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Ein Wochenden im České středohoří · Böhmischen Mittelgebirge
Hinweis zu Ortsnamen: bei Ortsnamen, wo der deutsche Name nur eine Umlautung des tschechischen Namens darstellt, verzichte ich diesmal auf die Darstellung. Einige überlieferte deutsche Bezeichnungen werde ich dennoch verwenden. Wens interessiert: historische Bezeichnungen auf mapy.cz mit Startpunkt.
Fr., 08.06.2018
Endlich! Endlich ist der Fehler in der Maschine behoben, ich kann Feierabend machen und das Wochenende beginnt!
Schnell nach Hause, Duschen und den fertig gepackten Rucksack schnappen. Reichlich zwei Stunden später stehe ich am Anfang einer Tour, die ich eigentlich mit dem MTB absolvieren wollte. Das wurde mir leider im Frühjahr geklaut.
Die geplante Tour im Geiste des historischen Schlängelweges führe ich trotzdem durch - dauert eben ein wenig länger!
Start in Libochovany:
Meinen Bikepack musste ich mit einem zusätzlichen Brustgurt wandertauglich machen, aber sonst ist die Ausrüstung wie immer und so stapfe ich entspannt den Wanderweg zum Vyhlídka Tři kříže · Dreikreuzberg.
Schön zu sehen sind die Weinberge, ja da unten ist so eine Art Diesbar-Seußlitz, hier heisst es Velké Žernoseky.
Die Elbe liegt direkt unter einem und die Aussicht ist imposant. Wenn man sich nach rechts dreht, scheinen Lovoš und Milešovka · Milleschauer zum Greifen nah.
Durch ein Waldstück folge ich dem Wanderweg und bin überascht über die Legionen an Waldameisen. Ein Ameisenhaufen findet sich neben dem anderen und einmal haben die Ameisen eine Rastplatz direkt okkupiert:
Man läuft praktisch die ganze Zeit über Ameisen und ich will mir gar nicht ausmalen, hier mein offenes Tarp aufzuschlagen.
Dann öffnet sich die Landschaft und gibt den Blick auf Berg und Burgruine Kamýk (rechts) sowie den Plešivec · Eisberg frei:
Die Landschaft wird hier offensichtlich eher extensiv genutzt und so hat die Landschaft eine Anmutung wie aus fernen Tagen. Ein Eindruck, der sich noch verstärken sollte.
Die Burgruine ist durch diverse Trampelfpade erschlossen und bietet interessante Aussichten. Der eigentliche Burgrest ist jedoch verschlossen und so lenke ich meine Schritte zum Plešivec · Eisberg.
Beim Eintritt in den Wald steht da folgendes Schild:
Ja, warum hat mir das nicht mal jemand schon mal früher gesagt! Wanderte ich doch bisher völlig ahnungslos durch den Wald, ohne Baumfallversicherung! Im Ernst: ich kenne die Tschechen eigentlich als ganz pragmatisches Völkchen, aber hier scheint jetzt die (EU?) Bürokratie zu gewinnen.
Diese Episode ist sofort verdrängt, als ich am Fuße der großen Blockschutthalde am Plešivec · Eisberg ankomme: da weht mir doch tatsächlich ein kühler Hauch entgegen. Der in Rölkes Wanderführer beschriebenen Effekt der abgekühlten Luft funktioniert also wirklich! Ein Naturphänomen, welches auch Schilder vor Ort beschreiben.
Da beginnt auch schon ein unglaublicher Wanderweg: Allein durch Umschichten der vorhandene Steine wurde ein Wanderweg geschaffen, welcher sich besser begehen lässt, als das Foto erahnen lässt. Ohne diesen Weg wäre der Blockhang praktisch unbegehbar, wie diverse Wegerkundungen am nächsten Tag ergeben.
Der Blick schweift, wie so oft auf dieser Tour, über die zahlreichen markanten Kegel des Böhmischen Mittelgebirges:
Oben angekommen, findet sich passenderweise zum schwindenden Tageslicht ein überdachter Rastplatz und ein ebenes Fleckchen. Während ich beginne, mich häuslich einzurichten, tritt ein weiterer Wanderer auf den Plan.
Wir kommen ins Gespräch: Er kommt aus Prag und absolviert Solowanderungen mit Tagesetappen um die 40 bis 50 km. Wir genießen die Aussicht im letzten Büchsenlicht, philosophieren über das Leben und das Leben speziell als Wanderer und tauschen uns über unsere Erfahrungen aus. Sein bisher gefährlichster Moment? Eine Wildschweinrotte in einem Park bei Berlin, in dem er nach einer Woche wandern nächtigte. Aber die sind dann doch vorbeigelaufen, vermutlich hat er zu sehr gestunken
Ja, und da treffe ich den ersten Tschechen, der kein Bier trinkt! Das ist heftig, aber er nimmt dann doch einen Schluck aus meinem Flachmann. Da ist die Welt wieder in Ordnung
Dann geht es in die Heia: mein Wanderkollege hat gleich gar nichts gegen Regen dabei, außer einem Biwaksack. Kochen? fällt aus, es gibt Futter aus der Hand.
Jemand hat wohl mal gesagt: Egal wie verrückt Du bist, Du triffst jemanden, der noch verrückter ist als Du! Genau den habe ich heute abend getroffen
Sa, 09.06.2018
Früh um sechs werde ich gerade noch rechtzeitig wach, um den Prager Weitwanderer davoneilen zu sehen. Ich gehe es ruhiger an, und erkunde nach einem Kaffee noch ein wenig diverse Steinschuttwege für OSM, bevor es auf die Piste geht:
Im nächsten Dorf namens Hlinná finde ich nicht nur dringend benötigtes Wasser, sondern auch das da:
Mein Weg führt mich auf den Hradiště, welcher durch seine baumfreie Südflanke eine ungestörte Aussicht ermöglicht.
Dann folge ich praktisch unmarkierten Wiesenwegen, nur ab und an taucht ein roter Punkt auf weißem Grund auf.
Eine grandiose Wiesenlandschaft breitet sich aus:
So blöd das klingen mag: es ist ein Landstrich, der ungemein beruhigend wirkt - dennoch wird es nicht langweilig. Es summt und flattert, die Perspektive ändert sich mit jedem Schritt ...
So gelange ich in die Nähe eines meiner Hauptziele der Tour: der Varhošť · Aarhorst. Das Informationszeitalter macht auch vor diesem altehrwürdigen Wanderziel nicht halt:
Voller 4G-Empfang - und die Website ist auch auf deutsch; sie weist auf Sehenswürdigkeiten in der Nähe hin.
Der Aussichtsturm ist eine Besonderheit: Als Ersatz bisheriger Aussichtsplattformen wurde in den 70er Jahren eine kühne, recht freitragende Stahlkonstruktion errichtet. Mittlerweile musste die erste Plattform stabilisiert werden und so ganz am Rand ist es auch etwas wackelig.
Die Aussicht ist überragend, bis auf die östliche Richtung, wo Bäume den Blick einschränken. Aber da kann man sich unten unter die Bäume stellen und dann ist der Rundblick komplett.
Die Aussicht selber müsst Ihr schon vor Ort erleben, das kann mein Billig-Schlauphon nicht wirklich wiedergeben.
Das nächste Ziel ist die Vysoký Ostrý · Hohe Wostrey. Stundenlang wandere ich über die Dörfer und endlose Wege durch die Wälder, kein anderer Wanderer ist zu sehen.
Gleich im ersten Dorf erlebe ich das, was man in den Staaten wohl „Trail Magic“ nennt: mich überholt bergauf eine schlanke Frau im knappen Höschen und mit Bikini-Oberteil. Beim Vorbeilaufen reicht sie mir eine volle Schüssel mit leckeren Erdbeeren, aus der ich mich bedienen soll: Obst „to go“ quasi!
Endlich ist der Abzweig erreicht und es geht steil zum felsigen Ausichtspunkt. Der Berg an sich ist diesmal ist nicht so hoch wie der vorige, die Sicht ist sogar noch mehr durch Baumbewuchs eingeschränk. Aber der Blickwinkel zur Elbe lohnt den Aufstieg:
Anschließend folge ich einem Naturlehrpfad und gelange so zur Průčelská rokle · Prutschelschlucht. Diese wird ja im Wanderführer ausdrücklich empfohlen - ich habe zunächst damit zu kämpfen, überhaupt einen gangbaren Weg zu finden:
Weiter oben wird der Weg schmaler und es gefällt mir schon besser. Gar nicht gefällt mir meine leere Trinkblase, bei der Hitze ein Umstand, der mich etwas unentspannt überlegen lässt, wie ich die Reserven wieder auffüllen kann.
Im nächsten Dorf stehen Leute vor einem als Wochenendhaus genutzen Bauernhaus. Voda? Aber klar doch, der Hausherr eilt beflissen von dannen, ein Glas Wasser holen, bevor ich die zu füllende Trinkblase den jungen Leuten zeigen kann. Da rennt auch schon der nächste los. Wir plauschen ein wenig, der Sohn des Hausherren kann Englisch und erklärt besorgt, dass es schon zwei Wochen keinen Tropfen Regen gegeben hat.
Die volle Wasserblase gibt mir wieder Schwung und ich marschiere weiter durch die Dörfer. Die von mir recherchierte Route des Schlängelweges führt dann über Landstraßen, einige Feldwege sind inzwischen leider verschwunden oder in einem Falle privat. Es ist heiß, ich finde zum Glück noch einen Brunnen zur Erfrischung und dann überlege ich so lansam, den Sack zuzubinden und eine geeignete Gegend zum Wildcampen zu finden.
Meine Wahl fällt auf den Magnetovec. Die Karten verzeichnen einen unmarkierten Weg, welchen ich als direkten Aufstieg nutzen will.
Scheint nicht so oft begangen zu sein:
Im Wald ist dann der Weg besser auszumachen und ich ereiche, weglos eine hochgelegene Wiesenweide überquerend, den Bergrücken. Leider findet sich kaum ein flaches, nettes Plätzen - bis ich eine Feuerstelle entdecke. Mit viel Mühe kann ich mein Tarp wortwörtlich direkt neben dem Wanderpfad auf einer einigermaßen ebenen Fläche platzieren:
Aus dem Tal klingt Partylärm zu mir herauf, dann werden auch noch Böller abgeschossen. Später jedoch erlange ich die ersehnte Ruhe und lasse mich nach über 30 km und unzähligen Höhenmetern auf die Isomatte plumsen ...
So, 10.06.2018
Früh überlege ich mir erstmal den weiteren Verlauf: die Hitze und die Strecke gestern haben mir doch zugesetzt. Ich habe mir eine Wolf gelaufen (natürlich passende Heilmittel mit, aber dennoch blöd), an diversen anderen Stellen ist die Haut auch aufgerieben und so beschließe ich eine eher kurze Wanderung mit kulturellen Genüssen und einer nicht zu späten Heimfahrt zu verbinden.
Zunächst umrunde ich den Magnetovec Berggipfel, gelange zu einer Aussicht und zu einer geologischen Besonderheit namens Skalní hřib:
Hier hat sich eine härtere Gesteinsschicht auf einer weicheren abgelagert, und so konnte Baumeister Natur tätig werden.
Dann gelange ich zu einem Bergkamm namens Sokolí hřeben, welcher auf der Karte keine besonderen Merkmale aufweise. Jedoch wandert man auf einem ausnehmend schönen Pfad stets auf dem Kamm entlang; immer wieder ergeben sich interessante Ausblicke in die Bergwelt, den Baumfällern sei dank.
Dann öffnet sich die Landschaft ...
... und wir haben wieder diese endlosen Wiesenweiden. Fehlt nur noch ein einsamer Cowboy auf seinem Pferd am Horizont:
Da erreiche ich auch schon, nach einem letzten Stück heißer Teerstraße, den heutigen Schlußpunkt der Wanderung: den Museumsbahnhof in Zubrnická. Bin ich gerade unbemerkt durch eine Zeitschleuse gelaufen? Ein Bahnhof wie zu k.u.k. Zeiten, in einem von der Zeit vergessenen Dörfchen, umrahmt von malerischen Wiesen und Bergkämmen ... lediglich der moderne Fernsehturm auf dem Bergkamm holt mich mental wieder ins heute zurück:
Es ist noch ein wenig Zeit, und so geht es auf ein Helles und eine einfache Mahlzeit in den nächsten Gasthof. Dann schaue ich mir den Bahnhof noch ein wenig an:
Zweisprachig. Kennt man ja, wenn man aus der Lausitz stammt
Für Bahnnerds: M 131.0 („Hurvínek“).
Holzklasse
Gleich geht es los, mit Schunkeln und Rattern arbeitet sich der Triebwagen das Tal hinab bis zur Hauptstrecke nach Ústí.
Da hat mich die Zivilisation wieder, wer Ústí kennt, kann den Kulturschock nachvollziehen. Aber das lässt sich ja bekanntlich mit des Hopfens beruhigender Wirkung abmindern, so dass ich meine Schritte zielstrebig in dieses Etablissement lenke:
Ja, das ist eine von unzähligen kleinen Brauereien („Pivovar“), wo ein auf neudeutsch Craftbeer genannter, durch Weglassen des Filtrationsprozesses und Pasteurisierens äußerst bekömmlicher Gerstensaft kredenzt wird.
Während von dem angekündigten unwetterartigen Gewittern vorerst nurmehr ein Regenschauer vorausgeschickt wird, erwischt mich der Gewitterguß dann doch noch volle Kanne: später zu Hause, 300 m vor der Haustür mit dem frisch gejagten Futter in der Hand
Fazit: eine unglaubliche Gegend, welche alle Trends und Zeitrömungen beharrlich ignoriert hat und deshalb eine Ursprünglichkeit ausstrahlt, die man so nahe an der Heimatstadt gar nicht vermutet. An den Naturschönheiten und Aussichten kann es nicht liegen, dass sich touristisch so wenig entwickelt hat.
Wasser ist knapp und sollte immer reichlich mitgeführt werden, Läden gibt es fast gar nicht und Kneipen in übersichtlicher Anzahl. Aber wer Ruhe sucht, ist hier genau richtig.
Ahoj sagt veloziped!
Hinweis zu Ortsnamen: bei Ortsnamen, wo der deutsche Name nur eine Umlautung des tschechischen Namens darstellt, verzichte ich diesmal auf die Darstellung. Einige überlieferte deutsche Bezeichnungen werde ich dennoch verwenden. Wens interessiert: historische Bezeichnungen auf mapy.cz mit Startpunkt.
Fr., 08.06.2018
Endlich! Endlich ist der Fehler in der Maschine behoben, ich kann Feierabend machen und das Wochenende beginnt!
Schnell nach Hause, Duschen und den fertig gepackten Rucksack schnappen. Reichlich zwei Stunden später stehe ich am Anfang einer Tour, die ich eigentlich mit dem MTB absolvieren wollte. Das wurde mir leider im Frühjahr geklaut.
Die geplante Tour im Geiste des historischen Schlängelweges führe ich trotzdem durch - dauert eben ein wenig länger!
Start in Libochovany:
Meinen Bikepack musste ich mit einem zusätzlichen Brustgurt wandertauglich machen, aber sonst ist die Ausrüstung wie immer und so stapfe ich entspannt den Wanderweg zum Vyhlídka Tři kříže · Dreikreuzberg.
Schön zu sehen sind die Weinberge, ja da unten ist so eine Art Diesbar-Seußlitz, hier heisst es Velké Žernoseky.
Die Elbe liegt direkt unter einem und die Aussicht ist imposant. Wenn man sich nach rechts dreht, scheinen Lovoš und Milešovka · Milleschauer zum Greifen nah.
Durch ein Waldstück folge ich dem Wanderweg und bin überascht über die Legionen an Waldameisen. Ein Ameisenhaufen findet sich neben dem anderen und einmal haben die Ameisen eine Rastplatz direkt okkupiert:
Man läuft praktisch die ganze Zeit über Ameisen und ich will mir gar nicht ausmalen, hier mein offenes Tarp aufzuschlagen.
Dann öffnet sich die Landschaft und gibt den Blick auf Berg und Burgruine Kamýk (rechts) sowie den Plešivec · Eisberg frei:
Die Landschaft wird hier offensichtlich eher extensiv genutzt und so hat die Landschaft eine Anmutung wie aus fernen Tagen. Ein Eindruck, der sich noch verstärken sollte.
Die Burgruine ist durch diverse Trampelfpade erschlossen und bietet interessante Aussichten. Der eigentliche Burgrest ist jedoch verschlossen und so lenke ich meine Schritte zum Plešivec · Eisberg.
Beim Eintritt in den Wald steht da folgendes Schild:
Ja, warum hat mir das nicht mal jemand schon mal früher gesagt! Wanderte ich doch bisher völlig ahnungslos durch den Wald, ohne Baumfallversicherung! Im Ernst: ich kenne die Tschechen eigentlich als ganz pragmatisches Völkchen, aber hier scheint jetzt die (EU?) Bürokratie zu gewinnen.
Diese Episode ist sofort verdrängt, als ich am Fuße der großen Blockschutthalde am Plešivec · Eisberg ankomme: da weht mir doch tatsächlich ein kühler Hauch entgegen. Der in Rölkes Wanderführer beschriebenen Effekt der abgekühlten Luft funktioniert also wirklich! Ein Naturphänomen, welches auch Schilder vor Ort beschreiben.
Da beginnt auch schon ein unglaublicher Wanderweg: Allein durch Umschichten der vorhandene Steine wurde ein Wanderweg geschaffen, welcher sich besser begehen lässt, als das Foto erahnen lässt. Ohne diesen Weg wäre der Blockhang praktisch unbegehbar, wie diverse Wegerkundungen am nächsten Tag ergeben.
Der Blick schweift, wie so oft auf dieser Tour, über die zahlreichen markanten Kegel des Böhmischen Mittelgebirges:
Oben angekommen, findet sich passenderweise zum schwindenden Tageslicht ein überdachter Rastplatz und ein ebenes Fleckchen. Während ich beginne, mich häuslich einzurichten, tritt ein weiterer Wanderer auf den Plan.
Wir kommen ins Gespräch: Er kommt aus Prag und absolviert Solowanderungen mit Tagesetappen um die 40 bis 50 km. Wir genießen die Aussicht im letzten Büchsenlicht, philosophieren über das Leben und das Leben speziell als Wanderer und tauschen uns über unsere Erfahrungen aus. Sein bisher gefährlichster Moment? Eine Wildschweinrotte in einem Park bei Berlin, in dem er nach einer Woche wandern nächtigte. Aber die sind dann doch vorbeigelaufen, vermutlich hat er zu sehr gestunken
Ja, und da treffe ich den ersten Tschechen, der kein Bier trinkt! Das ist heftig, aber er nimmt dann doch einen Schluck aus meinem Flachmann. Da ist die Welt wieder in Ordnung
Dann geht es in die Heia: mein Wanderkollege hat gleich gar nichts gegen Regen dabei, außer einem Biwaksack. Kochen? fällt aus, es gibt Futter aus der Hand.
Jemand hat wohl mal gesagt: Egal wie verrückt Du bist, Du triffst jemanden, der noch verrückter ist als Du! Genau den habe ich heute abend getroffen
Sa, 09.06.2018
Früh um sechs werde ich gerade noch rechtzeitig wach, um den Prager Weitwanderer davoneilen zu sehen. Ich gehe es ruhiger an, und erkunde nach einem Kaffee noch ein wenig diverse Steinschuttwege für OSM, bevor es auf die Piste geht:
Im nächsten Dorf namens Hlinná finde ich nicht nur dringend benötigtes Wasser, sondern auch das da:
Mein Weg führt mich auf den Hradiště, welcher durch seine baumfreie Südflanke eine ungestörte Aussicht ermöglicht.
Dann folge ich praktisch unmarkierten Wiesenwegen, nur ab und an taucht ein roter Punkt auf weißem Grund auf.
Eine grandiose Wiesenlandschaft breitet sich aus:
So blöd das klingen mag: es ist ein Landstrich, der ungemein beruhigend wirkt - dennoch wird es nicht langweilig. Es summt und flattert, die Perspektive ändert sich mit jedem Schritt ...
So gelange ich in die Nähe eines meiner Hauptziele der Tour: der Varhošť · Aarhorst. Das Informationszeitalter macht auch vor diesem altehrwürdigen Wanderziel nicht halt:
Voller 4G-Empfang - und die Website ist auch auf deutsch; sie weist auf Sehenswürdigkeiten in der Nähe hin.
Der Aussichtsturm ist eine Besonderheit: Als Ersatz bisheriger Aussichtsplattformen wurde in den 70er Jahren eine kühne, recht freitragende Stahlkonstruktion errichtet. Mittlerweile musste die erste Plattform stabilisiert werden und so ganz am Rand ist es auch etwas wackelig.
Die Aussicht ist überragend, bis auf die östliche Richtung, wo Bäume den Blick einschränken. Aber da kann man sich unten unter die Bäume stellen und dann ist der Rundblick komplett.
Die Aussicht selber müsst Ihr schon vor Ort erleben, das kann mein Billig-Schlauphon nicht wirklich wiedergeben.
Das nächste Ziel ist die Vysoký Ostrý · Hohe Wostrey. Stundenlang wandere ich über die Dörfer und endlose Wege durch die Wälder, kein anderer Wanderer ist zu sehen.
Gleich im ersten Dorf erlebe ich das, was man in den Staaten wohl „Trail Magic“ nennt: mich überholt bergauf eine schlanke Frau im knappen Höschen und mit Bikini-Oberteil. Beim Vorbeilaufen reicht sie mir eine volle Schüssel mit leckeren Erdbeeren, aus der ich mich bedienen soll: Obst „to go“ quasi!
Endlich ist der Abzweig erreicht und es geht steil zum felsigen Ausichtspunkt. Der Berg an sich ist diesmal ist nicht so hoch wie der vorige, die Sicht ist sogar noch mehr durch Baumbewuchs eingeschränk. Aber der Blickwinkel zur Elbe lohnt den Aufstieg:
Anschließend folge ich einem Naturlehrpfad und gelange so zur Průčelská rokle · Prutschelschlucht. Diese wird ja im Wanderführer ausdrücklich empfohlen - ich habe zunächst damit zu kämpfen, überhaupt einen gangbaren Weg zu finden:
Weiter oben wird der Weg schmaler und es gefällt mir schon besser. Gar nicht gefällt mir meine leere Trinkblase, bei der Hitze ein Umstand, der mich etwas unentspannt überlegen lässt, wie ich die Reserven wieder auffüllen kann.
Im nächsten Dorf stehen Leute vor einem als Wochenendhaus genutzen Bauernhaus. Voda? Aber klar doch, der Hausherr eilt beflissen von dannen, ein Glas Wasser holen, bevor ich die zu füllende Trinkblase den jungen Leuten zeigen kann. Da rennt auch schon der nächste los. Wir plauschen ein wenig, der Sohn des Hausherren kann Englisch und erklärt besorgt, dass es schon zwei Wochen keinen Tropfen Regen gegeben hat.
Die volle Wasserblase gibt mir wieder Schwung und ich marschiere weiter durch die Dörfer. Die von mir recherchierte Route des Schlängelweges führt dann über Landstraßen, einige Feldwege sind inzwischen leider verschwunden oder in einem Falle privat. Es ist heiß, ich finde zum Glück noch einen Brunnen zur Erfrischung und dann überlege ich so lansam, den Sack zuzubinden und eine geeignete Gegend zum Wildcampen zu finden.
Meine Wahl fällt auf den Magnetovec. Die Karten verzeichnen einen unmarkierten Weg, welchen ich als direkten Aufstieg nutzen will.
Scheint nicht so oft begangen zu sein:
Im Wald ist dann der Weg besser auszumachen und ich ereiche, weglos eine hochgelegene Wiesenweide überquerend, den Bergrücken. Leider findet sich kaum ein flaches, nettes Plätzen - bis ich eine Feuerstelle entdecke. Mit viel Mühe kann ich mein Tarp wortwörtlich direkt neben dem Wanderpfad auf einer einigermaßen ebenen Fläche platzieren:
Aus dem Tal klingt Partylärm zu mir herauf, dann werden auch noch Böller abgeschossen. Später jedoch erlange ich die ersehnte Ruhe und lasse mich nach über 30 km und unzähligen Höhenmetern auf die Isomatte plumsen ...
So, 10.06.2018
Früh überlege ich mir erstmal den weiteren Verlauf: die Hitze und die Strecke gestern haben mir doch zugesetzt. Ich habe mir eine Wolf gelaufen (natürlich passende Heilmittel mit, aber dennoch blöd), an diversen anderen Stellen ist die Haut auch aufgerieben und so beschließe ich eine eher kurze Wanderung mit kulturellen Genüssen und einer nicht zu späten Heimfahrt zu verbinden.
Zunächst umrunde ich den Magnetovec Berggipfel, gelange zu einer Aussicht und zu einer geologischen Besonderheit namens Skalní hřib:
Hier hat sich eine härtere Gesteinsschicht auf einer weicheren abgelagert, und so konnte Baumeister Natur tätig werden.
Dann gelange ich zu einem Bergkamm namens Sokolí hřeben, welcher auf der Karte keine besonderen Merkmale aufweise. Jedoch wandert man auf einem ausnehmend schönen Pfad stets auf dem Kamm entlang; immer wieder ergeben sich interessante Ausblicke in die Bergwelt, den Baumfällern sei dank.
Dann öffnet sich die Landschaft ...
... und wir haben wieder diese endlosen Wiesenweiden. Fehlt nur noch ein einsamer Cowboy auf seinem Pferd am Horizont:
Da erreiche ich auch schon, nach einem letzten Stück heißer Teerstraße, den heutigen Schlußpunkt der Wanderung: den Museumsbahnhof in Zubrnická. Bin ich gerade unbemerkt durch eine Zeitschleuse gelaufen? Ein Bahnhof wie zu k.u.k. Zeiten, in einem von der Zeit vergessenen Dörfchen, umrahmt von malerischen Wiesen und Bergkämmen ... lediglich der moderne Fernsehturm auf dem Bergkamm holt mich mental wieder ins heute zurück:
Es ist noch ein wenig Zeit, und so geht es auf ein Helles und eine einfache Mahlzeit in den nächsten Gasthof. Dann schaue ich mir den Bahnhof noch ein wenig an:
Zweisprachig. Kennt man ja, wenn man aus der Lausitz stammt
Für Bahnnerds: M 131.0 („Hurvínek“).
Holzklasse
Gleich geht es los, mit Schunkeln und Rattern arbeitet sich der Triebwagen das Tal hinab bis zur Hauptstrecke nach Ústí.
Da hat mich die Zivilisation wieder, wer Ústí kennt, kann den Kulturschock nachvollziehen. Aber das lässt sich ja bekanntlich mit des Hopfens beruhigender Wirkung abmindern, so dass ich meine Schritte zielstrebig in dieses Etablissement lenke:
Ja, das ist eine von unzähligen kleinen Brauereien („Pivovar“), wo ein auf neudeutsch Craftbeer genannter, durch Weglassen des Filtrationsprozesses und Pasteurisierens äußerst bekömmlicher Gerstensaft kredenzt wird.
Während von dem angekündigten unwetterartigen Gewittern vorerst nurmehr ein Regenschauer vorausgeschickt wird, erwischt mich der Gewitterguß dann doch noch volle Kanne: später zu Hause, 300 m vor der Haustür mit dem frisch gejagten Futter in der Hand
Fazit: eine unglaubliche Gegend, welche alle Trends und Zeitrömungen beharrlich ignoriert hat und deshalb eine Ursprünglichkeit ausstrahlt, die man so nahe an der Heimatstadt gar nicht vermutet. An den Naturschönheiten und Aussichten kann es nicht liegen, dass sich touristisch so wenig entwickelt hat.
Wasser ist knapp und sollte immer reichlich mitgeführt werden, Läden gibt es fast gar nicht und Kneipen in übersichtlicher Anzahl. Aber wer Ruhe sucht, ist hier genau richtig.
Ahoj sagt veloziped!
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