AW: [ES] Ibiza by trike oder Stärker als Achselschweiß
09.04.2018 10:13
Mittwoch. Letzter Tag auf Ibiza. Wieder scheint die Sonne. Laut Vorhersage sogar bis in die Abendstunden. Meine Wäsche auf der Leine trocken. Um Viertel vor zehn sind die Taschen ein letztes Mal auf dieser Insel gepackt. Obwohl mein Gastgeber ein zweites Tor für mich bereits entriegelt hat, klopfe ich bei ihm an und bedanke mich nochmals. Der Mann scheint Zeit zu haben. Seine Frau ist zum „Hairdresser“, er begleitet mich zurück zu meinem Rad. Ob es unhöflich ist, seine Einladung auf einen Kaffee abzulehnen, darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Ich hatte wieder einmal bereits eine Tasse des morgendlichen Trunkes und wir unterhalten uns auch gut ohne Gebräu an der frischen Luft. Letztendlich bekomme ich mit auf den Weg, gerne wieder vorbei zu schauen, wenn ich das nächste Mal in der Gegend bin. Sinnig wäre es jedoch dazu, Kontaktdaten auszutauschen. Der Gedanke daran kommt mir allerdings erst Stunden später. Interessant hört sich hingegen an, was ich unmittelbar zu hören bekomme.
„Warst du schon mal in Amerika?“
„Nein.“
„Kann ich dir nur empfehlen. Wir lebten dort für eine Weile in San Francisco. Nur eine Stunde mit dem Auto raus und du gelangst in Gegenden, die der Mensch noch nicht zerstört hat. Wir spazierten dort einige Male auf Wegen, die den Spuren nach seit Monaten niemand betrat. Natürliche heiße Quellen, in die wir uns setzten, hatten wir für uns allein und im Meer vor uns zogen die Wale vorbei.“

Zelten auf der Pferdekoppel
Ohne warmes Wasser aus der Erde und die Aussicht auf Meeressäuger geht es für mich einstweilen abwärts. Zweihundert Meter Talfahrt auf fast zehn Kilometer, mit frischer Frühlingsluft um die Nase. Vorbei an Blumenwiesen und Wäldchen. Ich mag gar nicht daran denken, nur wenige Stunden später mit dem Flieger in die Lüfte aufzusteigen.
In der Cala Jondal zieht es mich noch einmal an das Meer. Laut einem Reiseführer soll die Bucht beliebt sein bei Leuten, die über mehr Besitztümer verfügen als andere und/oder bekannter sind als Otto-Normalverbraucher. Als ich dem Klackern der Steine in der Brandung zuhöre, bin ich der einzige dort. Das Geld, was ich im Portemonnaie habe, reicht mir. Es ist kein Vermögen. Kennen muss mich auch niemand. Mir reicht es halbwegs zu wissen, wer ich bin und was ich will. Bilde ich mir zumindest ein. Was andere von mir halten? Ich mag mir nicht deren Kopf zerbrechen. Es reicht mir, mich glücklich und zufrieden zu fühlen. In einer der Strandbars zu sitzen und dort Beträge zu lassen, für die manch anderer lange arbeitet und/oder leben könnte, würde mir nichts bedeuten. Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral spricht mich deutlich mehr an und so reicht es mir, einfach nur die wärmenden Strahlen der Sonne auf dem Pelz zu spüren. Der blaue Himmel, die klare Luft und die Stille sind für mich unbezahlbar. Ich genieße für einige Momente einfach nur den Augenblick, das Hier und Jetzt, das Sein.

Radeln durch den Frühling

Cala Jondal …

… die Steine klackern in der Brandung
Eine gefühlte kleine Ewigkeit später ist es mit dem Leben in der Zeitlosigkeit vorbei. Es gibt da dieses Ticket, das ich nicht verfallen lassen will, einen Warmshowers Gastgeber, bei dem ich mich für den Abend anmeldete, sowie die Frau meiner Wahl, der ich ankündigte, zum Wochenende zurück zu sein. Ich kehre also wieder zurück auf die Straße und trete in die Pedale.
Auf den letzten Kilometern Richtung Flughafen bekomme ich Gesellschaft. Die, die mir bereits am Sonntag auffielen. Die beiden Autos mit deutschen Kennzeichen aus dem Schwabenland. Von denen die Tür des einen diesen Schriftzug trug, mit dem ich nichts anfangen konnte. An diesem Mittwoch Vormittag bekomme ich ihn gleich mehrfach zu sehen. Der Asphalt wird gleich in Rudeln bevölkert. Vier Kolonnen mit jeweils einem Dutzend Fahrzeuge, die machen, was ich auch mache. Man gurkt umher. Anders als ich erfreuen sich deren Lenker weniger an der Natur sondern vielmehr daran, was Ingenieure, Designer, Mechaniker und Maschinen erschufen. Wie unschwer zu überhören hat man auch daran seinen Spaß. Motoren werden kurzzeitig höhere Drehzahlen entlockt, dann kommt die nächste Kurve. Ob hinter den Windschutzscheiben auch etwas davon mitzubekommen ist, dass Vögel zwitschern, Blüten duften oder die Sonne die Haut umschmeichelt? Ich wage es zu bezweifeln. Wer stärker ist als die Zeit, dem fehlt sie anscheinend, sie zu genießen. Wie ich nur wenig später erfahre, ist man allerdings auch nicht nur zum Vergnügen auf dem Baleareneiland.

Flughafen in Sichtweite

Sterne am hellichten Tag
Minuten später wird meine Ibiza-Runde zur Erinnerung. Gute 200 Kilometer und 3000 Höhenmeter sind abgespult. Keinen von ihnen möchte ich missen. Wie sich Erlebnisse, Eindrücke und Glücksmomente quantifizieren lassen, bleibt für mich auch auf dieser Tour unbeantwortet. Ich lebe jedoch ganz gut damit, dass nicht alles in Zahlen ausdrückbar oder messbar sein muss. Vor dem Flughafen reckt auf einer Reklametafel eine Frau ihre Arme gen Himmel. We love winter – wir lieben die kalte Jahreszeit. Auch wenn ich etwas anderes kennen lernte, als ganzjährig geöffnet beworben wird – ich schließe mich dem an.

Ende Ibiza-Runde

gefiel mir auch, die kalte Jahreszeit
In der Sonne vor dem Abfertigungsgebäude mache ich mein Vehikel flugtauglich. Taschen ab, Sitz ab, Fähnchen raus, Rad zusammenklappen, ausrangierte Bettwäsche drum, damit möglichst anderer Leuts Gepäck keine Spuren von Öl und Schmiere abbekommt, sensiblere Teile mit Karton und Schaumstoffverpackungen polstern – Container für Papiermüll und Verpackungen entwickeln sich für mich zu einer wahren Fundgrube – alles schön mit etlichen Metern Frischhaltefolie aus dem Supermarkt bandagieren, noch ein paar Kabelbindern sowie Spanngurten drum und ab zum Check-In-Schalter. Während ich warte, vertreibe ich mir die Zeit im Gespräch mit denen, die mir kurz zuvor auf der Straße begegneten. Plastikausweise mit dem Logo des Autoherstellers erweisen sich als verräterisch.
„Gehört ihr zu denen, die mit Böblinger Kennzeichen in den Daimlern unterwegs waren?“
„Ja, oh, trage ich noch mein Kärtchen um den Hals?“
„Um was ging es denn bei euch? Fotoshooting vor balearer Kulisse?“
„Nee, wir sind Verkäufer und durften die neuen Modelle kennen lernen.“
Wir quatschen ein wenig belangloses Zeug, ich erfahre, dass ich mit meiner Vermutung nicht so ganz daneben lag – Zeit, die Insel kennen zu lernen, blieb keine – dann bin ich an der Reihe, meine Habseligkeiten gegen eine Bordkarte einzutauschen. Von den angemeldeten 25 Kilo Gepäck hätte ich mir fünf sparen können. Dafür jedoch stelle ich mein Handgepäck besser nicht auf das Kofferband. Spannend wird es, als es um das Rad geht.
„Sie hatten ein Rad angemeldet.“
„Das ist dieses.“
Mein Finger deutet auf das unförmige Etwas hinter mir.
„Das ist ja gar kein richtiges Fahrrad.“
„Das ist das, was ich bei der Fluggesellschaft angemeldet habe und wofür ich meinen Obolus entrichtete. Soll ich Ihnen die E-Mail zeigen?“
So genau will es die Dame dann doch wieder nicht wissen. Als wir Richtung Sperrgepäckschalter gehen, werde ich mit weiteren Bedenken traktiert.
„Das Rad sieht nicht so aus, als ob es durch den Scanner passen würde.“
„Seien Sie unbesorgt.“
Mein Eindruck ist, dass es der Bediensteten nicht gefällt, ihren Stuhl zu verlassen.
Als wir vor dem Band stehen, quengelt sie weiter.
„Wir müssen uns beeilen. Am Schalter ist sonst niemand, die anderen Fluggäste warten.“
Ich nehme es gefällig zur Kenntnis. Muss ich mich hier um Arbeitsabläufe kümmern?
Wie schon vor anderthalb Jahren, so passt auch diesmal das Rad problemlos durch das Gestänge. Nachdem es auf dem Band hinter herab fallenden Gummilappen verschwunden ist bekomme ich noch mit auf den Weg, ich möge doch bitte auf die Lautsprecherdurchsagen achten. Höre ich meinen Namen, solle ich unbedingt und umgehend den Anweisungen Folge leisten. Irgendwie muss ich es der Dame angetan haben.
Anstatt dass ich aufgerufen werde, lässt man mich jedoch sitzen. Und nicht nur mich, sondern ebenso die wahrscheinlich weiteren 200 Passagiere auf dem Flug nach Amsterdam. Nicht wenige von ihnen, gerade die, die kurz zuvor noch kennen lernen durften, was stärker als Zeit ist, werden unruhig. Werden die Anschlussflüge noch erreicht? Zweieinhalb Stunden Verspätung sind angekündigt. Bei schönstem Wetter sitze ich hinter einer Panoramascheibe mit Blick über das Rollfeld sowie die Salinen. In der Zeit hätte ich schön noch einen Abstecher gen südlichsten Zipfel der Insel einlegen können.
Ein wenig entschädigt werde ich dafür mit der Flugroute. Als ich irgendwann nach dem Start aus dem Fenster schaue, sehe ich Land. Es sieht jedoch anders aus als die Bucht von Palma de Mallorca, über die es üblicherweise geht. Nach einigem Hinschauen dämmert es mir. Der Fluss, der da aus dem Hinterland kommt, sich verästelt und von Lagunen umgeben in das Meer mündet, ist der Ebro. Wir sind über dem Festland, befinden uns zwischen Barcelona und Valencia. In der Abendsonne aus der Höhe ein stimmungsvoller Anblick der Erinnerungen weckt. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass ich zwischen den Reisfeldern her radelte. Eine Weile später überfliegen wir Schnee bedeckte Gipfel. Die Pyrenäen. Auch eine Gegend, der man sich mal intensiver widmen könnte. Gegen sieben schließlich genieße ich einen Sonnenuntergang über den Wolken. Ebenfalls ein immer wieder faszinierendes Naturschauspiel. Die Farben wechseln, der Himmel glüht, am Ende verschluckt ein tiefes Schwarz alles, bis im Landeanflug der Flieger sich seinen Weg durch eine dichte Wolkendecke bahnt.
Wie erwartet vergeht einige Zeit, bis ich nach der Landung meine vier Gepäckstücke wieder vollzählig habe. Die beiden Taschen sowie den Rollsack mit dem Zelt habe ich schnell, das Rad lässt länger auf sich warten. Vor mir spuckt das Band des Sperrgepäckschalters zahlreiche längliche Gegenstände aus. Es dauert einige Zeit, bevor bei mir der Groschen fällt. Natürlich. Wir haben ja Winter. Es gibt auch Menschen, die machen Skiurlaub. Nach einer guten halben Stunde entdecke ich mein Fahrzeug. Irgend jemand hat es vor einem Aufzug abgestellt. Für das Band war es wohl zu schwer, sperrig oder unhandlich.
Erleichtert rufe ich wie vereinbart meinen Warmshowers Gastgeber an. Ich hatte ihn bereits von Ibiza aus über meine Verspätung informiert und nachgefragt, ob es für ihn ein Problem sei oder ob ich mich nach einer anderen Alternative für die Übernachtung umschauen solle. Für Peter, ich nenne ihn an dieser Stelle diskreterweise mal so, da alle Holländer ja angeblich so heißen, war es keine Frage.
„Nein, nein, alles okay. Ruf mich an, wenn Du Dein Gepäck wieder hast. Ich komme dann vorbei und hole Dich mit dem Auto ab. Wir wohnen nur eine Viertelstunde vom Flughafen entfernt.“
Was mir bei einer Landung um kurz nach fünf nicht recht gewesen wäre, kommt mir zweieinhalb Stunden später entgegen. Der Weg zum abgesprochenen Treffpunkt entwickelt sich mit einem zusammen gefalteten Liegedreirad und vier Gepäckstücken zu einem Slapstick reifen Unterfangen. Ausgerechnet im schmalen Ausgang zwischen Zollkontrolle und Empfangshalle ist jedoch niemanden nach Lachen zumute, als mein Kartenhaus auf Rädern zusammenbricht. Erst fällt eine Tasche herunter, dann folgen die anderen. Die dem Anschein nach Geschäftsreisenden haben jedoch besseres zu tun, als zu helfen. Sie steigen über die am Boden liegenden Gepäckstücke und drängeln sich hastig vorbei. Sich zu bücken und mitzuhelfen, den Weg frei zu machen, wäre einfacher. Irgendjemand erbarmt sich dann aber doch, greift mir mehr oder minder unter die Arme und sorgt dafür, den Durchgang nicht länger zu blockieren. Auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte, letztendlich stehe ich noch vor Peter vor dem Terminal.
Bei meinen Gastgebern eingetroffen verläuft der Rest des Abends entspannter. Nahezu vertraut. Wir setzen uns an den Tisch und quatschen. Schnell herrscht eine Atmosphäre, als kennen wir uns schon ewig. Peter und Astrid, seine Frau, sind in meinem Alter, haben ebenfalls zwei mittlerweile erwachsene Söhne und reisen viel und gerne. Für die beiden bin ich der erste radreisende Gast, den sie beherbergen. Peter hatte sich erst kurz zuvor in der Internetgemeinde angemeldet. Er will im Sommer per Drahtesel über die Alpen in die Toscana und dabei auf die Gastfreundschaft Gleichgesinnter zurückgreifen. Da Köln für ihn auf dem Weg liegen wird besteht Potential, dass wir uns wieder sehen werden.
Die Zeit verfliegt. Irgendwann ist es das Bewusstsein, das auf meine Gastgeber am nächsten Morgen ein neuer Arbeitstag wartet und ich auch nicht zu spät starten will, das uns in die Federn treibt. Stunden später setzen wir unsere Unterhaltung noch ein wenig am Frühstückstisch fort, dann geht jeder seiner Wege. Peter gen Büro, Astrid ins Arbeitszimmer, ich einstweilen in die Garage. Nach einer knappen Stunde bin ich startklar. Ich verabschiede mich von Astrid, dann beginnt der Endspurt.
Die 300 Kilometer bleiben vergleichsweise glanzlos. Wie schon für die Anreise von Köln nach Barcelona vertraue ich auch auf dem Weg von Schiphol zurück an den Ausgangspunkt meiner Reise dem, was der Internetroutenplaner Naviki vorschlug. Gibt es Zeitgenossen, die die Strecke an einem Tag bewältigen, so komme ich für meine Verhältnisse auch mit drei Tagen noch zügig voran. Der Wind kommt überwiegend von der rechts, Erhebungen sind nicht der Erwähnung wert und in der Regel rollen die Räder auf Asphalt. Was sich auf den ersten Kilometern bis Utrecht bewahrheitet ist eine Erkenntnis, die mir Peter und Astrid mit auf den Weg gaben.
„An sich ist Holland ganz schön. Das einzige was fehlt, ist ein Dach drüber.“
Es beginnt zu regnen. Kalt ist es außerdem. Wobei die Temperatur relativ ist. Ich empfinde sie als frisch, für die, die die letzten Tage in diesen Breitengraden miterlebten, wird es warm. Mit fünf Grad ist es fast zehn Grad wärmer als noch unlängst zuvor, ebenso jedoch gut zehn Grad kühler als auf Ibiza. Schnell trage ich Bekleidungsstücke, die ich schon seit Wochen nicht mehr benötigte – Handschuhe.
Die zwei Stunden Flugzeit bringen jedoch noch weitere Veränderungen mit sich. Statt Meer und Hügel habe ich um mich herum Kanäle und flaches Land. Nahezu überall. Ebenso wie Häuser. Wohin ich schaue, stets ist eines zu sehen. Sie stehen nicht immer eng beieinander, irgendwo ist aber immer eines zu entdecken.
Nicht gar so reichlich gesät sind hingegen Supermärkte. Dort, wo viele Menschen leben und ich mein Rad nur ungern unbeaufsichtigt zurück lasse, finden sich entlang meiner Route Einkaufsmöglichkeiten, andernorts nicht. Einen notdürftigen Ersatz finde ich in einer Tankstelle. Da ich keine anderthalb Tage in Holland unterwegs bin, kann ich damit leben.
Einen kleinen Umweg bereitet mir eine Fähre über die Waal. Sie verkehrt ausschließlich für Radfahrer und Fußgänger, das aber lediglich im Sommer. Zum Glück ist eine Alternative nicht fern. Über den Pannerdensch Kanaal und den Rhein gelange ich ebenfalls nach Millingen, nur kosten mich die fünf Kilometer mehr einschließlich der Wartezeiten eine Stunde.
Die beiden Nächte verbringe ich im Zelt. Finde ich in Holland in der Nähe von Rhenen am Niederrhein einen geöffneten Campingplatz hinter dem Deich, so schlage ich meine Behausung bei Rheinberg auf einer Wiese eines Landwirtes auf. Dass nebenan Koteletts, Schnitzel und Haxen wachsen stört kaum. Der Stall hat dicke Mauern, neben mir rauscht ein Bach und auch der Wind lässt eher die Schweine mitbekommen, dass sie für eine Nacht einen neuen Nachbarn haben, als anders herum.
Gewöhnungsbedürftiger empfinde ich den Verkehr. Auf den Wegen, die ich auf Ibiza einschlug, war kaum jemand unterwegs. Von den wenigen Radlern, die mir begegneten, kurbelten die meisten auf dem Rennrad umher. Die anderen waren Mountainbiker. In Holland hingegen wimmelt es nur so von Alltagsradlern. Im Gegensatz zu den Sport- und Freizeitpedalisten grüßt von ihnen kaum jemand. Auf der Baleareninsel winkten mir häufig genug selbst Autofahrer entgegen oder erhoben respektvoll den Daumen. Der Vergleich zwischen Holland und Deutschland ist nochmals ein anderer: im Nachbarland fühle ich mich deutlich besser in den Straßenverkehr integriert und mehr von den Autofahrern respektiert. Ich vermag gar nicht so genau zu benennen, was den Unterschied ausmacht, dass einer besteht, ist jedoch unverkennbar. Möglicherweise ist es aber auch einfach nur die höhere Verkehrsdichte auf den Straßen.
Unspektakulär nähere ich mich mit einer Kurbelumdrehung nach der anderen dem Ort, der gemeinhin Heimat genannt wird. Begegnungen bleiben Mangelware. Die meisten Gleichgesinnten sitzen noch in ihrem stillen Kämmerlein und planen gerade erst ihre Touren. Platz, Gedanken schweifen zu lassen, existiert ebenso wenig. Die Straße erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Gleichfalls halten sich Sehenswürdigkeiten in Grenzen. Kalkar und Xanten bieten zwar mit manch einem Gebäude einen Blick in die Vergangenheit, dass mich aber etwas derartig fesselt, das ich Mühe habe, mich davon wieder loszueisen, ist nicht der Fall. Statt dessen akklimatisiere ich mich mit jedem Kilometer mehr und mehr an meine gewohnte Umgebung.
Erst kurz vor den Toren Kölns werde ich gestoppt. Jürgen, ein anderer Liegedreiradler, mit dem ich schon mal eine Runde zusammen drehte, taucht plötzlich hinter mir auf.
„Wo kommst du denn her? Weltreise?“
Wir plaudern ein wenig, fahren ein kurzes Stück zusammen und haben schließlich den Langeler Fähranleger im Norden der Domstadt vor uns.
„So. Pause. Ich habe mich hier auf dem Hinweg auf eine Bratwurst angemeldet. Traditionsbesuch bei der Bude hier.“
Da ich erst kurz zuvor ein Brötchen verdrückt hatte und sich unsere Wege ohnehin in ein paar Kilometern trennen würden, verabschiede ich mich.
Eine gute Stunde später habe ich das nächste Trike neben mir. Diesmal ist die Begegnung weniger zufällig. Es ist Ute. Sie radelte mir entgegen, nachdem ich sie von der Leverkusener Brücke aus vorwarnte, dass ich in einer Stunde in der Altstadt sein würde. Um mit meiner Zeitabschätzung nicht all zu sehr daneben zu liegen, trat ich etwas beherzter in die Pedalen und so braucht meine Frau nicht auf mich zu warten. Unter den Kranhäusern schließe ich sie in die Arme. Ein schöner Empfang – auf den Tag genau sind zwei Monate vergangen, seit wir uns auf einem Weg zwischen den Feldern voneinander verabschiedeten. Dass meine Klamotten im Gegensatz zu dem Tag im Januar nach dem Endspurt kleben und möglicherweise ebenso olfaktorisch nicht ganz unauffällig sind? Es scheint Ute nicht zu stören. Auch Liebe ist anscheinend stärker als Schweiß …

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