[IS] Kjalvegur 1992

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  • Dieter

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    [IS] Kjalvegur 1992

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Vorvorwort

    Über 30 Jahre, war ich jedes Jahr, manchmal auch mehrfach in Island. Zu Fuß, mit Ski, über das Hochland, über die Gletscher, Fjorde, Heiden und Wüsten. Immer allein, bis auf eine Ausnahme. Inzwischen habe ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht – zumindest den Sommer über - in dem ich als Reiseleiter auf meiner Trauminsel arbeite. Irgendwann muss man kürzer treten. Die Zeit der langen Trekkingtouren ist vorbei.

    1992 plante ich meine erste Hochlandüberquerung zu Fuß. Meine erste mehrtägige Trekkingtour überhaupt. Alle Informationen auch Karten mussten auf Papier beschafft werden, so es überhaupt welche gab. Ich fand einen Wanderführer mit Tagestouren meist entlang der Ringstraße. Die detailliertesten Karten für das Hochland im Maßstab 1:100.000 basierten auf Aufnahmen aus den Dreißiger Jahren. Immerhin waren darin auch die alten Reitwege noch verzeichnet. GPS war außerhalb des Militärs teuer und exotisch. Internet als Informationsplattform gab es auch noch nicht und mein PC, auf dem ich den folgenden Reisebericht eingetippt habe, hatte ein Festplatte mit sagenhaften 20 MB Speicherplatz. Fotos natürlich analog auf Diafilm.

    Seit meinem ersten Islandaufenthalt hat sich die Anzahl der Touristen mehr als verzwanzigfacht! Straßen und Pisten sind ausgebaut worden. Besucherzentren mit Restaurants, Cafés, Andenkenshops und Woll- und Outdoorläden sind entstanden wo früher nur an einem Tapeziertisch unter einem festgezurrtem Sonnenschirm, Kaffee aus einer Pumpkanne ausgeschenkt wurde (Gullfoss). Am Geysir gab es an der Tankstelle nur fünf Resopaltische und ein Münztelefon – heute drei Restaurants und eine Driver&Guide-Lounge. Die Parkplätze sind riesig geworden und doch zu klein. Soll man den alten Zeiten nachjammern? Die Natur Islands und das Erlebnis haben sich nicht geändert.

    Der Text ist aus einem mit Texten versehenen Fotoalbum gescannt und mit OCR digitalisiert worden.
    Nachträgliche Ergänzungen, Erläuterungen und Kommentare sind kursiv gesetzt.
    Die Fotos sind direkte Scans von den Originaldias oder von Scans von Positivabzügen.


    Kjalvegur 1992

    Vorwort
    Zweimal fuhr ich schon mit Hans von Reykjavik die Kjölurpiste, oder auf isländisch auf den Kjalvegur, über das Hochland nach Norden.

    Mein Studienfreund Hans war damals mit den abschließenden Untersuchungen zu seiner Doktorarbeit zur Klimageschichte Nordislands beschäftigt und ich half ihm, gegen Kost und Logis, bei seinen Feldarbeiten. Hans blieb fachlich Island treu und leitet noch heute als Professor für Geographie mit seinen Studenten regelmäßig Exkursionen und Forschungsprojekte in Island.

    Beide Male starteten wir mit seinem Geländewagen gegen 17 Uhr in Reykjavik und fuhren noch am gleichen Abend mit touristischen Stopps in Þingvellir, am Geysir und am Gullfoss bis gegen Mitternacht zum Hvitávatn. Dort schliefen wir dann im Auto, oder zelteten und fuhren dann am nächsten Tag mit einem Abstecher zum Kerlingarfjöll und einer Badepause an den heißen Quellen von Hveravellir über das Hochland bis hinab ins Blandatal. Der Zufall wollte es, dass wir nicht nur den gleichen Zeitplan, sondern auch beide Male das gleiche graue, windige Wetter hatten. Die Eindrücke der beiden Fahrten haben sich in der Erinnerung teilweise vermischt. Doch zusammen mit der dritten Fahrt über das Hochland, diesmal Von Akureyri nach Süden über den Sprengisandur, blieb mir ein faszinierendes Bild dieser Landschaft von einer Ursprünglichkeit und Weite, wie sie in Mitteleuropa nicht mehr zu finden ist. Aber so stark der Eindruck auch war, es war wie wenn man nur durch den Spalt einer Tür auf das Hochland geschaut zu hätte, dass alle Eindrücke dieser Fahrten nur eine Ahnung davon vermitteln können, was das Hochland sein kann. Bei jeder Fahrt waren wir unter Zeitdruck, und immer bedauerten wir dies: irgendwann müsste man sich eigentlich mal mehr Zeit für das Hochland nehmen! Hans empfand genau wie ich, dass das Auto als Reisemittel dieser Landschaft und ihrem Charakter nicht gerecht wird. Man sollte einmal über das Hochland reiten! Aber das hieße sich wohl einer organisierten Gruppe anschließen und das kam nicht in Frage. Oder zu Fuß? Auch das wurde erwogen “ … man sollte eigentlich mal ...".

    Im März 1992 hatte ich beim Rückflug von Akureyri nach Reykjavik einen herrlich klaren Blick auf das verschneite Hochland. Trotz des Schnees war die Piste als sich oft verlierende, linienhafte Struktur im Weiß zu erkennen. Nicht befahrbar von Oktober bis Juni - vollkommene Einsamkeit.


    Kjalvegur im Winter

    Das Bild blieb haften. Das Photo dazu war dann wenige Wochen später wieder ein Anlass für "...man sollte einmal...". Aber diesmal hatte sich die Idee festgefressen und überschlagsmäßig schätzte ich mit Hans die Wegstrecke ab und irgendwie schien es machbar. Noch eher theoretisch ging ich daran auf einer Landkarte einmal auszumessen wie viele Tagesetappen man wohl brauchen würde, und wie diese zu legen seien. Die Frage nach dem Startpunkt bereitete Probleme. Reykjavik wäre ein möglicher Ausgangspunkt gewesen, aber wo dort beginnen, und bis zum unverzichtbaren Etappenpunkt Þingvellir drohten als Auftakt 40 km Teerstraße, für einen Tag zu viel, und für zwei Tage, so schien es mir wenigstens, zu wenig. Ein Start in Þingvellir selbst schien günstiger. Erstens würde die Strecke damit am historischen und kulturellen Mittelpunkt Islands beginnen und zweitens wäre man nur zwei Tagesetappen vom eigentlichen Hochland entfernt. Weit genug, um sich vorher etwas einzugehen, aber auch schon nah genug um nicht schon im Prolog zu viel Kraft zu verbrauchen. Vor allem aber der Gedanke der historisch stimmigen Route zu folgen, hatte seinen Reiz. Das Ganze erschien immer machbarer, warum sollte man es dann nicht auch versuchen! Hans hatte für diesen Sommer keine Zeit und ich wollte die Idee nicht anbrennen lassen. So fiel dann der Entschluss mit der wesentlichen Ergänzung "...wenn, dann aber allein". Hans stellte mir die nötigen Karten zur Verfügung und machte mich dabei auch auf die Route über den alten Reitweg von Hveravellir nach Skagafjörður aufmerksam.

    Zusammen mit dem Seitenweg vom Hvítávatn nach Hveravellir ergab sich eine 'logische' Routenführung, welche auch landschaftlich reizvoller war, als wenn man nur immer der Piste nach Norden folgen würde. Etwa 230 km in neun Tagesetappen von Þingvellir bis Mælifell im Skagafjörður. Die ersten zweieinhalb Tage über isländische Landstraßen durch bewohntes Gebiet , anschließend eineinhalb Tage auf der Hochlandpiste und dann zwei Tage auf einem Wander- bzw. Reitweg nahe dem Langjökull nach Hveravellir und schließlich drei Tage auf dem alten Weg östlich des Kjalvegur nach Mælifell.


    die Route

    Im Juni und Juli des Sommers verbrachte ich einen guten Teil meiner Freizeit damit, meine Ausrüstung zusammenzustellen und mich auch körperlich für die Tour etwas fit zu machen. Es war dennoch ein deprimierendes Erlebnis, als ich zum ersten Mal versuchte, den neuen Rucksack mitsamt der als unbedingt nötig betrachteten Ausrüstung, einschließlich Verpflegung für vierzehn Tage und zwei Liter Trinkwasser, auf die Schultern zu bekommen. Ich überprüfte die Ausrüstung noch einmal auf Verzichtbares oder unnötig schwere Gegenstände, aber es war nichts zu machen, die Waage zeigte 28 Kilogramm an. Es war der einzige Moment vor oder während der Reise, der mich ernstlich an der Unternehmung zweifeln ließ! Frustriert machte ich daraufhin sofort zu einem nächtlichen 'Gepäckmarsch' um den Steinsee (Toteissee in der Endmoränenlandschaft südöstlich von München) auf. Das Ergebnis dieses Tests war etwas ermutigender, wenngleich auch sicher nicht allzu aussagekräftig - aber ich fasste wieder Hoffnung.
    Zuletzt geändert von Dieter; 24.10.2018, 13:01.

  • Voronwe
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    #2
    AW: [IS] Kjalvegur 1992

    Das klingt spannend, da bin ich mal gespannt.

    Und was die Informationsbeschaffung in vor-Internet-Zeiten angeht, das kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie schwierig das teilweise war.
    Ich hab mal angefangen, meine Interrail-Reisen in Norwegen in den 90ern zu dokumentieren und ich habe manchmal überlegt, wie ich an die Infos rangekommen bin (Touristeninfos anschreiben, hat damals alles ordentlich Porto gekostet).
    Und Reservierungen: Internationalen Antwortschein beilegen.

    Aber man ist halt doch losgezogen und hat ja auch alles irgentwie geklappt und man hatte nicht von fast jedem Ort schon zig Fotos gesehen.

    Ich warte mit Spannung darauf, daß es weitergeht.
    "We aren't lost! We only don't know where we are!" - Cartman

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    • Dieter

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      #3
      AW: [IS] Kjalvegur 1992

      Sonntag, 26. Juli 1992
      (Þingvellir – Laugarvatn, 26 km)

      Nachtflug von München nach Kevlavík. Während des Fluges wird, obwohl Mitternacht, der nördliche Horizont immer heller und das Dunkel weicht einer lila, bläulichen Dämmerung. Dichte Wolkenfelder über dem Atlantik. Versuche in der freien letzten Sitzreihe ein wenig zu dösen. Dann erster Blick auf Island. Durch einen Föhnlücke sind zwischen den Wolken Mýrdalsjökull und Eyjafjallajökull erkennbar. Nach der Landung gegen 1:00 Uhr Früh Geld gewechselt und Gepäck umgepackt. In der Ankunftshalle zähle ich um die 30 Mountainbikes die zusammenmontiert werden. Ich suche mir eine Sitzgruppe, um bis 6 Uhr noch so viel Schlaf wie möglich nachzuholen - mit mangelhaftem Erfolg. Mit dem ersten Bus dann in knapp einer Stunde nach Reykjavík. Das Wetter klart nach Regen in der Nacht zunehmend auf. Die Sicht reichte nach Norden bis zum Snæfellsjökull. Bisher hielt ich es eher für ein Gerücht, dass in Reykjavik einmal so gutes Wetter herrschen könnte, dass man diesen Vulkan auf der anderen Seite der Faxaflói Bucht sehen könnte.


      Flughafen Keflavík in der Morgendämmerung

      Am Busbahnhof dann meine Reisetasche einem Busfahrer übergeben und nach Dalvík voraus geschickt. (diese Art von Service war damals noch selbstverständlich) Die von Lene organisierte Kartuschen für meinen Gaskocher lagen für mich am Kartenschalter bereit. Danke Lene! (Lene und Óskar lebten damals zusammen auf dem Bauernhof Dæli im Skiðadalur) ich gewusst, dass ich an der Tankstelle direkt gegenüber welche hätte kaufen können - es wäre sicherlich viel einfacher gewesen. Dennoch ärgerliche Überraschung, denn der Bus nach Þingvellir fährt erst um 14 Uhr. Sechs Stunden lustloses Warten im Busbahnhof. Ich habe Kopfschmerzen und fühle mich zerschlagen und fiebrig. Nicht einmal das schöne, sonnige Wetter kann mich aus meinem Tiefpunkt herauslocken. Dann endlich mit dem Bus die 40 km nach Þingvellir. Wieder einmal vorbei am Hof Laxness und der kleinen, gepflegten weißen Villa Gljúfrasteinn. Der alte Mann (Halldór Laxness) dort lebt noch, aber schreibt nun nicht mehr.


      Alles, frisch und neu

      Þingvellir 15:00 Uhr. Das Startbild machen mir zwei Franzosen, die mit im Bus saßen. Meine physische Verfassung war im Bus denkbar schlecht. Zweifel ob ich nicht erst einen Ruhetag einlegen sollte. Entscheide mich dagegen, das Bedürfnis, mich an der frischen Luft zu bewegen und endlich, nach der langen Vorbereitung und Planung, den Anfang zu machen können, ist stärker. Ich nehme gleich die schmale Straße am Þingvallavatn entlang. Ich gehe mit immer besser werdender Laune - überall freundliche Leute in sonntäglicher Ausflugsstimmung beim Angeln, Picknick und Schachspielen (!). Das Wetter ist etwas bewölkt aber föhnig warm. Nur ab und zu fallen ein paar Tropfen. Fühle mich von Viertelstunde zu Viertelstunde besser und leistungsfähiger. Es kommt mir wie ein kleines Wunder vor, aber der Druck und die Anspannung verfliegen. Am See üppige Vegetation mit vielen Blumen. An einer Stelle, direkt am flachen Ufer, entspringen mehrere starke, unter dem Wasserspiegel liegende Quellen. Ich trinke direkt aus dem See, versäume aber, meine Trinkflasche aufzufüllen. Der Rucksack trägt sich besser als erwartet und ich hoffe inständigst, dass das auch so bleibt! Nach dem See folgt der Anstieg zum Pass hinüber zum Laugarvatn. Der Weg ist flach aber zieht sich über 2 Stunden und will schier kein Ende nehmen. Auf der Höhe ist es empfindlich kühl und ich mache eine kurze Pause etwas abseits der Straße. Könnte mich beim Gedanken an die Quellen am See ohrfeigen - aber die Wasserflasche ist und bleibt leer. Der Abstieg ist teilweise steil und sehr staubig, leider auch windgeschützt und so knirschen mir nach jedem vorbeifahrendem Auto für einige Minuten die Zähne.


      Regenbogen über der Laugarvatnsheiði

      Nach diesem kleinen Vorgeschmack auf das Hochland ist die Hochebene an der Laugarvatnhellir geradezu idyllisch. Ein Regenbogen über den grasenden Pferden. Endlich ein Bach mit klarem Wasser! Pause und erste Pflege der brennenden Fußsohlen. Dann geht es besser, aber müde weiter. Abstieg zum Laugarvatn wird bei starken Fußschmerzen jedoch ein Schlauch. Es rächt sich, dass ich beim Start in Þingvellir die Schuhe nicht noch einmal neu und fester gebunden habe. Bei jedem Schritt bergab schiebt es meine Zehen nach vorne in den Schuh. Alle Müdigkeit der letzten 48 Stunden hat mich jetzt eingeholt und ich quäle mich zu den ersten Häusern am Laugarvatn hinunter. Dort endlich angekommen vermeide ich auf der geteerten Straße zu gehen, um im Gras des Straßenrandes weicher auftreten zu können. Bei Ankunft am Campingplatz Zelt aufgebaut, geduscht, in der Cafeteria eine Dose Pripps Leichtbier geholt und ab in den Schlafsack, kein Abendessen, da zu erschöpft.

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      • Fritsche
        Alter Hase
        • 14.03.2005
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        #4
        AW: [IS] Kjalvegur 1992

        Super. Bin schon auf die Fortsetzung gespannt! - 3 Jahre vorher habe ich diese Route mit dem Mountainbike gemacht :-)

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        • Dieter

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          • 26.05.2002
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          #5
          AW: [IS] Kjalvegur 1992

          Montag, 27. Juli 1992
          (Laugarvatn – Geysir, 29 km)

          Campingplatz Laugarvatn. Habe sehr tief und gut geschlafen. l/8 Cum. Lenticularis. Blick auf Hekla und die Gletscher Mýrdalsjökull und Eyafjallajökull im Süden. Frühstück in der Sonne vor dem Zelt. Bin optimistisch, wenn nur die geschundenen Füße (Zehen!) mitmachen. Plane den Aufbruch gegen 9 Uhr, bin aber erst um 9:45 Uhr fertig - Packen dauert länger als gedacht!


          Campingplatz Laugarvatn

          Bei Sonne und Wind auf staubiger Straße weiter. Freue mich zu diesem Zeitpunkt noch auf Kongsvegur. Bei der im DuMont Wanderführer (meine einzige Infoquelle) beschriebenen Abzweigung nicht sicher, ob ich auf dem richtigen Weg bin, dann beim ersten Hof über Mähwiesen höher, um dort den Weg zu finden - Irrtum. Die allgemeine Richtung ist jedoch klar. An plausibler Stelle Pfadspur (sehr eingewachsen) gefunden und verfolge sie weiter. Mühsam und heiß durch 2-3 m hohen Birkenwald. Dichte Vegetation wie ich sie bisher noch nicht in Island gesehen habe - auch viele Blumen. Bin nie sicher, ob ich nur einem Schafpfad oder tatsächlich dem alten Weg folge. Der Beschreibung nach hätte ich nach einer halben Stunde einen Bach überqueren müssen. Darauf vertrauend habe ich, um Gewicht zu sparen, natürlich meine Flasche vorher wieder nicht mit Trinkwasser aufgefüllt. Der Bach ist aber genauso wenig zu finden wie der Weg. Die Hitze steht in diesem Gestrüpp, das zu niedrig ist, um Schatten zu spenden, aber hoch genug um jeden kühlenden Lufthauch abzuhalten. Der heiße Tee aus der Thermoflasche bringt keine Erfrischung, aber füllt wenigstens den Pegel wieder auf. Beschließe ab der nächsten Gelegenheit immer ein Minimum an Wasser dabei zu haben. Schließlich gebe ich die Suche nach dem Weg auf, und es folgt ein noch viel mühsamerer Abstieg zu einigen Wochenendhäusern unweit der Straße.

          Die Ferienhäuser sind richtige kleine Schmuckstücke - überraschend. Zu meinem Glück ist das Wochenende vorbei, sodass ich ungestört von hinten über einen Zaun klettern, und einen parkartigen Garten durchqueren kann. Die Besitzer des Parks sind offensichtlich Kunstsammler, denn auf dem frisch geschnittenen Rasen stehen große, bemalte Holzskulpturen die von einer gewissen Vorliebe ihres Sammlers für afrikanische Volkskunst zeugen. Das schmiedeeiserne Tor zur Einfahrt stellt schließlich für einen Landstreicher wie mich kein größeres Hindernis mehr da. Ein Blick zurück zeigt, dass von außen nichts von diesem Freilichtmuseum sichtbar ist, alles ist hinter geschickt gruppierten Bäumen und Hecken verborgen - nicht einmal die Nachbarn können es sehen!

          Treffe auf der Straße dann einen Biker (aus der Gegend von Baden-Baden) getroffen, der erzählt, dass er am Vortag eine Wanderung unternommen hat und sich genauso auf dem Kongsvegur verfranzt hat. Wir verwünschen gemeinsam die Autoren des Wanderführers dafür, dass wir uns im Wald verlaufen haben, ich dabei auch noch schier in der Hitze verdurstet und zu guter Letzt noch von afrikanischen Dämonen bedroht wurde - und das in Island! Wir sind uns einig, dass nur wir beide uns gegenseitig diese Geschichte glauben würden und beschließen, sie für uns zu behalten, um uns nicht der allgemeinen Lächerlichkeit auszusetzen. Wir verabschieden uns bis zum Abend beim Geysir, wo wir uns wieder treffen würden.


          Rast an der Brúará

          Allein weiter auf der Straße Richtung Geysir. Bei der Brücke über die Brúrá Rast am Fluss. Endlich kaltes, klares Wasser schwer zu sagen, was angenehmer ist: es zu trinken oder die Füße darin zu kühlen – sehr erholsam! Lag dann in der Sonne im Gras und döste eine halbe Stunde. Dann in Shorts weiter. Kaum Kühlung, da wenig Wind (2/8 Cum. in ca. 2000 m). Um 17 Uhr reicht es mir und ich halte den Daumen raus. Der Verhauer hat mich 2 h gekostet und der Vortag steckt mir noch in den Knochen. Das Stunde für Stunde über eine schier endlos scheinende Teerstraße Latschen gibt mir den Rest. Ein britisches Paar nimmt mich in ihrem Mietwagen die restlichen 5 - 7 km bis zum Geysir mit. Kann diese Inanspruchnahme fremder Hilfe vor meinem Gewissen verantworten - es geht hier nicht ums goldene Sportabzeichen.


          Strokkur

          Am Geysir ist es sonnig, nur von Südosten ziehen Wolken auf. Schöner Kontrast des emporschießenden Strokkur in der Abendsonne gegen die dunklen Wolken (Fotos gemacht). Den Biker vom Mittag wieder getroffen, er wird hier einen Tag bleiben und auf einen Freund warten. In der Cafeteria der Tankstelle Postkarten geschrieben und Kaffee getrunken. Milch fürs Frühstücksmüsli und Harðfiskur (Trockenfisch, die wieder verschließbare Packungen!) als Kraftnahrung für den Weg gekauft. Von 22 bis 23 Uhr im Warmwasserfreibad des Hotels (herrlich) - Abschied von der Zivilisation! Später einsetzender Regen.

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          • Dieter

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            #6
            AW: [IS] Kjalvegur 1992

            Dienstag, 28. Juli 1992
            (Geysir – Sandá, 21 km)

            Nach Regen und Wind in der Nacht , morgens teilweise Unterbrechungen, dann wieder leichte Schauer bei weiter zunehmendem Wind. Aufbruch um 9 Uhr. Zelt nass eingepackt. Ab und zu schaut ein Biker aus seinem Zelt blickt zum Himmel und verzieht das Gesicht. Ich tröste mich mit: "Das einzige beständige am isländischen Wetter ist der Wechsel!" und lasse mich mit Rückenwind über die Straße schieben.

            Gegen Mittag dann zunehmend Verkehr durch Touristenbusse. Immer das gleiche Bild: hinter dem Steuer ein isländischer Busfahrer mit kurzärmligen Hemd (schließlich ist dem Kalender nach Hochsommer), Krawatte und Sonnenbrille. Neben ihm halb nach hinten gewandt, oder von den Knien ablesend, der/die Reiseleiter/in, und hinter den regennassen Scheiben dick verpackte, busmüde Touristen. Mir drängt sich der Vergleich von Fischen mit einem Aquarium auf Rädern auf. Erinnerungen an Norwegen... (hatte damals schon als Reiseleiter gejobbt und jetzt bin ich sommers selbst wieder auf dem Sitz-rechts-vorn mit Touristen unterwegs).

            Weiche um meiner eigenen Sicherheit Willen fast bis in den Straßengraben aus, wenn ein Bus herandonnert. Immer wieder Regenschauer, aber Wind von schräg hinten. Die 10 km bis zum Gullfoss in zweieinhalb Stunden - schöner Schnitt! Am Gullfoss etwas Sonne. Mache ein paar Fotos. Um mich herum Bussladungen, die die Sehenswürdigkeit kurz abhaken. Mache nur kurze Pause, um dann endlich auf den Kjölur zu kommen.


            Gullfoss

            Hier am Gullfoss beginnt mit der Piste der Weg übers Hochland. Mit der ausgebauten Straße endet auch der Ausflugsverkehr. Betrete ganz bewusst die frisch abgehobelte Piste. Bisher war alles nur Einleitung und Vorspiel, hier beginnt der eigentliche Weg. Nur wenig hundert Meter von Wasserfall und Fluss entfernt weicht die Vegetation zurück. Ausgeblasene Grundmoränen aus Sand, Kies und manchmal meterhohen, kantigen Blöcken. Die Piste ist am Rand sandig und dadurch ausgesprochen angenehm zu Gehen. Selten ein Auto. Einmal zwei Wanderer und eine Dreiergruppe (waren ziemlich fertig), in Gegenrichtung unterwegs getroffen. Immer wieder Regenschauer bei kräftigem Wind.


            Brücke über die Sandá

            Über einen Rücken kommend, erreiche ich gegen 17 Uhr die Brücke über die Sandá. Eigentlich fühle ich mich noch fit, und es ist ja auch noch früh am Tag (richtig Nacht wird es ja sowieso nicht). Aber hier, direkt am Fluss, finde ich eine kleine schöne Wiese, das erste bemerkenswerte Grün überhaupt seit dem Gullfoss - also Stopp und Zelt aufgebaut. Ein anderes Zelt mit zwei Mountainbikes davor in etwa 100 Meter Entfernung auf der anderen Seite des Flussarms. Man bemerkt mich und winkt kurz herüber. Leider müssen die feuchten Klamotten mit ins Zelt. aber im Schlafsack ist es sofort gemütlich warm und trocken. Allerdings wird meine Ruhe durch Neuankömmling gestört. Vater und Sohn (schon in Keflavík getroffen, stammen aus bayerischer Perspektive gesehen aus Preußen) bauen ihr Zelt lautstark nur zehn Meter neben meinem Zelt auf - dass man sich auch so auf die Pelle rücken muss!

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            • neumania
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              • 22.02.2015
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              #7
              AW: [IS] Kjalvegur 1992

              Hallo Dieter,


              sehr schön, einen Bericht aus früheren Zeiten zu lesen; freue mich schon auf die Fortsetzung
              Und natürlich herzlichen Dank für's Mitnehmen!

              Beste Grüße,
              Markus

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              • Dieter

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                #8
                AW: [IS] Kjalvegur 1992

                Mittwoch, 29. Juli 1992
                (Sandá – Svartá, 28 km)

                Regen die ganze Nacht mit nur kurzen Unterbrechungen. Trotzdem 5:30 Uhr Frühstück und siehe da - ich bin mit dem Frühstück fertig und ich höre kein Geprassel mehr auf dem Zelt. Also nichts wie los! Ursache der Wetterbesserung: Föhn über dem Langjökull, NW-Wind, Föhn erst nur an schmaler, blauer Lücke über dem Gletscher erkennbar. Neuschnee auf den Bergen bis weit herunter. Wenige Kilometer im Lee des Zeltplatzes dicke Regenwolken - wer setzt sich durch?


                Morgen an der Sandá

                In bester Stimmung wieder auf die Piste. Meine lieben Nachbarn sind so gerade mal am Aufstehen. Nach zwei Stunden holen mich die beiden Biker vom anderen Flussufer ein - auch Vater und Sohn, aber aus der Schweiz.


                die zwei Schweizer

                Kurzer Schwatz und gegenseitiges Fotografieren - sehr sympathisch. Dann wieder weiter durch eine flach gewellte Steinwüste. Heute noch kein einziges Auto gesehen. Die Sonne kommt mehr und mehr heraus, der Anorak und die Überhose können im Rucksack verschwinden und die Moral könnte nicht besser sein - bin fast euphorisch.


                Brückenbaustelle am Fuß des Bláfellsháls

                Vor dem Pass zum Bláfellsháls ist eine Baustelle für eine Brücke. Grüße die Arbeiter - sie grüßen zurück - und mach mich ans Furten. Der Bach ist zwar nicht sehr breit, aber die Steine liegen zu ungünstig, um sich hinüber zu schwindeln. Plötzlich kommen zwei junge Arbeiter mit einem Schalbrett und legen es an der weitesten Stelle über zwei Steine. Damit habe ich an der kritischsten Stelle ein komfortable Brücke! "Tack fyrir hjálpl" Vater- und Sohn-Preuß kommen an die Furt - Vater-Preuß schleicht durch das Camp kennt aber offensichtlich das Zauberwort nicht. Ich beobachte das Geschehen genüsslich bei einer ausgiebigen Brotzeit an einem Seitenbach und schaue ihnen beim umständlichen Furten zu. ( Schadenfreude? Wie schändlich von mir!)


                Regenschauer

                Dann mit frischen Socken Anstieg zum Pass Bláfellháls. Steigen kommt mir leichter vor als das Gehen in der Ebene. Der Höhengewinn ist eben augenfälliger, als zurückgelegte Strecke! Nach langem Anstieg zur Passhöhe phantastischer Weitblick. Starke Emotion. Lange Rast und alles wirken lassen und wieder Fassung erlangen. Bin fast erschrocken über die Heftigkeit des Glücksgefühls, hatte dergleichen nicht erwartet, war mir aber bewusst dass mich an der physischen Leistungsgrenze auch psychische „Grenzerfahrungen“ erwarten würden. Genieße es alleine auf einem Stein zu sitzen; der Blick nach Osten zum nahen Gipfelaufbau des Bláfell, nach Westen zu dem unwirklich flachen Schneehorizont des Langjökull. Ohne Karte ist seine Entfernung kaum zu schätzen, zu ungewohnt sind die Dimensionen. Im Südwesten ist die zweifache Gischtwolke des Gullfoss noch zu erkennen (ca. 30 km).


                Bláfellsháls

                Wieder Schwatz mit einigen Bikern, die von Norden kommend sich auf die verdiente Abfahrt freuen. Das schon übliche Woher -Wohin. Auch sie begeistert von der Landschaft. Die langgezogene, flache Passhöhe erlaubt allerdings noch keinen Blick nach Norden, dieser wird erst nach etwa einer weiteren halben Wegstunde frei. Auch nach Norden sind mindestens die nächsten 3 Tagesetappen überschaubar. Die Aussicht nach auf Hvitávatn, Kerlingarfiöll und die Ebene zwischen den Gletschern ist nicht weniger beeindruckend als es der Blick nach Süden war. Der Abstieg vom Pass ist langwierig, aber nicht steil, und somit gut zu gehen. Dennoch scheint der Hvítávatn noch fast entmutigend weit entfernt zu sein. Wieder erneuert sich die Erfahrung, dass der schwere Rucksack beim Aufstieg zwar Kraft kostet, sich beim Abstieg jedoch viel unangenehmer durch die mechanische Belastung der Kniegelenke und der Füße bemerkbar macht. Teilweise gehe ich fast so langsam bergab wie bergauf, oder im Zickzack, quer über die Piste um das bei jedem Schritt auftretende nach vorne Pressen des Fußes im Schuh zu mildern.


                Bláfellsháls, Blick nach Norden auf die Kerlingarfjöll

                Gegen Abend zunehmender Autoverkehr. Weitere Rast und Brotzeit im unteren Teil des Passes, da es noch ein langer Tag werden wird. An der Brücke über die Hvitá starker und eiskalter Nordwestwind mit drohenden Regenschauern. Hinter der Brücke Halt und alles umstellen auf Regen. 15 Minuten später macht es sich bezahlt. Der kalte Wind ist jedoch unangenehmer als der Regen. Nach der Abzweigung zum See bekomme ich einen Riesenschreck als mich plötzlich zwei Biker überholen und mich mit lautem Hallo begrüßen. Ich habe sie gar nicht bemerkt, denn ich war einerseits zu sehr mit mir selbst beschäftigt, und andererseits pfiff der Wind um die zugezurrte Anorakkapuze. Es war wieder der 'alte' Bekannte aus Gaggenau, dem ich hier schon zum dritten Mal begegne. Aus Solidarität fahren sie extra langsam, um mich noch bis zum Lagerplatz an der Svartá zu begleiten. Der tiefe schwarze Sand auf der Piste lässt sie auf den Rädern sowieso nicht allzu flott vorankommen. Ihre Gesellschaft erleichtert mir die 'Durchbeißerei' und schließlich erreiche ich die Svartá nach 13 Wegstunden und etwa 28 km. Überraschenderweise sind die Füße weniger müde als an den Vortagen, der Rest des Körpers ist es dafür um so mehr.


                Abend an der Svartá

                Der Regen hat pünktlich aufgehört und das Zelt steht genau auf dem selben Platz wie das Zelt im letzten Jahr (als wir mit dem Geländewagen hier waren). Teilweise kommt die Sonne durch und wirft ein warmes Licht. Grund genug erst noch ein paar Fotos zu schießen. Blick auf den See mit 2, 3 großen Eisbergen und auf die Kalbungsfront. Im Zelt gekocht und gegessen, zu müde um noch meine Nachbarn zu besuchen, nur schnell hinüber gewinkt und dann noch schneller eingeschlafen.
                Zuletzt geändert von Dieter; 25.10.2018, 13:12. Grund: zwei Bilder eingefügt

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                • Dieter

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                  #9
                  AW: [IS] Kjalvegur 1992

                  Donnerstag, 30. Juli 1992
                  (Svartá – Þverbrekknamúli, 21 km)

                  Der Wind kommt am Morgen mehr aus NW, ziemlich kalt, ca 6/8 jede Menge Lentis. Schlafsack ausgelüftet - werde es heute etwas geruhsamer angehen. Heute Mittag ist 'Halbzeit'! - muss würdig gefeiert werden. Liege bis jetzt in der Zeit. Wie ich die gestrige Etappe geschafft habe, erstaunt mich allerdings noch nachträglich. Gutes Anzeichen für ansteigende Form? Kann sein - darf aber nicht damit rechnen.


                  Morgen an der Svartá

                  Später Start um 10:30 Uhr. Erst bis zur Hütte Hvítárnes dort Stopp. Kalter Wind vom Gletscher und über den See. In der Hvítárnes Hütte mit Isländern gesprochen: "3 h bis zur nächsten Hütte..." (für 15 km ist das schon sehr flott gerechnet!) Schwatz mit ein paar Franzosen, die mit ihren Geländewagen an der Hütte parken.


                  Hvitárnes Hütte


                  Gletscherzunge des Langjökull (heute nur noch halb so breit und nicht mehr in den See kalbend)

                  Dann aber weg von der Piste. Den Pferdespuren folgend muss ich immer wieder mühsam und zeitraubend Sümpfe und kleine Bäche umgehen. Diese Art des Gehens ist nach 4 Tagen Piste merklich ungewohnt. Viele idyllische Plätzchen mit schönen klaren Bächen und Quellen – welch Kontrast zur Kieswüste, die in Sichtweite, nur wenige hundert Meter weiter östlich beginnt.


                  Schafe und ihre Folgen: Erosion


                  Stängelloses Leinkraut

                  Finde meinen Rhythmus nicht (der Preis für die Anstrengungen von gestern?). Immer wieder kleinere Pausen, um den Rucksack abzusetzen. Schöne Þúfur mit vielen Blumen bewachsen verführen zum Dösen in der Sonne. Nur der kalte Wind verhindert, dass eine Siesta draus wird. Dann weiter mühsam, stetig leicht bergauf bis in Sichtweite der Hütte und wiederum umständliches Umgehen von Bächen. Die Hütte liegt etwa einen Kilometer westlich des Weges. Ich entschließe mich aber noch ein Stück weiter zu gehen, um den späten Aufbruch wieder gut zu machen. Erst recht mühsam über Lavabrocken und tiefgründigem Sand vorwärts. Wachsende Bewunderung für die Trittsicherheit der isländischen Pferde. Gott sei Dank habe ich meine Skistöcke! Phantastische Stricklaven, über die ich da stolpere. Um 20 Uhr mache ich Schluss (Þverabrekkamúli) und finde ein leidlich weiches und flaches Plätzchen direkt an am Fluss Fúlakvisel.


                  Zelt am Fúlakvisl

                  Zum ersten mal habe ich das Gefühl vollkommener Einsamkeit. So weit das Auge blicken kann scheint nichts auf Existenz von Menschen hinzuweisen. Die Erkenntnis, dass man hier als Mensch im wahrsten Sinne des Wortes nur 'vorübergehend' Gast ist dringt mir langsam aber mit Macht ins Bewusstsein. Trotzdem ist es kein erschreckender Gedanke - eher beruhigend. Das Wasser des Flusses ist trübe durch Gletschermilch - war auch nicht anders zu erwarten - also vor Gebrauch erst mal in der Flasche absedimentieren lassen. Herrlicher Blick auf Kerlingarfjöll und Hofsjökull (ganz frei werdend) bei nur noch 1 - 2/8 Bewölkung zunehmend klar. Gute Hoffnung auf morgen. Werde den Wecker stellen, damit ich den Tag nicht vertritschle. Fühle mich total klebrig und verlange sehnlichst nach einem heißen Bad in Hveravellir - aber das gibt es erst morgen und als Extra: eine Garnitur frische Wäsche - gute Nacht. Hoffentlich wird es nicht zu kalt!

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                  • Dieter

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                    #10
                    AW: [IS] Kjalvegur 1992

                    Freitag, 31.Juli 1992
                    (Þverbrekknamúli – Hveravellir, 23 km)

                    Nachts um 2.45 Uhr aufgewacht - Wind hat um 180° auf Südost gedreht und kommt jetzt direkt auf den Zelteingang. Ein Kontrollblick aus dem Zelt bestätigt meine Befürchtung. Das Wetter hat sich umgestellt. Der Föhn der letzten Tage ist zusammengebrochen und eine dichte Hochnebeldecke hat sich nur wenige hundert Meter höher um den Hrútfell gelegt. Wenn sie noch weiter absinkt, komme ich in die Suppe. Entschluss aufzubrechen! Trotz bedecktem Himmel brauche ich selbst im Zelt kein Licht.

                    Um 4.45 Uhr dann Start und weiter flach bergauf immer den Pferdespuren folgend. Der Weg ist gut erkennbar. Immer wieder sind hohe Steinmänner aufgetürmt. Sie sind genauso mit großen Flechten überzogen wie die Felsbrocken um sie herum, sie sind also alt - sehr alt? Seit wann stehen sie schon da? Wer hat sie aufgeschichtet? Die drei Gletscherzungen des Hrútfell stürzen wie Wasserfälle aus den Wolken um das Gipfelplateau.


                    Hrútfell

                    Gewarnt durch die Erfahrungen vom Vortag schlage ich auf die Zeitangabe des Isländers in der Hütte am Hvítávatn noch 50% zu. Der Rucksack scheint heute wieder besonders schwer - subjektiv schwerer noch, als in den ersten Tagen der Wanderung. Habe kein Wasser bei mir, hoffe aber bald klares Wasser zu finden. Der Weg geht immer dem Gletscherfluss entlang, wo er teilweise wieder in einer tiefen Schlucht fließt. Die Route führt jedoch sehr abwechslungsreich das Þjófadalur entlang – ideal, wenn man nur einen kleinen Tagesrucksack dabei hätte. Hin und wieder reißen die Wolken etwas auf und man kann im Westen die Nähe der Gletscher des Langjökull erahnen. Im Osten liegt der flache, schwarze Schild des Vulkans Strytur, am Rand dessen Lavafelder (Kjalhraun), Fluss und Weg entlangführen.


                    Þjófafell

                    Erfinde beim Laufen das Märchen vom bösen Troll "Biggja-Pakkur" mein Rucksack war von „Big-Pack“) der im Hochland heimlich arme Wanderer auflauert und ihnen große, schwere Lavabrocken in den Rucksack schmuggelt. Immer wieder halte ich an und klemme die Skistöcke hinter meinem Rücken unter den Rucksack, gehe leicht in die Knie, und habe so fiir zwei Minuten Entlastung und Zeit für einen Rundblick. Während des ganzen Tages keine Sonne und ein kalter Wind. Bin immer im Anorak und habe das Stirnband auf. Endlich den Talschluss mit der Zweiten Hütte, Þjófadalir, erreicht. Im Fluss auffallend bunte Steine - teilweise intensiv blau. Lasse die winzige Hütte Þjófadalir auf der anderen Talseite liegen und finde endlich auch klares Wasser zum Trinken in einem kleinen Seitenbach. Ich fülle meine Flasche auf. Kurzer, steiler Anstieg zu der Scharte Þröskuldur, schön wie alle Anstiege. In der Scharte, deplaziert wie ein UFO, taucht gegen den Himmel ein Geländewagen auf, spuckt seine Marsmenschchen aus (Knips, Knips) und verschwindet mit ihnen nach längstens fünf Minuten wieder hinter dem Horizont. Aha, dort oben muss also die Piste enden, die von Hveravellir heraufführt.

                    Einerseits bin ich froh wieder einen Meilenstein erreicht zu haben, andererseits verärgert mich der zunehmende Massentourismus hier. Werde wohl zunehmend elitär. Hinter der Passhöhe teilweise über Altschneefelder, den die Serpentinen der Straße abkürzenden Reitspuren folgend hinab. Später auf frisch abgezogener, sandiger Straße. Es zieht sich - aber die Moral ist einigermaßen gut. Pause und Brotzeit vor einem kurzen aber sehr steilen Gegenanstieg der Straße. Beim Überschreiten der Höhe weiter Blick bis hinüber zum Hofsjökull. Endlich ist auch Hveravellir in Sicht - vom Wind verwehte Dampffahnen und die meteorologische Station. Aber die Entfernung bis dorthin ist in meinem Zustand eher entmutigend - mindestens noch eine Wegstunde. Es ist wieder mal Durchbeißen angesagt. Den Füßen geht es offensichtlich besser, der Schmerz in der linken Ferse, der mich gestern irritiert hat, kommt nur noch manchmal, die linke Hüfte nur von Zeit zu Zeit. Der allgemeine Zustand ist ziemlich angeschlagen. Langsam kommt mir der Gedanke, dass ich eine Ruhepause einlegen könnte, in den Sinn. Warum war ich da in der Planung nicht drauf gekommen? ("...denn siebenten Tage aber sollst du ruhn!") Kurzer Regenschauer auf den letzten Kilometern – also noch mal umziehen - aber gleichzeitig auch ein paar Sonnenstrahlen, die einem im Regenzeug zum Schwitzen bringen.


                    "Josef mit dem Postrad"

                    Bei der Ankunft in Hveravellir kommt mir eine Isländerin entgegen und fragt nach dem Woher - Wohin (es ist doch schöner einem Menschen zu begegnen als einem Geländewagen!). Auf dem "Campingplatz" nur ein ein einzelnes, verblichen oranges Zelt und daneben ein gelbes Postrad. Natürlich! Das kann nur dieser "Josef-mit-dem-Postrad" sein, diese Bikerlegende, von der ich schon auf der Passhöhe des Bláfellsháls erzählen gehört habe. Es begrüßt mich ein freundlicher, bebrillter Graubart in Berglerhosen und Hochtourenstiefeln auf schwyzerdütsch, stellt sich vor, und bietet mir gleich einen "Kaffi" an. Bei diesem Willkommen wird mir klar, dass ich hier angekommen bin, dass ich es geschafft habe, dass ich ein Ziel erreicht habe, dass ich jetzt ausruhen kann Selbst Wennn meine Hochlanddurchquerung schon hier zu Ende gehen sollte, wäre sie schon jetzt fiir mich ein Erfolg und eine einzigartige Erfahrung gewesen, die weit über das hinausging, als ich mir zu Beginn erhofft hatte. All das schießt mir durch den Kopf,und ich bin nicht fähig ihm zu antworten. Das Gefühl der Erschöpfung, der Erleichterung und der Freude das Ziel erreicht zu haben ist zu groß. Ich entschuldige mich und gehe ein paar Schritte zur Seite um allein zu sein und um wieder Fassung zu gewinnen, oder genauer sie erst einmal ein wenig verlieren zu können. Physisch und psychisch für mich ein extreme Erfahrungen auf dieser Tour. Josef hat Verständnis und freut sich "Es ischt gut, wenn sich jemand noch so richtig freuen kann".


                    der Hot Pot von Hveravellir

                    Finde einen schönen, geschützten Platz für das Zelt und baue auf. Dann ab in das langersehnte Bad, aber vorher frische Wäsche hergerichtet. Langsam füllt sich der Zeltplatz. Meistens Zweiergruppen von Mountainbikern, auch Geländewagen von überallher und immer wieder mal ein Bus. Aber auch viele Isländer, die das verlängerte erste Augustwochenende auf landesübliche Weise feiern (begießen) wollen. Dreimal im Laufe des Spätnachmittages und Abends gebadet. Bekomme einfach nicht genug davon. Auch Vater-Preuß und Sohn-Preuß sind auf dem Platz. Ebenso sind die beiden Baden-Badener vom Hvítárvatn eingetrudelt und auch zwei Österreicher mit einem Riesenzelt, die ich schon vom Geysir kenne. Als Fußgänger bleibe ich allerdings Exote. Im Bad lustige Unterhaltung mit einer Isländerin die eine Reitergruppe führt. Entschluss, dass es das einzig Vernünftige ist einen Ruhetag einzulegen.

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                    • Dieter

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                      #11
                      AW: [IS] Kjalvegur 1992

                      Samstag, 1. August 1992
                      (Hveravellir)

                      Ruhetag in Hveravellir! Habe bis 8:30 Uhr ausgeschlafen. Gespräche mit Josef. Lange und ausführlich und immer ein freundlich, menschlich, warmer Grundton - ein seltener Mensch, dem ich hier begegnet bin. Gemeinsam zwischen den Zelten gekocht und gegessen. Anschließend gab es als Nachtisch Kaffee aus Josefs Vorräten und Nussschokolade aus meinem Rucksack. Wie haben wir dabei jeweils die Schätze des anderen gerühmt. Die Baden-Badener kamen hinzu und es wurden Islanderlebnisse ausgetauscht.


                      mit Josef in Hveravellir


                      Josef probiert einen Fahrradhelm „… so so, hat man sowas jetzt?“

                      Am Nachmittag Spaziergang zur Eyvindarhellir (Höhle des Eyvindur), dem Versteck des sagenhaften Geächteten Fjalla Eyvindur. Eine Lavahöhle in der Lava des Schildvulkans Strytur. Wirklich ein gutes Versteck, ohne Hinweisschild wäre das kleine Eingangsloch zur Höhle kaum zu finden. Der Höhlenraum ist eine in ihrem Zentrum fast mannshohe, flach gewölbte Kuppel von etwa fünf Metern Durchmesser und einem ebenen Lehmboden.


                      Eyvindarhellir

                      In der weiteren Umgebung immer wieder Spalten aus denen Dampf austritt. Bei der Rückkehr noch Bilder von den heißen Quellen und dem 'Swimmingpool' gemacht. Das Becken des Pools liegt direkt unterhalb der Schutzhütte seitlich am Bachhang. Zur Hütte hin wird das Becken vom Hang selbst, zum Bach durch eine aus losen Steinen grob gefügte Mauer gebildet. Aufgrund des mineralhaltigen Wassers sind Hang und Mauer von einer weißen Sinterschicht überzogen, so dass diese das Becken abdichtet. Zwei etwa zehn Zentimeter dicke Kunststoffrohre führen zum Becken. Das eine komm vom Bach herüber und bringt frisches kühles Wasser, das andere kommt mit etwa 60°C heißem Wasser vom Hang herab. Die Temperatur des Beckens wird einfach durch ein Verschieben der losen Rohre geregelt.


                      Öskruholl

                      Am Nachmittag dann Wäsche gewaschen und hinterm Zelt aufgehängt - zu was ausziehbare Skistöcke alles nützlich sind! Peilübungen mit Kompass und Karte um die Missweisung heraus zu finden. Eine Wandergruppe aus Holland trifft ein, total fertig humpeln sie über den Platz. Allerdings haben sie beneidenswert kleine Rucksäcke. Sie sind vom Gullfoss auf der selben Route unterwegs haben aber Depots und Begleitfahrzeug. Ihr Führer ist auch Geograph und hat die Route nach Skagafjörður schon im letzten Jahr gemacht. Er hält die Flussquerungen für unproblematisch. Die Einladung übermorgen mit ihnen zusammen zu gehen, lehne ich dankend ab. Ich werde einen Tag Vorsprung, und damit meine Ruhe haben.


                      Hveravellir

                      Von dem freundlichen jungen Paar das den Platz betreut, war leider keine Auskunft über den Weg nach Skagafjörður zu erhalten, sie machen das hier im ersten Jahr. Aber einer der Meteorologen (damals wurde die Wetterstation Hveravellir ganzjährig von einem Meteorologenpaar betreut, heute ist die Station automatisiert) soll ab und zu mit dem Geländewagen direkt nach Skagafjörður fahren, sagen sie, man müsste eigentlich seine Spur sehen, sonst würde da niemand fahren. Und wenn ich so freundlich sein könnte, und ihnen nach der Wanderung eine Wegbeschreibung schicken könnte, an Þráinn Friðrikson, Hveravellir (das reicht), bitte schön. Klar wird gemacht! Inzwischen hat sich der Parkplatz gut gefüllt mit allem was Allrad hat und gut und/oder teuer ist und das reicht vom uralt Landrover bis zum MAN-Expeditionsfahrzeug.
                      Zuletzt geändert von Dieter; 26.10.2018, 12:41.

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                      • Dieter

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                        #12
                        AW: [IS] Kjalvegur 1992

                        Sonntag, 2. August 1992
                        (Hveravellir – Strangakvisl, 22 km)

                        Regen während fast der ganzen Nacht. Um 5:20 Uhr aufgestanden und gepackt. Nach dem Frühstück nur noch Nieselregen und alles scheint wieder freundlicher. Abschied von Josef. Auf dem Zeltplatz herrscht ansonsten noch Ruhe.


                        Wegweiser

                        Um 7:25 Uhr dann Aufbruch von Hveravellir. Nach zwei Kilometern trifft die Straße wieder auf den Kjalvegur. An der Kreuzung der ziemlich einsame Wegweiser. Ich folge etwa zweieinhalb Stunden der Piste nach Norden. Nur ein Allradbus und ein einzelner Biker überholen mich während dieser Zeit. Unmittelbar vor der ersten Furt der Piste durch die Seyðisá zweigt laut Karte mein Weg zum Skagafjörður Richtung Norden ab. In der alten Karte (basierend auf einer Kartenaufnahme aus den 30er Jahren) ist dieser Weg als "..undeutlicher Pfad, markiert mit Steinmännern" bezeichnet - auf der neuen Ausgabe (1:250.000er, *seufz*) ist er jedoch unverständlicherweise überhaupt nicht eingezeichnet.

                        Drei Tagesmärsche habe ich mir ausgerechnet, wobei die Flussquerungen auf diesem Abschnitt als Unbekannte in die Gleichung eingehen. Neben einer verwehten Fahrspur biegen auch viele Hufspuren hier vom Weg ab. Mit einem Schritt verlasse ich die Piste und damit auch die 'Sicherheit' die sie ja immerhin bot. Solange ich auf der Piste war, wäre es immer möglich gewesen ein Auto anzuhalten und um Hilfe zu bitten. Mit diesen Gedanken mache ich eine kurze Rast am Fluss (Seyðisá) und beobachte einen klapprigen VW-Käfer mit isländischem Nummernschild der langsam an die Furt (heute überbrückt) heranfährt. Ein alter Mann steigt aus, geht einmal langsam um sein Gefährt, drückt den lose am Kabel herausbaumelnden Scheinwerfer wieder in seine Höhle zurück, betrachtet ruhig den Fluss, steigt wieder ein und stürzt sich mit Vollgas durch die Furt. Der Käfer bockt und wühlt sich durch das hoch aufspritzende Wasser und klettert schließlich langsam und triefend die gegenüberliegende Uferböschung hinauf. Genauso bedächtig und vorsichtig wie er kam fuhr er dann wieder weiter - manche isländische Autos sind wie Pferde.


                        Reiter

                        Beim Aufstehen spüre ich kurz einen Schmerz im rechten Fuß der aber bald darauf weitgehend nachlässt, und dem ich nicht allzuviel Bedeutung beimesse. Etwa eineinhalb Stunden lang folgt der Weg in ein einigem Abstand dem Ufer der Seyðisá. Der Wind und der Fluss lassen mich erst im letzten Moment das Hufgetrappel hinter mir hören und kaum, dass ich mich umdrehe, sind sie auch schon neben mir. Ein Reiterpaar mit zusätzlich sechs Pferden am Zügel. Die Pferde sind unruhig und drängen weg von mir. In einem kurzen Wortwechsel nennen sie auch Skagafjörður als ihr Ziel und ich kann mich noch schnell nach dem Zustand der Furten erkundigen. "No problem! Good luck for your way, we have to ride on, because the horses are in fear of you!" und schon trappeln sie mir wieder davon. Trotz der beruhigenden Auskunft schaue ich den Pferden etwas wehmütig nach. Das ist doch die diesem Land entsprechendste Art des Reisens! Kurz darauf bringt der Anblick der Schmelzwasser des Hofsjökull führenden Blanda meine Gedanken in die kühle Realität zurück.


                        Blönduvað

                        Hier, an der ersten großen Furt, fallt also die Vorentscheidung, ob der Weg überhaupt zu machen ist. "No problem?" Der Fluss ist zwar breit und das Wasser ist trübe, aber es fließt relativ langsam und trotzdem zeigen viele stehende Wellen an der Oberfläche, dass es nicht allzu tief sein kann. Ich raffe mich auf. Schuhe, Strümpfe und Hosen aus und möglichst hoch und sicher am Rucksack befestigt, dann die kurzen Surfstiefel angezogen, die Skistöcke verlängert und rein ins Wasser. Die Skistöcke sind die ideale Hilfe, der eine dient Flussab als drittes Standbein und Stütze und mit dem anderen kann ich vor mir die Tiefe loten. Das Wasser reicht mir nicht wesentlich über die Knie und der Druck der Strömung ist nicht hinderlich. Die Temperatur des Wassers allerdings gibt beredt Auskunft über die Art seiner Quellen. Am anderen Ufer angekommen verlangt dann noch die Chronistenpflicht des Fotoapparates eine Wiederholung der letzten Meter durch die Blanda.


                        Aufwärmen nach der Furt

                        Zur Feier der ersten Furt gönne ich mir einen heißen Tee und einen Müsliriegel. Eineinhalb Wegstunden weiter muss ich durch den Svartákvisel furten. Der Fluss ist etwas weniger breit und auch nur gut knietief - no problem! Allerdings kostet mich eine Flussquerung jedes mal ein halbe bis eine dreiviertel Stunde. Ausziehen, alles sicher am und im Rucksack verstauen und überprüfen (selbst bei einem Sturz im Wasser dürfen die Bergschuhe auf keinen Fall verloren gehen!). Drüben angekommen dann wieder die Hosen anziehen, die Füße sorgfaltig abtrocknen und eincremen, den Rucksack wieder einpacken und ihn wieder auf die Schultern wuchten. Der durch die Fahr- und Hufspuren gut erkennbare Weg über die flachen Rücken zwischen den Flüssen, ist eben und scheinbar endlos. Er wäre eintönig, wenn nicht die maßstabslose, klare Weite der Landschaft, und das beständig wechselnde Licht unter den Wolken den Augen so viel Abwechslung bieten würden. Der Grund ist sandig weich, tritt man auf einen kleineren Stein, so wird dieser in ihn hineingedrückt. Jeder Schritt hinterlässt eine Spur. Jeder Niederschlag versickert sofort in den lockeren Grundmoränenmaterial. Vegetation findet sich oft nur in den kaum wahrnehmbar flachen Mulden und Tiefenlinien und auch dort nur in Form von kargen Polstern und trockenen Büscheln. Schaut man jedoch genauer hin, so findet man immer wieder die Blüten kurzstängeliger, arktischer Pflanzen zwischen den Steinen. Nur am Ufersaum der Flüsse gibt es eine dichte Grasdecke und dort findet man auch immer irgendwo ein Mutterschaf mit ein, zwei Lämmern.


                        Hestar - Pferde

                        Über einen Höhenrücken taucht plötzlich eine Herde von gut 20 halbwilden Pferden auf. Sie schauen neugierig herüber und schließlich löst sich ein Trupp. Und während ein paar Stuten mit ihren Fohlen zurückbleiben, galoppieren sie geradewegs auf mich zu, schwenken ab, teilen sich, umkreisen mich und stürmen schräg vor mir vorbei auf eine kleine Koppel zu, die mir vorher gar nicht aufgefallen war. Da steht nun dicht gedrängt die kleine Herde und alle schauen mich prüfend und erwartungsvoll an, ob ihre kleine Aufführung auch den gewünschten Eindruck hinterlassen hat. Zuerst war ich verdutzt und es dauerte, bis ich meinen Foto heraus gekramt hatte, aber dann musste ich lachen, ich konnte mir wirklich nicht vorstellen in welchem Indianerfilm diese Pferde das gesehen haben! Sichtlich befriedigt von ihrer Wirkung trotten sie wieder aus der an zwei Seiten offenstehenden Koppel heraus und verschwanden wieder hinter dem Geländerücken hinter dem sie aufgetaucht waren.

                        Der Himmel war schon den ganzen Tag bedeckt, aber von Westen naht ein dunkles Wolkenband und kündigt einen Schauer an. Es erwischt mich nicht allzu schlimm und bald ist es auch vorüber. Aber es bedeutet Rucksack absetzen, Regenzeug herausholen und anziehen und die Regenhülle über dem Rucksack befestigen. Für einen kurzen Schauer eigentlich zu viel Aufwand, aber ich darf nicht riskieren allzu nass zu werden, wer weiß, wann die Sachen wieder trocknen können? Vor einem niederen Rücken quere ich gegen 17:00 Uhr den Herjólfslækur, ein etwa fünf Meter breiten Bach mit klarem ruhigem Wasser, als der Westwind unangenehm stark wird. Bald peitscht mir ein eiskalter Regen ins Gesicht. Ich folge weiter den Pferdespuren, die Fahrzeugspuren haben sich wohl schon vor längerer Zeit nach Norden entfernt und treffe auch wieder auf einen der lose aufgeschichteten Steinmänner. Ihre Anwesenheit zeigt mir beruhigend, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Während der Regen doch langsam seinen Weg in meine Schuhe findet steige ich hinab zum Strangakvísel, meinem heutigen Tagesziel.

                        Tatsächlich habe ich, den Warten folgend, den Strangakvísl an der alten Furt des Reitweges durchquert. Wäre ich auf der Piste geblieben, hätte ich einen Kilometer weiter nördlich eine schöne Brücke benutzen können - aber die war in meiner Karte nicht eingezeichnet, also wusste ch nichts von ihr.

                        Die Aussicht ist ziemlich deprimierend. Das Flussbett ist an dieser Stelle insgesamt etwa gut einen halben Kilometer breit, aber der Fluss selbst bildet mehrere einzelne Arme. Durch geschickte Wahl der Route kann man von Kiesinsel zu Kiesinsel gelangen und dabei nur fünf der Flussarme zu durchwaten. Durch den Regen hindurch zeichnet sich am anderen Ufer vage der nächste, auf einer Anhöhe stehende Steinmann ab. Also, die altvorderen Isländer werden schon gewusst haben, warum sie an dieser Stelle die Furt markierten! Es bleibt mir nichts anderes übrig. Eines ist mir klar: bei dem Regen ist alles was ich zum Furten ausziehen muss spätestens beim Wiederanziehen am anderen Ufer nass! An diesem Ufer übernachten bedeutet aber am nächsten Morgen gleich mit einer Flussquerung beginnen zu müssen und schließlich kann es morgen ja auch noch regnen und der Wasserstand wird bis dahin auch nicht gerade fallen. Eine einladende flache Wiese am anderen Ufer erleichtert meine Entscheidung: dort werde ich nachher mein Zelt aufstellen!

                        Zum vierten mal an diesem Nachmittag mache ich mich ans Furten. Schuhe und Hosen sind extra gut unter der Regenhülle des Rucksacks gesichert. Ich muss ein herrliches Bild abgeben, Anorak mit fest zugezogener Kapuze, so dass fast nur noch ein Sehschlitz frei bleibt, aber ohne Hosen! Das bis zu den Oberschenkeln reichende Wasser ist nicht viel kälter als der stürmische Regen auf den schwarzsandigen Kiesinseln, auf denen ich immer wieder 50 oder 100 Meter flussauf oder flussab gehen muss, um eine günstige Stelle zur Querung des nächsten Flussarmes zu finden. Auf der anderen Seite angekommen suche ich mir schnell ein schönes Plätzchen und stelle so wie ich bin das Zelt auf. Erst in einer kurzen Regenpause komme ich aus den engen, drückenden Surfstiefeln und kann auch wieder in die Faserpelzhose schlüpfen. Schnell baue ich noch über die Skistöcke eine Wäscheleine auf und versuche Anorak und Überhosen wenigstens ein wenig im Wind trocken zu kriegen. Vergeblich - der nächste Guss treibt mich mitsamt den nassen Klamotten ins Zelt.

                        Ein heißer Tee wirkt Wunder! Gerade als es langsam etwas gemütlicher wird höre ich draußen Motorengeräusch. Ein alter Jeep mit Anhänger kriecht durch die Löcher eines Fahrweges der wohl zu der Hütte führen muss, die laut Karte etwa zwei, drei Kilometer weiter südlich liegt. Fünfzig Meter vom Zelt entfernt bleibt die Kiste mitten in einem kleinen Bach liegen, Fahrer und Beifahrer klettern unter die Motorhaube während hinten, auf der Ladefläche, drei durchnässte Gestalten die Bierflasche kreisen lassen. Ich starte Ihnen einen kleinen Höflichkeitsbesuch ab und biete ihnen meine völlig unnütze Hilfe an. In dem Fahrer erkenne ich den Isländer wieder, mit dem ich mich am Vortag in Hveravellir, bis zum Hals im heißen Wasser sitzend, unterhalten habe. Als Isländer und (!) geborener Münchner stellt er mich den anderen vor, und erklärt mir kurz, dass sie an der Hütte nach den Pferden sehen müssen, und schließlich reicht mit ein Mädchen von Anhänger noch lachend die Bierflasche herüber. Na ja, schließlich kann ein wenig Feuchtigkeit auch von Innen nicht schaden. Irgendwie springt auch der Jeep wieder an und sie können weiterfahren. Noch kurz gewunken und dann zurück ins Zelt und im Schlafsack liegender Weise den allabendlichen Tüteneintopf gekocht. Danach noch die ebenso allabendlichen Eintragungen ins Tagebuch während der Regen einschläfernd auf das Zelt trommelt.
                        Zuletzt geändert von Dieter; 27.10.2018, 14:12. Grund: Kommentar zum Strangakvísl eingefügt

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                        • Dieter

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                          #13
                          AW: [IS] Kjalvegur 1992

                          Montag, 3. August 1992
                          (Strangakvísl – Eystri-Bugakvísl, 30 km)

                          Nachts wache ich kurz auf. Neben dem Regen höre ich im Halbschlaf, ganz nahe am Zelt, das gedämpfte Auftreten von Hufen. Pferde? Schafe? Solange sie nur das Zelt in Ruhe lassen. Beim Aufwachen um 5 Uhr morgens herrscht Stille - kein Regen mehr. Ich freue mich schon das Zelt trocken einpacken zu können und wage einen Kontrollblick zum Zelteingang hinaus. Mist! Dichter Nebel mit einer Sichtweite unter hundert Meter, das ist so ziemlich das, was ich am wenigsten auf dem heutigen Streckenabschnitt brauchen kann. Eine Sichtweite bis zur nächsten Steinwarte ist unbedingt notwendig, weil die Pferdespuren sich oft teilen und etwas vom Weg wegführen, oder sogar auch ganz vom ihm abzweigen können. Ich beschließe erst mal in Ruhe zu frühstücken. Ein Blick auf die Karte zeigt mir auch, dass ich etwa die ersten vier Kilometer, bis zum Þúfnavatn, dem Fahrweg der zur Hütte führt folgen kann. Nach dem Frühstück schaue ich mir das Wetter noch mal genauer an. Sieh da! Durch die Suppe lässt sich schon die Sonne als helle Scheibe erahnen. Alle Bedenken sind weg, ich lache und wette mit mir selbst, dass es heute noch das schönste "Bergwetter" geben wird das ich mir nur wünschen könnte.


                          Morgennebel

                          Das Zelt ist klatschnass eingepackt und ich möchte nicht wissen, wie viel es dadurch schwerer geworden ist. Anorak und Regenhose hängen schon mal außen am Rucksack. Sie können da trocknen wann sie wollen! Während der Nebel immer mehr zu Schwaden verfliegt und die Sonne mehr und mehr durchbricht, folge ich einstweilen noch der Fahrstraße. Zur rechten Hand müsste bald der kleine See Þúfnavatn liegen, aber dort sind nur ein paar Moore. Vielleicht versteckt sich der See auch nur im Nebel. Wie ein Indianer lasse ich den rechten Straßenrand und die Hufspuren nicht aus den Augen, um ja nicht den abzweigenden Weg zum Skagafjörður zu verpassen. Noch reicht die Sicht nicht aus, um eine weiter entfernte Steinwarte zu sehen. Schließlich sehe ich frische Hufspuren, welche den Fahrweg verlassen und stoße bald auf die typischen, teilweise tiefen, parallel laufenden Gräben. Im weichen Grund entstehen sie dadurch, dass die Isländer, wenn sie das Hochland zu Pferd durchqueren, neben dem Reitpferd noch mindesten ein Packpferd und meist noch ein bis zwei Ersatzpferde am Zügel führen. Ein verwitterter Steinmann bestätigt mich, dass der richtige Weg gefunden ist.


                          flache Landschaft

                          Nach einer Stunde etwa geht meine Rechnung mit dem Wetter auf und die Sonne bricht durch. So lange es noch windstill bleibt gehe ich im Hemd, mit hochgekrempelten Ärmeln und setze weise meinen Sonnenhut auf. Die Sicht ist nun vollkommen klar. Hof- und Langjökull bilden regelmäßig flache, blendend weiße Kuppeln. Phantastisch auch der Blick zurück zu Kerlingarfjöll und zum Hrútfell. Außer in der Sahara habe ich noch nie eine Landschaft von so eindrucksvoller Weite gesehen. dass ich sie zu Fuß durchquere scheint mir fast anmaßend. Seit längerem fiel mir auf, dass mich der Weg mich der Weg auf einen, aus der Horizontlinie besonders herausragenden Berggipfel zufiihrt. Diesen Berg sah ich schon von Hveravellir aus, konnte ihn aber anhand der Karte nicht genau bestimmen. Nun ist es klar, dass es der Mælifellshnúkur (1138 m ü. NN) ist. 40 Kilometer sind es noch bis dorthin. Auf seiner anderen Seite, im Tal des Skagafiörður, liegen Hof und Kirche von Mælifell, dem Endpunkt dieser alten Hochlandroute. Bis morgen Abend müsste ich es schaffen, obwohl es langsamer vorangeht als erhofft.


                          Varða – Warte oder Steinmann, die alten Wegmarkierungen

                          Der Weg ist sehr steinig, teilweise geht es auch über grobe Blöcke, und jedes Abknicken oder Anstoßen des rechten Fußes an einem übersehenen Stein, sticht schmerzhaft bis ins Schienbein herauf. Wie wertvoll ist jetzt die Sicherheit, die mir die Skistöcke geben! Die teilweise über zwei Meter hohen Warten sind sorgfältig platziert - immer auf Erhöhungen und immer in Sichtweite voneinander. Sie üben auf mich eine zunehmende, schwer erklärbare Faszination aus. Manch eine ist irgendwann einmal eingestürzt und weist nur noch als Sockel den Weg, aber andere sind offensichtlich erneuert worden. Ihre gefährdete Spitze ist aus kaum mit Flechten bewachsenen Platten geschichtet, während ihre Basis dicht von ihnen überzogen sind und damit auf Zeiten zurückverweisen, die irgendwo zwischen dem letzten Jahrhundert und der Landnahme liegen (Tatsächlich sind die meisten von ihnen wohl erst kurz nach 1900 auf Veranlassung von Daniel Bruun erbaut worden. Siehe: http://www.isafold.de/klassiker/bruun/default.htm).

                          Diese lose geschichteten Steine sind in allen Kulturen die einfachste Form einen Weg durch von Menschen unbewohntes oder unbewohnbares Gebiet zu kennzeichnen. Objektiv betrachtet sind es nur Steinhaufen, aber nach sechs Tagesmärschen über das Hochland ist die Empfindlichkeit geschärft. Es sind für mich archaische Zeichen, manche mehr und manche weniger, aber bei einigen meine ich zu spüren, dass sie hier noch in ihrem ursprünglichem Zusammenhang und in ihrer ursprünglichen Bedeutung stehen. Wenigsten auf weiten Teilen dieses Weges hat sich die Art des Reisens seit tausend Jahren nicht geändert: entweder zu Pferd, oder zu Fuß.

                          So ganz allein bin ich in dieser weiten Landschaft allerdings nicht. Immer begleitet mich das hohe einsilbige Pfeifen von Vögeln (Goldregenpfeiffer) , die meist unsichtbar zwischen den Steinen nach Nahrung suchen, oder dicht vor mir aufflattern. Auch kleine Trupps von Schafen sind überall dort zu finden, wo das Grün etwas dichter wird. Am Haugakvisel überrascht mich ein Keil von zehn Graugänsen, der niedrig über mich hinwegfliegt. Der Haugakvísl erweist sich als ein schöner, flacher, aber dafür etwas breiterer Fluss mit klarem Wasser und ist einfach zu furten. Kurze Pause auf einer Kiesbank und dann in bester Stimmung weiter.


                          ... viel Platz ...

                          Gegen Mittag bilden sich am Himmel die ersten Schönwetterwolken Ihre Basis ist hoch und klar abgegrenzt. Thermik! Auch am Boden kommt jetzt ab und zu ein frischer Wind auf. Auf steinigen Grund ist der Weg nur noch als Spur zu erkennen, aber die Steinmänner stehen zuverlässig. Und doch, so zuverlässig mir die Steinmänner als Wegweiser schienen, verlor ich sie an der Galtará, einem kleinen, versumpften Wiesenbach, aus der Sicht, als ich den Pferdespuren zu sehr nach Norden folgte. Für einen Moment freute ich mich schon den Aðalmannsvatn sehen zu können, denn einige Kilometer weiter nördlich war in dem flachen Tal eine Hütte (Kofi) an einer Wasserfläche zu erkennen. Das konnte aber nicht sein, meiner Abschätzung nach hätte ich die Hütte erst in etwa drei Stunden in Sicht kommen dürfen! Ein genauerer Blick auf die Karte zeigte mir zwar den Bach vor mir, aber nichts von einer Hütte oder Wasserfläche. Die Pferdespuren liefen aber weiter direkt darauf zu! Hoppla, ihnen werde ich jetzt nicht mehr weiter folgen dürfen.

                          Ich lege eine kleine Pause ein, der Platz ist einladend, üppiges, fast kniehohes Gras und genügend Þúfur (Wiesenhöcker) als Sitzgelegenheit. Lange suche ich mit den Augen den südlichen und den östlichen Teil der weiten, aber flachen Talmulde ab. Schließlich glaube ich weit auf der anderen Talseite, noch hinter der Grenze, wo die Vegetation fast wie abgeschnitten wieder endet, einen Steinmann, oder eher seine Ruine zu sehen. Also breche ich wieder auf und quere die Flussoase. Mit den Skistöcken ist es kein Problem über ein paar Trittsteine über den Bach (Galtará) zu balancieren. Die Vegetation weicht einer breiten, schwarzen Sandfläche, die das Gehen mühsam macht. Erst am flachen Talhang tritt Fels hervor und der Boden wird nur wenig fester. Abwechselnd gehe ich im Sand um die Felsplatten herum, zwischen ihnen hindurch und dann wieder auf ihnen, und versuche mit einem weitem Schritt zur nächsten zu gelangen. Beide Strategien des Vorwärtskommen sind gleich mühsam. Aber ich erreiche schließlich doch einen eingestürzte Warte. Seltsamerweise sind keine Hufspuren in seiner Umgebung zu finden. Nun stehen die Warten wieder in schöner Reihung, aber es ist ein elendes Gestöpsel ihnen zu folgen. Plötzlich kommen von Westen, aus dem Tal her, Pferdespuren zu den Warten. Langsam wird mir das Rätsel um Weg, Warten und Spuren klar. Ist ja auch logisch! In dem weiten Tal gab es kein Steine aus denen man Steinwarten hätte aufschichten können, also waren dort auch keine. Erst weit drüben, auf der anderen Seite, gab es wieder Baumaterial, aber dort war Weg selbst für Islandpferde schlecht. Also bleiben alle wegkundigen Reiter so lange es geht in der grünen Talaue, wo die Pferde besten Boden, Gras und Wasser haben und queren erst ein, zwei Kilometer weiter nördlich, um dann wieder auf die Warten zu treffen.

                          Der Weg über die Hügelketten des Þingmannaháls wird nicht besser, nur steiler bergauf und ebenso steil wieder bergab. Tiefer Sand, lockeres Geröll und wieder hohe Felsstufen. An den Spuren kann ich erkennen dass die Reiter vor mir absteigen mussten um die Pferde zu führen. Langsam und mit viel 'Stockeinsatz' geht es voran. An einen Steinmann gelehnt mache ich Pause, reiße mir ein paar Streifen Harðfiskur herunter, heißer Tee und zum Nachtisch noch einen Müsliriegel. Das rechte Bein schmerzt, aber es ist erträglich. Die Cummuluswolken haben sich ausgewachsen und sogar ein paar Tropfen fallen - nichts ernsthaftes - zu eng begrenzt fallen die Regenstreifen aus der dunklen Basis, zu weit stehen die einzelnen Wolken zueinander. Auf der Karte ist diese Gegend als Þingmannaháls bezeichnet, was wörtlich übersetzt soviel wie Thingmänneranhöhe bedeutet. Die Ortsnamen in Island sind nicht nur geographisch, sondern auch historisch verlässlich zu deuten. Unwahrscheinlich, dass hier ein Thing abgehalten wurde, aber auf ihrem Weg von Skagafjöðrur nach Þingvellir mussten die Thingmänner hier alljährlich über diese Anhöhen reiten. Kein hoher Pass, der eine Anstrengung lohnen würde, auch keine breite, reißende Furt, oder eine schier endlose Ebene. Nein, nur ein lästiges, mühsames, widerhakiges Rauf und Runter von einem Wegstück hat sich diesen historischen Namen erworben.

                          Schließlich erreiche ich den Vestri-Bugakvisl und folge ihm nach Norden zum Aðalmannsvatn. Der Weg stößt auf eine Fahrspur und wird nun vollends komfortabel. Je näher am Wasser um so dichter wird die Vegetation und auf der verlandeten Fläche vor dem See steht das Gras sogar richtig hoch. Nun kann ich auch die Hütte erkennen die ich schon vor Stunden gemeint hatte zu sehen. Noch eine halbe Wegstunde und ich werde mein Tagesziel erreichen. Wie immer geht es am Schluss wieder besser, das Nachmittagstief die 'Durchbeißerei', ist überstanden, das Ende für heute ist jetzt absehbar. Sicher, den Schritt kann das nicht mehr beflügeln, das würde allein schon der Rucksack verhindern, aber er wird wenigstens etwas leichter. Als ich um eine Biegung komme sehe ich plötzlich vier Schafe unmittelbar vor mir. Drei halbwüchsige Lämmer und ein Mutterschaf. Das Mutterschaf liegt mitten auf dem Weg und die Lämmer,die dicht bei ihm stehen fliehen ängstlich ein paar Meter und blöken mich an. Erst am Aufsummen hunderter von Fliegen merke ich, dass das Schaf tot ist. Die Lämmer blöken weiter, aber sie werden wohl auch alleine durchkommen.


                          Vestari-Bugakvísl

                          Es ist 18 Uhr – zum Abschluss bringt der Tag noch zwei Furten (Vestari-Bugakvísl) dicht hintereinander. Bei der ersten liegen ein paar große Steine günstig im Wasser und ich brauche die Schuhe nicht auszuziehen. Bei der zweiten sieht es schon etwas anders aus, aber am anderen Ufer lockt wieder mal ein schöner Platz für das Zelt. Das Wasser ist besonders klar und friedlich, aber so weit wie es dann doch nötig gewesen wäre, lassen sich auch die elastischsten Faserpelzhosen nicht hochkrempeln Sollen sie jetzt beweisen wie schnell sie wieder trocknen können.

                          Die Wiese hält was sie versprach, flach und weich, alles perfekt, wenn da nicht diese Mückenwolke um meinen Kopf gewesen wäre. Sie stechen zwar nicht, wissen aber auch so, wie sie lästig werden können. Trotz dem kann ich noch alles trocken, was noch vom Vorabend nass ist, auch das Zelt. Im Zelt liegend nach dem Abendessen (der übliche Tüteneintopf) Eintragungen ins Tagebuch mit Anmerkungen zum Befinden. Fazit: die Grenze ist langsam erreicht. Das Schienbein ist oberhalb des Knöchels ziemlich dick geschwollen und das Fußgelenk lässt sich nur noch eingeschränkt bewegen. Nur einen Tag noch! Es werden morgen wohl noch mal 12 Wegstunden bis Mælifell werden. Dies ist die letzte Nacht im Hochland. Um 22 Uhr scheint noch die Sonne aufs Zelt, ich wasche mein Geschirr im Fluss ab und hole mir Wasser für den Frühstückstee.

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                          • Dieter

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                            #14
                            AW: [IS] Kjalvegur 1992

                            Dienstag, 5. August 1992
                            (Eystri-Bugakvísl - Reykir)

                            Um 5:20 Uhr aufgestanden, draußen ist es klar und nur ein hohes Wolkenfeld im Osten verdeckt die Sonne. Das Zelt ist wieder nass vom Tau. Aufbruch dann um 7:50 Uhr. Die Mücken sind auch wieder wach. Schon nach wenigen hundert Metern gabelt sich der befahrbare Weg. Der eine geht links, nach Norden dem Fluss entlang und der rechte Weg führt erst mal bergauf. Steinmänner sind von hier aus keine zu sehen. Der Karte nach soll hier irgendwo ein Weg nach Nordosten abzweigen, aber die ganze Situation im Gelände lässt sich nicht richtig mit der Karte zur Deckung bringen. Da beide Wege ins Tal des Skagajörður führen, wähle ich den, in den die meisten Pferdespuren abzweigen - also den rechten (südlichen) Weg.

                            Tatsächlich wäre der Weg nach links, dem Tal entlang, der 'alte Reitweg' richtiger oder besser gewesen.

                            Es geht steil bergauf und ich komme gehörig ins Schwitzen. Zur Freude der Mücken herrscht auch noch Windstille und so können sie ungestört versuchen mich zu nerven. Mit dem Stirnband kann ich sie wenigstens daran hindern mir in die Ohren zu fliegen! Es ist nicht mehr der Weg über die Hochebene der letzten Tage, es geht konstant bergauf und immer deutlicher nach Osten. Nach einer Stunde bin ich mir sicher auf dem Passweg über die Háheiði zu sein, der irgendwann in den letzten Jahren einmal ausgebaut worden sein musste. Es ist mir recht, auf diesem Weg erreiche ich das Tal schon etwa zehn Kilometer südlich von Mælifell und damit entsprechend früher. Gegen 9 Uhr wird der Pass flacher und eine halbe Stunde später habe ich unvermittelt den freien Blick nach Osten hinüber zur Öxnadalsheiði. Vor mir liegen Svartá-, Vestur- und Austurdalur, die oberen Täler des Skagajörður. Im Süden liegt noch der Hofsjökull, noch ein paar Schritte bergab und er wird aus meinem Blickfeld verschwinden.

                            Bergab, nur noch bergab! Um 10 Uhr spüre ich starke Schmerzen im Schienbein und werfe ich zwei Schmerztabletten ein. Die Tabletten wirken überraschend schnell und daraufhin geht es deutlich besser. Das Wichtigste ist erst einmal das bewohnte Tal zu erreichen, alles weitere wird sich ergeben.. Der Weg geht an einem verlandeten See, dem Vatnafellsflói vorbei in das Írafellsdalur hinab. Mit der Passhöhe hat sich das Bild der Landschaft vollkommen gewandelt. Die Weite des Hochlandes ist einer enger gekammerten Gebirgslandschaft gewichen. Im Hochland dominieren die großen Formen der Gletscher, Bergstöcke, Grundmoränenflächen und Flusssysteme, hier ist es der mittlere Maßstabsbereich, ein Berg, ein Kar, eine Schlucht, ein Hang, ein Tal, die das Landschaftsbild bestimmen. Sie bieten Anhaltspunkte, Brücken zu mir seit der Kindheit vertrauten Formen. Wäre die Schlucht der Gljúfurá mit Bäumen bestanden, sie könnte ein Tobel in den Voralpen sein. Der Weg am Wildbach entlang ist abwechslungsreich und angenehm zu gehen. Etliche Schafe fliehen vor mir her. Viele Blumen, auch eine etwas kleine, blasse Enzianart.

                            Ausgiebige Brotzeit auf einem Grashügel am Wegrand sitzend. Die Sonne wärmt und ich habe es nicht eilig. Ich muss mir erst langsam klar machen, dass ich es geschafft habe - das Hochland liegt hinter mir. Während der sechs Stunden Abstieg drangen, wie unter nachlassendem Druck, so viele Eindrücke und Erlebnisse wieder hoch, dass ich voll damit beschäftigt bin zu versuchen sie so gut es geht aufzuarbeiten. Ich bin froh diese Zeit zu haben, auch wenn sie nicht ausreichen wird. Sicher fühle ich mich glücklich, auch stolz! Aber stolz in dem Sinne, dass ich ein neues Selbstwertgefühl spüre. Ich freue mich nicht über die im sportlichen Sinn erbrachte Leistung, sondern mich bewegt die mentale Erfahrung dieser Unternehmung. Ich habe in diesen zehn Tagen mich physisch wie psychisch selbst erfahren, Neuland entdeckt, Binnengrenzen verschoben. Erreist, erfahren, ergangen. Was wird bleiben? Ich weiß es noch nicht beim Hinabsteigen, aber etwas in mir hat sich bewegt - scheint sich geändert zu haben.


                            Abstieg in das Gilhagadalur

                            Der Weg hat über den Bach gewechselt und nach isländischer Talnomenklatur bin ich jetzt auf der Gilhagidalur - Seite. Das Irafellsdalur / Gilhagidalur läuft fast parallel zum Hauptal und endet auf einer Talterrasse etwa 200 m über dem eigentlichen Talgrund. Von der Terrassenkante aus habe ich den ersten freien Blick auf die Höfe im oberen Skagafiördur-Tal. Der Bach, die Gljüfiırá, hat durch diese Terrasse ein enge Schlucht geschnitten, so das sich der Weg von ihm trennt und in steilen Serpentinen den Talhang zum Hof Gilhagi hinabführt. Gilhagi - eine Hof, der so richtig dazu angetan war jede vielleicht aufgekommene, anheimelnde Sentimentalität auszunüchtem. Island wäre nicht Island wenn diesem Land nicht so auffallend das vordergründig, romantisch Gemütliche der ländlichen Architektur fehlen würde, das man als Tourist zum Beispiel in Oberbayern oder in Tirol erwartet. Sarakastisch zähle ich zirka zehn verrostete Autoleichen, die teilweise mitten auf der Mähwiese stehen, die üblichen landwirtschaftlichen Geräte gleichen Zustandes, und locker verteilt Musterbeispiele aller isländischen Baustile und -techniken seit dem Torfhaus in fast denkmalschutzwürdiger Vollständigkeit. Der Größe nach zu urteilen, ein bedeutender Hof aber die Gebäude waren, falls jemals vollkommen fertiggestellt, scheinbar nur dann geflickt worden wenn unmittelbar der Einsturz drohte. Der Weg geht weit genug am 'neuen' Wohnhaus vorbei und vor der Einmündung zur Talstraße grüßt noch ein zusammengebrochener Traktoranhänger.


                            Tungusveit im Skagajörður

                            Auf der Straße zahle ich dann den Preis für den kürzeren Weg. Ein klassischer Talhatscher! Selten mal kommt mir ein Auto entgegen, sie donnern am mir vorbei und ich muss auf aufgewirbelte Steine achten. Es wird auch gehupt, damit ich auch frühzeitig Platz mache. Alles in allem kein sehr herzlicher Empfang. Eigentlich bin ich ja am Ziel, aber ich weiß noch nicht wo ich übernachten werde; In Mælifell wohnt ein Bekannte von Lene, dort soll ich mich zurückmelden, so ist es abgemacht, aber bis dorthin sind es noch zehn Kilometer. Das Gehen fällt mir schwer und die Moral ist schlecht. Die Straße geht manchmal etwas bergauf und bergab, ist aber schnurgerade, so weit wie das Auge recht. Die einzige Abwechslung sind alle ein bis zwei Kilometer die Höfe, die in einiger Entfernung zur Straße stehen. Schritt für Schritt weiter.

                            Wieder so ein Hof nicht weit von der Straße. Ein Auto fahrt vom Haus zum Gatter an der Straße, ein älterer Mann steigt aus, untersucht umständlich seinen Briefkasten, bleibt noch stehen und wartet neugierig ab, bis ich vorbeikomme. Ich grüße "Góðan daginn!", er antwortet etwas zögernd "Kaffi?", "Já, takk!". Jetzt eine Kaffeepause abzulehnen wäre erstens unhöflich und zweitens unvernünftig, denn eine Kaffeepause ist genau das, was ich jetzt brauchen kann. Der Rucksack verschwindet hinter der Heckklappe des Wagens und ich werde im Rückwärtsgang die hundert Meter bis zum Hof gefahren. Der Alte kann bis auf ein paar Wörter Englisch nur Isländisch. Das Wohnhaus, ein einstöckiges Fertighaus in Holzbauweise, ist neu. Innen alles Holz große helle Fenster. Man betritt die Wohnung direkt von der Veranda ins Wohnzimmer und ungeachtet der Socken, bleiben die Schuhe nach isländischem Brauch vor der Tür. Neben dem Fernseher übernimmt ein mit Zierdecke und Photorahmen gekrönter, freistehender Kühlschrank seine Funktion als Möbelstück. Die Frau des Hauses ist in ihrem Kittelschurz sichtlich nicht besonders begeistert, dass ihr Alter da einen ziemlich verwilderten Útlendingar (Ausländer, oder ganz allg. Tourist) anschleppt. Aber nachdem ich ihren Kaffee, und das gebotene Schmalzgebäck 'kleinur' (Hasenöhrl) eifrig lobe, taut sie auf und vergisst ihren anfänglichen Vorbehalt. Trotzdem kann ich mich nicht erinnern jemals ein so dünnes Süppchen von einem Kaffee getrunken zu haben. Allerdings kann ich mich auch nicht erinnern schon einmal so, von der Straße weg zum Opfer des Gebotes zur Gastfreundschaft geworden zu sein. Ich muss ihnen dann das Rätsel lösen, von wo ich herkomme. Ich reihe die Ortsnamen aneinander, zeige auf der Karte meinen Weg und mein Ziel. Zwischendurch muss ich in meinem Miniwörterbuch blättern, aber meine Gastgeber stört das nicht weiter und sie scheinen sich gut zu unterhalten. Der Besuch endet schließlich damit, dass mich der Alte in sein Auto lädt und die restlichen Kilometer bis nach Mælifell fahrt. Ich bedanke mich noch einmal und lasse mir seinen Namen und Adresse notieren.

                            Mælifell besteht nur aus einer kleinen Holzkirche mit Friedhof, einem Wohnhaus und den üblichen Wirtschaftsgebäuden. Das Wohnhaus ist ziemlich alt, schmal aber dafür hoch und passt in seiner charmelosen Betonbauweise eher in einen Vorort einer Industriestadt als hierher. Trotzdem Mælifell scheint ein bedeutender Ort sein. Allerdings ist niemand zu Hause, und so hinterlasse ich einen Zettel, dass ich hier vorbeigekommen bin und man möge doch bitte telefonisch Lene Bescheid sagen. Es ist schon spät, und es hat keinen Sinn in Mælifell zu bleiben, denn nur ein paar Kilometer weiter liegt der Ort Reykir, immerhin gut ein Dutzend Gebäude, Tankstelle mit Werkstatt, Gemeindezentrum und eine Schule, Gästehaus und Campingplatz. Vor allem aber sind die Ortsnamen um Reykir recht viel versprechend, die meisten beginnen mir Reyk- (Rauch oder Dampf), oder Laug- (warme Quelle), ein Bach heißt sogar Varmilækur (Warmer Bach). Die Kaffeepause hat mir gut getan. Ich humple zwar ein wenig, bin müde, aber die 'Moral' ist wieder gut und so komme ich nach einer knappen Stunde bei der Talschule Steintaðaskóli in Reykir an.

                            Die Schule ist wie viele Schulen Islands während der Sommerferien ein Gästehaus. Auf dem Gelände der Schule ist auch eine Wiese zum Campingplatz erklärt. Und, wie erwartet gibt es gleich nebenan ein Schwimmbad. Auf dem Zeltplatz sind außer mir nur vier isländische Familien mit Wohnmobil und Zelt. Ich baue schnell mein Zelt auf - inzwischen sitzt jeder Handgriff, alles hat längst seinen angestammten Platz. Von der Schule aus rufe ich meine Eltern in Fischen und Oskar in Dæli an. Nachdem dies erledigt ist gönne ich mir wieder einmal Islands natürlichen Luxus - heißes Wasser! Zuerst ausgiebig aus der Dusche, und dann im Wechsel im Schwimmbecken und im kleinen, runden Heißwasserbecken. Es sind kaum Gäste da und es ist ruhig, der Himmel hat sich gegen Abend etwas bezogen und vom Fjord her ziehen Nebelbänke an den Talflanken entlang. Allmählich entspannt sich der Körper im dampfenden Wasser und die Müdigkeit kriecht wohlig in die Knochen, und auch im Kopf schaltet es langsam um. Du bist angekommen, jetzt bist Du da, kein 'Durchbeißen' mehr, jetzt nur relaxen, auf dem Rücken liegend im Wasser dümpeln - Abschalten.

                            Ich bin ziemlich durchgeweicht als das Bad um 22 Uhr schließt. Frische Wäsche gibt es noch als privaten Luxus. Im Zelt koche ich dann wieder und zum x-ten mal einen Tüteneintopf, den ich mit dem Inhalt einer Wurstdose anreichere. Das Menü erlaubt auch Schokolade satt zum Nachtisch, denn es sind noch zwei bis drei Tagesrationen übrig. Allerdings habe ich seit ein paar Tagen eine an mir bisher fremde Gier nach einem riesigen Salatteller (besser: eine Schüssel), oder nach einem richtig saftig, knackigen Apfel entwickelt! Werde zukünftige Speisepläne für Touren dieser Art dahingehend überdenken müssen. Irgendwann bin ich dann doch zu müde und freue mich darauf ausschlafen zu können.

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                            • Dieter

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                              • 26.05.2002
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                              #15
                              AW: [IS] Kjalvegur 1992

                              Mittwoch, 6. August 1992

                              Bin erst um 8:15 Uhr aufgewacht. Nach dem Frühstück noch ein paar Zeilen an Hans geschrieben - ist die Idee zu dieser Tour doch mit auf seinem Mist gewachsen. Das Wetter ist bewölkt aber trocken, und ab und zu kommt auch die Sonne schon mal durch. Ich kann mir Zeit lassen, denn Bus nach Akureyri fährt erst um 14:30 Uhr in Varmahlið ab. Von Reykir nach Varmahlið sind es gut 10 km - sollte es mir nicht gelingen per Anhalter dorthin zu kommen, dann ist es eben ein dreistündiger Fußmarsch. Allerdings habe ich ziemliche Schwierigkeiten mit meinem rechten Fuß in den Stiefel zu kommen, da sich das Fußgelenk nicht abwinkeln lässt. Ich bin gerade mit dem Packen fertig, als auch zwei der isländischen Wohnmobile abfahren. Das zweite Fahrzeug hält an und der Fahrer fragt mich aus dem Fenster heraus, ob sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen könnten - aber natürlich - nach Varmahlið! Nach dem Einsteigen fragen sie mich noch, ob ich auch nach Akureyri will - noch besser. Sie sind ein junges Paar und mit ihrem sieben Monate altem Baby um die Insel herum unterwegs - no problem! Kurz nach Varmahlið nehmen sie noch eine Tramperin mit und so haben wir bis Akureyri, wo wir um 13 Uhr eintreffen - beste Unterhaltung.

                              In Akureyri deponiere ich meinen Rucksack erst einmal im Busterminal und erkundige mich, wann ich nach Dalvík weiterfahren kann. Der Bus geht erst am Abend und so habe ich Zeit das 'Stadtleben' zu genießen. Als erstes will ich Halldór (den staatl. Geologen) in seinem Büro im Naturkundemuseum besuchen, aber er ist gerade nicht da. Also kann mich jetzt nichts zurückhalten mich in der Cafeteria (im Untergeschoss des Hotel KEA, wo heute die Hamborgarfabrikkan ist) auf das zu stürzen, was am meisten nach Salatteller aussieht - dazu zwei Dosen Leichtbier. So, jetzt ist mir wohler und ich gehe hinüber zum Postamt und rufe meine Freundin in München an. Anschließend noch ein paar Postkarten gekauft und wieder zurück in die Cafeteria (Lachsbrot, Pfannkuchen und Kaffee) und Defizite ausgleichen. Schließlich treffe ich auch Halldór im Museum an und wir halten einen langen Plausch. Jeder Aufenthalt in Akureyri ist traditionell mit zwei festen Programmpunkten verbunden: Cafeteria und Schwimmbad! Da mir noch Zeit bis zu Abfahrt des Busses bleibt genieße ich noch das 'heiße Becken' des Freibades. Um 18:30 Uhr dann mit dem Bus den Fjord entlang nach Norden, nach Dalvík. Während der Fahrt schöner Blick auf die andere Seite des Fjordes - Sonne und kräftige Farben. Über dem Fjord ein einzelner, gar nicht großer, weißer Wolkenballen, und unter ihm aufgehängt, ein leuchtender Regenbogen.

                              Kaum in Dalvík angekommen kurvt schon Óskar mit seinem alten Volvo um die Ecke. Lene ist leider mit Sohn Thómas in Reykjavik im Krankenhaus und wird erst in ein paar Tagen mit ihm zurückkommen. Zusammen fahren wir nach Dæli, Óskar kocht uns ein Abendessen, ich wasche ab und dann gönnen wir uns je zwei großzügig eingeschenkte Gläser vom guten, alten und zollfreien Glenfiddich, der mir in meiner Reisetasche vorausgereist war. Der Scotch tut seine Wirkung und ein frisches Bett unter einem festen Dach dann ihr Übriges.

                              * * *

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                              • Ljungdalen
                                Alter Hase
                                • 28.08.2017
                                • 2715
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [IS] Kjalvegur 1992

                                Vielen Dank, sehr interessant. 1992, krass. (Also ich habe zu der Zeit auch schon Touren gemacht, aber...)

                                Hattest du das alles noch im Kopf oder irgendwo notiert? PS Ach so, stand ja am Anfang...

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                                • Styg
                                  Gerne im Forum
                                  • 01.05.2014
                                  • 86
                                  • Privat

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                                  #17
                                  AW: [IS] Kjalvegur 1992

                                  Hallo Dieter, vielen herzlichen Dank für den toll geschriebenen Bericht! Er ist für mich Einblick in eine frühere Zeit des Island-Trekking. 1992 war ich gerade einmal 10 Jahre alt und wußte vermutlich nicht einmal, dass es Island gibt. Angetan haben mir es auch die noch analog aufgenommenen Fotos, viele Bilder erscheinen authentischer und (natürlich) weniger geschminkt als viele der heutigen digitalen Entwicklungen.

                                  Ein besonderens Erlebnis ist für mich persönlich gerade bei längeren "Von A nach B"-Touren immer hinein- und und wieder hinauszulaufen in das und aus dem Hochland. In 2015 bin ich eine ähnliche Tour gelaufen, Startpunkt war damals Varmahlíð, dann sind wir in umgekehrter Richtung etwas vor Dir in das Hochland abgebogen. Noch habe ich es zwar nicht geschafft, dass mich ein Isländer auf einen Kaffee zu sich nach Hause einlädt, aber für einige tolle Tips abseits bekannter Routen hat es dieses Jahr immerhin gereicht.

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                                  • Marxegger
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                                    • 05.10.2010
                                    • 40
                                    • Privat

                                    • Meine Reisen

                                    #18
                                    AW: [IS] Kjalvegur 1992

                                    Hallo Dieter,
                                    danke für den ausführlichen und gut geschriebenen Bericht. Die Sehnsucht nach Island ist wieder erwacht, obwohl es heute dort nicht mehr so ist wie damals. Ich bin 1989 den Kjalvergur mit meinem damals 16 jährigen Sohn per Bus von Norden nach Süden gefahren. In Erinnerung geblieben sind mir die vielen Geistergeschichten die die Reiseleiterin erzählte. Anschließend bin ich dann noch 10 Tage durch Hornstrandir gewandert. Vielleicht schreibe ich darüber einmal einen Bericht.
                                    Pfiati
                                    Franz

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