Kataloge/Die Theorie

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  • Thomasi
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    • 27.04.2009
    • 204
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    Kataloge/Die Theorie

    Ich liebe Kataloge. Sie haben einen Anfang und ein Ende, einen Index,
    reduzieren Komplexität auf das grundlegend einfachste Verfahren:
    auf das Betrachten von Bilderchen und geleiten den Betrachter
    mehr oder weniger geschickt durch die Welt dessen, was er noch nicht hat.
    In den endlosen Weiten einer unbarmherzigen Wildnis
    ist das alljährlich erscheinende Warenverzeichnis zu einer
    Naturkonstante mutiert, einer Art Erbauungsliteratur mit
    allen Tröstungen, die das Hoffen und Erwarten bereitstellt.

    Der Katalog ist 200, 400, ja 700 Seiten dick.
    Weil mit Anfang und Ende, ist er in der Ordnung und birgt keine Untiefen,
    darin man versinkt, weil rubrifiziert und indexiert. Er ist überschaubar,
    ganz ohne GPS. Die Welt darin ist bunt bebildert, sonnig und makellos,
    mit lächelnden jungen Menschen ohne Übergewicht,
    unbedrückt von den Sorgen des Alltags.
    Nichts, das den Kataloggenuß trüben könnte.





    Der Katalog ist der Gegenentwurf zu einem jämmerlichen
    Draußen mit wundgelaufenen Füßen, muffelnden Socken,
    mückenzerstochenen Gesichtern und dem melancholischem Tief,
    das einen bei jeder verregneten Tour, Was soll ich hier draußen überhaupt...., ereilt, ... wo ich doch gemütlich zu Hause auf dem Sofa einen Kaffee schlürfen könnte...?

    In ihm ist kein Nebel, keine Abgründe, die Menschen sind freundlich,
    die Natur bombastisch, die Wildnis menschenleer und das Abenteuer verniedlicht
    und zugleich erhöht, schließlich verkauft man einen Traum,
    den kein Aufwachen trüben soll.

    Der Katalog ist die Idealanmutung der Welt;
    er betäubt durch Vielfalt und bemächtigt den Käufer der erregenden Freude der Wahl;
    wie weiland Paris obliegt es ihm, den goldenen Apfel, sprich seine Moneten,
    der schönsten Ware darzubieten, emporzuheben und zu erniedrigen,
    Hersteller prosperieren oder darben zu lassen.

    Zwar beschleicht einem nach jedem Kauf sogleich die Ernüchterung und die Sorge,
    Produkt B wäre vielleicht doch die bessere Wahl gewesen.
    Denn der Zweifel, der jeder Entscheidung folgt,
    ist immanent und die Kataloganbieter, man darf die Marketingleute nicht unterschätzen, arbeiten daher mit Warengutscheinen, Gratiszugaben
    und der Ehre einer Aufnahme in den Club jener,
    die eines künftig kostenloses Versandes anteilig werden,
    alles, um den Kaufrausch aufrecht zu erhalten und um keinen Bruch entstehen zu lassen,
    der den ‚flow’ unterbricht.
    (Jeder Sportler weiß: Nach dem Sturz sofort weitermachen! Abwarten, nachdenken,
    jede Art von Pause erzeugt Schrecken und du findest nicht mehr zurück....)

    Man blättert im Katalog wie im Katechismus, lässt sich,
    genüßlich im Lehnstuhl sitzend, in ferne Weiten geleiten,
    outdoort bereits vorimaginativ, und entflieht darin seiner Drangsal,
    ohne auch nur einen Wimpernschlag an Bewegung zur Vollendung bringen zu müssen.

    So wie das Automobil den bewegungslos Bewegten ermöglicht und an Aristoteles Definition des Göttlichen als des unbewegten Bewegers erinnert,
    so ist der Katalogleser im Lesen im geistigen Besitz all der Dinge,
    die er an sein Begehren heranführt.

    Der Katalog ist die Idealwelt und es gibt genügend Aspiranten,
    die diese nie verlassen.
    Ihnen genügt es, all das gekaufte Zeug im Keller verstaut zu wissen
    und jederzeit nach Draußen gehen zu können. Ihnen genügt die reine Möglichkeit,
    der bloße Besitz des Konjunktivs,
    wie dem Springer aus Rhodos: Wenn ich möchte, könnte ich schon.

    Kataloge gedeihen, denn sie sind die wahren Schmöker,
    auch und gerade im www.
    Sie verkaufen uns, diesen geknechteten Büromenschen mit ihren
    Vierzigstundenwochen schon längst keine Artikel des alltäglichen Bedarfes mehr,
    eines Alltages, dem man immer unbarmherziger nicht zu entrinnen vermag,
    sondern ein Versprechen auf das ‚Andere’, das sich im Gebrauch der Produkte einstellen wird, wie ein Schlüssel, der eine geheime Tür ins Anderland eröffnet und alles,
    was man tun muß, ist, hindurchzuschreiten. Und vorher kaufen, natürlich.

    Man möchte in seinem Erleben das wiederholen, von dem man glaubt,
    dass andere es schon vorerlebt haben und was einem die Tourismusindustrie und die Katalogproduzenten verkaufen wollen, nämlich vorgefertigte Erlebniskategorien,
    buchbar mit Visa, Paypal und Mastercard.
    Kataloge sind die Fremdenführer hierzu und für jedermann offen.

    Sie sind die Brücke zu einer jedweden Erfahrung.
    Ihren Einladungen nicht zu folgen, heißt darauf zu verzichten,
    über den Warenerwerb, Teil dieser Gemeinschaft zu werden.
    Im Kaufen gelange ich nämlich nicht nur in die Welt da draußen,
    sondern zugleich ins Seiteninnere des Kataloges.
    Ich bin, schau, das da habe ich auch, drin.
    Rein, raus, das uralte Spiel.
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