[ES] Pyrenäen, nette Episode in einem entlegenen Tal namens Valle Rio Real

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  • Rajiv
    Alter Hase
    • 08.07.2005
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    [ES] Pyrenäen, nette Episode in einem entlegenen Tal namens Valle Rio Real

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Spanien
    Reisezeit: Frühsommer
    Region/Kontinent: Südeuropa

    Weil es im "Wo bin ich?"-Rätsel eine Rolle spielte, habe ich diese kleine Episode nun aufgeschrieben.

    Der Yeti schaukelt uns durch die Pyrenäen und es ist kaum zu fassen, aber just am 22. Juni des Jahres 2007 bewegen wir uns im Valle de Bielsa auf der A-138 nach Norden und, da wir keine Lust auf das überlaufene Valle de Pineta haben, lassen wir Bielsa links liegen. Bielsa ist ein hübscher Ort, aber von Touristen geradezu belagert, was womöglich daran liegt, daß es ein Freitag ist. Wir fahren weiter bis zum kleinen Ort Parzan (ich muß bei Parzan immer an Fußballmanschaften denken, die sich da Partizan Belgrad oder Partisan Prag nennen), dieser gewissermaßen widerstandsfähige Ort bietet neben der für Franzosen besonders lohnenswerten saftspendenden Tränke namens Repsol noch eine Straßenkreuzung. An selbiger biegen wir nach Westen ab und fahren auf einer einigermaßen passablen Schotterstraße aufwärts. Da wir hier zum Wandern sind bietet sich eine Fahrt auf dieser Schotterstraße geradezu an, schließlich ist es der GR 11 der haargenau diese Schotterstraße zu seiner Trasse auserkoren hat. Wanderern sind wir während unserer motorisierten GR 11-Bewältigung bis auf eine Ausnahme nicht begegnet, somit sind wir frohen Mutes, daß uns keine Rache fundamentalistischer Fußgänger respektive Autohasser treffen wird. Auf 1680m Höhe ist südlich der Piste ein sehr großer Parkplatz (Kennern als Borda Brunet bekannt), selbstverständlich kann man hier parken; der Fraktion der tiefergelegten Sportwagen (soweit sie überhaupt bis hierher gekommen ist) wäre es durchaus auch anzuraten; aber da ich offensichtlich die Gene eines umweltzerstörenden Bürgerkäfigtreibers habe oder zumindest zu spüren vermeine, entschließe ich mich gewissermaßen zum 16. Geburtstages (ich weiß, der ist am 25. Juni, aber man wird ein Geschenk doch mal drei Tage vorziehen dürfen) meines treuen Wegbegleiters diese nette Schotterstraße im Valle Rio Real weiter bergwärts zu fahren. Nach ungefähr einem weiteren Kilometer wird mir klar, warum doch manche Leute schon den Parkplatz Borda Brunet nutzen. Es ist schließlich ein kurzer dafür aber steiler Anstieg zu bewältigen, der oben in eine betonierte Furt mündet, welche man mit Vorteil in Schrittgeschwindigkeit passiert, selbstverständlich ist die Piste nicht sonderlich breit und der "Straßengraben" ist geschätzte 200m tief und wirkt nicht übermäßig einladend; ein Bad im Rio Real würde sich vermutlich auf eine andere Art empfehlen. Da der schwierigste Wegabschnitt auf den 50m Länge ja betoniert ist, ist es uns aber möglich doch noch weiter aufwärts in der bequemen Fortbewegungsart zu gelangen. An der Fuente de Petramula (ca. 1920m hoch gelegen) schwenkt die Schotterstraße in einer Kehre wieder nach Osten zurück und führt weiter hinauf zu den ehemaligen Minas de Parzan. Für unsere geplante Tour am nächsten Tag hilft uns der mögliche weitere Anstieg auf der Schotterpiste aber nicht weiter und demzufolge nehmen wir die Einladung des Parkplatzes an der Fuente de Petramula an, schließlich gibt es hier fließend kaltes Wasser.

    Hier sieht man die Schotterstraße ganz gut:


    Ein Bild vom Parkplatz Fuente de Petramula, rechts steht Shuji Nagao, dessen Lucida links parkt:


    Es ist gegen 17.30Uhr oder 18 Uhr und wir sind gerade dabei die Gedanken und die Blicke schweifen zu lassen, als ein weiters Fahrzeug die Schotterstraße hinauf kommt. Nun gut, dann sind wir eben insgesamt drei Autos, es ist ja genug Platz. Ich bin lediglich erstaunt, daß sich jemand antut einen Toyota Previa (hierbei sei auf untenstehende Erklärungen vorab verwiesen) diese Piste hinaufzuquälen, der lange Radstand dürfte das Vorhaben kaum erleichtern, aber typisch englisch. Der Fahrer des Toyota fährt die Scheibe herunter (die britische Autonummer ließ ja schon vermuten,. daß es ein Rechtslenker ist) und begrüßt uns freudestrahlend mit "It's crazy". Diese Äußerung konnte sich nur auf den vorangegangenen Straßenabschnitt beziehen und es ist dem freundlichen Herrn (schwer zu schätzen, ich tippe auf etwas über 50) schwerlich zu widersprechen. Wenn jemand eine Großraumlimousine, mit britischer Zulassung, über solche geschotterten Pyrenäenpisten treibt, dann ist er per sé für mich ein interessanter Gesprächspartner. Anscheinend wirkte ich auf ihn auch nicht extrem unsympathisch, denn wir sind sofort ins Gespräch gekommen. Es stellt sich heraus, daß er Japaner ist und Aquarelle malt. Außerdem hat er vor ungefähr zwei Monaten in England sein Auto aus dem Container (in welchem das Fahrzeug auf dem Seeweg von Japan nach Europa transportiert wurde) geholt und da es in Europa wohl nicht so einfach möglich ist mit einer japanischen Zulassung umherzukurven bekam das Auto kurzerhand ein britisches Kennzeichen. Shuji Nagao, so heißt der Maler, verbringt einen Monat in England und dann einen Monat in Frankreich und danach dann einen Monat in Spanien; anschließend wird das Auto in einem Hafen in Marokko, vermutlich Tanger, wieder in den Container gesteckt und zurück ins Sonnenursprungsland verbracht. Wenn Shuji Nagao während seiner Europareise eine größere Menge Aquarelle fertiggestellt hat, dann schickt er sie per Paket in die Heimat zu seinem Sohn. In Japan kümmern sich zwei Galerien dann um die Aquarelle, der Preis ist übrigens in Japan wesentlich höher als in Europa. Deswegen kann der Maler davon leben, bei europäischen Preisen hingegen wird das Klischee vom bettelarmen Künstlern sehr anschaulich. Auch zum Auto erfahre ich noch einige Details. Es ist kein Toyota Previa und auch kein Estima (wie der Previa in Nippon genannt wird), sondern ein Lucida bzw. Estima Lucida und deswegen ist er 11cm schmaler und 7cm kürzer als ein Previa und mir wird endlich klar, warum der vermeintliche Previa so seltsam aussieht. Außerdem erfahre ich, daß Toyota in Japan wohl fünf verschiedene Vertriebsorganisationen hat und der Schmalspur-Previa von zweien dieser Vertriebe angeboten wird und deswegen gibt es auch zwei Namen (Estima Lucida und Estima Emina, bis auf unwesentliche Details wie unterschiedlichen Kühlergrill identisch) für ein Auto, denn den Statistikern soll es leichtgemacht werden, welcher der beiden Vertriebe besser verkauft. Leider spreche ich kein perfektes Englisch und etliche Vokabeln sind auch in Vergessenheit geraten und einige Details erörtern wir dann nicht mehr. Eindrucksvoll ist hingegen seine Ausrüstung, so hat er im Kofferraum einen sehr großen Gaskocher (ähnlich einem Hordenkocher) mit einer 5kg-Gasflasche. Er läd uns noch zum Essen ein (dadurch kann ich den Kocher im Einsatz erleben) und deswegen kommen wir noch zu einem japanischen Abendessen, es schmeckt vorzüglich und der vermutlich als nicht zu gewöhnlich zu bezeichnende Ort für ein zufälliges Treffen eines japanischen Malers auf dreimonatiger Europa-Arbeitsreise mit einem deutschen Wandererpaar in einem nicht übermäßig bekannten Pyrenäental trägt zur guten Stimmung selbstredend auch noch bei. Zwischendurch hatte aber Shuji Nagao noch einige Dinge zu erledigen und wir nutzten die Zeit der Helligkeit noch für eine kleine abendliche Spazierwanderung hinauf auf der Schotterstraße zu den ehemaligen Minen und laufen dann wieder zurück zur Fuente de Petramula. Aber auch der schönste Abend nähert sich dem Sonnenuntergang und deswegen bauen wir unser Zelt gleich hier auf der Wiese auf und krabbeln in die Schlafsäcke.

    Am nächsten Morgen geht es dann entlang des Barranco deö Clot hinauf zum Collado de las Puertas (2533m), schon auf dem letzten Stück ist sehr viel Altschnee, läßt sich aber dank guter Bergstiefel problemlos bewältigen. Unmittelbar nördlich des Passes sind die malerischen Seen namens Lagos de la Munia bzw. de la Larri. Nach Westen ermöglicht der Einschnitt des Barranco de Fuen Santa einen schönen Blick hinüber zum Monte Perdido (3355m) und auch der Cilindro de Marboré ist wunderschön anzusehen.

    Blick hinüber zu Perdido und Marboré-Zylinder:


    Blick von den Lagos de la Munia o de la Larri hinauf zum La Munia-Gipfel:


    Luftfahrinteressierte werden bei einigen Namen der hier zu bewundernden Bergen stutzen, schließlich hat man Astazou schon mal gehört und auch andere (frühe) Turbomecanamen tauchen auf, Marboré wurde schon genannt. Nach Norden wird der Blick zum Collado de la Munia und zum Gipfel frei. Den Gipfel (3134m) schaffen wir nicht ganz, da hätten wir dann doch etwas mehr von der Gletscherausrüstung in den Rucksack packen müssen und die Risikofreude haben wir heute offensichtlich auch nicht mitgenommen. Also kehren wir dann irgendwann um und steigen wieder ab, dabei treffen wir am Collado de las Puertas wieder Shuji Nagao. Er sitzt an seiner Staffelei und malt, wie man sieht reichen auch Jeans und Mokassins um auf den Paß zu gelangen, dürfte aber bei dem Altschnee sicherlich nicht ganz einfach gewesen sein. Wieder unten angelangt, beschließe ich im Barranco de Petramula (ich weiß nicht wo genau aus dem Barranco de Petramula der Rio Real wird) ein Bad zu nehmen. Wirklich sehr erfrischend, kann man wirklich nicht abstreiten. Da aber die Temperaturen trotz knapp 2000m Seehöhe angenehm warm (ich glaube ich kann mich zu der Äußerung hinreißen lassen, daß es gewissermaßen unangenehm heiß war) waren, war auch die Wassertemperatur auszuhalten. Die Funktionsunterwäsche konnte auch mal wieder gewaschen werden und trocknete sehr zügig. Irgendwann ist unser ganzer Kram zusammengepackt und wir sind abfahrbereit, auch Shuji Nagao ist wieder an seinem Auto angelangt und auch er macht sich fertig zur Abfahrt. Wir fahren talwärts und warten sicherheitshalber am Parkplatz Borda Brunet; als ich sehe, daß er die Schlüsselstelle gemeistert hat bin ich beruhigt. Wir wünschen einander Gute Fahrt, er will nach Süden, wir wollen nach Norden. Sicherheitshalber besuchen auch wir noch die Repsol-Tränke (der Yeti soll keinen Durst erleiden müssen) und fahren anschließend nordwärts. Der Tunnel de Bielsa ist wesentlich angenehmer als der Tunnel von Vielha! Keine Abgase ärgern uns und als wir wieder Tageslicht erblicken sind wir in Frankreich. Der Kimono (und auch der von ihm bemalte Fächer), den Sanne von Shuji Nagao geschenkt bekam, wird uns immer an die Begegnung mit Shuji Nagao erinnern. Leider haben wir es nicht geschafft, daß wir uns 2008 einmal sehen, denn er war ja wieder in Europa, u. a. auch in Frankreich wieder.
    Zuletzt geändert von Sandmanfive; 06.11.2011, 15:58. Grund: Reisecharakter eingestellt
    Ich wünscht' ich wär ein Elefant,
    dann wollt ich jubeln laut,
    mir ist es nicht ums Elfenbein,
    nur um die dicke Haut.
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