[IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

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  • L0ewin
    Fuchs
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    [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

    Tourentyp
    Lat
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    Mitreisende
    August 2018

    Ich möcht' auch mal was schreiben. Also:

    Wir sind wiedergekommen! Seit einem Urlaub vor 8 Jahren haben meinen Mann und mich die Monti Sibillini in ihren Bann gezogen... Die schroffen hohen Berge mit ihren herrlich freien, menschenleeren schönen Grasbergen außenherum, die mich immer ein wenig an die Bilder aus der Mongolei erinnern.

    Unsere erste Reise bestand aus 8 Tagen Wanderung über sanfte, hochgelegene Grasberge, einem weiten blauen Himmel, sprudelnden Quellen und tagsüber immer um die 25 Grad mit leichtem Wind und absoluter Menschenleere. Die Italiener wandern (dort?) fast nicht- außer zu wenigen stark besuchten Plätzen.
    Diesmal haben wir unsere siebenjährige bergerfahrene Tochter mit, die schon tatkräftig mitwandern will. Naja, ein bißchen will sie's, weil wir versprochen haben, hinterher ans Meer zu fahren. Aber sie wandert gern für ihr Alter, das kann man sagen.
    Und wir reisen in einem Allradauto, das wir noch richtig dringend brauchen werden...
    Der Plan ist, zuerst eine kleine mehrtägige Wanderung zu machen (mindestens 2 Tage oder je nach Fitness und äußeren Umständen 4), dann zurück zum Auto und ein paar Tagesausflüge mit Tageswanderungen. Wir wollen wild zelten und in die Rifugios.

    Es war ein bißchen mutig, so kurz nach dem Erdbeben wiederzukommen, denn aus Medien und kaum-englisch-und-deutsch-sprechenden Infos von Hüttenwirten und der Tourist Information war nicht viel herauszubekommen. Wir hatten vorher nach dem Zustand und Offenheit der Hütten (anhand einer angeblich garantiert aktuellen Liste im Internet zu ersehen), der Wasserfülle der Quellen unterwegs (nach einem Erdbeben wie ich finde eine wichtige Frage) und ein paar anderen Sachen gefragt und fühlten uns irgendwann immerhin sicher genug, dort einfach mal zu starten.
    Zuletzt geändert von L0ewin; 22.05.2023, 10:53.
    Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.
    Albert Camus

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    #2
    AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

    Tag 1: Wir sind angereist. Wir haben Florenz besichtigt (schön, heiß und voller Touristen), haben an einem See gehalten und gebadet, gefühlte 100 Kinderkassetten angehört und sind abends recht k.o. in Norcia, einem Städtchen am Rande der Monti Sibillini angekommen. Dort haben wir sehr lecker gegessen und keine günstige Unterkunft mehr gefunden- also sind wir im Dunkeln aufgebrochen nach Castelluccio im Inneren der Berge, weil wir dort einen Platz wußten, wo man schlafen kann. Wir wollten dann gleich morgen von dort aus die erste Tour starten.
    Wir fuhren also über den Bergkamm auf die Hochebene "Piano Grande", und sahen dort oben eine eingestürzte Berghütte. Das Haus stand noch, aber das Dach des großen angebauten runden Turms lag fast ebenerdig auf einem flachen Schutthaufen. Ich musste ein wenig schlucken, wenn ich daran dachte, dass zum Zeitpunkt des Erdbebens im August 2016 wahrscheinlich Leute in dem Haus waren.

    Dann fuhren wir durch das wunderschöne nächtliche Piano Grande, an Castelluccio vorbei, ein paar hundert Meter weiter und bis zu dem Platz, zu dem wir wollten. Genau dort stand ein Schild, auf dem stand, dass die Straße wegen Bauarbeiten unter der Woche gesperrt war. Wir stellten das Auto am Rand der schmalen, oft geflickten Teerstraße im Pian Perduto ab.
    Ich stieg aus, atmete die Nachtluft ein und war, wie im letzten Urlaub auch schon, plötzlich ein bißchen wie berauscht. Es war wie letztes Mal, der ganze Stress der Hinfahrt (ich mag Autofahren nicht besonders) fiel bei diesem großartigen Anblick ein wenig von mir ab. Der Grund ist die Schönheit der Gegend: Das Pian Perduto, die Hochebene auf der "Rückseite" von Castelluccio, übersteigt in seiner Schönheit für meinen Geschmack das berühmte Piano Grande auf der anderen Seite des Dorfes. Da ist die kleine Ebene mit den Mohn- und Linsenfeldern, dahinter sanft gewellte Grashügel, die dahinter in ebenso sanfte Grasberge übergehen und am Ende kommt der Hauptkamm der Apenninen, der hier bis ca. 2400 Meter hoch ist und meist bis oben hin mit Gras bewachsen. Gras und freie Sicht wohin man blickt- Bäume gibt es fast keine, und die einzelnen, die man sieht, machen klar, wie riesig die Berge um sie herum sind. Ansonsten sieht man nur die eine schmale Straße.

    Wir hörten in der stillen Nacht nichts. Kein Hundegebell, keine Züge, keine Autos, keine Musik. Nur die weißen, ruhenden Kühe auf einem Hügel nebenan liessen ab und zu ihre Glocken läuten. Es war angenehm kühl und ungeheuer friedlich. Die Nacht war trocken, und wir legten unsere Plane in eine flache Kuhle etwas abseits vom Auto (ab hier war Sackgasse und wir würden wohl kaum gestört werden), legten die Isomatten und Schlafsäcke darauf und trugen das schlafende Kind in seinen Schlafsack. Der Himmel war herrlich, man sah die Milchstraße, und so schliefen wir ein. Ich hatte mir zum Drauflegen unsere weiche dicke Matte aus dem Auto besorgt und fühlte mich wie auf einem Bett in freier Natur. Yeah- morgen geht's los!
    Zuletzt geändert von L0ewin; 22.05.2023, 11:00.
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      #3
      AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

      Tag 2: Auch beim Aufwachen war der Platz einfach wunderschön. Die Kühe waren weitergezogen, die Sonne war fast über dem Berg aufgegangen und aus dem Dorf ca 500m entfernt hörte man noch nichts.





      Unserer Tochter gefiel es hier auch, und wir blieben im Schlafsack und sahen uns die Gegend an, bis die Sonne aufging und in der Ferne einen Schäfer seine Schafe über den Hügel trieb. Die Gegend ist so weitläufig, dass wir nur ein paar weiße Pünktchen sahen, die sich über den Hügel verteilten. Dann packten wir unsere Sachen zusammen und wollten im Dorf ausgiebig frühstücken, bevor wir losliefen.

      Dort angekommen, war aber einiges anders als angenommen. Castelluccio war vom Erdbeben 2016 fast dem Erdboden gleichgemacht, was man in der Nacht gar nicht richtig gesehen hatte. Wir hatten uns im Vorbeifahren nur gewundert, dass echt wenig Licht brannte.
      Wie wir im Laufe des Urlaubs erfuhren, gab es offensichtlich im Oktober 2016, zwei Monate nach den ersten Erdbeben im August, das bei uns durch die Medien ging, nochmal starke Beben, von denen wir nichts wußten. Vielmehr dachten wir beim Telefonieren mit dem Mann vom italienischen Touristenbüro, wenn wir über das Erdbeben sprachen, immer an das Beben im August (wesentlich weiter südlich als unsere Reisegegend) und er hatte auch sehr entspannt auf meine Fragen reagiert, so als ob hier alles fast wie immer wäre.

      Castelluccio war zerstört, und an dem kleinen Bergsattel, über den man den Hauptteil des Dorfes erreichte, war der Zugang mit einem Zaun versperrt. Auf dem Sattel hielt man die Infrastruktur soweit aufrecht, dass es ein paar Buden mit Café und 2-3 Lädchen gab.
      Noch etwas krasses fiel uns auf, eine Wache vom Militär in Tarnanzug und mit Waffe. Mein Mann meinte, das sei damit im Dorf nichts geplündert wurde, was uns später auch von einem Einheimischen bestätigt wurde.
      Ich wollte das Dorf sehen und mogelte mich an Zaun und Wache vorbei ins Dorf, als der Wachmann weg war. Hier stand einmal mein Lieblingsdorf, hier hatten wir unseren vielleicht schönsten Urlaub verbracht und ich wollte nicht gehen, bevor ich das Dorf besser gesehen hatte. Vielleicht mögen das manche unsympathisch finden - mir jedoch war es wichtig, immerhin wäre das Dorf bis dahin meine Wahlheimat gewesen.
      Die Taverne, in der wir damals gegessen hatten, stand wie wenige andere Häuser noch ganz, hatte aber riesige Risse, die sie unbenutzbar machte. Eine Laterne am Dorfrand vor dem Bergpanorama, die ich damals fotografiert hatte, stand unglaublich schief. Im Graben daneben lagen Mülltonnen durcheinandergewürfelt, und eine Parkbank war hineingestürzt. In einige Häuser, die eine Wand verloren hatten, konnte man hineinsehen, Möbel und kaputte Haushaltsgegenstände standen darin zwischen dem Schutt herum. Ich ging etwas weiter, und der Rest den ich sah war ziemlich krass. Kein Haus, das noch bewohnbar wäre, viele waren mehr Schutt als Mauern, offene Dächer, herausragende Stahlstangen, kaputte Leitungen, zerbeulte Schilder, deren Inhalte unwichtig geworden war. Die Maschinen für die Aufräumarbeiten standen überall und ganz viel, das zu betreten zu gefährlich geworden wäre, war abgeriegelt und zur "Zona rossa" erklärt worden. Irgendwo war ein langer Spruch groß an eine Hauswand gepinselt, er sah neu aus. Daneben war ein Restaurant, dessen Schild "Aperto" mit einem Pfeil aufs Haus gerichtet noch stand, das rosa Hotel dahinter aber stand nur noch zur Hälfte.







      Als ich zurückging, dachte ich nicht an den Burschen vom Militär, der inzwischen zurück war, aber der beachtete mich gar nicht. Seine Aufgabe war, Plünderungen zu vermeiden und nicht Touristinnen aus dem Dorf zu scheuchen. Ich fühlte mich wie ein Katastrophentourist. War ich in dem Moment ja irgendwie auch, wenn auch ungewollt, da wir ja über das wahre Ausmaß der Zerstörung nichts wussten.

      Im Café gab es Frühstück, aber je nach Laune des Betreibers, erst ab 9 oder 10 Uhr. Das war uns zu spät, wir wollten so früh wie möglich loslaufen- also versuchten wir es am einzigen Haus im Dorf, dass wir am Abend vorher hell erleuchtet (und mit gehissten Fahnen) gesehen hatten und für ein Hotel hielten.
      Unsere Rechnung ging auf, das kleine und schöne 10-Zimmer-Hotel hinter einer Biegung etwas abseits vom Dorf war geöffnet. Es war wohl unversehrt genug geblieben, und hatte einen wirklich grandiosen Ausblick auf das Pian Perduto.



      (Ich hab diesesmal kein Foto von der weiteren Landschaft von diesem Tag der Tour gemacht und hab schnell für den Bericht zwei Fotos hochgeladen, die ich seit unserem ersten Urlaub auf Photocase ausstelle... sorry für den Stilbruch)

      In der Landschaft projizierten die inzwischen aufgegangene Sonne und ein paar Wolken ein wunderschönes Farbspiel auf die Hochebene. Wir fragten nach Frühstück und bekamen von dem netten Betreiber Kaffee, Kakao, und für ein italienisches Frühstück sogar ein auffallend gutes (aber natürlich durch und durch süßes) Essen vom Buffet. Wir aßen auf der Terrasse in der Morgensonne. Dort durften wir auch unsere Wasserflaschen auffüllen, und der Betreiber beantwortete sehr nett unsere Fragen, die wir wegen unserem Weg in den nächsten Tagen hatten. Der freundliche Kerl wollte nur 10 Euro für das üppige Frühstück- für alle 3 zusammen.

      Das Auto ließen wir ein paar Meter weiter am Straßenrand stehen, und liefen los. Unsre Tochter lief nicht das erste Mal für länger, und so kamen wir gut voran, an einer schönen Quelle/ Kuhtränke vorbei, bei dem das Wasser kaskadenartig über mehrere Tränken läuft, hinein in ein sehr schmales Tal, in dem man links am Wald und rechts an einem beweideten Grashang entlangläuft- der mal eben scheinbar unspektakulär 700 Höhenmeter aufsteigt.

      Weiter geht es durch den Wald, der Weg wird sehr steil (Serpentinen sind was für Anfänger- haha) und der Mittag naht. Wir steigen noch auf, bis der Weg in einen größeren Weg mündet. Dort ist ein sehr schöner Platz unter ein paar alten knorrigen Eichenbäumen. Wir haben schöne Fernsicht, denn der Platz ist knapp unter dem Berggipfel des ersten Grasberges, über den wir laufen. Meine Tochter packt ein paar Playmobil-Figuren aus, baut ihnen auf den moosbewachsenen Steinen Straßen und Brücken, und klettert auf die Bäume. Währenddessen versuchten wir, das erste Knorr-Päckchensuppen-Gourmetessen auf dem Campingkocher zu machen (das war nicht die beste, aber die leichteste Variante, für ein paar Tage Essen mitzunehmen). Wir durchsuchten den Rucksack, durchsuchten ihn nochmal, und mussten lachen- von allen Sachen die wir vergessen konnten, vergaßen wir ausgerechnet die Löffel. Genau das haben wir vor 8 Jahren nämlich schonmal und uns an diesem Platz Löffel geschnitzt. Also packte mein Mann ein Messer aus und schnitzt erstmal notdürftig eine Art "Löffel" und ein zweites undefinierbares Ding, mit dem ich umrühren konnte. Alle Achtung, denn das hat er aus dem harten Eichenholz geschnitzt. :-)
      Endlich essen, und weiter gings.



      Auf den weiteren Teil der heutigen Wanderung hab ich mich monatelang gefreut, denn es ist für mich der schönste: man läuft über 10 km weit über 5 oder 6 große Graskuppen, alle zwischen 1400 und 1700 Meter hoch, und steigt zwischendrin kaum ab. Links die Vorberge, die man allesamt weit überblicken kann und einige Felsnasen, die von unseren Kuppen aus hinausragen und dem Blick noch einen Hauch ferne Dramatik verleihen. Dort unten gibt es Dörfer und Straßen, aber man sieht und hört sie von hier aus alle nicht- man läuft durch Stille und Einsamkeit. Rechts ragen die Gipfel der Hauptkette auf, sie sind 10 km entfernt, also weit genug, um den freien Blick nicht einzuengen. Über uns der Himmel mit ein paar Falken und einem Vogel, der wohl ein Bussard oder Adler war. Es ging ein leichter Wind und es war angenehm warm. Irgendwann trafen wir auf einen nur italienisch sprechenden alten Hirten, der neben seinen Schafen lag und wohl schlief, bis seine Hunde ihn weckten. Er kam freundlich näher, und es kam zu einem kurzen Gespräch mit den 30 Worten Italienisch, die wir kannten, und Händen und Füßen. Er fragte woher wir seien und welche Strecke wir heute noch laufen.

      Auf diesem Abschnitt der Wanderung darf es kein Gewitter geben: hat man eine bestimmte Abzweigung hinter sich gelassen, gibt es eine ganze Zeit keine Möglichkeit mehr, Unterschlupf zu finden, weder im Gelände noch durch irgendeine Scheune o.ä. Das hatten wir im Blick, und wir mussten uns wegen einer etwas wechselhaften Gewitterstimmung immer wieder damit auseinandersetzen, dass bald ein Gewitter losgehen konnte. Schließlich wagten wir es doch, weiterzugehen: App und Wetter gaben langsam Entwarnung, und wir sahen die Wolken in Richtung Tal abwandern, wo wohl bald ein Gewitter losgehen würde. Trotzdem gingen wir etwas schneller weiter – sehr zum Unwohl unsrer maulenden Tochter –, weil die Gewitterstimmung trotz der fehlenden Wolken irgendwie noch da war. Nach einer weiteren Stunde Wanderung hat es uns dann auch erwischt: gerade als in ca. 2 km Entfernung der erste mögliche Unterschlupf – ein großer Stall, gleich daneben Hunde, Geländewagen und Schafe – auftauchte, tauchten über dem benachbarten Bergkamm sehr schnell dunkle Wolken auf, die auch bald anfingen mit Wetterleuchten und Donner. Wir fingen an, sehr schneller zu laufen, aber wir schafften es nicht mehr und mussten Eisenteile ablegen, uns in eine Kuhle am Wegrand legen, und unsere Plane über uns decken. Dort lagen wir für ca. 20 Minuten, in denen der Regen auf uns runterprasselte und wir die Sekunden zwischen Blitz und Donner zählten. Unsre Tochter hatte etwas Angst, und wir beruhigten sie, so gut es ging. Was für ein Abenteuer!

      Als alles vorüber war und wir noch eine Weile an dem Platz waren, kamen plötzlich die vier Hunde des Schäfers zu uns und beobachteten uns. Zwei weiße, ein gefleckter und ein kleinerer gefleckter, das waren genau die von vorhin – waren sie gekommen um nach uns zu sehen? Es wirkte so, und irgendwie war es tröstlich. Nach ein paar Minuten liefen sie wieder zurück.

      Wir gingen noch ca. eine Stunde und legten unsere Plane, die Isomatten und Schlafsäcke auf einen schönen Platz auf einem Bergrücken, etwas windgeschützt zwischen ein paar Bäumen, weil hier der Buchenwald bis zum Bergrücken heraufragt. Der Platz war wunderschön, wir sahen Sonnenuntergang sowie Sonnenaufgang, was zwischen den gelben trockenen Gräsern beides sehr schön aussah. Wieder bewundere ich die schöne Graslandschaft: die Disteln in den Monti Sibillini sind leuchtend lila, dann gibt es noch das frische grüne oder das zarte, höhere gelbe Gras, einige andere Wildblumen und viele Schmetterlinge. Der leichte Wind auf dem Bergrücken lies uns zwar gleich in die Schlafsäcke verziehen, hatte aber den großen Vorteil, dass er den Großteil der Mücken verscheuchte, die es leider auch hier gab.
      Zuletzt geändert von L0ewin; 22.05.2023, 11:33.
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        #4
        AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

        Tag 3: Am nächsten Tag sollten wir allerdings gleich unser nächstes Abenteuer erleben: uns ging am Vormittag das Wasser aus. Als wir vor einigen Jahren da waren, sprudelten die Quellen nur so vor Wasser. Die Monti Sibillini haben eh den Ruf, dass sie bei entsprechendem Wetter auch im Sommer relativ wassersicher sind. Die letzten Wochen hatte es laut unserer App genug geregnet. Also verließen wir uns darauf, dass wir an dem Tag an einer der vier Quellen, an denen wir am Vormittag vorbeikamen, Wasser finden würden. Wir liefen also los, und jede Quelle auf dem Weg war trockengefallen. Bei einer der Quellen hörte man zwar in der Nähe etwas rauschen, aber auch nach längerer Suche durch den dortigen Wald kam mein Mann erfolglos zurück: weder diese Quelle noch das eingezeichnete Bächlein in der Umgebung führten Wasser. Das Rauschen klang nach Wasser, aber war es vielleicht doch der Wald? Keine Ahnung. Der sinnvollste Reim, den wir uns auf alles machen konnten, ist dass durch das Erdbeben die Quellen verschüttet worden waren und das Wasser nun an anderen Stellen herauskam.

        Also mussten wir weitergehen, denn am frühen Nachmittag sollten wir laut Plan Visso erreichen, ein winziges Städtchen in den Bergen. Wir kamen noch an einem weiteren Schäferhäuschen vorbei, an dem wir Wasser, einen Brunnen oder eine Pumpe vermuteten, aber der Schäfer, den wir eine halbe Stunde zuvor noch durch die Gegend rufen hörten, war schon weg, als wir dort ankamen, und die Hunde verteidigten das Haus. Also mit trockener Kehle weiterwandern. Unsre Tochter war echt tapfer, wir haben aber viele Pausen einlegen müssen und haben ihr in Visso drei Kugeln Eis mit Sahne versprochen (sie machte riesige Augen, als sie von dieser Menge Eis hörte. Soviel gibts bei uns nie).
        Mit dieser Erfahrung wurde klar, dass wir die kurze Version der Mehrtageswanderung machen mussten. Schade, aber auf der anderen Seite waren wir, ausgetrocknet wie wir waren, alle froh über diese Entscheidung. Auf dem weiteren Weg deckten wir unseren Wasserbedarf ein wenig durch die Brombeeren, die überall am Wegrand wuchsen (mir half es- meine Tochter sagte, es mache sie nur durstiger), und um halb drei kam der vorausgehende Papa endlich mit Wasser zu uns. Man merkte, dass wir uns Visso näherten, in dem Städtchen floss nämlich ein kleiner Fluss mit vielen Zuläufen. Der Weg führte die ganze restliche Zeit leicht bergab. Visso liegt für diese Gegend sehr tief: unter 700 hm. In Visso hatte es auch ein Beben gegeben, von diesem wussten wir von der Urlaubsvorbereitung und waren darauf eingestellt. Die Innenstadt war fast vollständig zur Zona rossa erklärt worden. Das Leben fand auf dem Sportplatz neben der Innenstadt statt: es war für ein Provisorium eigentlich ganz schön gelegen neben einem kleinen Pinienhain, dem Flüsschen und einem Spielplatz, und glich tatsächlich mit seiner Stimmung, den Kindern und den vielen Menschen irgendwie einem Marktplatz. Dort ruhten wir uns aus und verbrachten ein paar Stunden mit Espresso und dem versprochenen Eis, bis unser Bus uns zurück nach Norcia/Castelluccio fuhr.
        Holzbuden (mit Weihnachtsbeleuchtung und Kunsttannengrün vornedran :-) ) enthielten eine Bar, Pizzeria, Gelateria, einen Spielzeugladen, einen Friseur und Spezialitätengeschäfte, es gab zwei saubere Dixieklos und eine große Bar in einem Veranstaltungszelt. Obwohl die Auswahl dieser Läden eher nach Touristenläden klingt, trifft das vielleicht eher auf die Spezialitätenläden zu, denn die Leute, die hier unterwegs waren, waren fast alle Einheimische. Die wenigen Leute, von denen ich glaubte, dass sie Touristen waren (man sah es ihnen nicht genau an, denn die Gegend hat traditionellerweise vor allem italienische Touristen), machten mir aber ein wenig Hoffnung für die freundliche Gegend, dass hier ein gesunder Tourismus wie vorher hoffentlich recht bald wieder Fuß fassen wird.
        Später fuhren wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln weiter nach Borgo, wo wir bei einer netten Frau aus Eritrea einen leckeren Imbiss aßen (sie war schonmal in Deutschland und mochte die Deutschen lieber als die Italiener, sagte sie- die mochte sie auch, aber sie waren ihr zu laut :-) ), dann nach Norcia und von dort aus mit einem Taxi nach Castelluccio. Kaum einer sprach Englisch, alle waren freundlich und kinderlieb. Mira und mein Mann machten irgendwie die ganze Zeit faxen, und wir planten, am nächsten Tag zum einzigen See in der Umgebung, dem Stausee Lago di Fiastra, zu fahren. Das würde ein wenig Fahrerei sein, aber für unsere Tochter die schönste Alternative für den morgigen Tag.

        In Castelluccio wollten wir wieder an unserem alten Platz wild campieren, hatten dann aber die Idee, die ca. 100m mit dem Geländewagen zu der Quelle mit den Kuhtränken zu fahren, weil auf "unserem" Platz ein Camper stand. Die Nacht an dem anderen Platz stellte sich als kühler und später dann deutlich feuchter als die erste Nacht heraus, und mein Daunenschlafsack wurde so kalt und nass, dass ich im Auto schlief. Die anderen beiden in ihren Kunstfaserschlafsäcken bekamen von der Nässe nichts mit, aber kalt war ihnen auch. Es ist halt eine Hochebene- und mit dem Klima am italienischen Meer nicht zu vergleichen.
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          #5
          AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

          Tag 4: Beim Aufwachen war die Ebene unter uns (wir waren vlt 30 m höher) voller Nebel. Die Fotos von Castelluccio, die ich im Internet finde, sehen oft so aus: das schöne Dorf auf dem kleinen Bergkegel, das aus dem Wolkemeer herausragt. Ich ging zur Quelle, das Wasser in den Kaskaden war ruhig und spiegelte die Bergkette von gegenüber wieder. Darunter die wogenden, dichten Bodennebel. Ein sehr schönes, fast meditatives Bild.
          Wir gingen zu dem schönen kleinen Hotel und bekamen wieder das leckere Frühstück, und noch ein paar Tipps dazu, über welchen Weg wir am besten nach Fiastra kämen.

          Der Weg nach Fiastra war lang und führt am Dörfchen Cupi vorbei, das so schön liegt, dass es bei unserem nächsten Sibillini-Urlaub auf jeden Fall mit dabei sein sollte, und an dem Kloster "Santuario di Macereto", bei dem wir kurz hielten, um unser Wasser aufzufüllen. Aber auch hier- kein Wasser. Die Quelle hier sprudelte vor ein paar Jahren wie verrückt, und das Wasserbecken der gefassten Quelle ist riesig.
          Die Hochebene neben dem Kloster, durch die wir danach fuhren, finde ich so schön, dass ich fast Pipi in den Augen bekomme, wenn ich daran denke. Sorry für den Ausdruck, aber es ist echt wunderschön. :-) Wirklich, überall das schöne Gras mit den schönen lila Disteln, durchzogen von kleinen Baumgruppen, sehr sanfte kleine Hügel, und im Hintergrund eine riesige dramatische Felswand, die Wand vom Monte Bove. Besonders um das Kloster herum ist dieser Ausblick phantastisch und gibt einem das Gefühl von totaler Weite. Aber eben wohl nur den Erwachsenen- wir jedenfalls blieben wegen dem Antreiben unserer Tochter nicht lange und fuhren weiter zum See. Dort wateten wir durch den Zulauf am Oberlauf des Sees und legten uns an das Kiesufer, das uns sehr an die Flüsse der nördlichen Alpen erinnerte und schöne Stellen zum Baden hat, sowie schönes Treibholz.

          Ein schöner Platz zum Spielen und Ausruhen und endlich kam unsere Tochter etwas mehr auf ihre Kosten (sie kommt auch sonst auf ihre Kosten, denn normalerweise fahren wir auf ihren Wunsch ans Meer, wo wir auch in diesem Urlaub die meiste Zeit verbrachten). Sie und ich verbrachten einen herrlich schönen Nachmittag im Wasser, während mein Mann sich ausruhte.

          Später fuhren wir von Fiastra aus zum Rifugio del Fargno, einer Berghütte mitten in den Monti Sibillini, die auf einem Sattel auf dem Hauptkamm der Apeninnen liegt. Die Fahrt konnten wir nur machen, weil wir in einem Geländewagen unterwegs waren: der Weg führt über tiefe Schlaglöcher, ausgewaschene Stellen, Risse, herumliegende Steine und über Felsen. Eine Stunde lang fuhren wir so, und zumindest die, die nicht fahren mussten, konnten wieder die Bergwelt geniessen. Auch hier wieder eine Gegend, die wir schon erwandert haben und über die ich mich freute, sie wiederzusehen.

          Nach 1,5 Stunden meist seeeehr langsamer Fahrt sahen wir in der Ferne das seltsame Rifugio: ein paar hundert Meter vor ihm steht (wie um eine Vorahnung für seltsame Baukunst zu machen) ein aus Eisen gebautes spitzes Dreieck, das sich als Notunterkunft für die Schäfer neben der Straße an die Felswand schmiegt. Dann kommt das Rifugio, das noch viel seltsamer ist, denn es ist ein achteckiger heller Betonklotz mit einem nur leicht schrägen Betondach.



          Vor dem Hintergrund der Graslandschaft erinnerte es mich durch Form und Farbe entfernt an eine Jurte. An der Berghütte angekommen, genossen wir erst die Aussicht. Bei guter Sicht kann man die Adria sehen, glaube ich, denn hier ist der Apenninenkamm ziemlich weit im Osten. Und der Himmel ist auch hier wieder sehr schön, in dieser Höhe (1800m) kann man mit Polfilter Fotos mit richtig dunkelblauem Taghimmel machen, und nachts sieht man deutlich die Milchstraße. Wir sollten unser Auto dann etwas entfernt parken und gingen in die achteckige Stube, um etwas zu trinken.
          Gemeinsam mit uns kamen übrigens ein paar Motorradfahrer an, die beim Absteigen aus ihrer Jacke drei riesige Welpen zogen. Erst wunderte ich mich nicht weiter darüber, immerhin befand ich mich in einer anderen Kultur- irgendwann aber bekamen wir zu hören, dass die drei auf dem Weg zur Hütte gefunden wurden. Soweit ich es verstanden hatte, mitten in der Natur am Wegrand und in einem Karton. Zuerst durften sie nicht hinein, dann aber schlossen die Hüttenbetreiber die Kleinen ins Herz und sie liefen (noch sehr tapsig- sie waren echt jung!) zu allen hin und freundeten sich an. Wir waren eine Nacht und einen halben Tag dort oben, und immer sah man einen Welpen irgendwo etwas anknabbern oder schlafen.



          Ein Mitarbeiter von der Hütte fragte uns nach einiger Zeit, ob wir nicht einen haben wollten, es waren Welpen von der in der Gegend typischen riesigen Hirtenhund-Rasse, die darauf gezüchtet wurden, die Herde gegen Wölfe zu verteidigen. Wir wollten zwar tatsächlich einen Hund und waren grad in der Findungsphase, was für einem Hund wir ein gutes Zuhause geben konnten - aber ein erst 5 Wochen alter über 70 cm groß werdender Hütehund war uns für unser Vorhaben, die Familie zu vergrößern, ein paar Hausnummern zu krass. Der Wirt schoß ein Foto für Facebook, vielleicht fand er auf diesem Weg Abnehmer.

          Das Abendessen war mehrgängig, lecker, teils regional aus den Monti Sibillini (und damit Bio), günstig, vitaminreich und auf Plastiktellern. Mittelitalienisch eben. :-) Wir schliefen danach gut in unserem Zimmer. Die Hütte hat sich in den letzten Jahren verändert: neuer Pächter, kleine Zimmer statt Schlafsaal, und leider auch (im Gegensatz zum günstigen Essenspreis) saftige Übernachtungspreise. Die Dusche mit den verschimmelten Pressspanplatten ist die gleiche geblieben, nur hat man schöne Badmöbel hineingestellt und die krasseste Schimmelecke einfach mit einer Plastikabschirmung abgedeckt.
          Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.
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            #6
            AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

            Tag 5: Am nächsten Tag wollte mein Mann auf den Gipfel oberhalb der Hütte, meine Tochter nicht. So blieben sie und ich auf der Hütte und genossen die Stille, spielten mit den Hunden, lasen Asterix und befragten einen der Mitarbeiter, was in den Monti Sibillini noch sehenswert ist und welche Straßen in der näheren Umgebung befahrbar sind. Mir fiel auf, dass der junge Mitarbeiter mit mir freundlich, aber irgendwie angespannt und von den Bewegungen fast fahrig umging. Als während unserem Gespräch dann mein Mann von seinem Ausflug zurückkam, rief er gleich durch den Saal, dass wir uns über den weiteren Verlauf unserer Reise unterhielten. Erst als mein Mann da war, wirkte er wieder entspannt und erzählte weiter. Hatte ich sein Verhalten richtig als Verspanntheit gedeutet, und wenn ja, hab ich durch mein Fragen irgendeine kulturelle Regel gebrochen? Reden italienische Männer nicht mit verheirateten Frauen? Ich bin deutlich älter als er... keine Ahnung.
            Am besten gefiel uns der Vorschlag, die gole dell'infernaccio, eine Klamm ganz in der Nähe, anzusehen. Von dort aus konnte man auf eine Pilgerstätte (eine alte Einsiedelei) hinauflaufen, und hinterher noch einen neuen See ansehen. Neu, weil er sich gebildet hat, als heruntergefallenes Geröll durch das Erdbeben vor zwei Jahren in einem engen Tal einen Bach gestaut hat.

            Das fanden wir alle drei interessant und fuhren wieder. Die nächsten Tage wollten wir auf der uns noch unbekannten Ostseite der Monti Sibillini verbringen, und wir fuhren über die andere derzeit befahrbare Straße, die vom Rifugio weg führt. Es ist eh verrückt, dass sich hier auf einem so hohen Sattel so viele (normalerweise sind es 3) befahrbare Wege treffen, aber scheinbar ist das die einzige Stelle 20-30 km in nördlicher oder südlicher Richtung, wo man den Hauptkamm überfahren kann.

            Auf der Fahrt sah ich mir die Fotos an, die mein Mann geschossen hatte, als er auf den Berg neben dem Rifugio (Monte Acuto, glaubt er war der Name) gegangen ist:


            Das müsste recht am Anfang der Tour gewesen sein


            Ähnlicher Ausblick wie von der Hütte, auf die Felswand des Monte Bove, unter einem das steile Valle Panico, das seinen Namen nicht zu unrecht trägt.



            Unten verlief die Straße durch das Städtchen Amandola, keines der Städtchen wegen dem man 1000 km fährt, aber hübsch. Das Eis am Hauptplatz war jedenfalls wirklich gut, und der Abstecher in die schöne Kirche, in der gerade der Chor geprobt hat und die man souterrain betritt, hat sich auch gelohnt. Zwischen Kuppel und Bänken ist ein Netz gespannt. Ich frage mich, warum- hier haben wir keine kaputten Häuser oder Risse im Mauerwerk gesehen.
            Wir fuhren weiter, und wollten die Nacht irgendwo im Tal verbringen, in dem das gole dell'infernaccio liegt.

            Durch das Tal führt nur eine Straße auf halber Höhe am Berg. Auch hier wie sonst auch in den Monti Sibillini, keine oder fast keine Einwohner, irgendwann fährt man an einem B&B vorbei, dann nochmal an einer gefassten Quelle am Wegesrand, dann rechts ein paar kleine Felder, wo man der steilen unberührten Natur noch ein paar Meter zur Nutzung abgerungen hat, und dann war's das mit der Zivilisation. Die Gegend hier im Osten des Hauptkamms fällt weitaus schneller ab vom Hochgebirge in die bewohnten Gegenden, und man hat irgendwie immer das Gefühl, im Schatten der Berge zu sein, auch wenn man's nicht ist. Ich glaube mich zu erinnern dass auf dieser Seite meist der Wald gleich in den Fels überging. Wie auch immer, wir sind vielleicht 10 km in das Tal hineingefahren und hatten schon das Gefühl, hier keinen guten Übernachtungsplatz zu finden (der Talboden war bestimmt hundert Meter unter uns und dahin fiel es fast senkrecht ab, der Rest war steil oder zu dicht bewachsen), bis plötzlich -dramatisch und majestätisch!- vor uns von der Straße weg eine riesige Felsnase nach rechts ins Gelände ragte. Ihre Flanken waren fast senkrechte Felswände, die bis zum Talboden reichten und toll aussahen. Wir fuhren dorthin, und man konnte sehr leicht vom Straßenrand aus die Felsnase, die ich etwa 2-300 m lang und ca 100m breit schätze, hinuntergehen.



            Die Nase war mit Gras, den lila Disteln, vielen Blumen und Brombeeren und ein paar Büschen und Bäumen bewachsen. Ein paar kleine Wege gingen darauf, und nur auf den ersten paar Metern hatten die Leute vor uns ihre Hinterlassenschaften gelassen. Ich glaube ja, dass die Schönheit der Natur dahinter von allen bisher respektiert wurde...



            Wir gingen bis ans Ende soweit wir uns trauten und sahen vor uns die Felswand der anderen Talseite, links eine Verengung des Tals an einer riesigen Felswand, wo ich den Eingang zur Klamm vermutete, und rechts einen tollen Fernblick ins Flachland. Hier wollten mein Mann und ich bleiben, meine Tochter hatte anfangs allerdings noch Angst, die Schlucht hinunterzurollen, wenn sie schlief. Die Argumente, dass die Felsnase ja doch seeehr breit war, es keine anderen Schlafplätze hier gab, wir uns wieder eine Mulde suchten, sie in der Mitte schlafen durfte und ich Sachen suchte, die wir rechts und links hinlegten, damit sie nicht drüberrollen konnte, überzeugten sie dann doch. Also haben wir wieder ein Lager aufgebaut und den Kocher angemacht. Heute gab es Knorr Asiatisch mit Entengeschmack, dazu frischen Tomate-Mozzarella-Salat- unsere Küche besserte sich deutlich, seit wir wieder mit dem Auto unterwegs waren. Beim Kochen sahen wir übrigens eine Gottesanbeterin - yeah! Hatte uns gefreut dieses Insekt zu sehen. Dann haben wir noch gelesen und ein paar Spiele gespielt (zum Ersatz für das, was sie eigentlich schon seit Tagen machen wollte und wegen dem Gelände nie konnte- Fußballspielen...).

            Das Einschlafen war schön, in der Ferne sah man eine Stadt, die auf einem Bergkamm lag und funkelte, auch der Himmel war wieder ganz frei und voller Sterne, und es wehte der Wind, der die Temperaturen etwas kühlte. Naja, er wehte vielleicht etwas zu stark. Aber ich war es gewohnt, dass der italienische Wind nur abends geht und nachts wieder Ruhe herrscht. Eine Stunde später dachte ich, okay, er wehte etwas zu stark, etwas zu beständig und noch dazu auf der Seite, auf der ich lag. Aber wenigstens spendete ich den beiden Schlafenden Windschatten und tat was gutes, bildete ich mir ein. Ich brauchte wegen dem Wind, der nie nachlies bestimmt zwei Stunden zum Einschlafen. Wahrscheinlich schlief ich danach auch nur eine Stunde, jedenfalls wachte ich irgendwann in der Nacht auf und merkte, dass mir der ewige Wind, der kein bißchen nachgelassen hatte, die Schleimhäute austrocknete. Ich sagte meinem Mann Bescheid und verbrachte den Rest der Nacht im Auto, was mir einen etwas verrenkten Nacken und seinen Spott einbrachte, dass ich ja viel zu mimosenhaft wäre und nachts immer einen Grund fände, wieder ins Auto zu gehen. Er hat gut reden, er hat ja auch in meinem Windschatten gelegen...!

            Jedenfalls merkten wir während dieser Tour, dass wir immer wieder an unsere Grenzen kamen, und das in einer Gegend, in der wir schonmal waren, und mit einer Gebirgserfahrung, mit der wir dachten, dass wir für eine Wanderung in einer solchen Gegend richtig gut gerüstet wären. Manchmal ist es sicher ganz gut, mal an seine Grenzen zu kommen, um zu sehen, wo man steht... Schlimmes war ja nicht passiert, aber einige Sachen, die schon an meinem Stolz kratzten.
            Zuletzt geändert von L0ewin; 24.09.2018, 22:56.
            Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.
            Albert Camus

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              #7
              AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

              Tag 6: Die gole dell'infernaccio ist eine wunderschöne Klamm für meinen Geschmack und sehr zu empfehlen. Man parkt sein Auto auf dem kleinen Parkplatz am Ende der gut gepflegten Schotterstraße, die über die ganze Strecke den steilen Hang entlangläuft, aber ungefährlich ist. Dann geht man noch ein paar Minuten einen gesperrten Teil der Straße weiter, bis man unter einem "Wasserfall" durchgeht, der vom Fels links von einem herabrieselt (es ist ein winziger Zufluss des Baches, der durchs Tal geht, und tröpfelt den Überhang herunter. Man kriegt auf jeden Fall was ab).



              Gleich danach kommt der Bach, der danach über den steilen Talschluss in den viel tiefer liegenden Talboden herunterfließt. Hier ist man nach wie vor recht weit oben.
              Bei Weitergehen kommt rechts ein gesperrter Tunneleingang, und man läuft links davon am Bach entlang in den Eingang der Klamm hinein. Dort hat mich fasziniert, dass nicht alles so abgesperrt ist wie bei uns überall, und es sind auch weniger Leute- das heißt, dass meine Tochter und ich erstmal einen flachen Teil des Bachlaufs zwischen zwei beeindruckenden Felswänden, die oben noch zusammenstehen, erkundeten.





              Weiter drinnen in der Klamm hat der Bach sich dann den Weg durch die Felsen so gebahnt, als würde er durch mehrere hintereinander liegende, große Zimmer führen. Auch hier erkundete unsre Tochter natürlich erstmal die verwunschenen Plätze und fand einen Weg auf ein Inselchen im Bach.

              Nach der Klamm führt der Weg ein Stück am Bach entlang und dann in Serpentinen durch einen Buchenwald den Berghang hinauf zur Einsiedelei vom "San Leonardo".





              Dort oben wohnt heute keiner mehr, nur noch eine Kirche (die gerade renoviert wird) und ein mit Mauern und offenem Tor umgebener Platz davor sind noch da und gut gepflegt. Vor diesem Ort war eine Wiese im Buchenwald, lang, schmal und nah am Hang, wo es einen Brunnen mit Wasser gab und wo verteilt ein, zwei Dutzend Leute saßen, liefen, mit den Kindern spielten, sich liebhatten und Brotzeit machten.



              Unsre Tochter durfte sich an zwei schönen Buchen darin üben zu klettern, und wir machten auch endlich Brotzeit. Diesmal gesund wie fast immer, aber inklusive Chips und Crackern, um nicht als langweilige Ökoeltern verschrieen zu werden.

              Auf dem Rückweg machten wir den Abstecher zu dem neuen See. Ein wenig enttäuscht waren wir schon, weil der See kleiner war wie gedacht: er war vielleicht 2 Meter tief, 10 breit und 30 lang und nahm an der Stelle die kleine Talbreite fast ganz ein. Aber der "Nuovo piccolo lago Tenna" (wie er auf google Maps genannt wird) hat eine ganz eigene Schönheit, die uns froh machte, den kleinen Umweg gegangen zu sein. Seine Steine sind, weil sie ja aus einem neuen Abbruch stammen, noch blitzweiß, das Wasser, das sehr schnell tief wird, ist tiefgrün, und wird am Boden des Sees vom schwarz der alten Blätter abgelöst, die darin liegen. In dem See stehen nämlich ein paar Dutzend Stämme von toten jungen Bäumen, die vor 2 Jahren noch neben, statt im Wasser standen und sicher durch die Überschwemmung starben.



              Solche toten Baumstämme kannte ich bis dahin nur aus Mooren und fand den Anblick aus dem Farbspiel und den senkrechten dunklen Stämmen wunderschön. Es war ein Anblick zwischen himmlisch-schön (das im Sonnenlicht glitzernde flache Wasser des Baches, der in den See mündet, und das türkisgrün im See) und teuflisch-duster (die abgestorbenen Stämme und das Schwarz am Seegrund). Das Fehlen eines natürlichen Bewuchses, weil zwischen dem neuen Geröll noch nichts wachsen konnte, machte den Platz nur noch unwirklicher- außerdem war ziemliche Stille außenherum. Mein Mann und ich setzten uns auf den Kies und waren eine Zeitlang ziemlich still, auch unsre Tochter sang nur sehr leise vor sich hin, schmiss ein paar kleine Kiesel in den See und war wohl in Gedanken versunken.

              Nachts sollte es irgendwann anfangen zu regnen, und wir hatten keine Lust, eine verregnete Nacht auf der stürmischen Felsnase zu verbringen. Am Abend sollte es zudem ein Volksfest in Amandola geben, wo Töchterlein unbedingt hinwollte. Also fuhren wir abends in die Stadt, wo dann eigentlich auch unsere Wanderung endete- die nächsten Tage wurden nasskalt, und wir blieben zum Postkartenschreiben und Eis essen in der Stadt. Amandola ist übrigens günstig. Wir suchten nach einer günstigen Unterkunft und einem guten Abendessen, und fanden nach ein bißchen Suchen beides in einem Haus, in einer gut besuchten Pizzeria mit Gästezimmern obendrüber. Alles sauber und ordentlich, und alles in allem haben wir glaube ich nur um die 90 Euro ausgegeben.
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                #8
                AW: [IT] Appeninnen - Monti Sibillini - 2 Jahre nach dem Erdbeben

                Tag 7: Am nächsten Tag verbrachten wir wie gesagt den Tag in Amandola, der Stadt, die übrigens fast vollständig aus roten Ziegelsteinen gebaut war. Es war zufälligerweise ein Festtag mit einer Art Erntedankfest und einem Festumzug (es ging wohl ziemlich viel ums Korn, das geerntet wurde), wir saßen dann nach dem Umzug in einem völlig überfüllten Café mit Gelateria auf dem Marktplatz, schrieben Karten, spielten Maumau und freuten uns, als das kalte Wetter mal Pause machte und die Sonne rauskam.



                Am Nachmittag wollten wir zurück nach Castelluccio fahren, um den letzten Tag in den beiden Hochebenen verbringen. Dort kann man Pferdereiten, an der Quelle baden, einen roten See besuchen (ich glaube, verursacht durch eine bestimmte Algenart, muss recht krass aussehen), den vielen Drachenfliegern zusehen, die hier immer über die Hochebene fliegen, weil die Thermik einfach genial sen muss, und durch die Hügel wandern - das hätten Töchterlein und ich gemacht. Und man kann den über 2000 Meter hohen Monte Vettore besteigen - das hätte mein Mann noch gemacht, noch eine "richtige Tour", das reizte ihn. Wegen dem dann doch anhaltenden nassen Wetter und den Straßenverhältnissen kam es dann doch anders: wir brachen in Amandola irgendwann mittags auf, und fanden nach vielem, vielem Herumgekurve und einem Gespräch mit einer netten Einheimischen, die mich und meine Wanderkarte der Gegend sogar in ihr Haus bat, irgendwann heraus, dass der Weg östlich um die Monti Sibillini noch durchs Erdbeben geschädigt ist und wir einen riesen Umweg fahren mussten. Ein weiterer Blick auf die Wetterapp im Handy mit unklarer Wetterlage, und die Entscheidung war klar- wir entschieden uns um, und wollten noch eine Nacht in Norcia in einer Pension verbringen, um dann einen Tag früher zu den Saturnia-Quellen und ans toskanische Meer zu fahren- die siebenjährige Prinzessin hatte rumfahren, wandern, Lager aufstellen und das Schlafen auf der Isomatte langsam satt. Ich versteh's.

                Etwas schweren Herzens (ich wär gern noch geblieben, mein Mann auch) fuhren wir also Richtung Norcia. Wir fuhren dafür an Arquata del Tronto vorbei, das Dorf im Epizentrum des Erdbebens, das im Oktober 2016 auch Castelluccio vernichtet hat. Uns blieb der Mund offen stehen: Alte Fotos zeigten von Arquata del Tronto ein Dorf oberhalb einer offensichtlich erdbebensicher gebauten Brücke. Was wir von der Straßen unten aus sahen, war ein Steinhaufen oberhalb dieser Brücke. Dieser Haufen Steine hätte auch eine Abbruchhalde oder der Rest einer Steinlawine sein können, so wenig war noch von einem Dorf zu erkennen. Ich konnte es nicht glauben und googelte nach dem Thema, und tatsächlich: fast alle Häuser waren so zerstört worden, wie wir es sahen, und die letzten paar Häuser, die man noch als solche erkennen konnte, hatten sie im Zuge der Aufräumarbeiten in den letzten Jahren eingerissen. Die Bewohner lebten verstreut an den Küsten, in Ferienwohnungen, bei Verwandten oder in den eigens angelegten Holzhäuschen-Siedlungen, die wir allerorts neben den Städten/Dörfern sahen. Einige gründeten einen Verein, sie wollten zurück in die alte Heimat. Die steile, waldige Lage von Arquata del Tronto fand ich nicht überragend schön, aber die weite Gegend ist insgesamt so wunderschön, die Heimat dieser Leute, und von den Menschen her so freundlich, wie sie nur sein konnte. Ich verstehe gut, dass sie wieder zurück wollen, und alles aufbauen. Auch wenn gesagt wird, dass das nächste Beben bereits wartet- wann auch immer es kommen wird, in 50 Jahren, oder in 100... Hier lebt man damit.

                Die Pension in Norcia gefiel mir: Kristallleuchter, Original-Gemälde, ausladende, alte Möbel und trotzdem irgendwie familiär und liebevoll eingerichtet. Echt schön! Ein guter Ausklang für eine im Ausklang nicht ganz so sportliche, aber dafür sehr ereignisreiche Tour. Wir haben sehr freundliche Leute, die Weite der Berge, die grasenden Tierherden, die italienische Sonne, einen Teil der Kultur und das köstliche Eis/Espresso genießen können. Zweimal hat uns die Ordnungsmacht bei Dingen erwischt, die wir nicht durften und sie ließen uns einfach: der Militär bei Castelluccio, als ich das abgesperrte Dorf erkundete, und einmal sahen uns Patroullie schiebende Carabinieri, wie wir mit unserem Wild-zelten-Gepäck (Isomatten und Plane außen an den prall gefüllten Rucksäcken) spätnachmittags auf einem Weg liefen, in dessen Nähe es weit und breit keinen Campingplatz gab.



                Das war's. :-) Ich hoffe, es hat euch gefallen oder sogar jemandem was gebracht, der mal in die Gegend fahren will.
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                  • 06.03.2011
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                  #9
                  Hallo L0ewin

                  Jetzt habe ich mal in Ruhe diesen tollen Reisebericht gelesen. Scheint ja eine tolle Gegend zu sein. Schade, dass sie so gebeutelt wurde. Leider gibt es davon hier auch sehr wenig Reiseberichte.
                  Danke also für diesen!

                  Viele Grüße

                  Wafer

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