, der ja eine Goretex-Membran hat (kleiner Wassereintritt seitlich im Bereich der Knickstelle), tiefer nasser Schnee ist dabei riskanter als kurzer Aufenthalt im Wasser. Und auch der relativ gepflegte membranlose Lowa Elite Light ist in solchen Momenten nicht ganz dicht, wie ich neulich festgestellt habe.
Aber welchen Charakter haben diese Ereignisse? Man spürt am Fuß die Nässe in Gestalt einer Abkühlung in der Nähe der Eintrittstelle, aber wenn man weiterläuft, vergeht dieses Gefühl nach einer Weile. Solange es sich nur um Regen und nassen Untergrund handelt, ist das fühlbare Eindringen von Wasser offenbar kein permanenter Vorgang. Beim Einzelereignis (Durchqueren einer tiefen Pfütze und dergleichen) bleibt die Menge relativ gering.
Socken, Lederfutter und Oberleder bilden (wenn es keine Membran gibt) im Prinzip ein kapillar leitfähiges, begrenzt diffusionsoffenes, von innen beheiztes System, das Wasser aufnimmt und durch zwei verschiedene Mechanismen auch wieder abgibt: nämlich durch Verdunstung kapillar aufgesogenen Wassers an der Oberfläche und durch Verdunstung im Inneren, insoweit durch die Pumpbewegung beim Gehen ein Luftaustausch (unbekannter Quantität) über den Schaft stattfindet. (Die Wasserdampfdiffusion durch das Leder dürfte hingegen als dritter Prozess eher eine untergeordnete Rolle spielen.)
Dieses System mit seinen Pufferungs- und Austauschprozessen würde eventuell versagen, wenn der Dauerregen wirklich permanent wäre oder wenn man permanent durch nassen Schnee laufen müsste, aber das ist eben selten der Fall.
Andererseits wird natürlich bei einer Tour wie im Schwarzwald das Lederfutter nie richtig trocken. Vielmehr stellt sich ein gewisses Feuchtigkeitsniveau des Gesamtsystems ein, aber bei mir immer auf dem Niveau, dass sich die Stiefel morgens beim Anziehen feucht anfühlen, die Füße aber beim Laufen trotzdem schnell warm werden, so dass die vorhandene Feuchtigkeit nicht als Nässe gefühlt wird. Die ebenfalls etwas feuchten Socken ziehe ich zum Schlafen aus und bewahre sie nachts eventuell im Schlafsack auf.
Die Intuition, dass im Laufe der Tour eine Akkumulation von Feuchtigkeit stattfinden müsse, ist gewissermaßen falsch, denn die Feuchtigkeit im Socken-Stiefel-System bildet in Abhängigkeit von den äußeren Bedingungen ein Fließgleichgewicht; den Prozessen des Aufsaugens und der kapillaren Ausbreitung stehen Prozesse der Verdunstung gegenüber, die zu einem Gleichgewicht auf meistens noch akzeptablem Niveau führen (so jedenfalls meine Erfahrung).