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Land: Ukraine
Reisezeit: August 2008
Region/Kontinent: Osteuropa
Украина мы приходим! - Ukraine wir kommen!
Fast 1.800 km von Hamburg über Warschau nach Kiew liegen vor uns - schlappe 26 Stunden Zugfahrt. Mit dem ICE gehts von Hamburg nach Berlin, dort einmal umsteigen nach Berlin Gesundbrunnen wo unser Nachtzug einläuft.
Der Zug steht bereits am Gleis als wir eintreffen. Adrett, blau-weiss uniform gekleidet erwartet uns das Personal von Kurswagen 40. Die in die Jahre gekommenen ukrainischen Wagons lassen bereits erahnen, dass die Zugfahrt anders sein wird als mit dem Regionalzug von Hamburg nach Lüneburg zu fahren. Wir treten ein. Die Liegewagenkabinen sind größenmässig europäischer Standard - winzig klein halt. Gekreuzt mit sowjetischem Chiqué wie Mamorfolien an den Wänden, glänzenden roten Stoffen und orientalischen Teppichen sorgen sie sogleich für ein passendes Ambiente für unsere erste Reise in die große Unbekannte namens Ukraine.
Der Zug rollt an. Es geht los. Mitbewohner unseres 3er Séparée wird Sascha; Ende dreißig, ukrainischer Informatiker aus Berlin. Nach gegenseitiger Vorstellung unserer 24-stündigen Zweck-WG auf Schienen kommen wir mit Sascha schnell ins Gespräch. Zu unserem Vorhaben mit einem Mietwagen von Kiev bis auf die Krim zu fahren wünscht er uns alles Gute - überzeugt scheint er nicht, dass wir dort jemals ankommen. Es gäbe keine Autobahnen, die Strassen bestünden nur aus Schlaglöchern und überhaupt würde es lange Zeit dauern. Sascha erklärt uns kurz die Grundregeln analog der deutschen Straßenverkehrsordnung: Der mit der größeren und protzigeren Karre hat Vorfahrt! Im Prinzip ganz einfach. Mit unserem Daewoo Lanos werden wir wohl niemanden beeindrucken können. Aber das wird schon irgendwie gutgehen. Wir sind optimistisch!
Die Luft im Abteil ist zum schneiden. Kein Luftzug. Klimaanlage? Es gibt im ganzen Waggon zwei Fenster deren oberes Fünftel sich aufkippen lässt. Diese Sauerstofftankstellen werden gerne und häufig aufgesucht. Der lange Gang im Waggon ist schmal. Zwei Zugbegleiterinnen sind für unseren Liegewagen zuständig. Mädchen für alles: Bettzeug austeilen, neues Zuggäste einchecken, Tee oder Kaffee kochen und servieren - einfach alles. Der Service hakt allerdings bei der Ansprache der Zuggäste: Klare Anweisungen in Befehlsform machen hier den Ton. Spricht man kein ukrainisch oder russisch ist man sowieso völlig bekloppt. Mit der Energie unserer Lokomotive stampfen die gutbeleibten Schaffnerinnen durch den Gang, hin und her - Zuggäste hechten in ihre offenen Kabinen um nicht überrollt zu werden. Nur so als Tipp für die ukrainische Staatsbahn: Vielleicht könnte man Personal bei Thai Airways abwerben, dort habe ich nur zierliche gutaussehende Stewardessen gesehen, die könnten sich sicherlich problemlos an den Gästen vorbeischlängeln.
Es wird dunkel draussen. In Frankfurt steigen noch einige wenige Fahrgäste hinzu und der Zug fährt über die Oder nach Polen. Draussen ziehen in der Dunkelheit nur noch vereinzelte Lichter vorrüber. Wir machen es uns in unserer Kabine bequem und fangen an Bier zu trinken. Ich bin schon öfter im Nachtzug gefahren und kann jedem empfehlen mindestens 1-2 Liter Bier zu trinken um wenigsten einige Stunden schlafen zu können. Unglücklicherweise muss ich auch jedesmal mindestens einmal in der Nacht raus und ich bekomme immer die oberste Liege, welche eigentlich nur für geübte Turner reserviert sein sollte. Will sagen: Es geht bestimmt mit Schnaps wesentlich effektiver - nur mag ich keinen.
Sascha erzählt noch ein bisschen über Fussgänger die von aufgebrachten Automobilbesitzern absichtlich überfahren werden; betrunkenen ukrainischen Autofahrer die ganze Kioske samt Kundschaft eleminieren und Selbstjustiz bei Verkehrsunfällen - frohen Mutes über die da kommenden Tage legen wir uns schlafen.
Zollkontrolle in Polen. Das Land ist mittlerweile EU-Außengrenze und nimmt die Grenzkontrollen peinlichst ernst. Unser Zug fährt bald eine Viertelstunde an einer schier endlosen Kolonne wartender LKWs vorbei - die ukrainische Grenze ist nah. Ist schon vom Zugpersonal keine Freundlichkeit zu erwarten, sollte man lieber keine Ansprüche an die Zöllner stellen. Es werden alle Pässe eingesammelt und der Zug fährt ein Stückchen weiter. Aus strategischen Gründen, damit im Kriegsfalle keine fremden Truppen auf russischen Schienen rollen gibt es hier breitere Schienen als in Westeuropa. Ginge man pragmatisch damit um, dann würde man die Fahrgäste bitten in einen anderen Zug umzusteigen. Die ukrainische Lösung ist da etwas komplexer: Der Zug wird in eine Halle gefahren. Eine Schar Arbeiter der Staatsbahn schraubt die Achsen los, hebt den Zug drei Meter mit Seilwinden an um dann breitere Achsen drunterzuschrauben. Klingt einfach - dauert aber anderthalb Stunden. Die Fahrgäste dürfen den Zug in dieser Zeit nicht verlassen. Die Klimaanlage fehlt immer noch und die zwei Fensterspalten bringen nur bei Fahrt Frischluft. Man dünstet vor sich hin und wartet. Die Monteure draussen betreiben Arbeitsteilung. Ein Teil arbeitet, der andere sitzt qualmt trotz Rauchverbot und trinkt Bier, das Ganze im Wechsel. Nach einer gefühlten Ewigkeit rollen wir weiter und bekommen beim nächsten Stop unsere Pässe zurück.
Nach dieser Anstrengung bedienen wir uns des Hygiene-Packs der ukrainischen Staatsbahn und betupfen unsere Gesichter mit Erfrischungstüchern. Erst Stunden späten sollten wir entdecken, dass die beiden identischen Folienverpackungen mit kyrillischen Lettern sich nicht nur in der Farbe unterscheiden. Einer von uns beiden hatte sich sein Gesicht mit Schuhputzpolitur eingecremt. Ukraine wir kommen!
... Fortsetzung folgt.
Reisezeit: August 2008
Region/Kontinent: Osteuropa
Украина мы приходим! - Ukraine wir kommen!
Fast 1.800 km von Hamburg über Warschau nach Kiew liegen vor uns - schlappe 26 Stunden Zugfahrt. Mit dem ICE gehts von Hamburg nach Berlin, dort einmal umsteigen nach Berlin Gesundbrunnen wo unser Nachtzug einläuft.
Der Zug steht bereits am Gleis als wir eintreffen. Adrett, blau-weiss uniform gekleidet erwartet uns das Personal von Kurswagen 40. Die in die Jahre gekommenen ukrainischen Wagons lassen bereits erahnen, dass die Zugfahrt anders sein wird als mit dem Regionalzug von Hamburg nach Lüneburg zu fahren. Wir treten ein. Die Liegewagenkabinen sind größenmässig europäischer Standard - winzig klein halt. Gekreuzt mit sowjetischem Chiqué wie Mamorfolien an den Wänden, glänzenden roten Stoffen und orientalischen Teppichen sorgen sie sogleich für ein passendes Ambiente für unsere erste Reise in die große Unbekannte namens Ukraine.
Der Zug rollt an. Es geht los. Mitbewohner unseres 3er Séparée wird Sascha; Ende dreißig, ukrainischer Informatiker aus Berlin. Nach gegenseitiger Vorstellung unserer 24-stündigen Zweck-WG auf Schienen kommen wir mit Sascha schnell ins Gespräch. Zu unserem Vorhaben mit einem Mietwagen von Kiev bis auf die Krim zu fahren wünscht er uns alles Gute - überzeugt scheint er nicht, dass wir dort jemals ankommen. Es gäbe keine Autobahnen, die Strassen bestünden nur aus Schlaglöchern und überhaupt würde es lange Zeit dauern. Sascha erklärt uns kurz die Grundregeln analog der deutschen Straßenverkehrsordnung: Der mit der größeren und protzigeren Karre hat Vorfahrt! Im Prinzip ganz einfach. Mit unserem Daewoo Lanos werden wir wohl niemanden beeindrucken können. Aber das wird schon irgendwie gutgehen. Wir sind optimistisch!
Die Luft im Abteil ist zum schneiden. Kein Luftzug. Klimaanlage? Es gibt im ganzen Waggon zwei Fenster deren oberes Fünftel sich aufkippen lässt. Diese Sauerstofftankstellen werden gerne und häufig aufgesucht. Der lange Gang im Waggon ist schmal. Zwei Zugbegleiterinnen sind für unseren Liegewagen zuständig. Mädchen für alles: Bettzeug austeilen, neues Zuggäste einchecken, Tee oder Kaffee kochen und servieren - einfach alles. Der Service hakt allerdings bei der Ansprache der Zuggäste: Klare Anweisungen in Befehlsform machen hier den Ton. Spricht man kein ukrainisch oder russisch ist man sowieso völlig bekloppt. Mit der Energie unserer Lokomotive stampfen die gutbeleibten Schaffnerinnen durch den Gang, hin und her - Zuggäste hechten in ihre offenen Kabinen um nicht überrollt zu werden. Nur so als Tipp für die ukrainische Staatsbahn: Vielleicht könnte man Personal bei Thai Airways abwerben, dort habe ich nur zierliche gutaussehende Stewardessen gesehen, die könnten sich sicherlich problemlos an den Gästen vorbeischlängeln.
Es wird dunkel draussen. In Frankfurt steigen noch einige wenige Fahrgäste hinzu und der Zug fährt über die Oder nach Polen. Draussen ziehen in der Dunkelheit nur noch vereinzelte Lichter vorrüber. Wir machen es uns in unserer Kabine bequem und fangen an Bier zu trinken. Ich bin schon öfter im Nachtzug gefahren und kann jedem empfehlen mindestens 1-2 Liter Bier zu trinken um wenigsten einige Stunden schlafen zu können. Unglücklicherweise muss ich auch jedesmal mindestens einmal in der Nacht raus und ich bekomme immer die oberste Liege, welche eigentlich nur für geübte Turner reserviert sein sollte. Will sagen: Es geht bestimmt mit Schnaps wesentlich effektiver - nur mag ich keinen.
Sascha erzählt noch ein bisschen über Fussgänger die von aufgebrachten Automobilbesitzern absichtlich überfahren werden; betrunkenen ukrainischen Autofahrer die ganze Kioske samt Kundschaft eleminieren und Selbstjustiz bei Verkehrsunfällen - frohen Mutes über die da kommenden Tage legen wir uns schlafen.
Zollkontrolle in Polen. Das Land ist mittlerweile EU-Außengrenze und nimmt die Grenzkontrollen peinlichst ernst. Unser Zug fährt bald eine Viertelstunde an einer schier endlosen Kolonne wartender LKWs vorbei - die ukrainische Grenze ist nah. Ist schon vom Zugpersonal keine Freundlichkeit zu erwarten, sollte man lieber keine Ansprüche an die Zöllner stellen. Es werden alle Pässe eingesammelt und der Zug fährt ein Stückchen weiter. Aus strategischen Gründen, damit im Kriegsfalle keine fremden Truppen auf russischen Schienen rollen gibt es hier breitere Schienen als in Westeuropa. Ginge man pragmatisch damit um, dann würde man die Fahrgäste bitten in einen anderen Zug umzusteigen. Die ukrainische Lösung ist da etwas komplexer: Der Zug wird in eine Halle gefahren. Eine Schar Arbeiter der Staatsbahn schraubt die Achsen los, hebt den Zug drei Meter mit Seilwinden an um dann breitere Achsen drunterzuschrauben. Klingt einfach - dauert aber anderthalb Stunden. Die Fahrgäste dürfen den Zug in dieser Zeit nicht verlassen. Die Klimaanlage fehlt immer noch und die zwei Fensterspalten bringen nur bei Fahrt Frischluft. Man dünstet vor sich hin und wartet. Die Monteure draussen betreiben Arbeitsteilung. Ein Teil arbeitet, der andere sitzt qualmt trotz Rauchverbot und trinkt Bier, das Ganze im Wechsel. Nach einer gefühlten Ewigkeit rollen wir weiter und bekommen beim nächsten Stop unsere Pässe zurück.
Nach dieser Anstrengung bedienen wir uns des Hygiene-Packs der ukrainischen Staatsbahn und betupfen unsere Gesichter mit Erfrischungstüchern. Erst Stunden späten sollten wir entdecken, dass die beiden identischen Folienverpackungen mit kyrillischen Lettern sich nicht nur in der Farbe unterscheiden. Einer von uns beiden hatte sich sein Gesicht mit Schuhputzpolitur eingecremt. Ukraine wir kommen!
... Fortsetzung folgt.
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