[RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

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  • Schmetterling

    Erfahren
    • 18.10.2009
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    • Meine Reisen

    [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Rumänien
    Reisezeit: August 2009


    Wie alles begann...

    Andreas und ich sind eigentlich Radfahrer. Doch dieses Jahr wollten wir endlich mal ausprobieren, wie sich wohl das ganze Gepäck auf unseren Schultern anfühlen würde. Da uns die Alpen nicht aufregend genug waren, es in Skandinavien viel zu viele Mücken gibt und wir schon immer mal Bären sehen wollten, wählten wir die südlichen rumänischen Karpaten als Ziel.
    Monatelang planten wir, waren Dauergast in diesem Forum und ließen Unmengen an Geld beim Globi. Da Ihr alle eine sehr große Hilfe wart und da wir in der Vorbereitung kaum gute und verlässliche Informationen über die Karpaten bekommen konnten (alle Welt scheint nur nach Skandinavien zu fahren), wollen wir euch und unseren potenziellen Nachahmern unseren Reisebericht zur Verfügung stellen. Interessenten senden wir gerne auch unsere GPS-Aufzeichungen (samt Quellen und Abstecher zu Pinkelpausen…). Unsere Tour orientierte sich an einem Reisebericht von Uli - einem Görlitzer, der seit Ewigkeiten in den Karpaten unterwegs ist und unter anderem 14 Tagesetappen durch drei Gebirge beschrieb: die Bucegi-Berge, das Leaota-Massiv, einmal über den Piatra Craiului und als Königsetappe über den Fogarasch, den südlichen Hauptkamm der Karpaten.
    Der Reisebericht ist hier zu finden und echt nett zu lesen: http://www.eastern-images.de/Reisen/Wanderfuehrer/WandernSuedkarpatenRO.htm
    Im Laufe der Tour mussten wir feststellen, dass der Berich teilweise veraltet ist. Die Abweichungen erwähnen wir bei den einzelnen Etappen. Bei Bedarf senden wir gerne auch noch genauere Informationen zu.

    Jetzt aber genug der Vorrede, auf zum Bericht! Wir sind noch nicht ganz fertig, deswegen werden die Etappen so nach und nach folgen.

    Anreise
    Wir entschieden uns gegen das Flugzeug und für die Bahn, um der Reise einen würdigen Beginn zu verschaffen. Von München fährt ein Nachtzug durch bis nach Brasov, unserem Startpunkt. Wir hatten ein Zweier-Abteil gebucht, in dem wir eine Nacht und einen kompletten Tag verbringen sollten und stellten mit Entzücken fest, dass wir sogar ein eigenes Bad mit WC und Dusche hatten. Der Schaffner teilte uns jedoch gleich mit, dass wir das Klo nicht benutzen durften, da es wohl nicht funktionierte. Balkan lässt grüßen...
    Nach einer geruhsamen Nacht zuckelten wir den ganzen Tag durch Ungarn und schließlich Rumänien immer gen Osten. „Zuckeln“ ist dabei wörtlich zu verstehen: Die schlechten Schienen in Rumänien lassen ein passables Tempo nicht mehr zu. Wir verbrachten den Tag abwechselnd im Abteil und im Speisewagen, der in der DDR hergestellt wurde und wunderbar günstiges Essen verkaufte. An den Haltestellen wurde immer mehr, immer schäbigere Wagen an den Zug gehängt. Draußen zog die Landschaft vorbei – die Dörfer wurden immer ärmer und Traktoren allmählich durch Pferdekutschen ersetzt. Ab und zu kamen wir an unheimlichen riesigen Kraftwerken vorbei, die teilweise völlig im Verfall begriffen waren.
    Im Speisewagen ergab sich schon bald ein nettes Gespräch mit einem rumänischen Paar, das auf Heimaturlaub nach Bukarest fuhr. Am Nebentisch trank unser Schaffner ein Bier nach dem anderen und besorgte sich regelmäßig Nachschub auf den Bahnhöfen. Gegen Abend gesellte sich noch ein Spätaussiedler hinzu, der seiner Tochter seine Heimat zeigen wollte. Als er mitbekam, dass wir kein rumänisch sprachen, wünschte er uns mit einem sehr mitleidigen Blick alles Gute...
    Zwischendurch beorderte der Schaffner unseres Waggons alle Reisende in die Abteile zurück, da er endlich auch mal schlafen wollte und das Öffnen der Türen von außen ein Kinderspiel ist.
    Mit nur zwei Stunden Verspätung kamen wir schließlich nach 26 Stunden Zugfahrt in Brasov an und leisteten uns ein Taxi zu unserem Hostel.

    1. Tag: Brasov
    Wir nutzten einen Tag, um Brasov zu besichtigen, eine sehr, sehr schöne und toll renovierte ehemalige deutsche Stadt in Siebenbürgen. Wir lernten auf dieser Reise unheimlich viel über die Deutschen in Siebenbürgen und waren davon ebenso fasziniert wie von der Wanderung. Da dies jedoch ein Wander-Forum ist, werden wir die kulturellen Teile eher kurz halten. Nur so viel: Brasov ist definitiv einen Besuch wert und ist touristisch vollkommen erschlossen. Unweit befindet sich ein Skizentrum, gegen das St. Moritz angeblich eine billige Absteige ist... Die Stadt hat außer der vielen Sehenswürdigkeiten auch zwei voll ausgestattete Trekkingläden, die wir noch dringend benötigen würden...
    Abends ein letzter Check der Ausrüstung und dann ab ins Bett, um für den ersten Tourentag gewappnet zu sein.
    Zuletzt geändert von November; 06.11.2011, 19:21.

  • blauloke

    Lebt im Forum
    • 22.08.2008
    • 8315
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    • Meine Reisen

    #2
    AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

    Willkommen im Forum.

    Schön mal etwas aus dem Osten zu lesen. Bin gespannt wie es weitergeht.
    Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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    • Ro
      Erfahren
      • 29.05.2009
      • 194
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      • Meine Reisen

      #3
      AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

      Ah, herrlich, ein Bericht über Rumänien, da freu ich mich sehr drauf.
      Bin nämlich eine Ausnahme von der Regel:
      Zitat von Schmetterling Beitrag anzeigen
      alle Welt scheint nur nach Skandinavien zu fahren
      Osteuropa find ich persönlich viel spannender.

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      • Schmetterling

        Erfahren
        • 18.10.2009
        • 189
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

        Danke, danke!

        Ja, Osteuropa ist sehr spannend, billig und (noch) nicht so überlaufen. Wir können es jedem nur wärmstens empfehlen.

        Hier geht es auch schon weiter mit unserem Bericht (bzw. es geht erst so richtig los...):


        2. Tag Busteni – Cabana Padina


        Früh am morgen zuckelten wir mit einem stylishen Ostalgie-Zug nach Busteni, von wo wir loslaufen wollten. Der Ort liegt direkt im Karpatenbogen. Unser Plan sah vor, von hieraus direkt nach Westen zu marschieren und im Verlauf der nächsten 5 Tage insgesamt 3 Gebirgsmassive zu überqueren (Bucegi- und Leaota-Massiv sowie den Königsstein). Nach diesem Vorspiel würde dann der Haupt-Akt beginnen, eine 9-tägige Wanderung über das Fogarasch-Gebirge. Der Weg dieses Kammwegs verläuft schnurstracks Richtung Westen und ist der Hauptwanderweg über die Südkarpaten. Der Kammweg gilt als anstrengend und ist berüchtigt für seine krassen Wetterumschwünge mit Gewitter und Schnee im August - und leider blieb uns nur der August als gemeinsamer Reisemonat. Und leider sollte der Ruf des Fogarasch-Gebirges nicht unbegründet gewesen sein…
        Doch der Reihe nach: Beim Anblick des Bucegi-Massivs sank uns das Herz in die Hose: das waren richtig hohe Berge, mit viel Stein und wenig Pflanzen. Und da sollten wir nun drei Wochen mit Zelt überleben? Beunruhigende Fragen schwirrten uns durch den Kopf: Würden wir unsere Rucksäcke über die vielen steilen Anstiege schleppen können? Gab es da auch im Sommer genug Wasser? Hatten wir genug zu Essen? Was, wenn es sich da oben einregnen würde? Oder gar schneien? Was war mit Gewittern? Und die Wölfe? Von den Bären ganz zu schweigen…Schließlich hatten wir durch diverse Hüttentouren schon einen ganz guten Eindruck bekommen, wie qualvoll Kraxeleien auch mit kleineren Rucksäcken sein können. Und dann mit dem ganzen Gepäck? Aber es half alles nichts, nun mussten wir da durch. Zum Glück ahnt man ja vorher nicht, was so alles auf einen zukommt…


        Leider waren unsere Urlaubstage begrenzt und so mussten wir die 14 Etappen unseres „Reiseführers“ Uli etwas abkürzen. Und natürlich wollten wir ganz frech am bequemen Ende sparen und uns von Busteni aus mit der Seilbahn auf 2000 m ü. NN hinaufkarren lassen. Das würde uns zwei Tagesetappen sparen. Leider waren wir nicht die einzigen Faulen: bevor wir die rustikal anmutende Gondel besteigen konnten, hieß es erst einmal warten. Wir reihten uns in die recht internationale Warteschlange (u.a. Slowaken, Tschechen, Polen, sogar ein paar Israelis) vor der Seilbahn ein und vertrieben uns die Wartezeit mit gehässigen Witzen über die umstehenden Tagesausflügler mit Hotpants und Flipflops und verglichen kritisch unsere eigenen Rucksäcke mit den Herren- und Damenhandtäschchen der Umstehenden. Außerdem leistete sich jeder von uns noch einmal ein paar entspannte Minuten auf der öffentlichen Toilette – wohl wissend, dass Porzellanschüsseln, Wasserspülung und Klorollenhalter die längste Zeit unsere Begleiter gewesen sein würden…Und schließlich, nach einer guten Stunde, konnte der Gipfelsturm für Weicheier beginnen (an Wochenenden können es angeblich auch schon mal bis zu drei Stunden sein).
        Die Fahrt war spektakulär – mit unserer sehr kleinen und dafür umso vollgestopfteren Gondel schwebten wir in schwindelerregender Höhe insgesamt 1500 m nach oben. Unter uns der Abgrund. Wir dachten lieber nicht daran, ob und wie wohl die rumänischen Sicherheitsstandards eingehalten werden... Nach einer Viertelstunde hatte das Wechselbad aus Bangen und Staunen ein Ende und wir erreichten wohlbehalten das Omul-Plateau und fühlten uns schlagartig in die Steppen Zentralasiens versetzt: uns erwartete ein weites, grasbewachsenes Hochplateau. Schafherden zogen umher und ein kalter Wind pfiff uns um die Ohren. Wir beschlossen, uns erst einmal an die Höhe zu gewöhnen und vernichteten ein paar Gramm unserer Vorräte. Bei der Gelegenheit mussten wir uns auch schon das erste Mal im Hunde-Vescheuchen bewähren...darin sollten wir bald wahre Experten werden!





        Schließlich blieben uns jedoch keine weiteren Ausreden mehr und wir mussten unsere Rucksäcke schultern. Da der Abstieg zur ersten Hütte nur 2 Stunden dauern sollte und es noch früh am Nachmittag war, reihten wir uns in den FlipFlop-Touristenstrom ein und drehten eine ausgedehnte Runde am Rande des Plateaus entlang. Als Etappenziel diente uns ein beeindruckendes Weltkriegs-Mahnmal, ein gut 20m hohes, aus dem Stahl alter Waffen geschmiedetes Kreuz. Die Sonne schien, die Aussicht auf die Ostkarpaten war phänomenal und wir waren begeistert, dass wir unter der Last unserer Rucksäcke nicht augenblicklich zusammen gebrochen waren! Andi hatte nämlich zu Beginn der Planung verkündet, dass er niemals im Leben mehr als 15 kg tragen würde – heraus kamen schließlich an die 25 kg (incl. 3 l Wasser). Ich hatte anhand meines Körpergewichtes die absolute Höchstgrenze von 15 kg ermittelt – am Ende waren es an die 20 kg. Aber wir kamen tatsächlich vorwärts und dank der Stöcke überstanden wir auch den recht happigen Abstieg um ca. 800 m Höhenmeter bis zu unserer ersten Hütte beschwerdefrei. Kurz vor der Ankunft galt es dann noch eine erste „Sonderprüfung“ zu absolvieren: im schon leicht dämmrigen Licht betraten wir am späten Nachmittag einen dichten Nadelwald. Links und rechts wurde der Weg nun von Hinweisschildern gesäumt, dass es hier Bären gebe und man nicht campen solle. Etwas nervös, laut summend und in zügigen Schritten durchquerten wir den Wald und kamen bald wohlbehalten in ein wunderschönes Tal mit weiten Wiesen und plätscherndem Fluss. Zu unserer Verwirrung waren die Wiesen übersät mit Campern. Zwischen ihnen und dem Bärenwald gab es nur den Fluss. Sind Bären eigentlich wasserscheu? Und über Brücken trauen sich Bären wohl auch nicht?
        Im Übrigen sahen wir hier zum ersten Mal die liebste Freizeitbeschäftigung der Rumänen: wildes Campen in Massen. Das fanden wir sehr sympathisch. Weniger sympathisch sind die unglaublichen Müllberge, die dabei zurückgelassen werden und die uns noch durch die gesamten Karpaten begleiten würden. Noch weniger sympathisch ist es, dass natürlich jegliche Sanitäreinrichtungen fehlen und die improvisierten Campingplätze somit fantastische Nährstoffeinträge verzeichnen, sprich buchstäblich zugeschissen sind. Aus irgendwelchen Gründen wird dann auch die „Ware“ bevorzugt mitten auf dem Wanderweg abgesetzt und irgendein geheimer Stolz verbietet es anschließend auch, das Resultat seiner Anstrengungen irgendwie zu verdecken. Es muss dahinter einen tieferen Sinn geben…soll uns doch keiner erzählen, dass in den ganzen Familienkutschen neben Zelt, Grillgut und Bier nicht auch noch ein kleines Schäufelchen Platz finden würde? Nun ja, andere Länder, andere Sitten, reisen bildet, usw.


        Pünktlich zum Abendessen kamen wir dann bei der ersten, sehr schönen Berghütte (die heißen hier Cabanas) an, bezogen für nicht einmal 10 Euro unseren sehr gemütlichen Privat-Schlafsaal und konnten hier zwischen 20 Stockbetten wählen. Nach einer Katzenwäsche am Waschbecken gab es lecker Hähnchenfilet mit Kartoffelbrei und Gurkensalat (leider verstanden wir die Speisekarte noch nicht so gut und mussten uns daher etwas überraschen lassen). Dazu gab es diverse Kraft-Tees und, um unseren ersten halben richtigen Wandertag auch gebührend zu feiern, zum Abschluss ein paar Wodkas. Zwar waren wir nur 9 km gelaufen, aber wir waren nach diesem ersten Tag frohen Mutes und fühlten uns auch spätestens nach dem 3. Wodka gut gerüstet für alle Abenteuer, die da so kommen würden. Den Soundtrack zu diesem perfekten Einstieg lieferte eine Truppe jugendlicher Rumänen, die auf der Veranda Bob Dylan klampften.

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        • paddel
          Fuchs
          • 25.04.2007
          • 1864
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          • Meine Reisen

          #5
          AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

          Das hört sich ja schon sehr interessant an. Bin gespannt wie's weiter geht.
          Froh schlägt das Herz im Reisekittel,
          vorausgesetzt man hat die Mittel.

          W.Busch

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          • Peer
            Gerne im Forum
            • 29.06.2008
            • 68
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

            Hammer Sache! Rumänien ist auch ein Ziel, dass mich ausserordentlich reizt.

            Und die Seite ist ja mal auch eine coole Sache, grad für mich als Görlitzer.

            Grüße
            "Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft."
            (Emil Zátopek)

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            • Schmetterling

              Erfahren
              • 18.10.2009
              • 189
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              • Meine Reisen

              #7
              AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

              So, hier gehts endlich weiter mit dem Bericht, danke für eure Geduld...

              3. Tag: Cabana Padina – Leaota Kamm (Vf. Duda Mare) (ca. 5 Gehstunden)

              Nach einer frischen wie gleichsam er-frischenden Nacht stiefelten wir früh um 7 voller Tatendrang in den Speisesaal – nur um festzustellen, dass die Küche erst ab 9 Uhr besetzt ist. Nun gut, da wir nicht auf leckere Omeletts verzichten wollten warteten wir eben. Um kurz vor zehn standen wir dann endlich auf der Piste und folgten den detaillierten Beschreibungen unseres Wanderführers Uli. Der Pfad war tatsächlich gut zu finden und einige Markierungen gab es auch. Die Sonne lachte und es lief sich fast wie von selbst.
              Auf der ersten Anhöhe erwartete uns die erste große Hundeprobe: hier standen ein paar Hirtenhütten und die wachsamen Hunde hatten uns schon von weitem gewittert und schlugen Alarm. Wir hatten vorab schon so einiges von diesen Hirtenhunden gehört, z.B. dass sie in den Karpaten faktisch eine viel größere Gefahr als die Bären darstellten. Daher standen wir zunächst etwas unschlüssig herum, zumal der Weg direkt durch das Hunderevier zu führen schien. Unsere Geduld (oder Feigheit?) wurde schließlich belohnt: Rettung nahte in Form der israelischen Reisegruppe, die wir schon am Vortag an der Seilbahn getroffen hatten. Zusammen mit einem rumänischen Guide wanderten sie ebenfalls mehrere Tage durch die Karpaten. Unsere erste Begegnung mit anderen Langstrecken-Wanderern! Die Israelis ließen sich dann auch nicht so leicht einschüchtern wie wir und gut geschützt erklommen wir einen weiteren Sattel, den höchsten Punkt unserer heutigen Etappe. Im Sattel stand eine kleine Salvamont-Schutzhütte (das ist der hiesige Bergrettungsverein) und uns erwartete ein gigantischer Ausblick auf die nördliche Vorgebirgs-Ebene und unsere weiteren Etappen. Nördlich von uns erhob sich der Königstein ganz unschuldig wie ein Walfischrücken aus der Ebene und in der Ferne konnten wir schon das Fogarasch-Gebirge ausmachen. Ein erhebendes Gefühl, zu wissen, dass wir das alles zu Fuß erobern würden!
              Soweit wollten die Israelis aber nicht und so trennten sich unsere Wege an dieser wichtigen Weggabelung. Die Israelis stiegen von hier aus ins Tal hinab und nach einer kurzen Müsliriegel-Stärkung brachen auch wir wieder auf - und verloren prompt unsere Markierung. Die gut markierten Wege führten alle ins nördliche Vorland. Wir dagegen würden das Bucegi-Gebirge nun verlassen und das Leaota-Massiv betreten. Da auf dieser Route mangels Hütten kaum einer wandert, werden die Strecken nicht mehr markiert und man muss sich den Weg selbst suchen. Das ist aber (zumindest bei gutem Wetter) nicht sehr schwer, da die Berge eher runden Grashügeln gleichen und man gut auf Sicht einfach dem Kamm folgen kann. Außerdem wird der Wege zum Teil auch von den Hirten genutzt und ist an manchen Stellen dementsprechend ausgetreten.
              Auch wir stießen nach unserer kurzen Querfeldein-Odyssee bald wieder auf den Weg und damit auch auf unsere erste Schafherde. Sobald uns die Hunde entdeckt hatten, rasten sie bellend und geifernd auf uns zu. Zweite Hundeprobe. Diesmal musste es wohl ohne Israelis klappen. Zwar hatte der Hirte die Situation erkannt und schrie auch wie am Spieß, aber das schien die Viecher nicht sonderlich zu stören. Wir hielten uns an den Ratschlag, sie einfach zu ignorieren (auch wenn es zugegebenermaßen schwerfällt) und marschierten so souverän wie möglich einmal quer durch die Schafherde. Und das half tatsächlich: zwar sprangen die Hunde wild bellend und Zähne fletschend um uns rum, ließen dann aber auch schnell wieder ab sobald wir die imaginäre Demarkationslinie überschritten hatten. Mit Stolz geschwellter Brust marschierten wir anschließend den hier sehr breiten Kammweg entlang. Da wir uns nun (fast) an die Hunde gewöhnt hatten, durchquerten wir die nächsten paar Schafherden ohne großen Zeitverlust und konnten sogar ein paar unserer Zigaretten an den Mann bzw. an den Schäfer bringen. Bei diesen Gelegenheiten bedauerten wir jedoch sehr, nicht rumänisch zu sprechen, um uns ein wenig mit ihnen zu unterhalten. Es waren allesamt sehr herzliche Menschen.
              Der Weg führte weiterhin direkt auf dem Kamm entlang und wir überquerten unzählige kleine Hügel, was unzählige kleine und anstrengende Auf- und Abstiege bedeutete. Wir kamen jedoch erstaunlich gut voran, nur Wasser gab es tatsächlich recht wenig. Zwar plätscherten unter uns viele kleine Bäche, aber erstens müsste man weit absteigen und zweitens waren die Quellen wegen der vielen Schafe ziemlich verunreinigt. Ohne die vorzüglichen Beschreibungen von Uli hätten wir die wenigen kleine Quellen in der Nähe des Weges vermutlich nicht gefunden.
              Wir entspannten uns zunehmend und gaben uns den herrlichen Ausblicken nach Norden und Süden hin. So eine Kammwanderung hat schon was Tolles! Etliche kleine Hügel später und im schönsten Abend-Sonnenschein erreichten wir schließlich unseren Übernachtungshügel. Wir verbrachten eine Ewigkeit mit der Suche nach einem einigermaßen windgeschützten, ebenen, geraden und nicht zu sehr mit Schafkütteln übersäten Zeltplatz. Letzteres ist hier wegen der Masse an Schafen fast unmöglich. Schließlich fanden wir eine kleine Stelle, die gerade eben groß genug für unser Zelt war. Dass wir dabei offenbar mitten auf dem „Weg“ lagerten, merkten wir erst, als abends ein Typ mit seinem Pferd einmal quer durch unser Lager schlurfte.
              Nach der Katzenwäsche an einer Quelle und einem etwas mühsamen Wasserschöpfen kochten wir unser erstes Abendmahl – Nudeln mit Tomatensuppe. Sehr lecker! Leider hatte uns der Reiter seine ganzen Fliegen dagelassen, so dass wir nur mit diversen Verrenkungen und Armfuchteleien den Nudelhappen auch ohne Fliege darauf zum Mund führen konnten.
              Erschöpft vom Tag und der Fliegenschlacht berauschten wir uns noch ein wenig am herrlichen Ausblick. Wir mussten jedoch prompt ins Zelt flüchten, kaum dass die Sonne weg war. Mein Gott, war das kalt hier oben!

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              • peter-hoehle
                Lebt im Forum
                • 18.01.2008
                • 5175
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                #8
                AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                Sehr schöner Anfang.
                Bitte weiter schreiben und Bilder nicht vergessen.


                Gruß Peter
                Wir reis(t)en um die Welt, und verleb(t)en unser Geld.
                Wer sich auf Patagonien einlässt, muss mit Allem rechnen, auch mit dem Schönsten.

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                • Schmetterling

                  Erfahren
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                  #9
                  AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                  4. Tag Leaota-Kamm – Podu Dambovitei (ca. 9 Stunden)

                  Heute würden wir die luftigen Höhen der Karpaten erst einmal wieder verlassen und ins nördliche Vorland absteigen. Von dort aus würden wir dann in den nächsten Tagen den Königstein und das Fogarasch-Massiv in Angriff zu nehmen.

                  Wie es die Abendkühle bereits angedeutet hatte, sank die Nachttemperatur auf ein recht „kuscheliges“ Niveau. Es fiel uns daher ziemlich schwer, die Schlafsäcke zu verlassen um den langen Abstieg anzugehen. Irgendwann krochen wir doch noch nach draußen, verspeisten unsere erste abgepackte Müsli-Ration und huldigten schließlich ausgiebig die warme Sonne, deren Strahlen uns kurz vor dem Aufbruch doch noch erwischten. Der Weg führte weiter auf dem Kamm entlang und damit über gefühlte tausend kleine Hügel. Aber da die Aussicht nach Norden und Süden so gigantisch war, merkten wir das ständige Auf und Ab kaum. Ein paar Hügel, Schafherden und geifernde Hundemeuten später sollten wir bei der „Curmătura Fiarelor“ einer blauen Markierung in Richtung Norden folgen und vom Kamm in die Vorebene absteigen. Leider hatte unsere Wanderkarte gerade an dieser Stelle eine dämliche Infobox, so dass wir nicht wussten, wo genau die blaue Markierung abzweigen würde. Und anders als noch gestern hatte es heute auch überhaupt noch gar keine Wegmarkierung geben, egal in welcher Farbe. Auch das GPS war hier nur von beschränkter Hilfe.


                  Nach mehreren Schlenkern und Ratespielen landeten wir auf irgendeiner anderen Markierung, die uns laut Karte einen riesigen Umweg bescheren würde. Aber wir dachten uns, lieber einen Umweg machen als den Weg überhaupt nicht zu finden. So stiegen wir durch einen schönen Nadelwald ca. 1000 Höhenmeter ab, pflückten uns unterwegs ein paar Blaubeeren und kamen schließlich am Fuß der Berge in einem kleinen Dorf an. Auf den Wiesen waren die Familien wie zu alten Zeiten mit Heuwenden beschäftigt und alte Männer versuchten interessiert, ein Gespräch mit uns anzufangen. Wir konnten uns sogar nützlich machen, indem wir einen Gaul einfingen, der aus seiner Koppel ausgebüchst war. Die Wegmarkierung war da schon längst wieder verschwunden und so bedurfte es noch ein paar gestenreicher „Unterhaltungen“ bis wir schließlich den Fluss fanden, den wir bis zu unserem Tagesziel folgen sollten. Da nun alles klar schien, machten wir – es war mittlerweile schon 3 Uhr Nachmittags, erstmal Mittagspause.
                  Kurz vor dem Aufbruch kamen wir dann doch nochmals auf die Idee, die Karte etwas genauer anzusehen. Uns wurde bald klar, dass wir noch gute vier Stunden Gehzeit vor uns haben würden, was angesichts der fortgeschrittenen Stunde keine tolle Aussicht war. Es war heiß hier unten im Tal und der lange Abstieg hatte mich ganz schön geschlaucht. Gegen halb vier brachen wir auf und folgten etwas unmotiviert dem Fluss. Als sich der Weg in ein schlammiges Flussbett verwandelte, das von Holzfuhrwerken völlig aufgewühlt war, sank meine Lust noch mehr. Das nächste Dorf konnte ich im halben Hitze-Delirium gar nicht mehr richtig genießen, obwohl die kleinen Holzhäuser mit den Heumieten davor einfach idyllisch waren. Der Weg führte immer im enger werdenden Tal entlang und verlief teilweise im Flussbett. Anfangs konnten wir noch am Rand entlang laufen, teilweise mussten wir aber auch im Wasser waten. Ich wurde immer kaputter, die Füße taten weh, mein Kopf pochte, aber wir hatten keine Zeit für eine Pause mehr. Selten kamen wir durch kleine Siedlungen, wo wir nach dem Weg fragten. Unser Ziel wollte einfach nicht näher kommen und das Laufen im Bachbett ging auch nicht wirklich voran.

                  Endlich kamen wir auf eine richtige Piste, so dass wir schneller vorwärts kamen. Wir würden allerdings gerade so mit der Dunkelheit ankommen. Uli schrieb, dass in dem Dorf 1997 ein Hotel im Bau war. Wir hofften inständig, dass es inzwischen fertig sein würde… Die Aussicht auf ein Bett und eine Dusche waren - selbst nach nur zwei Tagen Wanderung - sehr verlockend! Wir schleppten uns gerade um eine weitere Kehre, als die Rettung in Form eines Pickups von hinten heranbrauste. Ich streckte reflexartig den Daumen raus und siehe da, er hielt an und wir durften auf die Ladefläche klettern. Mit einem kleinen schlechten Gewissen wegen diesem offensichtlichen Wander-Betrug genossen wir die kurze Fahrt vorbei an netten Häuschen und durch eine enge Schlucht. Die netten Rumänen setzten uns sogar direkt an einer (der inzwischen sehr zahlreichen) Pensionen ab. Unser Gönner ließ es sich dann auch nicht nehmen, seinen „Fahrgästen“ auch noch einen guten Preis beim Pensionsbesitzer auszuhandeln. Es war zwar kein nettes Holzhäuschen sondern ein eher schmuckloser Betonklotz, aber Balkon und warme Dusche waren im Moment eh das wichtigste. Und nach einer umfassenden Säuberungsaktion fraßen wir uns einmal quer durch die Speisekarte des Pension-Restaurants. Trotz der kleinen Weichei-Aktion mit dem Pickup hielten wir es für angebracht mit einer Flasche echt rumänischen Weins auf unsere erste Etappe anzustoßen.

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                  • Schmetterling

                    Erfahren
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                    #10
                    AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                    Weil ich im Text nicht so viele Bilder unterbekomme, gibts jetzt hier noch ein paar extra mit Kommentaren.
                    Dummerweise sind Andreas' Bilder von den Anfangstagen von meinem Rechner verschwunden. Ich lade einfach nächste Woche noch ein paar hoch.


                    Die kleinen Punkte am Hang ist schon die nächste Hundemeute...



                    Nichmal in Ruhe essen kann man, ohne dass man angebettelt wird



                    Und noch ein bisschen Landeskunde:


                    Aufwendig verzierte Regenrinne




                    Auf dem Land wird immer noch sehr schön mit Holz und Schnitzereien gebaut

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                    • peter-hoehle
                      Lebt im Forum
                      • 18.01.2008
                      • 5175
                      • Privat

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                      #11
                      AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                      sehr schön.weiter so

                      Gruß Peter
                      Wir reis(t)en um die Welt, und verleb(t)en unser Geld.
                      Wer sich auf Patagonien einlässt, muss mit Allem rechnen, auch mit dem Schönsten.

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                      • Gassan
                        Gesperrt
                        Fuchs
                        • 23.03.2009
                        • 1467
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                        #12
                        AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                        Schön mal zu sehen, dass Leute sich für meine Berge interessieren.

                        Reisebreicht ist sehr fein geschrieben und ich erkenne das meiste wieder.

                        weiter so. freu mich auf den nächsten Teil

                        Das einzige was ich euch raten würde. Geht nächstes mal wenn ihr das Bucegimassiv von Busteni aus in Angriff nehmt, zu Fuß hoch. Es lohnt sich wirklich. Der Aufstieg auf Caraiman ist wirklich sehr schön und innerhalb von ca. 5 Stunden in lockerem Tempo ohne Problem zu schaffen

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                        • Schmetterling

                          Erfahren
                          • 18.10.2009
                          • 189
                          • Privat

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                          #13
                          AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                          So, da sind wir wieder!
                          Da wir unter der Woche gerade viel Stress haben, dauert es leider ein bissel länger mit den Berichten...
                          Gassa, schön einen Experten mit an Bord zu haben! Das mit dem Aufstieg haben wir uns auch gedacht, als wir so mit der Gondel nach oben schwebten. Leider hatten wir nicht damit gerechnet und waren dadurch sehr spät unterwegs an dem Tag. Beim nächsten Mal kneifen wir sicher nicht mehr!

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                          • Schmetterling

                            Erfahren
                            • 18.10.2009
                            • 189
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                            Jetzt aber weiter mit den Berichten. Die nächsten beiden Tage werden leider etwas textlastig...



                            5. Tag Bran

                            Wir wollten auf unserer Reise auch der Kultur etwas Zeit einräumen und planten einen Ausflug nach Bran ein, wo das angebliche Dracula-Schloss stand. Natürlich hatten wir es verbummelt, uns gleich am Abend vorher nach dem Bus zu erkundigen und so warteten wir nach einer ausgedehnten Wasch- und Frühstücksaktion ewig an der Straße, bis uns ein so genanntes Maxi-Taxi mitnahm, ein Kleinbus. Mit dem überraschend komfortablen Bus überquerten wir einen der wichtigsten Karpatenpässe nach Norden, genossen die wahnsinnig schöne Aussicht auf die kleinen Dörfer, auf die Berge und – und auf unsere künftigen Touretappen. In Bran erwartete uns dann der totale Touri-Nepp. Das Schlösschen hatte natürlich in Wahrheit so gut wie gar nix mit Dracula zu tun, sondern diente vielmehr als Abwehr gegen die Türken, die eben diesen Pass alle paar Jahre überquerten, um die Dörfer in Siebenbürgen zu plündern und niederzubrennen. Zuletzt diente Schloss Bran aber als Sommerresidenz für Maria, der rumänischen Königin. Zu ihrer Zeit wurde der Bau zu einem sehr romantischen Sommer-Schlösschen umgebaut und heute halten die alten Mauern kaum noch den Besuchermassen stand. Wir wurden aber relativ gut durch alle Räume geleitet, die mit sehr gut aufbereiteten Informationen über die gesamte Königsfamilie ausgestattet waren. Nachdem wir erfolgreich durch die kleinen Gänge, über enge Wendeltreppen und verschachtelte Zimmer geschoben worden waren und auch einen Gang über den riesigen Souvenier- und Dracula-Kitsch-Markt hinter uns gebracht hatten, leisteten wir uns noch zwei Madonnen-Amulette bei einer alten Frau. Ein wenig Hilfe von oben würde uns sicher nicht schaden…
                            Zum Abschluss enterten wir dann den „Wolf-Supermarkt“. Andreas hatte Bran aus seinem letzten Besuch von vor zehn Jahren als kleines Kaff ohne jede Attraktionen in Erinnerung und war dementsprechend skeptisch gewesen, ob wir hier unsere Lebensmittelvorräte würden auffüllen können. Doch das hatte sich zum Glück geändert und heute sprudelte das kleine Dorf über mit Touristen und all dem dazu gehörigen Kitsch. Wir konnten unsere gesamten Lebensmittel-Wünsche befriedigen und damit die Rucksäcke endlich auf das eigentliche Startgewicht bringen. Unsere Einkaufsliste war so kalkuliert, dass die Nahrungsmittel nun für die nächsten 6-7 Etappen reichen würden, bis wir die Hälfte des Kammweges hinter uns gebracht hatten.
                            Abends gönnten wir uns ein letztes fulminantes Mahl in unserer Pension, um Kraft für den morgigen Tag zu sammeln – der Überquerung des Königsteins.


                            Das Schlösschen Bran mit riesigem Touri-Markt




                            Der arme Dracula wird ganz schön ausgeschlachtet hier...



                            Andi's letztes Eis - wer weiß, wann das nächste kommt.



                            6. Tag Brasov
                            Heute wollten wir den Königstein in Angriff nehmen und hatten hierzu den Wecker extra auf 6 Uhr früh gestellt. Aber bevor es losgehen konnte, stand uns noch ein banger Moment bevor: wir mussten einmal kräftig an Andis Schuhsohle zerren… Aber der Reihe nach: die Sohlen gaben schon seit zwei Tagen Anlass zur Sorge, da sich der Gummirand an der Seite Millimeter um Millimeter vom Leder löste. Die Meindls hatten zwar schon vor der Abreise diesbezüglich ein paar wage Andeutungen gemacht, aber wir hatten das Problem recht bald wieder aus den Augen verloren bzw. es gar nicht erst als ein solches erkannt. Um für den „worst case“ gewappnet zu sein, hatte Andi kurz vor der Abreise dann doch nochmals in diversen Foren recherchiert und daraufhin eine Tube Sekundenkleber eingepackt. Gestern Abend konnten wir dann die Angelegenheit nicht mehr schönreden und leimten den mittlerweile klaffenden Spalt in Andis Meindls mit einer Schicht Alleskleber. Und nun war es soweit: wir würden die Zivilisation für die nächsten 10 Tage verlassen, genossen noch einmal die schöne Dusche, entspannten uns noch einmal auf dem schönen WC, schnürten die Schuhe, pro forma erfolgte besagter Testgriff zur Sohle – und das Drama war perfekt! Der Sekundenkleber-Tipp war irgendwie Mist, die Sohle ließ sich ganz leicht abziehen. So konnte man vielleicht noch einen Königsstein überwinden, aber so schnell, wie sich das Gummi in den letzten Tagen gelöst hatte, würden sie auf dem Fogarasch-Kammweg definitiv den Geist aufgeben. Dies war eindeutig ein Notfall, der nach professioneller Hilfe verlangte: ein original rumänischer Schuster musste her! Noch waren wir nahe an Brasov, in den Bergen würde uns so etwas noch viel mehr Zeit kosten... Die Entscheidung war also gefallen: wir mussten noch einen Ruhetag opfern!

                            Per Auto-Stopp ging’s zurück nach Brasov. Bei der Touristeninfo erkundigten wir uns nach den ortsansässigen Fachmann für Schuhfragen und standen mit einer selbst gezeichneten Strassenkarte kurze Zeit später in einer kleinen Seitengasse vor einem Schusterladen. Das Ladeninnere war vollgestopft mit Schuhen jeglicher couleur und jeden Alters. Und zwischen all dem Leder und noch viel mehr Plastik, saß er, der Schuster! Und was für ein Schuster - wie aus dem Bilderbuch: weißer Bart, speckige Schürze, Kippe im Mundwinkel, Hammer in der Hand und fachkundige Augen hinter Flaschenboden-Brillengläsern: dieser Mann war ganz offensichtlich eine Instanz in Sachen Schuhe; wenn einer den Meindls auf die Schnelle helfen konnte, dann er. Mit eindeutigen Gesten demonstrierte Andi ihm das Maleur. Hoffnung keimte in uns auf, als er murmelnd die Sohlen inspizierte; dann sah er uns prüfend an, schniefte kurz, und meinte dann verächtlich „Degradatia!“ Das Wort verstanden wir auch ohne Sprachführer. Die Show war gelaufen, der Meindl war beim Fachmann mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Das war’s! Weiteres Jammern war im Übrigen zwecklos, denn wir waren an einen waschechten Rumänen geraten waren: Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch – wir versuchten alles, womit wir bislang in Rumänien Erfolg hatten, aber in diesem Schuster hatten wir unseren Meister gefunden. Es blieb dabei: „Degradatia, degradatia!“
                            An dieser Stelle sei nochmals kurz daran erinnert, dass wir uns ja gewisse Sorgen über den Versorgungsgrad in der Karpatengegend gemacht hatten. Aber was nun folgte, war Europäische Union in Reinform: keine 10 Minuten nach dem niederschmetternden Urteil des Schusters fanden wir uns nämlich im „Expert Outdoor“ Shop wieder, seines Zeichens Meindl-Vertragshändler! Das Touristenbüro hatte uns noch die Adresse mit auf den Weg gegeben. Wir hatten uns nicht viel Hoffnungen gemacht, aber nun standen wir Primus-Kochern, Gaskartuschen, Millet-Kleidung, Kletterausrüstung und eben Meindl-Schuhen gegenüber! An der Beratung könnte man zwar noch ein bisschen feilen, aber egal: die Wahl fiel schnell auf ein nagelneues Paar Meindl-Engadin. Der habe sogar „Memory Foam“, sagte die Verkäuferin nicht ohne Stolz. Andreas fragte sie, was das sei, woraufhin die Verkäuferin mit Inbrunst die englische Beschreibung auf der Meindl-Packung vorlas. Aha, dann war ja alles klar.
                            Der Rest vom Tag war dann rasch beendet: mit den neuen Schuhen an den Füssen ging´s auf die Post, wo wir in perfektem Englisch alles Wissenswerte über den Paketversand nach Deutschland erfuhren. Die alten Meindl Island machten sie also alleine auf den weiten Rückweg nach Deutschland, wir tranken uns noch ein letztes Mal quer durch die Kaffee-Karte eines netten Cafes, nahmen ein Maxi-Taxi zurück nach Podu Dambovitei und morgen würde es also endlich los gehen. In diese Nacht träumte Andreas vom Schuhe-Einlaufen und ich dachte an all die Situationen, in denen ich mich kopfschüttelnd über Leute lustig gemacht hatte, die mit nagelneuen Schuhen eine große Tour absolvierten und sich die Füße wund liefen. Nun würde er auch dazu gehören.
                            Übrigens fragten wir auch im „Expert Outdoor“ Store wieder nach der Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere ab dem Balea-See, der „Halbzeit“ des Kammweges. Wir hatten den See fest in unsere Lebensmittelplanung mit aufgenommen. Da die Dame den Weg nach eigener Aussage x-Mal pro Jahr wandert, maßen wir ihren Angaben ein gewisses Gewicht bei. In diesem Fall betraf dies die folgende Aussage: am Balea-See gibt es nix zu kaufen. Es gäbe zwar die Passstraße, dazu Hotels und Touris, aber anscheinend keine Chance, irgendjemandem irgendetwas Essbares abzukaufen: die Hirten bräuchten ihren Käse selber… Wie sich später herausstellen sollte, muss die gute Frau den Balea-See stets bei Nebel oder Schneetreiben mit Sichtweiten unter 3 m passiert haben oder high gewesen sein. Aber dazu später mehr… Uns blieb erstmal zu hoffen, dass es uns doch gelingen würde, was Essbares aufzutreiben. Wir beschlossen sicherheitshalber mal, mit etwas weniger Essen auszukommen.

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                            • Schmetterling

                              Erfahren
                              • 18.10.2009
                              • 189
                              • Privat

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                              #15
                              AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                              7. Tag Podu Dambovitei – Plaul Foii (13 Stunden)

                              Um von Podu Dambovitei zum Fogarasch-Massiv zu kommen, muss man einmal den Walrücken des Königstein queren. Dabei gibt es mehrere Pässe – man kann aber auch außenrum gehen. Wir sind ja keine Weicheier, entschieden uns aber für den niedrigeren Pass und damit den kürzeren Weg. Ein Glück! In dem Glauben, dass wir es laut Uli mit einem gut machbaren 7 Std. Tag zu tun haben würden, waren wir morgens erst um acht auf der Piste. Die letzten drei Wander-Etappen bis nach Podu Dambovitei waren für uns zum Aufwärmen gewesen – ab heute würde es in die richtig hohen Berge gehen. Unsere Rucksäcke waren gut gefüllt, um die nächsten Tage bis zum Transfogarasch-Pass zu kommen, der Halbzeit der Kammwanderung.
                              Zum Glück ahnten wir nicht, welche Quälerei uns heute erwarten würde und so nahmen wir die ersten 10 km auf einer Piste gut gelaunt in Angriff. Wir kamen zügig voran, es ging durch eine nette Schlucht und einem kleinen Dörfchen mit wunderschön verzierten Holzhäuschen. Wir philosophierten über die Tatsache, dass die Leute hier auch während Sowjetzeiten solche netten Häuser gebaut hatten, während in Ostdeutschland alles in einem Einheitsgrau gestrichen wurde. Nach 2 Std. erreichten wir unsere erste Zwischenstation – Rudaritsa. Ein nettes Tal mit den üblichen Wild-Campern sowie einer Cabana, wo wir erstmal eine Cola tranken und unsere Wasservorräte auftankten. Von hier aus würde es 3 Std. lang knapp 1000m nach oben auf den Kamm des Königsteins gehen. Wir bogen auf den kleinen Wanderpfad und ächzten die ersten Höhenmeter senkrecht nach oben. Rumänen kennen keine Serpentinen. Wir stöhnten und schwitzten unter unserem Gepäck, aber es ging dann doch erstaunlich gut. Langsam, aber kontinuierlich kämpften wir uns hoch und waren sehr froh über unsere Trekkingstöcke, die doch einen guten Teil des Gewichts abnahmen. Da es durch eine netten Buchenwald ging, war es glücklicherweise nicht ganz so heiß. Nach einer guten Stunde erreichten wir eine erste kleine Anhöhe mit einigen Sennhütten. Vor uns ragte der steile Kamm des Königstein auf. Da sollten wir hoch. Zunächst verließ uns aber unser Führer. Die Beschreibung war etwas wirr und wir konnten die Abzweigung unseres Weges hinauf auf den Pass nicht finden. Am Himmel drohten schon einige Gewitterwolken, da wir aber noch nicht wussten, was ein Gewitter in den Bergen bedeuten kann, machten wir uns keine Sorgen und suchten weiter nach dem Weg. Mit Hilfe von Andreas gutem Gespür und nach einigen unbequemen Metern querfeldein fanden wir ihn dann schließlich. Er war ausgezeichnet markiert. Wir machten uns an den endgültigen Anstieg nach oben. Erst durch den Wald und dann im Stich über Grasmatten (Rumänen kennen ja keine Serpentinen). Wir kämpften uns tapfer nach oben, in freudiger Erwartung auf ein ausgedehntes Mittagessen auf dem Grat. Hinter uns hatten wir eine grandiose Aussicht auf sanfte Hügel und den dort niederrauschenden Regen. Obwohl die Wolken links und rechts von uns immer dunkler wurden, blieben wir wunderbarerweise verschont. Mit der letzten Kraft erreichten wir endlich den Kamm, nach bisher ca. 5 Gehstunden. Nach unseren Berechnungen sollten es von hier aus noch lockere 2 Stunden bis zur Hütte sein. Dementsprechend entsetzt waren, als der Weg auf einem der seltenen Schilder mit 4,5 – 5,5 Std. angegeben war. Es war schon halb drei und wir waren ziemlich kaputt vom Anstieg. Nennenswerte Pausen hatten wir bisher auch nicht gemacht. Vor lauter Schreck konnten wir nicht einmal den tollen Ausblick genießen. Aber Jammern hilft nix, wenn man mitten auf einem Gebirgskamm steht. Wir verkürzten unsere Mittagspause auf eine halbe Stunde, mümmelten ein paar Müsliriegel und machten uns an den Abstieg. Wenn wir ohne große Pausen weiterlaufen würden, müssten wir es vor Einbruch der Dunkelheit schaffen… Und das mit den noch vollen Rucksäcken!
                              Langsam machten wir uns an den doch sehr furchterregend wirkenden Abstieg senkrecht nach unten. Runtergehen ist mit diesem Gepäck noch sehr viel schlimmer als hoch. Der Weg wurde so steil, dass wir kraxeln mussten. Teilweise musste Andreas ohne Rucksack nach vorne klettern, um mir die Tritte zu zeigen, da ich nichts sah. Unsere Stecken behinderten uns ständig, aber wir wollten sie nicht wegstecken, da wir sie zwischendurch immer wieder brauchten. Auf dem letzten Wegstück nach unten wurde es dank loser Erde und kleiner Steine so rutschig, dass wir trotz vieler Latschen zum Festhalten die Hälfte auf dem Hosenboden zurück legten. Kurz, es war eine Schinderei, besonders mit dem Gepäck. Nach gefühlten Stunden kamen wir endlich an die Stelle, von wo aus der Weg erstmal Höhenlinien parallel an der Wand entlang führte. Dort gab es wieder ein Schild, das immer noch 4,5 Stunden angab. Wir fluchten, inzwischen war es schon nach vier und die Kletterei hatte viel Kraft gekostet. Wir schleppten uns weiter. Der Höhenlinien parallele Weg ging hoch und runter. Jedes Mal, wenn es nach oben ging, sackten meine Beine fast unter mir weg. Immer häufiger stolperte ich über meine Füße. Die Felswand, an deren Fuß wir entlang gingen war imposant, wir konnten den Anblick allerdings nicht mehr richtig würdigen. Nach einer halben Ewigkeit kamen wir an eine erste Abzweigung nach unten. Vor uns türmten sich nun richtig schwarze Wolken auf. Nachdem wir feststellten, dass sie schnell näher kamen, beschlossen wir, hier abzusteigen und damit den längeren Weg bis zur Hütte in Kauf zu nehmen. Ein Gewitter direkt unterhalb der Wand wäre lebensgefährlich und so konnten wir wenigstens im Wald weiter gehen. Wir eilten nach unten, während die Wolken heranrasten. Wir erreichten gerade so den Wald und hatten uns die Ponchos über gezogen, als auch schon die Welt unterging. Hagel, Donner und Blitze – das Gewitter war direkt über uns und es krachte ohrenbetäubend. Mein erstes Gewitter in den Bergen und mein erstes, das tatsächlich direkt über mir war. Ich fand es sehr beängstigend und war froh, im Wald einigermaßen vor den Blitzen geschützt zu sein. Im nunmehr strömenden Regen hasteten und rutschten wir nach unten. Es schüttete fast 2 Stunden lang. Teilweise war der Weg von umgefallenen Bäumen versperrt – ein Sturm hatte den halben Wald umgelegt und bescherte uns einige Kletterei. Unsere Schuhe schwammen und wir waren bald völlig mit Schlamm eingedeckt. Wenigstens war der Weg gut markiert und wir mussten uns darüber schon keine Sorgen machen. Schließlich hörte es auf zu regnen und wir gönnten uns an einer Quelle 5 min Pause. Die letzten Stunden bis zur Hütte waren die reinste Qual. Es ging kontinuierlich bergab – insgesamt wieder 1000 Höhenmeter nach dem Pass. Allmählich wurde es dämmrig. Unsere Füße taten einfach nur noch unglaublich weh. Ich war kurz davor, mich einfach hinzusetzen und zu streiken. Meine Zehen fielen fast ab vor Schmerz und die Knie waren nur noch Butter. Ich konnte mich nur noch durch die Stücke aufrecht halten. Irgendwie ging es doch noch immer weiter – es ist unglaublich, was man alles kann, wenn man muss. Noch einer Unendlichkeit und mit dem letzten Tageslicht erreichten wir das Tal und die Forststraße. Alles war bevölkert von Campern, die sich nach dem Regen wieder aus den Zelten wagten und uns begeistert grüßten. Wir schleppten uns mit letzter Kraft zur Hütte und stellten fest, dass es eher ein Hotel war. Drinnen High Life und die Hiobs-Botschaft, dass sie ausgebucht seien. Am liebsten hätte ich mich vor die Theke geworfen und geheult. Ich hatte keine Lust auf Campen, auf eine harte Matratze und keinen Platz für unsere durchweichte Kleidung. Die Rettung nahte in Form eines jungen Rumänens, der uns zu einem Bekannten begleitete, der sein Haus voller Matratzenlager hatte. Ein Paradies! Wir sauten das ganze Zimmer mit unseren nassen und völlig verschlammten Klamotten ein, bekamen gerade noch so etwas zu essen und fielen todmüde ins Bett. Wir verfluchten unseren Führer, das Gebirge und den ganzen Urlaub. Vielleicht hätte aber auch ein kritischer Blick auf die Landkarte geholfen. Ein bisschen stolz waren wir aber auch. 13 Stunden ohne nennenswerte Pausen sind schon eine ganz nette Leistung. Der Kammweg, von dem alle behaupten, er sei anstrengend, konnte nur noch ein Klacks dagegen sein.



                              Eine nette Schlucht für den Start



                              PET-Flaschen-Sammelstelle



                              Die allgegenwärtigen Camper



                              Kleine gymnastische Übung, bevor es auf den Königstein geht



                              Der Walrücken des Königsteins - da müssen wir drüber



                              Der Blick zurück



                              Die nächsten Gewitterwolken sind im Anmarsch



                              Die andere Seite des Königsteins



                              Scheiß Kraxelei mit Rucksack



                              Das hätten wir schonmal überlebt



                              Zum Glück sind wir da rechtzeitig vor dem Gewitter weggekommen...



                              Der Königstein von hinten



                              Irgendwo war da wohl mal ein Weg

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                              • Schmetterling

                                Erfahren
                                • 18.10.2009
                                • 189
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                                8. Tag Plaul Foii – Rudaritsa (2 Std.)

                                Nichts geht mehr, alles schmerzt. Wir konnten heute unmöglich weiter gehen, zumal die Etappe mit 9 Std. angegeben war und uns der Aufstieg auf den Fogarasch-Kamm bevorstand. Wir schliefen aus, nahmen eine kalte Dusche und frühstückten bis nachmittags. Gestern hatten wir am Feuer vor unserer Unterkunft schon einen urigen Rumänen kennen gelernt, der nach Australien geflohen war. Also inzwischen ein Australier mit rumänischer Abstammung. Er hatte auch vor, über den Fogarasch zu gehen, allerdings erst am nächsten Tag. Er machte ganz den Eindruck eines Profis – wallende Mähne, stechender Blick und ein riesiger Dolch an der Hüfte. Zudem hatte er auch das Hubba Hubba-Zelt, was ihn mir gleich sympathisch machte. Wir hätten uns gerne seiner Erfahrung anvertraut, zumal uns das Fogarasch einen ziemlichen Respekt einflößte. Wir wussten nicht, wie schwierig der Weg werden würde (alle dürftigen Infos sprachen von „sehr anstrengend und schlimm für die Knie“), ob es überhaupt genug Wasser gab (jemand sagte uns, dass alle Quellen nur temporär waren), ob wir es finden würden, usw. Wir hatten uns jedoch entschlossen, heute gegen Abend noch die nächsten zehn Kilometer auf der Forststraße bis nach Rudaritsa - einer Forststation – zu gehen und uns damit den nächsten Tag etwas zu verkürzen.
                                Gut gestärkt und mit den Bestandteilen einer Schlachtplatte, einer zusätzlichen Packung Nüsse sowie einer Flasche Honig – alles Geschenke von unserem Hüttenwirt – zogen wir am späten Nachmittag los. Der Königstein zeigte sich ganz widerwärtig unschuldig im schönsten Sonnenschein. Die Forstraße verlief ziemlich eben immer entlang eines Baches. Ich hasse Forststraßen, mir wird hier nach wenigen Minuten todlangweilig und außerdem war ich doch noch sehr ausgelaugt von gestern. Aber irgendwann hatten wir es geschafft und wir konnten unser Zeltchen im Vorgarten der Forststation aufbauen.
                                Wir hatten uns nach einigen Diskussionen mit dem australischen Rumänen darauf geeinigt, die Lebensmittel trotz der Bärengefahr hier im Wald im Zelt zu lassen. Wir hatten Angst, dass sie uns sonst von den Hirten oder Forstarbeitern geklaut werden würden. Zwei Tage später erfuhren wir, dass während der Nacht wohl tatsächlich ein Bär an der Forststation gesehen wurde…



                                Ruuuuuhetag!



                                Jaja, jetzt tut er so unschuldig...



                                Unser Nachtlager

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                                  Erfahren
                                  • 18.10.2009
                                  • 189
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                                  AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                                  9. Tag Rudaritsa – Berivoiu Mare (6 Std.)

                                  Gegen neun Uhr standen wir ausgeruht und voller Tatendrang auf der Piste. Der erste Abschnitt folgte einem Seitental auf bequemer Forststraße. Aber irgendwann endete die Schonfrist und wir bogen auf das rote Band ein, der Markierung, die uns nun über den gesamten Kamm begleiten sollte. Ein kleiner Trampelpfad – gekennzeichnet durch ein paar uralte und kaum noch lesbare Schilder – bog nach links ab und führte steil nach oben. Mehr oder weniger senkrecht, ohne Serpentinen. Die rumänischen Wanderfreunde sind da weniger zimperlich als wir verweichlichten Mitteleuropäer. Laut Uli „verlangt der Aufstieg von Wanderern mit Gepäck alles ab“. Das hatte uns doch etwas Sorge bereit, aber am Ende war’s gar nicht so schlimm. Immer schön langsam und gleichmäßig ging es durch einen wunderschönen Buchenwald schön schattig nach oben. Bald erreichten wir Nadelwald und einen ersten Seitenkamm, dem wir nach einer kleinen Müsliriegel-Pause immer höher folgten. Es ging zwar die meiste Zeit durch den Wald, die Sonne heizte aber trotzdem schon ziemlich stark. Wir überquerten einige kleinere Gipfel, was jedes Mal wieder einen kleinen Abstieg bedeutete. Schließlich erreichten wir ziemlich durchgeschwitzt die obere Waldgrenze und genossen eine Weile die fantastische Aussicht auf die Welt unter uns. Ein Stück weiter wies uns ein Wegweiser zu einer Quelle. Die erste Quelle des Tages hatte ich leider verpasst, was mir ziemliche Sorge bereitet hatte, da ich nicht sicher war, ob jede Quelle auch Wasser führen würde. Die ausgeschilderte Quelle führte dann zum Glück tatsächlich Wasser (wenn es auch aus einem sehr kleinen Pool quoll) und mit unseren tollen Berghaferln füllten wir unsere Wassersäcke und pumpten auch gleich prophylaktisch unsere Mägen voll.
                                  Weiter ging es immer nach oben über holprige Grasmatten und der Wind wurde nun im offenen Gelände immer stärker. Wir überquerten wieder einige Gipfel mit den bekannten Auf- und Abstiegen und passierten schließlich die 2000m-Grenze. Allmählich türmten sich neben mir die ersten Gewitterwolken auf, was mich sehr beunruhigte. Andreas lies sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und so machten wir erstmal Mittag und trockneten das Zelt. Allerdings wehte ein ziemlich kühler Wind, so dass wir relativ zügig wieder aufbrachen. Und dann rumpelte es auch schon über uns, was mich augenblicklich in Panik versetzte. Andreas konnte mich jedoch überzeugen, noch weiter zu laufen, so dass wir noch einen weiteren kleinen Gipfel überquerten. Oben stand ein Hirte mit seinen Schafen, was mich wieder beruhigte. Schließlich muss der ja wohl wissen, wann es Zeit wird, von hier oben zu verschwinden. Wir überschritten noch einen weiteren Gipfel und stiegen hinab in den nächsten Sattel. Vor uns wartete nun der letzte Anstieg hinauf zum Berivoiu Mare, auf dessen Hochplateau in 2300m Höhe sich ein Refugio des Salavamont befinden sollte: unser heutiges Tagesziel. Doch über dem Berivoiu Mare türmte sich eine drohende, pechschwarze Wand auf. Der Wind wurde noch einmal stärker und auch von Süden wälzten sich nun schwarze Wolkenmassen heran. Wir beschlossen, dass es diesmal wirklich an der Zeit war, Schutz zu suchen, und zwar möglichst schnell. Das ist gar nicht so einfach bei runden Grashügeln mit sanft eingeschnittenen Tälern. Wir verließen augenblicklich den Kammweg und stolperten über die Grashubbel eilig nach unten und machten an der erstbesten Latschenkiefer halt. Der Wald war inzwischen zu weit unten und damit außer Reichweite für uns. Andreas hatte sich zum Glück vorher noch informiert, was man bei Gewitter tun muss. Während die ersten Tropfen vom schwarzen Himmel fielen packten wir zunächst uns und anschließend unsere Rucksäcke wasserdicht ein, duckten uns unter die Äste der Latschenkiefer und machten es uns so gut es ging gemütlich. Vor uns türmte sich das Gewitter mit bedrohlichem Grollen über einer hohen Felswand. Es grummelte und krachte – tiefe mächtige Töne, die bis tief ins Mark gingen. Einige Blitze zuckten auf. Plötzlich zeigte Andreas entsetzt nach unten ins Seitental und wir sahen, dass das Gewitter sich auch aus dieser Richtung heranwälzte. Die Blitze schlugen unterhalb von uns ins Tal ein. Und plötzlich fühlten wir uns neben unserer Latschenkiefer alles andere als sicher. Wir packten ein letztes Mal allen Mut zusammen, nahmen unser Gepäck und stolperten voller Panik noch weiter nach unten, wo wir von oben bereits eine kleine Erdmulde erspäht hatten. Ich warf meinen Rucksack hinein, kauerte mich darauf und stellte beide Füße dicht nebeneinander auf den Boden. Das hatte mir Andreas noch eingeschärft. Kurze Zeit später rollte sich auch Andreas neben mir auf seinem Rucksack zusammen – er hatte noch rasch unsere Trekkingstöcke einige Zehner-Meter weiter bergabwärts deponiert. Kaum saßen wir, brach um uns die Hölle herein. Blitze zuckten, und nahezu zeitgleich krachte ohrenbetäubend der Donner. Panik ergriff mich und ich hielt mir mit aller Macht Augen und Ohren zu und duckte mich auf meinen Rucksack. Ich wollte nicht sehen, wie nahe die Blitze einschlugen. Es dauerte Ewigkeiten und ich war wie erstarrt.
                                  Nach einer halben Stunde (und gefühlten 5 Stunden) war es endlich überstanden und auch der Regen hatte aufgehört. Wir beschlossen, nicht mehr zum Refugio zu laufen, sondern gleich hier unten zu bleiben. Es gab Quellen und einen netten See, wo wir uns waschen konnten. Nach ewiger Sucherei fanden wir denn auch ein ebenes und kaum verschissenes Plätzchen für unser Zelt. Als wir gerade unser Süppchen kochten, sahen wir zwei Gestalten vom Kammweg zu uns herabwanken. Es war unser australischer Freund – völlig am Ende – mit seinem Kumpel. Unter viel Flucherei bauten sie ihr Zelt auf. Sie waren erst gegen Mittag bei Plaul Foii gestartet, hatten keine richtige Pause gemacht, waren vom Gewitter völlig durchnässt und er hatte die Füße voller Blasen. Im Laufe des Abends beschloss er dann leider, dass er am nächsten Tag wieder umkehren würde. Trotz guter Argumentation unsererseits konnten wir ihn nicht umstimmen. Schade, wir hätten ihn gerne an unserer Seite (oder hinter uns als Sicherheit) gewusst. Da er für seine 10-tägige Tour einen beachtlichen Jägermeistervorrat eingepackt hatte (den er nun ja nicht mehr brauchen würde), verlief der weitere Abend dieses Gewitter-Tages im wahrsten Sinne des Wortes noch feucht-fröhlich, bis uns schließlich gegen 9 Uhr abends die unerträglichen Knitzen ins Zelt jagten.
                                  Im Zelt lasen wir noch einmal Andreas’ Gewitterartikel mit Verhaltensregeln und den möglichen Folgen bei einem Blitzschlag durch. Mannomann! Ich hatte jetzt echt Schiss vor mehr solchen Erlebnissen. Gleichzeitig waren wir auch stolz auf uns: 1500 Höhenmeter geschafft, willkommen Fogarasch!



                                  Lecker Frühstück



                                  Fogarasch, wir kommen!



                                  Der Beginn des roten Bandes



                                  Da gehts hoch



                                  An der Waldgrenze



                                  Zelttrockenmaschine



                                  Einer der vielen Schäfer



                                  Gleich kommts Gewitter




                                  ...überstanden...




                                  Irgendwo da unten war unser Schlafplatz...

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                                    #18
                                    AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                                    10. Tag Berivoiu Mare – Zarnei Refugio (ca. 4 Std.)

                                    Da ab Mittags die Gewitterwahrscheinlichkeit steigt, wollten wir nach dem gestrigen Erlebnis heute nur die 4 Stunden bis zum Zarnei-Refugio durchlaufen, das wohl neu und sehr nett sein sollte. Ein zweites Draußen-Erlebnis bei Gewitter würde ich nicht überstehen. Trotzdem kamen wir mal wieder später los als geplant und mussten dann auch noch eine gute halbe Stunde aufsteigen, bis wir wieder unseren Kammweg erreicht hatten. Guter Frühsport. Als wir kurz darauf das Refugio auf dem Hochplateau des Berivoiu Mare entdeckten, waren wir doch froh um unser Erdloch von gestern Nachmittag: Die Hütte war ein altes rostiges Teil, das völlig exponiert auf der weiten Ebene des Plateaus stand. Da hätten wir ja erst recht Todesängste ausgestanden!
                                    Kaum war es 11 Uhr geworden, brauten sich in der Ferne auch schon wieder diverse Gewitterzellen zusammen. Mir war das alles gar nicht geheuer – schließlich gab es ja keine Garantie, dass es bis mittags halten würde. Wir hatten schon vor der Tour gewusst, dass August der denkbar ungünstigste Monat in diesen Bergen ist, da es gerade in den Karpaten zu heftigsten Gewittern und Wetterumschwüngen kommen kann. Wenn man sich die exponierte Lage dieses Gebirgszuges ansieht, versteht man auch warum. Und nachdem wir nun erfahren hatten, wie sich so ein nettes Gewitter anfühlt – und wie schnell es losgehen konnte – wurde uns doch etwas mulmig. Zu unserer Beruhigung sagten wir uns immer wieder, dass wir ja innerhalb eines knappen Tages wieder im Vorland sein könnten.
                                    Wie auch gestern hatten wir heute auf unserem weiteren Weg nach oben einige kleinere Gipfel zu überqueren, wo es absolut keinen Schutz gab. Vor jedem sendeten wir einen kritischen Blick nach oben in den Himmel, bevor wir den Anstieg im Eilschritt (oder was eben mit diesem Gepäck möglich war) in Angriff nahmen. Pause machten wir nur kurz, um uns einen Müsliriegel zwischen die Zähne zu schieben. Das war irgendwie so gar nicht, was ich mir unter Bergwandern vorgestellt hatte. Ich hatte von stundenlangen Mittagspausen geträumt, wo man Ewigkeiten die Ausblicke genießen konnte. Aber das bleib uns wetterbedingt leider auch auf dem Rest der Tour verwehrt. Vor lauter Hast nahmen wir uns kaum Zeit, die tolle Aussicht nach Norden und Süden zu genießen. Der Weg war bis auf die dauernden Auf- und Abstiege nicht schwer zu laufen und so wäre die Strecke ohne das Gewitter im Rücken ein wahrer Genuss gewesen. Am frühen Nachmittag kamen wir denn auch beim Refugio im Zarnei-Sattel an. Es war tatsächlich eine neue, aus Stahl gebaute Biwakschachtel mit zwei großen Pritschen, die zur Not wohl für 10 Leute reichen würden. Sie löste einen traurigen Blechhaufen ab, der einige Meter entfernt stand und wohl früher mal die Bezeichnung Refugio verdient hatte. Das Ding war aber heute ein genauso trauriger Anblick wie der Berg an verrosteten Konservendosen, der sich in Wurfweite der Eingangstür aufgetürmt hatte.
                                    Bisher waren wir noch kaum anderen Wanderern begegnet und auch hier in unserem Edel-Refugio schienen wir die Einzigen zu sein. Wir fragten uns so langsam, ob außer uns denn niemand den Kammweg wandert. Wir richteten uns häuslich ein, machten Tee und setzten uns voller Erwartung vor die Hütte. Tatsächlich hatten sich links und rechts von uns vielversprechende Gewitterzellen gebildet. Wir freuten uns drauf, mal einem Gewitter bei seiner Entstehung zusehen zu können, um dann kurz vor knapp in die sichere Hütte fliehen zu können. Doch es geschah nichts. Wir schliefen eine Runde, aßen noch mal was, suchten eine Quelle, zu der man ein ganzes Stück absteigen musste, trockneten das Zelt, doch es blieb ruhig. Die Wolken wurden immer dicker, ab und zu grummelte es, dann nahmen sie wieder ab. Enttäuscht kochten wir am Abend unseren Reis-Suppen-Pframpf, den wir uns buchstäblich mit letzter Kraft reinwürgen mussten. 200g Reis pro Person sind wohl doch ganz schön viel, wenn man nur einen halben Tag läuft. Kurz vor der Dunkelheit kamen dann doch noch zwei rumänische Pärchen und es wurde recht kuschelig in unserer kleinen Hütte. Leider hatten die Herrschaften keine großen Ambitionen, sich mit uns zu unterhalten. Die ganze Truppe hatte Blasen an den Füssen und v.a. die Mädels hatte es schlimm erwischt, da sie nagelneue Schuhe und völlig offene Fersen hatten. Apropos neue Schuhe: Andreas’ neue Meindls waren übrigens seit unserer krassen Tour über den Königsstein super gut eingelaufen – ganz ohne Blasen. So etwas nennt man wohl zwangseinlaufen…oder deutsche Wertarbeit…oder einfach nur Dusel.
                                    Unser Wanderführer Uli hatte übrigens einst auf dem Zarnei-Sattel das schlimmste Gewitter seines Lebens erlebt: Flammenwände, Sintflut, Weltuntergang. Wir witzelten noch, dass uns heute Nacht vielleicht dasselbe passieren würde…und man sollte immer aufpassen, was man sich wünscht! Da wir morgen, aus Angst vor den nächsten Gewittern, wieder möglichst früh aufbrechen wollten krochen wir bereits gegen neun Uhr in unsere Schlafsäcke und versiegelten die Ohren mit Ohropax. Somit wussten wir nicht, wie lange eigentlich schon der Weltuntergang tobte, als wir gegen Mitternacht aufwachten: die Blitze zuckten mit der Frequenz eines Stroboskops durch das kleine Bullauge des Refugios; Wände und Pritschen der Hütte vibrierten unter den heftigen Seitenwinden, die über den Sattel jagten. Das trotz Ohropax ohrenbetäubende Trommeln des Regens auf dem Dach wurde nur noch vom Krachen des Donners übertroffen. Der Regen wurde immer heftiger und ich verkroch mich in der hintersten Ecke meines Schlafsacks. Ulis Erlebnis war wohl doch kein Einzelfall gewesen... Der Regen wurde heftiger und heftiger und heftiger und schwoll schließlich zu einem lauten Brüllen an, zwischen dem sich immer wieder krachend der Donner entlud. Mich ergriff nun echt die Angst, ich kniff die Augen zu und hielt mir mit beiden Händen und mit aller Macht die Ohren zu. Es half nichts. Draußen ging die Welt unter. Die Blitze kamen dicht hintereinander, eigentlich war es ein einziger Dauerblitz. Es tobte ein Orkan und die ganze Hütte bebte und vibrierte weiterhin bis ins Fundament. Ich war mir sicher, dass wir gleich alle davon fliegen würden. Schreckensstarr lagen wir alle da, es war das Schlimmste, was ich je erlebt hatte. Ich schwor mir, dass ich am nächsten Morgen beim kleinsten Grummeln fluchtartig dieses Gewitter-Gebirge verlassen würde. Ich wollte nicht mehr. Nach einer Ewigkeit wurde es etwas weniger und ich tastete nach Andreas’ Hand.



                                    Eine der wenigen Quellen direkt am Wegesrand




                                    Der Zarnei-Sattel




                                    Das ist wohl das alte Refugio... mit der dazu gehörigen Müllhalde



                                    Das sieht doch schon bedeutend besser aus




                                    Irgendwo hier muss eine Quelle sein...

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                                      • 21.01.2008
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                                      Sehr schöner Bericht und tolle Bilder




                                      Das ist wohl das alte Refugio... mit der dazu gehörigen Müllhalde


                                      Ach Quatsch das is das Zelt von Becks
                                      Les Flics Sont Sympathique

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                                        AW: [RO] Auf rotem Band durch die Karpaten

                                        Sehr interessanter und stimmungsvoller Bericht! In dieser Weltecke war ich auch noch nicht. Klingt aber verlockend!

                                        Danke!
                                        Meer Berge

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