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»Ich hatte einen Theil des Waldes, den man Spessart nennt, zu durchwandern. Dieser Wald war eine nicht blos durch Räuberbanden, sondern auch durch eine Menge reißender wilder Thiere berüchtigte Wildniß. Gleich nachdem ich diesen Wald betreten, gerieth ich in Verwirrung über die Menge der sich verzweigenden Wege und gewahrte bald, daß ich, je weiter ich voranschritt, desto mehr vom rechten Wege abirrte.«
So schreibt der Mathematiker und Universalgelehrte Anastasius Kircher in seinen Lebenserinnerungen aus dem 17. Jahrhundert. Kircher rettet sich dann für die Nacht auf einen Baum, und am nächsten Tag irrt er noch einmal neun Stunden umher, bevor ihm die Bauern, die er auf einer Waldwiese beim Mähen trifft, den rechten Weg weisen.
Dass man über die Menge der sich verzweigenden Wege in Verwirrung geraten könnte, stimmt heute noch. Nur trifft man wahrscheinlich keine Bauern mehr auf der Waldwiese, und wenn doch, so ist es sehr fraglich, ob sie einem den rechten Weg weisen. Denn wie so oft beim Wandern habe ich auch diesmal wieder die Erfahrung gemacht, dass Einheimische eigentlich die Wege, die sie selbst im Alltag nutzen oder vielleicht auch nur vor zehn Jahren genutzt haben, nicht unmissverständlich erklären können. Das implizite Wissen, das in der eigenen Landschaftskenntnis enthalten ist, lässt sich einem Fremden eben nicht ohne Weiteres mitteilen. Auch Entfernungsangaben misslingen oft.
Das war hier nicht schlimm, denn ich bin mit funktionierenden topographischen Karten unterwegs gewesen und habe mich kaum verlaufen. Das Gespräch mit Einheimischen über die Route diente eher dazu, vielleicht etwas über die Wegebeschaffenheit und die erreichbaren Übernachtungsmöglichkeiten in Erfahrung zu bringen. Oder es diente einfach dazu, über Gott und die Welt und den Wald mit jemandem zu sprechen. Dabei erfährt man meistens etwas mehr, als man erwartet hat. »Ich kenne da praktisch jeden Weg, denn ich habe früher hier als Ausbilder die Einzelkämpferausbildung gemacht. Das war – wann war das? – 1965. Und auf dem Weg hier«, er zeigt ihn mir auf der Karte, »sind wir immer nach Rieneck und haben da die Brücke gesprengt, theoretisch.«
Die ganze Wanderung von etwa 200 km gehört zu meiner Deutschland-diagonal-Route. Der diesmal begangene Abschnitt beginnt in Miltenberg an der Nahtstelle zwischen Odenwald und Spessart und endet in Breitungen an der Werra. Zunächst war also der Spessart zu durchqueren, dann die Rhön; beides Mittelgebirge, die ich von früher kaum kenne, sieht man von vereinzelten Tageswanderungen in der hessischen Rhön einmal ab.
Die Route ist wie üblich ›geographisch‹ geplant gewesen, das heißt ich habe mich zunächst hauptsächlich am Relief und an der groben nordöstlichen Wanderrichtung orientiert und erst in zweiter Linie andere Planungskriterien hinzugezogen: vorhandene markierte Wanderwege in beiden Gebirgen, Truppenübungsplätze, die zu umgehen waren, Ortschaften, die entweder zu meiden oder zu bestimmten Zwecken aufzusuchen waren, ferner Schutzhütten als Übernachtungsmöglichkeiten. Dem Eselsweg im Spessart bin ich an den ersten beiden Tagen gefolgt, um ihn dann Richtung Partenstein und Burgsinn zu verlassen. In der Rhön bin ich zeitweise auf dem Hochrhöner (einem Premiumweg) unterwegs gewesen, aber eben nur zeitweise. In der Vorderrhön bin ich ansonsten häufig lokalen Wanderwegen gefolgt, ebenso im nordöstlichen Spessart.
Der April ist eigentlich eine angenehme Jahreszeit für ein solches Projekt: Es gibt noch keine Mücken, die Gewittergefahr ist vernachlässigbar (denkt man zumindest), die Tagestemperaturen sind beim Wandern meistens angenehm, die Nächte sind noch lang genug zum Schlafen und die Tage lang genug zum Wandern. Die Natur ist mitunter schon frühlingshaft aufgeblüht, in den höheren Lagen erlebt man aber, soweit man in Laubwäldern unterwegs ist, häufig noch das blau und hellbraun getönte grelle Silberlicht des Vorfrühlings; nie ist es im Wald so hell wie zu dieser Zeit, nie reicht der Blick so weit – kurz bevor das giftgrüne Laub austreibt und alles zunichtemacht.
Diesmal war das Wetter allerdings sehr gemischt: brennende Sonne an mehreren Tagen, sodann teilweise schwüle Luft mit zwei abendlichen Gewittern in zehn Tagen, ferner ein Tag mit kräftigem Dauerregen, der meine Regenausrüstung überfordert hat.
Logistisch stellte sich einmal mehr das Problem, wie man in einer noch unbekannten und von zahlreichen großen und kleinen Schutzgebieten durchsetzten Landschaft einen angenehmen Schlafplatz findet. Das hat mehr Zeit und Nerven gekostet als erwartet – es war ein tägliches Thema, auch wenn man sich über mangelnde Unterstützung durch Einheimische eigentlich nicht beklagen konnte. Statistisch betrachtet habe ich fünfmal im Zelt, zweimal in offenen Schutzhütten und je einmal in einem Hotelzimmer, in einem Carport und ungeschützt an einem Rastplatz übernachtet. Von den fünf Zeltnächten waren zwei auf privaten Grundstücken in Absprache mit den Eigentümer/innen, zwei weitere in der Nachbarschaft offener oder geschlossener Schutzhütten.
Die Ausrüstung war anfangs zu schwer, unter anderem wegen eines Experiments mit zwei kombinierbaren Schlafsäcken. Es hat sich in den ersten Tagen herausgestellt, dass es für mich beim Tragen meines ansonsten bewährten Rucksacks eine relativ präzise Komfortgrenze im Bereich von 11 kg gibt. Oberhalb davon tritt das Tragegewicht unterwegs als ständige Belästigung in Erscheinung, unterhalb davon macht es sich normalerweise nicht als Thema bemerkbar. Ich habe deshalb von Burgsinn aus diverse Ausrüstungsteile (Hoodie, GPS-Gerät, ›erledigte‹ Wanderkarten) nach Hause geschickt. Gefehlt hat später nichts.
[Das war jetzt die Einleitung]
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