[MY] Borneos Nebelwald

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    • 29.01.2004
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    • Meine Reisen

    [MY] Borneos Nebelwald

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    Mitreisende
    Hallo,

    Anbei ein kurzer Bericht zu einem Marsch durch Borneo's Regenwald:

    Es gibt zwei Arten, den Urwald zu sehen: man nimmt sich einen einheimischen Führer, oder man geht auf eigene Faust. Während man dem Führer einfach nur zu folgen und sich sonst keine Gedanken mehr zu machen braucht, ist die zweite Methode etwas aufwendiger, vor allem wenn nicht vorhat, auf Pfaden zu gehen. Hier ist der Bericht meines ersten Testmarsches durch den Nebelwald von Borneo - alleine. Nebelwald deshalb, weil er sich auf etwa 1700 M.ü.M. befindet und daher meist in Wolken gehüllt ist - Flora und Fauna unterscheiden sich ebenfalls etwas von den tiefer gelegenen Urwäldern.

    Frühmorgends nehme ich ein Sammeltaxi nach Tambunan - die Straße schlängelt sich bis auf etwa 1750 M.ü.M. über die Crocker Range, den Gebirgszug im malaysischen Bundesstaat Sabah im Norden Borneos. Am höchsten Punkt gibt es ein Restaurant, dort lässt mich der Fahrer aussteigen. Ich wickle die Machete aus dem Zeitungspapier, nehme meine topographische Karte und den Kompass und suche den östlich gelegenen Hügel, meinen Einstieg in den Regenwald. Ich möchte zuerst in östlicher Richtung dem Hügelkamm folgen, um nach einigen Kilometern in nordwestlicher Richtung, auf einem etwas steileren, seitlichen Kamm, hinab ins Tal zu gelangen. Als ich am nächsten Mittag zerkratzt und schlammverschmiert an derselben Stelle wieder aus dem Wald komme, bin ich um eine Erfahrung reicher - die des bornesischen Nebelwaldes. In mein Tagebuch schrieb ich folgendes:

    "29.8.2011, Crocker Range
    Was für ein Tag. Würde sich Bambi in den Dschungel wagen, es wäre Abends nicht weniger beisammen als ich.
    Der Wald ist unglaublich dicht bewachsen. Junge Bäume wachsen zwischen den größeren Stämmen empor, so dass ich kaum einen Schritt machen kann, ohne mir den Weg freischlagen zu müssen. Von Anfang an nur sehr mühsam vorwärtsgekommen. Jedes dritte Gewächs scheint Dornen zu haben - bleibe ich hängen, muss ich einen Schritt zurückgehen, um die Widerhaken zu lösen.
    Der Griff der neuen Machete wird schon bald etwas locker und wackelig, außerdem ist sie zu lange, wenn die Gewächse dicht beisammen stehen und der Raum eng wird.
    Den Kompass in der einen, die Machete in der anderen Hand versuche ich, vorwärtszukommen. Das Problem ist, dass ich mit einem Kompass an einem gewissen Punkt Mutmaßungen anstellen muss, wo ich mich befinde. Je mehr dieser Mutmaßungen sich aneinanderreihen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ich mich dort befinde, wo ich zu sein glaube.
    Dann fängt es an zu regnen, was den Boden sehr schlüpfrig macht. Die Gegend scheint mit meiner einfachen topographischen Karte nicht mehr übereinzustimmen, es beschleicht mich das Gefühl, nicht mehr recht zu wissen, wo ich mich befinde. Ich schaue mich um - grüner, tropfnasser Wald, die dichte Vegetation umgibt mich wie eine Wand. Lange muss ich hinter mich schauen, um meine eigene Spur zu entdecken. Zunächst halte ich also einfach Kurs auf Nord-Westen, was mich in jedem Fall hinab ins Tal und zum Fluss führen müsste. Zwar verpasse ich so meine geplante Route auf dem weniger steilen Hügelkamm, doch was soll's.
    Der Regen hört nicht auf, das Gehen wird schwieriger, weil ich bei jedem zweiten Schritt wegrutsche. Ich lande so oft auf dem Hintern, dass ich es gar nicht mehr zähle. Ich denke an ein altes Foto von Dayak-Ureinwohnern, die bei Urwaldmärschen eine Art Sitzmatte am Gürtel befestigten - zum bequemeren Sitzen, wie der Bildtext informiert. Genausogut könnte es ein Schutz vor diesen unkontrollierbaren Stürzen sein.
    Bei einer kurzen Rast entdecke ich einen Blutegel, der sich an meinem Schuh empormacht, und schnippe ihn weg. Meine rechte Hand, die die Machete führt, ist mehr und mehr zerkratzt und zerstochen von den Haifischzahn-artig gebogenen Dornen. Einmal suche ich mit der linken Hand nach Halt und spüre einen Schmerz - der Stamm, nach dem ich gegriffen hatte, ist mit Dornen übersät. Also stehe ich da und ziehe sie mir einen nach dem anderen aus der Handfläche.
    Ich knicke eifrig Zweige und junge Bäume, um den Rückweg leichter zu finden. Ich wechsle mehrmals die Richtung, das Dickicht vor mir scheint unpassierbar. Irgendetwas krabbelt in meinem rechten Ohr, ich versuche es wegzuwischen: ein Blutegel, auf dem Weg in meinen Gehörgang, er hat sich an meinem Sonnenhut ebenso wie an der darüber getragenen Regenponcho-Kapuze vorbeigeschlichen. Noch stärker wird das Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Wald bietet keine Anhaltspunkte, das Gehen ist so beschwerlich, wie ich es nur selten und nur auf kurzen Strecken erlebt habe. Obwohl ich bereits mehrere Stunden unterwegs sein muss, habe ich nicht mehr als ein paar hundert Meter geschafft. Ganz offensichtlich werde ich es heute nicht mehr bis hinab zum Fluss schaffen, und die steilste Passage der Route liegt noch vor mir. Ich hadere mit mir selbst, aber schließlich kehre ich um.
    Auf dem Hinweg war etwas vor mir durch die Baumkronen gekracht. Ein Affe!, dachte ich zuerst. Doch es ist ein sehr großer Ast, der herabstürzt und von den quer hängenden Lianen aufgehalten wird. Er war groß genug, um meinem Schädel Probleme zu bereiten.
    Ich drehe also um. Irgendwann merke ich, dass ich eine meiner großen Wasserflaschen verloren habe, also gehe ich wieder dorthin zurück, wo ich gerade herkam. Die steilen Stellen sind durch meine ausrutschenden Füße besonders schlüpfrig geworden. Glücklicherweise finde ich die Flasche bald. Meine rechte Hand hat mittlerweile ein paar tiefere Schnitte, meine Schuhe sind vollgesogen und schlammbeschmiert, und trotz des Profils gewähren sie kaum noch Halt, vor allem in den steilen Passagen. Manchmal bleibe ich mit der Kapuze an einem herabhängenden Strang Dornen hängen, nur wenige Zentimeter neben meinen Augen. Meine Machete zeigt bei diesen filigran wirkenden, dornigen Fäden, den Lianen und den jungen, nachgiebigen Gewächsen nicht sehr viel mehr Wirkung als ein Stock, wobei ich mich auf einen Stock noch aufstützen könnte. Ich habe sie, wieder zurück auf der Straße, bei einer Bushaltestelle in die Holzbank geschlagen und dort gelassen.
    Ich komme zurück zu dem Hügelrücken, wo das Terrain auf ein paar Quadratmetern ebenerdig ist. Dort ist der große Zweig heruntergekommen, doch es ist die einzige Stelle, wo ich einigermaßen komfortabel lagern kann, komfortabel dabei immer in Dschungel-Verhältnissen gesehen. Nachdem Plane und Hängematte aufgespannt sind, will ich mir die Hände an meinem Allzwecktuch abwischen. Ich ziehe es aus der Gesäßtasche, und es ist voller roter Flecken. Ich begreife nur langsam und denke zunächst, dass es sich durch die Nässe verfärbt hat. Ich lasse die Hose herunter und sehe auch innen am Stoff die rot verfärbten Bereiche. Erst als ich mein Kreuz im rechten Winkel verdrehe, sehe ich den Blutegel, der mir an der Hinterbacke hängt, außerdem ist mein Gesäß blutverschmiert. Da ich aus unentschuldbaren Gründen kein Messer bei mir habe, versuche ich das Biest mit der Machete herunterzuschneiden, doch dafür eignet sie sich genausowenig. Auch mit einem spitzen Stöckchen kann ich das kleine Monster nicht aufspießen. Erst, als ich ihm mit dem glühenden Ende eines Astes aus dem Feuer zu Leibe rücke, lässt es von mir ab. Nun geht es darum, meinen Arsch zu verarzten, was schwierig ist, wenn man nicht sehen kann, wo die blutigen Stellen sind. Ich taste die Haut ab und dort, wo es am nassesten ist, trage ich etwas Jod auf. Da die Wunde nicht zu bluten aufhört, decke ich sie mit etwas Gaze ab. Mir ist klar, dass ich nur in meiner Hängematte einigermaßen sicher bin vor den Egeln, zumindest glaube ich das zunächst. Ich muss essen, wenn die kommende frische Nacht nicht allzu unangenehm werden soll - geplant war, auf etwa 700 Metern zu lagern, doch nun bin ich auf 1600 Metern, und bereits jetzt wird es mir kalt in meinem klatschnassen Hemd.
    Wie ich den Topf aus dem Rucksack hole, bemerke ich, dass unerklärlicherweise meine Plastik-Tasse verschwunden ist, ebenso mein Besteck, bestehend aus Löffel und Gabel. Ich muss sie unterwegs aus- aber nicht wieder eingepackt haben. Sich mit der Machete einen Löffel zu schnitzen ist einfacher gesagt, als getan. Am Ende behelfe ich mir mit einem einfachen, gespaltenen Stück Holz, um mir damit die Nudeln in den Mund zu schaufeln. Um das Feuer in dieser vollkommen durchnässten Gegend zum Brennen zu bekommen, verbrauche ich ein halbe Schachtel Streichhölzer. Dann endlich kann ich essen - es ist ein Fertiggericht und schmeckt - wie schon die Vorgängerpackung - nach fast nichts, aber ich habe nicht mehr den Nerv dazu, die Pfefferkörner aus dem Rucksack zu kramen und zu zermalen.
    Ich schreibe etwas, entferne den letzten Blutegel, der es irgendwie in meine Hängematte geschafft hat, und versuche zu schlafen. Es beginnt wieder zu regnen. Den Hügel hinauf ertönt ein seltsames Geräusch, wie Donner, aber ohne den grollenden Nachhall, und anschließend ein dumpfer Knall, der die Erde leicht beben lässt. Vermutlich ein weiterer großer Ast oder sogar Baum, den die Schwerkraft überwunden hat. Nirgendwo habe ich soviel Holz herabregnen sehen wie in diesem Stück Wald, und ich schlafe nicht ruhiger dadurch.
    Am Morgen entdecke ich runde Blutflecken an meiner Hängematte. Wie es aussieht, haben sich die Biester durch das robuste Material hindurch an mir gütlich getan.

    Was mir insgesamt am schwersten auf dem Gemüt liegt, ist die gedrückte Stimmung des Waldes: kein Tier außer hin und wieder einem Vogel irgendwo, Dunkelheit, Nässe, Leblosigkeit. Dazu der Schlamm, die Dornen und die Blutegel. Die Zeit verschwindet nur so; für ein paar hundert Meter, die ich mich durchs Dickicht gekämpft habe, ohne mir dabei allzu lange Pausen zu gönnen, benötigte ich geschätzte fünf Stunden - denn kurz nachdem ich das Lager aufgeschlagen hatte, begann es zu dämmern, und aufgebrochen war ich am früheren Morgen.

    Insgesamt eine beschissene Erfahrung, aber sehr intensiv."
    Zuletzt geändert von Sandmanfive; 05.11.2011, 12:04. Grund: Reisecharakter eingestellt

  • hotdog
    Freak

    Liebt das Forum
    • 15.10.2007
    • 16106
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    • Meine Reisen

    #2
    AW: [MY] Borneos Nebelwald

    Ich war auch mal im Norden Borneos unterwegs, am Mount Kinabalu, und bin wohlweisslich auf den Pfaden geblieben

    Schöner Bericht, schade, dass es keine Fotos gibt.

    Dein Macheten-Erfahrungen wären auch was für diesen Thread...
    Arrivederci, farewell, adieu, sayonara WAI! "Ja, wo läuft es denn? Wo läuft es denn hin?"

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    • Atze1407
      Fuchs
      • 02.07.2009
      • 2425
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      • Meine Reisen

      #3
      AW: [MY] Borneos Nebelwald

      Na sieh an, geht doch. Wenn jetzt wie schon erwähnt, ein paar Fotos dazu und es ist noch schöner zu lesen.

      Danke für den Bericht.

      LG
      Atze 1407
      Wenn du den Charakter eines Menschen kennenlernen willst, gib ihm Macht.
      Abraham Lincoln

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      • DeLiebe

        Erfahren
        • 26.03.2007
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        #4
        AW: [MY] Borneos Nebelwald

        schöner Bericht von sehr intensiven Erlebnissen.
        Im nächsten Monat bin ich auch in der Ecke (Sumatra) unterwegs, werde mich aber auch eher an Wege und Führer halten...
        Stop destroying our planet -
        It's where I keep all my stuff!

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        • OutofSaigon
          Erfahren
          • 14.03.2014
          • 382
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          #5
          AW: [MY] Borneos Nebelwald

          Der Autor dieses Berichts ist anscheinend nicht mehr aktiv - sein letzter Beitrag ist vom Nov. 2013. Ich bin zufällig auf diesen Bericht gestoßen, als ich kürzlich meinen Geotag auf den Mt. Kinabalu "gepflanzt" habe.

          Einige Antworten bedauern das Fehlen von Fotos zu diesem Bericht. Ich kann mir vorstellen, daß es so ähnlich war/ist wie in ähnlichen Höhenlagen in Sumatra, und was ich DORT erlebt und fotografiert habe, das seht ihr hier

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