[NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

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    [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

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    Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda
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    Weitere Bilder und Kartenmaterial?


    Hallo zusammen,

    seit einiger Zeit habe ich wieder einen ausführlichen Reisebericht zu einer meiner besten Trekkingtouren online gestellt. Ich gebe zu, der Bericht ist detailliert ...vielleicht genau das Richtige für alle, die einen umfassenden Eindruck erfahren möchten oder sich gern an ihre eigenen Erlebnisse erinnert fühlen.

    Viel Spaß beim Lesen!



    Eckdaten


    Gebiet: Hardangervidda (Norwegen)
    Zeitraum: 30. August bis 9. September 2014
    Route: Finse • Rembesdalseter • Liseth • Hedlo • Hadlaskard • Torehytten • Hårteigen • Litlos • Hellevassbu • Haukeliseter
    Anspruch: Fordernde Trekkingtour über die größte Hochebene Europas bei nordischem Klima und rauher Natur.
    Höhepunkte: 150 Kilometer Nebel, Regen, Sumpf und Wildnis • Jedermannsrecht • Hårteigen • Gletscherflussdurchquerung • abgelegene Holzhütten • Berglemminge und Pulloverschweine


    Zurück nach Norwegen
    Samstag, 30. August und die Monate davor


    Über vier Jahre war es jetzt her, als meine erste Norwegen-Tour gründlich in die Hose ging und mit einem Helikopterflug durch die Täler des Dovrefjell-Sunndalsfjella-Nationalpark abrupt endete. Entsprechend aufgeregt war ich bei der Vorbereitung der diesjährigen Trekkingtour, denn die rauhe Natur, das unberechenbare Wetter und die langen, schroffen Etappen über Stock und Stein waren noch gut in meiner Erinnerung. Die Bedenken waren weniger sportlicher Natur als viel mehr, dass ein weiterer Unglücksfall mir den Spaß an diesem Land nachhaltig nehmen könnte, und das wollte ich auf keinen Fall, denn Norwegen war genau mein Ding. Alleinsein in der unberührten Natur und ein hohes Maß an Freiheit dank Jedermannsrecht, ohne Massentourismus und künstlichen Zivilisationsresten am Wegesrand, wie das leider in Korsika auf dem GR-20 manchmal vorkam.



    Zurück nach Norwegen: Ein Foto aus 2010 im Dovrefjell-Sunndalsfjella-Nationalpark.


    Nach kurzer Recherche entschieden wir uns für die Hardangervidda, der größten Hochebene Europas und den Ort, wo Amundsen und Scott für den Südpol trainierten. Allerdings taten sie das im Winter, wenn auf der Hardangervidda bis zu 40 Grad Celsius unter Null herrschen. Wir hingegen wollten die einzigen zwei Monate nutzen, in denen es auf der Hochebene grünt und blüht: August und September. Der Juni und teils auch der Juli sind in den Gebirgen und Hochebenen Norwegens die Zeit der großen Schmelze. Eine Zeit, in der noch unzählige Altschneefelder die Landschaft verzieren, in der die Gletscher zur Ader gelassen werden und die Bäche und Flüsse ihr Jahreshoch erreichen. In diesen Monaten kann es auch auf bekannten Wegen gefährlich werden, vor allem ohne alpiner Erfahrung. Diesen Fehler hatten Marcel und ich vor vier Jahren gemacht, als wir viel zu früh, im Juni, ins Dovrefjell aufbrachen. Das sollte uns kein zweites Mal passieren! Die Hardangervidda liegt südöstlich von Bergen in der Provinz Hordaland und lässt sich vollständig von Nord nach Süd oder von Ost nach West queren, wobei die etwas schwierigeren Passagen im Nordwesten liegen. Wer den Gletscher Hardangerjøkulen aus der Nähe bestaunen möchte und ein paar Höhenmeter mehr nicht scheut, der sollte die Nord-Süd-Querung von Finse nach Haukeliseter wählen. Wir hatten uns nach einigem Hin und Her dafür entschieden, auch weil uns der Kontrast des Gletschers zum trockenheißen GR-20 aus dem Vorjahr reizte.


    Norwegen ist ein Königreich mit gerade einmal 5 Millionen Einwohnern, die größtenteils germanische Wurzeln haben. Die Sprache wurde stark vom Mittelniederdeutschen geprägt, dem früheren Norddeutschland und den Niederlanden, und weist zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem uns bekannten Deutsch auf. An dieser Stelle erst einmal ein ganz kleines Wörterbuch mit den wichtigsten Begriffen aus der norwegischen Bergwelt:
    • Auberge – Herberge
    • Adjø! – Auf Wiedersehen!
    • Bål – Lagerfeuer
    • Bekk – Bach
    • Bondegård – Bauernhof
    • Dal – Tal
    • Eisfeld – Eisfeld
    • Elv – Fluss
    • Fjell – Berg, Gebirge
    • Fjellpass – Gebirgspass
    • Fjellrygg – Bergrücken
    • Fjord – Fjord, Förde, Meeresarm
    • God natt! – Gute Nacht!
    • Hei! – Hallo!
    • Hytte – Berghütte
    • Jøkulen – Gletscher
    • Kampestein – Felsbrocken
    • Klopp – Brücke, Steg
    • Nut – Gipfel, Spitze
    • Øl – Bier
    • Peis – Kamin
    • Sentralstasjon – Hauptbahnhof
    • Sovesal – Schlafsaal
    • Storm – Sturm
    • Turgåing – Trekking, Wandern
    • Vatnet – See
    • Vegen – Straße, Weg
    • Vidda – Plateau


    Wie schon viele Male zuvor organisierten wir unser Gepäck sehr sorgfältig, wogen einmal gedanklich und einmal mit Küchenwaage jedes einzelne Teil unserer Ausrüstung ab um möglichst im Bereich der 20 Kilogramm zu bleiben. Obwohl uns die norwegischen DNT-Hütten hinsichtlich Proviantvorrat noch außerordentlich positiv in Erinnerung waren, planten wir Lebensmittel für mindestens sechs Tage ein, denn wer wusste schon, ob auch am Ende der Saison genügend Proviant in den Hütten vorrätig sein würde. Davon abgesehen wollten wir möglichst autark unterwegs sein und die Freiheit haben jederzeit unser Lager aufschlagen zu können. Der DNT, Den Norske Turistforening, ist übrigens der norwegische Wanderverein und die größte Organisation des Landes für Outdoor-Aktivitäten. Auch wir haben uns eine Mitgliedschaft überlegt, bei der einem ein Schlüssel für weitere Selbstverpflegerhütten zur Verfügung gestellt wird und ein großzügiger Rabatt auf allen DNT-Hütten lockt. Da die meisten Hütten bis Mitte September aufgeschlossen sind und wir sowieso mit Zelt unterwegs waren, haben wir darauf verzichtet. Für längere Touren im Fjell und in den Wintermonaten ist es aber sicher von Vorteil ein DNT-Mitglied zu sein. Am Vorabend der Hinreise waren die Rucksäcke schließlich gepackt und meiner wog, wie fast immer, um die 20 Kilogramm; leider noch ohne Wasser, aber das gibt es in Norwegen in groben Mengen und von astreiner Qualität. Ein letztes Telefonat zwischen Freiburg und Dresden und schon war der nächste Morgen da.


    Gegen 8 Uhr schlenderte ich ins Bad und spulte das übliche Morgenprogramm ab während Marcel bereits drei Stunden im Zug saß. Es geht doch nichts über eine Hochgeschwindigkeitsanbindung an den Flughafen Frankfurt. Kurz nach 13 Uhr trafen wir uns im Fernbahnhof und 16 Uhr 30 sollte unser A320 der Lufthansa auf das Feld rollen. Das war spät, hoffentlich nicht zu spät um noch Gaskartuschen und Mückenschutz in Oslo kaufen zu können, denn Flüssiggas ist in Flugzeugen tabu und in Skandinavien wirksame Mückenschutzmittel sind in Deutschland verboten. Die Zeit verlief zäh, eine Stunde später am Terminal zu sein hätte mit Sicherheit auch gereicht, obwohl, nur weil die Bahn einmal einen guten Tag hatte... Im Wartebereich von Gate 34 saßen überwiegend Geschäftsleute. Typen mit Trekkingrucksack und Wanderstiefel gab es nicht und dementsprechend sind wir aufgefallen. Ich erinnere mich noch an den Flug nach Korsika, bei dem fast alle in Wanderausrüstung unterwegs waren und Reisende im Anzug wie ein Tukan im Zoo angestarrt worden. Die entgegengebrachte Aufmerksamkeit war jedoch schnell verschwunden als ein Kerl mittleren Alters mit mehreren hundert Piercings und zwei anoperierten Hörnern als Fleisch gewordener Satan zu den Fluggästen stieß. Wir waren also am richtigen Gate, hier ging es zu den nordgermanischen Naturgöttern, zu den Wikingern, hier ging es nach Norwegen. Nach gut zwei Stunden über den Wolken, und mehr war von oben zu keiner Zeit zu sehen, landeten wir bei mittleren Turbulenzen auf dem Flughafen Oslo-Gardermoen.



    Expresszug von Oslo-Gardermoen ins Zentrum.


    Ruhig, sauber und überschaubar passt Oslo-Gardermoen hervorragend zur heimeligen Bauweise der Norweger. Wir lösten zwei Tickets für den Expresszug in die Stadt und sahen schon wenige Minuten später die graue Landschaft an uns vorbeifliegen. Nur zwei Stationen bis Oslo Sentralstasjon! Der Regen knallte gegen die Fenster des Zuges während wir Lillestrøm passierten. Nach den Beobachtungen vom Flugzeug aus würden wir heute keinen Sonnenstrahl mehr sehen. Um 19 Uhr 30 fuhren wir im Hauptbahnhof Oslo ein. Jetzt mussten wir uns sputen um noch an Gaskartuschen und Mückenschutz zu kommen. Direkt neben dem Haupteingang gelegen fanden wir die Einkaufspassage recht schnell und keine Minute zu früh, denn die Verkäufer reinigten bereits die Stellflächen und machten sich fertig für das anstehende Wochenende, es war Samstag Abend. Einen ordentlich sortierten Outdoor Shop gab es hier natürlich auch. Perfekt! Kurz bei der freundlichen Verkäuferin nachgefragt und wir wurden in die hinterste Ecke des Ladens gelotst. Eine riesige Auswahl an Gaskartuschen baute sich vor uns auf: Geschraubt, gestochen oder gesteckt und in allen möglichen und unmöglichen Größen. Wir benötigten jeder eine Schraubkartusche mit etwa 250 Gramm Inhalt, das erschien uns ausreichend für eine Woche und niemand möchte unnötigen Ballast in Form von Flüssiggas mit sich herumschleppen. Als die Einkäufe erledigt waren aßen wir zwei Stück Pizza beim ansässigen Italiener und liefen anschließend zu unserem nur knapp 900 Meter entfernten Anker Hostel. Inzwischen war es 22 Uhr und nachdem die Formalitäten und Vorbereitungen für den nächsten Tag geklärt waren verschwanden wir in unseren Betten. Der Zug Richtung Bergen nach Finse sollte kurz nach 8 Uhr gehen und der Wecker war auf 6 Uhr 30 gestellt.


    Erster Kontakt mit der Hochebene
    Sonntag, 31. August | Oslo - Finse - Finsevatnet


    Endlich klingelte der Wecker! Die Nacht war laut. Unser Hostel befand sich in einem eher ärmeren Viertel von Oslo, zentrumsnah genug um einen erholsamen Ruhepegel niemals zu erreichen. Wir beide waren eben keine Stadtkinder! Jeder hat seine vorerst letzte warme Dusche genossen und als die Rucksäcke aufgesattelt waren liefen wir zügig zur Sentralstasjon, denn gefrühstückt hatten wir bis jetzt noch nicht. Ein Sandwich, zwei beschmierte Brote und eine Banane - damit ausgerüstet begaben wir uns auf Gleis 3 und stiegen nach ein paar Unklarheiten, ob die daheim ausgedruckten Ticketnummern ohne Weiteres gültig seien, in die Bergenbahn ein. Pünktlich um 8 Uhr 5 begannen wir uns in Richtung Finse zu bewegen und schon nach wenigen Minuten zog die norwegische Wildnis an unserem Fenster vorbei während die belegten Brote endlich ausgepackt wurden. Die Bergenbahn gehört zu den schönsten Eisenbahnstrecken der Welt, und das konnten wir nach wenigen Minuten bestätigen. Unzählige Seen, dunkle Wälder, in Nebelschwaden getauchte Sumpflandschaften... fast vergaß ich mein letztes Brot zu essen. Mit Spannung verfolgten wir die regelmäßigen Änderungen der Außentemperatur auf der Anzeigetafel, die inzwischen von 16 Grad Celsius in Oslo bis auf 10 Grad in Geilo gesunken war. Draußen wurde es also langsam frischer! Als wir mit 10 Minuten Verspätung in Finse eintrafen zeigte die Tafel zuletzt 8 Grad an, gefühlt waren es aufgrund des Windes eher 0 Grad.



    Bahnhof Finse mit dreirädriger Fahrraddraisine.


    Verwöhnt vom heimischen Hochsommer zogen wir sofort alles an, was wir an warmen Klamotten dabei hatten: Mütze, Schal, Fleece und Handschuhe, dafür waren wir ausreichend gerüstet, gerade so. In Norwegen kann man nicht genug warme Sachen mitnehmen! Nur fünf bis sechs Leute haben in Finse den Zug mit uns verlassen, der Großteil stieg in Geilo aus oder ist weiter Richtung Bergen gefahren. Zwei von ihnen verschwanden gleich im Bahnhofsgebäude, und viel mehr gab es hier auch nicht. Eine hervorragende Idee! Da wir wegen der bereits fortgeschrittenen Stunde sowieso nur einen kleinen Teil der ersten Etappe laufen können würden, taten wir es den beiden gleich und wärmten uns für 30 Minuten im Warteraum auf. Nach kurzer Unterhaltung mit den Deutschen - es hatte sich herausgestellt, dass die beiden, Katja und Johannes, aus Stuttgart kamen und die gleiche Tour bis Haukeliseter planten - stellten wir unsere Teleskopstöcke ein und verließen das wohl beheizte Haus. Die erste Etappe verläuft entlang des Sees Finsevatnet, vorbei am Hardangerjøkulen und hinauf auf den Dyrhaugane (1538 m) bis nach Rembesdalseter. Eine neunstündige Tour und 25 Kilometer über die Hochebene, sehr lange Tagesstrecken sind in Norwegen keine Seltenheit. Das alles ist kein Problem, denn man kann jederzeit pausieren und sein Zelt aufschlagen. Kompliziert ist oft eher die Suche nach einem windgeschützten, ebenen Platz und das war nach unserer Vorab-Recherche auf dieser Etappe der Fall. Die vorerst letzte für das Zelten geeignete Stelle, die nicht einzig und allein von Geröll und Felsgestein dominiert wurde, sollte schon nach den ersten fünf Kilometern in Sicht kommen, am anderen Ende des Finsevatnet. Wie glaubwürdig diese Aussage war würden wir später vor Ort prüfen und die Wegstrecke entsprechend anpassen, doch das Risiko im Dunkeln über die Hardangervidda wandern zu müssen wollten wir nicht eingehen. Wir liefen los in Richtung des ersten roten sichtbaren T. Unsere Nord-Süd-Querung der Hardangervidda hatte begonnen.



    Norwegische Blockhütte am Ufer des Finsevatnet.


    Bereits nach wenigen Metern lässt man Finse hinter sich und kann frisches Wasser am Ufer des Finsevatnet tanken. Überhaupt kommt es einem hier vor, als würde das Gebiet mehr aus Wasser statt aus Land bestehen, als müsste ein Weg von Insel zu Insel gefunden werden. Die Wolken lagen tief und immer wieder erreichte eine Nebelschwade die Erdoberfläche. Zu Beginn geht es auf dem Rallarvegen, einem alten Transportweg, an einzelnen Blockhütten vorbei, die den Einheimischen als Sommer- oder Winterresidenz dienen. Interessanterweise sind diese Hütten im Sommer nur mit einer dreirädrigen Fahrraddraisine zu erreichen. Diese skurrilen Schienenfahrräder entdeckten wir vereinzelt neben den parallel zum Rallarvegen verlaufenden Bahngleisen. Im Winter sind die Blockhütten, wie für Norwegen typisch, nur mit Ski zu erreichen. Kurz darauf war es dann soweit: Wir hielten vor einem Holzschild, welches mitten in die Pampa zeigte und auf dem Rembesdalseter geschrieben stand. Ein schmaler Pfad zweigte vom breiten Rallarvegen ab und verlief querfeldein über Stock und Stein. Das war unser Weg, unser Trail, wir hatten unser Gleis gefunden.



    Befestigte Hängebrücke über den Fluss Sandåi.


    Es dauerte nicht lang und die erste Hängebrücke kündigte sich mit leichtem Getöse des Flusses Sandåi an. Landschaftlich hat sich nach diesen ersten Kilometern einiges geändert. Die sumpfigen Grasbüschel wichen mehr und mehr einem scharfkantigen Gesteinsboden, der zwar ausreichend Haftung bot, jedoch auch das immer weniger zum Zelten geeignete Gebiet ankündigte. Ein durch den Wind gedämpftes Quieken drang an mein Ohr. Was war das? Egal, Marcel stieg über die Brücke während ich noch eifrig Fotos von der inzwischen schroffen Landschaft schoss. Sobald Marcel auf der anderes Seite des Sandåi war packte ich meine Kamera ein und kletterte selbst auf die gut zwei Meter über dem Boden hängende Sommerbrücke. Ich vermutete, dass die Norweger gute Gründe hatten, diese Brücke so überraschend hoch über den kleinen Fluss zu bauen. Wahrscheinlich war der Sandåi nicht zu jeder Zeit so friedlich und konnte bei ordentlicher Schneeschmelze ganz andere Dimensionen annehmen. Übrigens werden die Sommerbrücken, wie es der Name schon vermuten lässt, nur in den Sommermonaten ab Mitte Juni aufgebaut und Ende September wieder abgebaut; davor und danach muss jeder selbst sehen ob und wie er die vielen Flüsse passieren kann.


    Jetzt war es soweit. Kurz nach der Querung des Flusses sahen wir, wie sich ein großer, unumgehbarer Bergrücken vor uns aufbaute und hinauf zur Hochebene führte, hinauf zum Hardangerjøkulen. Zu unserer Linken rauschte ein weiterer Fluss, der Ustekveikja, der an dieser Stelle in den Finsevatnet mündet. Wenn wir uns nicht versahen, dann lag hier die vielleicht letzte für das Zelten geeignete Wiese. Als der Wind immer eisiger wurde und es zu tröpfeln anfing brauchte es keine große Diskussion um zu entscheiden, dass wir unser Lager hier aufschlagen sollten. Die stellenweise sumpfige Wildwiese befand sich in einer windgeschützten Senke, die leicht abfallend zum Ufer des 50 Meter entfernten Ustekveikja führte. Schnell waren die Zelte aufgebaut und die Ausrüstung im Trockenen verstaut als das Tröpfeln zu einem lästigen Nieseln überging. Marcel hatte bereits seinen Kocher angeworfen während ich frisches Wasser vom Fluss holte und ein paar Aufwärmübungen machte. Mein MSR Reactor blieb aber auch nicht länger unbenutzt und ich bereitete mir eine Portion Käsespätzle von Knorr zu. Das Thema Outdoornahrung hatten wir beide abgehakt. Egal ob Globetrotter Lunch, Cathay Pemmikan oder Farmer's Outdoor, sie alle schmeckten uns nicht wirklich gut und waren dafür einfach überteuert. Dann lieber die Pasta-Gerichte von Knorr und Maggi für 1,69 € aus dem Supermarkt.



    Gut geeignet zum Biwakieren: Eine Senke mit weichem Untergrund an einem breiten Fluss.


    Als wir unsere warme Mahlzeit zu uns nahmen sahen wir vereinzelt Tageswanderer auf dem Weg zurück nach Finse laufen. Nach Rembesdalseter lief hingegen niemand... bis jetzt. Zwei Personen entdeckte ich auf der Brücke, und es waren die beiden Deutschen aus Stuttgart. Als sie unser Lager erreichten unterhielten wir uns kurz und fanden heraus, dass sie noch ein bis zwei Stunden weiter laufen wollten. Wir erzählten ihnen von unserer Vorab-Recherche und kurzerhand entschlossen auch sie sich ihr Zelt am Ustekveikja aufzubauen. Schon 16 Uhr 30 waren wir mit allem fertig, dem Zeltaufbau, dem Abendbrot und dem spülmittellosen Reinigen der Töpfe im kalten Flusswasser. Auf dem GR-20 käme jetzt die Zeit der Entspannung, das Sonnen auf einem Felsvorsprung oder Baden in einem Wasserloch. Das alles kam wie aus einer anderen Welt, einer anderen Realität. Das Nieseln wurde stärker, die Nebelschwaden drückten sich den Bergrücken hinunter, der hellgraue Himmel vom Vormittag wurde zu einem dunkelgrauen und bedrohlich wirkenden Hintergrund und die Temperaturen fielen spürbar und kühlten uns aus. Wir verschwanden in unseren Zelten. Ich zog mir mein wärmstes Fleece an, kroch ganz tief in den Schlafsack und lauschte, wie der Regen draußen stärker wurde und gegen die Zeltwand trommelte. Zwei Stunden später verließen wir noch einmal die nun aufgewärmten Zelte und erkundeten die Umgebung. Ein kleines, blaues Himmelsloch öffnete sich in der sonst so massiven Wolkendecke, sendete uns einzelne Sonnenstrahlen hindurch und schloss sich rasch wieder. Wir schossen ein paar Fotos von den umliegenden und mit Flechten bewachsenen Felsen während sich die graue Wolkendecke verfinsterte und unsere erste Nacht auf der Hardangervidda anbrach. Zurück im Zelt schrieb ich die ersten Eindrücke in meinem Reisetagebuch nieder. Die ersten Meter der insgesamt 150 Kilometer waren geschafft und würden die morgige Etappe ein wenig verkürzen. Alles war bisher nach Plan verlaufen.


    Der Hardangerjøkulen
    Montag, 1. September | Finsevatnet - Rembesdalseter



    Pragmatisch: Einzelne Bretter, teils angeknackst, halten auf der Hardangervidda als Brücke her.


    Kalt war die Nacht gewesen, dafür aber relativ trocken. Einige Male bin ich zwischendurch aufgewacht und als der Wecker 6 Uhr 30 lospiepte blieb ich dann auch wach. Es folgte das altbewährte Ablaufschema und eine Stunde später verpackten wir die letzten Ausrüstungsteile in unseren Rucksäcken während sich erste Regungen im Stuttgarter Nachbarzelt bemerkbar machten. Nach einem gemeinsamen Gruppenfoto verabschiedeten wir uns voneinander und wünschten einen angenehmen Wandertag bis Rembesdalseter, unserem gemeinsamen Zielort für diesen Tag. Jetzt waren wir bereit für den Aufstieg zum Hardangerjøkulen, dessen Westseite wir heute passieren würden, und 7 Uhr 50 machten wir uns schließlich auf den Weg. Nach fünf Minuten überquerten wir bereits den Ustekveikja, der sich etwas höher gelegen aus mehreren Einzelflüssen speist. Stabile Brücken wie am Vortag wurden inzwischen zur Ausnahme. Angesagt waren viel mehr einzelne Bretter, mit einer Eisenstange äußerst pragmatisch am Boden fixiert. Mein Blick war zunächst skeptisch, diese Norweger... da einfach so ein schmales Brett hinzulegen, aber schon nach wenigen Brettern hatten wir uns an den Balanceakt gewöhnt und waren dankbar, dass es überhaupt solche Möglichkeiten gab. Und auch lose daliegende, in der Mitte angeknackste Exemplare hatten ihren Reiz nachdem sie unbeschadet überschritten wurden.



    Beeindruckend: Erster Blick auf die Gletscherzunge Ramnabergbreen des Hardangerjøkulen.


    Das erste Schneefeld ließ nicht lange auf sich warten, während des Aufstiegs zum Dyrhaugane querten wir einen vereisten Hang. Ein weiteres Altschneefeld verlief besonders steil und stach direkt in einen Bergsee, wo es sich unter der eisblauen Wasseroberfläche in die Tiefe fortsetzte. Ein beeindruckendes Schauspiel, das wir bewusst aus einigen Metern Abstand beobachteten, als wir das Feld mit tief ins Eis geschlagenen Stöcken durchschritten um nicht versehentlich abzurutschen und im See zu landen. Erinnerungen an unsere Erlebnisse auf dem Dovrefjell wurden geweckt. Die Blicke, die sich uns offenbarten als wir oben ankamen, lassen sich kaum mit Worten beschreiben. Abstrakte Eisgebilde, von Wind und Wetter geformt, starren uns an wie Säulen eines antiken Palasts. Eine kolossale Eismasse baut sich auf am Horizont - der Hardangerjøkulen. Genauer gesagt, der untere Teil einer Gletscherzunge des Hardangerjøkulen. Ein kühler Hauch schwang uns entgegen. Das schimmernde Blau des Gletschereises sah nicht nur eisig aus, es strahlte auch eine eindeutig fühlbare Kälte ab, obwohl die beobachtete Gletscherzunge Ramnabergbreen fast einen Kilometer entfernt war. Von hier oben zeigte sich uns der Gipfel des Ramnabergnuten (1729 m) sowie ein großer Teil der nördlichen Hardangervidda, und erst hier bemerkten wir in aller Seelenruhe: Wir waren allein. Weit und breit niemand außer uns. Nur das Pfeifen des Windes über die Bergkuppen, abgekühlt von einem Jahrtausende alten Eispanzer.



    Ice Age im Sommer: Abstrakte Eisgebilde, von Wind und Wetter geformt, zieren unseren Weg.


    Über den Bergrücken des Dyrhaugane wanderten wir eine recht steinige, canyonartige Passage hinab. Zum zweiten Mal tönte ein filigranes Quieken von weit her, diesmal ungedämpft, oder kam es ganz aus der Nähe? Einen Augenblick später sah ich ihn: Ein Berglemming bahnte sich seinen Weg durch die Gräser, keine zwei Meter von mir entfernt und im nächsten Augenblick zwischen zwei Steinen verschwunden. Putzig, flink, etwas größer als eine Maus und mit erdigen Farben gemustert. Mehr konnte ich nach dieser ersten Begegnung nicht ausmachen, denn meine bisherige Erfahrung mit Lemmingen beschränkte sich auf das gleichnamige Computerspiel für den Commodore. Wir drangen immer tiefer ein in die Region des Hardangerjøkulen. Die Hälfte der Strecke bis Rembesdalseter lag hinter uns als wir nach vier Stunden dem einzigen Menschen auf dieser Etappe begegneten. Ein kurzes Hei und weiter gings. Der canyonartige Abstieg mündete in einen flachen Bergkessel, der, windgeschützt und an einem kleinen See gelegen, einen wunderbaren Zeltplatz abgegeben hätte. Zwischen den Bergspitzen Raudhaugane (1450 m) und Luranuten (1642 m) verlief der Weg über einen weiteren Bergrücken steil und auf glatt poliertem Gestein bergab. Noch auf halber Höhe entdeckten wir den Stausee Rembesdalsvatnet und erkannten wenige Minuten später die DNT-Hütte Rembesdalseter. Kaum das Ziel vor Augen stieg unsere Euphorie und damit unsere Laufgeschwindigkeit, denn auch der Appetit auf etwas Richtiges machte sich langsam in uns breit. Doch die plötzlich dicht gewachsene Vegetation und die teils stark abschüssigen Pfade kosteten uns eine weitere Stunde bis wir die idyllisch am Stausee gelegene Hütte um 15 Uhr 30 zur Vordertür betreten konnten.


    Ich hatte sie vermisst, die norwegischen Berghütten. So gemütlich, so sauber und so abseits jeglicher Zivilisation. Da könnte ein Krieg über Europa ausbrechen - hier würde man noch Monate überleben können. Nachdem wir die massive Holzhütte betreten hatten fanden wir uns in einem kleinen Vorraum wieder. Wir legten unsere Schuhe ab - dreckige Ausrüstungsgegenstände sind in den Innenräumen tabu - und öffneten die Tür zum Aufenthaltsraum. Am Esstisch gegenüber des Kamins saß ein hagerer Mann mittleren Alters, der Hans aus Kopenhagen. Ansonsten war die mit 18 Betten ausgestattete, auf drei Zimmer aufgeteilte Hütte leer. Wir suchten uns ein Zimmer aus, das mit dem Blick zum See sollte es sein, und versuchten uns alle drei an dem Kamin. Was man nicht im Alltag braucht, das verlernt man eben, und so dauerte es geschlagene 20 Minuten bis das Feuer endlich brannte. Währenddessen erzählte uns Hans immer wieder was von einer Brücke, die nicht mehr da sei. Oder von einer beschädigten Brücke? So richtig erschloss sich uns der Inhalt erst später, denn Hans wollte unbedingt auf Deutsch mit uns kommunizieren, und das war zu Beginn nicht ganz einfach. Es wurde Zeit für unser Abendbrot!



    Die Hütte Rembesdalseter am Rembesdalsvatnet.


    Die Kochecke war mit ausreichend Töpfen, Geschirr, Besteck und einem vierflammigen Gasherd gut ausgestattet, so dass ich meine Kartusche schonen konnte. Sogar frisches Wasser vom See stand in einem großen Eimer bereit und schon nach zehn Minuten brodelte eine leckere Mischung aus Pasta und Broccoli dampfend in dem schweren, eisernen Topf. Jetzt noch etwas Brot und ein Desert... die Lebensmittelvorräte! Ich öffnete die an den Wänden festgemachten Holzschränke und kaufte mir eine Packung Wasa Knäckebrot sowie eine Dose Ananas zum Nachtisch. Die Auswahl an Lebensmitteln war zwar nicht mehr so üppig wie zu Beginn der Saison, aber den einen oder anderen Leckerbissen fand man dennoch. Die Bezahlung erfolgt, wie in allen Selbstversorgerhütten, auf Vertrauensbasis und einem Tresor, in den man das ausgefüllte Kreditkartenformular oder Bargeld einwirft. Draußen wurde es zunehmend unangenehmer. Nebel machte sich breit und Regen und Kälte kamen über die Hardangervidda. Dafür sorgte drinnen der inzwischen heißgelaufene Kamin für Wärme und Beschaulichkeit. Am Ende des langen Esstisches hing an der Wand eine große topografische Karte der Umgebung, und hier stand ich nun mit Hans während er die Sache mit der Brücke erläuterte. Fünf Minuten später war mir klar, dass wir vor einem Problem standen. Wir drei setzten uns an den Tisch und besprachen die Lage. Folgendes war passiert:


    Ein Stück der Gletscherzunge Rembesdalsskåki muss ein, zwei Tage vor uns aus dem Eis gebrochen sein. Dieser Eisbrocken hat die Laufrichtung eines größeren Gletscherflusses geändert und strategisch sinnvoll platzierte Brücken damit hinfällig gemacht. Mit anderen Worten: Die Brücke war weder verschwunden noch kaputt, sie stand schlicht und ergreifend am falschen Ort. Und ja, genau diese Brücke mussten wir überqueren, wenn wir unsere Reise fortsetzen und Liseth als nächstes Etappenziel erreichen wollten. Eine Alternativroute existiert an dieser Stelle nicht, denn östlich des Flusses liegt der unüberwindbare Hardangerjøkulen und westlich begrenzt ein Fjord die Landschaft. Dazwischen ruht der Rembesdalsvatnet, für dessen Überquerung ein Boot gebraucht wird und dieses lag am gegenüberliegenden Ufer. Nach dem Studium der an der Wand angebrachten Karte ergaben sich drei Möglichkeiten.


    Erste Option: Umgehung der Problemzone über Fjord und Fjell. Rembesdalseter liegt an einem Stausee, dessen Staumauer das Ende eines vom Meer ausgehend stark ansteigenden Tals markiert. Dieses Tal abzulaufen würde unseren Zeitrahmen sprengen. Auf der anderen Seite schließt die Mauer an einem Berg ab, dessen Flanke direkt in den See führt. Vielleicht wäre es also möglich den Gletscherfluss zu umgehen indem wir auf der Mauer entlang und anschließend in Ufernähe bleibend einen Weg zur ursprünglichen Route finden würden. Diese Variante würde unvorhersehbar und riskant sein, denn keiner von uns wusste wie steil die Flanke tatsächlich ist, und querfeldein über ein norwegisches Fjell zu wandern ist sowieso eine ganz schlechte Idee.



    Offizielle Wegführung über ein Geröllfeld. Wie riskant würde eine Variante querfeldein sein?


    Zweite Option: Furten des Gletscherflusses. Hans war schon tagsüber am Fluss gewesen um nach einer geeigneten Stelle Ausschau zu halten und stieß auf bis zu zwei Meter schmale Abschnitte, die aber zu breit waren um hinüber zu springen. Zum Furten sind diese völlig ungeeignet, da schmale Abschnitte mit starker Strömung und hoher Wassertiefe einherkommen. Er vermutete ab etwa 30 bis 40 Meter Breite wäre eine Querung realistisch, allein aber zu riskant. Der Bereich der Mündung war kein Thema, zu steil und zu groß die Gefahr in den See zu fallen. Mut machte uns, dass laut Hans drei Holländer am frühen Morgen das Haus in Richtung Liseth verlassen haben und nicht zurückgekommen sind. Das bedeutet, sie haben den Fluss wahrscheinlich erfolgreich überwunden. Gedankenverloren schaute ich aus dem Esszimmerfenster hinaus. Am gegenüberliegenden Ufer schoss das Gletscherwasser schäumend in den Rembesdalsvatnet, was trotz der Entfernung von 1200 Meter gut von unserer Hütte zu sehen war. Und zu hören! Erst jetzt realisierte ich die wuchtigen Ausmaße des Flusses, der dem nur wenige 100 Meter dahinter liegenden Hardangerjøkulen entspringt.



    Außen hart, innen ganz weich: Raues Gelände beherbergt nicht selten empfindliche Vegetation.


    Dritte Option: Abbruch der gesamten Tour und zurück nach Finse. Erneut zu scheitern wie damals auf dem Dovrefjell, das wäre bitter und das wollten wir unbedingt vermeiden. Insgeheim war jedoch klar, dass wir diese letzte Option im Zweifelsfall akzeptieren mussten. Und dann? An den restlichen Tagen hätten wir ein paar Tagesausflüge im Norden der Hardangervidda unternehmen können. Aber selbst die Umrundung des Hardangerjøkulen, eine ebenso beliebte Tour über drei Tage, wäre wegen der neuen Laufrichtung des Flusses nicht mehr möglich gewesen. Nein! Wir würden vorher alle denkbaren Möglichkeiten überprüfen!



    Ruhig gelegenes Plätzchen voller Sumpfblumen.


    Wir grübelten weiterhin nach einer akzeptablen Lösung als die Tür aufsprang und ein älterer Kerl mit wettergegerbtem Gesicht die Hütte betrat. Sein markantes Aussehen und sein Dialekt ließen es bereits erahnen und als wir uns vorstellten bestätigte sich die Vermutung: Vor uns stand Kevin aus Melbourne, der seit 30 Jahren im Süden Norwegens lebt, seine Pension von Statoil genießt und sich fragte, weshalb wir hier alle so technisch tun. Tja, nur wenige Minuten später saß auch er am massiven Holztisch und grübelte mit uns. Insgeheim war aber allen klar, dass zunächst nur die zweite Option in Betracht gezogen werden konnte. Also wurde entschieden es am frühen Morgen drauf ankommen zu lassen - je früher der Morgen, desto niedriger der Wasserpegel. Auf der Karte schätzten wir die optimale Stelle, an der der Fluss günstig zu queren sein müsste, was relativ nah an der Gletscherwand lag. Kevin fand derweil ein längeres Seil im Schuppen neben dem Plumpsklo, mit dem wir uns im Falle einer Querung zumindest ein klein wenig absichern würden können. Dabei erkannte er in der Ferne zwei Wanderer, es mussten die Stuttgarter sein, und versuchte sie vor den Tatsachen zu warnen und sich uns am Morgen anzuschließen, doch die beiden waren zu weit entfernt.



    Alles da: Holzofen, Gasherd, Vorratsschrank...


    Nach der groben Vorplanung blieb sogar noch etwas Zeit die Gegend um die Hütte und das Seeufer zu erkunden, bis das langsam schwindende Tageslicht die Dämmerung ankündigte. Unsere Reisezeit lag fast genau zwischen der Sommer- und Wintersonnenwende, so dass die Dämmerungszeiten denen in Norddeutschland ähnlich waren - Mitternachtssonne oder Winterdunkelheit waren diesmal kein Thema. Die aufgestellten Kerzen auf den Tischen brachten nur ein schummriges Licht in die Hütte und ließen die Müdigkeit umso schneller aufkommen. Ohne Strom wurde es eben einfach dunkel. Die Atmosphäre war geradezu heimelig: Im Wohnbereich lauschten wir dem Kaminfeuer oder stöberten in Büchern über die norwegischen Hochgebirge, die die kleine Wandbibliothek bereit hielt. Nach und nach verschwanden alle in ihren Kojen, bis gegen 21 Uhr 30 das Feuer nur noch leicht vor sich hin glimmte. Ich löschte die Kerzen und verschwand ebenfalls, denn der Wecker war auf 5 Uhr 45 gestellt. Zugegeben, ich konnte nicht besonders gut einschlafen. Zu viele Gedanken kreisten in mir. Wie würde der Tag morgen ausgehen? Wie geplant in Liseth oder erneut hier in Rembesdalseter? Eine Furt dieser Größenordnung hatten wir noch nie gewagt, und dazu im nur wenige Grad kalten Eiswasser, wenige Meter vor dem Gletscher! Der nächste Tag würde spannend und vermutlich sehr nass werden.
    ReiseberichteFotografie

    All I can say about life is, Oh God, enjoy it! ...by Bob Newhart

  • Supertramp82
    Anfänger im Forum
    • 28.01.2015
    • 22
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

    Die große Furt
    Dienstag, 2. September | Rembesdalseter - Liseth


    Schon vor dem Wecker lag ich wach im Bett und hörte die ersten Geräusche von unseren beiden Skandinaviern, doch jetzt war es soweit. Der morgendliche Blick aus dem eng eingefassten Fenster war ernüchternd. Vom See weit und breit keine Spur. Dafür vorbeiziehende Dunstwolken und gegen das Fenster wehender Nieselregen. Das Frühstück bestand aus einem großen Haferriegel, den ich mehr oder weniger mit Wasser herunterwürgte. An diesem Tag packten wir unsere gesamte Ausrüstung in halbwegs wasserdichte Beutel und alles nochmals in den großen Flight Bag, der den Rucksack im Flugzeug geschützt hat, um für einen eventuellen Sturz in den Fluss vorbereitet zu sein. Wechselklamotten, Handtuch und Furtschuhe blieben griffbereit. Noch immer lag das Areal in dichtem Nebel und der Regen nahm zu, doch um 7 Uhr 15 war es dann soweit. Wir kehrten die gesamte Hütte durch und verließen sie so wie wir sie vorgefunden hatten. Die Markierung hinauf Richtung Gletscher begann gleich hinter dem Schuppen. Hans lief voran, gefolgt von Marcel "Duracell", ein Running Gag, den der Däne regelmäßig auspackte, mir und Kevin mit dem Seil auf der Schulter. Die beiden, Hans und Kevin, waren zweifelsfrei erfahren und findig was das norwegische Fjell mit seinen klimatischen und teils unwegsamen Bedingungen angeht. Aufgrund der Nässe ließ sich der steinige, mit häufigen Kraxeleien verbundene Pfad nur langsam begehen. Trotzdem konnte der eine oder andere Sturz nicht vermieden werden, glücklicherweise ohne größere Blessuren. Zu glitschig, stellenweise wie Eis, war das moosbewachsene Gestein und konnte Rutschpartien nicht vermeiden. Und gerade als wir völlig vertieft mit der Bewältigung des Geländes beschäftigt waren, die anstehende Furt schon fast wieder vergessen, brach das Getöse vom Fluss auf uns ein. Nach zweieinhalb Stunden über Stock und Stein war es soweit.


    Schräg Richtung Tal schauend sahen wir die nun im Trockenen liegende Holzbrücke, die uns in der Tat nicht mehr nützlich sein würde. Das Gelände war inzwischen nicht mehr markiert. Hans erkannte gleich, dass die gegenwärtige Stelle noch viel zu tief und hinderlich für eine Querung war. Wir setzten unseren Weg flussaufwärts fort in Richtung der großen Nebelwand, hinter der sich die Gletscherzunge Rembesdalsskåki verbarg. Bis zu einem Meter große Eisbrocken schwammen vereinzelt an uns vorbei und zeugten von dem Bruch wenige Tage zuvor. Der Fluss wurde zunehmend breiter und flacher, so dass bereits erste Nebenläufe erkennbar wurden. Hans hielt an, lief am Ufer ein wenig auf und ab auf der Suche nach der idealen Linie zum Furten und zog dann Schuhe und Hosen aus. Die Stelle war etwa 40 Meter breit und enthielt eine kleine Sandbank im ersten Drittel. Der Bereich dahinter war schwer einsehbar und von der Tiefe nur zu erahnen, denn das Wasser war absolut undurchsichtig, milchig-grau getrübt, typisches Gletscherwasser. Ich holte meine Merrell Barfußschuhe für die Querung heraus, verpackte Hose und Socken und schnürte meine Stiefel in der Mitte zusammen, damit ich sie mir um den Hals hängen konnte. Ebenso öffneten wir die Schnallen des Rucksacks um ihn im Fall eines Sturzes schnell abwerfen zu können. Hans ging als erster ins Wasser und riet uns zu warten, bis er einen Weg hinüber gefunden hätte. Das erwies sich als gar nicht so einfach, denn die Tiefe ließ sich nur fühlen. Mehrmals musste Hans einen bereits eingeschlagenen Weg umkehren, mit seinem Stock den Untergrund ertasten während er bis zum Bauchansatz im Wasser verschwand. Nach etwa 20 Minuten hatte er das andere Ufer erreicht. Jetzt waren wir an der Reihe.



    Eiskalter Gletscherfluss: Die Ideallinie verlief rechts der großen Steinblöcke im Zick-Zack.


    Der erste Abschnitt war knöcheltief und ohne Probleme begehbar, gut zur Gewöhnung an die Wassertemperatur von zwei bis vier Grad Celsius, sofern man sich überhaupt daran gewöhnen kann. Als wir die Sandbank erreichten lief zunächst Marcel den von Hans gewählten Zick-Zack-Kurs nach und erreichte in gut zwölf Minuten ebenfalls das gegenüberliegende Ufer. Nun machte ich mich auf ins kalte Nass. Der zweite Abschnitt war noch immer 30 Meter breit, konnte jedoch nicht auf direktem Weg begangen werden. Mit Füßen und Stöcken ertastete ich den Untergrund, der über quer liegendes Geröll und Steinblöcke verlief. Manchmal trat ich ins Leere und musste meinen Weg um den einen oder anderen Meter korrigieren um nicht mehr als hüfttief im Wasser zu stehen. Das alles verlangsamte die Querung des Flusses deutlich. Hektisch zu agieren würde aber nichts bringen, denn ein falscher Tritt und man rutscht aus und geht auf Tauchgang, dann wäre der Tag gelaufen, bestenfalls. Nach fünf Minuten entwich allmählich das Gefühl aus meinen Beinen und ging in ein dumpfes Kribbeln über, was mich ein wenig nervös machte, auch weil in der Mitte des Flusses die Strömung am stärksten war und die Stöcke nicht mehr zum Ertasten des Untergrunds sondern zum Abstützen und Stabilisieren gegen die Strömung nötig waren. Ein paar größere, teils wackelige Schritte später war es endlich geschafft und ich setzte an für den letzten Sprung auf festen Boden. Hinter mir hatte Kevin bereits die Flussmitte erreicht und bildete den Schluss unserer Truppe.


    Kaum wieder im Trockenen erschraken wir über unsere neue Hautfarbe. Die Beine waren knallrot gefärbt und wechselten ab der Hüfte in einer schnurgeraden Linie zum Weiß des Oberkörpers. Es nieselte leicht, eine sanfte Brise bei acht Grad Lufttemperatur, wir standen barfuß und in Unterhosen auf der Hochebene nur unweit des Hardangerjøkulen. Allen war auf einmal unerwartet warm, fast schon heiß, der geringeren Wärmeleitfähigkeit der Luft sei dank. Das war definitiv die bisher krasseste Abkühlung in meinem Leben! Leider fand das die Kamera von Marcel nicht so gut, die bei der Aktion einen irreversiblen Wasserschaden abbekommen hatte. Wir genehmigten uns eine halbe Stunde Pause zum Anziehen, Verstauen nasser Kleidung, aßen ein paar Energieriegel und machten die obligatorischen Schnappschüsse für die Zeit danach. Es fühlte sich an, als wäre der Knackpunkt der Tour überstanden und Haukeliseter nur noch eine Frage der Zeit.



    Gletscherblick wenige Meter oberhalb der Furt.


    Als wir uns zügig in Bewegung setzten um nicht auszukühlen entdeckten wir die zahlreichen Rinnsale, Schlammlöcher und kleinere Seen, die der ursprüngliche Flusslauf hinterlassen hatte, so dass wir noch an vielen weiteren Stellen durch das Wasser oder über Steine springen mussten. Die Tour würde wohl für mindestens ein Jahr gesperrt sein, meinte Kevin, denn der DNT braucht seiner Erfahrung nach relativ viel Zeit zum Bau neuer Brücken. Zurück auf dem ursprünglichen Weg führte uns die Markierung über glatte Steinplatten und einfache Felsklettereien steil hinauf bis auf Höhe der Bruchkante des Gletschers, die wir auf einem Felsvorsprung spektakulär von Nebelschwaden durchzogen in Szene gesetzt bekamen. Wie ein vereister Koloss strahlte uns das stählerne Blau des Riesen aus unmittelbarer Nähe an. Auf dem Plateau oben angekommen trafen wir zwei Wanderer aus der Gegenrichtung und tauschten kurz die hinter uns liegenden Ereignisse aus. Das war also die statistisch gesehen einmal pro Tag vorkommende Begegnung in den norwegischen Bergen, wenn überhaupt. Doch gerade diese Abgeschiedenheit, das auf sich allein gestellt sein, macht den großen Reiz in Skandinavien aus.



    Hans (Mitte) setzt seinen Weg allein fort.


    Zwei Stunden später standen wir an einem Abzweig, der den Weg nach Süden Richtung Liseth sowie nach Osten für die Umrundung des Hardangerjøkulen teilte. Kevin verfolgte das gleiche Ziel wie wir, Haukeliseter, Hans aber unternahm die Gletscherumrundung und daher trennten sich hier unsere Wege. Ein verdammt lockerer Kerl, dessen Humor uns tatsächlich an die Olsenbande erinnerte, auch wenn diese Assoziation fast schon wieder kitschig ist. Der jede Untiefe zuerst überprüft und daher mit Abstand den heftigsten Wassereinbruch in seinen Schuhen zu beklagen hatte. Demonstrativ kippte er das Wasser darin aus und wechselte wieder einmal seine Socken. Ein Selfie zum Abschluss, der Austausch der Kontaktdaten und bereits nach zwei Minuten verschwand er hinter dem nächsten Hügel.



    Verlassen: Alte Windmühle aus der Wikingerzeit.


    Zu dritt setzten wir unseren Weg fort, und dieser führte uns einen immer steiler werdenden Hang hinauf während der felsige Boden verschwand und Platz machte für sumpfiges, schlammiges Gelände. Der rutschige Hang wurde dermaßen schlammig, dass der Aufstieg in einer einzigen Sauerei endete, bei der die natürliche Farbe der Stiefel nicht mehr ersichtlich war und unsere Wanderhosen ein noch nie gesehenes Tarnmuster aufwiesen, dass das der Bundeswehr alt aussehen ließ. Es folgte der laut Kevin schönste Abschnitt der gesamten Nord-Süd-Querung. Mit weitem Blick über das Hardangerfjorden, einem der am weitesten ins Landesinnere reichenden Fjorde in Norwegen, mit der Eidfjord-Siedlung und dem anschließenden Eidfjordvatnet an dessen Ende. In der Realität reichte der Blick keine fünf Meter weit, so dicht war der Nebel um uns heraum aufgezogen. Und da wir nicht Hand in Hand liefen sondern mehr oder weniger versetzt, mussten wir uns stellenweise gegenseitig suchen, vor allem, wenn der Vorausgehende von uns die nächste Wegmarkierung nicht fand. Als ich mich einmal mehr auf die Suche nach einer solchen begab wunderte ich mich über eine ungewohnt auffällige Böschung, die ich hinauflief und die mich abrupt stoppen ließ: Ich stand am Rand einer leicht überhängenden Steilklippe, aus deren Abgrund der Nebel empor kroch und die laut Kevin mehrere 100 Meter in die Tiefe ging. Die Aussicht von hier oben würde wunderbar sein müssen. Stattdessen war die Stimmung mystisch und verwunschen, der perfekte Ort für ein heidnisches Ritual.



    Es gibt eben nichts, was es nicht gibt.


    Etwa eine Stunde irrten wir auf dem Plateau herum, bis der Pfad uns in gemäßigtere Gefilde führte, die Abendsonne herauskam und wir gegen 18 Uhr Liseth erreichten, dem einzigen Ort auf der Hardangervidda mit einer Straßenanbindung. Die 24 Kilometer lange Etappe hatte sich zum Ende sehr gezogen, so dass wir eine Menge kurzweilige Gespräche führen konnten. Da wir diese Nacht wieder im Zelt verbringen wollten, verabschiedeten wir uns nun auch von Kevin, der ohne Zelt unterwegs war und sich auf das einzige Gasthaus weit und breit freute, auf Lachs und Bier, eine heiße Dusche und ein warmes Bett... Ich war kurz am Überlegen, aber das Wetter schien zu gut, um nicht draußen zu schlafen. Einfacher gesagt als getan! Trotz Jedermannsrecht fanden wir keine geeignete Wiese, denn die meisten Grundstücke waren privat und mit Verbotsschildern bestückt, die einen Mindestabstand zur Grenze von 200 Meter erforderten. Nach sinnlosen 90 Minuten des Suchens, mehrfacher Begehung des gesamten Ortes und immer schwereren Beinen entschieden wir uns schlussendlich doch für das Gasthaus, in dem wir um 19 Uhr 30 eintrafen.



    Liseth: Einzige Siedlung auf der Hardangervidda.


    Liseth war der letzte Ort vor Haukeliseter, dem Ziel unserer Wanderung, und so würden wir noch genügend Gelegenheiten haben im Freien zu übernachten. Insgeheim freute ich mich auf ein ordentliches Abendmahl, denn die Norweger pflegen eine hervorragende Küche. Leider war diese nach Aussage der Wirtin bereits geschlossen. Ich weiß nicht mehr, ob wir todunglücklich dreinblickten oder nur erschöpft aussahen als sie uns von oben bis unten musterte, aber sie lächelte und bot uns an die Kochplatte noch einmal anzuwerfen bevor sich die Enttäuschung in uns breit machen konnte. Wir bekamen sogar Zeit zum Duschen! Nachdem auch die nassen Klamotten gepflegt und aufgehängt waren, betraten wir die Gaststube und bestellten uns beide einen großen Rentier-Burger. Ein hervorragender Ausgleich zu den Pastagerichten aus der Tüte. Und gerade als ich dachte wir wären hier die einzigen Gäste stiefelte Kevin zur Tür herein und gesellte sich noch auf ein Bier zu uns. So nahm der Abend seinen Lauf, und hin und wieder sprang ein nützlicher Tipp über das Leben im hohen Norden heraus. Zu guter Letzt tauschten wir unsere Kontaktdaten aus und verabschiedeten uns bis zum nächsten Morgen, denn unser Ziel war das Gleiche. Diese ganzen Kontaktdaten... immer dann, wenn gerade nichts zum Schreiben zur Hand ist, insbesondere auf Trekkingtouren. Sobald ich wieder daheim bin würde ich mir ein paar Visitenkarten anfertigen lassen, für genau diesen Zweck! Im Bett liegend kamen mir die beiden aus Stuttgart in den Sinn. Ich hatte damit gerechnet sie unterwegs oder spätestens hier anzutreffen, aber wir haben sie während der gesamten Tour nicht mehr getroffen. Nach wenigen Minuten bin ich weggedöst. Liseth war schon ein süßes Bergdorf.


    Sommer, Sonne, Sonnenschein
    Mittwoch, 3. September | Liseth - Hedlo


    Mit 7 Uhr 30 hat der Wecker verhältnismäßig spät geklingelt und das war gut so. Nach der heiß-kalten Dusche wurde uns ein hervorragendes Frühstück aufgetischt, das man nur als typisch norwegisch bezeichnen kann. Regional, reichhaltig, Früchte-Müsli und geräucherter Stremellachs vom Ganzen. Die Sonne war bereits draußen und versprach einen wundervollen Tag. Nur Kevin schien vermutlich schon unterwegs zu sein denn von ihm fehlte jede Spur, zumindest fast. Als ich diesen Gedanken mit Marcel austauschte bewegte sich der Wirt auf uns zu und überreichte mir einen handgeschriebenen Zettel. "Hi Guys, hope you enjoy the breakfast. I started earlier because don't wanna walk so fast. Let's meet on the way to Hedlo and have a great day! Best, Kevin" Er ist also früher aufgebrochen, wir würden ihn wahrscheinlich im Laufe des Tages oder spätestens in Hedlo treffen. Wir schnappten uns jeder noch einen frischen Apfel und packten anschließend unseren Kram zusammen. Gegen 9 Uhr 30 sattelten wir die Rucksäcke auf und verließen Liseth, dessen Pension ich ausdrücklich eine Empfehlung aussprechen möchte.



    Letzter Blick auf den fernen Hardangerjøkulen.


    Abermals kreuzten wir die einzige Straße auf der Hardangervidda, die uns von der vorabendlichen Übernachtungssuche noch sehr gut in Erinnerung war. Wo ist der Weg, das rote T? Tatsächlich benötigten wir knapp 20 Minuten, um den Einstieg zu finden, trotz Vorhandensein einer topografischen Karte. Versteckt hinter der Leitplanke befand sich das rote T an einem kleinen Baum in der zweiten Reihe. Es kann weitergehen! Und schon 200 Meter weiter gab es von Zivilisation keine Spur weit und breit. In Liseth vereinen sich die beiden Flüsse Bjoreio und Isdølo. Den Bjoreio querten wir nun in schwindelerregender Höhe auf einer alten Betonbrücke, und, wie inzwischen typisch für Norwegen, ohne Geländer. Ab hier verlief ein immer schmaler werdender Pfad steil bergauf, hinaus aus dem Tal, das mit rund 700 Meter über dem Meer der tiefste Punkt auf unserer Tour war. Unglaublich, ein strahlend blauer Himmel, warmer Sonnenschein, das Wetter konnte nicht besser sein. Der perfekte Spätsommer an einem Ort, der an den meisten Tagen im Jahr Sturm, Regen und Schnee kennt. Nach einem zweistündigen Aufstieg blickten wir zurück auf den am fernen Horizont wieder sichtbar gewordenen Hardangerjøkulen, der ein riesiges Gebiet voll blauem Eis umfasst und surreal die Landschaft durchzieht. Aus dem Tal stieg derweil rasant ein Helikopter auf, der höchstwahrscheinlich Lebensmittel auf eine der Hütten transportierte. Unser gegenwärtiger Eindruck? Es ist wunderbar hier zu sein!


    Der weitere Weg schlengelte sich kurvenreich an vielen roten T's entlang, mit kleineren Auf- und Abstiegen, über eine wilde und weitläufige Wiese, gesät mit alten, brüchigen Ruinen aus der Wikingerzeit. Der perfekte Ort zum Entdecken und Erforschen, zum Fotografieren und Entspannen, was die Gefahr barg die Zeit aus den Augen zu verlieren. Und das ist uns dann auch passiert! Die große Wildwiese führte uns an den Fuß eines Bergs und hier teilte sich unsere Route auf. Zur Auswahl standen die Überschreitung des Bergs, was die Strecke bis Hedlo ein wenig verkürzen würde, oder die Umgehung über Viveli, einer weiteren Hütte am Fluss Olbogo, was die Höhenmeter bis Hedlo etwas reduzieren würde. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen entschieden wir uns für den längeren Weg über Viveli, den wir alsbald bereuen sollten, denn er war extrem sumpfig und teils nur über kleine Umwege begehbar um nicht im Schlamm zu versinken. Größere und auch kleinere Äste und Steine dienten uns als Trittfläche, um dem Morast zu entkommen. Die Schwierigkeit bestand darin die richtigen Trittstellen zu erkennen, denn diese lagen oft einen Fingerbreit unter der Oberfläche. Und ja, das eine oder andere Mal haben wir uns verschätzt und verschwanden mit dem Schuh im Boden. Erinnerungen an Indiana Jones kamen hoch, der in einem Tempel nur auf ausgewählte Bodenfliesen treten durfte wenn er nicht eine tödliche Falle auslösen wollte. Ganz so schlimm kam es natürlich nicht, auch dank unserer Stöcke, mit denen wir besonders tückische Stellen überprüfen konnten, aber am Ende des Tages hätten wir vermutlich als Seiltänzer auftreten können, als sehr dreckige Seiltänzer!



    Kaltes, klares Wasser: Ein Zufluss des Olbogo.


    Als wir am späten Nachmittag Viveli auf der anderen Uferseite des Olbogo ausmachten setzte uns der tiefe Sonnenstand langsam unter Druck etwas schneller voranzukommen. Ein weiterer Anstieg im wieder felsiger werdenden Gelände führte uns einen Zufluss des Olbogo hinauf, an dem wir ein letztes Mal unseren Wasservorrat auffüllten und ich mir einen Honigriegel genehmigte. Vorbei an einer einsamen Schafherde, die abwechselnd an einer Salzsäule lutschte, verliefen die letzten Kilometer über Geröll durch einen Mischwald, der aus überraschend niedrig gewachsenen Bäumen bestand und hier und dort eine kleine Sprungeinlage erforderte. Ungefähr 17 Uhr 30 erreichten wir Hedlo, das aus einer größeren Herberge bestand vor der sich ein großer Haufen Jugendlicher sammelte, die wohl im Ferienlager waren. Ein Stück weit entfernt suchten wir eine geeignete Stelle nah am Ufer unseres mittlerweile vertraut gewordenen Flusses, eine Wiese auf der wir uns gut ausbreiten könnten und das Geschrei der Gruppe im Getöse der Stromschnellen untergehen würde. Der Aufbau des Zeltes brauchte inzwischen kaum mehr als fünf Minuten. Schnell war auch der Innenraum wohnlich hergerichtet, die Isomatte aufgeblassen und der Kocher für das Abendessen auf einem ebenen Untergrund positioniert. Doch bevor ich das Feuer dafür entfachte stattete ich der Herberge einen kurzen Besuch ab um zu schauen, ob sich Kevin hier einquartiert hatte. Drinnen, das federleichte Gehen ohne Rucksack nicht mehr gewohnt, stolperte ich zunächst durch den Flur während mir eine Schar Jugendlicher durch die engen Korridore entgegen strömte. Keine Rezeption, keine Erwachsenen. Ein kurzer Blick die Holztreppe hinauf und gedämpfte Stimmen drangen an mein Ohr, keine davon gehörte Kevin oder einem anderen Menschen in seinem Alter. Bevor ich mich verlor lief ich zurück zum Eingang und verließ die Herberge Richtung Ufer. Entweder Kevin war doch noch irgendwo in diesem Haus oder er übernachtete an einem anderen Ort, denn Zelt oder Schlafsack trug er nicht bei sich. Zurück am Zelt aßen wir unser Abendbrot und kämpften mit den unzähligen Mücken, die sich über unserem Lager eingefunden hatten - die Nachteile an einem schönen Platz wie diesem. Als das abendliche Rot sich weiter verdunkelte stattete uns der Jugendgruppenleiter einen Besuch ab und wir verbrachten den Rest der Dämmerung mit Gesprächen über unser liebstes Hobby: Der besten Ausrüstung, der schmackhaftesten Outdoorküche, der waghalsigsten Momente und natürlich über Norwegen, der Heimat von unserem Gesprächspartner. Die Katzenwäsche endete schnell, dafür sorgten Wasser- und mittlerweile auch Lufttemperatur. Bis ich allerdings einschlafen konnte vergingen mehrere Stunden. Zu laut dröhnte der Generator der Herberge aus der nebenliegenden Garage, zu hochfrequent heulte der Hund der Jugendgruppe. Erst gegen Mitternacht gaben Hund und Generator endlich Ruhe, und als ich sinnigerweise überlegte, ob beide miteinander korrelierten, schlief ich ein.


    Die Verhältnisse im hohen Norden
    Donnerstag, 4. September | Hedlo - Torehytten



    Auf der Veranda: Mittagsrast in Hadlaskard.


    Kalt war es über Nacht geworden als 7 Uhr der Wecker ansprang, deutlich später als auf Korsika ein Jahr zuvor. Und auch Bon Jovi ist aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen dem Standardklingelton gewichen, so dass ich sofort die Ruhetaste betätigte um noch 30 Minuten dösen zu können. Schnell bauten wir unsere Zelte ab und verstauten sie klitschnass im Rucksack. Nicht nur die Temperatur war gesunken, auch die Luftfeuchtigkeit ist gestiegen. Das Frühstück bestand leider wieder aus einem langweiligen Haferriegel, sehr ernüchternd im Vergleich zum gestrigen Morgen. In der Ferne krochen derweil die ersten Sonnenstrahlen über die Landschaft und motivierten uns so bald wie möglich aufzubrechen, was wir 8 Uhr 30 dann auch taten. Gleich zu Beginn verliefen die Markierungen über glatt geschliffene Steinplatten auf ein höher gelegenes Plateau, wo uns die Sonne nun erreichte und einen weiteren schönen Tag versprach. Und hier sahen wir ihn das erste Mal, das Wahrzeichen der Hardangervidda, den Ayers Rock von Norwegen, den am fernen Horizont einsam aufragenden Hårteigen! Nur kurz war dieser zu sehen bis er beim nächsten Abstieg hinter der gegenwärtigen Kulisse verschwand. Aber den Hårteigen (1690 m) würden wir noch mehrmals zu Gesicht bekommen, denn die Nord-Süd-Route führt direkt an ihm vorbei. Sein Spitzname ist angelehnt an den Ayers Rock in Australien, weil dieser ebenfalls keine markanten Berge in der unmittelbaren Nachbarschaft hat und daher umso deutlicher aus der Ebene emporragt.



    Wahrzeichen: Erster Blick auf den Hårteigen.


    Bis Hadlaskard liefen wir relativ zügig. Hier fanden wir abermals eine Hütte des DNT vor und hier legten wir eine längere Rast von 45 Minuten ein. Zu verlockend die aufgeheizte Holzterrasse, und auch die Hütte selbst lud zum Entdecken ein, zumal um diese Zeit niemand darin anzutreffen sein dürfte. Erstmals fanden wir ein vollständig ausgebautes Dachgeschoss vor. Die Küche war riesig und die Vorratsschränke noch ausreichend gefüllt, trotz Septembermonat und nahendem Saisonende. Wie schon oft waren wir hellauf begeistert von den norwegischen Hütten, die, obwohl vollständig autark, verdammt gut in Schuss gehalten wurden. Ein Blick ins Gästebuch verriet, dass Kevin die letzte Nacht hier verbracht hatte. Der Gute war also flott unterwegs und wählte am Vortag vermutlich die Bergvariante. Den Rest der Pause lag ich auf der Veranda und ließ die Mittagssonne auf mich einprasseln bevor es weiter ging nach Torehytten.



    Sanft geschwungene Felsen, grün leuchtende Wiesen und gleißend helle Altschneefelder.


    Laut Etappenverlauf sollten heute zwei Furten auf der Tagesordnung stehen. Nach der Furt am Hardangerjøkulen waren wir jetzt für solche Aktionen gut genug sensibilisiert. Der erste Fluss wurde gegen 13 Uhr erreicht und konnte auf Steinen balancierend problemlos übersprungen werden. Der zweite Fluss war deutlich breiter, so dass die Schuhe ausgezogen und Hosenbeine hochgekrempelt werden mussten. Das alles war kein Vergleich zu der Furt am Gletscher, und so stapfte ich gemütlich durch das mit geringer Strömung dahin plätschernde Gewässer und genoss die Erfrischung an den Füßen. Es folgten mehrere kleine Furten, doch Probleme bereiteten weniger die Flüsse als viel mehr langsam aufkeimende Blasen an den Füßen, die jeder kurzerhand abklebte, um für den finalen Anstieg an diesem Tag gewappnet zu sein. Auf 1350 Meter lag das heutige Etappenziel, das damit die höchstgelegene Übernachtung auf der Hardangervidda darstellt. Es erstaunt mich immer wieder wie anders die Verhältnisse im hohen Norden sind. Im Schwarzwald steht man auf 1350 Meter noch nicht einmal auf dem Feldberg, und dort ist im September schon lange kein Eis mehr zu finden. Während wir einen verschlungenen Pfad hinauf wanderten entdeckte ich den ersten toten Berglemming. Weil bisher alle Lemminge vor allem flink und scheu waren, schossen wir unser erstes Foto eben von einem toten Exemplar. Doch auch das würde sich sehr bald ändern. Der weitere Weg war durchzogen von einer Landschaft aus sanft geschwungenen Felsen, grün leuchtenden Wiesen und gleißend hellen Altschneefeldern. Abstrakte Aussichten bot uns die Natur im Überfluss, bis sich am Horizont hinter einer Bergkuppe erneut der Hårteigen aufbäumte und unsere Blicke auf eine einsame Hütte vor einem spiegelglatten See fielen - Torehytten vor dem Øvsta Soltjørni.



    Idyllisch: Torehytten vor dem Øvsta Soltjørni.


    Nur wenige Minuten später öffnete ich um 16 Uhr 30 die massive Holztür und wir schritten in den Vorraum der Torehytten, einer weiteren Selbstversorgerhütte des DNT. Das Zelt würde diese Nacht nicht zum Einsatz kommen, entsprechend unseres geplanten Rhythmus einer möglichst wechselnden Nutzung von Zelt und Hütte. Diese war jetzt überraschend klein im Gegensatz zu Hadlaskard, fast schon niedlich. Neben zwei Landsleuten aus Deutschland trafen wir im Wohnzimmer auf eine Norwegerin, die am nächsten Morgen plante den Hårteigen zu besteigen und mit der wir uns die Schlafstube teilten. Ausnahmsweise sprach sie kaum Englisch, eine Seltenheit für Skandinavier, so dass die Kommunikation etwas zäher vonstattenging. Wie ich aber erfahren habe, ist sie Anfang Juli hier auf Ski unterwegs gewesen. Beeindruckend wie lange sich der Schnee bis in den Sommer hinein gehalten hat. Derweil entfachte Marcel das Feuer im Kamin, was dank der Übung in Rembesdalseter inzwischen auch schneller funktionierte. Die Zelte waren noch immer total durchnässt von der letzten Nacht in Hedlo, also breiteten wir sie im Wohnzimmer vor dem Ofen aus und bedeckten somit fast den gesamten Dielenboden des Zimmers.



    Kurz vor Sonnenuntergang: Der Ofen heizt, das Zelt trocknet, die Nudeln kochen und die Wanderer hängen in den Seilen (links vom Bild).


    Nach dem Abendbrot, welches bei mir aus einer Packung Pasta mit Brokkoli von Knorr und einer Dose Ananas aus dem Vorratsschrank bestand, machte ich mich zusammen mit meiner Kamera aus dem Haus, um ein wenig für mich sein zu können und die Ruhe eines Bergsees auch einmal bei Nacht zu erleben. Völlig dunkel war es allerdings nicht, denn es war Vollmond, eine bei null Grad Celsius nahezu klare Vollmondnacht. Die matt glänzende Reflexion des Mondlichts auf dem See und die Kulisse der Berge im Hintergrund wirkte unglaublich beruhigend und musste unbedingt fotografisch festgehalten werden. Nach einer halben Stunde bin ich zufrieden zurück ins Warme gegangen, wo der lodernde Kamin mittlerweile für eine beachtliche Temperatur im Haus gesorgt hatte. Kein Wunder, dass der Holzstapel im Vorraum nur noch aus kleineren und größeren Spänen bestand - und da ich als einziger noch warme Kleidung anhatte stiefelte ich abermals hinaus zum Vorratsschuppen bzw. Plumpsklo und zog einen Sack voll Brennholz zurück in die Hütte. Wieder drinnen und zur Ruhe gekommen sorgte das schwache Kerzenlicht für eine heimelige Stimmung und verstärkte die aufkommende Müdigkeit. Den Augen nicht mehr richtig trauend sah ich etwas Dunkles sich hinterm Ofen bewegen, und als Marcel genauer hinschaute entdeckte er eine graue Maus, die sofort in einem ausgehöhlten Astloch in der Wand verschwand. Wie in einem Film, dachte ich. Das Loch haben wir dann vorsichtshalber zugestellt, auch wenn die Maus mit Sicherheit weitere Schlupflöcher kannte. Während im Kamin nur noch die Glut vor sich hin leuchtete konnte ich gegen 22 Uhr die Augen nicht mehr aufhalten und legte mich in meine Koje.
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      • Meine Reisen

      #3
      [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

      Das Wahrzeichen der Hardangervidda
      Freitag, 5. September | Torehytten - Litlos



      Mystisch: Vollmond über der Hardangervidda.


      Oh Gott! Was für eine grausame Nacht. Seit einer Stunde wälze ich mich hin und her, presse die Ohren zwischen Kissen und Arm, nur um dem Geschnarche der Norwegerin zu entkommen. Auch Marcel ächzt bereits, zwei Stunden nach Mitternacht. Ich klatsche laut in die Hände, trete gegen ihr Bett, huste laut vor mich hin, doch nichts hilft. Böse Gedanken machen sich breit. Meine Ohropax befanden sich leider außerhalb der Reichweite meiner Arme, also musste ich raus aus dem Schlafsack und im Rucksack wühlen. Um selbst nicht auch noch zum Ärgernis zu werden schnappte ich mir den gesamten Kulturbeutel und setzte die Suche nach den Ohropax in der Wohnstube fort. Der Kamin war bereits erloschen, strahlte aber noch immer eine laue Wärme ab. Licht brachte allein meine Stirnlampe hervor, im Energiesparmodus, um meine Augen nachher nicht vollständig neu an die Dunkelheit adaptieren zu müssen. Da ich jetzt einmal munter war, packte mich die Neugier der Nacht draußen erneut einen Besuch abzustatten. Der Mond war inzwischen untergegangen, dafür funkelten unzählige Sterne am Firmament und ließen den Bergsee in einem mystischen Kleid erscheinen. Nach einigen Minuten in der Kälte lief ich zurück, stopfte mir die Ohropax rein und versuchte einzuschlafen.



      Der Hårteigen aus südlicher Richtung gesehen.


      Gerade als der Wecker klingelte hatte ich das Gefühl endlich gut schlafen zu können, auf keinen Fall aber aufstehen zu müssen. Egal! So läuft das eben auf einer Tour. Nach dem Frühstück und ein paar Fotos am See, der im Morgenlicht wieder sein nüchtern kühles Gewand trug, machten wir uns 8 Uhr 30 auf Richtung Hårteigen, dem Zentrum der Hardangervidda. Gleich nach den ersten Metern lauerte eine kurze Kraxelstelle, bei der wir einen Felsspalt überqueren mussten. Der anschließende Aufstieg rückte den Hårteigen erstmals an diesem Tag in unser Blickfeld, deutlich näher als am Vortag. Und hier hielt er sich größtenteils formatfüllend während wir ihm näher und näher kamen. Die Landschaft in der Umgebung des Bergs ist sichtlich rauer, steiniger, karger, schroffer, und auch das Wetter schlug jetzt wieder um und wurde kälter und windiger. Am Fußpunkt angekommen wirkte der Hårteigen dann gar nicht mehr so auffällig herausragend wie aus der Ferne, was an seiner heterogenen Form liegt, die von Osten aus gesehen stark abweicht von der aus Nordwest gesehenen. Hier fanden wir einen Geröllhang vor, der bis zur beinahe senkrechten Ostflanke steil ansteigt. Inmitten der Ostflanke führt eine schmale Felsrinne mit Hilfe von Stahlringen und Ketten bis auf den Gipfel, was den einzigen Weg darstellt, der ohne Kletterausrüstung hinauf führt. Zwei Personen erkannten wir in der Wand und die auf dem Geröllhang geparkten Rucksäcke würden wohl ihnen gehören. Nach kurzer Überlegung entschieden wir uns den Gipfel auszulassen, denn bis Litlos war es noch ein weiter Weg und die Rucksäcke wollten wir auch nur ungern eine längere Zeit allein im Feld stehen lassen. Die südlich fortlaufenden Markierungen führten uns über Felstrümmer, die sich nach wenigen hundert Metern mit schwarzen Kies vermischten und an eine staubtrockene, surreale Mondlandschaft erinnerten.



      Ein mutiger Berglemming kreuzt unseren Weg.


      Als wir in der folgenden Stunde durch diese abstrakte Gegend wanderten wurde mir zum ersten Mal bewusst wie abwechslungsreich die Hardangervidda doch eigentlich ist, denn hier existieren komplett unterschiedliche Landstriche quasi nebeneinander, einschließlich interessanter Tierarten. Auf einem nur wenige Zentimeter breiten Pfad hat sich mir ein Berglemming in den Weg gestellt, der mich fortwährend und emsig fiepend anzuspringen versuchte. Wir vermuteten einen nahegelegenen Bau mit Jungtieren, oder war das die Waghalsigkeit, weswegen Lemminge in so hoher Zahl starben? Das ist mit Sicherheit ein Teilaspekt, der aufgrund einer hohen Überpopulation im Wesen der Tiere zum Vorschein tritt. Rund sieben Kilometer später, nachdem wir den Hårteigen ein gutes Stück hinter uns gelassen hatten, bekam die Landschaft wieder ein etwas grüneres Antlitz. Der Hårteigen selbst befand sich aber weithin gut sichtbar in unserem Rücken, den Titel des Wahrzeichens der Hardangervidda trug er zurecht. Etwas grüner bedeutet allerdings nicht, dass wir in eine ganz neue Klimazone eingetaucht wären, denn kleinere und größere Schneefelder zierten den Horizont und einige unseren Weg, die es mit kräftig ins Eis geschlagenen Wanderstöcken zu überwinden galt.



      Rentiere auf der fernen Insel, weit hinten rechts.


      Von einer weiteren Anhöhe aus entdeckten wir mehrere punktförmige Objekte in der Ferne, die sich zu bewegen schienen. Sie befanden sich allesamt auf einer nackten Insel innerhalb eines größeren Sees. Waren das Rentiere? Um das zu klären holte ich meine Kamera heraus und zoomte so weit es ging drauf. Ein Blick durch den Sucher offenbarte eine leere Grasfläche auf dem See. Wo sind sie hin? Ich schwenkte die Kamera auf das Wasser und da sah ich sie. Rentiere! Eine kleine Herde aus fünf Individuen. In diesen paar Sekunden hatten sie sich in Bewegung gesetzt und schwammen an Land, von wo aus sie die Flucht ergriffen und hinter einem weiteren Hügel verschwanden. Wegen uns? Ich probierte noch zwei, drei Fotos zu schießen, die jedoch leider nichts wurden. Weiter gehts, vorbei an fantastisch gezeichneten Felsformationen und unzähligen Seen. Erfreut waren wir, als kurz nach dem Mittag zwei Gleichgesinnte unseren Weg kreuzten. Bei einem Plausch erfuhren wir, dass letzte Nacht zwei Niederländer auf dem Gipfel des Hårteigen biwakiert haben sollen. Waren das die beiden, die wir in der Wand entdeckt hatten? Das muss jedenfalls eine sehr kühle und dort oben auch zugige Nacht gewesen sein.



      Mein Haus am See: Der Litlosvatnet allein zu unseren Füßen. Und die leidigen Mücken...


      Bereits gegen 14 Uhr sahen wir die Hüttenanlage in Litlos, die eindeutig größer angelegt war als in Torehytten. Sie befand sich an einer leicht erhöhten Uferlage zwischen den großen Seen Kollsvatnet und Litlosvatnet. Die Hütte schien verlassen zu sein, wobei wir nicht extra reingeschaut haben. Diese Nacht war wieder im Zelt geplant und dieser Ort perfekt dafür geeignet. Bis zum Litlosvatnet waren es ungefähr 800 Meter eine wilde Wiese hinab, auf der eine Herde Schafe vor sich hin graste. Beide Seen sind mit einem natürlichen Wasserlauf verbunden, der jetzt im September nicht mehr viel Wasser trug und gemächlich vor sich hin plätscherte. Über flache Steine und aus dem Fluss sprießende Grashügel sprangen wir auf die andere Seite und hielten geradezu auf einen sandigen Abschnitt des Ufers an der Nordseite des Litlosvatnet, den wir bereits mit Freude weiter oben ausmachten. Weit und breit war niemand zu sehen. Der gesamte See inmitten der Berge gehörte uns, sogar ein kleiner Strand lag vor unseren Füßen. Ein Wahnsinnsgefühl! Auf einem grasbewachsenen Flecken etwa acht Meter von der Wasserlinie entfernt errichteten wir unsere zwei Zelte und bereiteten uns auf die vorletzte Nacht auf der Hardangervidda vor. Doch diese war noch weit entfernt. Es hatte jetzt gerade mal 15 Uhr, und so entspannten wir am See, bereiteten Wasser auf und überprüften Teile der Ausrüstung. Ich schrieb ein paar Notizen über die letzten Tage und schoss zahlreiche Fotos in alle möglichen Richtungen der um uns liegenden Berge. Die Ruhe war betörend und wurde einzig von dem einen oder anderen Blutsauger gestört. Zugegeben, die Mücken haben am Abend tierisch genervt, weil diese Viecher mit einem Millimeter so winzig klein sind und überall durchhuschen wo es nur geht. Als die Sonne in einem bildschönen Untergang hinter der westlichen Bergsilhouette verschwand sank die Temperatur rapide ab, so dass umgehend das dicke Fleece zum Einsatz kommen musste. Einer der Unterschiede zu Korsika, wo auch abends die Temperaturen einigermaßen gutmütig bleiben. Andererseits befanden wir uns hier in einem Gebiet, in dem Polarexpeditionen auf ihre Machbarkeit geprüft wurden. Das Abendbrot bestand abermals aus Pasta, diesmal mit Emmentaler Käsesoße, und zum Desert gab es einen Nussriegel. In der Ferne sahen wir Wanderer die Hütte beziehen, denn ein schwacher Schein drang aus einem der Fenster. Der See aber blieb frei von weiteren Gästen. Unsere beiden orangefarbenen Zelte bildeten die einzigen Zeichen menschlicher Zivilisation bei sternenklarem Himmel, und dieses Gefühl war eindrucksvoll.


      Kraxeleien, Räuberhöhlen und dunkle Wolken
      Samstag, 6. September | Litlos - Hellevassbu



      Erster Sonnenstrahl über dem Litlosvatnet.


      Eine ruhige Nacht ließ mich bis 6 Uhr 30 durchschlafen. Nebelschwaden beim Atmen machten ein Thermometer überflüssig. Auch in dieser Nacht hatte es sich stark abgekühlt. Schnell zog ich mich warm an, schob mir einen meiner letzten Haferriegel hinein und packte die Ausrüstung zusammen während die Morgendämmerung unaufhaltsam über das Land brach. Gegen 7 Uhr 30 war das alles erledigt, pünktlich zu Beginn des Sonnenaufgangs. Erste Strahlen erreichten das andere Ufer des Litlosvatnet und knipsten dem See das Licht an, welches sich glitzernd in unsere Richtung ausbreitete und uns schließlich erreichte. Zeitgleich begann ein Zacken des östlich gelegenen Bergmassivs zu funkeln, immer stärker und heller, bis ein Blick dahin nur mehr mit Sonnenbrille möglich war. Der Tag war da, es wurde warm. Nach diesem Bühnenstück setzten wir uns 7 Uhr 45 in Bewegung. Die letzten zwei Etappen der Nord-Süd-Route lagen vor uns, welche noch einmal deutlich länger sein sollten als die bisherigen. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen hatten wir am Vorabend überlegt auf die Ost-West-Variante umzusteigen und über Middalsbu heute und Røldal morgen die Tour an einem anderen Punkt zu beenden. Doch wir entschieden uns für die ursprüngliche Route nach Haukeliseter, die spürbar mehr Höhenmeter bereithalten würde, dafür weniger Sumpfgebiete. Mehrere große Flüsse gab es heute zu queren, die glücklicherweise aber mit vernünftigen Brücken versehen waren. Die ersten beiden entsprachen dem klassischen Stil norwegischer Gebirgsbrücken, frei nach dem KISS-Prinzip "Keep it simple, stupid". Ein Holzbalken, der mit etwas Glück sogar mittels Pflock am Boden fixiert war. Die dritte Brücke bestand aus einer einfachen, massiven Betonplatte, die wir 9 Uhr 30 hinter uns ließen.



      Vom Morgenlicht beschienener Bergkamm.


      An der vierten nutzte ich den günstigen Zugang zum Wasser und füllte meine zwei Nalgene-Flaschen. Auf die Behandlung des Wassers mit Micropur Forte (Chlor) habe ich von Beginn an verzichtet, das ist eher in Südeuropa von Bedeutung. Hin und wieder gab ich eine geschmacksneutrale Tablette mit Silberionen dazu, um das Wasser ein wenig zu veredeln und haltbar zu machen. Mehr ist meiner Meinung nach im skandinavischen Bergland nicht notwendig, sofern ein wenig auf umliegende Weidetiere geachtet wird. Das größere Problem ist die niedrige Wassertemperatur, bei der schnelles Durstlöschen nicht zu empfehlen ist. Zurück auf der Brücke setzten wir unseren Weg fort, der vor allem über Geröll und Felsplatten führte. Laut dem Rother Wanderführer sollte hinter Brücke Nummer vier eine Räuberhöhle nahe der Felswände sichtbar sein, die wir leider nicht finden konnten. Zu sehr zerklüftet die Landschaft. Oder war diese vielleicht von einem der Schneefelder bedeckt, die sich vereinzelt an manchen Nordhängen festbissen? In dieser Höhle soll im 16. Jahrhundert eine Räuberbande gehaust haben. Eine, die sich mit Überfällen auf Reisende einen Namen gemacht hat und die später von Knut Olson Freim erschossen wurde. Passend zur geheimnisvollen Stimmung fiel uns mit einem Mal auf, dass die Sonne gänzlich verschwunden und der Himmel vollständig bedeckt war. Nahte das Ende der Schönwetterfront?



      Verführerisch und unberechenbar zugleich: Ein Zelt wäre dem Wetter schutzlos ausgeliefert.


      Die Stimmung wechselte vom Geheimnisvollen ins Düstere. Der letzte Anstieg des Tages sollte uns auf eine Passhöhe bringen, von der wir in das Tal Buadalen absteigen können. Der Weg war jedoch kaum ersichtlich und beinhaltete viele kleine Kraxeleien über Gesteinsschutt in allen Variationen, so dass uns die Markierungen verloren gingen. Da standen wir nun inmitten eines Geröllhangs, der nun auf eigene Faust gequert werden musste. Da die grobe Marschrichtung bekannt und die Passhöhe halbwegs gut einsehbar war, entdeckten wir nach etwa 20 Minuten wieder eine der roten Markierungen, in 50 Meter Entfernung und leicht verwittert auf einem glatten Stein. Von hier aus sahen wir ein letztes Mal den Hårteigen, wie er hinter uns am Horizont als entfernte Bergkuppe schüchtern zwischen vielen anderen Gipfeln auftauchte und schlussendlich verschwand. Auch hier gab es noch viele Berglemminge, die links und rechts, tot oder lebendig den Weg zierten. Einmal mehr sprang einer von ihnen vor unsere Füße und nahm Kampfstellung ein bevor er quiekend davonzischte. Mit mehreren Anstiegen bis auf 1500 Meter fiel diese Etappe zunehmend anstrengend aus. Sechs Kilometer vor Hellevassbu war es dann endgültig vorbei mit der Gemütlichkeit als leichter Eisregen einsetzte und wir darauf das Tempo erhöhten bevor es richtig ungemütlich werden würde. Diese Entscheidung hat sich im Nachhinein als goldrichtig erwiesen, denn schon jetzt waren einzelne Passagen gefährlich rutschig geworden. Von einer Anhöhe aus erkannten wir im vor uns liegenden Tal ein großes dunkles Holzhaus, das sich am See Hellevatnet zusammen mit einer Handvoll lose verteilter Jagdhütten zur kleinen Siedlung Hellevassbu formiert. Das heutige Ziel war erreicht.



      Majestätisch: Eine Felswand aus der Nähe.


      Der Abstieg zur Hütte stellte sich wegen des stärker werdenden Regens als mühsam und beschwerlich heraus. Von der hervorragenden Weitsicht blieb nur noch ein grauer Schleier übrig, der Eins wurde mit dem See, und auch die Kleidung würde der Feuchtigkeit von außen nicht mehr lange standhalten. Nach gut fünf Stunden Gehzeit betraten wir am frühen Nachmittag die letzte Hütte des DNT auf unserer Tour. In der Wohnstube begegnete ich einer einheimischen Jägerin und Mitarbeiterin des DNT, die den Tresor mit den Einnahmen aus den Übernachtungen der letzten Woche leerte. Sie schenkte uns eine temperamentvolle Lehrstunde über das schnelle Feuermachen im Kamin und bereitete anschließend frische Pfannkuchen für ihre Kameraden aus der benachbarten Jagdhütte vor. Eine echte Wikingerbraut! Das Zischen von drei Bratpfannen gleichzeitig ließ nicht lange auf sich warten und hüllte das halbe Erdgeschoss in einer nach Fett riechenden Wolke ein. Wir bezogen daraufhin erst einmal unser Zimmer, denn noch war die Auswahl groß. Zurück im Wohnzimmer, das zwischenzeitlich mollig warm geworden war, erzählte ich ihr von unseren Erlebnissen und erwähnte die gesichteten Rentiere. Als ihre Augen immer größer wurden und sie nach dem genauen Ort fragte, wurde mir schlagartig klar, dass das wohl keine gute Idee war, jedenfalls nicht für die Rentiere. Ich stellte mich dumm und wechselte das Thema, fragte, wie wohl das Wetter werden würde. Schlechte Aussichten, war die kurze Antwort. Die bevorstehenden zwei Tage versprachen eine dicke Regenfront vom Nordatlantik. Einen Reservetag hatten wir eingeplant, nicht aber zwei. Diese Entscheidung sollte später gefällt werden. An der Fensterscheibe der dem Wetter zugewandten Seite floss das Wasser in Strömen ab, draußen schüttete es inzwischen wie aus Gießkannen. Glück gehabt, zumindest heute!



      Ein neues Haus, ein neuer Mensch: Als die Hütte neu bezogen und der Ofen noch lauwarm war.


      Im Laufe des Nachmittags sind zahlreiche weitere Wanderer eingetroffen, zum Beispiel ein lustiger alter Jägermeister mit Zottelbart und verrauchter Stimme, oder eine Ärztin aus Frankfurt (Main), die seit sieben Jahren glücklich in Norwegen lebte. Ein muskulöser Kerl, der unbedingt noch in den nur wenige Meter hinter dem Haus liegenden Hellevatnet springen wollte, sowie drei sportliche Mädels aus Kristiansand, die einen Wochenendausflug unternahmen. Die Wohnstube war am Abend voll! Nach dem Abendbrot, dass wieder einmal aus Pasta bestand, faulenzten wir gemeinsam mit der Ärztin auf der Couch, die überraschend eine Packung australischer Tim Tam Kekse hervorzauberte und mit uns teilte. Bei der fortschreitenden Unterhaltung interessierte mich vor allem, wie man hier als ausgewanderter Deutscher aufgenommen wird. Vieles, nicht alles sei besser, wer aber die Sprache spricht käme trotz norwegischer Zurückhaltung gut mit den Leuten ins Gespräch. Derweil war nun auch das Dachgeschoss von weiteren Naturfreunden bezogen und alle rückten ein wenig zusammen, was den Austausch untereinander weiter anregte und die Raumtemperatur auf knapp unter 30 Grad Celsius anhob. Die Nähe zu Haukeli, wie Haukeliseter von den Einheimischen liebevoll genannt wurde, und die Tatsache, dass heute Samstag war, sorgte für die hohe Anzahl an Gästen. Wenn etwas die Norweger eint, dann ist es ihre Hingabe zur Natur. Was für ein gemütlicher Abend, während draußen das Unwetter tobte! Doch auch dieser neigte sich langsam dem Ende. Unser Plan lautete möglichst früh am nächsten Morgen aufzubrechen und die Etappe zügig zu laufen, egal bei welchem Wetter. Von Haukeliseter könnten wir mit dem Bus direkt nach Oslo fahren, Abfahrt am späten Nachmittag oder nach Mitternacht. Diese Gedanken drückten mir ein bisschen auf die Stimmung, bedeuteten sie doch, dass unsere Tour so gut wie rum war. Daher ließ ich den Abend noch bis 23 Uhr ausklingen bevor auch ich mich ins Bett machte.


      Augen zu und durch
      Sonntag, 7. September | Hellevassbu - Haukeliseter


      Knarzende Balken aus den Wänden, periodisch ans Fenster prasselnde Regenschwälle, in mehreren Oktaven pfeifende Windböen... bereits 1 Uhr 30 war ich wieder munter, und diesmal nicht von schnarchenden Mitstreitern sondern von dem, was sich vor dem Haus abspielte. Meine Neugier ließ mich aus dem Zimmer in den Flur bis zur Eingangstür schleichen. Sie polterte nach jedem Windstoß, der ihr in die Ritzen fuhr. Ich öffnete sie und spurtete bis hinüber zum Schuppen für einen kurzen Boxenstopp. Es war stockduster, also band ich meine Stirnlampe um und aktivierte die niedrigste Helligkeitsstufe. Am liebsten wäre ich noch einmal zum See spaziert, hätte mehr von der nächtlichen Atmosphäre auf der Hardangervidda eingesogen, allerdings müsste ich dann durchnässt weiterschlafen und das war keine Option. Zurück im Bett schlief ich rasch wieder ein, was mit dieser trauten Geräuschkulisse kaum schwer fiel.


      Pünktlich 7 Uhr machte sich der Wecker bemerkbar. Sturm und Regen waren nur wenig schwächer als am Vorabend, die Böen weniger kräftig. Tolle Aussichten, toller Plan, dachte ich und drehte mich ein weiteres Mal im Schlafsack um. Zeit hatten wir genug bis zur Abfahrt des Busses. Gegen 7 Uhr 30 stiegen wir aus dem Bett. Der alte Jägermeister war schon längst auf den Beinen und wollte gerade frisches Wasser aus dem See holen, so dass ich ihm ein wenig beim Tragen half. Zurück im Haus hörte ich jetzt auch aus den übrigen Räumen erste verhaltene Laute. Unser Jägermeister verabschiedete sich indessen als Erster von allen und brach auf. Nicht mehr lange und wir würden ihm folgen. Vorher bereitete ich uns aber einen heißen Tee zu, um den Tag wenigstens warm zu beginnen. Das Frühstück bestand hingegen wiederholt einseitig aus einem Haferriegel und ein paar Keksen. Kurz darauf haben wir alles wasserdicht verstaut bevor auch wir uns so wasserdicht wie möglich einpackten. Dazu gehörten heute definitiv die Gamaschen und entsprechend griffbereite Überhosen. Die Gruppe aus Kristiansand machte sich ebenso startklar, und so gab es im Flur ein einziges Gemenge aus Armen, Beinen, Rucksäcken, Schuhen, noch schnell gefüllten Trinkflaschen und Trekkingstöcken. Marcel fand zuerst den Weg zur Tür und kurz darauf stieß ich zu ihm. Die Zeit war gekommen, 8 Uhr 45 verabschiedeten wir uns von allen anderen und setzten uns in Bewegung. Nicht alle waren bereits aufgestanden, manche legten einen Ruhetag zum Abwettern ein. Ob das vielleicht die bessere Strategie gewesen wäre? Es schüttete weiterhin kräftig vor sich hin, und jetzt waren wir mittendrin.



      Am Horizont breitet sich der See Hellevatnet aus.


      Gleich nach der Unterkunft, keine 100 Meter entfernt, musste der erste Bach überquert werden, was dank mehrerer Trittsteine und einem beherzten Sprung kein Problem darstellte. Aber dabei sollte es bei weitem nicht bleiben. Hinter mir sah ich im Trüben die drei Norwegerinnen aus der Hütte treten und sich verabschieden, ebenfalls vollständig in farbige Regenkleidung gepackt. Moosbewachsene Pfade wechselten sich mit steilen, zickzackförmigen Geröllpassagen ab. In den Senken warteten zahlreiche Flussquerungen verschiedenster Ausmaße. Dafür griffen die Winde hier weniger fest nach uns als auf den Anhöhen, und von diesen hatte die letzte Etappe vier nennenswerte zu bieten. Was uns dabei den gesamten Tag erhalten blieb war der beständige Regen, der in den höheren Lagen gefährlich nahe an einen Eisregen heranreichte. Keine zwei Stunden hat es gedauert bis ich erste von außen eindringende Nässe in den Schuhen spürte, und keine weitere Stunde bis der Wassereinbruch störend wurde. Wasser von oben, Wasser von unten, von der Seite, hin und wieder landete ein Tritt in einer tieferen Pfütze. Ich schwamm in meinen eigenen Schuhen, und dieses quietschende Geräusch hörte und fühlte man mit jedem weiteren Schritt, dabei hatten wir noch nicht einmal die Hälfte der Strecke überwunden. Um nicht abzukühlen verzichteten wir gänzlich auf größere Pausen. Es war aber auch nicht besonders verlockend bei diesem Wetter länger als nötig irgendwo auszuharren. Einzig ein paar kurze Momente für einen Schluck aus der Wasserflasche oder einen Riegel gönnten wir uns.



      Da kommt noch was: Weiß gescheckte Berglandschaft als Kontrast zum trüben Regenwetter.


      Laut Karte hätte westlich unserer gegenwärtigen Position der höchste Gebirgskamm des Nationalparks, Sandfloeggi (1721 m), sichtbar werden müssen. Wir sahen Felswände, Altschneefelder und gelegentlich einen Zacken in das nebelverhangene Grau des Himmels ragen, mehr war leider nicht drin. Wen wir aber sahen war der Jägermeister mit dem Zottelbart, der sich taff gegen den Wind einen Berg hinaufkämpfte. Es war etwa 12 Uhr 30 als wir auf seine Höhe kamen. Wenige knappe, das Getöse übertönende Worte, ob denn alles in Ordnung sei, wurden mit einem spitzbübischen Grinsen beantwortet. Der Gute war in seinem Element. Oben angekommen verschnauften wir drei Minuten, die zweite große Steigung war geschafft. Und weiter. Die vielen Schneefelder links und rechts ließen es mich schon vermuten. Da kommt noch was! Kaum hatte ich diesen Gedanken realisiert entdeckten wir in der Ferne einen sehr großen, komplett vereisten Hang. Langes Rätselraten, ob es da wohl wirklich hinauf gänge war nicht erforderlich. Trotz fehlender Markierungen zeugten festgefrorene, in den Schnee geschlagene Fußstapfen vom unverwechselbar richtigen Weg. Auf halber Höhe nahm die Steilheit zu und ich wünschte mir Steigeisen anstelle meiner Stöcke. Hier den Halt zu verlieren würde eine längere Rutschpartie nach sich ziehen. Im Winter muss das die reine Eiszeit sein, und mir wurde mit einem Mal klar, weshalb gerade hier die Dreharbeiten von Star Wars für den Eisplaneten Hoth stattfanden. Fast eine Stunde hat es gedauert bis wir die Passhöhe erreichten und das definitiv eindrucksvollste Schneefeld auf unserer Tour bezwangen. Damit war der dritte nennenswerte Anstieg bewältigt. Was konnte jetzt noch kommen?



      Passhöhe erreicht: Jetzt liegt das eindrucksvollste Schneefeld auf unserer Tour hinter uns.


      Furten! Insgesamt hatten wir bis dahin cirka vier größere Furten zu bestehen. Der nun vor uns rauschende Fluss war der größte seit der Aktion am Hardangerjøkulen. Marcel lief links und ich versuchte rechts den Fluss entlang nach einer geeigneten Stelle zum Furten zu suchen. Optimal war sie mit rund 15 Meter Breite nicht, aber die bevorzugte Stelle hatte zumindest einige herausragende Steine und hier und da weniger tiefe Abschnitte im Flussbett. Einen Moment überlegte ich die Schuhe auszuziehen, aber das wäre verlorene Liebesmüh', denn sie waren bereits völlig durch. Zu Beginn bemühte ich mich von Stein zu Stein zu springen und nicht zu tief mit den Schuhen im Wasser einzutauchen, doch nach wenigen Metern und einem versehentlichen Fehltritt mit Tauchgang war klar, dass Theorie und Praxis nicht das Gleiche waren. Die glitschige Oberfläche des Gesteins tat ihr Übriges. Marcel erging es nicht anders, und so sind wir die letzten Meter einfach durch das Wasser gestapft. Sollte es vor dieser Aktion noch eine trockene Stelle an mir gegeben haben, so war diese spätestens jetzt futsch. Das war inzwischen aber nebensächlich, denn das Gröbste hatten wir geschafft, knapp acht Kilometer brauchte es noch bis Haukeli. Der letzte Anstieg markierte ebenso den Übergang in einen von starker Vegetation getriebenen Abschnitt, dem grünen Puffer der Hardangervidda. Eine Mischung aus wildem Gestrüpp und feuchten Wiesen auf welligem Lehmboden, über das der schmale Pfad sich schlängelte. Wir begegneten einem Vater mit seinem Sohn, der ein Jagdgewehr schulterte und etwas enttäuscht dreinblickte - waren wohl nicht erfolgreich gewesen. Von hier oben blickten wir erstmals auf den Ståvatn, einem großen See in der norwegischen Provinz Telemark, an dessen Ufer Haukeliseter lag. Doch bis dahin mussten noch 150 Höhenmeter auf einem recht steilen und vom Regen aufgeweichten Hang abgestiegen werden. Und es regnete natürlich weiterhin überaus kräftig daher, was dazu führte, dass sich überall kleine Bäche bildeten, die ihren Weg ins Tal suchten. Nach einigen Rutschaktionen entschied ich mich genau in der Mitte dieser Bäche zu laufen, was weniger Rutschereien verursachte. Das kühle Nass war nach wenigen Metern am Fuß zu spüren nachdem es sich mit dem vom Wandern erwärmten Wasser im Schuh vermischte. Egal, die drei Gebäude, aus denen Haukeliseter bestand, waren die ganze Zeit beim Abstieg zu sehen und rückten näher und näher. Ein paar Dutzend Höhenmeter später erreichten wir das Ende des Hangs, direkt vor der einzigen Straße weit und breit, der E-134, auch Haukelivegen genannt. Wir waren am Ziel! Nach dem obligatorischen Handschlag schauten wir an uns herunter und mussten lachen. Komplett durch und mit Dreck und Schlamm behaftet. Hoffentlich waren die Wechselklamotten noch trocken! Es war 15 Uhr 45.



      Blick auf den Ståvatn (See) und der nach Haukeliseter (rechts) führende Haukelivegen (E-134).


      Wir fanden ein Halteschild für den Bus. Dahinter befand sich ein Restaurant mit einem kleinen Hotel nebenan. Und neben uns sahen wir eine Art Wohngebäude, oder modernes Lager, verziert mit Rohrleitungen und technischen Geräten. Der Heizungsraum? Wir brauchten einen Ort zum Umziehen bevor wir in das Restaurant marschieren könnten, denn es wirkte kultiviert, mit normalen Gästen. Ich fragte eine Frau, die hier ansässig zu sein schien, und bekam die Information, dass das Lagergebäude frei zugänglich sei. Was wir drinnen vorfanden löste ungeahnte Glücksgefühle aus. Eine Dusche! Preis: 10 Kronen, die gerade so jeder bei sich trug. Der Trockenraum war gut beheizt und reichte gerade aus um unsere nassen Klamotten und Ausrüstungsteile auszulegen. Ich ließ mir alle Zeit der Welt. Die heiße Dusche fühlte sich so befreiend an wie noch nie zuvor eine Dusche. Hände und Füße waren aufgequollen von den sieben Stunden im Regen. Die Norweger wissen worauf es nach einer Mehrtagestour ankommt.



      Warteraum mit Kamin: Der Holzstapel weist erste Lücken auf, dafür ist uns jetzt warm.


      Wieder in halbwegs sauberer und trockener Kleidung schnappten wir unsere Wertsachen und liefen hinüber ins Restaurant. Es war Zeit für ein ausgiebiges Abendbrot, sehr viel Zeit, denn der Nachtbus zurück nach Oslo würde erst 1 Uhr 20 fahren. Marcel gönnte sich einen ordentlichen Fjell-Burger und ich mir den Rentiergulasch mit Kartoffelbrei. Göttlich. Dazu ein Bier um auf den erfolgreichen Abschluss unserer Tour anzustoßen. Zugegeben, der Preis war heiß. Umgerechnet 10 Euro habe ich selbst in der Schweiz noch nie für ein Halbes bezahlt, und das war günstig im Vergleich zu Oslo. Während wir aßen sah ich gegen 16 Uhr 45 die Mädels aus Kristiansand das Lokal betreten. Jetzt waren wir zumindest nicht mehr die einzigen Auffälligen hier, wenn auch ihr Bus deutlich früher abfuhr. Als ich zur Bestätigung der richtigen Abfahrtszeit das Personal fragte wurde uns angeboten die Zeit bis dahin im Nebenraum verbringen zu dürfen. Das war super, denn dieser entsprach in Gemütlichkeit der Wohnstube einer DNT-Hütte. Eine lederne Couch mit niedrigem Stelltisch, an der Wand ein paar norwegische Ski, aufgehängte Tierfelle und ein eingebauter Kamin mit fertig gespaltenem Scheitholz. Hier würden wir gern acht Stunden auf den Bus warten. Mir fiel positiv auf, wie viel Vertrauen einem die Einheimischen entgegen brachten, denn ab 21 Uhr war von der Belegschaft niemand mehr da. Der Raum wurde uns und zwei weiteren, die auf den Bus warteten, frei überlassen. Kurz vor Thekenschluss gab es ein zweites Bier und danach haben wir uns auf der Couch ausgebreitet. Im Kamin hatten wir bereits achtmal Holz nachgelegt. Inzwischen war es mit 30 Grad fast schon heiß geworden, der Holzstapel dafür nur noch halb so groß. Das Feuer heizte dermaßen ein, dass wir uns die kalten Stunden auf der Vidda kaum mehr vorstellen konnten. Zeitung lesen, Reste vernaschen, Fotos anschauen... irgendwann nach 22 Uhr bin ich weggenickt.


      Ende gut, alles gut
      Montag, 8. September und Abreise | Haukeliseter - Oslo - Freiburg



      Sightseeing: Zweimaster im Yachthafen von Oslo.


      Richtiger Schlaf war anders. Um 0 Uhr 30 klingelte der Wecker und kündigte die Abreise an. Ich warf mir meine Regenjacke über, die nach sieben Stunden vor dem Ofen staubtrocken war, und lief raus über die Straße ins Nachbarhaus und den Trockenraum. Wir mussten unsere dort aufgehängten Klamotten zusammenpacken, die leider noch immer nass waren. Draußen schüttete es weiterhin ohne Unterbrechung. Nein, der Regen hatte sogar zugenommen! Zehn nach eins begaben wir uns hinaus, eingeengt unter dem schmalen Vordach, damit uns der Bus auch nicht verfehlt. Keine zwei Minuten nach regulärem Fahrplan bog ein Reisebus von der E-134 ab und sammelte uns ein. Es folgte eine lange Fahrt mit mehreren Fahrerwechseln und Anschlussaufenthalten, verspannten Halswirbeln, ans Fenster prasselnde Regenschwälle, bis wir 7 Uhr 30 völlig übermüdet Oslo Sentralstasjon erreichten. Ich stieg in meine noch immer nassen Wanderschuhe, die mich weiter über den gesamten Tag begleiten sollten, und verließ den Bus. Was für ein Kontrast. Vom norwegischen Fjell in die Metropole. Hupende Autos im Morgenverkehr während sich die Dämmerung im fortgeschrittenen Stadium befand. Der erste Weg führte uns erneut zum Anker Hostel, in dem wir die letzte Nacht bis zum Rückflug nach Deutschland verbringen würden, doch die Zimmer standen erst ab 15 Uhr zur Verfügung. Also Sightseeing! In den restlichen sieben Stunden schauten wir uns das Zentrum von Oslo an, vor allem die Hafenpromenade, das bizarre Opernhaus sowie die Festung Akershus mit dem königlichen Schloss, auf dessen Rasen gerade der Militärmusikdienst probte. Die Sonne strahlte als wäre sie nie weg gewesen, doch auf den Straßen und im Park erkannte man, dass auch hier ordentlich Wasser heruntergekommen war. Aus dem Deli de Luca heraus beobachtete ich bei einem Stück Himbeer-Käsekuchen das Geschehen. Die neueste Mode der Osloer Frauen schienen alte graue Gummistiefel zu sein, kombiniert mit stylischen Einzelteilen der gehobenen Art. Eine herrlich nordische Mischung. Bevor uns dann endgültig die Augen zufielen sind wir zurück ins Hostel und schlossen mit dem Tag frühzeitig ab.


      Der Abreisetag verlief problemlos. Mit dem Expresszug sind wir wieder bis Oslo-Gardermoen gefahren und mit Lufthansa zurück nach Frankfurt geflogen. Eine gute Woche Trekking war zu Ende. Eigentlich keine lange Zeit, dennoch war die Querung der Hardangervidda ein recht intensives Erlebnis. Wo würde es das nächste Jahr hingehen? Noch einmal nach Norwegen? Ideen findet man in diesem Land genügend. Jotunheimen als das Gebirge mit den höchsten Bergen Skandinaviens? Oder der Rondane-Nationalpark? Die Inselgruppe der Lofoten? Oder gleich bis an das Nordkap? Es gibt 47 Nationalparks im ganzen Land und daher noch viel zu entdecken in der letzten Wildnis Europas.



      Empfehlung: Die Hardangervidda ist nicht zu anspruchsvoll, gut markiert und landschaftlich wirklich schön.
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      • Annichristine
        Gerne im Forum
        • 16.05.2017
        • 88
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

        Habe gerade diesen schönen Reisebericht als Abendlektüre gelesen. Wir sind im vergangenen Jahr auch von Nord nach Süd durch die Hardangervidda gelaufen mit einigen Abstechern, da wir mehr Zeit hatten. Das war eine wunderbare Tour- die Landschaft einfach großartig. Haben teils gezeltet, teils in Hütten übernachtet. Da wir Anfang Juli unterwegs waren gab's noch viele Schneefelder mit aufgeweichten Schnee zu queren, das war anstrengend. In Hedlo landete gerade der Heli mit Proviant und Material wir haben beim reintragen geholfen und dafür 2 Büchsen Bier bekommen, das einzige Bier was wir in der ganzen Zeit getrunken haben, die Preise für Alkoholisches sind schon saftig. Hardangervidda werden wir sicher noch mal später als Ziel wählen, auch weil die Anreise recht problemlos ist und verhältnismäßig wenig Wanderer dort unterwegs sind. Wir haben auch mal 1 Tag gar keinen getroffen.
        Danke für den Reisebericht
        Annichristine

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        • Voronwe
          Erfahren
          • 03.04.2008
          • 440
          • Privat

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          #5
          AW: [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

          Auch von mir danke für den schönen Bericht, denn ich mir gestern in Ruhe zu Gemüte führen konnte.

          Eine Frage hätte ich noch zu den Hütten: Du schreibst, Ihr hättet auf die DNT-Mitgliedschaft verzichtet, weil die Hütten eh offen wären.
          Kann man sich darauf verlassen? So wie ich es bei ut.no sehe, braucht man den Schlüssel, wenn nicht jemand schon vor einem da ist.
          "We aren't lost! We only don't know where we are!" - Cartman

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          • Supertramp82
            Anfänger im Forum
            • 28.01.2015
            • 22
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            #6
            AW: [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

            @Annichristine: Die Hardangervidda werde ich sicher früher oder später auch noch einmal besuchen. Gibt ja noch mehr Touren dort. West-Ost-Querung, Gletschertour... wenig Leute, sicher, im Dovrefjell waren es glaub ich noch weniger. Bin gespannt wie es in Rondane sein wird...

            @Voronwe: Zumindest auf der Hardangervidda waren alle Hütten im Zeitraum bis 8.9. offen. Wir haben in jede reingeschaut die auf dem Weg lag, wenn auch nicht jede für die Nacht genutzt, teils waren wir die ersten. In anderen Gebieten Norwegens würde ich aber erneut recherchieren, ob es einer Mitgliedschaft bedarf... ist sicher im Winter auch wieder anders.
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            • danobaja
              Alter Hase
              • 27.02.2016
              • 3287
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              #7
              AW: [NO] Die Nord-Süd-Querung der Hardangervidda

              !
              vielen dank für den bericht! liest sich richtig schön.
              danobaja
              __________________
              resist much, obey little!

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