[DE] Keine Winterbesteigung der Zugspitze

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  • Thomasi
    Erfahren
    • 27.04.2009
    • 204
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    • Meine Reisen

    [DE] Keine Winterbesteigung der Zugspitze

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Bayern
    Reisezeit: März
    Region/Kontinent: Mitteleuropa





    Er war groß, größer als ich, strohblond, und er sah aus wie einer,
    den die Mädels gerne als ihren besten Freund präsentieren:
    Nett zum Quatschen, aber sonst läuft gar nichts.

    Natürlich hatte ich ihn schon oft auf dem Campus gesehen,
    sogar im gleichen Seminar saßen wir einmal,
    aber kennen gelernt habe ich ihn erst in der Mensa,
    als wir zufällig hintereinander für Fisch und Kartoffelbrei anstanden.

    Er war Katholik und glaubte, was er sagte und es stellte sich heraus:
    Er war auch ein Outdoorer.
    Sofort verabredeten wir eine Winterbesteigung der Zugspitze.

    Ich lieh mir das Auto von meinem Vater.
    Gut zwei Stunden bis Hammersbach.
    Viel Schnee noch, überall.
    Wir sprachen die ganze Zeit.
    Zuerst über unsere Reisen, dann über Reiseanekdoten, dann über Reisemissgeschicke, dann über alpine Erfolge,
    dann lange über die Frauen
    und dann nur noch über Religion.

    Ich überfiel ihn mit aller Ratio, er konterte in aller Unschuld,
    die nicht einmal aufgesetzt und kokett, sondern einfach nur da war.
    Er war kein Sonntagsbeter und keiner, der je damit Politik betreiben würde.
    Er war, könnte man sagen, ein Ideal-Katholik.

    Ich sagte: Zieh dich nackt aus, ich möchte sehen, wo du deinen Christen verbirgst.
    Er sagte: Es gibt etwas jenseits aller Ratio.
    Ich sagte: Wahrheit kann niemals organisiert werden.
    Er sagte: Wenn du gerufen wirst, folgst du dem Ruf.
    Ich sagte: Feigheit, an Stelle des Zweifels Gewissheit setzen zu wollen, hochmütig und eitel.
    Er sagte: Es ist nicht deine Entscheidung.

    Ich kannte den Weg hinter zum Klammeingang und dann zur Angerhütte praktisch auswendig.
    Jeder Verwandtschaftsbesuch, jede Visite und jeder nördliche Gast wird dort durchgeschleift.
    Ist ja auch eindrucksvoll, enger Fels, dunkle Kavernen, tosende Wasser, patschnass wird man auch und dann eine echte DAV-Hütte.
    Man glaubt nicht, wie viele Leute so etwas noch nicht gesehen haben und von der bloßen Anwesenheit einer Schutzhütte mächtig beeindruckt sind.
    Und dann Bier und Kaiserschmarrn.

    Wir sprachen den ganzen Weg hinter, bis zum Kiosk.
    Über Gott, Stellvertreter, Statthalter vor Ort und den heiligen Geist.
    Über die ganze Sippschaft. Und das kleine Menschlein, das diese Last nicht mehr tragen will.

    Er sagte: Es tut gut.
    Ich sagte: Ich glaube es nicht.




    Dann, das Gatter war offen, wir konnten rein.
    Es ging los. Wir verstummten sofort. Der Berg rief.
    Und diesem Ruf gaben wir beide Gehör.

    Der Weg, Stufen zunächst, anfangs, 10 Meter weit, noch Stiefelspuren, ist schmal
    und war, weil mit Schnee, viel Schnee bedeckt, noch schmäler
    und hörte mit den Spuren irgendwie ganz auf,
    aber da war schon die erste Kaverne und da krochen wir rein.

    Drinnen, eigenartig, rinnt’s von allen Seiten herab.
    Alles trieft.
    Alles nass.
    Aber bis zur Angerhütte, mehr ist heute nicht zu tun, werden wir es schon schaffen und da sehen wir weiter.
    Aber wir schaffen es nicht.

    Im Tunnel ist es stockdunkel, nicht weil der Ausgang um zwei Ecken liegt,
    sondern weil er mit Schnee zugeweht ist.
    Eine Stunde graben wir, dann sind wir draußen.
    Kein Weg zu sehen.
    Eine steile Schneewand nur und linkerhand geht’s gurgelnd in die Tiefe.
    Da unten ist die Klamm.

    Mut, Dummheit, Gottvertrauen, wer will das auseinanderhalten,
    wir queren das Schneefeld, unter uns den Steig vermutend
    und schaufeln uns in den nächsten Tunnel rein.
    Und wieder raus.
    Wieder eine Stunde.
    Man glaubt nicht, wie schwer Schnee sein kann.
    Wie festgepappt.
    Wie Beton.

    Draußen dasselbe Bild. Schnee, kein Weg.
    Nicht mal ein Geländerpfosten, der aus dem Schnee guckt.
    Doch einer, da hinten.
    Immerhin, einer. Da also geht der Weg.
    Wir haben ein Seil dabei.
    Aber wo sichern. Wo zwischensichern.
    Ich ramme den Pickel in den Schnee, lächerlich, kein Halt.
    Wieder rein in den Tunnel, irgendein Drahtseil suchen.
    Wir wickeln das Seil ab, gurten uns an.
    Wie weit bis zum nächsten Tunneleingang?
    30 Meter? Mehr?
    Wenn du nach 15 Metern rutschst, geht’s ungebremst eini in die Klamm.
    Dann hängst unten oder schlagst glei auffi.
    I hau an Picke eine, des hoit scho.
    A, nia!
    Dann kehr ma ummi!
    Na nia!, jetzt san ma schon da!

    Der Gott der Berge schweigt. Kein Zeichen ob Für und Wider.
    Wir beratschlagen.
    Schon spät. Es dämmert.
    Ein lichtes Dunkel senkt sich herab, der Schnee gleißt grau.




    Alles feucht.
    Kalt ist uns auch.
    Wir kehren um.

    Im Auto beschlagen die Scheiben, die ganze Lüftung kommt nicht nach.
    Wir haben zu tun. Wir reden.
    Die Gottesfrage ist noch ungeklärt.
    Ich fahre ihn heim.
    Wir sitzen in seiner Küche, reden bis drei Uhr früh.
    Dann bringe ich das Auto zurück.

    Wir haben nie wieder eine Tour gemacht.
    Zwischen uns gab es nichts mehr zu bereden.

    Später ist er dann aus den Ferien nicht zurückgekommen.
    Wir erfahren: Er ist tot. Er hat sich erhängt.
    Zuletzt geändert von Sandmanfive; 06.11.2011, 22:39. Grund: Reisecharakter eingestellt

  • Flachlandtiroler
    Freak
    Moderator
    Liebt das Forum
    • 14.03.2003
    • 29004
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    AW: Keine Winterbesteigung der Zugspitze



    Ein sehr schöner Nachruf.

    , Martin
    Meine Reisen (Karte)

    Kommentar


    • Andreas L
      Alter Hase
      • 14.07.2006
      • 4351

      • Meine Reisen

      #3
      AW: Keine Winterbesteigung der Zugspitze

      Ja.
      Herbert Achternbusch, Die Atlantikschwimmer:
      "Wir haben keine Chance - aber wir nutzen sie". (Oder auch nicht. Meistens: nicht.)

      Andreas
      "Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will." Jean-Jacques Rousseau

      BTW: "Hit the road, Jack" (Wolfskin)!

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