[RU] Bargusin - Baikal 2018

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    [RU] Bargusin - Baikal 2018

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    Mitreisende
    Wanderpaddeln Bargusin - Baikal 2018

    Die diesjährige Sommerpaddeltour führte uns als 4-köpfige Gruppe einen Monat ins Herzen Sibiriens, nach Ulan-Ude, auf den Fluss Bargusin und auf den Baikalsee. Wie kam es dazu?

    Seit vielen vielen Jahren, seit ihrer Karelientour 2008, haben Roland und Dörte Anlauf genommen, eine längere Sibirien-Paddeltour mit möglichst vielen Mitpaddlern zu machen. 2013 wurde es dann bereits konkret: “Sibirien oder Nordrussland 2014”. Roland wollte 6 Wochen Sibirien organisieren, für 2 Gruppen a 3 Wochen. Mögliches Zielgebiet war schon damals der östliche Baikalsee mit seinen großen Zuflüssen Obere Angara, Bargusin und Selenga. Das zerschlug sich aber bald. Nächster Anlauf 2015: “Expedition 2016 Juni/Juli Nordamerika oder Sibirien”. Da aber zum Zeitpunkt der Bekanntmachung weitere Sibirieninteressenten für 2016 schon andere Pläne hatten, ging es dann nach Nordamerika. Gleich nach Ende der Yukon-Tour widmete sich Roland dann der “Planung Sibirien 2017”. Da kam aber im Februar die Familie dazwischen, und damit war Sibirien auf 2018 verschoben.

    2018 - ein Traum wird wahr, zumindest Rolands und Dörtes. Für die erste Gruppe (sächsische Sommerferien) meldeten sich 26 Leute an (von denen am Ende einer absprang), für die 2. Gruppe (Berliner Sommerferien) 5 Leute, von denen 2 wieder absprangen.

    Ich selber war nicht besonders begeistert von dem Plan. Zum einen hatte ich bereits eine andere große Tour vorgesehen, zum anderen entsprach das, was Roland im Detail vorhatte, nicht unbedingt dem, was ich mir unter einer Sibirien-Paddeltour vorstellte.

    Den von ihm ins Auge gefasste Fluss Chilok habe ich mir genauer angesehen. Er ist ein einfacher Steppenfluss, der von Anfang bis Ende durch mehr oder weniger bewohntes Gebiet fließt, kein Stück Wildnis, wie das in meiner Vorstellung von Sibirien sein sollte. Andernseits, falls ich meine große Pantanal-Tour ein Jahr verschiebe, dann würde mir die Sibirien-Tour Gelegenheit bieten, Fliegen mit großem Bootsgepäck mal auszuprobieren, da hatte ich vorher so ganz ohne Erfahrung erhebliche Bedenken. Andrea dagegen träumt bereits seit über 40 Jahren vom Baikalsee, und so haben wir uns Ende Januar entschieden, in der 2. Gruppe mit nach Sibirien zu fliegen.

    Ich werde die Vorbereitungen hier im Detail schildern, so dass jeder, der noch Hemmung hat, nach Russland zu reisen, sehen kann, welchen Aufwand das bedeutet und ob es ihm das Wert ist. Natürlich kann man beliebige Teile dieses Aufwandes gegen Geld an Reisebüros abgeben.

    Wer gleich losstarten möchte, liest hier weiter.
    Zuletzt geändert von Spartaner; 22.09.2018, 09:08.

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    #2
    AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

    Vorbereitung

    Flugtickets

    Erster Schritt war die Beschaffung der Flugtickets. Zum Baikal fliegt man entweder nach Irkutsk oder nach Ulan-Ude. Irkutsk ist idR ein wenig billiger, und man kann zur Einsatzstelle am Chilok mit der Transsib, der berühmten Transsibirischen Eisenbahn, am Baikal-Ufer entlangfahren. Ulan-Ude ist dagegen der nähere Flughafen, wenn man an der Ostseite des Baikal bleiben möchte. Andrea und ich haben uns dann, als die Flugpreise anfingen zu steigen, und in Kenntnis von Rolands bisherigen Plänen entschieden, bis Ulan-Ude zu fliegen. Falls seine Pläne noch gravierend verändert würden und nicht mehr zu Ulan-Ude passen würden, könnten wir die Tour auch zu zweit durchziehen. So kam es auch, dass wir die allerersten waren, die Flugtickets gebucht hatten, viele Wochen vor den anderen.

    Am günstigsten, auch nach Durchrechnung aller Kosten fürs umfangreiche Fluggepäck, war die Fluggesellschaft S7. Daneben war die Aeroflot in der Auswahl. Ende Januar buchten wir direkt auf der Webseite der Fluggesellschaft für je 46903₽ (676.17€) die Tickets:



    Flug hin und zurück, Reisezeit genau 30 Tage und damit im Rahmen des Touristenvisums. Hin am 12.7.2018 Берлин, Тегель - Улан-Удэ, Байкал Economy Flex inklusive 1x10kg Handgepäck (55х40х20cm) sowie inklusive je ein aufgegebenes Gepäckstück <23kg mit Gurtmaß <203cm (Ally-Sack 110x50x40cm). Ankunft У-Удэ 13.7. 08:10Uhr. Zurück am 10.8.2018 9:25Uhr ab У-Удэ.
    Am 10. April, als die anderen ihren Flug buchten, kostete das Ticket bereits 809.70€.

    Die 10 Tage bis zum bisher geplanten Treffpunkt mit der 2. Gruppe am 22.7. würden wir uns entweder in der Gegend umschauen, paddeln schon alleine auf dem Chilok, oder schließen uns bereits der 1. Gruppe an. Logistisch wäre das einfach, da man ja an vielen Stellen mit ÖPNV (Elektritschka) an den Fluss herankommt. So weit der Stand Ende Januar.


    Visa

    Die leider immer noch notwendigen Touristenvisa für Russland bekommt man entweder über ein spezialisiertes, meist russisch geführtes Reisebüro für 80 - 120€, über die russischen Visazentren in Deutschland, oder direkt an der Botschaft oder den Konsulaten in Deutschland. Bei der Botschaft zahlt man nur 35€ für ein Visum, beim Visazentrum noch 25€ mehr für den Service. Der besteht aber nur in der kürzeren Wartezeit auf einen Termin oder in der Möglichkeit der Abwicklung über den Postweg. Ich habe wenig Geld und genügend Zeit und mich entschlossen, unsere Visa direkt bei der Botschaft zu beantragen.

    Der erste Schritt ist die Jagd nach einem Termin im Terminbuchungsystem der Russischen Botschaft. Man meldet sich an und sollte dann eine Auswahl an möglichen Terminen zu sehen bekommen. Aber idR wird zunächst kein Termin angeboten. Stattdessen soll man nun jeden Tag einmal nachschauen, ob mal wieder ein Termin angeboten wird. Nach 2 Wochen war es dann so weit: ich konnte einen Termin Ende nächsten Monat buchen. Eine große Wahl hat man nicht, man muss halt den einen Termin annehmen, der angeboten wird. Puhh, erste Hürde genommen.

    Das man zur Visabeantragung einen gültigen Pass und ein korrekt ausgefülltes Antragsformular vorlegen muss, ist selbstverständlich. Zusätzlich möchte die Russische Botschaft aber noch den Nachweis einer in Russland zahlenden Auslandskrankenversicherung, einen Nachweis über ausreichende finanzielle Mittel, und natürlich die berühmte “Einladung” sehen. Das soll alles auf Gegenseitigkeit beruhen, also die EU wird von einreisewilligen Russen wohl dieselben Nachweise verlangen. Russland hält entsprechend dagegen, während die Ukraine, Georgien und etliche andere Staaten einseitig auf diese Schikanen verzichten und uns visafrei einreisen lassen.

    Die Krankenversicherung ist schnell geklärt. Meine Allianz-Auslandsreisekrankenversicherung schickt mir nach kurzem Anruf ein Schreiben mit der Bestätigung der Kostenübernahme im Krankheitsfall für den angegebenen Reisezeitraum zu.

    Den Nachweis der ausreichenden finanziellen Mittel versuche ich erst mal mit meinem mageren Lohnzettel. Wenn der nicht ausreichen sollte, reiche ich eben noch was nach (wurde aber anstandslos akzeptiert). Man kann zB auch einen Grundbuchauszug oder eine Steuererklärung einreichen.

    Der nächste Schritt ist die Beschaffung der notwendigen Einladung. Eine echte Einladung kommt nicht in Frage. Wir kennen keinen Russen, der uns dorthin einladen könnte, und außerdem ist diese Einladung für den Einladenden mit der Übernahme gewisser Verpflichtungen, Kosten und Behördengängen verbunden. Das will man eigentlich nicht mal guten Freunden antun.
    Was bleibt, sind Fake-Einladungen, die von dafür zugelassenen russischen Firmen zum Kauf angeboten werden. Von denen gibt es einige, drei davon waren auf dieser sehr hilfreichen Seite aufgelistet. Ich nehme natürlich die billigste. Auf deren Webseite füllt man ein Formular aus mit allen Daten, ua auch mit den Namen der Städte, die man besuchen möchte, zahlt 16€ mit Kreditkarte, und erhält wenige Minuten später eine Mail mit der Einladung (Voucher) als PDF im Anhang.

    Der finale Schritt in der Vorbereitung ist das Ausfüllen des Visaantrags, online bei der Konsularabteilung. Hier kann man sich anschauen, wie es funktioniert. Alles genauestens ausfüllen, ausdrucken, Passbild rauf, und los gehts zur Botschaft.


    28. März, 10:10 Uhr, Schalter 2, mein erster Termin. Im Eingangsbereich gründliche Sicherheitskontrolle. Einen Stock höher ein langgezogener Raum mit dutzenden Schaltern, vielleicht 200 - 300 Antragsteller warten sitzend oder stehend. Man wähnt sich bereits in Russland und ich bereite mich mental schon auf eine längere Wartezeit vor. Orientierung, wo ist Schalter 2, ah, ganz am Ende. Davor ausnahmsweise keine Schlange. Nahezu zur angegebenen Zeit werde ich bedient. Am Schalter 2 werden nur nichtrussische Staatsangehörige mit elektronischem Termin abgefertigt. Aber dann gleich der erste Schock: ich darf mit diesem einen Termin nur einen Visaantrag stellen, nicht gleich 2 für uns beide. Zweiter Schock: nach Prüfung der “Einladung” wird diese zurückgewiesen. Die Firma sei nicht registriert. Bumm, bisher alles umsonst. Na gut, da wurde ich wohl reingelegt. Die Schalterbeamtin meint noch, vielleicht hätte die Firma nur vergessen, die Registrierung termingerecht zu erneuern. Und ich könnte, wenn ich eine gültige Einladung habe, innerhalb der nächsten 7 Tage noch einmal ohne Termin vorbeischauen und die Unterlagen abgeben.

    Reichlich frustriert trolle ich mich. Zuhause gegoogelt nach dieser Firma, Webseite war bereits abgeschaltet, alle Infos deuten auf so einen Hinterhofkrauter, der mit Autohandel und solchen “touristischen Dienstleistungen” Geld machen wollte. Dann eine höfliche Mail an den Hinterhofkrauter “Voyage-Expo” und an “Russia.Support”, die da auch irgendwie drinstecken, wahrscheinlich als Auftraggeber von “Voyage-Expo”:

    “Dear Sirs,
    I had an appointment today to hand in my visa documents at the Russian Embassy in Berlin.
    There I was told that the Voucher & Confirmation №167319 and №167342 of 31.01.2018 have no validity. Your company is not registered in the system. You may have forgotten to renew your registration on time.
    How can this problem be solved in the short term?
    With kind regards, …”

    Sofortige Rückmeldung: “Ihre Nachricht wurde nicht an info@voyage-expo.net zugestellt, da die Adresse nicht gefunden wurde oder keine E-Mails empfangen kann.”

    Ok, dann bleibt noch Russia.Support. Wir warten. Und warten. Heute kam nichts mehr. Am nächsten Tag versuche ich noch, bei Irena Domingo auf der Seite einen Kommentar zu hinterlassen, der aber nie veröffentlicht wird. Aber: Nachmittags kommt dann eine Mail von Russia.Support, und die liest sich ganz gut:

    “Dear Michael,
    Thank you for contacting us. Your letter got into a spam folder so we didn't see it yesterday, sorry.
    The company Voyage-Expo is under the reaccreditation process in the Russian Register of Tour Operators currently that is the reason for such situation.
    We have made you new vouchers which are attached hereby. Now you can apply for your visa.
    As our apologies please accept the payment for all your vouchers. (PayPal and Credit Card)
    We thank you for your order and apologize for all the inconveniences …… “


    Wahnsinn, alles wird gut! Tatsächlich werden uns 2x16€ zurückgezahlt, und im Anhang sind neue, diesmal gültige Vouchers mitgeliefert. Dann einen neuen Visaantrag mit den neuen Daten ausgefüllt, ausgedruckt, etc.

    Gleich nach Ostern eile ich wieder in die Konsularabteilung und versuche erneut mein Glück. Diesmal ist es mir hold, der Antrag wird zumindest angenommen, ich bezahle am Kassenschalter 36.25€ (35€ + 3.5% für den Einsatz der Kreditkarte). Und 6 Tage später kann ich wieder hin und meinen Pass mit dem Visum abholen. Pfff, wieder eine Hürde genommen. War schon so ein richtiges kleines Indoor-Mikroabenteuer.



    Das ganze jetzt noch für das zweite Visum, und der Reise steht bezüglich Dokumenten nichts mehr im Wege. Am 23. und 29. Mai wurde auch das erledigt. Zum Glück war keine schriftliche Vollmacht für die Abholung von Andreas Pass erforderlich, wohl weil die mich schon kannten.


    Neuer Plan

    Roland hat derweil sein Reiseziel mit der 1. Gruppe vom Chilok auf die Uda verlegt. Damit ging für uns der Unterlauf des Chilok und die Fahrt auf der Selenga bis zum Baikalsee verloren. Roland würde ja dieses Stück nicht gleich zwei mal hintereinander befahren wollen. Stattdessen warf er für uns die Flüsse Obere Angara und Bargusin in den Ring. Die Obere Angara kam für mich nicht in Frage, weil die Anfahrt aus Ulan-Ude sehr umständlich und/oder teuer wäre. Also habe ich mir den Bargusin näher angeschaut, war von dem Fluss und seiner Umgebung ganz angetan und habe einen Detailvorschlag unterbreitet:


    Zeitplan Bargusin-Baikal 12.7.-10.8.2018

    12.7. Abflug 15:30, Registrierung bis 14:50, Taxi 12:30. Moskau an 19:10, ab 20:40

    13.7. Ankunft Улан-Удэ (UU) 08:10, Tag in UU, Unterkunft "4 Комнаты", +7 (3012) 213551(1?), otel4@yandex.ru, ул. Каландаришвили, 21, Улан-Удэ, Einchecken ab 12:00

    14.7. Ausflug Iwolginski-Kloster (Иволгинский Дацан, Map), UU, Bus Маршрут №108 “Улан-Удэ – Верхняя Иволга”, 2-stündlich von 8 -20 Uhr in beide Richtungen immer zur vollen Stunde, Rückfahrt spätestens 19 Uhr! Alternativen №104 und №130 nur bis Iwolginsk, von da sind es noch 16km bis zum Dazan, aber alle 10 Minuten.

    15.7. Busfahrt 419km ins Bargusin-Tal, Online-Ticketkauf mit Anzeige der freien Plätze, Abfahrt маршрут № 320 7:30 (08:00) oder 11:00 bis Курумкан, Ankunft 15:45 bzw 18:45 (11:00 Pause 40min in Турка am Baikal), Google-Karte. Aber nur wenn man 8:00 abfährt hat man die Chance, abends noch die weiteren 82km bis Улюнхан, dem letzten Dorf im Tal, zu schaffen, Marschrutka 17:00? oder Ruftaxi? В районном центре (Курумкан) работает служба такси, 75км. Номера телефонов: (924) 771-03-03 и (924) 396-22-22.

    16.7. Fahrt bis Quelle «Умхей» (mit Nobelunterkunft), hinter Улюнхан max 20km zu Fuß/Auto, Furt

    17.7. Bergtour auf einen nahen 2000er mit Aussicht in die sibirischen Gebirgswelten, damit ein ganz wenig richtiges Sibirienfeeling (Micha alleine oder mit Dörte, Andrea bleibt im heißen Wasser der Quelle liegen), mögliche Route auf Satellitenbild, GPSies.com

    18.7. Bergtour auf einen nahen 2000er (Micha, Dörte)
    19.7. Bergtour auf einen nahen 2000er (Micha, Dörte), vielleicht geht das auch schneller
    20.7. Start Bargusin, hier oben noch viele sehr flache Kiesbankschwellen oder gar Wildwasser, Roland kommt an den Bargusin, telefonische Ortsbestimmung und abends oder nächsten Tag Treffen
    21.7. (Abflug Gruppe 1a)
    22.7. (Abflug Gruppe 1b)
    .
    . weitere 12 Tage paddeln, Google-Übersichtskarte
    .
    4.8. Späteste Ankunft Baikal (Усть-Баргузин)
    5.8. Paddeln zur Heilige Nase 20km
    6.8. Wanderung auf die Heilige Nase 1877müNN = 1420müBaikal
    7.8. Zurückpaddeln nach Усть-Баргузин
    8.8. Späteste Rückfahrt mit Bus nach UU
    9.8. Allerspäteste Rückfahrt UU, oder noch ein Tag in UU Nacht im Гостиница Полет, 800m zu Fuß zum Flughafen, Цена номера: 1100–1900 руб (andere Quellen sagen ab 2100 Rubel).
    10.8. Rückflug von UU 9:25, Registrierung bis 8:45. Moskau an 10:50, ab 12:45, Berlin an 14:40


    Der Bargusin

    Der Bargusin/Баргузин ist ein 498km langer Zufluss des Baikalsees in Südsibirien/Burjatien im asiatischen Teil Russlands.

    Der Ursprung (Map) des Flusses befindet sich in etwa 2050m Höhe unterhalb des mit 2574m höchsten Gipfels des Южно муйский хребет rund 135km östlich des Baikalsees. Anfangs fließt der Bargusin ein Stück nach Nordwesten und knickt dann nach Süden ab. Der gesamte gebirgige Teil des Einzugsgebietes ist unbewohnte Taiga- und Hochgebirgs-Wildnis, zu großen Teilen zusätzlich streng geschützt im 2381 km² großen Staatlichen Naturreservat Dscherga (Джергинский государственный природный заповедник). Der Fluss ist hier für einfache Wanderpaddler zu schwierig, Wildwasser bis WW5.

    Unterhalb dem Kurort Umkhey/Курорт «Умхей», dem einzigen zivilen Vorposten in der Wildnis, weitet sich das Tal, das Gefälle nimmt ab, und der Bargusin fließt über ein dutzend Kiesbankschwellen (WW1) in die Bargusin-Senke/Баргузинская котловина. Diese ist ein 180 km langer und bis 35 km breiter Grabenbruch zwischen dem hohen Bargusingebirge/Баргузинский хребет im Westen/Nordwesten und dem niedrigeren Ikat-Gebirge/Икатскийй хребет im Südosten, der im Laufe von etlichen Millionen Jahren vom Bargusin und seinen Nebenflüssen mit den aus den Gebirgen herangeschafften Sedimenten aufgefüllt wurde. Man erkennt sie sehr gut auf der Reliefkarte (der Bargusin in grün). In diesem Tal verzweigt sich der mäandrierende Fluss in mehrere Arme und bildet eine Sumpflandschaft mit über 1000 Seen und Altwassern. Die Bargusin-Senke ist besiedelt, Teile der Talflächen (Sumpf und Steppe) werden extensiv beweidet, hauptsächlich durch Rinder und Pferde.

    Am Ende dieser Sumpfebene, kurz hinter dem Ort Bargusin, verengt sich das Tal wieder, das Gebirge bildet eine Schwelle und der Fluss fließt die letzten Kilometer bis zum Baikal wieder flott mit höherem Gefälle bis in die Bargusin-Bucht, welche die größte und tiefste Bucht des Baikalsees bildet und sich im Osten des Sees südlich der Halbinsel Heilige Nase/Святой Нос befindet.





    Wie in den letzten Jahren gewohnt, habe ich zunächst eine Bargusin-Seite im Faltboot-Wiki angelegt, auf der alle für mich relevanten Infos gesammelt wurden, habe den Flusslauf in der Openstreetmap bis zur Quelle verlängert und verbessert, viele Nebenarme und weitere Details eingezeichnet, und das Monate vor der Reise, damit genügend Zeit bleibt, dass die OpenandromapsSiberia-South” aktualisiert wird und meine neuen Elemente zum Zeitpunkt der Reise auch tatsächlich enthalten sind und angezeigt werden. Danach habe ich einen durchgehenden Hauptlauf isoliert, und den als einen Track in GPSies.com eingespeist. Diesen Track kann man dann wieder herunterladen mit einem Häkchen vor der Option “Kilometer-Markierung hinzufügen”. Damit gelangt man an eine perfekte Kilometrierung des Flusslaufes. In Locus Map weiß man dann immer wo man ist und wie weit es auf dem Fluss noch ist zu beliebigen Zielen am Ufer.

    Neben der Openandromap habe ich noch Google- und Bing-Satellitenbilder heruntergeladen, sowie die alten sowjetischen Militärkarten im Maßstab 1:100000 und größere Übersichtskarten, alles für LocusPro aufbereitet und damit für den gesamten Fluss und die Heilige Nase alle Karten und Luftbilder offline parat gehabt. Perfekt - und eine Freude darüber, was heutzutage alles so geht, wenn auch mit einem gewissen Vorbereitungsaufwand. Durch die intensive Beschäftigung mit den Karten und Luftbildern wurde mir die Gegend bereits sehr vertraut.

    Dazu lasen wir den Führer: “Baikalsee: Handbuch für Reisen in die Baikalregion”, der in einer aktuellen Auflage von Mai 2017 angeboten wurde und ziemlich gut geschrieben ist.

    Soweit mein Kenntnisstand vor der Tour. Das konnte man soweit alles aus dem Netz ziehen.


    Ausrüstung

    Die Ausrüstung sollte wegen des teuren Fluggepäcks und auch den nicht einfachen Transporten im Land (Marschrutka) möglichst leicht und nicht so voluminös sein, wie wir das von unseren Autotouren bisher gewöhnt waren.

    Anfang des Jahres habe ich einen neuen Ally Pathfinder gekauft (1426.81€), den 15.5er, der auf ruhigem Wasser, auf Seen und großen Flüssen leichter läuft als der Ally Tour 16.5’. Dazu wiegt er 2½kg weniger. Natürlich passt in den neuen auch deutlich weniger Gepäck hinein, aber da ja das Fluggepäck sowieso arg limitiert ist, sollte das passen. Für den haben wir kurz vor der Tour noch eine extra leichte Spritzdecke geschneidert, die ohne die sperrigen Ringe der von Bergans angebotenen Ally-Spritzdecken auskommt.

    Meine Ausrüstung habe ich noch durch einen wasserdichten Rucksack im Handgepäckformat ergänzt (39.90€). Außerdem habe ich ein simples teilbares TNP-Stechpaddel gekauft (42.94€), welches gut in den Bootsrucksack reinpasst. Anstatt eines Ersatzpaddels begnügte ich mich mit einer chinesischen Paddelsicherung (2.81€). Andrea dagegen wollte später unbedingt ihr leichtes, aber unteilbares Carbonpaddel mitnehmen, und hat dafür extra eine Snowboardtasche gekauft (35€), die sie als kostenloses Sportgepäck durch den Check-in bringen wollte.

    Außerdem besorgte Andrea ein ultraleichtes, durch extrem hohen Mesh-Anteil im Innenzelt auch sehr gut durchlüftetes Sommerzelt, ein MSR Freelite 3. Bei den Matten haben wir auf unsere Luxury-Maps verzichtet und haben trotz unseres Alters wieder die alten 3.8cm-Matten hervorgekramt.

    Wanderschuhe habe ich extra eingepackt, um in der sibirischen Bergwelt nicht zu schnell an Grenzen zu kommen. Und für die Kiesbankschwellen auf der ersten Tagesetappe extra noch Neoprenschuhe, da bei Niedrigwasser mit Treidelpassagen zu rechnen war. Wurfsack für Dörtes Tarp.

    Die 3.8L-Dose mit Elektronik-Krams mag euch vielleicht unnötig vorkommen, aber das meiste davon kam tatsächlich zum Einsatz (Solarpanel, Powerbank, Ladegeräte für 18650er, AAs und die Kamera-Akkus, USB-Adapter und Speicherkartenleser zum Überspielen und sichern der Fotos von der Kamera, neben dem Smartphone als Standard-GPS-Tracker noch eine GPS-Maus als Tacho-Anzeige etc).

    Der übrige Kram entsprach in etwa dem, was wir auch sonst dabeihaben.
    Zuletzt geändert von Spartaner; 16.01.2019, 09:24.

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      #3
      AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

      12. Juli 2018, Anreisetag

      Heute nun ist erster Urlaubstag, heute fliegen wir. Für mich ist es leider nur noch Resturlaub bis Ende Juli. Mein Chef wollte mir den bereits im Februar beantragten Urlaub nicht genehmigen, mich auch nicht unbezahlt freistellen. Stattdessen hat er mir vor zwei Wochen eine Vertragsänderung untergejubelt, mit der er mir eine Vertragsstrafe für Fehltage in Höhe bis zu einem Monatslohn aufdrücken kann. Er wollte also, dass ich nicht nur keinen Lohn bekomme während des Urlaubs, nein ich sollte zusätzlich noch einen Monatslohn draufzahlen. Nicht mit mir, da habe ich dann halt gekündigt. Hat er sich verzockt (er hatte schon kurz zuvor einem zweiten von 3 Mitarbeitern gekündigt, eigentlich einem guten Mann, und hat nun tatsächlich ein Problem).

      Ich kann die bisherigen Flüge im Leben noch an den Fingern meiner Hände abzählen. Zu Ostzeiten 2 mal geflogen, kurz nach Wende dann 1x nach Nairobi und 1x nach Kairo, beides selbstorganisiert, aber das meiste wieder vergessen, und dann nur ein paar mal Beamtenshuttle Bonn-Berlin. Dabei gab es für mich nichts zu beachten.

      Für mich war der ganze Ablauf rund um den Flug darum wieder neu und abenteuerlich. Deshalb beschreibe ich ihn auch in den Details. Wenn euch Vielfliegern das alles geläufig ist, könnt ihr gleich hier weiterlesen.

      Bereits am Vortag haben wir den Online-Checkin durchgezogen und uns bei dieser Gelegenheit Sitzplätze mit guter Sicht in die Landschaft unten ausgesucht. Bei S7 kann man 30h vor Abflug einchecken. Aber auch der Anschlussflug, der noch ein wenig mehr als 30h voraus lag, konnte bereits eingecheckt werden.

      Gegen 10 klingelt Dörte. Wir laden unser umfangreiches Reisegepäck zu ihrem in ihren kleinen Skoda Fabia und fahren 2h später zum Flughafen Tegel. Vor dem Terminal A verladen wir alles Gepäck auf 2 Rollwägelchen. Alles Stress hier, überfüllt, Parken ist verboten, Halten in 2. Reihe eigentlich auch.



      Ich fahre das Auto zurück auf den Saatwinkler Damm und stelle es dort ab. Hier parken hunderte Fluggäste ihre Autos, wenn sie auf die teuren Flughafenparkplätze verzichten wollen. Die Polizei warnt auf “Werbebannern” am Rand der Straße vor Dieben.

      Als ich die 2km zurückgelaufen bin haben die beiden Damen mit dem Gepäck bereits fast die 350m bis zum Terminal C geschafft. Dort reihen wir uns in die lange Schlange der Wartenden ein. Die Aufgabe des Gepäcks zieht sich.



      Als wir dann endlich dran sind, zeigt sich, das alle unsere Gepäckstücke ein halbes Kilo zu schwer sind. Dabei habe ich sie alle mit meiner chinesischen Kofferwaage vorher überprüft und ein maximal möglicher Teil des Gewichts ist in den großen Taschen meiner Regenjacke untergebracht, die ich anhabe. Aber zum Glück liegt diese Überschreitung im Toleranzbereich. Das Boot in seinem großen Sack wird ebenfalls akzeptiert, allerdings soll ich es im Sperrgutschalter abgeben. Nach meiner Messung sollte es ganz knapp im Gurtmaß von 203cm liegen.

      Schwieriger wird die Aufgabe des sogenannten Sportgepäcks, in dem jetzt auch Dörtes Paddel untergebracht sind. Die “Snowboardtasche” wird nicht kostenlos akzeptiert, und Andrea zahlt für das zusätzliche aufgegebene Gepäck noch einmal 70€. Genau wie ich das geahnt hatte. Auch das zählt wegen seiner Länge als Sperrgut.

      Aber insgesamt sind die russischen Mitarbeiter beim Gepäckschalter in Tegel recht entspannt. Die Außenmaße wurden auch bei meinem grenzwertigen Bootssack nicht nachgemessen.

      Nach dem Sperrgutschalter braucht Andrea erst mal eine Zigarette. Danach geht es in den Sicherheitscheck, Körperscanner, Gepäck röntgen. In meinem Handgepäck ist ein spitzer Gegenstand zu erkennen. Ich muss auspacken und meine Zeckenzange vorzeigen. Zum Glück darf ich sie behalten.

      Letzter Schritt ist die Passkontrolle. Eine Schlange von 200, 300 Passagieren steht vor uns in der Schlange. In 10 Minuten soll das Flugzeug starten. 2 Beamte arbeiten in den Schaltern, viel zu wenig für diesen Andrang. Berlin kann nicht nur keinen Flughafen bauen, es kann auch keinen betreiben! Ohne Vordrängeln ist das nicht zu schaffen. Dummerweise ist unser Flug nicht der einzige nach Moskau. Gleich nach unserem S7-Flug fliegt ein zweiter mit der Aeroflot. Aber mit ein wenig dickem Fell gegenüber den meckernden Mitwartenden funktioniert das Vordrängeln.



      Wir sind dementsprechend auch fast die letzten die einsteigen und finden kaum noch Platz fürs voluminöse Handgepäck.

      Kurz nach 4, mit einer ½h Verspätung, hebt unser hübscher lindgrüner Airbus A320 endlich ab. Der Stress fällt ab, die meisten Hürden sind genommen. Auf dem internationalen Flug ist die Beinfreiheit auch noch ganz OK. Es gibt Getränke und etwas zu essen. Der Flug geht mit 845km/h in 11600m Höhe entlang der polnischen Ostseeküste, über das Kaliningrader Gebiet, Litauen und das nördliche Weißrussland direkt nach Moskau. Ich sitze am Fenster und tracke die ganze Zeit mit. Irgendwie auch ein gutes Gefühl, immer genau zu wissen, wo man ist.

      130km südlich von Moskau bricht das GPS-Signal ab, ist kurz darauf wieder da. Aber es kann kein Track mehr aufgezeichnet werden. Alle paar Sekunden bricht es ab. Erst kurz vor der Landung ist das Signal wieder stabil.

      Nach 1890km stehen wir abends um ¾7 vor dem Terminal Moskau-Domodedovo, also trotz verspätetem Abflug pünktlich angekommen. In Moskau passieren wir die Passkontrolle ohne übermäßige Wartezeiten selbstverständlich, es sind so ungefähr 20 Schalter besetzt. Das Gepäck wird ohne unser Zutun in die Anschlussmaschine nach Ulan-Ude verladen.





      10 Minuten vor dem geplanten Abflug setzt sich die Boeing 737-800 bereits in Bewegung. Alles perfekt hier in Russland.

      Nur die Beinfreiheit ist jetzt auf der inländischen Langstrecke noch ein Stück geringer als zuvor. Das GPS-Signal ist kurz nach Start schon wieder weg. Erst 160km östlich von Moskau-Domodedovo ist es wieder da und die Trackaufzeichnung beginnt. Das kann kein Zufall sein. Ich tippe darauf, dass der Ring von Atomraketenstellungen um Moskau von GPS-Jammern geschützt wird. Auf dem gesamten Rest der Reise gab es keinerlei Schwäche beim GPS-Signal.

      Nachts um ½10 Moskauer Zeit überfliegen wir den Ural und erreichen Sibirien.
      Zuletzt geändert von Spartaner; 30.08.2018, 21:13.

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        #4
        13. Juli 2018, Ulan-Ude

        Die Nacht ist sehr kurz, denn wir fliegen ja der Sonne entgegen und “verlieren” dabei 7h. Im Norden ist immer ein heller Schein zu sehen. Hinter dem Ural gibt es ganz eigenartige rote Spiegelungen der Abendsonne auf den Wasserflächen des Westsibirischen Sumpflands.



        Bei Урай, knapp nördlich des 60sten Breitengrades, erreichen wir den nördlichsten Punkt der Reise. Genau so hoch wie Helsinki. Ulan-Ude selbst liegt auf dem 51sten Breitengrad, ähnlich wie der Spreewald.

        Die meiste Zeit der 4538km fliegen wir über Wolken, kaum ein Blick auf Sibirien, keine Spur vom Baikalsee. Erst im Landeanflug auf Ulan-Ude kann man wieder etwas vom Land sehen.

        Nach einer Schleife über Ulan-Ude und der Selenga landen wir gegen ½9 Ortszeit (6h vor MESZ) und stehen kurz darauf einsam auf dem großen Rollfeld vor dem Flughafen “Baikal”. Aber so einsam wir uns hier auch gerade fühlen, das täuscht ein bisschen, es gehen noch mehr Flüge von und nach Ulan-Ude.



        Während wir am Fuß der mobilen Zugangstreppe auf den Bus für die 80m bis zum Terminal warten, wird das Gepäck in einem alten offenen ЗИЛ-130 bereits dorthin gefahren. Mein Fotografieren stößt auf Proteste des Flughafenpersonals, das sei hier verboten.

        Vor dem Mini-Gepäckband drängeln sich die Leute. Wir müssen wieder zwei Rollwägelchen beschaffen und warten fast bis zum Schluss. Aber dann kommt es doch noch, und alles ist vollständig. Dann noch eine letzte offizielle Kontrolle der Klebelabels, nämlich ob wir unser eigenes Gepäck geschnappt haben, und dann können wir den Flughafen verlassen.

        Vor dem Flughafen warten die Taxifahrer. Ich wollte nun eigentlich 800m zur Busstation vorlaufen, das Gepäck auf dem Bootswagen, und mit Marschrutka (20₽) in die Stadt fahren, aber die beiden Damen bestehen auf Taxi. Sie wollten sich schon in 2 der normal kleinen PKWs setzten, die uns für je 500₽ angeboten werden, da entdecke ich noch ein größeres Auto am Rande, etwa die Größe eines Dacia Logan MCV. Dessen Fahrer hält sich zurück, gehört wohl nicht zur Taxi-Mafia, die hier die Fuhren unter sich aufteilt. Als ich auf sein Auto bestehe, wird er herangeholt und darf uns für 800₽ (11.11€) in die Stadt kutschieren. Das Gepäck und die Leute passen gut ins Auto und der “Vermittler” bekommt sofort seine Provision zugesteckt. Der Fahrpreis ist etwa doppelt so hoch wie ortsüblich angemessen gewesen wäre für diese 15km.

        Eine ¾h nach der Landung sitzen wir im Taxi und lassen uns in die Stadt fahren. In der vergangenen Nacht hat es geregnet, und so sind die Straßen oft nass und stellenweise schlammig. Die Brücke über die schlammig-braune Selenga ist ein Nadelöhr und wir fahren Schritttempo. Nach einer ½h stehen wir vor dem “Hotel 4komnaty”, einem unscheinbaren Gebäude, in dem einzelne Zimmer vermietet werden. Ich hatte es bereits Mitte Juni über booking.com reserviert, weil es billig und lt. der Rezensionen gut war und außerdem fußläufig in der Nähe des Busbahnhofs liegt, von welchem wir übermorgen ins Bargusin-Tal abfahren wollen.

        Eine ältere Frau kommt aus dem Nachbargebäude herüber und öffnet uns die Tür. Wir können einchecken, obwohl das eigentlich erst ab 12 Uhr erlaubt sein soll. Der Name des Hotels ist Programm: es gibt wirklich nur 4 sehr schlichte Zimmer, ich habe sogar den Eindruck, das nur 2 davon tatsächlich vermietet werden. Egal, die Zimmer sind in Ordnung, und wir duschen erst mal und ruhen uns kurz aus. Natascha, unsere freundliche хозяйка, ist 55, Rentnerin und verdient sich hier etwas dazu.

        1½h später sind wir wieder auf den Beinen. Erster Tagesordnungspunkt: Dörte will ihr neues Boot abholen. Sie ist ohne Boot hier angereist, hat Wochen vorher telefonisch in Moskau bei der Firma FMK ein Boot vom Typ “Jana” geordert und nach Ulan-Ude vorschicken lassen. Dieses soll nun heute bezahlt und abgeholt werden. Auch ein schönes kleines “Mikroabenteuer”. Aber es läuft tatsächlich alles reibungslos. Wir finden den Versandshop, in dem das Boot lagern soll. Dieser muss das Boot aber doch noch aus einer anderen Filiale besorgen und Dörte kann es dann am späten Nachmittag abholen. Sie hat damit den Flugtransport eines Bootes hierher gespart und für das Boot hier mit 630€ auch deutlich weniger bezahlt als in Deutschland. Das Boot verfügt über viel Stauraum für das Gepäck bei langen Wanderfahrten, wiegt nicht viel (17.5kg) und hat ein sehr gutes Packmaß (40х20х100cm). Alles Vorteile gegenüber dem E65, den sie bisher immer gefahren ist. So schnittig wie dieser ist die pummelige Jana natürlich nicht.

        Nachmittags schauen wir am Busbahnhof vorbei. Am meisten beschäftigt mich die Frage des Gepäcks. Kann man in den kleinen Marschrutkis überhaupt größeres Gepäck mitnehmen? Zufällig wird an einem Kleinbus gerade Gepäck verpackt, und zwar über eine Klappe am Heck. Dieser Gepäckraum wäre viel zu klein für unser Bagage. Aber der Fahrer, den ich anspreche, versichert uns, der Bus nach Kurumkan hätte ebenso wie seiner einen Dachgepäckträger. Mich beruhigt das dennoch nicht so richtig, denn die allerwenigsten Marschrutkis, die ich hier sehe, verfügen über einen Dachgepäckträger. Naja, vielleicht ist das ja bei einem Bus in eine so abgelegene Gegend anders.

        Im Kassenraum des Busbahnhofs kauft Andrea uns drei Bustickets für übermorgen für je 880₽ (12.22€ für 419km). Außerdem versucht sie die Frage zu klären, wie man von Kurumkan aus weiter nach Ulyunkhan kommt. Dabei wird auch angesprochen, dass wir sehr viel Gepäck dabei haben (3 Baidarkis, Campingkram etc.). Die Fahrkartenverkäuferin telefoniert mit der dort ansässigen Busgesellschaft und meldet unsere Weiterfahrt also an.

        Der nächste Tagesordnungspunkt ist die Beschaffung einer russische SIM-Karte fürs Smartphone. Wir müssen ja Roland kontaktieren können, wenn er unterwegs im Bargusintal zu uns stoßen möchte. Roland hat bereits eine Karte von der Firma MTS, also nehme ich und die anderen beiden die auch. Damit können wir kostenlos beliebig viel untereinander telefonieren und SMS senden und haben für 300₽ + 50₽ Aufladung (Σ4.17€) 5GB Internet für die nächsten 30 Tage. So ganz glücklich ist die Wahl des Mobilfunkanbieters MTS nicht, aber das wird sich erst später herausstellen.

        Andrea besorgt in einer Buchhandlung noch eine Übersichtskarte des Baikals und des Bargusin-Tales, erfährt was über Iwan-Чай und das Ёхора-Festival. Außerdem bekommt sie den Tipp, dass man von Turka aus Tagesexkursionen zur Insel Olchon machen kann.

        Was ich eigentlich noch vorhatte, aber letztlich vergessen habe, ist eine Gasfüllung für mein Jetflame-Feuerzeug, welches ich leer aus Berlin mitgebracht habe. Normale Feuerzeuge dürfen im Handgepäck mitfliegen, Jetflame-Feuerzeuge aber nur ohne Gasfüllung.

        Während die Damen weiter shoppen gehen, schaue ich mir die Stadt an. Im Süden gelange ich zur Hodegetria-Kathedrale (Kathedrale unserer Lieben Frau von Smolensk) und bis zur Uda, dem Fluss, auf dem die 1. Gruppe kurz zuvor durchgekommen ist und der ein paar hundert Meter weiter in die Selenga mündet.







        Ist alles ganz hübsch gemacht hier, in Putins Russland.

        Die Bevölkerung ist hier hinter dem Baikal in Burjatien bereits überwiegend asiatisch. Die meisten sind Burjaten, eine Untergruppe der Mongolen, daneben leben hier Ewenken, Ureinwohner Sibiriens, die ihren Verbreitungsschwerpunkt weiter im Norden haben.

        Abends gehen wir essen im Cafe Aschag, spezialisiert auf Spezialitäten der burjatischen Küche, Buusy (Бурятские буузы, gefüllt mit Hackfleisch, ganz ähnlich den russischen Pelmeni, italienischen Tortellini oder anderen Teigtaschen), Bier etc. (Σ~8€).



        Ich finde den Link zu den Tagesausflügen zur Insel Olchon, und eine Männergruppe am Nachbartisch hilft uns beim Telefonieren. Aber leider erfolglos, morgen können wir nicht mehr nach Olchon fahren, das Schiff ist entweder ausgebucht oder das Wetter zu schlecht (so widersprüchlich waren die Begründungen im Verlaufe mehrerer Telefonate). Also bleiben wir morgen bei meinem Plan Iwolginsk und versuchen die Olchon-Tour am Ende bei der Rückfahrt vom Bargusin einzubauen. Da kommen wir sowieso durch Turka.
        Zuletzt geändert von Spartaner; 16.02.2024, 08:48.

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        • codenascher

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          #5
          AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

          Liest sich klasse! Freue mich auf den Rest.

          Bin im Wald, kann sein das ich mich verspäte

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          • Spartaner
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            #6
            AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

            14. Juli 2018, Iwolginski Dazan

            Heute besuchen wir das Kloster Iwolginsk. ½12 gehen wir los zu einem anderen Busbahnhof als der wo morgen der Bus nach Kurumkan abfährt, und zwar im Süden in der Nähe der Hodegetria-Kathedrale. Dort steigen wir in den Bus №130 und fahren zunächst 30km in den Ort Iwolginsk (50₽, ~0.70€/P.). An der Endhaltestelle steht ein nächster, kleinerer Bus bereit für die letzten 7 km bis zum Kloster, wo wir ¾1 ankommen. Das Tal hier ist von Bewässerungskanälen durchzogen, die von sehr klarem Wasser aus den Bergen gespeist werden.

            Heute ist Samstag, die Sonne scheint, und eine Menge Besucher stürmen das Kloster. Vor dem Klostertor befinden sich etliche Souvenirstände, Bistros, und Parkplätze. Auffällig sind die vielen mongolischen Tagestouristen, die gerade aus ihren Bussen steigen, etliche in farbenprächtiger Tracht.

            Das Kloster Iwolginsk war lange Zeit (seit 1946) das einzige funktionierende buddhistische Kloster auf dem Gebiet der Sowjetunion. Bis heute ist es das größte, außerdem ist es Zentrum für buddhistische Philosophie und tibetische Medizin in Russland.







            Zur größten Sehenswürdigkeit im Kloster hat Welt.de folgende Geschichte veröffentlicht: “Im Jahr 1927, als die Verfolgung der Religionen in der Sowjetunion um sich griff, versammelt der Pandito Hambo-Lama Itigilow seine Schüler um sich und forderte sie auf, das Land zu verlassen. Er selbst wolle hinübergehen in eine andere Welt. "Schaut in dreißig Jahren nach meinem Körper", forderte er die Studenten auf, die er bat, seinen irdischen Leib mit Seidentüchern zu umwickeln. Dann ließ er sich in Lotos-Position nieder, begann zu meditieren, Gebete zu singen und starb.

            Dreißig Jahre später: Stalin hatte Hunderte buddhistischer Lamas ermorden und 46 Klöster zerstören lassen. Doch das Datzan bei Iwolginsk, nur 35 Kilometer von Ulan-Ude entfernt, wurde (ab 1945) wieder aufgebaut. Die Mönche befolgten die Anweisung des Verblichenen und gruben seinen Leichnam wieder aus. Der befand sich noch immer in Lotosposition und war völlig intakt, man fand keine Zeichen von Verwesung. "Es war damals unmöglich, ihn zurück ins Kloster zu bringen. Niemand durfte über das Gesehene sprechen", berichtete Damba Ajuschejew, inzwischen der 25. Pandito Hambo-Lama, später. Also wurde der Körper Itigilows in einem mit Salz gefüllten Holzsarg wieder ins Grab versenkt.

            Anfang September 2002 wurde der Verstorbene erneut exhumiert. Und zum Erstaunen der Beteiligten war der Körper des Toten, der 1852 im zaristischen Rußland geboren worden war, noch immer unversehrt - nach rund 65 Jahren im Grab. Seine Hände waren flexibel, die Augen geschlossen, seine Haut ledern, aber weich. Unter Fanfarenklängen und Glockengeläut wurde der tote Lama ins Kloster übergeführt und in einem sakralen Raum untergebracht. …..” Ein Filmbericht findet sich im Netz.

            Um ihn zu sehen muss man sich in ein Schlange einreihen. Alle 10 Minuten werden Besucher ausgelassen und dieselbe Anzahl kann dann den Tempel betreten, der mit дворец Хамбо ламы in der OSM verzeichnet ist. Das geht nicht ohne Gedrängel ab, und der Mönch am Eingang muss öfters ziemlich energisch werden und Vordrängler abweisen.



            Interessant sind die Opfergaben, die von den Besuchern im Tempel hinterlassen werden. Neben anderen Lebensmitteln ist das hauptsächlich Wodka.



            Nach 3h auf dem Klostergelände machen wir uns auf die Heimfahrt. Im (rammelvollen) Bus nach Ulan-Ude sitzt Andrea einem Erstklässler gegenüber. Das Mädchen kichert, hat sie doch noch nie einen Ausländer gesehen. Die kleine Burjatin ist sehr aufgeschlossen und plaudert ausdrucksstark mit Andrea über Schule und Mädchenkram. Der halbe Bus muss Lachen, alle freuen sich über dieses Prachtkind. Überhaupt empfinde ich die Burjaten und Ewenken hier als freundlicher und weit aufgeschlossener als die vergleichbaren Mongolen und Chinesen. Da hat wohl die russische Kultur erheblich abgefärbt.
            Ihre Mutter und die große Schwester empfehlen uns ein gutes Restaurant am Weg, und wir steigen kurz entschlossen auf halber Strecke aus.

            Das Restaurant ’Altargana’ ist ein burjatisches Spezialitätenrestaurant und führt eine weit größere Auswahl an Speisen als das Cafe Aschag gestern. Wir bestellen Hammelbraten mit gerösteten Kartoffeln und Möhren, werden von der Bedienung gewarnt, wie viel das ist, und nehmen nur 2 davon. Dazu bekommen wir 3 Extrateller, auf denen wir die Portionen aufteilen können. Lecker! Dazu Bier und am Ende noch je 100g Wodka für die beiden Damen. Summe für alles zusammen 900₽ (12.50€). Die Essensportionen, die hier in Restaurants und Stolowajas angeboten werden, sind idR viel kleiner als bei uns üblich, was mir und Andrea sehr entgegen kommt. Satt wird man trotzdem und entsprechend seltener laufen die Leute total überfettet herum. Die extrem zurückhaltend bettelnde Straßenköter-Hundedame bekommt auch etwas ab.





            Nach dem Essen geht es noch kurz in den Supermarkt nebenan, bevor wir uns an den Haltepunkt der Marschrutkas an der Landstraße stellen.

            Nach wenigen Minuten werden wir mitgenommen und lassen uns in der Sowjetskaja absetzen. Ich spaziere den Berg hoch am Zarentor vorbei zum Opernhaus (Leninorden).









            Am Ende gelange ich bis zum Площадь Советов, dem Platz der Räte, mit dem größten Lenin-Nischl der Welt. Mit einer Höhe von 7.7m, Breite von 4.5m und 42t Masse ist er seinem Chemnitzer "Kollegen" leicht überlegen. Und noch was hat der Lenin-Nischl dem Marx voraus: im August 2011 wurde das Denkmal von Nordkoreas Führer Kim Jong Il besucht.



            Am selben Tag schickt ein prominentes Mitglied der 1. Paddelgruppe, welches am Selenga-Strand wohl etwas an Langeweile litt, dieses Selbstportrait in die Runde:



            Inhaltlich natürlich voll daneben, wenn man die Erhabenheit dieses Ortes vor Augen hat (ich sehe noch den großen Führer Kim Jong Il davor stehen), aber technisch gut gemacht, so alleine auf dem Smartphone. Ich entschuldige mich dafür in aller Form vor allen aufrechten Kommunisten.

            Die beiden Damen waren derweil wieder - na? - Shoppen natürlich:



            Wir treffen uns abends um 8 Uhr kurz wieder. Die beiden haben etwas von einem Festival aufgeschnappt, welches sie besuchen wollen. Mir ist das für heute zu viel, ich spüre noch den Jetlag, und verabschiede mich in die Unterkunft.

            Die beiden finden den Weg zur «Ночь Ёхора» auf dem Gelände des Ethnografischen Museums (Taxi oder Bus?). Tatsächlich eine interessante Veranstaltung, ein burjatisches Tanzfestival, auch mit Teilnehmern aus China und der Mongolei.

            Zuletzt geändert von Spartaner; 16.11.2018, 09:24.

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            • blauloke

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              #7
              AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

              Da freue ich mich ebenfalls auf alles was da noch kommt. Verspricht ein lesenswerter Bericht zu werden.
              Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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              • danobaja
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                #8
                AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                bin grad nur über die bilder gescrollt, aber da freu ich mich auch aufs lesen!

                schon mal danke für den bericht!
                danobaja
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                • Spartaner
                  Alter Hase
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                  #9
                  AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                  15. Juli 2018, Busfahrt ins Bargusin-Tal

                  Wir stehen früh auf und fahren gegen 7 mit Taxi zum Busbahnhof. Um 8 soll der Bus abfahren. Laufen und Bootswagen wären natürlich für diese 500m auch gegangen, aber ihr wisst ja, die Damen …



                  Der Bus № 320 nach Kurumkan hat wie befürchtet keinen Dachgepäckträger. Das Gepäck der anderen Fahrgäste ist auch nicht wenig, und so müssen wir noch einen zusätzlichen Sitzplatz dazukaufen, um die Boote unterzubringen. Dabei haben wir noch Glück, dass überhaupt ein Platz frei ist, denn ansonsten ist der gesamte Bus voll besetzt. Selbst im Gang werden die Klappsitze alle belegt.



                  Unsere Sitzplätze sind alle in der letzten Reihe, der Reihe mit den schlechtesten Sitzen und der geringsten Kopf- und Beinfreiheit. Andrea möchte vorne sitzen, und es bedarf einiger Diskussion, bis sie einsieht, dass die Sitzplätze numeriert und bereits beim Kauf zugeteilt waren.

                  Nun geht es über eine gute Asphaltstraße bergauf nach Norden, über einen Pass (1225m) und wieder runter in Richtung Baikal. Hinter Gremjatschinsk sehen wir ihn zum ersten mal in seiner ganzen Pracht vor uns liegen.

                  Um 12 machen wir eine ½h Mittagspause am Ufer des Baikal. Am gegenüberliegenden Ufer sieht man im Dunst die legendäre Insel Olchon aufragen, 50km quer über den See, ein toller Anblick.



                  225km nach Ulan-Ude verlässt uns die Asphaltstraße. Bis Ust-Bargusin wird sie neu gebaut, und der Weg im Bargusin-Tal ist nur noch unbefestigte Rippelpiste. Aber sie ist in relativ gutem Zustand, so dass die Durchschnittsgeschwindigkeit des Minibusses nur auf 80km/h fällt.

                  Nun ist auch ab und zu der Bargusin und immer wieder Seen und Altwässer zu sehen. Das Grün der Aue leuchtet überall frisch, es hat also genug geregnet in der letzten Zeit. Blick aus dem fahrenden Bus quer über das Bargusin-Tal auf das Ikat-Gebirge:



                  Der Wasserstand scheint hoch. Wir fahren am Westrand des Tales, linkerhand streben die Berge schroff gen Himmel.



                  ½3 sind wir in Kurumkan. Auch hier ein schöner Blick auf die Berglandschaft. Ansonsten ist es sonnig und heiß. Wir lassen das viele Gepäck draußen an einem Zaun liegen und setzen uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite in den Schatten eines Gebäudes.



                  Die anderen Fahrgäste, die in Richtung Uljunchan weiterfahren wollen, bilden sofort eine Schlange vor dem geschlossenen Busbahnhof, und einer von uns bleibt ebenfalls in der Schlange. Nach einer Stunde öffnet er. Um 17 Uhr soll ein Bus nach Uljunchan weiterfahren und Andrea versucht Tickets zu kaufen, aber das fordert wieder einiges an Diskussion. Die Voranmeldung, auch des Gepäcks, scheint nichts gebracht zu haben. Nach ein paar Telefonaten meint die Ticketverkäuferin, sie hätte für heute einen größeren Bus bestellt, wir würden alle reinpassen. Nun bekommen wir auch unsere Tickets (Σ800₽, 3.70€/P. für 82km). Das Gepäck wird später direkt beim Fahrer bezahlt. Andrea achtet diesmal auch darauf, die vorderen Plätze zu bekommen.

                  Während wir im Busbahnhof um unsere Tickets ringen, vergreift sich draußen ein Straßenköter an meinen Keksen. Er zerfetzt die Einkaufstüte, die ich draußen beim Gepäck gelassen habe, und Dörte muss eingreifen, damit ich später nicht noch hungern muss.

                  Um 5 kommt der neue Bus, und ein Haufen Leute stürzt hinein. Vorne auf unseren Plätzen haben sich ein paar dicke, schwitzende Burjatinnen breitgemacht. Sie haben nicht einmal Fahrkarten, wollen uns aber partout nicht die Plätze rund um unser Gepäck herausrücken (unser Gepäck wird diesmal auf dem Motor gestapelt, zwischen Fahrer und Beifahrer, Dörte und ich sitzen dahinter und müssen es festhalten). Erst die beharrliche Intervention des Busfahrers, der erst abfahren will, wenn die Sache geklärt ist, bewegt sie dazu, ein paar Klappsitze im Gang einzunehmen. Dabei haben sie Glück, überhaupt mitzukommen. Der Bus ist wieder gerammelt voll, ein paar Leute müssen stehen, was bei den Überlandbussen gar nicht erlaubt ist. ½6 geht es endlich los.

                  Wir gelangen immer tiefer ins Bargusin-Tal. Dörte fotografiert aus dem Busfenster.





                  Ganz am Ende, hinter Uljunchan, liegt der улус Кучегэр mit der Endstation und 2km dahinter der Kurort Kutscheger, wieder mit heißen Quellen (Map). Der Bus hat sich bereits gut geleert. Einige Touristen lassen sich mit dem Bus nach der Endstation als Privattaxi hinkutschieren, und wir vereinbaren dasselbe für die letzten 20km bis Umchey. Das war nämlich bisher noch offen, wie wir dahin kommen.

                  Abends ½9 haben wir es geschafft, wir stehen an der Furt zu der Insel, auf der Umchey liegt. Zu zahlen sind noch 800₽ für das viele Gepäck während der Busfahrt sowie 1000₽ für die Taxifahrt, bevor der Bus nach Hause fährt. Die gesamten 512km Fahrt von Ulan-Ude bis Umchey haben damit 6000₽ gekostet, also 27.78€/Person.

                  Das lief doch schon mal ziemlich gut bis hierher. Wir sind einen Tag früher als geplant angekommen.

                  Über eine Hängebrücke kommen Fußgänger rüber auf die Insel. Andrea und Dörte erkunden die Unterkünfte, haben aber kein Glück. Es ist alles belegt. Zelten dürfen wir nicht auf der Insel, aber auf dem gegenüberliegenden Ufer. Kein Problem, schnell ist ein Platz gefunden (direkt an der Furt) und die Zelte aufgebaut, schon im Dunkeln.
                  Zuletzt geändert von Spartaner; 02.09.2018, 18:06.

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                    #10
                    AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                    16. Juli 2018, Abhängen im Курорт «Умхей»

                    Ich stehe früh auf, setze mich ans sandige Ufer, schöpfe mir einen Topf Wasser aus dem Fluss, koche mir erstmal einen Tee und lasse meine Haferflocken quellen. Ein sehr schöner, ruhiger Morgen hier.
                    Am Vormittag kommen auch die Damen aus den Zelten.







                    Zusammen gehen wir über die Hängebrücke und inspizieren 500m weiter den Курорт «Умхей». Das ist nun kein Kurort wie wir uns das vorstellen, also mit großartigen repräsentativen Gebäuden, Cafes und flanierenden Gästen, sondern eher eine einfache «Турбаза», russisch für Touristenstation. Auf einem Hektar freigemachter Rasenfläche stehen 16 hölzerne Unterkunfts- und Wirtschaftsgebäude.





                    Hier im Gebiet gibt es 146 heiße Quellen. Genau da, wo man das Gelände betritt, steht ein kleines Badehaus, wo man in sehr heißem Wasser (50°C) maximal 1 - 2 Minuten verbringen darf. Draußen daneben ragt ein Rohr aus einem Steinhaufen, aus dem warmes Wasser zum Trinken plätschert. Und weiter unten, am Südende des Geländes, befindet sich ein flacher Teich mit warmem Wasser, das von oben hereinfließt und aus dem Untergrund dazuströmt.

                    Das Wasser soll gegen alle möglichen Krankheiten helfen. Ich glaube nicht so recht daran und verzichte hier auf eine Auflistung. Ein sehr schöner Bericht über das Bargusintal zeigt Umchey in allen seinen Facetten, natürlich auch, wogegen das Wasser alles hilft.

                    Zustrom des warmen, leicht schwefligen Wassers, warmer Badeteich:




                    Die Chefin hier ist Olga Nikolajewna, eine sehr rührige Frau, immer erreichbar unter (924) 357-96-80. Sie verantwortet den sehr guten Zustand der Anlage, auch die künstlerische Ausgestaltung, legt selber überall Hand an und hat den ganzen Tag zu tun, um ihre Angestellten auf Trab zu halten.

                    Sie hat zwar bisher immer noch kein Zimmer frei, verspricht aber sofort bescheidzusagen, wenn jemand absagt. Andrea möchte nämlich nicht alleine weiter draußen in der Wildnis zelten, während Dörte und ich auf unsere Bergwanderung gehen.

                    Erst mal nehmen wir ein Bad. Nicht im 50°C heißen Badehaus, das halte ich nicht aus, sondern im offenen Badeteich draußen. Hier wurden etliche Steinmännchen errichtet, und da herum entspringen weitere heiße Quellen im Untergrund. Man sieht stellenweise Gas aufperlen, und spürt, wie der Sand in der Tiefe immer heißer wird, herrlich. Auch hier im 35°C warmen Wasser soll man nur bis zu 20 Minuten baden, mehr könnte zu Gesundheitsproblemen führen (Mineralstoffhaushalt, Kreislauf).





                    Wenig später kommt Olga und offeriert uns 1 Zimmer, das gerade frei wurde. In dem zweistöckigen Gebäude, dem größten auf dem Gelände, gibt es unten 4 Zimmer mit je 2 Betten. Für den Dritten wäre Platz auf dem Fußboden. Die Nacht kostet hier 450₽/P., 6.25€/P. Elektrischen Strom gibt es gerade nicht, und Wasser holt man sich mit einem Eimer aus dem Fluss. Zum Plumpsklo sind es 130m. Mich begeistern solche Unterkünfte nicht, vor allem wegen der stickigen Luft und den Mücken, die man im großen Zimmer unmöglich alle erschlagen kann. Aber immerhin hängen vor den Fenstern Gardinen gegen die Stechtiere.

                    Auf dem Flur zwischen den 4 Zimmern gibt es zwei Sessel, einen Fernseher und einen Wasserkocher.

                    Unser Haus ist das braune links:


                    Also brechen wir unser Lager auf der anderen Flussseite ab und transportieren alles Bagage 700m bis hier her. Das ist die einzige Gelegenheit auf der gesamten Reise, bei dem ich den mitgeschleppten Herkules-Bootswagen über eine längere Strecke einsetzen kann.

                    Wir schwitzen ordentlich und müssen danach gleich wieder ins warme Wasser. Beim Baden lernen wir ein Paar kennen, die mit uns im selben Haus wohnen und so wie wir vorhaben, in die Berge zu wandern. Viktor kommt aus Estland, Alisja aus St. Petersburg, beide 33. Viktor ist ethnisch Russe, in der Sowjetunion in der ESSR geboren, ist aus estnischer Sicht ein „Nichtbürger“ und kann mit seinem grauen Pass visafrei nach Russland einreisen (“Alien’s Passport”). Mit ihnen verabreden wir uns für morgen früh um 6, um die Wanderung gemeinsam zu starten.

                    Ein paar Stunden später gibt es wieder Strom. Stundenweise Stromausfälle erleben wir hier nun jeden Tag mehrfach. Der Grund sind planmäßige Reparaturarbeiten am Leitungsnetz im Bargusintal. Planmäßig ja, aber Informationen, wann und wie lange, gelangen nicht bis Umchey.

                    Wir nutzen die Gelegenheit, laden unsere Geräte auf und kochen Tee und Brühe.

                    Abendbrot essen wir im “Restaurant”. Wegen dem Stromausfall gibt es heute besonders einfache Kost, wofür sich Olga entschuldigt.

                    Schon seit dem Nachmittag baut Dörte ihr neues Boot zum allerersten mal auf. Der Aufbau zieht sich. Sie muss bei jedem Teil erst mal feststellen, wo es hingehört und wie genau das nun eingebaut werden muss. Eine deutschsprachige Bauanleitung hat sie bereits von Zuhause mitgebracht.



                    Einige Teile passen einfach nicht, parallele Bauteile sind zT auch unterschiedlich lang, woraufhin ich mit Olga eine Säge besorge und die Teile entsprechend kürze.





                    Aber am Ende, es ist nach 21 Uhr schon fast dunkel, steht das Boot. Nur die Luftschläuche sind noch nicht aufgeblasen.



                    Eine Probefahrt möchte Dörte nicht machen, da scheint ihr der Fluss hier zu schnell und zu steinig. Sie verstaut es unter der Veranda am Flussufer, festgebunden, falls das Wasser während der Wanderung morgen steigen sollte.
                    Zuletzt geändert von Spartaner; 16.11.2018, 09:30.

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                    • Spartaner
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                      #11
                      AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                      17. Juli 2018, Wanderung in die sibirische Gebirgswildnis

                      Heute wollen wir endlich mal raus in wirkliche Wildnis. Mein Plan sieht vor, eine Runde über die nächstgelegenen 2000er zu gehen, insgesamt 38 überwiegend wegelose Kilometer (Map).





                      Die zwei höchsten Gipfel auf dieser Runde sind nicht so schroff wie anderswo im Bargusingebirge, und erreichen eine Höhe von 2195 und 2326m. Vom Ausgangsniveau in Umchey (620müNN) sind das also ~1700 Höhenmeter. GPSies.com errechnet 1974m Gesamtanstieg. 2 bis 3 Tage sollten für diese Runde reichen.

                      Andrea vergattert uns allerdings gleich auf maximal 2 Tage, da sie nicht weiß, ob sie eine weitere Nacht in Umchey übernachten darf. Das ist der erste Dämpfer.

                      Pünktlich um 6 stehen wir 4, Dörte, Alicija, Viktor und ich bereit, es geht los. Andrea lassen wir im warmen Wasser der heißen Quellen zurück. Die Sonne scheint, alles bestens.

                      Blick auf “unsere” Berge in der Morgensonne:


                      Ungefragt begleitet uns noch ein hübscher Sibirischer Husky, der hier in Umchey heimisch ist. Dörte und ich tragen große Rucksäcke für Zelt, Schlafsäcke, Matten, warmer Kleidung und Verpflegung, das Pärchen begnügt sich mit Tagesgepäck. Sie wollen gegen 13 Uhr umkehren.

                      Dörte erklärt mir zum Start, sie kann nur langsam laufen, dafür aber lange. Das ist der nächste Dämpfer. Wie soll man diese 38km ‘langsam’ in 2 Tagen schaffen? Ich wusste vorher nur, sie ist letztes Jahr 10 Tage durch die Lappländische Tundra gewandert, auch zT wegelos, weiß also eigentlich, worauf sie sich einlässt.

                      Die ersten 4km geht es sich relativ zügig auf einem Fahrweg am Bargusin-Ufer bis an den Fuß der Berge.



                      Der Fahrweg endet genau da, wo wir dem Bett eines Seitenbaches in die Berge folgen wollen.

                      Ab hier wird es zäh. Im Bachbett selber geht es sich schlecht, oft sehr große Steine.





                      Wir versuchen Wildpfaden zu folgen, die im Wald knapp neben dem Bach längs verlaufen. Solche Tierpfade sind immer mal wieder zu sehen, verlieren sich aber oft auch genau so schnell. Zum Glück ist der Wald hier noch relativ licht und man muss sich nicht so oft durch dichtes Unterholz schlagen. Unser Marschtempo sinkt auf 2.5km/h.

                      Auf dem Waldboden finden wir Losung, die wir dem Wolf zuschreiben:



                      Kurz darauf dann aber diese beeindruckenden Haufen:



                      Beides voll von Hirschhaaren. Im nachhinein tendiere ich zumindest für das letzte Bild mehr zum Bär, vor allem aufgrund dieser Intervention hier. Ich kannte allerdings Bärenkacke bisher nur als große, breitlaufende Haufen.

                      Andere Spuren, die wir gleich dem Bären zuordnen, sind große, frisch umgedrehte Steine, unter denen sich der Mischka was Fressbares suchte.

                      Da wir den Bach bald verlassen wollen, füllen wir alle unsere Wasserbehälter und trinken soviel jetzt möglich ist, direkt ungefiltert aus dem Bach. Oben in den Bergen wird voraussichtlich kein Wasser verfügbar sein.



                      Dann kommt der Punkt, an dem wir das Bachbett verlassen (es erschien mir bei der Planung auf dem Satellitenbild so, als sei es oft von schroffen Hängen, zT senkrechten Felswänden eingefasst), und auf dem Grat einer Bergflanke direkt nach oben wandern.

                      Nun wird es richtig steil. Es geht nur noch sehr langsam weiter, Ø1km/h. Immer wieder warten wir auf Dörte und müssen mehrfach Pausen einlegen, bis sie nachgekommen ist.



                      Unangenehm ist vor allem die Kombination von massenhaft Mücken, Windstille und Wärme. So wandern wir die ganze Zeit im Vollschutz, ich in langärmeliger Regenjacke, langer Hose, Mückennetz auf dem Kopf. Andere ziehen die Kapuzen über und versuchen die Mücken mit DEET auf Abstand zu halten.

                      Die G-1000-Hose hält, was sie verspricht, keine Stiche:





                      Wir bekommen bald heraus, dass die Hirsche, die hier vor allem auf den Tierpfaden wandeln, oft genau den Grat bevorzugen, oder auch öfter mal am Hang laufen. Aber gerade dort am sehr steilen Hang verlieren sich die Spuren oft. Oben ist man auf der sichereren Seite.

                      Später finden wir auf fast 1000m Höhe ein einzelnes Hirschbein:



                      und eine Kopflampe.



                      Vom Träger der Kopflampe finden wir keine weiteren Spuren.

                      Interessant, dass hier doch schon einmal jemand vorbeigekommen ist.

                      Zirbelkiefernzapfen:



                      Der Hund, der anfangs immer weit voraus lief, sehr lebhaft nach links und nach rechts Ausschau hielt, sich dabei aber immer aufmerksam zu uns umschaute, scheint jetzt in unbekanntem Terrain zu laufen. Oft mag er nicht mehr vorneweg laufen, manchmal habe ich sogar den Eindruck, er halte sich fast ängstlich bei uns. Vielleicht wittert er Nachbarn, die wir nicht spüren?

                      Hier auf 1000m geht es jetzt mal für einen Kilometer nicht mehr steil bergauf, sondern kurz unter dem Grat mehr oder weniger in gleich bleibender Höhe. Dummerweise haben die Hirsche die Tendenz, schräg bergab in Richtung Talgrund zu laufen, so dass wir immer wieder von den Tierpfaden abweichen und den sehr steilen Hang senkrecht hinaufkraxeln müssen. Hätten wir uns gleich stur auf dem Grat gehalten, wäre das vermutlich einfacher gewesen. Allerdings stehen da immer wieder kleinere Felsklippen im Weg.



                      ½11 kommt Dörte zu der Einsicht, dass es für sie in dem Tempo nicht zu schaffen ist. Sie bleibt jetzt hier und rastet auf 1100m Höhe. Da Viktor & Alicija Mittags sowieso umkehren wollen, verabreden sie, Dörte auf dem Rückweg einzusammeln. Bis dahin hat sie sich wieder erholt. Wenn die beiden bis um 16 Uhr nicht bei ihr sind, solle sie sich jedoch bereits alleine auf den Heimweg machen.

                      Weiter geht es im sehr schwierigen Gelände steil nach oben, ab und zu mit tollen Ausblicken, wie diesem Blick auf den Bargusin in 10 - 15 km Entfernung, wie er sich durch die Taiga schlängelt:



                      Das wird unsere erste Tagesetappe auf dem Wasser, die mit den Kiesbankschwellen und leichtem Wildwasser. Im Hintergrund das Ikat-Gebirge.

                      Eine Stunde später ist es auch Alicija zu viel mit der Anstrengung, der Hitze und den Mücken. Viktor wäre gern noch bis über die Baumgrenze gekommen. Wir pausieren, unterhalten uns noch ein paar Minuten, bis die beiden umkehren. Den Hund nehmen sie mit.

                      Auch ich habe mittlerweile eingesehen, dass der Weg in diesem Gelände zu anstrengend ist, und ich diese 38km-Runde nicht in 2 Tagen schaffen kann. Darum habe ich den beiden noch gesagt, dass ich nur bis zum ersten Gipfel aufsteige und auf jeden Fall denselben Weg zurückkommen werde, den ich hinauflaufe. Nur für den Fall, dass irgendeine Suche notwendig sein sollte. Außerdem habe ich die Befürchtung, dass der Abstieg über eine unbekannte Route in sehr steiles Gelände hinabführen könnte, und das halte ich jetzt doch für zu gefährlich. Runterzu kann man leicht mal über eine Kante rutschen, so wie sie an der kahlen Flanke auf dem Berg im Vordergrund zu sehen ist. ↓



                      Im Hintergrund ↑ überblickt man hier das gesamte Quellgebiet des Bargusin. Die Berge am Horizont, wo der Bargusin entspringt, sind bis 2500m hoch.

                      ↓ Entgegengesetzte Blickrichtung, mein Zielberg:



                      Dort drüben hätte ich bereits den Wald verlassen und würde nur noch über Geröll aufsteigen, was mir weitaus attraktiver vorkommt.

                      13 Uhr stehe ich auf einem Zwischengipfel, 1420m hoch. Hier muss ich offenbar erst mal wieder ein ganzes Stück steil absteigen, um weiterzukommen, und kann nicht mal erkennen, wo das möglich wäre. Dieser Zwischengipfel war auf der Openandromap mit den SRTM-Höhendaten nicht besonders gut erkennbar (weil dort manches Detail weggeglättet wird). Jetzt schaue ich noch mal auf die sowjetische Militärkarte, und die zeigt einen richtig hohen Gipfelkegel.

                      Irgendwie reicht es mir erst mal und ich bette mich zu einer längeren Pause. Ich bin ziemlich geschafft und muss mal wieder ein Stück regenerieren, natürlich auch hier im Vollschutz gegen die Mücken.



                      Während ich hier so liege, höre ich das erste Donnergrollen hinter den Bergen vor mir. Überall entstehen Gewittertürme. Dann mache ich mir noch Gedanken wegen Dörte. Wird sie sich an die Absprache halten? Oder bereits vorher den Rückweg antreten? Sie ist da manchmal recht eigensinnig. Finden die Beiden wirklich wieder zurück zu dem Punkt, an dem Dörte lagert? Sie haben nur den Punkt auf dem iPhone gespeichert, jedoch keinen Track und auch keine Karte. Mir ist klar, dass man in diesem Gelände heimzu ein starkes Bedürfnis hat, gleich in den Talgrund abzusteigen. Und wenn man erst mal da unten ist, wird man wohl kaum wieder hinaufkraxeln.

                      Weiterzugehen, dazu kann ich mich angesichts der drohenden Gewitter nicht entschließen. Oberhalb der Baumgrenze würde das leichte Zelt MSR Freelite kaum noch Schutz bieten, abgesehen davon , dass es schwer ist, überhaupt einen halbwegs geeigneten Zeltplatz zu finden.

                      Ich überlege auch, ob ich nicht schon hier oben zelten könnte. Das wäre im Prinzip möglich, aber ich möchte nicht den Rest des Tages nur noch rumsitzen und hier auf der Bergkuppe auf Blitze warten. So entschließe ich mich nach einer Stunde, wieder abzusteigen. Um 3 bin ich an Dörtes Rastplatz, aber sie ist nicht zu sehen. Dann hat ja wohl höchstwahrscheinlich alles geklappt.

                      Danach steige ich tatsächlich direkt in den Talgrund ab, schon um mal was Neues zu sehen und weil es mich interessiert, ob man im Talgrund besser gelaufen wäre. Der eine Kilometer runter wird immer steiler, genau wie befürchtet. 1.5km/h trotz bergab. Nur die Bäume helfen mir, hier nicht runterzuschliddern. Aber immerhin kam mir kein Absturz in die Quere.
                      An anderen Stellen war das öfters so, der Bach führte unten öfter durch Schlucht-ähnliche Bereiche mit senkrechten Uferfelsen.

                      Der Talgrund ist dann tatsächlich sehr schwierig zu gehen, ständig muss man große Steine überklettern. Nach 1km verbreitert sich der Talgrund, und ich weiche an den Rand aus, wo ich auf Tierpfaden endlich wieder einfach vorankomme (3km/h).

                      Birkenwald am Rande des Tales:



                      Kiefernwald im Talgrund, hier geht es durch:



                      Der Kiefernwald sieht zwar fast aus wie eine deutsche Kiefernschonung, ist aber an dieser Stelle absolut natürlich. Hier in der Gegend wird die Taiga offensichtlich regelmäßig durch Waldbrände auf Anfang gesetzt. Spuren von (meist älteren) Waldbränden hat man überall entdecken können. So knochentrocken wie das alles ist, keine Wunder.

                      Gegen 5 beginnt es dann auch zu regnen, zeitweise kräftige Gewitterschauer. Ich laufe unterm Schirm noch bis zum Ufer des Bargusin, wo ich ¼7 an einem kleinen Rastplatz ankomme.

                      Mir reicht es für heute (Gesamtstrecke 19km). Bis Umchey möchte ich jetzt nicht weiterlaufen, auf die einsame Nacht in der Taiga nicht verzichten. Ich setze mich unterm Schirm an den Tisch und hoffe auf eine Regenpause. Aber es regnet die ganze Zeit weiter.

                      Also baue ich das Zelt im Regen auf. Dieses Schönwetterzelt ist nun aber gar nicht dafür gemacht, bei Regen aufgebaut zu werden. Aber was bleibt mir übrig? Also die Zeltunterlage mit Heringen fixiert (regnet dabei voll), das Innenzelt ausgebreitet (regnet dabei voll), Gestänge ran, Innenzelt festgeklipst (regnet dabei voll), dann das Außenzelt übergeworfen und festgespannt. Der einzige Vorteil des Aufbaus im Regen ist, dass das Außenzelt gleich nass wird, und im nassen Zustand fixiert wird und nicht mehr nachträglich erschlaffen kann.

                      Dann bin ich rein ins Zelt und beschäftige mich die nächste halbe Stunde mit Trockenwischen des Innenzeltes. Das funktioniert gut, so dass ich nach und nach den Zeltboden benutzen und mich im Zelt breitmachen kann. Nachdem dann auch die nassen Sachen ausgezogen, die Matte aufgeblasen, die Mücken gekillt und ich in den Schlafsack gekrochen bin ist endlich Feierabend.
                      Guck einer an, da kann man sich ganz schnell wieder wohlfühlen, trotz der widrigen Bedingungen da draußen. Alles neue Erfahrungen für mich. Wenn man alleine unterwegs ist, achtet man irgendwie mehr auf solche Kleinigkeiten.

                      Ich bin trotz quasi Tourabbruch zufrieden mit dem Tag. Mehr Wildnis kann man nicht fühlen*, und glaubt mir, ich habe eigentlich immer damit gerechnet, dass uns auf dem Grat ein Bär entgegenkommt. Besonders als ich so still da oben auf dem Vorgipfel gelegen habe, da hätte das jederzeit passieren können. Oder auch wenn man sich durchs dichte Unterholz schlägt ....





                      So sieht der GPS-Track der Wanderung auf Satellitenbild aus:



                      Dabei ist gelb der ursprüngliche Plan und blau die tatsächlich gelaufene Strecke.

                      Und hier die Wanderung auf dem Satellitenbild von Yandex.Maps, dem russischen Pendant zu Google-Maps. Das Satellitenbild ist erheblich besser aufgelöst und deckt das Gebiet der gesamten Wanderrunde in dieser hervorragenden Qualität ab: yandex.ru/maps/ (nicht die Geduld verlieren, die Ladezeit kann etwas länger sein). Die Höhen sind farblich unterschieden, gelb ab 620, grün im Mittel 781, cyan 943, blau 1105, violett 1267 und rot bis 1428müNN.

                      Direkt im Bargusin schöpfe ich noch eine Tasse Wasser, mit einem unguten Gefühl, weil der Regen natürlich auch Dreck in den Fluss spült, und schlucke etwas Magnesium. Das Wasser schmeckt nach Schwefel. Wahrscheinlich liegt hier auch eine Quelle am Ufer.

                      Neben dem Bargusin verläuft hier ja schon der Fahrweg. Da fährt doch tatsächlich noch mitten in der Nacht ein Rettungswagen mit Blaulicht vorbei! Fährt eine Stunde später wieder zurück (jetzt ohne Blaulicht). Sollte es doch einen Notfall gegeben haben? Hat der was mit den Dreien zu tun?



                      *ok, natürlich kann man mehr Wildnis fühlen: hier zB oder da.
                      Zuletzt geändert von Spartaner; 06.09.2018, 19:33.

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                        #12
                        AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                        Ein kurzes Danke von mir zwischendurch.
                        Ich lese intressiert hier mit.
                        Nur die Mücken würden mich in den Wahnsinn treiben. Wie gehen die Eingebohreren damit um?
                        Zuletzt geändert von Abt; 04.09.2018, 07:37.

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                        • Spartaner
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                          #13
                          AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                          Die vielen Mücken habe ich in etwa so erwartet. Erstaunt war ich erst, als wir von mehrfachen Gästen des Kurorts und dem Personal gesagt bekommen haben, dass es dieses Jahr besonders viele Mücken sind, eine Plage, wie es sie schon lange nicht mehr gab. Das lag wahrscheinlich an der nassen Witterung in den 2 -3 Wochen vor unserer Ankunft.

                          Der gewöhnliche Sibirier, der Waldmensch, erträgt die Mücken stoisch*.

                          Die Städter reagieren wie wir, also mit mehr oder weniger funktionierenden Abwehrmaßnahmen.
                          Immerhin gibt es Mückennetze auch in manchem Dorfladen zu kaufen.



                          * Gesehen habe ich solche Waldmenschen nicht. Wir waren alleine im Wald und meine Aussage "erträgt die Mücken stoisch" entspringt alleine meiner Phantasie.

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                            #14
                            AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                            18. Juli 2018, Wieder Abhängen in Umchey

                            Der Regen hört in den Morgenstunden auf. Diesmal mische ich mir das schweflige Wasser aus dem Fluss mit etwas Instant-Kaffee und Zucker, was den eigenartigen Geschmack des Wassers überdeckt. Zum Frühstück gibt es ein paar Cracker und Knäckebrot, solche leckeren, ganz dünne, schmale Scheiben, die es in Ulan-Ude im Supermarkt gab. Alleine kann ich meine spartanische Ader hemmungslos ausleben. Kocher, Wasserfilter, alles nicht nötig.
                            Jedenfalls nicht für 2 - 3 Tage, und wenn man alles auf dem Rücken schleppen muss.



                            Das Zelt wird im Wind schnell trocken. Kurz nach ½11 laufe ich die restlichen 2km bis Umchey zurück.

                            Dort gönne ich mir erst mal ein warmes Bad im Teich, das Salz des Vortages vom Körper spülen. Eigentlich bin ich immer noch ziemlich fertig, spüre die Füße und brauche den faulen Tag heute zur Erholung. Man, wenn ich daran denke, wie wir vor 30, 40 Jahren die Berge hochgerannt sind! Ich merke deutlich, ich werde alt.

                            Dörte, Alissija und Viktor waren übrigens gestern abend ½6 auch wohlbehalten hier angekommen. Viktor erzählt mir, dass es gestern dort draußen tatsächlich eine Notfall gab. Einer der 3 motzigen Typen, die mit ihrem lauten, selbstgebauten Airboat seit gestern den Bargusin unsicher machen, habe einen Unfall gehabt.

                            Mittagessen kochen Andrea und Dörte heute auf dem Künzi. Es gibt Kartoffeln mit Taiga-Pilzen und Käsedecke. Selber Essen kochen ist hier auf Umchey kein Problem, es werden sogar extra Kochgelegenheiten zur Verfügung gestellt.





                            Nach dem Mittagessen schauen wir uns südlich von Umchey einen neuen Zeltplatz an, ein 3km Spaziergang. Der Grund ist, dass Dörte partout nicht von Umchey aus mit dem neuen Boot aufs Wasser möchte. Es ist ihr zu wild hier:



                            Morgen kommt Roland, und da wollen wir bereits da draußen zelten. Mir solls recht sein, ich zelte sowieso lieber als in solchen Unterkünften zu wohnen.

                            Wir haben gerade schöne Plätze inspiziert, da blitzt und donnert es wieder und ein Platzregen stürzt nieder. Wir warten im Wald unter Bäumen, bis das ärgste vorüber ist.

                            Später hört der Regen wieder auf. Nebelschwaden über dem Wasser:



                            Bereits in den Vortagen haben wir immer mal wieder versucht, mit Roland Kontakt aufzunehmen. Der letzte MTS-Mast steht allerdings bei Uljunchan, 15km entfernt. Netz finden wir nur ganz selten an einzelnen Orten auf dem Gelände. Und dort gelingt es maximal, SMS zu versenden und zu empfangen, pro SMS etwa 5 - 10 Minuten Wartezeit. Von mehreren anderen Seiten erfahren wir übrigens, dass die Telefongesellschaft Megafon hier als einzige gutes Netz bietet.

                            So teilen wir Roland mit, was genau er einkaufen soll (die Damen haben da eine extra lange, extra Gemüselastige Einkaufsliste erstellt), und wo genau unsere Zelte stehen werden. Wir selber versuchen gar nicht erst, nach Uljunchan zu kommen, um dort was einzukaufen, selbst als unser Bier bereits alle war und es hier auf Umchey keins zu kaufen gibt. Trampen hätte vielleicht funktioniert. Roland lässt sich privat vom Süd-Baikal hier herfahren und da ist es für ihn kein Problem, Unmengen zu transportieren.



                            Abends komme ich endlich auf die grandiose Idee, das Innenzelt als Moskitonetz auf der überdachten Veranda aufzubauen und dort zu übernachten. Perfekt, kein Schnarchen, keine Mücken, und frische Luft. Dazu das leise Rauschen des Flusses.
                            Zuletzt geändert von Spartaner; 16.11.2018, 09:54.

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                            • Spartaner
                              Alter Hase
                              • 24.01.2011
                              • 4744
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                              #15
                              AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                              19. Juli 2018, Ein letztes mal Abhängen in Umchey, 1km Paddeln

                              Heute wird der letzte Tag in Umchey. Am Abend erwarten wir Roland, und morgen früh geht es endlich aufs Wasser.

                              Nach dem Frühstück bezahlen wir Σ8000₽ für Unterkunft und Verpflegung, 111€ für 8 Nächte und 12 Mahlzeiten. Die amtlich vorgeschriebene Registrierung bekommen wir hier genauso wenig wie im 4komnaty in Ulan-Ude, was ich hier im Gegensatz zu dort aber auch verstehen kann. Zum Schluss gibt es noch ein Abschiedsfoto mit Olga Nikolajewna:



                              Vormittags baue ich den Ally auf, der sogleich vom burjatischen Paddelvolk geentert wird:



                              Wer allerdings genau hinschaut erkennt, dass der Burjat nicht paddelt, sondern rudert. Eigenartigerweise gibt es im Russischen (der Verkehrssprache der Burjaten) nicht mal ein Wort für "Paddeln". Und im Burjatischen, so erzählt uns eine Studentin, die hier ihren Ferien-Job macht, gibt es keine Wörter für "Bitte" und "Danke". Das lässt tief blicken ...

                              Dörte ergeht es übrigens ähnlich, dieselbe Piraten-Crew:



                              Mittags ziehen wir um auf unseren gestern ausgesuchten Zeltplatz. Während Dörte unbedingt mehrfach laufen will, mache ich es mir einfach und werde Boot und Gepäck den Fluss runter zum Zeltplatz paddeln.



                              Auf den Bohlenwegen fährt es sich leicht mit dem Bootswagen bis zu einer Bucht am (östlichen) Hauptarm des Bargusin.

                              Meine Einsatzstelle:


                              ¾1 sitze ich im Boot, die Spritzdecke aufgezogen, und paddele los. Die ersten Meter auf dem Bargusin sind ziemlich flott:



                              Der Luftbildausschnitt zeigt den GPS-Track über diesen ersten Kilometer:



                              Die Farben korrespondieren mit der gefahrenen Geschwindigkeit. Dabei bedeutet Gelb fast Stillstand, grün langsame Fahrt 3.5km/h, cyan 7km/h, blau 10.6km/h, violett 14.1km/h und rot sehr schnell, 17.6km/h. 2 mal erreiche ich 17km/h, jeweils gemittelt über 10 Sekunden.

                              Die Wellen sind vor allem in der 2. Schnelle hoch, das Boot stampft ordentlich (siehe Video). Unten zieht die Strömung dann scharf nach links, aber alles kein Problem.

                              Nach 6 Minuten ist der Spaß bereits vorüber, die heutige Tagespaddelstrecke ist geschafft.

                              Dörte schleppt derweil noch ihr Gepäck rüber. Ich frage mich vor allem, wie sie mit dem sperrigen Boot über die Hängebrücke gekommen ist. Nachdem alles am neuen Platz ist, bauen wir die Zelte auf und gehen noch einmal rüber, um in der warmen Quelle zu baden, den Schweiß der Plackerei gerade abspülen.

                              Auf dem Rückweg treffen wir an der Hängebrücke auf ein Paar, welches ebenfalls verdächtig viel Gepäck mitschleppt. Natürlich erkennen wir sofort, es handelt sich um Faltboot-Paddler. Sie wollen wie wir von Umchey aus den Bargusin befahren, werden sich hier aber auch erst mal ein paar Tage erholen. Natürlich sind sie ebenfalls standesgemäß mit Bus und Bahn aus Irkutsk angereist.

                              Abends stößt dann Roland zu uns. Er ist heute früh in Посольское südlich des Selenga-Deltas mit einem Toyota Harrier als Privattaxi von der Endstation der 1. Gruppe abgeholt worden und war den ganzen Tag unterwegs. Erst mal werden die Einkäufe ausgeladen, ein Bier geöffnet, und dann kommt der Rest. Roland zahlt 10000₽ für die knapp 600km Fahrt, 139€. Er meint dazu, in Deutschland zahlt er genauso viel im ICE.

                              Während wir auf der Sandbank am Ufer sitzen kommen die beiden russischen Paddler zu uns. Wir unterhalten uns ein wenig, von den Mücken geplagt, die jetzt in den Abendstunden wieder besonders aktiv sind. Nachdem sie mitbekommen haben, dass Andrea ihr Mückennetz vergessen hatte, sind Olga und Vitali bald wieder verschwunden. Als sie kurz darauf wiederkommen, schenken sie Andrea ein Mückennetz. Andrea ist für heute und den Rest der Fahrt gerettet und sehr sehr dankbar dafür.

                              Nun kann sie entspannt in der Hängematte liegen. Als ich die Hängematte am Nachmittag in den Bäumen festgemacht habe, bin ich übrigens mit dem Kopf gegen ein Wespennetz gestoßen, welches unter einem Kiefernast hing, und wurde natürlich auch promt gestochen. Wir haben es dann entfernt und seitdem kreisen hier immer wieder Wespen auf der Suche nach ihrer alten Heimstatt herum.



                              Morgen geht es dann endlich richtig los mit unserer Paddeltour, ich freue mich schon drauf.
                              Zuletzt geändert von Spartaner; 10.09.2018, 17:13.

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                              • jonnydarocca
                                Erfahren
                                • 19.01.2009
                                • 338
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                                #16
                                AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                                Super Bericht - mehr Details gehen fast nicht!
                                Langeweile ist ein kostbares Gut. Sie gehört gepflegt zum Wohle der Gesellschaft, weil eine gepflegte Langeweile eine Gelassenheit generieren kann, die uns allen zu Gute kommt.

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                                • Spartaner
                                  Alter Hase
                                  • 24.01.2011
                                  • 4744
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                                  #17
                                  AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                                  20. Juli 2018, Der erste Tag auf dem Bargusin, 9km

                                  Vormittags wird gepackt, Roland baut seine eigene "Jana" auf, und anschließend gehen wir ein letztes Mal Baden in der heißen Quelle Umchey.
                                  ½2 starten wir aufs Wasser. Der Fluss fließt hier durch eine typische Taigalandschaft am Südrand der riesigen East Siberian taiga ecoregion, am linken Ufer durchgängig geschützt vom Джергинский заповедник. Der grobe Schotter des Flussbettes kündet von starken Hochwässern, die das Geröll aus den Bergen mitbringen. Jeden halben Kilometer verengt sich das weite Schotterbett und durchbricht eine vom Fluss selber aufgeschüttete Kiesbankschwelle.

                                  Wegen der lang anhaltenden trockenen Witterung im Frühjahr und Sommer vor unserer Fahrt hatte ich Niedrigwasser befürchtet und habe mir fürs Treideln im groben Schotterbett extra Neoprenstiefel mitgenommen. Uns wurde in Umchey auch berichtet, dass das so trocken war, und dass 2 Wochen vor unserem Start aufs Wasser andere Faltbootfahrer aufgebrochen sind, die wegen dem niedrigen Wasserstand jede Kiesbankschwelle treideln mussten.

                                  Aber wir hatten, wie bereits mehrfach auf etlichen unserer vorherigen Paddeltouren, auch diesmal wieder viel Glück. Es hat Mitte Juli ordentlich geregnet, siehe die dunklen Bereiche nordöstlich von Irkutsk, und der Fluss hat viel Wasser. So viel, dass die meisten Geländewagenfahrer auf die Durchfahrt der Furten nach Umchey verzichtet haben und ihre Autos davor im Wald abstellten.



                                  Das viele Wasser hilft uns jetzt ungemein, die ganzen Kiesbankschwellen ohne Grundberührung zu passieren. Nur Roland hat sich mal festgefahren, als er in zu flache Bereiche geriet.





                                  Es geht unheimlich flott voran, in den langsamfließenden Abschnitten um die 8, in den Schnellen bis zu 18km/h.

                                  Ab und zu gabelt sich der Fluss und fließt in mehreren Teilarmen die Kiesbankschwellen hinab. Hier ist es immer wieder spannend, den richtigen Arm zu erwischen, den, der das meiste Wasser führt. Wenn man Pech hat, kann man an den gut durchflossenen Armen vorbeifahren und sitzt am Ende auf dem Trockenen. Aber das kennt ihr ja von ähnlichen Flüssen wie dem Ober- und Mittellauf des Ticino Inferiore.

                                  Nach 1.4km überqueren wir die Furt des berühmten 110-й зимник über den Bargusin. Diese Winterstraße verbindet das Bargusin-Tal mit der BAM im Norden. Ein historisches Filmchen zeigt die Zeit der Entstehung der Winterstraße während des Baues der Baikal-Amur-Magistrale in den 80er Jahren. Inwieweit diese Straße heute noch Bedeutung hat, habe ich nicht herausgefunden. Wenn man den Baikal auf eigenen Rädern umrunden will, kommt man nicht um sie herum. Unter abenteuerlustigen Geländewagenfahrern erfreut er sich einer gewissen Beliebtheit.

                                  Uns gefällt diese Landschaft, und da wir wissen, dass sich der Charakter des Flusses bald ändern wird, beenden wir den Paddeltag bereits nach 9km Fahrt. Links lächelt uns eine große Kies- und Sandbank an, offen genug, um nicht von Mücken aufgefressen zu werden, viel Platz, dass die Schnarcher mit genügend Abstand von uns zelten können, viel Brennholz, alles perfekt.





                                  Das Feuer entfachen wir vorne im groben Schotter, da sind noch weniger Mücken und ein schöner Blick auf die Berge.



                                  Bald nähert sich eine Regenfront, und wir verlegen das Abendbrot unters Tarp. Auf der Speisekarte stehen große Mengen Kartoffeln, Möhren und Fett, eine spezielle Diät, mit der uns Dörte die nächsten 3 Wochen fast täglich beglücken wird.



                                  Nach dem kräftigen Regen liegt Nebel über dem Fluss, es hat sich erheblich abgekühlt.

                                  Zuletzt geändert von Spartaner; 08.09.2018, 18:10.

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                                  • Galadriel
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                                    #18
                                    AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                                    Ja, sehr interessanter Bericht aus einer Gegend, wo ich noch nicht war, die mich aber sehr interessiert...
                                    Wandern & Flanieren
                                    Neues entdecken durch Langsamkeit

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                                    • Spartaner
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                                      • 24.01.2011
                                      • 4744
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                                      #19
                                      AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                                      21. Juli 2018, Wieder zurück in der Zivilisation, 47km

                                      Der Morgen ist noch trocken und so sind wir vormittags ½10 wieder auf dem Wasser, genau mit den ersten Regentropfen. Aber das macht nichts, im Kanu sitzen wir warm und trocken. Heute wollen wir mal ein bisschen gut machen, was wir den ersten Tag vertrödelt haben. Die ersten 10km geht es mit ~12km/h flott voran.





                                      Etwa auf Höhe von Uljunchan/Улюнхан nimmt das Gefälle plötzlich ab, anstatt Schotterbänken säumen jetzt Sandbänke die Ufer. Wir sind in dem Schwemmkegel gelandet, der hier vom Bargusin und seinen links und rechts mündenden Nebenflüssen р. Хахархай, р. Джирга und р. Улюнга gebildet wird. Unser durchschnittliches Paddeltempo sinkt auf ~7km/h.

                                      Eine Brücke verbindet Uljunchan mit dem Weiler Tasa/Таза. Sicherlich hat die Brücke auch schon bessere Zeiten gesehen:


                                      Klar, wir sind wieder in der Zivilisation zurück. Vom Fluss aus sieht man aber nur selten Zeichen der Besiedlung.

                                      Es tröpfelt schon die ganze Zeit auf dem Wasser. Als der Regen stärker wird, spanne ich den Schirm auf. Bei wenig Wind mag ich das, unterm “Handsfree-Regenschirm” zu sitzen.

                                      Achtung, Werbung: “Besonderer Clou des Spezialschirms ist sein Teleskop-Fiberglas-Schaft, der sich bis auf eine Länge von ~1m stufenlos ausziehen und mit einer kleinen Drehbewegung in jeder Höhen-Position fixieren lässt. An zwei mitgelieferten drehbaren Halteclips, die mit einem Nylon-Klettband vorne an den beiden Tragegurten der Schwimmweste oder des Rucksacks befestigt werden, lässt sich der Schirm je nach Windrichtung links oder rechts positionieren. Die am Schirmgriff fixierte Trageschlaufe dient als flexible Fixierung am Hüftgurt.” So hat man die Hände frei und kann bequem paddeln, fotografieren oder die Karte studieren.



                                      Pause auf einer großen Sandbank:


                                      Nach dem Regen Nebel auf dem Fluss:


                                      Später wird es freundlicher:


                                      Wieder Pause auf einer Sandbank. Mir wird ja das ewige Sitzen im Kanu schnell zuviel, Aufstehen auf dem Wasser bereitet Andrea Panik, und auch der Wechsel zum Knien reicht nicht immer.
                                      Am Ufer füllen wir schnell das Luftsofa und können bequem liegen.


                                      Kräftige Schauer im Gebirge, wir paddeln drauf zu:


                                      Phantastische Blicke öffnen sich auf das wilde Hochgebirge vor uns:






                                      Die Freiflächen im Tal werden von burjatischen Viehzüchtern sehr extensiv bewirtschaftet:


                                      Wahrscheinlich hat die Viehwirtschaft im Bargusin-Tal im Vergleich zu kommunistischen Zeiten stark abgenommen (hier stehen genauere Zahlen für den Bezirk Kurumkan, danach gab es einen verheerenden Einbruch bei der Viehhaltung in den 90er Jahren, und heute haben sie wieder 84% so viel Rinder wie 190/91 und 16% soviel Schafe, 1991 gab es 109600 Schafe und Ziegen). Damals gab es noch einen zentralen Milch-Ankauf, Verarbeitungsbetriebe und Vertrieb. Sie sind heute dabei, alles wieder neu aufzubauen mit moderner Technik.

                                      Der Fluss erreicht hier stellenweise 400m Breite. Auf dem Satellitenbild sieht man schön die wandernden Sandbänke am Flussgrund. Während Niedrigwasser liegen große Teile des Grundes trocken. Aber wie gesagt, wir haben Glück und können fast überall drüberpaddeln. Uns wird langsam klar, dass wir es gerade mir einem ordentlichen Sommerhochwasser zu tun haben.



                                      Ab 17 Uhr drängt Dörte darauf, endlich einen Lagerplatz zu suchen. Sie hat den ganzen Tag noch nichts gegessen (das gehört zu der speziellen Diät) und dementsprechend hat sich der Hunger gemeldet. Sandbänke werden bereits seltener und sie glaubt, wir werden noch am letzten schönen Platz vorbeipaddeln. Also schauen wir uns jetzt immer mal wieder potentielle Zeltplätze am Ufer an.

                                      Ich möchte eigentlich noch ein Stück paddeln. 5 Plätze werden besichtigt, 5 mal sagt Roland nein. Doch dann kann ich Dörte nach Blick auf das Luftbild eine erfolgversprechende Sandbank avisieren (aber natürlich ohne Garantie).

                                      4km später ist es dann so weit, der ideale Lagerplatz ist gefunden:



                                      Er muss die verschiedensten Wünsche unter einen Hut bringen: alle möchten eine freie Fläche mit wenig Mücken, flachen Zeltstellen und viel einfach zu erlangendem Feuerholz. Dazu kommt flacher Zugang an Land, was für unsere beiden Kajakfahrer wichtig ist, Bäume für ein Tarp für Dörte, eine Badestelle für Roland, ein schöner Blick auf die Berge im Westen, was mir gefallen würde, sowie ein großer Abstand der Zelte untereinander, damit ich die Schnarcher nicht so laut höre, etc.
                                      Für jemanden, der immer artig auf europäische Campingplätze geht, sind das sicher vollkommen überzogenen Wünsche. Aber hier lassen sie sich fast immer erfüllen.

                                      Da wir nicht wissen, ob das Wasser weiter steigt, setzen wir gleich nach Ankunft einen Pegel an der Wasserlinie. Für die Tarp-Mittelstange wird eine vertrocknete armstarke Kiefer gefällt. Die Frauen bereiten das Abendbrot, und dann beginnt der gemütliche Teil des Abends.

                                      Der Pegel steigt heute Abend tatsächlich noch weiter an. Andrea hat nah am Wasser gebaut, und ich muss sie beruhigen, das Zelt muss nicht versetzt werden, denn alle Berechnungen zeigen, dass es bei gleichbleibender Rate bis morgen früh reichen müsste.
                                      Zuletzt geändert von Spartaner; 12.09.2018, 20:37.

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                                      • Abt
                                        Lebt im Forum
                                        • 26.04.2010
                                        • 5726
                                        • Unternehmen

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                                        #20
                                        AW: [RU] Bargusin - Baikal 2018

                                        Ich will mal gleich mit der allgemeinen burjatischen-und leider auch zur ods gewordenen Tradition brechen und sage danke.
                                        Super deine kleinen Infos.
                                        Interessante Werbung, die du da rüberbringst. Ich hoffe das es diese Schirme auch in Bauchweite zum wandern gibt.
                                        Vielleicht verhindern sie auch allzuschnelle Fahrt mit Boot als eine Art Brems(fall)schirm.Na ja, bei meinem Tempo eher suboptimal

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