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    [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

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    Nils Holgersson - Skulptur in Karlskrona



    „Småland ist ein hohes Haus, mit Tannen auf dem Dache; vor dem Hause aber ist eine breite Treppe mit drei Stufen, und diese Treppe wird Blekinge genannt.

    Sie erstreckt sich acht Meilen weit über die Vorderseite des småländischen Hauses, und wer die Treppe bis an die Ostsee hinuntergehen will, hat vier Meilen zu wandern.

    Es ist auch schon recht lange her, seit die Treppe gebaut worden ist. Tage und Jahre sind vergangen, seit die ersten aus Feldsteinen gehauenen Stufen zu einer bequemen Verkehrsstraße zwischen Småland und der Ostsee eben und gleichmäßig gelegt wurden.

    Aber zugleich ist zwischen den drei Stufen ein großer Unterschied entstanden. Die oberste, die Småland am nächsten liegt, ist zum großen Teil mit magrer Erde und kleinen Steinen bedeckt, und es wachsen nicht gern andre Bäume da als Weißbirken und Faulkirschen und Tannen, die die Kälte dort oben ertragen und mit wenig zufrieden sind. Am allerbesten begreift man, wie kärglich und ärmlich es da oben ist, wenn man sieht, wie klein die vom Walde urbar gemachten Äcker sind, was für winzige Häuser die Leute sich da bauen und wie weit die Kirchen voneinander entfernt sind.

    Auf der mittlern Treppe gibt es bessere Erde, und es wird dort auch nicht so sehr kalt. Man sieht das gleich daran, daß die Bäume höher und von besserer Art sind. Dort wachsen Ahorn und Eichen und Linden, Hängebirken und Haselsträucher, aber keine Nadelhölzer. Und noch deutlicher sieht man es an den vielen bebauten Landstrecken und an den großen und schönen Häusern, die sich die Menschen gebaut haben. Es stehen auch viele Kirchen auf der mittleren Stufe, und große Ortschaften liegen rings um sie herum, und sie nimmt sich in jeder Beziehung besser und schöner aus als die oberste Stufe.

    Aber die unterste Stufe ist doch von allen die beste. Sie ist mit guter, richtiger Erde bedeckt, und da, wo sie liegt und sich im Meere badet, hat man nicht das geringste Gefühl von der småländischen Kälte. Hier unten gedeihen Buchen und Kastanien und Nußbäume, und sie werden so groß, daß sie über das Kirchendach hinausragen. Hier sind auch die größten Ackerfelder; aber die Leute leben nicht allein vom Ackerbau und vom Ertrag der Wälder, sie beschäftigen sich auch mit dem Fischfang, mit Handel und Schiffahrt. Deshalb gibt es hier auch die kostbarsten Häuser und die schönsten Kirchen, und die Kirchspiele sind zu Handelsplätzen und Städten herangewachsen.“



    Aus:
    Selma Lagerlöf: Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen


    -------------------------------------------------------

    Ich habe vom vorigen Jahr noch ein paar Tage Urlaub übrig und entscheide mich für eine Wanderung in Südschweden, auf dem Blekingeleden. Vor vielen Jahren, im Dezember 2007, bin ich bereits das erste Teilstück von Sölvesborg bis zum Fluss Mörrum nördlich von Svängsta gelaufen. Vielleicht wird es diesmal ähnlich ungemütlich nass-kalt wie damals, vielleicht wird es aber auch eine erste Vorfrühlingstour werden.
    Nichts von beidem trat ein- es wurde die kälteste Woche dieses Winters.

    Während der Herr Pfad-Finder also in Gesellschaft den Nordpol Brandenburgs erkundet, begebe ich mich, völlig auf mich allein gestellt, auf eine Fahrt über das Nordmeer (von manchen Ignoranten auch einfach Ostsee genannt).






    Tag eins

    Die Anreise verläuft gewohnt beschaulich: mit dem Zug bis nach Rostock und von dort über Nacht mit der Fähre nach Trelleborg. Der Ort hat inzwischen eine Bahnanbindung nach Malmö. War ich wirklich so lange nicht mehr hier? Ich nehme trotzdem den Bus, einfach, weil gerade einer fährt. In Malmö gelingt es mir gerade noch rechtzeitig, mit vorher abgehobenem Bargeld eine Fahrkarte nach Karlshamn zu erwerben – an den vorhandenen Automaten bin ich grandios gescheitert. In Karlshamn angekommen, bringt mich nur wenige Minuten später der Bus ein paar Kilometer nach Norden.



    So steige ich an einem Freitag gegen Mittag an einer Bushaltestelle im Dorf aus und doch erscheint es mir schon, als stände ich mitten im Nichts: nur ein Haltestellenschild an der Straße, kein Wartehäuschen, locker verstreute Häuser. Ich ziehe meine warmen Sachen aus und die Wandersachen an. Es ist recht kalt, Schnee liegt wenig. Das erste Stück laufe ich eine kaum befahrene Straße entlang nach Norden – ideal zum einlaufen. Ich merke, dass der Untergrund glatt ist und ich immer wieder ins schlittern komme; ich muss mich konzentrieren.



    Schon bald treffe ich am Nordende des Långasjön auf den Blekingeleden. Es ist nicht die gleiche Stelle, an der ich vor vielen Jahren abgebrochen habe, sondern etwa einen knappen Tagesmarsch weiter östlich. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln in das winzige Dorf am Mörrumsån zu gelangen, wäre zu kompliziert und die Gesamtstrecke wäre für meinen Zeitrahmen dann auch zu lang gewesen. Und letztendlich kam es mir auch gar nicht darauf an, den Blekingeleden komplett zu laufen. Auch diesmal habe ich ihn nicht bis zum (bitteren) Ende gehen können.





    Oberhalb des verlassenen Campingplatzes am Långasjön steht die erste Rastschutzhütte dieser Tour, die hier als offizille Etappenziele gelten. Doch für mich ist heute noch lange nicht Schluss, es ist lediglich ein perfekter Platz für eine Mittagspause.



    Kurz darauf treffe ich auf die Ruinen einer ehemaligen Fabrikanlage. Sie liegen unter einer dünnen Schneeschicht und wirken so noch karger und aus der Zeit gefallener, als wären sie mit üppigem Grün bedeckt. Ich bin begeistert.







    Was mir hier zum ersten mal auffällt und mich noch ein paar Tage begleiten wird, sind die flachen Mauern aus Feldsteinen, teils entlang der alten Wege, teils mitten im Wald. Vor langer Zeit kunstvoll gebaut und vermutlich immer wieder ausgebessert, stehen sie nicht nur einfach so herum, sondern werden teilweise anscheinend immer noch genutzt. Immer wieder gibt es Anzeichen, dass diese Mauern die kleinen Viehweiden der Bauern begrenzen. Und auch ich finde sie hervorragend geeignet, um mich für eine kurze Rast zu setzen.
    Zu dieser Jahreszeit fallen diese Mauern und auch die Reste alter Gehöfte besonders auf, da sie nicht durch „störende“ Vegitation verdeckt werden.

    Überhaupt ist diese Gegend ein steinreiches Land.





    Irgendwann habe ich genug. Für den ersten Tag habe ich genug gesehen und bin genug gelaufen. Ein Stück oberhalb des Weges baue ich meine „Insel“ auf.

    Zuletzt geändert von November; 14.06.2018, 21:07.
    Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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    #2
    AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

    Tag zwei





    Es war kalt in der Nacht. Ein Superthermometer mit Temperaturspeicherung habe ich nicht, aber das Wasser in der Flasche war trotz Lagerung im Innenzelt recht crispy. Mein Luchs hat mich jedoch herrlich warm gehalten und gleich gibt es heißen Tee.

    Blauer Himmel, weißer Schnee und rote Schwedenhäuschen. Weil es so schön ist, verpasse ich glatt den Abzweig und muss dafür ein Stück auf der Straße laufen, um wieder auf den Weg zu treffen – macht aber nichts.

    Immer wieder Feldsteinmauern




    Kurze Rast oberhalb eines Sees. Alles ist zugefroren, nur eine glatte weiße Fläche, durchsetzt mit einzelnen Schilfhalmen, ist zu erkennen.



    Diese Tour ist übrigens die definitiv letzte für meine treuen Rucksackgefährten, einen Lowe Alpine Cerro Torre. 14 Jahre hatte ich ihn auf dem Puckel, nun darf er seinen wohlverdienten Ruhestand antreten.





    Eine Brücke über ein (fließendes) Gewässer sorgt immer für Abwechslung.



    Hier wurden sogar die Häuser um einen riesigen Felsbrocken herum gebaut.



    Immer wieder auf verschiedene menschliche Spuren zu treffen, macht diesen Weg durch diese Kulturlandschaft so interessant. Von Frühjahr bis Herbst würde ich ihn aber nicht gehen wollen, da wäre er mir wahrscheinlich zu langweilig, zu anspruchslos und an vielen schönen Stellen sicher auch zu stark frequentiert.





    Järnavik – die einzige Stelle, wo der Blekingeleden auf die Ostsee trifft (abgesehen vom Endpunkt des Weges an der Ostküste).



    In dem Schutzgebiet vor Järnavik ist das Zelten leider, aber verständlicherweise verboten. So stapfe ich weiter froh und gedenkenverloren durch die Gegend, wobei mir ein dusseliger Fehler passiert. Ich vergesse nämlich, mich rechtzeitig um Wasser zu kümmern bzw. denke, irgendwo im Ort wird es sicher etwas geben. Aber Pustekuchen, der Ort und auch der Campingplatz wirken wie ausgestorben. Oberhalb des Platzes steht die übliche Rastschutzhütte als Zeichen des offiziellen Etappenzieles. Immerhin gibt es etwas Schnee, den ich von Tisch und Bänken kratze, um ihn dann zu schmelzen. Das Ganze ist aufwändig und verbraucht vor allem enorm viel Brennstoff.





    Nach erfolgreicher „Wassergewinnung“ steige ich noch auf einen Felsen mit Blick auf die Ostsee.






    --------------------------------------------------------------------------


    Tag drei



    Am nächsten Tag der Blick vom gleichen Felsen bei strahlender Morgensonne. Die Gänse sammeln sich auf dem Wasser und machen machen einen irren Lärm. Ob ihnen noch der kleine Nils Holgersson fehlt, um mit ihnen gemeinsam den langen Weg nach Lappland zu starten?



    Bald schon entfernt sich der Weg leider wieder von der Ostsee und schlängelt sich weiter im Landesinneren gegen Osten. Der Vorteil ist aber, dass es dort wieder etwas kälter und auch etwas schneereicher ist als an der Küste und ich auch meine geliebten Mauern wieder habe.



    Immer wieder fällt mir auf, wie genial die niedrige Temperatur doch ist. Dadurch habe ich harten gefrorenen Boden unter den Füßen. Manchmal jedoch ist die Kruste recht dünn und ich sacke leicht in den Matsch ein. Bei gemäßigten Temperaturen oder am Ende des Winters sind solche Wege ganz sicher kein Vergnügen.



    Dann folgt viel teils langweiliger Wald. Ich werde müde und schlapp. Wenigstens etwas interessantes gibt es noch unterwegs.
    Kurz erklärt: Es gab hier einen Stein, auf dem Runenzeichnungen aus ferner Vorzeit zu bewundern waren und an deren Entschlüsselung sich gleich mehrere Forscher versucht haben. Schlussendlich stellte sich heraus, dass es sich gar nicht um Schriftzeichen, ja nicht einmal um menschliche Spuren handelt, sondern schlicht und einfach um Pflanzenreste.
    Solche Geschichten mag ich.



    Achtung: Der Weg wird zur Eisbahn.



    Das Ziel des heutigen Tages heißt Ronneby. Doch der Weg zieht sich gefühlt endlos hin, obwohl es heute gar nicht so viele Kilometer sind. Ich bin müde und will endlich ankommen.



    Endlich bin ich im Brunnsparken, dem alten Park des Kurortes Ronneby. Ein wirklich schöner Park mit prachtvollen alten Villen und mondänen Kuranlagen. Leider fotografiere ich sie kaum, da ich in diesem Moment keinen Sinn dafür habe. Mein Zeil ist das Vandrarhem, in dem ich diese Nacht verbringen möchte. Die Wärme dort ist ungewohnt und wirkt einschläfernd. Heute verlasse ich das Haus nicht mehr.

    Zuletzt geändert von November; 13.06.2018, 21:29.
    Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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      #3
      AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

      Tag vier



      Guten Morgen, Sonnenschein.



      Nein, ich gehe jetzt nicht zurück und kontrolliere die Namen der anderen Brücken.

      Nach einem schönen Stück am Ronnebyån zweigt der Weg jetzt nach Norden ab.







      Auch sie sind warm eingepackt.

      Die Landschaft, die Natur, die Kulturspuren verändern sich.
      Zuerst fällt mir auf, dass „meine“ Feldsteinmauern fehlen. Sie werden auch nicht mehr auftauchen – schade. Auch der Wald wandelt sich von Laub- und Mischwald hauptsächlich zu Nadelwald – ebenfalls schade.



      Magic Bus Day



      Nanu, ein rotes Häuschen, mitten im Nichts? Ach ne, ein Bagger.

      Heute will ich mal wieder bis zu einem offiziellen Etappenziel laufen: eine Schutzhütte am Seeufer. Dadurch kommen heute nicht so viele Kilometer zustande und ich bin schon am Nachmittag dort. So kann ich noch eine Weile in der unmittelbaren Gegend umherstreifen.
      Außerdem ich liebe diese Hütten.



      Seltsamerweise ist es trotz der Kälte der letzten Tage der erste Abend, an dem ich keine Chance habe, die Heringe in den gefrorenen Boden zu bekommen. Die Steine der Grillstelle müssen aushelfen.



      Auf dem zugefrorenen und schneebedeckten See sind frische Spuren zu sehen, aber ich traue dem Eis trotz der langanhaltenden Kälte nicht. Mir wäre arg mulmig, würde ich das Eis jetzt betreten.





      --------------------------------------------------------------------------------------


      Tag fünf

      Ab heute ist ein Wetterumschwung angekündigt. Morgens ist es noch sonnig, also gehe ich zeitig los, um diesen Zustand noch eine Weile auszukosten.





      Der Weg schlängelt sich recht lange an einem Seeufer entlang, streift auch kurz den Nationalpark Store Mosse.
      An einer Badestelle mache ich eine Pause, das Wetter ist noch passabel. Doch in Windeseile zieht der Himmel sich zu, es fängt an zu schneien und wird ungemütlich.



      Meine gewohnte Kleidung der letzten Tage ist eine robuste Hose mit einer dünnen langen Unterhose darunter. Oben herum ein kurzes T-Shirt, darüber ein langärmeliges (beide von Liod) und dann ein dünnes Windshirt. Bei Bewegung reicht mir das.

      So gehe ich auch jetzt los. Aber schon bald ersetze ich das Windshirt durch meine Regenjacke. Sie ist noch winddichter und hat einen Schirm, um den Schnee ein wenig aus dem Gesicht zu halten. Und noch etwas später ziehe ich tatsächlich noch meine Fleecejacke darunter und behalte sie in den nächsten Tagen auch beim wandern an. Mir ist kalt (und das will etwas heißen). Trotz der deutlich anstrengenderen Bewegung durch den tieferen Schnee komme ich nur selten ins schwitzen.

      Von nun an wird es fast unaufhörlich schneien.



      Hier geht es lang. Mögen diese kurzen Holzpfähle mit den orangefarbenen Mützen bei optimalem Wetter manchmal vielleicht auch nerven – jetzt sind sie äußerst hilfreich. Durch den Schnee ist der schmale Pfad oft nicht mehr zu erkennen. Die Pfähle weisen den Weg.



      Immer weiter stolpere ich den Weg hinunter. Die Grenze zwischen den Kommunen Ronneby und Karlskrona registriere ich zwar, sie interessiert mich im Moment aber nicht besonders.

      Es ist nass, kalt, trostlos – und doch irgendwie geheimnisvoll. Der Schnee schluckt sämtliche Geräusche.



      Eigentlich wollte ich keine Pause machen. Doch solch eine Stelle, um mich kurz zu setzen und den Rucksack trocken und bequem abzustellen findet sich so schnell nicht wieder. Heißer Tee ist eine feine Erfindung.




      Äh – nun ja, heute nehme ich dann doch die Brücke.





      Immerhin klart sich der Himmel wieder auf. Trinkwasser brauche ich auch noch, aber die folgenden Bäche bzw. Flüsse erscheinen mir nicht wirklich geeignet. Das Wasser ist mir nicht sauber genug, direkt ans Ufer komme ich ohnehin nur schwer ran.

      Hinter der Brücke gehe ich einen recht steilen Hang hinauf, dann auf der anderen Seite wieder hinunter. Ohnehin ist Blekinge recht hügelig, ich hatte an einigen Tagen ordentlich zu kraxeln.



      Nun laufe ich ein enges Tal entlang. Rechts ein breiter und vermutlich flacher Fluss (als Trinkwasser unbrauchbar). Die Überschwemmungsflächen müssen im Frühjahr herrlich anzuschauen sein. Links ein teils steiler und vor allem verblockter Hang. Irgendwo hier muss ich einen Platz für die Nacht finden. Vorher finde ich aber unter dem Schnee noch ein schmales Rinnsal, wo ich mir Trinkwasser zapfe.





      Sibirien?

      An manchen Stellen tut sich in dem Hang eine Art kleines Plateau auf, wo ich einen Platz für meine Insel finde. So ein kleiner Freisteher ist schon was Feines.

      Zuletzt geändert von November; 14.06.2018, 21:32.
      Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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        #4
        AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

        Tag sechs



        Über Nacht hat es weiter geschneit. Der weitere Weg durch das Tal liegt unberührt vor mir. Es ist übrigens ein ehemaliger Bahndamm.





        Wenn es aufhört zu schneien und für kurze Momente sogar die Sonne herauskommt, zücke ich sofort den Fotoapparat. Im Nachhinein finde ich es ärgerlich, dass ich es nicht auch sonst öfter getan habe: wenn der Wind die Flocken vor sich her treibt oder mir den Schnee ins Gesicht bläst. Wenn die Konturen sich nicht mehr klar abzeichnen, sondern ineinander im Grau verschwimmen.



        Immer wieder muss ich durch etwa knietiefen Schnee stapfen. Das ist nicht sonderlich kompliziert, aber auf Dauer doch anstrengend und zeitraubend. Und ja, es war eine geniale Idee von mir, die Gamaschen mitzunehmen.
        Wo es ohne große Umwege möglich ist, versuche ich, Fahrwege statt schmaler Pfade zu gehen. Wenn eine Siedlung daran liegt, besteht die Chance, dass der Weg geräumt wurde. So können sich die Prioritäten ändern.



        Bis zum Mittag bin ich ohne Pause durchgelaufen. Mein Ziel war eine Schutzhütte am See. Hier kann ich im Trockenen sitzen und meinen Rucksack bequem abstellen. Ich bin groggy. Es wird eine lange Pause (eine knappe halbe Stunde) und es bleibt die einzige Pause für heute.



        Auch von hier wähle ich nicht den original Blekingeleden, sondern den Weg am See entlang zu einem völlig ausgestorbenen Zeltplatz. Von dort aus führt eine kleine Straße in meine gewünschte Richtung und ich komme endlich mal wider richtig vorwärts. Solche Straßen muss man sich jetzt nicht als graue Asphaltschlangen vorstellen, sondern als mit lockerem oder manchmal auch festgefahrenem Schnee bedeckte breite Wege.





        Die Karte zeigt, dass der Blekingeleden als breiter Fahrweg weiter führt, den ich gerne nehme. Die Enttäuschung und Ernüchterung ist groß. Der Weg führt durch öden Nadelwald und ist vor allem schon seit Tagen nicht geräumt worden. Ich quäle mich mehrere Kilometer durch tiefen lockeren Schnee und schaue immer wieder auf den Zauberkasten, ob nicht bald der Querweg auftaucht, den ich morgen nehmen will. Denn bis dorthin muss ich noch kommen, habe ich mir vorgenommen. Als es endlich soweit ist, schaufele ich direkt neben dem Weg am Beginn einer Schneise gefühlte Unmengen an Schnee beiseite, um mein Zelt aufstellen zu können. Mir ist klar: das wird meine letzte Nacht im Zelt. Ich werde die Wanderung abkürzen und möchte schon morgen Abend und damit einen Tag früher als geplant in Karlskrona sein. Die eine Gaskartusche, die ich dabei habe, hört sich beim Schütteln besorgniserregend leer an. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich mir damit morgen Abend noch eine Mahlzeit kochen könnte.





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        Tag sieben



        Ich wechsele noch einmal die Batterien im Zauberkasten und stelle fest, dass sich die Karte nicht mehr laden lässt. Na Klasse, aber am letzten Tag kann ich für die notwendigsten Navigationen auch das Handy nutzen; mapy.cz ist aufgespielt.

        Schnee ist auch was Praktisches. Man muss beim Lagerleben nicht allzu sehr aufpassen, matschig wird ja nichts. Man schüttet das gefrorene Wasser morgens nach dem Zusammenpacken einfach aus dem Zelt: sauber.





        Weg vom Fahrweg und rein in den Märchenwald. Manchmal ist es wirklich so schön, dass mir die Anstrengung fast egal ist.



        Ruhe und gespenstische Atmosphäre. Einziger Farbtupfer ist das Orange des Blekingeleden.

        Ich treffe auf einen Fahrweg und bin erleichtert, nach dem langen Schneesurfen wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, doch dieses Gefühl wird nur sehr kurz anhalten. Sowohl die Karte als auch mein Handy sagen mir, dass ich von hier ab nicht den Fahrweg nutzen darf, das wäre die komplett falsche Richtung. Ich muss tatsächlich geradeaus – doch da ist nichts, wirklich nichts. Es ist keinerlei Pfad zu erkennen, nicht einmal Pfähle zur Markierung, nur hoher weißer Schnee. Ich taste mich vor und breche prompt in ein Moorloch ein, das unter dem Schnee natürlich nicht zu erkennen war. Der linke Fuß ist nass. Hier folgt das anstrengendste Stück meiner Wanderung, der Schnee liegt oft oberschenkelhoch. Wo kommt das nur alles her?

        Ich mache auf dieser Strecke nur zwei Fotos, die aber völlig harmlos aussehen. War was?



        Irgendwann bin ich durch.



        Brücken über viele verzweigte Flussarme.



        Da vorne taucht die Siedlung auf, die ich eigentlich schon vor einiger Zeit hätte erreichen wollen. Ich bin unaufmerksam, trete in ein Wasserloch. Nun ist auch der rechte Fuß nass, nicht ganz so heftig wie der linke, aber die Motivation ist im Keller.

        Ich setze mich in ein Bushäuschen an der Straße, trinkeTee und berate mit mir selber. Mein Plan ist es, zu Fuß bis in einen nördlichen Vorort von Karlskrona zu gelangen und von dort einen Linienbus in die Stadt zu nehmen. Nur ist es schon reichlich spät und vor allem würde der Weg dahin über schmale Fußpfade führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit würde ich mich wieder durch den Schnee kämpfen und dabei womöglich noch mit dem Handy navigieren müssen. Wenn es dumm kommt, schaffe ich es nicht mehr vor Einbruch der Dämmerung.
        Also lasse ich es. Ich laufe die Straße entlang nach Rödeby rein. Ein langes Stück ist es ein eher wie unbefahrener Weg mit strahlend weißer Schneedecke, eigentlich ein schöner Abschluss.



        Erst kurz vor dem Ort wandelt sich die Straße in eine matschig graue, von lärmenden Autos befahrene Asphaltpiste. Von hier nehme ich einen Bus nach Karlskrona und bin am frühen Nachmittag dort.

        Ich checke im Vandrarhem an der Drottningsgatan ein und verlasse es nur am Abend kurz, um verschiedene Leckereien einzukaufen.



        ----------------------------------------------------------------------------------------------



        Tag acht

        An dieser Stelle könnte ein Bild vom Vandrarhem stehen - wenn ich denn eines gemacht hätte.
        --> Notiz an mich: Döskopp

        Das Frühstück des Vandrarhems wird im First Hotel serviert. Upps, aber hier springen tatsächlich ganz normale Leute rum und ich falle mit meinen Klamotten gar nicht mal so sehr negativ auf.



        Es folgt: Stadtrundgang durch Karlskrona.

        Blekingemuseeum. Nach meinen beiden Wanderungen durch Blekinge eigentlich ein „Muss“, aber ich habe gerade keine Lust darauf.



        Der Sportboothafen



        Der Fischmarkt



        Die bunten Holzhäuser Altstadt, von der ich, dafür, dass sie so hoch gepriesen wird, übrigens recht enttäuscht war.







        Besuch im Marinemuseeum. Von hier kann man durch einen Glasboden auf den Meeresgrund schauen und alte Wrackteile erahnen.




        Fahrt mit dem Öresundståg nach Malmö und weiter nach Trelleborg. Mit der Fähre über Nacht nach Rostock. Samstag Mittag bin ich in Berlin, einen Tag später in Dresden.
        Das war alles. Vier Monate später schreibe ich endlich diesen Bericht.

        Zuletzt geändert von November; 13.06.2018, 21:32.
        Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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        • Ljungdalen
          Alter Hase
          • 28.08.2017
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          #5
          AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

          Sehr schön, vielen Dank.

          Besonders Ronneby und Karlskrona kenne ich gut, aber nur aus der warmen Jahreszeit.... in der Gegend waren wir oft mit den Kindern: Sommerhaus im dünn besiedelten Hinterland, und von da aus die Küstenorte besucht.

          Tipp: der große Flohmarkt ("Loppmarknad") im Ronneby Brunnspark jeden Sonntag von Anfang April bis Ende Oktober... Obwohl ich's zuletzt (2017) nicht mehr so entspannt fand wie noch vor 10...15 Jahren...

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          • urmeli
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            • 07.06.2015
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            #6
            AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

            Sehr schöner Bericht aus einer eher ungewöhnlichen Jahreszeit. Man kann die Ruhe förmlich spüren. Landschaftlich erinnert mich die Gegend ein bisschen an meine Tour auf dem Sörmlandsleden.
            Danke für den Bericht!

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            • Goettergatte
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              • 13.01.2009
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              • Meine Reisen

              #7
              AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

              Auch von mir vielen Dank, für den doch schon lang erwarteten Bericht

              Die Mauern erklär ich mir übrigens damit, das sie im Übergangsbereich der blekingschen intensiven Feldwirtschaftszone (erste Stufe, der Treppe nach Smaaland), zu dem Bereich der Waldweidewirtschaft (zweite Stufe ), in dem Du Lesesteinmauern warscheinlich nurnoch im Nahbereich der ehem. Höfe fündest.
              Ich schätze, die Mäuerchen sollten Felder vor frei weidendem Vieh schützen. Daß sie jetzt im Wald liegen hängt mit dem Wandel der Landwirtschaft zusammen, in dem weniger ertragreiche Böden aufgegeben wurden.
              Das schichten der Mauern war wohl Winterarbeit, wenn die Feldwirtschaft ruhte.

              Das ist aber kein Wissen, sondern nur Vermutung
              "Wärme wünscht/ der vom Wege kommt----------------------
              Mit erkaltetem Knie;------------------------------
              Mit Kost und Kleidern/ erquicke den Wandrer,-----------------
              Der über Felsen fuhr."________havamal
              --------

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              • November
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                #8
                AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                Deine Mauertheorie klingt interessant. Früher also Feld, um vor dem Vieh zu schützen, heute teilweise Weide, um das Vieh vor dem Weglaufen zu bewahren. Anzeichen dafür waren niedrige Drahtzäune, die noch auf die Mauern drauf gesetzt waren, kleine Tore, um in die Einfriedung zu gelangen oder auch direkt Hinweisschilder, das hier Rinder weiden.
                Alles natürlich nur in der absoluten Nähe von Gehöften. Denn es werden sicher nur Klein- oder Hobbybauern sein, die ihre zwei bis drei Tiere dort weiden lassen.
                Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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                • Goettergatte
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                  • 13.01.2009
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                  #9
                  AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                  Eigentlich dachte ich eher an Flurwüstung,
                  im Sinne von nicht mehr genutzt

                  Steinmauern kenne ich auch von Bornholm, dort dienten sie, ab ca. 1820, Weidevieh von Aufforstungen abzuhalten,
                  nur sind dort die Parzellen einige Hektar groß
                  "Wärme wünscht/ der vom Wege kommt----------------------
                  Mit erkaltetem Knie;------------------------------
                  Mit Kost und Kleidern/ erquicke den Wandrer,-----------------
                  Der über Felsen fuhr."________havamal
                  --------

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                  • Pfiffie
                    Fuchs
                    • 10.10.2017
                    • 2024
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                    #10
                    AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                    Vielen Dank November, wirklich interessant in der Jahreszeit dort, ich kenne die Gegend aus dem Sommer. Konntest du überhaupt mal ein Feuerchen machen?

                    Bei den Steinmauern in Schweden dachte ich immer sie grenzen die Grundstücke ab, genügend runde Steine aus der Eiszeit gibt es ja


                    Edit (hat mich jetzt mal selbst noch interessiert ): Die mauern sind sogar geschützt wenn ich das so lese hier https://de.paperblog.com/schwedische...mauern-204737/
                    Zuletzt geändert von Pfiffie; 15.06.2018, 03:19.
                    "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

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                    • Bulli53
                      Fuchs
                      • 24.04.2016
                      • 2057
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                      #11
                      AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                      Die Mauern im Süden Schwedens wurden von Kindern und Frauen aufgeschichtet. Übers Jahr. Im Winter lag oft Schnee oder die Steine waren angefroren. Primär wurde wie auch in anderen Region der Ackerboden von Steinen die die wertvollen Werkzeuge abnutzen oder beschädigen konnten befreit. Die Mauern zur Abgrenzung von Weide und Feld ergaben sich dann automatisch. In windigen Gebieten schützte die Mauern die Krume vor dem Verwehen. Solche Mauern gibt es in weiten Teilen Europas und der Welt.

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                      • November
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                        • 17.11.2006
                        • 11083
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                        #12
                        AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                        Hallo Bulli, ich denke, das ist soweit klar.
                        Interessant und beeindruckend war für mich jedoch, dass diese Mauern auch heute noch erhalten sind und sogar teilweise noch genutzt bzw. integriert werden, so dass es landschaftsprägend wird.
                        Das ist eben nicht überall so.
                        Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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                        • Prachttaucher
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                          • 21.01.2008
                          • 11897
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                          #13
                          AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                          Danke für den Bericht - sehr eindrucksvoll zu dieser Jahreszeit. Hätten Schneeschuhe manchmal was genützt oder wäre das einfach zu viel zu schleppen gewesen ?

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                          • blauloke

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                            • 22.08.2008
                            • 8302
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                            #14
                            AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                            Hallo November,
                            danke für den Bericht mal aus einer anderen Gegend von Schweden. Sonst kommt hier meist der hohe Norden vor.
                            Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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                            • November
                              Freak

                              Liebt das Forum
                              • 17.11.2006
                              • 11083
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [SE] Blekinge - Kallt Kallt Väder

                              Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                              Hätten Schneeschuhe manchmal was genützt oder wäre das einfach zu viel zu schleppen gewesen ?
                              In der zweiten Hälfte wären Schneeschuhe definitiv sinnvoll gewesen und wenn ich geahnt hätte, dass es so viel schneien wird, hätte ich sie auch mitgenommen. Ich bin wirklich kein großer Fan von Schneeschuhen, aber dort hätten sie mir an vielen Stellen das Vorwärtskommen enorm erleichtert.
                              Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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