[DE] Riverboat 2006

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    • Meine Reisen

    [DE] Riverboat 2006

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Deutschland
    Gegend: Weser von Hannoversch Münden bis Drakenburg
    Reisezeit: Hochsommer 2006

    [Ausschnitt aus meinem Tagebuch von damals]






    Meine lieben Schiffskameraden anno 2006, Käpt'n, mein Käpt'n und mein Erster Offizier,

    ich habe mir in einem Anflug von... -- ja, von was eigentlich? Ich war dabei, mein Tagebuch auf einen einigermaßen vollständigen Stand zu bringen, was im Falle der Niederschrift der Episode um unsere Reise etwas ausgeufert ist. Von Detailverliebtheit, also? Jedenfalls: ich habe mir erlaubt, die offiziell verzeichneten Ereignisse unserer gemeinsamen Reise auf dem Weserstrom ein wenig um meine persönlichen Erinnerungen zu ergänzen. In der vagen Hoffnung, daß sie auch Euren, lieber Kai und lieber Kai, von Zeit zu Zeit auf die Sprünge helfen mögen, stelle ich sie hiermit Euch zur Verfügung und stelle sie auch Eurem Urteil und Eurer Kritik: Sollte ich an Stellen die Ereignisse verkehrt oder ungenau wiedergegeben haben, dann, um der Detailversessenheit willen, korrigiert mich bitte.
    Habt viel Spaß beim Schwelgen in und Auffrischen von Erinnerungen an eine spannende Reise mit

    Eurem Maat,
    Rouven





    Samstag, 15. Juli 2006 09:08 - 14:23 - ICE 1752 ab DD Hbf nach Gehrden, um mit Kai und seinem Mitwohni zusammen von dort aus eine Weserkreuzfahrt mit dem Schlauchboot anzutreten.

    Samstag, 15. Juli 2006 15:00 - 20:00 - Kai und Kai haben am Bahnsteig in Brakel auf mich gewartet. Seit ich in Altenbeken aus dem ICE gestiegen bin, wurde die Nervosität größer, je näher ich Brakel kam. Würde ich womöglich Papa oder meinem Stiefmütterchen, die ja hier auf den Bahnsteigen als Schaffnerin arbeitete, begegnen? Eine Begegnung unter diesen Umständen wäre sicherlich keine gute Gelegenheit für eine... - ja, wie soll ich das nennen? Aussöhnung zwischen Tür und Zarge? Das trifft es nicht so richtig. Wie auch immer, ich wollte den beiden lieber nicht über den Weg laufen. Auf dem Altenbekener Bahnhof verzog ich mich in einen Winkel zwischen dem gelbbraunen Sandsteingebäude und dem Gleis, auf dem die Bimmelbahn nach Brakel abfahren würde, so daß ich möglichst viel Bahnsteig einsehen konnte und experimentierte mit meinem bandanamäßigen Schlauchkopftuch an effektivsten Ganzgesichtsvermummungen herum. Bei einer Temperatur jenseits der 30° muß ich - angesichts der Terrorhysterie auf deutschen Bahnhöfen - höchst verdächtig gewirkt haben. Ich muß wohl von Beginn an ziemlich wild ausgesehen haben. Ich hatte mir zuvor einen Bart stehen lassen; hatte mich eine Weile lang nicht mehr rasiert. Nicht einmal an den Kanten. Ich habe es einfach wuchern lassen. Und als ich in Brakel aus dem Zug stieg, hat Kai mich zum ersten Mal mit schwarzem Vollbart gesehen. "Aha", sagte er, "Prochnow". Eine Anspielung auf Prochnows Rolle als Kapitänleutnant in "Das Boot". Darin hat er nach wochenlanger Feindfahrt das Rasieren auch wohl vernachlässigt. Ich nickte. Von Kai Ähnlichkeit mit Prochnow nachgesagt zu bekommen ist das Gegenteil von einem Kompliment. Keine Beleidigung!, das nicht. Aber das Gegenteil von einem Kompliment. Es bedeutet ungefähr: "Du siehst verwegen aus". Es ist nämlich meistens nicht angebracht, verwegen auszusehen, es sei denn, man ist auf wilde Abenteuer aus. Aber das waren wir ja! Deshalb war ich ausnahmsweise zufrieden, auszusehen wie Prochnow, auch, wenn der eigentlich scheiße aussieht. Ich ließ den Bart bis zum Ende der Reise weiterwachsen. Am Ende, da war ich kaum wieder im d.schen Hause angekommen, ich hatte gerade meinen Seesack in die Ecke gestellt, habe ich ihn aber gleich, als sei der Bart Bestandteil des Abenteuers gewesen und gehöre mit dessen Ende einfach weg, abrasiert.
    Nun, jedenfalls bin ich zu Anfang schwarzbärtig in Brakel angekommen, Kai und Kai haben mich am Bahnhof abgeholt und mich direkt nach Gehrden gefahren. Da hat auch Tim schon auf uns gewartet. Wie schön, ihn zu sehen. Wie schade, daß nicht auch er dabei sein wird.



    Nachmittags über der offenen Feuerstelle hinter dem Haus auf dem alten Dreibein gegrillt. Vater D. hat Lammkoteletts besorgt, von denen ich eins probiere und erneut feststelle, daß ich Lamm leider immer noch nicht, und nach dem Weihnachten in England absolut überhaupt nicht mehr, ausstehen kann. Deshalb gebe ich mein angeschnittenes Stück dem Tim und steige auf Schweinebauch um, das mir viel viel lieber ist.
    Zwischendurch zieht immer mal wieder eine Blechbläserkarawane durch Gehrden, der örtliche Schützenverein. Offenbar ist Schützenfest, aber wir, genervt von derartig konservativ-pseudomilitaristischen Aufmärschen, können die zynischen Lästerzungen nicht still halten. Allerdings, die Laune und Vorfreude trüben lassen, wollen wir uns auch nicht. Letztendlich beschließen wir, im Geiste der Phantasie, mit der Kai Zwo, der sich zum Ersten Ofz erklärt hat, das offizielle Fahrtenlogbuch führt, die Blaskapelle als uns zu ehren aufgestellte Abschiedszeremonie mit Pauken und Trompeten zu interpretieren, wie sie den großen Ozeanreisenden vergangener Jahrhunderte zuteil geworden sind. Die Titanic zum Beispiel ist, glaube ich, auch mit Blasmusik in Southampton vom Kai gegangen.



    Dann Das Böötchen herausgeholt, ausgemottet, den Rumpf abgespritzt, unter Tims höchst fachkundiger Anleitung den Motor, einen dreißig oder mehr Jahre alten Tomos-4-PS auspacken, sauber machen und probelaufen lassen und dann unser Gepäck neu sortiert. Wir haben dafür relativ wenig Zeit, haben wir doch schließlich noch einen Programmpunkt auf der Agenda für heute Abend: Ein Theaterstück auf der Bökendorfer Freilichtbühne; ein letzter Kulturhöhepunkt, ehe wir morgen die Zivilisation weitgehend hinter uns lassen und nach draußen in die Natur, ins Outdoor, in die Barbarei aufbrechen.

    Samstag, 15. Juli 2006 20:00 - 23:00 - Theater: "Sommernachtstraum" in Bökendorf. Den Puck spielte ein Mädchen. Noch sehr jung und burschikos. Frech. Ich war ganz verschossen.

    Samstag, 15. Juli 2006 23:00 - 03:00 - Der Abend vor der Abreise. Gefeiert mit frischem Bier aus der Brauerei Rheder, das Vater D. eigentlich für seine Fahrt zu seinen Verwandten im Ruhrgebiet besorgt hat, uns aber dann, eine Kanne nach der anderen, zur Verfügung stellt. Wir sitzen vor dem Haus bei Kerzenlampenlicht, Conny, Tim, Vater D. und wir drei künftigen Möchtegernabenteuerer Kai, Kai und ich.
    Für genau diese gastfreundliche Geselligkeit liebe ich das Elternhaus von Kai und Tim schon seit ewigen Zeiten so sehr.

    Sonntag, 16. Juli 2006 09:00 - 15:00 - Frühstück gibt 's wieder hinterm Haus. Der Tisch ist längst gedeckt und alles wartet nur noch auf mich, der ich mir im Schlafzimmer und unter der Dusche gehörig Zeit gelassen habe. Frischgebrühter Kaffee und knusprige Brötchen mit goldenem Honig. Die Sonne steht schon hoch am Himmel, lieblich umsummen uns Hornissen und der graue d.sche Kater umspielt gar lustig unsere Beine. Wir lassen uns Zeit; es ist denn auch gar nicht so einfach, sich aufzuraffen, um endlich das Gepäck auf ein vernünftiges oder zumindest überhaupt verstaubares Maß zu reduzieren. Vor ein paar Jahren in Kiel hatte mir mal ein Skipper der Volvo Ocean Race Weltumsegelung erzählt: Weil auf deren Regattaboten jedes Gramm mehr ein Gramm zu viel ist, haben diese Extremseebären sogar die Stiele ihrer Zahnbürsten auf eine absolute Mindestlänge gekürzt! Kai meint, er wolle ähnlich radikal ausmisten und gesteht jedem zwei T-Shirts und zwei Unterhosen zu. "Tja, wir werden halt alle stinken", sagt er so einfach. Wenn ich mal großzügig schätze, daß der Großkahn auf dem wir drei ca. sechs Stunden pro Tag zusammenhocken werden drei Quadratmeter Fläche bietet, und also kaum Platz, um voneinander wegzurücken, dann wird mir ganz schwummerig bei dem Gedanken an Kais Unterhose. Übrigens bin ich dafür, zuerst mit dem großen und wirklich unnützen Zeugs anzufangen: Kai und Kai haben uns ja verproviantiert und haben viel Flüssigkeit eingekauft - zwei Kanister Orangeade zum Verdünnen, je fünf Liter; zwei Kanister stilles Wasser, ebenfalls je fünf Liter; eine Dose Weizenbier, ebenfalls fünf Liter. Das ist eindeutig nicht tragbar. Ein Kanister Wasser muß reichen, den kann man ja dann immer wieder mit Leitungswasser auffüllen. Und, ja, das Weizenbier dürft ihr meinetwegen mitnehmen, aber das Orangenzeug bleibt hier. Letztendlich schaffen wir es tatsächlich, ein ausgewogenes Maß zu halten und ich sehe sogar ein, daß ich in den nächsten sechs Tagen wohl kaum überhaupt eine Unterhose brauchen werde, denn ich nehme meine Badehose mit, die ich allabendlich waschen kann, die trocknet ja auch recht schnell. Dasselbe gilt für die Leibchen; drei sehr leichte T-Shirts aus einem Funktionsstoff sind leichter und trocknen schneller als zwei aus Baumwolle, wenn ich davon drei mitnehme, dann bin ich luxuriös ausgestattet. Wegen des zusätzlichen T-Shirts halbiere ich dann auch meinetwegen meine Zahnbürste. Dann noch die Softshell-Jacke und eine lange Hose und wenn ein Sturm aufkommt, mir soll es recht sein.
    Wie auch immer: Wir schaffen es, alles zuerst mal in Claus D.s trabiblauem Kleinstwagen, der immerhin eine Anhängerkupplung hat, und im daranhängenden Einachser zu verstauen. Allerdings passen nun keine Passagiere mehr in den Wagen. Deshalb packen wir noch mal um. Und dann, endlich, kann es losgehen. Claus D. wird uns nach Hannoversch-Münden bringen. Abschied von Tim und Conny, die, weil sie die alte Totenkopfflagge nicht wiederfinden kann, uns als Ersatz einen weißen Büstenhalter mitgibt.
    Wir haben Gehrden gerade verlassen, als irgendjemandem einfällt, daß es noch eine alte Radwanderkarte des Weserradweges im Hause D. gibt und daß uns die möglicherweise helfen könnte, weil wir ja überhaupt keinen Plan von der Gegend haben. Ich habe nämlich, wie ich gestehen muß, zwar die Hausaufgaben gemacht, die Käpt'n Kai mir vor zwei Wochen aufgetragen hat, habe aber die Aufzeichnungen und den Wasserwanderatlas daheim in Dresden vergessen. Also drehen wir noch mal um und packen die Weserradwegkarte ein...

    Sonntag, 16. Juli 2006 15:00 - 19:00 - Hannoversch-Münden - Hemeln:
    Wir sehen uns, zusammen mit Claus D., noch die Hannoversch-Mündener Innenstadt an. Eigentlich waren wir auf der Suche nach einer adäquaten Eisdiele, haben dann aber die Außentische einer bürgerlichen Gaststätte auf dem Marktplatz unter Kastanien und einem Doktor-Eisenbart-Denkmal gefunden, deren Angebotstafel zu einladend war. Nun, wir haben also Riesenbockwürste oder Frikadellen und Kartoffelsalat bestellt, dazu je ein großes Bier.
    Große Erwartungen. Gespannte Euphorie unmittelbar vor Fahrtantritt. Auf ins große Abenteuer. Und zwar lieber mit vollem Bauch.
    Rückkehr aus des Städtchens Zentrum über eine die Fulda überspannende schindeldachgedeckte Holzbrücke - ein erster Blick von oben auf Wehre, Stufen, wilde Wasser und enge Bootsgassen - und an einer Eisbude vorbei, an der wir nicht vorbeigehen können, ohne ein Eis zu essen. Und dann eine geeignete Stelle zum Einsetzen der Boote finden. Gestaltet sich zunächst schwierig. Letztendlich sehen wir vom anderen Ufer die Spitze eines Inselchens, auf dem sich ein Campingplatz breitgemacht hat und über diese Spitze führt ein geteerter Slipweg ins Wasser. Der gehört einem Bootsclub, unabhängig vom Campingplatz, in der Gewalt des Schleusers, der dort auch ein Häuschen stehen hat und für fünf Euro überläßt er - Langfinger. Gauner. Halsabschneider. - uns für eine Weile den Schlüssel zum Bootsclubgelände, so daß wir mit Auto samt Hänger direkt ans Wasser kommen und endlich endlich die Boote aufbauen können.



    Kai Zwo und ich erledigen das zunächst allein, derweil Kai und sein Vater mit dem Auto los sind, um den Tomos aufzutanken. Sie sind gerade zurück, als ich mit dem aufblasbaren Gummikajak, das wir uns als Leichter mitgenommen haben, eine Runde zum Testen auf der Fulda paddele.



    Es ist zwar überraschend kippstabil, aber schwer in der Spur zu halten, kaum zu manövrieren und gegen die Strömung der Fulda nicht anzurudern, es wabbelt und hängt durch, aber um es hinterherzuziehen wird es gehen. Es trägt unglaublich viel und wenn wir die Dollborde hochbinden, wird es auch bei höheren Geschwindigkeiten einigermaßen trocken bleiben, weil es einfach über etwaige Bugwellen rüberwabbeln kann, ohne einzuschlagen oder mit dem Bug Wasser unterzuheben. Unter Kais Anleitung blasen wir dann endlich Das Böötchen auf, das wir zuvor schon auf der Wiese ausgebreitet haben. Es ist viel kleiner als ich dachte. Wir können gerade mal uns selbst, sowie drei Ruder und den Wasserkanister und eine Tüte mit dem Allerwichtigsten, genannt "Die Tasche mit der Technik, die naß werden darf", darinnen übrigens auch das Glas mit dem Instantkaffee, darauf unterbringen, der Rest geht in den Frachter, auf dem ich zu guter Letzt an einer mit Kai Zwos Opinelmesserchen geschnittenen Weidenrute unsere Flagge, ein weißes Symbol des Friedens, hisse.
    Und dann, selbst rudernd, stechen wir in See. Bringen den letzten Stromkilometer der Fulda hinter uns und ich bemerke nicht mal den Zusammenfluß mit der Werra, bemerke also nicht, wann wir denn die Weser erreichen. Dabei hatte ich gehofft, wir würden, bevor wir in die Weser gelangen, den Weserstein mit diesem kitschigen pathetischen Sprüchlein "Wo Fulda sich und Werra küssen..." aufsuchen.



    Statt dieses Stücks Kultur gibt's Natur. Grüne Hügel und graue Reiher rechts und links am Ufer und wir auf dem mächtigen Strom, der, so jung, noch eher mickrig als mächtig ist. Ich binde irgendwann Kai Zwo kurzzeitig einen Großen Bären auf, indem ich ihm auf seine Frage hin die langbeinigen Vögel als Kraniche identifiziere; ein paar Minuten lang fällt er drauf rein; noch später zeige ich ihm den Unterschied zwischen Fisch- und Graureihern, Kranichen würden wir natürlich nicht begegnen.

    Der erste Motorenstart unserer Expedition kostet uns schon einige Anrißversuche und gehörig Kraft, aber irgendwann gibt das Mistding den Widerstand auf uns springt an. Er läuft, wenn auch ein bißchen unrund, was heißt: Er quietscht und eiert. Ich denke noch: Das Quietschen ist nicht gut, hoffentlich frißt sich die Welle nicht fest. Da gibt der Motor mit einem kurzen Stotterer nach einer halben Stunde auf und weigert sich fortan, anzuspringen, wie fest, ruckartig, sanft, kräftig, brutal oder zögerlich wir auch anreißen.



    Mit gedämpfter guter Laune lassen wir uns also durch den späten Nachmittag treiben, geben ab und zu ein paar mehr oder minder kräftige unkoordinierte Ruderschläge ins Wasser, von denen ich kaum glaube, daß sie unsere Treibgeschwindigkeit sonderlich beschleunigen. Wir sind so mit schätzungsweise vier bis fünf Km/h unterwegs, gemessen an einem vergleichenden Blick auf die Armbanduhr kombiniert mit einem auf die alle zweihundert Meter am Ufer aufgestellten Stromkilometertafeln, was übrigens ziemlich genau dem entspricht, was Kai uns aus den Wikipedia-Infos über die durchschnittliche Fließgeschwindigkeit der Oberweser vorhergesagt hat.

    Im goldenen Abendlicht treiben wir schließlich auf den Zeltplatz Hemeln zu und beschließen, diesen anzulaufen, um unser erstes Camp aufzuschlagen.

    Sonntag, 16. Juli 2006 19:00 - 08:00 - Wir wissen aus der Radwanderkarte, daß am rechten Weserufer bei Hemeln ein Zeltplatz ist. Allerdings zeigt uns unsere Karte natürlich nicht, wie der Platz aussieht, so daß wir, naiv wie wir anfangs sind, beim Sichten der ersten Zelte das Ufer ansteuern, das an dieser Stelle steil und felsig und untief ist, so daß wir den Motor aufrichten müssen, um die Schraube aus dem Wasser zu heben, was den Tiefgang verringert. Wir haben wohl befürchtet, daß wir, falls dieses der einzige Zugang vom Wasser aus zum Zeltplatz ist, wir, wenn wir daran vorbei sind, gegen die Strömung mit den Paddeln und ohne Motorkraft kaum je wieder zu dieser Stelle zurückkönnten. Jedenfalls, es gibt in dieser Uferbucht nur einen schmalen Trampelpfad die Böschung hinauf durchs dichte Schilf; wir befinden ihn für geeignet, einen Mann dort an Land bringen zu können, der einen Erkundungsgang macht. Ich halte, hinterntief im Weserwasser - wieso setzt eigentlich die Schraube auf, wo mir das Wasser bis zur Kimme steht? - , die Boote fest, und tu mich damit zugegebenermaßen ungeschickt, derweil Kai Zwo Pionierdienst leistet. Er verschwindet im Schilf und ich versuche die Boote näher ans Ufer zu ziehen, Kai gibt, im Heck von Das Böötchen sitzend, schlaue Ratschläge, er befürchtet wohl, allein davonzudriften, wenn ich loslasse, ich versuche, arschtief im Wasser stehend, unter den Gummischuhen Halt zwischen schlüpfrigen Steinen und Weserschlamm zu finden und die Kähne gerade zu halten und ein Frettchen am oberen Ende eines Besenstiels auf der Nase zu jonglieren. Kai Zwo läßt sich Zeit. Es kommt mir sehr lange vor, ehe er wieder auftaucht, um uns seine Entdeckung mitzuteilen: daß zweihundert Meter weiter stromab ein geteerter Slipweg auf die Wiese hinaufführt.
    Verdammt. Das Ding ist breit wie eine achtspurige Autobahn. Bequemer kann man doch kaum an Land kommen. Warum nicht gleich so. War doch eigentlich logisch, daß ein Wesercampingplatz direkt am Wasser auch Zugang zum Wasser haben würde. Aber wir Naivlinge, ich allen voran, mußten ja die erste Bisamrattenschneise zwischen den Binsen für die Hauptverkehrsanbindung zwischen Zeltplatz und Weser halten. Wie dumm. Ich könnte jetzt eine trockene Hose gebrauchen. Ich glaube, meine nasse Hose macht mich etwas aggressiv.



    Der gemähte Teil der Wiese, direkt am Wasser ist riesengroß und fast leer. Vier oder fünf andere kleine Zelte stehen dort, einer hat einen Kanadier vor dem Vorzelt liegen, einer ist mit dem Auto da. Der gemähte Zeltplatz geht in eine ungemähte Wiese über, die stromauf- und abwärts ohne Ende ist, am anderen Weserufer gehen Wiesen und Weiden sanft in bewaldete Hügel über und diesseits führt ein Radweg (DER Radweg! Mutter aller Radwege in Deutschland!) an der Zeltwiese vorbei, alleeartig von Birken gesäumt, und jenseits des Radwegs sind die Dauercamperfacilities, die Toiletten und Duschräume, der Kiosk, eine kleine Gaststätte und der Platzwart, zu dem wir zu dritt marschieren, um uns anzumelden. Der meint, wir sollen erst mal aufbauen, Platz sei ja genug. Und das machen wir. Wir holen alles aus dem Wasser, legen Das Böötchen auf den Slipweg, bringen den Leichter sogar ganz hinauf, dicht an das Lager. Den kaputten Motor ebenfalls. Dann schlagen wir nebeneinander die Zelte auf, abseits von den anderen Campern, am höchsten Ende des Slipwegs. Die Herren Offiziere Herr Kapitän Kai D. und Erster Offizier Kai Z. teilen sich Kais Kuppeldom, ich mache es mir in den Mannschaftsquartieren, meinem Tunnelzelt, allein bequem. Kai der Zwote hatte mich mit einem offiziellen Logbucheintrag als Maat angeheuert, was ein Rang unter dem eines Bootsmanns, was wiederum der niedrigste Unteroffiziersrang wäre, ist. Dabei hatte ich eigentlich sogar als Navigator mitfahren wollen. Aber was soll 's? Eine Mannschaft kann schließlich nicht nur aus Kapitänen bestehen, stimmt 's? Und während sich die Zwei ihre Offiziersmesse teilen müssen, habe ich die Mannschaftsquartiere für mich, das hat auch was für sich.

    An diesem ersten Abend gehört das frischgemähte Ufer beinahe uns ganz allein. Der Platz ist fast völlig leer und wir haben unser Camp ganz abseits am Rand der Wiese aufgebaut. Es ist sehr heiß und der Himmel völlig wolkenlos. Ich hatte nur das längliche Innenzelt, das aus weißdurchsichtigem grobmaschigem Mosquitogaze besteht, aufgebaut und hatte darauf verzichtet, die dichte, undurchsichtige Überzeltplane oben draufzuziehen, weil ich dachte, daß es so luftiger sein würde und ich obendrein den Blick in den Sternenhimmel genießen könnte. Kai wird mein Innenzelt später "Schneewittchensarg" taufen.

    Aber so weit war's ja nun noch nicht. Zwar ist es an diesem Abend zu spät, den Motor noch zu testen und dafür sind wir alle drei, ich insbesondere, auch schon viel zu fertig, aber zu Bett gehen? Nein! Zuvor war uns allen dreien nach einem Bier, und weil es ja drüben eine zeltplatzeigene Gaststätte gab, haben wir beschlossen, unser mitgebrachtes Weizenbierfässchen noch nicht anzustechen und haben uns statt dessen in den Biergarten begeben. Der Platzwart hat uns dort ein frisches Naturtrübes in Halblitergläsern ausgeschenkt, das nicht schlecht war. Aber angesichts der Müdigkeit haben mich die zwei Gläschen, die ich davon getrunken habe, dann so sehr umgehauen, daß ich von Sternenhimmel nix mitbekommen habe. Auch nicht davon, daß ich wohl noch ein Mettwürstchen verspeist habe, oder davon, daß Kai und K2 noch auf dem Slipweg sitzend den Abend haben ausklingen lassen. Das muß ich alles schon verschlafen haben.

    Montag, 17. Juli 2006 08:30 - 11:30 - Zum Frühstück gibt es heißen Instantkaffee, der ist gut.
    Und danach machen Kai Zwo und ich uns daran, eine alte morsche grob aus ganzen Stämmen und derben Brettern gezimmerte Holzbank, die neben meinem Zelt in den Nesseln steht, und deren Sitzfläche völlig angefressen ist, aufzubocken, so daß uns die Rückenlehne, stabil, hoch genug und senkrecht über dem Boden, als Halteschild und Werkbank für den Motor dienen kann. Mal sehen, ob er, außerhalb des Wassers, ohne Druck auf die Schraube anspringt, und falls ja, wie er sich dann verhält. Wir schrauben also den alten Tomos an der Bank fest, er hält, steht hoch und stabil genug, und nach einigen anstrengenden Anrissen springt er dann auch noch ein Mal an.
    Aber er quietscht, raucht und qualmt und stinkt ganz gewaltig. So kommen wir auf den Gedanken, ihm möglicherweise mehr Öl gönnen zu müssen. Kai Zwo treibt beim Platzwart eine Flasche ganz alten Motorenöls auf, mit dem wir unser selbstgebrautes uraltes Zweitaktgemisch noch etwas verdünn(isier)en, die kostet uns einen Euro, und Kai Zwo wird dafür fortan zum Großen Organisator ernannt. Später sollte uns der letzte Rest dieses Altöls noch im Leichter Ärger machen und uns Andreas Richter für unseren Treibstoff beinahe die Köpfe abreißen. Aber was wußten wir schon über Treibstoffe.

    Montag, 17. Juli 2006 11:30 - 23:00 - Hemeln - Bad Karlshafen:
    Der Erfolgreiche Versuch, den Motor auf dem Trocknen zu starten hat uns wieder ganz zuversichtlich gemacht, um so größer die Enttäuschung als er im Wasser nicht wieder anspringt. Wir finden uns langsam mit der Erkenntnis ab, daß er wohl hinüber und - zumindest von uns - nicht mehr zu retten ist. Nun also müssen wir die kommende Etappe rudernd und treibend zurücklegen. Sagte Käpt'n Kai doch gestern: "Morgen geht es bis Karlshafen, notfalls auch ohne Motor". Hört, hört. Das Rudern und Driften ist natürlich auch nicht ganz unspaßig, aber auf die Dauer einer ganzen Woche... Da werden wir wohl nicht weit kommen, wenn wir uns nicht was einfallen lassen.



    Daß wir kurz nach Mittag dann von zwei Zweierkajaks, bemannt mit offensichtlich aus Bayern stammenden Ehepaaren, eingeholt und in deren ruhigem Vorübersprinten angelabert werden, ruft uns unsere eingeschränkte Manövrierfähigkeit nur um so bitterer zu Bewußtsein. Die Bayern befragen uns nach unserem vollgepackten Leichter, ob wir da auch einen Grill drin hätten, wahrscheinlich Spott, daß wir offensichtlich nicht ganz stilgerecht asketisch unterwegs sind, und ich muß an das Bierfäßchen denken. Ach, was hätte ich jetzt Lust, mich in der Gluthitze döselig zu saufen.



    Gegen 13:30 Uhr haben wir die Nase einigermaßen voll, beschließen einen letzten trockenen Anriß und versuchen ein Anlegemanöver, um den Tomos noch ein Mal aus dem Wasser zu heben für den Startversuch. Eine flache verschotterte Uferstelle, auf der ein vertrockneter krüppliger Baumstamm querliegt erscheint mir besonders geeignet, weil meine Idee ist, das komplette Heck des Böötchens auf dem Stamm aufzubocken, daß es den Motor in die Höhe streckt. Vor dem Erfolg steht bekanntlich aber der Schweiß: Wir haben uns beim Aufs-Ufer-Zupaddeln zwei oder drei Mal um uns selbst gedreht, ehe ich versuchen konnte ins knietiefe Wasser zu steigen, wo ich aber so wenig Halt fand, daß mir selbiges mal wieder bis zur Kimme stand. Warum hat Wasser bloß keine Balken?
    Boot und Stamm sind extrem schwer, so daß es uns einige Kräfte kostet, sie aufeinanderzuwuchten, ehe wir unseren Motorenstart durchführen können. Das alles hätten wir uns übrigens sparen können; der Tomos hat nix mehr gemacht. Nicht eine Zündung.

    Ich nutze die Gelegenheit dieses Landgangs, um zumindest eine neue, stabilere Weidenrute zu schneiden, um auf dem Leichter einen neuen Fahnenmast aufrichten zu können; der alte sah nämlich inzwischen ziemlich mitgenommen aus.



    Wir sind schon lange wieder auf dem Wasser, Luft und Licht flirren ein bißchen, ab und zu brummeln Insekten, aber nie so viele, daß es aufdringlich und nervig würde. Eine sehr große grüne Drachenlibelle setzt sich einige Sekunden lang auf Kais weiße Schiebermütze. Kai Zwo singt uns ein kleines melancholisches Liedchen: "Down the way where the nights are gay and sun shines daily on the mountain top I took a trip on a sailing ship and when I reached Jamaica I made a stop. But I'm sad to say I'm on my way won't be back for many a day. My heart is down, my head is turning around. I had to leave a little girl in Kingston Town..."



    Zwei Mal sind wir inzwischen einer auffällig bunt zusammengewürfelten Familie begegnet, die mit zwei dunkelgrünen Kanadiern unterwegs ist. Auf beiden Bootsrümpfen steht jeweils die Bezeichnung Pelikan und dann irgendeine Nummer. Wir werden sie fortan, immer wenn wir ihnen wieder begegnen, Die Pelikane nennen.

    Kai zwo entdeckt hinter einer hohen Kaimauer etwas abseits vom Ufer Sonnenschirme, bedruckt mit Langnesewerbung, auf einer Terrasse und bringt uns dazu, unter der Mauer zu landen, steigt hinauf und besorgt jedem ein paar Kugeln Eis, was bei dieser Hitze paradiesisch gut tut. Während er noch weg ist, paddeln die Pelikane wieder an uns vorüber. Dieser vielleicht dreizehnjährige Bengel im Stern des einen Kanadiers, mit bronzener Brust und offenen langen schwarzen Haaren, sieht fast aus, als wolle er einmal ein Indianerkrieger werden. Wie ein lederbestrumpfter letzter Mohikaner sieht er aus mit seinem Stechpaddel.



    Die Weser mäandert sich langsam in jenen Teil des Weserberglandes hinein, den ich einigermaßen gut kenne, weil er zum erweiterten Bereich der Landschaft gehört, in der ich aufgewachsen bin. Allerdings gibt’s anscheinend unendlich viele Weserbögen, die alle gleich aussehen, einer nach dem anderen zieht an uns vorbei und hinter jeder Kurve erwarten wir Karlshafen und statt dessen liegt dahinter ein ums andere Mal wieder nur eine Kurve. Als wir hinter jedem weiteren Weserbogen, den wir langsam durchtreiben, den Ortseingang Bad Karlshafens erwarten, immer ungeduldiger werdend, weil wir endlich wieder festen Boden betreten - und vor allem zu Abend essen - wollen, schippern wir irgendwann ganz unvermutet an einer zwei jahrzehntealten Neubausiedlung am äußerst südlichen Rand Karlshafens vorbei, die ich aus anderer Perspektive kenne: Hier hatte irgendwo Sandra S. gewohnt, das anhängliche Mädel, mit dem ich mal eine legendäre Romanze in einer Winternacht auf dem Heuboden einer alten Scheune in Lauenförde hatte. Das war am selben Tag, auf genau der Lauenfördeparty, auf der die Idee mit der Böötchenfahrt auf der Weser überhaupt geboren wurde, vor - wievielen? zwölf? Jahren. Komisch, wie sich manche Kreise schließen...
    Bevor wir schließlich zum Campingplatz kommen, der rechtsseitig, direkt dem Ortskern des Städtchens gegenüber liegt, mit Blick auf die Weserhänge auf denen der Hugenottenturm aus dem Walde ragt, driften wir noch an den Gradierwerken, dem Kurpark, den Badekliniken vorbei, und darüber hinaus auch am Thermalbad, das Kai Zwo den Abend über zum quengeln veranlaßt, er würde gerne im Laufe des nächsten Tages dort schwimmen gehen. Sein Rücken ist hinüber, mehr als meiner, und er ist 's Leid, den ganzen Tag lang auf dem Boot zu sitzen, nicht zuletzt wegen seines dauerfeuchten Hosenbodens. Außerdem macht ihm auch die Hitze zu schaffen. Was ich natürlich verstehen kann. Aber bei dem Sonnenschein in ein Hallenbad, wo wir doch das Wasser ohnehin vor der Nase haben?!
    Der Zeltplatz ist offenbar groß und sehr voll, aber wir gehen nicht gleich bei der erstbesten Gelegenheit an Land, sondern sondieren, am Ufer entlangdriftend, die Lage vom Wasser her. Soviel haben wir gelernt: Irgendwo wird es einen ordentlichen breiten Slipweg geben. Selbst die auf den Strand hochgezogenen Sportboote verlocken uns nicht, sondern wir ziehen an drei Vierteln der kilometerlangen zum Platz gehörenden Uferseite vorbei, ehe wir tatsächlich eine ordentlich betonierte ins Wasser hineinführende Straße entdecken.
    Der Platz ist, wie gesagt, sehr groß, etliche Dauercamper sind da, und solche, die mit Wohnmobilgespannen durchreisen. Es ist nicht einer der beschaulichen Dauercamperplätze, sondern kommerziell und geschäftig und ein bißchen international, das liegt vielleicht an den paar Holländern. Am landseitigen Ende des Platzes steht einer dieser zehn Meter hohen Werbeschildpylone, von überall her, und auch von unserem Landeplatz aus, gut zu sehen, die auf einen Supermarkt und dessen Öffnungszeiten hinweisen; wir haben demnach noch zwanzig Minuten zum Einkaufen, so daß wir das Anlegemanöver schnell hinter uns bringen und den Käpt'n bei den noch halb im Wasser liegenden Booten zur Bewachung zurücklassen; Kai Zwo und ich hetzen in der Zwischenzeit in den Supermarkt, Nackensteaks und Schweinebäuche kaufen. Und natürlich ein paar Flaschen Radeberger. Und Saft.



    Bei Rückkehr sitzt Käpt'n Kai immer noch auf der Gummiwulst des Heck im Wasser, Bug an Land liegenden Böötchens, einen Fuß fest in den Beton gestemmt, daß auch ja keine Welle den Rumpf anheben und ihn davonziehen kann und klammert sich an der gelben Schleppleine fest. Dann in aller Ruhe endlich die Ladung löschen, abpacken, auspacken, die Boote an Land bringen, Zelte aufbauen, Übernachtungsrechte organisieren.



    In direkter Nachbarschaft unseres Lagers stehen die beiden Zelte der Patchworkfamily mit den Pelikankanadiern, denen wir unterwegs zwei Mal begegnet sind. Den beiden Jungs zuzusehen, ist interessant, können sie doch, davon abgesehen, daß sie im selben Alter sind, verschiedener kaum sein. Der eine, der mir vorhin schon als letzter Mohikaner aufgefallen ist, ist (jetzt weiß ich, warum ich dachte, komisch, ich glaube, ich bin dem vor hundert Jahren schon mal begegnet) ein exakt genaues Ebenbild von Atreju in dem uralten, allerersten Unendliche-Geschichte-Film, und der andere erinnert mich ein kleines bißchen an den jüngsten Sohn dieser Familie aus Alf. Ob es Stief- oder Halbbrüder sind, nur Freunde, womöglich oder tatsächlich Kinder eines selben Elternpaares? Mein Gruß irritiert den „Vater“, der gegenfragt, ob wir einander denn kennen würden. Nee, sag’ ich, wir sind einander nur unterwegs schon drei Mal begegnet, seit gestern. Ahh. Na dann…



    Und dann wird gegrillt. Wir haben zwei von diesen Einwegdingern mitgebracht, eine Aluschale mit Holzkohle und einem Blatt Grillanzünder darüber, direkt darauf ein Rost aus Alublech, etwa die Fläche eines Din-A4-Blattes.
    Wir machen es uns im goldenen Sonnenuntergangsgeleucht auf dem Slipper bequem, Käpt'n Kai, Lord der Flammen, heizt den kleinen Grill an. Dank der Feuchtigkeit, die die Holzkohle gezogen hat und dank der Beschaffenheit des chemischen Grillanzünders ist die Rauchentwicklung eine ungeheure. Immerhin treibt der Wind unseren Brodem nicht über den ganzen Platz. Kai sitzt direkt an der Wasserkante, der Wind weht ablandig flußabwärts, aber nichtsdestotrotz sind die ufernah stehenden Wohnwagen in kürzester Zeit hinter einer Wand aus dichtem Rauch verborgen. Im Abendlicht scheint der Qualm auf dem Wasser schwefelgelb zu erglühen.

    Kai versucht den Grill in Schach zu halten und gleichzeitig im batteriebetriebenen Radio HR3 zu finden und hofft mehr oder weniger ernsthaft, da würde passenderweise "Smoke on the Water" laufen. Ich kann dem blechernen Gequäke, das er statt dessen abdudelt, aber nichts abgewinnen. Kai Zwo macht den Abwasch. Und ich? Versuche mit meiner billigen Mistknipse den Qualm, das niedrige Streiflicht und das Wasser möglichst atmosphärisch effektiv im Bild festzuhalten...





    Das Licht schwindet, während das Fleisch gar wird. Während es brutzelt, sitzen wir beisammen, nuckeln an den Bierflaschen, versuchen mit der Taschenlampe markante Ecken am anderen Ufer auszuleuchten und freuen uns aufs Essen. Je Mann drei Bauchlappen und drei Nackensteaks sind da, darüber hinaus haben wir Salate für die nächsten drei Wochen, unter anderem, weil uns die Familie, die den uns zunächst stehenden Wohnwagen bewohnt, den wir folglich wohl auch am stärksten beweihräuchert haben, ihre Reste an Brot, Kräuterbutter und Kartoffelsalat überläßt. Wir sind schon so satt und haben immernoch jede Menge Fleisch übrig, als wir in der Dunkelheit den Slipper einigermaßen aufräumen, die letzte Glut im Weserwasser löschen, was noch ein Mal ein verstärktes Qualmen verursacht, und ich das übriggebliebene Fleisch auf K2s Opinelmesser aufspieße, eine Scheibe über der anderen, es in Papier und in Tüten einwickele, um es für morgen so aufzubewahren. Ich lege es zu unseren anderen Vorräten in den Klappkorb, der aber über Nacht vor den Zelten stehengeblieben ist, was sich am kommenden Morgen als großer Fehler herausstellen sollte.

    Dienstag, 18. Juli 2006 08:00 - 10:00
    Eigentlich hätten wir es wissen müssen: Als wir im vergangenen Sommer bei wm gezeltet und gegrillt hatten, hat uns doch schließlich auch ein größeres Tier die Restetüte aus dem Lager geschleppt, ein paar Meter weiter in der Wiese sich über das Grillfleisch hergemacht.
    Diese Nacht ist es wieder passiert. Irgendwelche Viecher, Ratten, Krähen, Marder, haben unser Bauchfleisch verschleppt, weil ich versäumt habe,
    das Abendessen in der geschlossenen Apsis meines Zeltes zu verstauen, und mit dem Fleisch ist das Messer verschwunden, das darinnen stak. Anders als in England haben die nächtlichen Räuber hier in Karlshafen keine Spuren hinterlassen. Kai Zwo ist, auf der Suche nach seinem Messer, den Campingplatz in größer werdenden Kreisen abgelaufen, hat aber keine
    Fährte, keine Reste, keine zerfetzten Tüten mehr gefunden. Das Opinelmesser ist auch nicht wieder aufgetaucht, was Kai Zwo, glaube ich, sehr schmerzt. Mögen sie sich also daran verschlucken, räudige, hinterhofgezeugte Bastarde von Perserkatzen, haarende welche.
    Mich betrübt mehr der Umstand, daß es nun ein weniger fetthaltiges Frühstück geben muß, wo ich mich doch so auf Gegrilltes zum Kaffee gefreut habe.

    Bei Kaffee und Mettenden diskutieren wir das weitere Vorgehen und währenddessen kommt zum ersten Mal der Name Richter auf. Marine Richter, das sei vor vielen Jahren eine Bootswerkstatt in Herstelle gewesen, und zu den Zeiten, als Kai und Tim das Boot noch ab und zu benutzt haben, vor gut zehn, fünfzehn Jahren, sei das der d.sche Stammsupplier für Schiffsschrauben, Scherstifte, Bootsersatzteile aller Art gewesen. Herstelle, das liegt keine zehn Stromkilometer von hier flußabwärts. Kai Zwo entwirft einen spektakulären Plan: Er will zunächst in Erfahrung bringen, ob es den Marine Richter in Herstelle überhaupt noch gibt. Und dann will er den Motor auf die Schulter nehmen und mit dem Bus nach Herstelle fahren, ihn bei Richters zur Inspektion über Nacht abgeben, hier her zurückfahren, in die Therme gehen, eine weitere Nacht hier auf dem - muß ich 's extra sagen? vergleichsweise blöden - Campingplatz verbringen und morgen früh könnten wir da ja zur Werksatt rudern um den dann hoffentlich wiederhergestellten Tomos abzuholen. Mir kommt das ein bißchen zu aufwendig, zu optimistisch und sensationell vor, und auch Käpt'n Kai läßt sich von K2s Begeisterung nicht so richtig mitreißen. Zum Richter müßten wir natürlich schon, aber doch nicht so umständlich und nicht mit dem Bus.
    Nichts desto weniger eingenommen macht sich K2, der Große Organisator, auf den Weg zur Platzverwaltung und erhält von der Rezeptionistin die Info, ja, den Richter gäbe es noch, der hat auch einen eigenen Steg an der Weser. Und die Öffnungszeiten korrespondierten auch mit einem daraufhin neu errechneten Zeitplan: Wenn wir nach dem Frühstück klar Schiff machten und innerhalb von, sagen wir: anderthalb Stunden klar zum auslaufen wären, dann könnten wir uns nach Herstelle treiben lassen und wären vor der Mittagspause da. Und dann würden wir mal fragen, ob da überhaupt und auf die Schnelle noch was zu machen wäre.

    Die Pelikane brauchen übrigens keine anderthalb Stunden, um alle Mann an Deck zu kommen. Innerhalb kürzester Zeit haben die ihr Lager abgebrochen, verstaut und sind wieder unterwegs. Allerdings haben die ja auch gestern nicht so eine unglaubliche Verwüstung rund um ihr Lager angerichtet und obendrein, so scheint mir, sind die ohnehin mit weniger Gepäck als wir unterwegs...

    Beim Inspizieren der Boote während des Morgenappells wird klar, daß eine Katastrophe dräut und daß Arbeit bevor steht, ehe wir wieder aufs Wasser können. Das Altöl, das Ofz Z. in Hemeln besorgt hat, und das wir über Nacht im Frachter gelassen haben, ist ausgelaufen und hat das Deck eingesaut. Gründliches Deckschrubben tut Not, ehe der Kahn wieder mit Weserwasser in Berührung kommt. Öl abpumpen mit Klopapier, und zwar so gründlich, daß wir keine Ölpest verursachen. Ein Ölteppich auf der Weser, eine Katastrophe vergleichbar nur mit der Exxon-Valdez-Havarie im Prinz William Sund, das hätt' uns gerade noch gefehlt!



    Dienstag, 18. Juli 2006 10:00 – 15:35 - Bad Karlshafen – Herstelle:
    Die Stimmung beim An-Bord-Gehen ist ambivalent, einerseits ist Kai Zwo ein bißchen maulig, weil er wohl ernsthaft erwogen hat, wir könnten in diese Therme gehen, andererseits nährt die Info, es gäbe den Marine Richter keine zehn Kilometer stromab noch und der Laden habe auch einen Steg am Weserufer, unsere Phantasie: Womöglich kann der uns ja wirklich wieder flott machen. Um die Aufbruchstimmung, als wir Karlshafen hinter uns lassen, ins Kleine Weserknie hineinschippern, vollends ins Positive umschlagen zu lassen, schlage ich, noch in Sichtweite von Karlshafen, vor, wir könnten singen, und so stimmen Kai und ich denn das alte Weserlied an, singen es Kai Zwo vor, der es nicht kennt.
    "Wo die Weser einen großen Bogen macht, wo der Kaiser Wilhelm hält die treue Wacht, wo man leert die Halben in zwei Zügen aus, da ist meine Heimat, da bin ich zuhaus, daaaa ist meine Heeeeiiiimat, da bin ich zuhaus... Rammel die Katz, Lied aus, feines Lied..."
    Kai erklärt: In der Jugendheimclique aus der unsere, seine und meine, Freundschaft hervorgegangen ist, gab es früher einen von diesen etwas einfältigen Bauernsöhnen, der auch auf den Schottlandreisen mit dabei war, und der, auch im Fanfarenzug spielend, habe ständig solche Lieder gesungen und ein Mal auch dem Gerd L., unserem Jugendreferenten, nach einer inoffiziellen Schottlandnachfeier vom Marktplatz aus dieses Weserlied als Ständchen zum Fenster hinaufgebracht. Gerd hatte damals am Markt in B. gewohnt. Und er habe das Fenster geöffnet und die Huldigungen zünftigst und mit der würdigen Haltung eines Staatsmannes am Fenster des Präsidentenpalasts entgegengenommen. Und unter anderem sei auch Kai dabeigewesen und habe da mitgeschmettert. So war das damals im Weserbergland...



    Herstelle; Land in Sicht. Von Ortsbeginn an liegen Gartentörchen von Hausgrundstücken zum Weserufer hin. Hinter jedem Gartenzaun wähne ich das Richtersche Haus, so daß wir dicht unter Land nach Herstelle reinfahren, weil ich jedes popelige Vorsicht-bissiger-Hund-Schild lesen will, es könnte sich ja auch um das Firmenschild unserer Werkstatt handeln. Vorbeifahren wär' halt blöd. Ankunft an der Fähre Herstelle-Würgassen. Die liegt mitten im Ort, ein breiter kopfsteingepflasterter Dorfplatz führt bis tief in die Weser hinein: ein Fährslipweg. Eine Fähre für Fußgänger und Radfahrer, hier am Weserradweg lohnt sich das. Gehen wir dort anlanden und fragen wir den Fährmann. Der meint, ja, den Richter gäb 's natürlich noch, da die Straße runter, nein, der hat zwar auch seinen Garten zur Weser hin, aber einen Steg habe der nicht. Na, immerhin. Wir bitten um die Erlaubnis, unsere Boote da auf den Fährslipweg anlegen zu dürfen, wenn wir nicht im Weg seien, der sei ja recht breit. Erlaubnis erteilt!



    To be continued...
    Zuletzt geändert von November; 06.11.2011, 21:53.

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    #2
    AW: [DE] Riverboat 2006

    Den Käpt'n, den ersten Kai, haben wir bei den Booten am Fährslipper zurückgelassen, Kai Zwo und ich sind losgezogen, ungefähr in die Richtung, in die uns der Fährmann geschickt hat, den Laden zu suchen. Abgerissen, verschlissen. Verwegen aussehend, ja, so mit Prochnow-Bart und Kopftuch, ein bißchen unzeitgemäß, den vierzig Jahre alten Zweitakter geschultert, sind wir durch das Dorf geschlendert. So kamen wir in die Werkstatt gestapft.
    Der junge Chef, Andreas Richter, mit bloßem Oberkörper, sehr blaß aber trotzdem sehr rot und vor allem sehr verschwitzt, mit großem Werkzeug über eine einigermaßen große Dieselmaschine gebeugt, die augenscheinlich zu einem einigermaßen großen Lastenkutter gehörte. Außerdem stand dort ein Schnellboot der Wasserschutzpolizei aufgetrailert - mit zwei 50PS-Yamahas. Dagegen nahm sich jedenfalls der Vier-PS-Außenborder, den wir da anschleppten, der vor vierzig Jahren in Jugoslawien gebaut worden ist, ziemlich mickrig aus.
    "Entschuldigung", sagt K2 zum Richter, "wir haben da ein Problem mit unserem Außenborder. Er geht nich' mehr". Und der guckt erst von einem zum anderen und wieder zurück und guckt dann auf unseren Motor und kratzt sich das Hinterteil. Männer wie er haben häufig die Angewohnheit, sich die ölverschmierten Hände an der Gesäßtasche abzuwischen. Ich glaube, er wußte gar nicht so richtig, was er machen sollte. Viel später an dem Nachmittag hat er uns gesagt, daß er solche wie uns noch nie in seinem Laden hatte. Aber das war viel später. Erst haben wir ihm kurz und knapp erzählt, wo wir überhaupt herkommen, also daß wir auf der Weser unterwegs sind und eigentlich gehofft haben, der Motor würde die ganze Fahrt über unser Antrieb sein. Zunächst hat er sich tatsächlich den Motor vorgeknöpft, hat ihn in seine Werkbank eingespannt, versucht, ihn anzureißen, hat hineingeschaut, die Zündkerze, den Vergaser. Hat ein paar Tropfen feuchten Rosts herausgeschüttelt. Und hat dabei die ganze Zeit den Kopf geschüttelt.
    "Du meine Güte", hat er gesagt, "also das sieht ziemlich übel aus. Was habt ihr denn mit dem gemacht? Wie lange ist der denn nun nicht mehr gelaufen?"
    "Gestern lief er für eine halbe Stunde", sag' ich, "Davor? Weiß ich nich' genau. Vielleicht fünfzehn Jahre?!".
    "Das hab' ich mir gedacht. Den Treibstoff habt ihr nicht gewechselt, ne?"
    "Nee. Ich glaub' nich'."
    "Habt ihr den Tank auch da?" Der Tank war noch bei den Booten, ein halbes Dorf weit weg, ich sollte ihn holen. Der Richter hat mir dafür das alte Hollandrad seiner Mutter zur Verfügung gestellt, mit dem ich hinunterfahre zum Böötchen und zu Kai, der Augen macht. In seinem Kopfkino, das war einen Moment lang in seinem Blick zu lesen, sah er uns abwechselnd das an den Gepäckträger vertäute Bootsgespann bis nach Bremen treideln.



    "War nix mehr zu machen, aber ich hab' ihn immerhin noch gegen das Fahrrad eingetauscht", necke ich Kai, ehe ich sehr kurz umreiße, was sich wirklich abgespielt hat. Zehn Minuten später eiere ich also, den Tank in der Hand, mit dem Rad zurück auf die Werkstatteinfahrt. Andreas Richter guckt in den Tank, schnüffelt an unserem Benzin, rümpft die Nase und zerreibt einen Tropfen Treibstoff zwischen den Fingern. Dann schüttelt er wieder den Kopf. Der kleine rotlackierte Stahlblechtank sei von innen ganz verrostet und der Rost sei nun im Benzin und wahrscheinlich überall im Motor.
    "Bevor der gestern den Geist aufgegeben hat, da hat der sicherlich ganz schön gequietscht, ne?"
    "Ja", geben Kai Zwo und ich kleinlaut zu.
    "Und was habt ihr da gemacht? Öl beigemischt?"
    "Naja. Ja. Ganz genau."
    "Mmmhhmm." Sagt Andreas Richter nur und schüttelt fachmännisch aber verständnislos den Kopf. "Habt ihr auf irgendein Mischungsverhältnis geachtet?" fragt er und riecht an der grünlichen rostdurchlaufenen Schmiere, die er aus dem abgebauten Vergaser rausschüttelt.
    "Naja schon. So ungefähr. Nach Augenmaß ."
    "Mmmmhm."
    Und dann hat er uns weggeschickt. Für zwei Stunden. Zuerst mußten wir ihm erklären, daß wir den Motor gerne, wenn überhaupt, am selben Tage, spätestens morgen noch wiederhaben wollten. Wir würden nämlich noch weiter wollen. Er hat sich dann bereit erklärt, seine Mittagspause dranzugeben und uns, wie gesagt, für zwei Stunden weggeschickt. Wir sollten ein Bier trinken gehen, oder zwei. Ihn bloß eine Weile in Ruhe lassen. Das hat er wirklich gesagt. Ich glaube, er wußte selbst nicht, ob er stinkig war, weil seine Pause ins Wasser fiel, oder belustigt, weil er so was blödes noch nicht erlebt hat.

    So sind wir also, der Kai zwo und ich, zu unserem Käpt'n zurückgestapft und haben Bericht erstattet und haben dann beschlossen, der Anweisung vom jungen Richter Folge zu leisten: Geh'n wir ein Bier trinken, oder zwei. Wir haben den Rest vom Gepäck vom Großkahn an Land gebracht und uns auf der Terrasse der gutbürgerlichen Stube gegenüber vom Fähranleger und wenn man die Hälse reckt mit Blick auf die Boote niedergelassen. Mittag. Eine gute Gelegenheit, die Zwangspause zu nutzen, um was zu essen und dann darüber zu diskutieren, was wir machen, wenn. Wenn der Motor nun nicht mehr zu reparieren ist, zum Beispiel. Aber erst mal was essen. Und vorher ein kühles Pils gegen die Hitze und für die Nerven. Und dann Jägerschnitzel, wie passend, denn am Tisch nebenan saßen zunächst ein magerer älterer Westfale mit Gamsbart, sowohl am Kinn, als auch am nicht vorhandenen Hut, und ein Junge, gerade volljährig, wenn überhaupt, dicklich, mit gestreiftem Hemd und Gummistiefeln. Sie unterhielten sich angeregt über Waffen.
    "Von dem Ansitz über dem Magnus sein Feld runter, hab' ich mit der langen Achtachter den Bock jeschossen, den wir Sonntach abjezogn ham. Da hab' ich den Fuchs zu spät jesehn, sonst hätt' ich erst auf den Fuchs jeschossen. Des wär' mir wichtijer jewesen als der Bock. Man muß da ja was jejen machen, muß man ja. Man muß da ma zwischen jehn. Die sind ja sonst ne richtije Plaache, diese Füchse, ne", sagt der alte zum jungen. Jägerlatein. Immer mehr und immer lauter. Von immer größeren Trophäen, immer schwereren Gewehren haben sie geredet. Bis sich noch eine Alte, ein Ehepaar in den Endvierzigern und ein kräftiges junges Dirn dazugesetzt haben. Die Alte habe sich, so wird erzählt, ein paar Tage zuvor das Portemonnaie klauen lassen, "mit allem drin", ohne was davon bemerkt zu haben, und fing an, sehr allgemein über Assoziale und Gesindel herzuschimpfen. Ich konnte mir da ein bißchen Schadenfreude nicht verkneifen. Die einzige Person am Nebentisch, die mir zumindest ein bißchen sympathisch war, das war das Mädchen. Die wäre nämlich beinahe mit einem Trecker umgekippt, so erzählten sie alle einander; sie hing dann an dem schiefhängenden Traktor, der sich immer tiefer in den Graben neigte und piepste ganz leise "Hilfe. Hilfe. Bitte."

    Aber nun zurück zu uns. Was, wenn der Andreas unseren Motor nun nicht mehr flott kriegt? Das wäre sicher nicht das Ende aber immerhin doch eine gewaltige Spaßbremse. Klar, wir könnten dann rumdümpeln, Binsenbummeln so weit wir eben kommen, immerhin ginge es auch so immer ein bißchen voran. Aber mal ehrlich: So richtig spannend wäre es dann nicht mehr. Wir kommen zu dem Schluß: Männer brauchen Motoren, wenn sie unter sich sind. Ohne ist es einfach nicht dasselbe.
    Ich bin jedenfalls nervös und würde diese Mittagspause gerne abkürzen, um zu erfahren wie 's weitergeht. Siebenundneunzig Minuten nachdem wir ihn mit unserem Patienten allein gelassen haben machen wir uns wieder auf den Weg zum Meister in seiner Werkstatt. Immerhin brauchen wir ja auch noch ein paar Minuten für den Marsch dahin. Kai kommt natürlich diesmal mit. Unsere Boote und unser Gepäck vertrauen wir der Vorsehung an, lassen es in Sichtweite des Fährmanns zurück, das wird schon keiner mitnehmen.



    Im Werkstatthof liegt der Tomos auf der Erde. Kein gutes Zeichen. Schließlich meint dann auch der Andreas Richter im Vorübergehen, da sei auf die Schnelle nichts zu machen, der sei ziemlich kaputt und er könne uns nicht helfen. Er habe seine Mittagspause für uns ausfallen lassen, dafür wolle er auch gar nichts haben, aber das sei eben alles und jetzt sollen wir das Ding nehmen und Land gewinnen, er habe nämlich leider zu viel zu tun. So geht er zurück in seine Werkstatt, läßt uns etwas konsterniert dort stehen.
    Wir wechseln Blicke, zucken Schultern, wissen nicht so recht, was jetzt. Weniger was jetzt im Sinne eines langfristigen Plans, als mehr: was machen wir ganz unmittelbar jetzt? Vielleicht können wir ja wenigstens den nun überflüssigen Motor hier zwischenlagern und nach der Reise wieder abholen? Aber traut sich wer, das noch zu fragen nach der Abfuhr?
    Mutter Richter taucht derweil aus dem Hintergrund auf, ist viel freundlicher und fachsimpelt mit Kai kurz über alte Jugoslawische Maschinen, über luftgekühlte Zweitakter, wie unser Tomos einer war, heute gäbe es nur noch wassergekühlte.
    Dort steht ein anderer kleiner Außenborder herum, ein Mercury. Viertakter mit fünf Pferden. Daran klebt ein Angebotsschild, es handele sich um ein Ausstellungsstück und der reduzierte Preis. Der Richter hat normalerweise keine Motoren zum Verkauf herumstehen, sondern verkauft sie nur auf Bestellung; daß der da steht, ist Zufall. Natürlich ist mir der schon viel früher aufgefallen, aber der Preis liegt meiner Meinung nach dermaßen jenseits jeden Budgets und außerdem dachte ich zu dem Zeitpunkt noch, man dürfe ohne Bootsführerschein nur Motoren bis zu einer Leistung von UNTER fünf PS fahren. Aber der Kai wirft ganz begehrliche Blicke da hinüber. Ganz offenbar liebäugelt er ernsthaft mit diesem Motor?! Ich weiß nicht mehr, wer, Mutter Richter oder Kai, zuerst das Gespräch auf den Mercury gebracht hat, aber wenn es Mutter Richter gewesen ist, dann hat sie es sehr geschickt eingefädelt. Und selbst wenn, dann kann sie uns nicht von Anfang an für potentielle Käufer gehalten haben, uns, die wir nach Hippies, Zigeunern und Gelumpe aussahen, aber alles andere als finanzstark genug für so ein großes Spielzeug. Immerhin waren wir ja auch ganz offensichtlich keine regelmäßigen Bootfahrer, so daß sich ein neuer Motor für uns wohl kaum lohnen würde. Oder etwa doch?
    Wenn da ein Köder war, dann hat Kai jedenfalls angebissen, läßt sich die technischen Feinheiten erklären: Nein, keine Scherstifte, Rutschkupplung. Rückwärtsgang. Wassergekühlt, da sind fünf Ventile, so daß er, wenn er mal eine Tüte ansaugt, nicht gleich heiß laufen kann. Da sei der Kontrollstrahl. Natürlich, der Tank ist im Preis dabei.





    Wenn es nicht von Anfang an eines gewesen ist, dann entwickelt es sich spätestens jetzt zum Verkaufsgespräch. Die Fronten sind klar. Komisch: Kai Zwo und ich versuchen nur halbherzig dem Käpt'n Vernunft einzureden. Klar, wir bringen das Argument auf, Kai habe in den letzten zehn Jahren den Tomos nicht ein Mal benutzt, stehe da nicht zu befürchten, daß einen neuen Bootsmotor das gleiche Schicksal ereilen könnte? Daß er nach dieser Reise für alle Ewigkeit im Schuppen verschwindet? Kai argumentiert recht stichhaltig dagegen und wie es aussieht ist er bei Verstand. Er weiß, was er tut.
    Kai ist aufgefallen, daß der neue ein bißchen größer ist als der Tomos, der schon immer zu diesem Boot dazugehört hat. Es stellt sich die Frage, ob das kleine Böötchen das Mehr an Gewicht und Leistung überhaupt trägt. Inzwischen ist Andreas Richter, der in den letzten Minuten aus der Ferne der Werkstatt dem Gespräch beigewohnt hat, wieder dazugekommen. Er meint, das würde sicherlich gehen, aber er könne ja mal gucken; wo das Boot denn sei. Und wenn wir wollen, dann könnten wir auch eine Probefahrt machen. Keine Frage. Natürlich wollen wir. Inzwischen ist auch der alte Herr Richter dazugekommen, diskutiert mit. Wenn es doch ein Schild aus Sperrholz sei, dann sei das auch sicher ein gutes Boot. Das wird sicher halten. Wir sollen doch die Boote einfach herholen. Wir könnten hinterm Haus ans Ufer gehen, das ginge schon. Wir würden das richtersche Gartentor an dem Werbeschild für Bootsmotoren erkennen... Ach? -
    Und so machen wir uns zu dritt auf den Rückweg zum Fährplatz. Immer noch halbherzig diskutierend, daß das doch Wahnsinn sei. Aber der Kai ist überzeugt, daß uns das Schicksal diesen Motor beschert habe, es sei durchaus vernünftig, ihn anzuschaffen. Das sei dann ja auch eine Motivation, die Reise ab und zu zu wiederholen. Außerdem gibt es noch andere schöne Gewässer, die entdeckt und erobert werden wollen, viele davon auch rund um Darmstadt. Und über den Preis sollen wir uns mal keine Gedanken machen... Möge er immer so überzeugt davon sein, wie er es hier in Herstelle war.

    Boote zu Wasser lassen, und uns die paar hundert Meter bis zum Gartentürchen treiben lassen; das Anlegemanöver wird langsam Routine, zumindest umkreiseln wir nicht mehr die eigene Achse, sondern treiben mehr Steuerbord voraus weserab, und hundert Meter vor dem angepeilten Landepunkt versuchen wir mit wilden Ruderschlägen der Strömung landwärts zu entkommen, schieben Zentimeter für Zentimeter den Bug auf die Böschung zu.

    Andreas Richter gibt auf den ersten Blick sein fachmännisches Urteil zum Besten: "Na, das ist ja richtig gut. Keine Frage, das hält". Er ist jetzt ganz begeistert bei der Sache und steigt prompt in die Weser, obwohl er noch Sportschuhe und Hose trägt, stellt sich hinter den Spiegel und drückt und quetscht wild darauf herum. "Das ist zwar schon älter aber das Holz ist ja nicht durchgefault. Das ist noch viel solider als mancher neue Bootsspiegel aus Plastik oder Blech, und das Deck ist ja auch aus Holz und fest mit dem Spiegel verschraubt", sagt er. Und dann woll’n wir mal. Schleppen den neuen Motor zum Garten heraus und bauen ihn an. Andreas Richter muß von irgendwoher ein paar Tropfen Sprit abzweigen, damit wir unsere Probefahrt absolvieren können. Den Leichter lassen wir am Ufer zurück.
    "Maat, walte Deines Amtes", kommandiert Käpt'n Kai. Mir kommt also die große Ehre zu, ihn anzureißen und zu steuern. Ich reiße mit gewohnter Kraft am Anlasser und falle fast hinten rüber aus dem Boot. Der Motor gurgelt zwei Mal, spotzt. Ach, so leicht geht das? Kein Vergleich zu unserem alten Veteranen. Ich ziehe noch mal. Zu langsam diesmal. Beim dritten Zug springt er ohne zu Murren an, ich glaube, ich habe den Dreh raus. Ich bin fast sicher, daß auch Kai ihn notfalls anbekäme. Er schnurrt leise und regelmäßig, verglichen mit unserem Oldtimer. Ich setze mich auf den Navigationsplatz im Heck, das Boot treibt langsam weserab, Kai kuppelt den Vorwärtsgang ein. Ein ganz leichter Ruck geht durch den Rumpf, ich spüre den Vortrieb. Drehe am Gashahn und auf gehts.
    Käpt'n Kai meint, ich solle eine Halse fahren, weil es sinnvoller ist, gegen die Strömung zu fahren, immerhin könne der Motor ja den Geist aufgeben, und dann müßten wir zurücktreiben. Ich glaube zwar nicht, daß dieser neue Motor ausfallen könnte, bin aber natürlich bereit, dem Befehl Folge zu leisten. Ich drossele dazu aber zunächst die Geschwindigkeit fast auf null, weil ich nicht weiß, ob ich es hinbekomme eine enge Kurve in voller Fahrt zu drehen und ich will ja nicht Volldampf voraus aufs Ufer auflaufen, weil ich den Wendekreis zu klein eingeschätzt habe. Ich sollte später lernen, daß die Sorge unberechtigt war, weil man das Boot bei hoher Geschwindigkeit fast auf einer Handfläche wenden kann, je mehr Druck die Schraube aufs Wasser ausübt, desto leichter. Mein Wendekreis fällt groß und langsam aus. Kai meint, ich solle doch Gas geben, was ich denn machte?! Jaja, ich mache ja so gut ich kann. Also Vollgas gegen den Strom. Fühlt sich ganz gut an.
    Aber ich bin wohl nervös. Traue mir noch nicht so richtig den souveränen Umgang mit diesem neuen Ding zu. Beim Anlegen reiße ich auch, statt einfach auszukuppeln, als wir aus der Strömung heraus und auf den Anlegepunkt zusteuern, die Sicherheitsleine, um den Motor abzuschalten, damit die Schraube nicht bei Fahrt in den steinigen Untiefen am Ufer aufsetzt. Immerhin war ich das ja von dem Tomos gewohnt, ihn auszumachen, ehe wir unsere Fahrrinne ins untiefe hinein verließen, der hatte ja nämlich keine Kupplung. Seemännisch waren diese ersten Fahrversuche sicher so ziemlich das schlechteste, was geht, aber das kann nicht unser aller Urteil über den Motor trüben: Er ist spitze.

    Wir bauen ihn gar nicht erst wieder ab; Kai ist ganz wild darauf, ihn zu kaufen und verschwindet zunächst mit Mutter Richter, um das Geschäftliche zu klären: Ob er denn mit Karte zahlen könne, denn so viel Bares trage er selbstverständlich nicht mit sich herum. Nein, ein Kartenlesegerät hätten sie nicht, das bräuchten sie normalerweise auch nicht, aber der Andreas würde sicherlich mit einem von uns zur Bank nach Karlshafen fahren, und wir müßten dann ja sowieso noch zur Tankstelle, das können wir ja dann auf einem Weg erledigen.

    Ich werde von meinen Kameraden zurückgelassen, bekomme von Mutter Richter eine Flasche Mineralwasser, was mich bei der Affenhitze vorm Kollaps bewahrt, und schaue mir die Werkstatt an. Offenbar wird hier gerade ein gewöhnlicher Motor aus einem alten Volvo zu einem Bootsmotor umgebaut?! Andreas Richter setzt die beiden Kais mit ihren nassen Hosenböden - er selbst hat schließlich auch einen - in seinen großen Audi, Kai Zwo nimmt den neuen Tank auf den Schoß. Der ist übrigens aus Plastik; da rostet nix. Und als Viertakter nimmt der natürlich Benzin oder Super, so daß wir keine Mischung mehr anrichten müssen. Ich glaube, besonders viel falsch machen kann man mit dem Motor nicht.

    Nach der Rückkehr ist Andreas ganz aufgekratzt. Er habe unterwegs alles über uns erfahren, sagt er, weiß, daß zwei von uns hier aus der Gegend stammen, einer von uns schon früher vor vielen Jahren wegen des alten Tomosmotors regelmäßiger Kunde von ihm gewesen sei, und er verwechselt mich glatt mit Kai Zwo, denkt nämlich, ich träte nach diesem Urlaub ein Referendariat an. Irgendwie bringt er jedenfalls alles, was die beiden ihm unterwegs erzählt haben mögen, völlig durcheinander. Nee nee, solche wie uns habe er noch nie dagehabt. Überhaupt sei das letzte Mal vor vielen Jahren Laufkundschaft bei ihm gewesen. Sonst habe er nur Stammkunden und Leute, die was bestellen. Er schüttelt ob der Absurdität unseres Auftritts den Kopf. Und Recht hat er ja auch: Ich wüßte auch nicht, was ich davon halten sollte, wenn vor mir solche wie wir auftauchten. Kai klärt noch ein Mal geschäftliches mit Mama Richter, die beiden verschwinden hinter einem Perlenvorhang im Büro. Selbstverständlich können wir auch den alten Motor dalassen und irgendwann abholen, wenn es uns mal paßt. Kai handelt auch gleich einen Termin für die Erstinspektion des Neuen aus und würde dann bei der Gelegenheit auf einem Weg den Alten und die Papiere des Neuen mitnehmen. Kein Problem.

    Und dann machen wir uns in Begleitung der ganzen Familie Richter, die uns am Ufer verabschieden will, auf durch den Garten. Na, unter so vielen so fachkundigen Augen wollen wir uns nicht blamieren, da müssen wir jetzt also einen Glanzstart hinlegen. Kai übernimmt das Ruder, sprich: den neuen Motor.



    Andreas erklärt uns zu guter Letzt noch ein paar Feinheiten im Umgang mit dem Choke, zwei Fehlstartversuche bei gezogenem Choke sind genug, dann Choke für die weiteren Anlaßversuche reindrücken, sonst läuft der Vergaser voll und säuft ab. Okay. Lassen wir uns zwei drei Meter vom Ufer wegdriften, dann lassen wir den Motor schon mal an, ausgekuppelt bis in die Fahrrinne und dann ab die Post. Letztes Gewink vom und zum Ufer und wir sind wieder unterwegs.

    Dienstag, 18. Juli 2006 15:35 - 22:05 – Herstelle – Heinsen:
    Und wie wir unterwegs sind! Einer ersten groben Schätzung zufolge machen wir 12 km/h. Der Leichter kommt fast nicht schnell genug nach. Welch Gejohle und Gefreue. Die Stimmung an Bord ist sehr ausgelassen. Und schon tuckern wir an Lauenförde, an Beverungen vorbei, entlang jenes Stücks Weserradweg, das ich so gut vom Fahrrad aus kenne, unter der alten Eisenbahnbrücke bei Wehrden hindurch, bei Fürstenberg versuche ich überhängend Fotos aus der schäumenden Gischt zu schießen, Godelheim, Nethemündung. Es geht so schnell.







    Als wir auf Höxter zuhalten, zieht ein Schnellboot an uns vorbei und zieht etwas hinter sich her. Da hängt jemand hinten dran. Kein Wasserski; das ist was anderes. Da hängt einer auf einem LKW-Reifen und läßt sich über die Wasseroberfläche gleiten. Immer hin und her auf anderthalb Kilometern zwischen zwei Bojen, die hier eine Strecke begrenzen, auf der solcher Sport erlaubt ist. Das Schnellboot ist bemannt mit fünf oder sechs jungen Männern, um die Bojen herum schwimmen Jungs und Mädels und warten darauf, mit dem Reifen an die Reihe zu kommen. Immer hin und her, immer an uns vorbei, die sind ganz schön schnell, obwohl wir, nach allem, immer noch nicht das Gefühl haben, langsam zu sein. Wir brauchen ungefähr acht Minuten, um beide Bojen zu passieren, währenddessen jagt die Partyclique drei oder vier Mal an uns vorüber. Bei der Gelegenheit kommen wir in den Genuß ihrer Bugwellen, die wir hoppelnd überqueren, wobei wir uns wieder nasse Ärsche holen. Aber lustig ist 's trotzdem.
    Höxter lassen wir am frühen Abend hinter uns, wir können vor Sonnenuntergang noch bis mindestens nach Holzminden kommen, Kai übergibt mir das Ruder. Vor Holzminden passieren wir einen hölzernen Rudervierer, darin sitzen gelangweilt zwei Mädchen und zwei Jungs, die Ruder hochgelegt, und lassen sich treiben. Dem Anschein nach haben die auch die Nase voll vom Paddeln. Sie rufen herüber, und Kai meint, wir könnten sie ja abschleppen. Offenbar fühlen wir uns plötzlich mächtig… stark.



    Na dann, ich drehe bei und halte gegen die Strömung von vorne langsam auf sie zu, damit Ofz Z. das Schlepptau übernehmen kann. Aber der Vierer treibt zu schnell auf, so daß ich das Manöver abbreche, dafür Käpt'n Kais Kritik kassiere und den Vierer umfahre, um mich ihm von der Seite auf Armesweite zu nähern. In diesem Anlauf klappt die Übernahme, wir vertäuen den Ruderer achtern neben dem Leichter und die beiden kommen sich nicht in die Quere; es funktioniert. Die Bootsmannschaft ruft herüber, daß es genügte, wenn wir sie bis kurz vor Holzminden ziehen könnten. Ich gebe Gas. Kai ist begeistert von der Zugkraft unseres neu motorisierten Gespanns, aber mir kommt es vor, als würden wir allmählich langsamer: Oder um die Geschwindigkeit zu halten, muß ich immer mehr Gas geben. Es ist ein unbestimmtes Gefühl, ich kann es nicht objektivieren, weil die Bedingungen nicht konstant sind. Als die Bootsmannschaft losgemacht wird, sind wir natürlich verhältnismäßig schneller, aber sind wir auch mit derselben Leistung unterwegs wie zuvor bei selbem Gas? Ich meine: Nein! Ich gebe inzwischen Vollgas und meine, ich bin nicht wesentlich schneller als zuvor bei halber Kraft.
    Wachwechsel: Mit Kai Zwo am Steuerknüppel laufen wir am Campingplatz in Holzminden ein, gegenüber der Innenstadt, direkt neben dem Freibad, und da ist natürlich was los. Viele Jugendliche, viel Lärm, Feiern, Trubel. Viele Zeugen unseres Anlegemanövers, das uns aber erstaunlich flüssig von der Hand geht. Wir nehmen den Frachter längsseits. Ofz Z. geht drei Strich Backbord und gibt Gas, um den Schwung auszunutzen, die Wasserfläche zwischen Fahrrinne und Ufer zu überwinden, Käpt'n Kai kuppelt aus. Den letzten Meter legen wir mit drei oder vier wohlgesetzten Ruderschlägen zurück und bumsen auf. Der Platz selbst sieht relativ beschaulich aus, allerdings gibt es fast ausschließlich Dauercamper. Und übrigens fällt das ganze Gelände steil zur Weser hin ab, es gibt keine ebene Fläche. Wenn wir hier einen unserer Seesäcke parallel zur Wasserkante ablegen, dann rollt er sicherlich ins Wasser. Alles in allem gefällt uns das sehr wenig. Wir berechnen mal unsere Reichweiten neu, stellen dabei fest, daß wir nun, was die Auswahl der Übernachtungsplätze hier an der Oberweser betrifft, viel flexibler sind. Das wollen wir gleich mal auszutesten versuchen. Immerhin sind 's noch drei Stunden, ehe das Licht schwindet, bis dahin könnten wir Heinsen erreichen. Wir lassen uns also wieder zu Wasser und ich versuche, in Sichtweite der Badeanstalt, den Motor zu starten. Ein Mal, zwei Mal, dann etwas fester. Und sanfter. Nix. Wie jetzt? Das kann doch nicht sein. Resigniert setze ich mich nieder, ratlos sehen wir einander an. Maßlose Enttäuschung wird greifbar. Kai wird ganz bleich. "Oh nee. Das darf jetzt nicht wahr sein, ne?!" höre ich ihn flüstern. Der Choke - vielleicht ist er abgesoffen. Warten wir ein paar Minuten, ehe wir es noch mal versuchen. Indessen schwimmen wir am Freibad vorbei, unter der Brücke zwischen Holzminden und Höxter vorbei und außer Sicht. Dann versucht Kai Zwo sein Glück, auch erfolglos. Der neue Mercury macht es nicht mehr. Dann habe ich mir den allmählichen Leistungseinbruch vorhin doch nicht eingebildet, der Motor ist tatsächlich langsam schwächer geworden. Ob wir ihn mit der Abschleppaktion überlastet haben? Geht das denn? Kai zieht sich in sich selbst zurück, aber man sieht im deutlich an, wie sehr ihm das hier zu schaffen macht. Die Stimmung ist im Keller, uns allen geht das hier sehr nahe. Wir sind schon eine ganze Weile unterwegs, erwägen, paddelnd nach Holzminden umzukehren. Gegen den Strom, das wäre eine Verzweiflungstat. Aber vorher noch ein Versuch, vorher alles mal prüfen: Benzinleitung richtig angeschlossen? Leerlauf, Choke, genug Benzin im Balg? Sind wir vielleicht mit geschlossener Tankbelüftung gefahren? Tankbelüftung?? Die Lüftung! Kai Zwo dreht das Ventil auf und der Tank zieht zischend Luft. Der Unterdruck hat den Tank schon fast nach innen zusammengesogen, der Druckausgleich beult ihn wieder aus. Plopp. Daß wir da nicht gleich drauf gekommen sind. Aufatmen, große Erleichterung. Das wird 's gewesen sein. Nur kann sich keiner erinnern, je das Ventil zugeschraubt zu haben. Das wird wohl im Wagen oder an der Tankstelle passiert sein, ist ja auch völlig richtig. Richtig ist auch, daß wir versäumt haben, vor Fahrtantritt wieder aufzudrehen. Für die Zukunft werden wir das auf die nicht vorhandene Liste der Dinge setzen, die vor dem Ablegen unbedingt zu checken sind. Und jetzt aber: Ein einziger Anriß genügt und der Motor startet. Wegen dieses Lapsus haben wir nun aber schon eine ganze Menge Zeit verloren, es ist halb neun. Wenn wir nun mit 12 km/h weiterkommen, dann sind wir gegen zehn in Heinsen. Deshalb ist es vielleicht schlauer, wenn wir da mal anrufen und abklären, ob wir um die Zeit überhaupt noch einchecken können, oder ob wir uns eventuell auch einfach da aufbauen dürfen und das Check In morgen nachholen können, falls kein Platzwart mehr da sein sollte. Kai Zwo übernimmt das Anfunken. Er sagt, er habe eine nette Platzwartin am Apparat gehabt, die sagte, sie sei noch bis mindestens elf Uhr da, immer mal her mit uns. Wir tauschen untereinander einen unserer einverständigen Blicke, Kai Zwo übernimmt die Ruderwache und los. Heinsen, wir kommen.
    Ein paar Minuten drauf müssen wir wohl noch einen Wachwechsel vollzogen haben, jedenfalls bin ich wieder Rudergänger, als rechter Hand die Domäne Forst auftaucht: Ein verfallener Gutshof, herrlich gelegen in einer pittoresken Landschaft und zu dieser Stunde von einer sehr tiefstehenden riesigen Frühabendsonne warm und weich ausgeleuchtet. Vollendet wird dieses postkartenschöne Bild von drei braunen Rindern, die an der Böschung vor dem Fachwerk stehen, eines davon neigt das Gehörn über die Weser. Da ich die Hände am Ruder habe, übernimmt es Kai, meinen Fotoapparat in Anschlag zu bringen und dieses Bild festhalten zu wollen, allerdings sind wir schon ein paar Meter daran vorbei, als er bereit ist, abzudrücken. Schade.



    Aber wir müssen uns das ja nicht entgehen lassen, wir kommen doch jetzt auch gegen die Strömung an. Ich hole wegen des Leichters weit aus, fahre eine Halse mit großem Radius, stemme die Schraube gegen das Wasser, wühle mich in die Strömung hinein und halte auf die Rinder zu. Kai meint, er hat 's im Kasten und macht bei der Gelegenheit gleich noch ein Bild von mir, wie ich mit gewagtem Manöver und Spaß dabei unser Bootsgespann wieder auf Kurs bringe, wobei ich den Frachter dicht unter Land entlangziehe. Aber es paßt doch alles, kein Grund zur Aufregung.



    Ich bringe Boot und Mannschaft erschöpft, sonnenverbrannt aber sicher vor Sonnenuntergang nach Heinsen. Eine große Trauerweide steht dort am Wasser und läßt ihr Haupt in den Fluß hängen. Ein paar Wohnwagen stehen großzügig verteilt im Hintergrund, aber am Ufer ist nur gemähte Wiese und viel Platz. Ein einziges Zelt steht noch dort, einer dieser großen Dome mit zwei Schlafkammern. Da gefällt es uns. Noch weiter im Hintergrund ist ein kleines Dorf um eine Kirche herumgruppiert, und sonst gibt es nur Hügel, Wälder, Stille. Herrlich.



    Auf dem Kiesstreifen unterhalb der Uferböschung liegen ein paar alte Autoreifen, auf die man die Boote heraufziehen kann, und mit dem Großkahn machen wir es denn auch so: Stellen den Motor in die Höhe, legen den Rumpf auf den Reifen ab und vertäuen das Ganze sicherheitshalber an der Eisenstange, die zu diesem Zweck dort in den Boden gerammt worden ist. Das Wetter ist phantastisch und es ist obendrein so beschaulich, geradezu einsam, daß ich beschließe, ganz nahe an der Uferkante, wieder nur das Innenzelt ohne Zeltplane aufzustellen. Das ist besser, als im Freien zu schlafen.
    Ein Mal habe ich mit Tim bei Dieppe in der Normandie ganz oben auf der atlantischen Steilküste gezeltet, wir hatten damals ein sehr einfaches Militärzelt, das zwar oben und zu allen Seiten dicht geschlossen ist, das aber keinen Zeltboden hat, man schläft unmittelbar auf der Wiese. Wir hatten uns seinerzeit Schafspelze und Isomatten untergelegt und meinten, was größer als eine Haselmaus sei, könne nicht zwischen Zeltwänden und Wiesenboden hindurch zu uns hereinschlüpfen. Als ich aber am nächsten Morgen den Reißverschluß des Eingangs aufzog, da lag vor dem Zelt zusammengerollt eine sehr große Kreuzotter, die wohl durchaus in der Lage gewesen wäre, zu uns in die warmen Mummeltüten zu kriechen...
    In meinem Innenzelt kann ich nun, wenn ich die Zeltplane weglasse, das Gefühl genießen, unter freiem Himmel zu schlafen, ohne daß Getier an mich herankäme, das größer als eine sehr kleine Mücke und kleiner als ein böser Wolf ist. Als ich mich später schlafen legte, schaute Kai von oben herein, das war dann der Moment, von dem an mein Zelt "Schneewittchensarg" getauft wurde.



    Ich hab Smutjewache: Nach dem Zeltaufbau hab' ich die Kombüse übernommen, hab' Mettwürstchen kleingeschnitten und im Topf angebraten, dann eine von den Dosensuppen, Serbische Bohnensuppe, damit aufgekocht. Kai Zwo hat in der Zwischenzeit das Gepäck, das wir nicht so regelmäßig benutzen, kontrolliert, und dabei festgestellt, daß in der "Tüte mit der Technik, die naß werden darf," das Kaffeeglas aufgegangen ist. Ein Teil des löslichen Granulats hat sich über die Technik verteilt, ist feucht geworden und hat infolgedessen alles eingesaut. Alles ist mit einer sirupartig schwarzbraunen Masse verklebt. Von nun an wird die Tüte "Tüte mit der Technik, die naß werden und nach Kaffee stinken darf" heißen. Glücklicherweise ist der größte Teil des Kaffees gerettet worden, was heißt, er ist zumindest nicht ungenießbarer als er es eh schon gewesen ist.

    Und nach dem Essen sitzen wir beisammen im letzten Licht des Abends, rekapitulieren diesen irren Tag, als Kai Zwo mit einer Überraschung für den Käpt'n herausrückt: Er hat der Zeltplatzwirtin, eine - ihre allerletzte - Flasche Sekt abgeschwatzt und obendrein drei Sektgläser, um mit Sti(e)l auf Kais neuen Bootsmotor anzustoßen. Kai will ihn Freddy nennen und als er mir diesen Namensvorschlag unterbreitet, bin ich begeistert; das ist ein guter Name für einen, der hinten Mercury heißt. So hat er denn auf dem Weg hierher seine Feuertaufe und, mit dieser Flasche Sekt, die wir uns auf sein Wohl auf die Lampe gießen, seine regelrechte Schiffstaufe empfangen. Möge er uns immer weiter tragen! Prost.
    Ich sagte ja schon, Kai habe die Tatsache, daß zufällig genau dieser Motor dort bei Richters herumstand, als irgendwie schicksalhaft wahrgenommen. Nicht, daß er es so formuliert hätte. Aber hier in Heinsen, nach Sonnenuntergang und mit blubbernden Bläschen im Glas, sagte er: "Man weiß zwar nie vorher, was passieren wird, aber hinterher weiß man immer, daß man genau damit gerechnet hat".

    Mittwoch, 19. Juli 2006 08:00 - 23:00 - Dieser nächste Tag ist ein heißer Tag. Schon morgens ganz früh brät mir die Sonne auf die Nase. Trotzdem bin ich froh, nicht die Zeltplane aufgezogen zu haben, anderenfalls läge ich jetzt zwar schattig, aber in einem Backofen. Die anderen beiden hat 's schon kurz nach Sonnenaufgang aus ihrem Zelt vertrieben, sie haben es in der darin stehenden brüllendheißen Luft nicht mehr ausgehalten. Jetzt sitzen sie vor dem Zelt, Kai kocht Kaffee, also will ich mich mal dazugesellen. Das Kaffeewasser hat er im selben Topf aufgebrüht, in dem ich gestern die Bohnensuppe gekocht habe. Freilich hat er ihn vorher ausgespült, aber er muß wohl eine Bohne übersehen haben, die da noch am Rand klebt, so daß Kai Zwo kichernd verkündet, es gäbe heute endlich echten Bohnenkaffee…
    Wir hatten gestern schon mal kurz beratschlagt, heute möglicherweise einen Ruhetag einlegen zu wollen. Die Erwägung stand noch im Zusammenhang mit einer anderen Geschichte: Nadja hatte mal gesagt, sie würde uns, wenn es sich einrichten läßt, gerne unterwegs treffen, da sie hier in der Nähe wohnt, und um die Chancen zu erhöhen, meinten wir, wir können ja einen Tag länger bleiben. Nun hat Nadja leider doch keine Zeit. Trotzdem ist die Idee mit der Pause damit nicht ganz gestorben und angesichts der Tatsache, daß wir uns gestern schon ganz schön haben schmoren lassen, meine Ohrläppchen und -ränder sind ziemlich verbrannt, lebt sie mehr und mehr wieder auf. Dieser Campingplatz scheint uns auch mehr als geeignet zu sein. So wird denn heute beim Frühstück, einverständig so getan, als sei es längst beschlossen gewesen. Wir bleiben also noch.





    Fläzen uns mit unseren Büchern in die Sonne, recken die Knochen.
    Kai Zwo sitzt eine Weile unten am Wasser und ist ganz fasziniert von den kleinen Stichlingen und Elritzen, die zwischen den Steinen flitzen. Mir ist nach einem Spaziergang, ich marschiere in den Ort hinein, da gibt es die Kirche und davor einen grünen Dorfplatz, umstanden von alten Fachwerkbauernhäusern. Einige haben Schützenfesttafeln an den schönen alten Fassaden kleben. Eines der Häuser ganz in der Mitte hat derer drei, von denen zwei besagen, daß die Hausherrin Anfang der Neunziger irgendwann Jugendschützenkönigin, zwölf oder dreizehn Jahre später dann echte Königin war. Das dritte bezieht sich auf ihren Gatten, den Herrn König.

    Sehenswert auf der Dorfwiese ist der lange schmale Rumpf eines Flußkahns aus Holz. Dies sei der letzte Kahn seiner Art, der in dieser traditionellen Bauweise im Dorfe gefertigt worden sei und er sei noch bis 1998 im Einsatz gewesen. Früher haben alle Bauern im Dorf solche Boote gehabt, um die Herden auf ihren Besitzungen am rechten Flußufer zu erreichen. Auf ein solches Boot paßte ein Schäfer mit seiner zwanzigköpfigen Herde und das Boot sei im Stande, dieses Gewicht zu tragen.
    Heute gibt es eine kleine Motorfähre aus Stahlblech, deren Rumpf eine diesem hier auffällig ähnliche Form hat.
    Ich bin gerade am Weserufer entlang wieder auf dem Rückweg zu den Anderen, als die Pelikane an mir vorbeipaddeln, allerdings sehen oder erkennen sie mich nicht. Später sollten wir erfahren, daß sie die vergangene Nacht in Höxter verbracht haben. Die nächste, die wir ja noch hier verbringen, würden sie in Bodenwerder sein.

    Vom kleinen Fähranleger innerorts konnte man flußabwärts bis weit über Polle, das nächstgelegene stille Örtchen, hinausgucken, Polle schien gar nicht so weit weg zu sein. Kai Zwo erzählt mir auf unserem gemeinsamen Weg ins Dorf hinein von seinem frühen Besuch bei der Platzwirtin, die ihm ihr Fahrrad angeboten habe. Ihr zufolge seien es zwei Kilometer zwischen den Orten. Da uns das nicht sehr gewaltig vorkommt, beschließen wir, auf das großzügige Angebot und den Drahtesel zu verzichten und uns statt dessen gleich und zu zweit auf den Weg zu machen, immerhin seien es ja auch siebenhundert Meter von hier zurück zum Camp, was einen verhältnismäßig großen Teil der Gesamtstrecke ausmacht. Nach dem Motto: Das meiste liegt schon fast hinter uns.
    Zu behaupten, der lange Marsch nach Polle sei im Nachhinein ein Marathon durch einen Glutofen gewesen, ist sicher übertrieben. Es waren zwei Kilometer, nicht mehr und nicht weniger. Nichts desto weniger muß ich zugeben, daß es länger und anstrengender war, als wir zunächst angenommen hatten. Immerhin brannte die Mittagssonne des wohl heißesten Tages eines sehr heißen Sommers auf uns Leichtbekleidete herab, der Asphalt war weich und mit den platten Gummisolen unserer Neoprenschlappen ließ es sich anstrengend darauf latschen. Unterwegs schien ich immer am Rande eines Krampfs in der Fußsohle vorbeizuhumpeln, abgesehen davon hatte ich heiße Füße. Meine Ohren und meine Knie waren ohnehin schon gestern krebsrot, stellenweise pellte ich mich, und ich mochte heute früh fast schon nicht duschen, weil das Wasser auf den verbrannten Hautstellen prickelte wie Brennesselblätter. Sehr unangenehm. So ungeschützt da in der Sonne herumzulaufen ist sicher unter den gegebenen Bedingungen nicht das cleverste, was uns hatte einfallen können, nun ist es allerdings zu spät, wir sind fast da.
    In Polle überragt ein spitzer Maulwurfshaufen den Fluß, auf dem Gipfel sind die Reste einer Feste. Unterhalb des Bergleins ist ein Parkplatz, der den paar Touristen, die sich hierher und auf die Festungsruine verirren, zur Verfügung steht, der aber hauptsächlich zu dem kleinen Supermarkt gehört, in dem wir jetzt einkaufen werden.
    Weintrauben und Käse, Weingummi für Kai Zwo, für Kai und mich nehme ich Schokolade mit, was sich als ausgesprochen dumme Idee erweisen sollte, denn diese im festen Zustand aus der Hölle von Polle herauszubringen hätte es eines Kühlschranks bedurft. Ich habe sie dann später Riegel für Riegel aus der Alufolie geschlürft. Selbst, Käse zu kaufen, war nur minderclever.

    Zurück am Zeltplatz finden wir Kai, bis auf den Hauch einer Badehose entkleidet, mit hochrotem Kopf und an den Schläfen weißen Streifen, wo die Bügel seiner Sonnenbrille gesessen haben müssen, im Schatten seines Vorzeltes sitzend. Er hat gerade angefangen, sich ein verspätetes Mittagessen zu genehmigen: Zwei Mettwürste. Vor sich hat er die beiden Pötte mit dem Kartoffelsalat stehen, hat sie aber nicht angerührt, weil er der Majonaise nicht mehr traut. Gesellen wir uns dazu und packen unsere Erwerbungen aus: Der Käse hat in der Folie schon ein bißchen zu schwitzen angefangen, aber die Weintrauben sind lecker. Die Schokolade ist natürlich inzwischen flüssig. Kai der Zweite packt den Gaskocher aus und setzt Wasser auf, bereitet sich dann, argwöhnisch beäugt, eine Heiße-Tasse-Gemüsesuppe zu. Seiner Theorie zufolge würde die sein kaltes Herz erwärmen, so daß er die äußere Hitze dann nicht mehr so spürt. Ungefähr nach dem Motto: Stich Dir in den Schenkel und Du vergißt, daß Du Dir gerade auf den Daumen gehauen hast.

    Inzwischen ist es so heiß geworden, daß es selbst im Schatten kaum noch auszuhalten ist und so wandern wir den frühen Nachmittag über, jeder für sich, mit den wenigen Schatten. Eine Weile lang sitze ich unter der großen Weide an der ausgespülten Uferkante am Fluß und lese. Irgendwann rudern die vier Anhalter von gestern in ihrem hölzernen Vierer an uns vorbei, erkennen auch unser Schlauchboot wieder und winken ins Blaue hinein, ich glaube, ohne einen von uns zu sehen. Der Nachmittag zieht sich ewig lang hin, ich fange sogar kurz an, zu bereuen, für diesen Ruhetag gestimmt zu haben. Andererseits wäre es sicher viel schlimmer, unter dieser Sonne ungeschützt auf dem Deck unseres kleinen Böötchens zu hocken, statt hier im Schatten unter der Trauerweide.
    Kai Zwo springt von Zeit zu Zeit in den kleinen Swimmingpool, ich bin heute leider eher Wasserscheu, mag nicht mehr als meine Füße hineinhalten. Das Temperaturgefälle zwischen Wasser und Luft ist mir zu groß als daß ich mich überwinden könnte. Komisch. Statt dessen mache ich mich drei oder vier Mal auf den kurzen Weg zum Clubhaus am oberen Rand des Platzes, denn da steht ein Getränkeautomat, der eisgekühlte Flaschen verkauft, was ein Segen ist, und was mich all mein letztes Kleingeld kostet. So schlage ich vier Stunden tot, vier Mal an den Getränkeautomaten wandernd und zwischendurch unter der Weide oder im Schatten der Hauswand lesend, ehe ich mich später zu Kai geselle, der sich nicht weit von seinem Vorzelt wegbewegt hat. Ich begleite ihn hinunter an den Fluß, wir nehmen bei der Gelegenheit unser Faß mit, es im Wasser zu deponieren, damit das Bier wenigstens ein bißchen kühler wird, und Kai springt auch glatt hinein, ich, um ihm Gesellschaft zu leisten, folge ihm zunächst nur so weit, bis mir das Wasser an die Knie reicht. Dann aber, wenn ich schon mal hier bin, streife ich mir doch das Hemd ab und tauche in der Wesertunke unter. Für einen Moment bringt das die ersehnte Kühlung, allerdings hält sie nicht lange an.
    Es tauchen zwei kleine Jungs auf, ziemlich rotzfrech und schauen uns beim Schwimmen zu, beschließen dann auch hineinzugehen, obwohl ihnen die Weser wohl verboten worden sein muß. Offenbar haben sie aber einen gesunden Respekt vor den Tiefen und Strömungen, erzählen sich Schauergeschichten von Ertrunkenen, und halten sich von selbst, wenn auch bis an die Grenze, in einem sicheren Bereich. Wäre ja auch noch schöner, wenn wir jetzt noch auf anderer Leute Pißblagen aufpassen müßten. Als dann ein kleines Mädchen auftaucht und die Jungs anfangen, sie zu hänseln und zu provozieren, indem sie zuerst ihre Schuhe versenken, dann ihre dünne Strickjacke, und sich dann in derselben Absicht an ihrem Fahrrad vergreifen, sieht sich Kai wohl doch gezwungen, kurz einzuschreiten. Kai, der Held, wird zum Retter einer Jungfrau aus Bedrängnis und Gefahr. Leider hat er nicht viel davon. Die viel zu junge Holde zieht mit ihren Unholden von dannen.

    Als es endlich auf den Abend zugeht, die Sonne ein kleines bißchen tiefer steht, es aber nicht merkbar kühler geworden ist, sitzen wir wieder alle gemeinsam vor den Zelten auf der offenen Wiese. Kai Zwo hat mal wieder mit der Wirtin herumgeschäkert und durfte unser Fäßchen, das wir anstechen wollen, wenn die Sonne nicht mehr so sehr sticht, in ihre Tiefkühltruhe packen, wo es vermutlich innerhalb zweier Stunden eine annehmbare Temperatur erreicht haben dürfte. Demzufolge sind es jetzt noch achtzehn Minuten bis zum Bier. Seine Geschicklichkeit im Umgang mit den Wirtinnen, Platzwartinnen, Rezeptionistinnen hier, in den vergangenen Tagen und vor allem auch in den noch kommenden, bringt ihm von jetzt an und Dank der Aktion, deretwegen er einen Platz in der Tiefkühle für uns erhalten hat, die Erweiterung seines Organisatortitels ein: Er ist jetzt der „Große Organisator mit Hilfe Geflirtes“, was Kai und mich eigentlich fast grün werden und erblassen lassen müßte vor Neid.
    In nur wenigen Minuten wird er dieser Titulatur schon Ehre bereiten, indem er der Wirtin noch Halblitergläser abschwatzt. Wenn er wollte, würde sie ihm sicherlich auch gleich noch die Sauna anheizen. Er hat wirklich ein Talent dafür.



    Zu guter Letzt und kurz bevor er das Faß heranrollt, schnackt er zwei Jungs an, die mit dem Fahrrad da sind, und die gerade ihren Picknickgrill angeheizt haben, um darauf vier (!) Würstchen zu grillen: Da sei doch noch so viel Platz, ob er nicht unsere allerletzten zwei Mettendchen dazulegen dürfe. So bekommen die beiden Offiziere ihre Mettwürste zum Abendessen sogar gegrillt, ich allerdings kann, ob heiß oder kalt, für eine Weile keine Mettwürste mehr sehen und halte mich statt dessen lieber an Brot, Käse und Trauben.
    Nach dem Essen und dem vierten Bier, bei inzwischen schwindendem Licht und zum Glück endlich auch schwindender Wärme (auf den Schlafmatten schlägt Tau nieder, ehe wir zu Bett gehen) kommen wir auf unsere Vorstellungen von Blagenerziehung und Vatersein zu sprechen, nicht mehr wahrnehmend, auf wie dünnem Eis wir uns mit diesem Thema bewegen. Der Auslöser dafür, daß es aufs Tapet kam, war, daß irgend jemand erwähnt hat, daß Kai heute ritterlich die Ehre (oder zumindest das Fahrrad) einer Jungfrau, wenn auch einer sehr kleinen, habe bewahren müssen. Andererseits waren an unserem Gespräch auch die beiden Mädels, Schwestern, im Vorteenageralter, die zusammen mit ihrer Mutti hier sind und in dem großen Kuppelzelt hausen, das hundert Meter abseits von unseren steht, die sehr pfiffig und nett sind, die sich gerade in diesem Moment eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen lassen, schuld. Wenn ich mir mal habe vorstellen müssen, eigene Kinder zu haben, dann dachte ich immer, ich würde, so mit sechsunddreißig, mal Zwillinge haben. Mädchen, rothaarig, stupsnasig, mit Sommersprossen und rotzfrech und unwiderstehlich charmant. Mit Latzhose, immer genug Murmeln, Angelhaken, verklebten Bonbons, Groschen, einer Zwille und einem toten Frosch in den Hosentaschen. Sich retten lassen zu müssen, würden sie nicht nötig haben.
    Kai Zwo darauf, mit gespieltem Entsetzen, macht sich eine Notiz, nie zu vergessen, seinen künftigen Söhnen den Umgang mit meinen Töchtern zu verbieten.




    To be continued...
    Zuletzt geändert von BlaesFevrier; 09.03.2008, 01:24.

    Kommentar


    • BlaesFevrier
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      #3
      AW: [DE] Riverboat 2006

      Donnerstag, 20. Juli 2006 10:45 - 16:25 - Heinsen - Hameln:
      So nett, so erholsam es war, einen Tag auszusetzen, so froh bin ich, wieder Wasser zwischen mich und diesen Campingplatz bringen zu können. Und ich glaube, den anderen geht es genauso. Die beiden Kids aus dem Nachbarzelt, die sich vom ersten Abend an für unsere Böötchenfahrt -- und für so merkwürdige Details wie z.B. die zwergenhafte Größe und die Durchsichtigkeit und den sehr ufernahen Standort meines Zelts -- begeistern lassen haben, stehen am Ufer und winken zum Abschied und ich bedaure, keine Kanone an Bord zu haben. Für einen Salutschuß, natürlich. Kai meint noch, es sei schade gewesen, daß es keine Gelegenheit gab, die beiden gestern mal mit ins Boot auf eine Spazierfahrt am Camp auf und ab zu nehmen, die hätten sicher sehr viel Spaß daran gehabt.
      Dann bleiben sie auch schon in der Ferne zurück, wir biegen in die nächste Weserkurve hinein und auf Polle zu und an Polle, an seiner Burg auf dem Maulwurfshaufen und der darunter kreuzenden Autofähre vorbei und weiter und weiter. Es ist ein ereignisloses Vorwärtskommen, heute früh. Nichts bemerkenswertes, keine Schwierigkeiten, nicht Seemonster, nicht Krakententakel und auch kein Maschinenschaden sind zu vermelden. Wir müssen mehr Wasser lenzen als bislang üblich, weil die Schraube etwas über den Gummilappen, der am Spiegel hinaufgezogen ist, überwirft, das im Kielbilgen und einen Daumen hoch auch über dem achteren Achtzehntel des Decks steht, aber absaufen werden wir deshalb wohl kaum. Das Wetter hat sich geändert, Wind kommt auf und vereinzelt stehen auch Cumuluswölkchen am Himmel. Außerdem ist es nicht mehr gar so warm, gottseidank. Wir durchfahren einen Flußabschnitt, an dem felsige karge Hänge und Hügel bis an das Ufer herankommen, passieren Bodenwerder und halten auf Ohsen zu. Am rechten Ufer an einer Stelle sind Mädchen mit ihren Pferden, vier oder fünf, in den flachen Fluß gestiegen und planschen herum. Ich wär so gern ein Pferd.

      Am frühen Nachmittag entdecken wir am linken Gestade eine wer weiß zu welchem Zweck ins Gras und Wasser hinein gepflasterte Fläche, leicht die Böschung hinabgeneigt. Da landen wir an, stellen die packbare Kombüse auf und kochen Erbsensuppe, wie Kai Zwo es ja gestern schon für heute vorherbestimmt hat. Während ich mich mit einem Messer und mit Gewalt daranmache, die Dose aufzubringen, kramt er im Leichter herum, verliert auf dem schlüpfrigen Untergrund aber den Halt setzt sich unsanft auf den Hintern und holt sich dabei wieder mal eine nasse Hose, der standhafte Zinnsoldat, der.



      Es kommen, während wir essen, zwei Boote alter Bekannter an uns vorüber: Die Pelikane haben, rufen sie uns zu, Kurs auf Hameln genommen und verschwinden dann auch schon wieder hinter der nächsten Kurve. Leises Verdauen wird noch in der Sonne vollzogen, dann machen wir uns auf die Verfolgung. Es wird auch Zeit, denn vom Teutoburger Wald her kommen ein paar dunkle Wolken herüber. Wenn wir nicht aufpassen, dann zieht es sich noch vor dem Abend zu und kommt als Gewitter über uns, ehe wir in Hameln sind. Eine halbe Stunde noch vor Hameln haben wir die Pelikane eingeholt und nehmen sie in Schlepp, den einen Kanadier hinter uns neben dem Leichter und den anderen noch dahinter. Die Pelikane wollen zum Gelände des Rudervereins, und sie meinen, daß wir, die wir ja nun zwar nicht rudern und auch nicht in einem Verein sind, dennoch da günstig unsere Zelte aufschlagen könnten. Es wetterleuchtet über den Bergen am anderen Weserufer, als wir am Rechten, noch vor Eisenbahnbrücke und Wehr gelegen, beim Hamelner Ruderclub einlaufen und es fängt zu nieseln an. Ein paar Tropfen warmen Sommerregens. Natürlich beschließen wir, dazubleiben und vertäuen den Großkahn.



      Donnerstag, 20. Juli 2006 16:25 – 21:30 - Während wir abladen, kommt ein ganzes Rudel offener Kanus am Anleger an, es wird wuselig. Die Mannschaften, je zwei pro Boot, Kinder und Jugendliche, nicht alle desselben Jahrgangs. Du meine Güte. Zum Glück verlaufen sie sich relativ schnell, offenbar haben die nur die Boote von hier, zelten hier aber nicht. Kai Zwo macht sich auf, herauszufinden, unter welchen Bedingungen wir dableiben dürfen. Es gibt hier ein großes Bootshaus mit zahlreichen offenen und verschlossenen Bootshangars und darüber Clubräume und eine kleine bestuhlte Terrasse. Die Zeltwiese ist relativ klein, aber natürlich gibt es auch gar nicht allzu viele Camper. Außer uns und den Pelikanen sind noch zwei Damen da, die wohl auch gerade erst angekommen sein müssen, und die mit den Pelikanen inzwischen bekannt sind. Man sei sich unterwegs schon zwei oder drei Mal begegnet. Die Damen sind auch nur locker miteinander bekannt, aber im Augenblick gemeinsam auf Kajaktour. Gerade sind sie damit fertig geworden, ihre gewichtsoptimierten High-Tech-Tunnelzelte aufzustellen. Ihre sehr sportlichen Fiberglaskajaks, die über und über mit Aufklebern bedeckt sind, Souvenirs von Orten an wilden Flüssen und Wassern, die sie schon bezwungen haben, haben sie eigenhändig an Land und neben ihre Zelte gebracht. Was erstaunlich ist, denn die eine ist, wie sie mir später in einem Nebensatz verraten wird, achtundsechzig Jahre alt. Sie ließe es dieses Jahr ein Mal ruhig angehen und fahre "nur" die Weser abwärts. Bevor das Gewitter anfange, wolle sie noch mal ins Wasser hüpfen, meint sie, und verschwindet kurz, ihren Badeanzug anzuziehen. Die beiden Pelikanjungen spielen mit einem kleinen Fußball, kicken ihn weit über die ganze Wiese. Und im selben Moment, als die Ladies wiederkommen, platscht der Ball in hoher Parabel in die Weser. Die beiden Jungs stehen etwas dümmlich am Ufer und schauen hinterher. Es ist dann wirklich die alte Frau, die hinterherspringt und für die beiden den Ball wieder herausholt. Unfaßbar.
      Kundschafter Kai Zwo kommt zurück. Er hat ein paar Aushänge am Eingang zu den Clubräumlichkeiten im ersten Stock gefunden, die besagen, daß, erstens, man sich ab achtzehn Uhr anmelden könne, da werde das Clubhaus geöffnet, und, zweitens, daß es einen ganz leicht erhöhten Zeltplatztarif auch für Nichtclubmitglieder gäbe. Wir können also in jedem Fall hierbleiben.
      Das Gewitter zieht für diesmal knapp an uns vorüber, allerdings später, als wir auf der Terrasse des Clubhauses sitzen, inzwischen ordentlich angemeldet, und ein Bier trinken, fängt es an zu schütten. Wir wechseln zuvor nach drinnen und bestellen Abendessen, irgendwie mit großem Salat, ich weiß gar nicht mehr, das sehr groß und auch sehr lecker ausfällt, mit anschließendem Eis.

      Freitag, 21. Juli 2006 08:00 - 12:30 - Ich muß geschlafen haben wie ein Bär im Winter. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, eingeschlafen zu sein, aber ganz sicher habe ich von allem, was in der vergangenen Nacht um mich herum passiert ist, nichts mitbekommen. Nicht, daß viel passiert wäre. K2 erwähnt bloß beim Frühstück, im Mondenschein sei ein Päärchen zwischen unseren Zelten aufgetaucht und Er – nein, nicht Kai Zwo! - wollte Sie zum Nacktbaden überreden, was Sie sich wohl aber nicht gefallen lassen hat. Schade. In die Diskussion hätte ich mich furchtbar gerne eingemischt.
      Außerdem hat es wohl immer mal wieder geregnet. Die Zeltflanken sind noch naß, als ich aufstehe.
      Das Frühstück war heute übrigens besonders gut und das verdanken wir Kai dem Zwoten, der früh schon aufgestanden und dann zum Bäcker gegangen ist, frische Brötchen und Aufschnitt und frische Nektarinen zu kaufen.
      Nach dem Frühstück machen Die Herren Offiziere das Böötchen klar für eine Spazierfahrt zu zweit, während ich in die Stadt gehe, auf Landurlaub. Ich muß endlich mal ein paar Postkarten besorgen, außerdem brauche ich Panthenol für meine Verbrennungen; meine Ohren sind inzwischen ganz ausgefranst. Hameln, als eine der größten und wohl schönsten Städte, die auf unserer Route liegen, bietet sich für einen Bummel einfach an. Die Pelikane und die beiden älteren Damen verabschieden sich und legen ab Richtung Schleuse, Kai und Kai düsen in die entgegengesetzte Richtung. Mein Weg führt mich zu Fuß zuerst auf die große Brücke, von der man einen Blick auf das weserabwärtige Schleusentor hat. Das Schauspiel schau' ich mir von oben an, sehe den Pelikanen und den beiden Ladies beim Abwärtsschleusen zu und verabschiede sie bei der Ausfahrt vom Ufer aus.



      Dann wieder über die Brücke und ab in die Stadt: Ich war schon viele Jahre nicht mehr hier, aber nix scheint sich verändert zu haben. Es ist viel los. Ich gehe zuerst in eine Buchhandlung, nicht eigentlich, weil ich in Büchern hätte stöbern wollen, sondern eigentlich wollte ich dort Postkarten kaufen, aber die Regale haben eine viel stärkere Anziehungskraft als die Kartenständer. Um mich dem Sirenengesang der Bücher zu entziehen, müßte ich mich an den Mast binden und mir Wachs in die Ohren träufeln. Ich kann nicht anders, ich muß in den Auslagen stöbern.

      In der Apotheke lasse ich mir ein Panthenolspray aufschwatzen. Panthenol wollte ich zwar sowieso gegen meinen Sonnenbrand haben, ja, aber in der Tube wäre es vielleicht billiger gewesen. Auf jeden Fall hätte es genau so gut geholfen. Außerdem kaufe ich ein Antimykotikum, weil ich mir einbilde, in meinen Gummischuhen einschlägige Symptome wahrzunehmen. Möglicherweise irre ich mich, aber das Zeug wirkt ja auch vorbeugend und als Benutzer von Campingplatz-Sanitäranlagen und Träger feuchter geschlossener Schlapfen aus Neopren bin ich, glaube ich, vorübergehend verstärkt anfällig. Deshalb ist dies in jedem Fall eine gute Investition.

      Dann nehme ich noch einen Milchkaffee auf der Piazza unterm Sonnenschirm und schreibe die obligatorischen Urlaubsgrüße auf zwei von den Postkarten, ehe ich mich wieder auf die Socken mache. Als ich bei den Kameraden ankomme, die noch nicht, wie ich erleichtert feststelle, in Schweine verwandelt sind, ist schon alles zum Aufbruch bereit. Nur die Zelte müssen noch abgebaut und alles muß im Leichter verscheuert werden, dann kann es auch schon losgehen.

      Freitag, 21. Juli 2006 13:00 - 20:30 - Hameln-Vlotho:
      Vor der neuen Hamelner Schleuse wollen wir uns telefonisch für den Vorgang anmelden, aber das Zufahrtstor steht sperrangelweit auf und das Ampelsignal läßt bitten. Wir nehmen also die Schleppleine kurz und dampfen hinein. Eine schwer verständliche Lautsprecherdurchsage gibt Anweisungen. Wir schippern weit nach vorne durch und legen an der rechten Schleusenwand an. Ich spüre zunächst gar nicht, wie es abwärts geht, denn es geht langsam, aber ich kann es natürlich an der Ziegelwand beobachten, die übrigens mit grünem und schwarzem schleimigem Modder überzogen ist.



      So eine Schleuse ist schon eine gewaltig große Badewanne, da muß eine ganze Menge Wasser ablaufen, um einen kleinen Kahn wie unseren auf niedrigeres Weserniveau herabzulassen. Das Abwärtsliften dauert etwa eine viertel Stunde. Zeit und Gelegenheit, einen groben Plan zu machen, wie 's heute weitergehen soll: Zunächst brauchen wir, sagen die Kameraden, Sprit. Offenbar haben sie auf ihrer Spritztour den Tank leergefahren. Immerhin haben sie sich auch erkundigt, wo wir neuen herbekommen können: Unmittelbar hinter der Schleuse müßten wir irgendwo anlegen, dann könnte einer links hochgehen, der Bundesstraße flußaufwärts ein Stück folgen und der käme dann zu einer Tankstelle. Ich, der ich die Pelikane ja vorhin dort verabschiedet habe, weiß, daß hinter der Ausfahrt aus der Schleuse die Weser unter einer drei Meter hohen Mauer entlangbrandet, daß es in dieser Mauer aber irgendwo eine Treppe zwischen Wasserkante und Straße gibt, wo wir andocken könnten. So übernehme ich denn das Ruder, um uns an diese Treppe heranzufahren. Für die paar Meter aus der Schleuse heraus und bis dort hin lassen wir den Leichter längsseits. Das Manöver gerät mir dann beinahe zur Katastrophe. Ich halte in einem viel zu spitzen Winkel auf die Wand zu, um die beabsichtigte halbe Drehung fahren zu können, und verreiße bei der Kurskorrektur das Steuer, so daß ich in der falschen Richtung an der Wand entlangfahre, mit dem Leichter auf der falschen Seite, nämlich zwischen mir und der Mauer, an der ich ihn denn auch fast zerquetsche. Zumindest schleife ich ihn einen Meter weit an den rauhen Ziegeln entlang. Daß ich ihn nicht zum platzen gebracht und gleich da versenkt habe, ist auch alles.



      Kai und Kai stemmen sich über den Frachtkahn hinweg gegen die Wand, gegen die uns der Motor immer noch gegendrückt, bis ich die Zündung unterbreche, indem ich die Rettungsleine herausreiße. Der Motor steht sofort still, wir dümpeln. Und zwar etwa zwölf Meter von der Treppe entfernt. Mit der Hand schieben wir uns an der Wand entlang bis dort hin, vertäuen die Boote und setzen K2 an Land ab. Kai und ich bleiben an Bord. Kai klammert sich an das Schleppseil, das jetzt beide Boote an einem kleinen Pflock in der Wand fixiert, als glaubte er, es könne jederzeit reißen. Und ich? Keine Ahnung. Mir ist mein verunfalltes Manöver peinlich, glaube ich, aber Kai hat es, scheint’s längst vergessen.
      Leinen los um halb zwei Uhr nachmittags. Da unser Maschinchen bei voller Fahrt unverhältnismäßig viel lauter dröhnt als bei halber, lassen wir es lieber ruhig angehen, kommen wir nur gemächlich voran, aber niemanden stört 's, wir haben ja Zeit. Das Boot vibriert, wenn der Motor nicht so kräftig schiebt, auch viel weniger und der Frachtkahn liegt stabiler im Wasser, was zu bemerken sehr wichtig ist, denn letzt haben wir uns deswegen ein ums andere Mal Gedanken machen müssen. Irgendwie scheint sich der Rumpf des Kahns nämlich verzogen zu haben, so daß er jetzt schlecht, oft schlagseitig oder mit dem Bug zu tief, im Wasser liegt, ständig in Gefahr, überzuholen.
      Als die Schlagseite zum ersten Mal die Toleranzgrenze unseres Sicherheitsempfindens überschreitet, holen wir den Leichter heran, tarieren ihn unterwegs bei gedrosselter Fahrt neu aus, indem wir den Schwerpunkt der Bepackung verlegen und lenzen ihn bei der Gelegenheit auch gleich mal aus. Zwei oder drei Tassen Wasser hatten sich im Rumpf gesammelt, was aber nicht zwingend auf ein Leck hindeuten muß; womöglich handelt sich’s nur um übergekommenes Spritzwasser. Seit wir mit dem neuen Motor unterwegs sind, heißt es auch für den Großkahn viel öfter als zuvor: Pützt, pützt, Leute, pützt! Das bißchen mehr Wasser scheint also im Maße des Normalen zu sein.
      Aber, wie auch immer, wir sollten ein Auge darauf haben.

      Am frühen Nachmittag hat der Leichter dann wieder so deutlich viel Wasser geschluckt, daß wir uns die Sache mal genauer ansehen müssen. An einer flachen Uferstelle, die sehr geschützt hinter einer schwimmenden verlassenen Arbeitsplattform aus mehreren Pontons und flachen Booten verborgen, aber ansonsten nett und ruhig und rundum grün ist, gehen wir vor Anker und heben unseren Havaristen aus dem Wasser. Bevor irgendjemand sich hier aber an die Arbeit macht, stelle ich die Kombüse auf. Ich hab' nämlich noch nichts zum Mittag gehabt und deshalb Schmacht. Wir haben noch ein paar von diesen Heiße-Tasse-Suppen, die werden uns gut tun. Kai Zwo meint, die wärmten von innen so toll, daß man die Hitze, die außen herum herrscht, nicht mehr spürt. Dann entpacken wir mal wieder den Frachter und nehmen die Nahtstellen des Rumpfs und die exponierte Bugnase mal genauer unter die Lupe. Auf den ersten Blick ist nix zu erkennen, für einen zweiten, genaueren Blick setz' ich das vermeintliche Wrack in das flache Wasser zwischen Ufer und Arbeitsplattform, lege mich bäuchlings hinein und stecke die Nase in die Falte zwischen den Luftschläuchen im tiefsten Teil des Bugs. Ich vermutete eigentlich, daß, wenn ich das Boot dort tief ins Wasser hineindrücke, haarfeine Wasserfontänchen durch stecknadelkopfgroße Lecks ins Innere sprudeln würden, hab' aber wohl falsch vermutet. Nix zu erkennen.
      So ganz ohne Zuladung sitzt der Kahn auch erstaunlich symmetrisch und flach auf der Oberfläche auf, längst nicht so verdreht wie unter Gewichts- und Zuglast, so daß wir annehmen müssen, daß alle Luftkammern einigermaßen gleichmäßig befüllt sind, und wir statt dessen viel sorgfältiger an der Schwerpunktverteilung und der Auswuchtung bei der Verladung arbeiten müssen. Kai Zwo brennt darauf, diese Gelegenheit zu nutzen, unserer Gesellschaft für eine Weile zu entkommen und sich langmachen zu können und ganz nebenbei neue Erkenntnisse über das Schleppverhalten des Kahns zu gewinnen, indem er den kommenden Teil der Reise in den Leichter umsteigt. Mir soll es recht sein, aber er muß sich damit arrangieren, daß er sich den Platz mit einem großen Teil des Gepäcks teilen muß. Und das ist ihm schon recht. Wir stapeln alle Packsäcke so weit vorne wie möglich, damit er hinten einigermaßen Platz hat, es sich in einer halb liegenden Haltung bequem zu machen, während er die Beine über Bord oder Gepäck baumeln lassen muß. Er meint, er finde die Haltung himmlisch bequem, verglichen mit der verkrümmten aufrechten Sitzposition, die man auf dem Großkahn nach einer Weile automatisch annimmt. Es sei eine große Entlastung für seinen geschundenen Rücken. Diese Äußerung macht mich denn ein bißchen neidisch, würde ich doch auch viel drum geben, meine Haltemuskulatur mal für eine Weile entspannen zu können. Er erinnert mich an Terence Hill in der Anfangssequenz von Nobody, wo er, verstaubter Cowboy, sich in einer Bahre liegend hinter seinem Pferd herschleifen läßt, den Hut tief ins Gesicht gezogen, und schnarcht. Beneidenswert.





      Käpt’n Kai und ich an Bord des einen, erster Ofz Z. des anderen Bootes, wieder unterwegs, übernehme ich es stellvertretend, den offiziellen Logbucheintrag über dieses Ereignis zu machen, denn der offizielle Logbuchführer ist durch seinen Dienst am anderen Ende des Gespanns ja mehr oder weniger verhindert. Ich halte dieses Logbuch zum ersten Mal in der Hand und habe auch sonst nur sehr oberflächlich mitbekommen, was Kai Zwo – und ab und zu auch mal Kai – darin so notiert und in welchem Stil er schreibt, wenn ich ihm über die Schulter geschaut und einzelne Worte aufgeschnappt habe. Auch jetzt bei dieser Gelegenheit will ich nicht indiskret sei, und so hoffe ich, meinen Eintrag aufgrund der wenigen Infos, die ich habe, einigermaßen zu den anderen Eintragungen passend gestaltet zu haben: „Leichtmatrose Z. steigt auf den Leichter zum Gepäck um und wird zum Leichtermatrosen befördert. Wir erhoffen uns davon Aufschlüsse über das Schleppverhalten des Lastkahns.“
      Ich sollte später herausfinden, daß mein Wortspielchen mit (pseudo-) seemännischen Rängen, das ich um des Kalauers willen angebracht habe, und das auf der Annahme fußt, Kai Zwo habe uns auch immer jeweils zur Situation passende Rollen und Ränge in seiner Geschichte gegeben, ihn im grünen Faden der Anekdoten um ungefähr hundert Dienstgrade degradiert hat. Hoffentlich ist er mir nicht böse… Ich hatte zuvor halt nur aufgeschnappt, daß er sich selbst an einer Stelle zum Professor nach dem Vorbild von Aronax und von Humboldt, an anderer zum Steuermann und an dritter zum ersten Offizier, mich zum Bordornithologen, zum Maat und Maschinisten, was Käpt’n Kai für ein und dasselbe hält, und was weiß ich noch alles, gemacht hat. Konnte ich denn wissen, daß hier an Bord keiner Matrosendienst zu schieben braucht? Er möge mir bitte die Degradierung verzeihen.

      Wir kommen an Engern vorbei, dem Widukindsgrab, und nach Rinteln, wo wir am Ufer eines Zeltplatzes die Kanadier der Pelikane im Grase sichten. Wir steuern bis auf Rufweite auf sie zu, um uns zum letzten Mal von ihnen zu verabschieden, denn deren Reise endet hier. Wir allerdings wollen uns noch nicht zur Nacht fertig machen, sondern noch ein Stück weiter. So ziehen wir den Leichtermatrosen wieder in die Fahrrinne hinein und bis hinter Rinteln, wo wir die Tour noch ein Mal unterbrechen, um Offizier Zs Analyse zu erhalten und ihn wieder nach vorn zu uns umsteigen zu lassen. Der wichtigste Befund ist: Der Gummikahn hat definitiv irgendwo ein Leck. Er habe sehr schnell Wasser gezogen, und zwar kein überbordendes Spritzwasser. K2 hatte bis hier her zwei oder drei Mal auch Gelegenheit, zu beobachten, wie es sich für den Gummikajak anfühlt, über die Bugwellen eines vorbeirasenden Motorboots zu wabbeln. Ein Mal hat uns auch wieder eines überholt, das einen Reifen mit zwei kleinen Mädels darauf hinter sich herzog. Aber da sei kein Wasser übergekommen. Das sei ganz sicher von unten und ganz allmählich eingedrungen. Es sei natürlich zum tiefsten Punkt geflossen, also dort hin, wohin Kai Zwo auch seinen Hintern platziert hat. Und weil wir vergessen haben, ihm eine Lenztasse mitzugeben, mußte er sich mit der Schraubkappe einer Sonnenmilchflasche behelfen, den Frachter auszupützen, wenn ihm das Wasser nicht bis zum Bauch steigen sollte. Dessenungeachtet sei diese Art zu reisen aber eine ungeheuer luxuriöse. Wenn wir es heute abend schaffen könnten, das Leck zu teeren, zu federn und kalfatern und sich die Gelegenheit ergeben sollte, würde er gerne jederzeit wieder nach hinten umsteigen.

      Zwischen hier und Vlotho liegen mehrere sehr ausladende Mäander noch vor uns, an den Landkanten steht hoch das Schilf. Wasserrattenlöcher in den Auswaschungen der Uferböschungen. Und hinter den Ufern viele Tümpel, Absenkungen, die mit Weserwasser vollgelaufen sind, mit Schilfdickicht überwachsene Teiche. Entsprechend begleiten uns von hier an auch immer typische Flachland- und Wasservögel, Sumpfhühner und Eiderenten, Reiher natürlich, ein Mal fliegt ein roter Milan einen Steinwurf weit entfernt für eine Minute neben uns her. Ein anderer Raubvogel mit schneeweißer Brust sitzt irgendwo im ausladenden Geäst eines Baumes und ich fahre einen Schlenker, um nahe heranzukommen und ihn mir anzusehen und er bleibt ruhig dort hocken, obwohl ich dicht unter ihm durchfahre. Vereinzelt tauchen die ersten Möwen auf, die sich am Fluß entlang so weit ins Landesinnere hineingewagt haben.

      In den letzten Windungen, die wir heute durchkreuzen, begegnen wir wieder wilden Wasserskisportlerinnen und solchen, die sich auf ihren Rettungsreifen ziehen lassen. Dicht vor Vlotho gibt es eine lange gerade Strecke, die für solche Sportarten freigegeben ist, die führt am Campingplatz Sonnenwiese entlang. Obwohl uns der Krach der immer wieder an diesem Platz vorbeibretternden Sportboote gehörig auf den Senkel geht, wollen – oder müssen – wir wohl dableiben. Immerhin ist es schon acht Uhr. Und vielleicht schluckt die Brennesselwand, die uns die Sicht vom Wasser aus auf die Zelte versperrt und umgekehrt, ja den Lärm…

      Freitag, 21. Juli 2006 20:30 - 02:00 - Abgesehen davon, daß er sehr groß zu sein scheint, kann man vom Wasser aus kaum abschätzen, wie der Platz beschaffen ist. Man sieht nichts, weil er fast vollständig von einer hochgewachsenen Hecke aus Brennesseln umfriedet ist. Auf halbem Weg zwischen den Wasserskigebietsbegrenzungen ist dann ein steiler unbetonierter aber mit Kies aufgeschütteter Slipweg, der auf eine Zeltwiese hinaufklettert, in deren Mitte ein Fahnenmast in die Höhe ragt. Bei diesem Wiesenstück handelt es sich gleichsam um eine Art Stadtviertel, abgetrennt von anderen Vierteln durch Weiden- und Buchenhecken und dazwischen herumführenden Straßen, breit genug, daß zwei Autos nebeneinander fahren können. Wohnwagenparzellen so weit man schaut. Sonnenwiese.
      Beim Abladen muß ich mir immer mal für einen Moment die Wasserskimädels in ihren kurzen Neos ansehen: Zwei Boote, selbstverständlich bemannt mit coolen Jungs (keine Chance, also, sagt Kai, und ich glaube, er hat Recht. Wasserski würde sein Motor nicht schaffen), ziehen Wasserskiläuferinnen hinter sich her, die es beide echt draufhaben. Die eine fährt, auf einem Bein und barfuß und ohne Brett unter den Füßen, stehend, sich mit dem anderen nackten Fuß in der Zugleine festhaltend mit ausgebreiteten Armen, die andere fährt rückwärts oder dreht sich um sich selbst. Beide auf diesen zwei Kilometern Wassersportstrecke unter unseren Blicken immer hin und her.

      Kai Zwo macht sich auf den Weg, uns einen Überblick zu verschaffen. Er kommt eine ganze Weile lang nicht wieder und als er dann doch zurückkehrt meint er, er habe fünf Kilometer laufen müssen, um zum anderen Platzende zu gelangen, wo er das Rezeptionsgebäude gefunden hat. Er habe uns bei der Gelegenheit angemeldet und dafür ein Vermögen ausgegeben. Ich frage mich ein paar Sekunden lang, warum wir uns denn überhaupt anmelden wollten, statt uns einfach unauffällig zu verhalten und geschickt zu platzieren. Hier kann man doch wohl kaum den Überblick behalten, wer von den Durchreisenden schon bezahlt hat. Aber egal. Unser Organisator fährt mit seinem Bericht fort: Er habe den Flyer eines Pizzalieferanten mitgebracht, der auch bis zum Fahnenmast käme. Was er nicht mitgebracht habe, seien Duschmarken für warmes Wasser, die kosteten nämlich extra, und zwar nicht wenig. Als er der Rezeptionistin seinen Verzicht erklärt habe, hätte die gemeint, wenn sie morgen früh einen Schrei hörte, dann wüßte sie, daß es der K2 sei, unter der eiskalten Dusche. Bei der Gelegenheit habe er erfahren, daß der Schrei zwischen den Duschen und Sanitäranlagen in der Mitte des Platzes und der Rezeption am Rand fast einen Kilometer weit tragen müsse. Dazwischen liege auch noch ein platzeigener Badesee. Verdammt. Sonnenwiese. Stadt der weiten Wege.

      Wir beschließen, Pizza zu bestellen. Bei einer Bestellung im Werte von über zwanzig Euro bekäme man gratis eine Flasche Wein dazu. Die Preise für eine individuelle Zusammenstellung des Menüs sind ohnehin gepfeffert und gesalzen, so daß wir besser wegkommen, wenn wir eines der Tagesangebote bestellen, dessen Festpreis mit 21 € ohnehin über diesem Mindestpreis für den Bonuswein liegt und das obendrein vier Pizzen in Standardgröße, zwei gemischte Salate und je eine Flasche Cola und eine Flasche Fanta umfaßt. Klingt doch nicht schlecht. Bei der Bestellung besteht Käpt'n Kai darauf, der Gratiswein solle bitte rot und trocken sein.

      Nach zwanzig Minuten, denke ich mir, wird es langsam Zeit, zum Fahnenmast hinüberzugehen. Dort stehend sehe ich mich um und stelle fest, daß hier jedes Zeltstadtviertel mindestens einen eigenen Fahnenmast hat.
      "Kai, was hast Du dem gesagt, wo er unsere Pizza abliefern soll?"
      "Na, am Fahnenmast."
      "Ich fürchte, wir hätten unsere Position präziser angeben müssen. Fahnenmast ist, wirst Du sehen, wenn Du Dich mal umguckst, nicht eindeutig genug."
      Und so warte ich denn dort eine ganze Weile. Irgendwann sehe ich kurz zwischen den Bäumen hindurch auf der Straße, die zwei andere Stadtviertel verbindet, den kleinen schwarzen Wagen mit dem Lieferantenlogo auf dem Dach, dann ist er wieder weg. Für eine Sekunde taucht er irgendwo anders in meinem Blickfeld auf, dann wieder hier drüben, später noch irgendwo anders. Immerhin, er sucht uns und gibt nicht auf. Dann wird er früher oder später schon hier auftauchen. Dann werde ich ihn abfangen.

      Nach einer ganzen weiteren Weile haben K2 und ich ihm endlich den Weg abgeschnitten: Ein Schnittchen am Steuer und als Beifahrer ein schnurrbärtiger Typ, der uns unsere Kartons und Flaschen in die Hand drückt und bei Kai Zwo kassiert. Endlich Abendessen.
      Das Öffnen der Kartons offenbart unterdurchschnittliche Lieferantenpizza, noch lauwarm, immerhin: nach der Odyssee, sehr fettig, ziemlich dick mit dem Käse. Ich habe kaum was anderes erwartet, bin trotzdem enttäuscht. Aber Hauptsache, es macht satt, was man wenigstens bei der Menge einigermaßen annehmen kann. Zum Glück hat Coke immer die gleiche Qualität, da kann man nix mit falsch machen. Ich bin so hungrig, ich verschlinge meine Pizza mit rohen Manieren und spüle mit Limonade nach, so daß sich Luft aufstaut, die gar nicht anders kann, als sich mit mächtigen Rülpsern zu entladen. Ich mache auch vor meinem Drittel der vierten Pizza nicht Halt und nehme obendrein ordentlich Salat. Ich bin nicht gierig, ich bin hungrig, und die anderen stehen mir in Nichts nach. Wir schaffen alles, bis auf ein paar Krümel und erreichen damit ein betäubendes Sättigungsgefühl, das sich von einer Freßnarkose durch den Grad an Wohligkeit unterscheidet: Freßnarkosen kann man nur nach einigermaßen guten Gelagen haben, dieses hier hat aber mehr ein Völlegefühl und einen Eindruck von Abgekämpftheit hinterlassen, wonach man sicher stundenlang nicht schlafen kann vor lauter Unwohlsein. Mal sehen, ob der Wein daran was ändern kann. Ich entkorke:
      Ein sehr komplexer Wein mit interessanten Facetten. Ein Gesöff, das einem am Gaumen klebt, mit viel apfelsaurem Essigcharakter im Bukett, dazu ein Duft wie nasser Zobel. Ein samtener Hauch von Vitriol legt sich beim ersten Schluck über die Zungenränder. Im Abgang eine abstrakte, nussige Note mit Nelken und Zibet.

      Samstag, 22. Juli 2006 09:00 - 19:30 - Vlotho - Stolzenau:
      Ich krieche ausnahmsweise fast zur selben Zeit wie die beiden anderen aus dem Zelt. Während Ofz Z., der Große Organisator, sich auf den langen Weg zum Minimarkt im Verwaltungsgebäude macht, um Frühstück zu organisieren, heize ich den Kocher für den Kaffee an. Als das Wasser gerade etwas über lauwarm ist, verabschiedet sich die Gasflamme mit einem leisen Plopp in der Flasche; kein Gas mehr drin. Auch ein Schütteln und ein Rütteln und ein Reiben an der Flasche zaubern nicht den Geist der Flammen mehr hervor. Ich löse die kalt kaum löslichen Instantkaffeekrümel dennoch unter heftigem Rühren in die piwarme Brühe, in jeder Tasse ein Mahlstromwirbel bis auf den Bodensatz. Seltsam, wie Temperaturabsenz doch den Geschmack von Krümelkaffee beeinträchtigt.
      Kai Zwo hat aus dem platzeigenen Einkaufszentrum Schokoladenkuchen mitgebracht, den er allerdings teuer bezahlen mußte. Dieser Campingplatz ist wie Disneyland. Nichts wie weg hier.

      Das Einschiffen verzögert sich allerdings ganz schön, weil wir es gestern abend versäumt haben, das Leck im Kahn zu flicken und das heute noch unbedingt nachholen wollen. Dummerweise haben wir damit nicht schon als allererstes vor dem Frühstück und der Morgentoilette angefangen, so daß das Harz unterdessen hätte aushärten können. Jetzt hat sich die Wartezeit zum Klebertrocknen zu einem Leerlauf entwickelt, denn es bleibt nichts mehr zu tun, als den Leichter mit dem längst gepackten Gepäck zu bescheuern, aber das geht natürlich nicht, so lange der zum trocknen in der Sonne liegen muß.
      Ich habe die Schadstellen tatsächlich gefunden. Ganz unten im Bug an der Stelle, an der die drei Luftkammern mit einem flachen Stück Plastiknaht zusammengeschweißt sind, ist eine Abriebstelle. Dies ist der exponierteste Teil des Rumpfs, der immer dann auch aufsetzt und ein Stück über Land geschleift wird, wenn wir den Kahn aufs Ufer ziehen. Dabei muß er sich nach und nach aufgerieben haben. Einer der Fahrradflicken läßt sich an dieser Stelle nur schwer applizieren, so daß ich großflächiger ein Stück Plastik mit Hilfe viel Epoxyts aufbringe, was aber auch unordentlich und geflickschustert gerät. Allerdings wird es hoffentlich eine Weile halten…

      Nach dem Aufbruch aus Vlotho an Backbord die Ausläufer des Wiehengebirges, Wittekindsland von hier bis zur Weserscharte. In Westfalen wächst man immer noch mit den Sagen um den Sachsenherzog auf, die behaupten, er habe sich hier, in Bergkirchen über der Weser, vor Karl, der später der Große werden würde, dem Franken taufen lassen und diesem den Frieden zwischen den beiden großen Stämmen teuer verkauft. Wir packen unser Halbwissen aus. Die Porta Westfalica kommt in Sicht. Dies ist der Weserbogen, von dem eigentlich in dem Weserlied die Rede ist. Nadelbewaldete steile Höhenkämme auf denen Zeugnisse deutscher Geschichte und Geschmacksverirrung thronen. Das protzige Denkmal zum Beispiel, das wie ein Leuchtturm am Gipfel direkt über dem Weserdurchbruch zwischen diesen letzten Hügeln des Weserberglandes von überall sichtbar steht; da hält der Kaiser Wilhelm seine treue Wacht über die norddeutsche Tiefebene vor und die Weserberge hinter sich. Der steht deshalb hier, weil es kaum einen deutscheren Boden gibt als diesen, wo Germanen die Römer, Sachsen die Franken und die Westfalen immer wieder den leibhaftigen Gottseibeiuns geschlagen und die kulturelle und politische Souveränität eines Deutschen Volkes verteidigt haben wollen. Mir fällt noch eine andere Sage ein, die davon erzählt, wie die Weserscharte bei Porta und wie der Velmerstod im Lippischen entstanden sind, will sie Kai Zwo, der sie nicht kennt, auch gerne erzählen, aber ich bringe sie leider nicht mehr richtig auf die Reihe. Ich muß es mal irgendwann nachholen. Da wir schon mal bei den Sagenhelden westfälischer Geschichte sind: Kai kommt auf Arminius im Teutoburger Wald zu sprechen, und, unschlagbar gut im auswendig rezitieren, packt seinen geliebten Spötter Heine aus:

      Das ist der Teutoburger Wald,
      [das ist er natürlich nicht; das hier ist das Wiehengebirge. Der Teutoburger Wald ist noch gut fünfzig Kilometer westlich]
      Den Tacitus beschrieben,
      Das ist der klassische Morast,
      Wo Varus steckengeblieben.
      Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,
      Der Hermann, der edle Recke;
      Die deutsche Nationalität,
      Die siegte in diesem Drecke.

      Wenn es auch nicht ganz derselbe Dreck ist, den wir gerade durchfahren, sondern einer weiter westlich, Dreck und Treibholz sind Stichworte für einen Einschub: Die Weser wird hier sichtlich dreckiger. Hatte ich auf der Oberweser noch die Angewohnheit, von Zeit zu Zeit mein Kopftuch ins Wasser zu tauchen, gewöhne ich es mir hier ganz schnell ab.

      Fast im wahrsten Sinne des Wortes kommen wir – à propos Treibholz – übers Hölzchen aufs Stöckchen, übers Rezitieren [ –– Unser beider immer wiederholte Lieblinxstelle aus dem Heine ist die Beschreibung des Besuchs bei Hammonia in Hamburg, die ihn einen Blick in Karls des Großen Leibstuhl werfen und ihn dort die Zukunft Deutschlands schauen (und riechen) läßt. Die Göttin hat mir Tee gekocht und Rum hineingegossen. Sie selber aber hat den Rum ganz ohne Tee genossen... –– ] auf den Tankerkönig. Ob Kai den wohl noch auf die Reihe bringt?



      Hinter Porta wird die Landschaft sichtlich norddeutscher, das Land flacher, die Weser muß sich nicht mehr zwischen Felsen und Hügeln hindurchwuseln sondern ist breiter und weiter und auf vielen Kilometern sehr begradigt. Streckenweise kommt sie mir vor wie ein gerader, langer Kanal, der kein Ende nimmt und in immer gleichen geringen Abständen queren immer gleiche Brücken den Fluß. Ein Rhythmus, der einschläfert.

      Es kommt mir vor, als komme hinter Porta lange Zeit nichts als dieser lange Tunnel, der keiner ist, aber tatsächlich kann das nicht so sein, Minden ist ja eigentlich nicht weit von der westfälischen Pforte. Aber an den Ufern gibt es keine Hügel und keine Wälder mehr, es ist dort mehr los: Straßen und Wege begleiten die Weser ein Stück, und mehr Gebäude als zuvor. Unter den Brücken tauchen zum ersten Mal Binnenschiffahrtszeichen auf, die es zu beachten gilt: Fahrrinnenmarkierungen, Durchfahrtsge- und Verbote in die an back- und steuerbord liegenden Kiesgrubenbecken, solcherlei Beschilderungen und Bojen.
      Ein Mal sieht es aus, als seien wir in Holland, als ein langes flaches Flußschiff an einer Windmühle vorbeizieht.

      Minden in Sicht. Ich hatte den Mittellandkanal noch nie von unten gesehen. Auch der Kanal führt - buchstäblich! - über die Weser, er wird mit einer recht mächtigen Brückenkonstruktion darüber hinweggeführt. Dennoch habe ich das Wasserstraßenkreuz aus anderer Perspektive viel größer in Erinnerung. Wenn ich bedenke, daß da über meinem Kopf gerade möglicherweise ein Frachter mit anderthalb Metern Tiefgang hinwegtuckern könnte - . Wieviele Tonnen Wasser sind das wohl da oben? Was, wenn man von hier unten ein Loch in diese Brücke bohrte, so, wie man in einem Haus eine Wasserleitung anbohren kann? Würde dann der Mittellandkanal leer- und die Weser vollaufen? Schade, daß man von hier unten die Schiffshebewerke für den Wechsel von Weser zum Kanal und umgekehrt nicht sehen kann.

      Zwischen Minden und der Schleuse nur flache Wiesen und Weiden, das Ufer ist zerrissen von Einfahrten in dahinterliegende flache Teiche, dicht zugewachsen mit hohem Schilf. An einer Stelle sitzt eine Familie neben einem dort geparkten Bulli und grillt, im Weserwasser haben sie eine Bierkiste kaltgestellt. Einen Moment lang schauen wir uns an, alle haben wir denselben Gedanken: Flußpiraterie. Aus Nichts und Nebel auftauchen, Zugriff, drei Flaschen, und ehe der Feind weiß, was los ist, stromabwärts verschwinden. Allerdings trauen wir uns dann doch wohl nicht.

      Der Campingplatz Petershagen ist an der Einfahrt in den Schleusenkanal gelegen, auf der Landspitze, an der der alte, ursprüngliche Weserlauf nach links abzweigt. Der alte Arm sei aber nur für Ruderer und Kleinstwasserfahrzeuge schiffbar, melden die Verkehrsschilder. Wir fragen uns nicht ernsthaft, ob wir ein Kleinstwasserfahrzeug sind, weil wir, ob heute oder morgen, das muß noch beraten werden, lieber geschleust werden wollen. Eine Bootsgasse am Wehr müssen wir uns nicht unbedingt antun, obwohl wir alle ein bißchen unsicher wegen der bevorstehenden Schleusung sind. Keiner von uns hat so richtig Ahnung, ich habe auch, weil ich irgendwas im Internet über das Schleppen und über Kleinboote im Schleusungsvorgang gelesen habe, damit ein unabsichtlich Gerücht gesetzt, das sich im Laufe der Zeit selbst verstärkt hat. In Wahrheit habe ich inzwischen längst keine Ahnung mehr, was wirklich da stand. Kai hat zu der Verwirrung beigetragen, indem er seine eigenen Infos dazugemischt hat. Aber wir werden ja sehen.

      In den wunderschönen Seekarten der alten Entdecker, die bis an die äußersten Enden der Welt und darüber hinaus segelten, stand an den Rändern der bekannten Welt geschrieben: hic est draco - Von hier an werden Drachen sein. So ähnlich geht es uns mit unserer Karte, denn was Campingplätze angeht stoßen wir von nun an in unbezeichnetes Gebiet vor. Zwischen hier und Bremen ist kein einziger Campingplatz mehr verzeichnet. Das erschwert ein kleines bißchen die Entscheidung, ob wir es uns leisten können, an diesem vorüber zu fahren, zumal Kai Manschetten davor hat, wild im Grünen zelten zu müssen. Später wird er das ein bißchen revidieren und meint, er würde natürlich, wenn es sich nicht vermeiden läßt, auch auf einer geeigneten wilden Fläche campen, aber wenn es geht, dann würde er alle damit möglicherweise verbundenen Unannehmlichkeiten gerne vermeiden. Das fängt damit an, daß das Anlanden bitte so einfach und sicher wie möglich sein sollte und hört damit auf, daß wir darauf achten, nicht von wilden Bullen aufgestöbert zu werden. Vor Drachen fürchte er sich nicht. So werden wir uns einig, daß wir zumindest das Risiko in Kauf nehmen können, womöglich keinen Campingplatz mehr zu finden. Unter diesen Voraussetzungen entscheiden wir, den Campingplatz Petershagen an diesem frühen Nachmittag links liegen zu lassen, in dieser Hinsicht ins Unbekannte aufzubrechen, nicht zu wissen, wo wir in der kommenden Nacht unsere Häupter niederlegen, wie uns betten werden. Auf zu neuen Abenteuern.

      Schon vor dem Schleusenkanal, steht das Wasser, es gibt keine sichtbare Strömung, kein Wind kräuselt den Spiegel, nichts bewegt sich, die ganze Welt steht still. Freddy sei Dank bewegen nur wir uns. Überall dümpelt Treibgut; Holz, Plastik, viele Flaschen, frischgeschlüpfte Enten, ab und zu tote Brassen und Rotfedern, nichts kommt vom Fleck. Ohne den Motor wären wir hier aufgeschmissen. In dieser Plörre rudern zu müssen wäre sicherlich eine widerliche Sache, die wir alle uns gerne ersparen. Wir bewegen uns längst nicht mit voller Geschwindigkeit, nicht zuletzt, um nicht möglicherweise auf sperriges Treibgut aufzulaufen. Schließlich weiß man ja, daß Eisberge größtenteils unsichtbar unter der Oberfläche verborgen und deshalb so gefährlich sind. Womöglich ist es mit treibenden Bananenkisten dasselbe. Vor der Einfahrt in den Kanal laufen wir auf ein Stück Treibholz auf, das ich, neugierig, aus dem Wasser ziehe. Es ist sehr massiv und schön geschwungen: das untere Ende einer geschnitzten Ruderpinne vielleicht, allerdings brutal und grob mit einem glatten Schnitt einer Stichsäge abgeschnitten. Möglicherweise nageln wir die ja einst in unserem nicht vorhandenen Bootshaus als Trophäe an die Wand, verstauen sie deshalb im Frachter.
      Vor der Schleuse Petershagen sind steuerbordseits große metallene Schiffsanleger aufgebaut. Acht oder zehn Poller von drei Metern Höhe, um den Gipfel herum in gelber Signalfarbe angestrichen, Leitern und Stege laufen am Ufer entlang. Die Einfahrt in die Schleuse ist uns durch ein rotes Ampelsignal verwehrt, das Tor ist ohnehin geschlossen. Wir suchen uns also einen dieser großen Anleger aus um festzumachen und zu warten. Wir würden uns dem Schleusenwärter nun gerne bemerkbar machen, unseres Wissens ist aber der einzige Wärter der alle Schleusen von hier bis Bremen bedient, in Minden. Er steuert diese unglaublichen Anlagen wahrscheinlich mit seinem Laptop. Die Frage ist: Wie melden wir nun an, daß wir gerne bedient werden wollen? Ein Frachter wie der, der da hinten angedampft kommt, noch schätzungsweise eine viertel Stunde entfernt, macht das wahrscheinlich per Funk. Ein Funkgerät haben wir aber nicht, vielleicht tut 's aber auch ein Handy. Erster Ofz Z. hat seines immer griffbereit, Käpt'n Kai hat irgendwo die Telefonnummer vom Wasser- und Schiffahrtsamt, wo war sie nur? Ach da. Dann versuchen wir es mal. Freizeichen. Fünfzehn, zwanzig mal klingelt irgendwo in Minden das Telefon eines Schleusers, niemand geht ran. So liegen wir eine ganze Weile da auf der Lauer, ohne daß vor uns etwas passiert. Der Frachter kommt näher, drosselt die Geschwindigkeit. Wir holen den Leichter heran, um an den Techniksack zu kommen, denn da drin liegt ein Fernglas, mit dem ich mal gucken will, wie die Zufahrt zur Schleuse im Detail aussieht. Ich kann aber nichts entdecken, was uns weiterhilft. Das Tor hat jedenfalls keinen Messingtürklopfer.
      Wer kann uns nun dieses Tor öffnen? Wir selbst können sicherlich nicht; so lange auf beiden Seiten das Wasser ein verschiedenes Niveau hat, bringt keine Macht der Welt dieses Tor wieder auf.
      Na, dann warten wir mal ab, vielleicht können wir ja einfach hinter dem Frachter mit reinschlüpfen. Beobachten wir einfach mal, was passiert.





      To be continued...
      Zuletzt geändert von BlaesFevrier; 11.03.2008, 11:33. Grund: Zwei oder drei Absätze drangehängt.

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      • Werner Hohn
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        #4
        AW: [DE] Riverboat 2006

        ... packt seinen geliebten Spötter Heine aus:
        Aha, noch einer.

        Also eins ist schon mal sicher: Die von dir gewählte Schrift ist seniorengerecht.

        Mach mal hinne! Kommen noch ein paar Bilder?

        Werner
        .

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          #5
          AW: [DE] Riverboat 2006

          Nur nicht hetzen: Immer langsam mit den jungen Pferden.

          Was die Schrift angeht, ja, ich weiß, sie ist mal ein bißchen größer, aber bei so einem Fließtext wirken bei kleinerer Schrift zumindest auf meinem Laptop (dreimalverfluchter Widescreen) die Zeilen viel zu lang und dann wird 's unlesbar. Die nächsten Bilder füg' ich dann nachher ein, ja.

          Zu Heine: Hör' ich da Kritik oder Übereinstimmung?

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          • Werner Hohn
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            #6
            AW: [DE] Riverboat 2006

            Übereinstimmung.

            Wenn dir die Zeilen zu lang werden, da gibt es einen Trick den kaum jemand kennt.

            Mit list ....... /list (eckige Klammern nicht vergessen) wird der Text nach rechts gerückt. Es reicht wenn das am Anfang und am Ende steht.

            Beispiel ohne:

            dskjfhdsahfhsdf hkasdkjfh asdkjfhksa dhfkjsadhf kjasdhfkjasd hfakjsdfhas kjdhf askjfasdhfhasdkjfh sakdhfaskjdhf kj fkjshdfkjasdhfkjhsdfkjhsd kjfh sdkjnhsdkj hgkjsdhfkj sdhgfkjsdfhgkjhsdfgkjhsdf kjghdskjghsdkjfghsdkjf hgksjdhgkjsdhgkjshdfgk jsdfh gkjshfg kjsdfhjkghfkjg sdfhg ksdhgkshdf gkhshggfh skhdf h

            Beispiel mit:
            • hdfj sdksdfhskdh fkjsdfhgksh dfkhsdfkjgh sdfkghsdkjf hgsdfkj hgk jsdhk jfdshg ksjdfhgkjsdfgk fgufd ug sdifzhsf hgdsfi iufds ifkusfd idfgsd fdsuu fdgsduh gsdfzgfiusdf sfdhg fdikuhgskjdfhg sidf sdisfdhg sidfhgiuksdfhjgshkghsdiughsdfk

              dhfjdasfh k dsadsakj hfasdhjk fksjdaf hdk fasdkjfhasdf s djdsahfddhf dshfdhfhd dhfhdh djhfdhf dhh dhfhd dhfh djfd dfhadjhfajds dhfasdjfh dds

              fjsadfh hdshfdhdhfajdsfh jdsfh jsdhfd fhdsfh dsakjadshnfsrztz rfbdsnjf jds fdskjhfsduhrhbfdsjnjfdsj hfdskjh fdsj hfdkjhfsdkjghjff jfdsfdskjhfds uhrfdsuhref


            Bei meinem Bericht über die Vía de la Plata habe ich das erstmals angewendet.

            Das alles passt ja nicht zum Reisebericht, wenn's wieder raus soll, bitte melden. Dann schreibe ich was Schönes.

            Werner
            Zuletzt geändert von Werner Hohn; 06.03.2008, 17:51.
            .

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              #7
              AW: [DE] Riverboat 2006

              Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen

              Wenn dir die Zeilen zu lang werden, da gibt es einen Trick der kaum jemand kennt.
              Stimmt, der Trick kannte mich bislang nicht. Danke. Ich probier 's nachher mal beim editieren aus.



              Edit: Ups! Hab' gerade gesehen, daß ich wohl zu schnell -- oder zu langsam, wie mann's nimmt! -- zitiert habe und Du währenddessen das Posting noch mal ergänzt und v.A. korrigiert hast. Zur Ergänzung: Nee, laß ruhig stehen. Hier im Forum sind Zwischenmeldungen mit Tips und Anregungen doch eh üblich, und es mag ja vielleicht jemandem, der hier mal zufällig drüber stolpert, bei seinem eigenen Reisebericht zugute kommen. Du darfst aber gerne trotzdem noch was Schönes schreiben. Und umgekehrt: wenn das Zitat wieder raus soll, bitte melden.
              Zuletzt geändert von BlaesFevrier; 06.03.2008, 18:27. Grund: Anpassung an die Ergänzung des zitierten Postings

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              • BlaesFevrier
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                #8
                AW: [DE] Riverboat 2006







                Da! Das Tor öffnet sich. Langsam, zwei gleichmäßig aufknarrende Torflügel. Eine Karawane von Booten kommt heraus. Es ist wie eine Fata Morgana, sie alle ziehen mit der Gemächlichkeit von Kamelen im Wüstensand an uns vorbei, eines nach dem anderen, alle in gleichem Abstand voneinander. Die Hitze und das Flirren in der Luft tun ihr übriges dazu; würde das Wasser nicht um diese Poller herumgluckern, ich würde meinen, es knirschte Sand zwischen meinen Zähnen.
                Der Frachter ist von achtern auf wenige hundert Meter herangekommen, ist noch ein bißchen langsamer geworden, hat aber nicht gestoppt. Karawane und Flußfrachtschiff tuckern aufeinander zu, und dann aneinander vorbei, einer nach dem anderen. Und alles wie in Zeitlupe, fast wie im Traum, ich schaue ins spiegelblanke Wasser, alles, scheint’s, nehme ich kopfüber wahr. Ich glaube, der Wüstenwind, der nicht weht, hat mir Sand auch in die Augen gestreut, und dauernd muß ich gähnen. Gleich müßte doch mal der letzte aus der Karawane der wüsten Schiffe die Schleuse verlassen, das waren doch schon so viele. Und wir: Machen wir uns besser mal startklar, daß wir hinter dem Frachter herkommen, wenn es gleich losgeht. Alle an ihre Positionen. Denn endlich zieht der offenbar letzte Gegenverkehr am Frachtschiff vorbei. Es kommt keiner mehr aus dem Schleusenbecken heraus. Tatsächlich, das Ampelsignal springt um, zeigt grünes Licht. Ohne überhaupt gestopt zu haben fährt der Frachter schon in die Schleuse, hat dazu sogar noch mal beschleunigt, bevor die Ampel umgesprungen war, der weiß anscheinend ziemlich genau das Timing so einer Schleuseneinfahrt. Wir sind gerade klar zum Ablegen und beinahe auf dem Weg hinterher, der Frachtkahn hat gerade mit dem letzten Meter seines Hecks die Zufahrtsmarkierung passiert, da springt das Ampelsignal auf Rot. Hej, was jetzt? Wenn immer nur einer da rein darf, dann hat der sich vorgedrängelt, wir waren zuerst hier. Wir wollen auch mit.
                Verdammt, wir müssen herausfinden, wie wir uns denen bemerkbar machen, sonst sind wir morgen noch hier.
                Erster Offizier Z. geht von Bord, dienstlicher Landgang, quasi eine Aufklärungspatrouille. Er will mal versuchen, hinüber zu gehen. Vielleicht kommt er ja rein und kann da mit jemandem sprechen. Eine viertel Stunde später kommt er zurück, um Bericht zu erstatten: Er sei bis an die Mauern herangekommen. Dieser Metallsteg führe zwar an allen zehn großen Anlegepollern vorbei, aber am ersten, zweihundert Meter vor der Einfahrt sei dann Schluß, es sei also sowieso nicht vorgesehen, die Schleuse von hier aus auf dem Landweg erreichen zu können, trotzdem sei er weiter gegangen: von da an mußte er sich durchs Unterholz bis zum Schleusenbau schlagen. Es gäbe, wie er aus der isolierten Lage des Steges ja schon messerscharf kombiniert habe, keinen Weg hinein, keine Tür, keine Leiter hinauf, nichts. Es sei einfach eine mächtige Mauer und da sei auch niemand.
                Wir diskutieren noch, da nähert sich von achtern ein Motorboot, eine von diesen mittelgroßen Jachten mit hohen Decksaufbauten. Der steuert auf einen ganz kleinen Bootssteg am anderen, am linken!, Ufer zu, dreihundert Meter voraus, und legt dort an. Verdammt. Ist denn keinem von uns aufgefallen, daß da drüben ein Anleger ist, der viel mehr unseren Größenverhältnissen entspricht, als diese drei Meter hohen Poller, hier? Laßt uns doch da mal hinüberwechseln und gucken, ob uns das nicht vielleicht weiterhilft. Auf diesem kleinen Steg gibt es einen Klingelknopf und eine Gegensprechanlage! Das ist ja fast noch besser als ein Messingtürklopfer. Ob wir die jetzt auch noch mal benutzen müssen, oder ob wir uns hinter der Jacht einfach einreihen können? Sich einreihen zu wollen, das ist vor zwanzig Minuten schon mal schief gegangen, aber vorsichtshalber versucht Kai Zwo sich bei dem Jachtenskipper nach den generellen Gepflogenheiten beim Anmelden zum Schleusungsvorgang zu erkundigen. Allerdings bekommt er nur eine sehr unzureichende und sehr unfreundlich vorgebrachte Antwort: Der Skipper habe sein Boot schon angemeldet. Naja, vorsichtshalber drückt Kai Zwo den Klingelknopf. Kann ja nicht schaden, wenn wir uns extra ankündigen, schließlich übersieht man uns so leicht. Ein Freizeichen wie bei einem Telefon erschallt aus dem Lautsprecher. Es nimmt aber niemand ab. Auflegen können wir ja auch nicht, deshalb sitzen wir eine Weile neben dem kleinen Kasten und warten ab. Der Skipper und seine Frau kommen von Bord, zum Gassigehen ein paar Meter in den Wald hinein, an einer langen Leine ein winziges Schoßhündchen mit Augen, größer als sein eigener Schädel. Aha! die Ratten verlassen ihr stinkendes Schiff; offenbar ist noch ein bißchen Zeit, ehe es weitergeht.
                Der Jachtenkapitän und seine kleine Familie gehen gerade wieder an Bord, da knackt es in der Leitung und aus dem Gegensprechkasten meldet sich der Schleusenwärter. Noch recht unsicher, wie viele Informationen wir durchgeben müssen, beschreibt Kai Zwo: "Ja, wir sind an der Petershagener Schleuse, und würden gerne flußabwärts geschleust werden". Dann beschreibt er kurz unser Böötchen und erwähnt auch, daß wir ein Gummikanu schleppen. "Kein Problem", knarzt es aus der Leitung, "nur noch einen kleinen Moment. Ich schleuse gerade aufwärts, und wenn ich damit fertig bin, dann könnt Ihr einfach reinkommen". In der Zwischenzeit ist noch eine andere Jacht angekommen, die bleibt einfach in der Mitte des Flusses stehen, reiht sich also offenbar irgendwie ein, ohne zur Anmeldung herüberzukommen. Na, bei dem mag das funktionieren, der ist ja auch kaum zu übersehen.
                Wir machen den Leichter längsseits an Steuerbord fest. Das Tor geht auf, wieder kommt eine Karawane aus dem Schleusenbecken, dann springt für uns die Ampel auf Grün. Zuerst fährt die zuletzt gekommene Jacht hinein, der brummelige Skipper hinterdrein und wir haben ein bißchen Mühe, den beiden zu folgen, aber, wirklich kein Problem, wir fahren mit hinein. Bin ich schon drin? Ich bin drin! Das war ja einfach.
                Durch einen Lautsprecher bekommen wir irgendwelche Anweisungen, allerdings verstehe ich kein Wort. Kai meint, wir sollen bis nach vorne durchfahren. Wir suchen uns also eine Leiter recht weit vorne an der linken Spundwand aus, an der wir uns festhalten können. Hinter uns hat sich das Tor längst geschlossen und ehe wir an der Leiter ankommen, geht es auch schon langsam abwärts. Der Wasserspiegel fällt. Der Umstand, daß Kai unser Gespann gerade hält, indem er sich an eine Sprosse der Leiter klammert, führt dazu, daß wir anfangen, Seemannsgarn zu spinnen. Zuerst die Geschichte von dem einen Bootsmann, der seine Jacht an der Nordsee mal so an einer Kaimauer vertäut hat, daß, als die Ebbe kam, das Boot frei an der Wand baumelte. Und die Geschichte des Nachbarn von Rettmanns in Hattstedt bei Husum, der mit seinem flachbordigen Mooterböötchen mal ein paar Paletten Zement von Strucklahnungshörn nach Pellworm bringen wollte, aber nur vier von seinen sechs Stück mit Mühe an Bord aufstapeln konnte. Der war gerade hinter dem Hafen in die Fahrrinne eingebogen, die da ne enge Kurve macht, da macht ihm durch die Krängung eine seiner Paletten den Abgang ins Wasser. Na, denkt der, dann fahr' ich jetzt eben zurück und hole noch eine andere Palette, eh' daß ich den weiten Weg mit Unterladung fahr'. Fährt zurück, stockt wieder auf vier Paletten auf und tuckert so nach Pellworm. Als am ander'n Morgen die Fähre von Strucklahnungshörn nach Pellworm aufbricht, läuft die in ihrer Fahrrinne komischerweise auf. Da ist über Nacht bei Ebbe dem Nachbarn von Rettmanns sein Zement ausgehärtet und hat die Fahrrinne blockiert. Die mußte für die Fähre dann erst wieder freigebaggert werden!
                Inzwischen sind wir an der glitschigen Wand nach unten geglitten, das Wasserniveau ist jetzt gut fünf Meter niedriger. Es müffelt nach Modder. Das weserabwärtige Schleusentor erzittert, öffnet sich einen Spalt weit. Mehr Wasser fließt ab. Dann knarrt es in den Angeln und langsam schwingt es weit auf, gibt uns den Weg nach Norden frei. Wir lassen den schnelleren beiden Jachten den Vortritt und sind endlich endlich wieder auf großer Fahrt.
                Hinter Petershagen und bis zur Schleuse vor Stolzenau ist kein Zeltplatz mehr in Sicht gekommen. Nun liegen wir vor dem nächsten geschlossenen Tor. Allerdings haben wir uns diesmal auf Anhieb links gehalten, dort auch den kleinen Anleger mit der Gegensprechanlage gefunden und uns ordnungsgemäß angemeldet. Nun warten wir darauf, geschleust zu werden. Ungeduld macht sich breit, hungrig sind wir schon lange, wir würden uns gerne beeilen, würden lieber schon jetzt an Land gehen und die Zelte aufschlagen, denn hinter uns ziehen sich dunkle Wolken zusammen. Das muß noch nichts heißen, richtig bedrohlich sieht mir das noch nicht aus, aber ein bißchen ein mulmiges Gefühl habe ich halt doch. Und während eines Gewitters auf der Weser festsitzen und nicht runterkommen möchte ich nicht. Alles. Nur das nicht.
                Diesmal werden wir gleich beim ersten Mal mitgeschleust und kommen am Ende des Kanals nach Stolzenau. Und dort gibt es einen Campingplatz, beschildert mit "Motorbootclub Stolzenau e.V.", was uns Erleichterungsseufzer entlockt. Da gehen wir auf den allerersten von drei Slipwegen vor Anker. Neben uns sitzen zwanzig Leutchen um einen Tisch und beäugen uns argwöhnisch. Wir ignorieren die, Kai Zwo geht los, sucht und fragt jemanden, ob wir da liegenbleiben und wo wir eventuell zelten dürfen. Und der sagt ihm, die Zeltwiese da hinten gehöre zum öffentlichen Teil des Campingplatzes, aber daß das Gelände, wo die Boote jetzt liegen, Clubgelände sei, denen gehöre, die da am Tisch säßen, und daß wir die fragen müßten. Und die sind nun eingeschnappt, weil wir sie nicht direkt angesprochen haben. Nun, wenn wir die Boote an Land brächten, dann koste es nichts, wenn sie aber da liegen bleiben sollen, dann sollten wir fünf Euro zahlen, damit wär' dann die Sache vergessen.
                Wir bringen die Boote an Land. Sicher haben diese Dösköppe mit "an Land bringen" gemeint, wir sollen sie ganz von deren Gelände fort und zum Zeltplatz hinüberschaffen, aber ich interpretiere es einfach demonstrativ als Erlaubnis, sie über Nacht neben dem Slipweg zu deponieren. Die Clubbies gucken nun zwar noch pikierter als zuvor, sagen aber nix mehr. Um so besser, können wir doch nun endlich unser Gepäck zur Zeltwiese hinüberschaffen und aufbauen.

                Samstag, 22. Juli 2006 20:00 - 22:00 - Das Gewitter hat sich verzogen, für diesmal ist es an uns vorübergegangen. Es hatte eine halbe Stunde lang genieselt aber es war alles andere als dramatisch. Ich gehe kurz ins Dorf, um mich umzusehen. Gleich am Eingang zum Camp steht ein alter Dorfkrug, seit langer Zeit geschlossen, mit vernagelter Tür und einem Namen, der nahelegt, daß es sich hierbei um den örtlichen Puff gehandelt haben muß. Leider hab' ich den aber vergessen. Wenn es nicht „Bumsbude“ war, dann aber zumindest etwas ganz ähnliches. An der Wand hängt denn auch ein Kondomautomat. Nun ja. Der Dorfkern liegt keine hundert Meter entfernt. Eine kleine nackte Fußgängerzone, ein paar Geschäfte. Zur anderen Seite vom Dorfplatz geht eine kleine Kopfsteinpflasterstraße ab, da steht ein weißgetünchtes Bauernhaus aus Ziegeln mit Reet auf dem Dach im Schatten hoher Bäume, eine sehr saubere Dorfkneipe höheren Niveaus. Dahin will ich die anderen beiden bringen. Aber zunächst bitte ich Kai, der eh Bargeld abheben muß, meinen Kredit aufzustocken, was er ohne zu Zögern bewilligt. Gott, wie dankbar ich ihm bin. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier. Natürlich nicht!

                Der Biergarten, der zu diesem Bauernhaus gehört, ist nicht nur urgemütlich. Es gibt dort auch Flens. Ich bestelle meines in groß. Das unverhoffte Wiedersehen mit diesem flachsblonden alten Bekannten will schließlich gefeiert werden. Beim Blick in die Karte läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Diese Kneipe hat in der Tat ein hohes Niveau. Und schließlich bleibe ich dann beim teuersten Gericht hängen, das muß ich probieren, die anderen mögen es mir bitte verzeihen, aber ich kann leider nicht anders: Ich bestelle Filetsteak, rosa gebraten, mit Sauerkirschen und Kartoffelrösti. Und es ist denn auch perfekt. Wohl der kulinarische Höhepunkt dieser Reise, abgesehen von den halben Dosenpfirsichen, die uns noch bevorstehen. Daß es zu diesem phantastischen Abendessen allerdings Flensburger gibt, setzt dem Abend, den ich eigentlich längst abgeschrieben hatte, denn noch ein Krönchen auf. Noch einen Halben, bitte!

                Sonntag, 23. Juli 2006 09:30 - 17:00 - Motorbootsclub Stolzenau via Nienburg nach Drakenburg:
                Mmmpf. Graue Atmosphäre, dieser Ort hat eine ganz düstere Aura. Vogelscheiße spielt beim heutigen Klar-Schiff-Machen eine entscheidende Rolle: Als ich aus dem Zelt krieche, stelle ich als allererstes fest, daß mir irgend ein Geier auf die Plane geschissen hat, und zwar nicht nur so einen kleinen Spatzenfurz, sondern einen richtigen flüssigen Möwenstuhl, der die halbe Zeltwand runtergelaufen ist. Immerhin hab' ich vergangene Nacht die Regenzelthaut auf den Schneewittchensarg gezogen, sonst wäre das Fäkal womöglich durchgeschlagen, durchs grobmaschige Mosquitogaze mir aufs Gesicht getropft, oder so. Wie auch immer, ich muß keine augurischen Neigungen haben, um zu sehen, daß Taubendünnpfiff am Morgen ein schlechtes Omen ist: Das wird ein beschissener Tag!
                Ich hätte ja gerne noch einen bestätigenden Blick in den Kaffeesatz geworfen (der uns eh einen schwarzen Tag prophezeit hätte, aber trotzdem...), allein: es gibt keinen Kaffee, weil ja schon gestern die Gaskartusche schlapp gemacht hat und nicht mal unser Großer Organisator ohne Feuer heißes Wasser herbeizuschaffen vermag. Ein Frühstück ohne Kaffee gehört allerdings zu den schlimmsten Szenarien, die ich mir für einen Start in einen schlimmen Tag vorstellen kann. Übrigens waren die festen Bestandteile des Frühstücks auch nicht so delikat, daß sie über das Fehlen von Kaffee hätten hinwegtrösten können. Im Gegenteil: Wir hatten nur noch ein paar Reste, die ein Häftling von Chateau d' If verschmäht hätte: Eine Dose Hering in Tomatensoße, die schon mit uns durch die Gluthölle von Heinsen gegangen ist, eine Dose Spam (!) und ein paar Scheiben geschmacklosen trockenen Graubrots. Herunterzuspülen mit brackigem Leitungswasser. Immerhin sind keine Maden drin.

                Über Nacht hat eine hundertköpfige Entenschule auf dem Betonslipway, über den wir die Boote zu Wasser lassen müssen, geparkt. Natürlich haben die Mistviecher bei Bedürfnis ihre Exkremente einfach da fallen lassen, und zwar nicht zu wenig. Womit wir wieder beim Thema Vogelscheiße wären. Das ist auch nicht etwa deswegen so unangenehm, weil es einfach nur eklig wäre, sondern es ist obendrein verdammt gefährlich, der feuchte Kot auf dem Slipway ist nämlich schlüpfrig wie Schmierseife [Slipweg, der, aus dem engl. von "slippery when vollgeschissen"], und Kai Zwo ist wohl auch tatsächlich so unglücklich darauf ausgeschlupft, daß er hart auf die Schulter geknallt ist, womit der Scheißmorgen ihn wohl am härtesten von uns dreien erwischt hat. Er meint, sein Arm tue so weh, der sei kaum noch ernsthaft zu gebrauchen. Und das ist sicherlich kein Spaß.
                Trotzdem ziehen wir alle, er selbst auch, beim kargen Frühstück darüber her. Malen uns Amputationsphantasien in grausamen Details aus. Galgenhumor.

                Der Geruch des in Ufernähe allgegenwärtigen Entenfäkals würgt mich dann nach dem Frühstück im Halse, als wir am Slipweg die Boote beladen. Mit den Gummislippern an den Füßen an Bord gebracht, verschmieren wir am Bootsrumpf, an Deck und an einigen anderen Stellen versehentlich, obwohl wir darauf einigermaßen Acht geben, etliche grüne Schlieren Entenscheiße. Es läßt sich auch schließlich nicht vermeiden, wadentief in der grünlichen Weserbrühe zu waten. Herrgott, ist das eklig.

                Käpt'n Kai persönlich macht sich unmittelbar nach dem Ablegemanöver, mit der Lenztasse Weserwasser auf die Gummiwülste aufbringend, höchst selbst ans Deckschrubben.

                Zunächst sind wir froh um jeden Fußbreit, den wir zwischen den Motorbootsclub und uns legen können, zumal einer von diesen gestrigen älteren Männern, Minimalfrisur, struppiger Bart und nackte Brust, von dort mit seinem Flitzer vor dem Mittag bis fast unmittelbar vor dem Schleusenkanal zwei oder drei Mal an uns vorüberzieht und dabei eine riesen Welle macht. Heute macht mir das Bugwellenkreuzen keinen Spaß, ein nasser Hosenboden kommt mir unangenehmer vor als sonst, obwohl man meinen sollte, wir müßten uns dran gewöhnt haben, aber außerdem liegt der Frachter schlagseitig und komischerweise mit höherer Rollperiode als sonst im Wasser und treibt achtern auf, so daß er bei jeder Woge Gefahr läuft, über den schlappen Bug Wasser überzunehmen. Zunächst versuchen wir, das on the fly bei Kleiner Fahrt mit längsseitsgezogenem Leichter durch schieres Umpacken zu beheben, aber ein Zwischenstop für eine gründliche Ausbesserung scheint unabwendbar.

                Diesig verhangener Himmel, der sehr tief hängt, und es ist vergleichsweise kühl geworden. Unangenehm kühl besonders bei feuchtem Textil, so daß ich eine Stunde lang oder vielleicht länger auf dem Deck stehend Nase und feuchte Flecken in den Wind halte. Bei geschlossenen Augen blind surfend den gleichmäßigen Vortrieb und die leise Dünung ausbalancieren: ein irrer Flow.



                Gegen Mittag, hinter der Schleuse bei Landesbergen, deren Kanal endlos lang und schmal und schnurgerade war, rechts und links am Ufer Deiche mit Schafen drauf, verbreitert sich der Fluß und fließt ruhig und träge und flach durch eine flache norddeutsche Landschaft. Es begegnen uns hier zwei Segelboote, die genug Flußbreite und thermische Beständigkeit finden, um unter Segeln manövrieren zu können.



                Nienburg taucht vor uns auf, voraus eine schöne schlanke Brücke über den Fluß, rechter Hand die Zwillingstürme eines kleinen Doms und zwischen den schönen roten Ziegelhäusern sehr viel Grün. Große ausladende schattengebende Buchen, Linden, Kastanien und Haselbüsche am Ufer. Das Ufer ist eher eine steile Böschung, die die Wasseroberfläche um fünf bis sieben Meter überragt, darüber eine Art kopfsteingepflasterte Flußuferpromenade, ein alter Wall. Und schon am Ortseingang am Weserufer ein kleiner semiprivater Bootsanleger. Einer der modernen Art, ein Stahlgitterrost, einen Meter über dem Wasserspiegel auf schwimmende Plastiktonnen montiert, von dem aus führt eine dreißigstufige ungeländerte Treppe zur Straße hinauf. Aus der Fahrt heraus sieht das sehr geeignet aus für einen Landungsversuch, zumal der Anleger in stehendem Wasser ganz abseits des Mittenstroms liegt, so daß wir, wenn wir alle drei an Land gehen wollen, ohne weiteres die beiden Boote einfach vertäut im Wasser liegen lassen können; sie würden wahrscheinlich nicht einmal dann abtreiben, wenn wir sie nicht anbinden würden.
                Nun, jedenfalls machen wir da fest. Daß es sich um stehendes Wasser handelt, bestätigt sich: Es liegt dort eine aufgedunsene Wasserleiche, ein riesiger, mörderisch stinkender toter Fisch und so wie der aussieht liegt der schon ziemlich lange da.
                Das An-Land-Gehen ist doch nicht ganz so einfach, wie 's von ferne ausgesehen hat, wir müssen Kai ganz schön unter die Arme greifen, um ihn aus dem Boot herauszubekommen. Aber es geht. Doch zunächst mache ich mal alleine nach oben, herausfinden, ob sich der Aufwand, die ganze Mannschaft hier an Land gehen zu lassen, überhaupt lohnt. Oben an der Straße stelle ich fest: Es gibt ein Touristencafé mit Außentischen und einem Pappaufsteller, der selbstgebackenen Kuchen verheißt, bei der Kopfsteinpflasteruferpromenade handelt es sich immerhin um einen Abschnitt des rechtsseitigen Weserradwegs, und so sind auch ein paar Leutchen unterwegs. Und da sind auch zwei mittelältere - na, wie soll ich 's nennen? Herrschaften? Ein Mann und eine Frau, beide in Begleitung eines kleinen Jungen, alle drei auf Fahrrädern, die aber zusammen am Ufer stehen und unser Anlegemanöver bestaunt haben. Ich bin sofort mit denen im Gespräch. Ob wir von weit herkämen? Der vollbepackte Frachter ließe darauf schließen. Ich spinne Seemannsgarn und erzähle auch, daß der Zweck dieser Anlandung sei, daß wir Proviant und Treibstoff aufnehmen müssen und frage natürlich nach der nächstbesten Gelegenheit. Nächstbest sei eine Tankstelle, die auch sonntags geöffnet sei, hier und dann dort lang, die sei aber, erklärt der nette Herr, immer noch zwei Kilometer weit weg ins Landesinnere. Aber ich könne ja sein Fahrrad nehmen, so lange würden sie da im Café ein Eis essen. Das lasse ich mir nicht zwei Mal anbieten und hole den Rest der Crew und den Tank herauf. Kai und Kai werden, derweil ich mich ums Bunkern kümmern werde, mit unseren freundlichen Helfern ins Café gehen...
                Das ist nun also schon das zweite Mal auf dieser Reise, daß ich so unverhofft zu einem Fahrrad gekommen bin wie die Jungfrau zum Kinde. Es ist ein ganz gutes Fahrrad, das sich unter normalen Umständen sicher äußerst bequem fahren läßt. Ich allerdings eiere hin und her, weil es extrem schwer ist, den noch zu einem Viertel vollen Tank unfixiert auf dem Schoß auszubalancieren. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich trüge während des Fahrens wieder ein Frettchen an der Spitze eines Besenstiels auf der Nase.
                Der Wegbeschreibung folgend stoße ich irgendwann endlich auf eine Tankstelle, die zwar nicht der beschriebenen Aral mit eingebautem Minimarkt ähnelt, sondern vielleicht einem Zeitungskiosk mit Zapfsäule, aber egal. Es gibt Benzin und Bier gibt 's auch, feste Nahrung gibt 's leider nicht, aber viel mehr als Bier und Tank kann ich eh nicht transportieren. Ich kaufe zwei Sixpacks Hülsenfrüchte und drei oder vier Liter Sprit und muß auf dem Rückweg das Rad wegen völlig unausgewogener Bepackung schieben. Als ich endlich beim Café um die Ecke biege, ist dem freundlichen Wohltäter die Erleichterung fast anzusehen. Nicht, daß er sich womöglich gesorgt hätte, ich käme gar nicht wieder, aber ich hätte mich ja durchaus noch für eine Stunde oder länger im Wald verlaufen können. Bin ich Hänsel und Gretel?
                Jedenfalls machen sich der Wohltäter samt Familie gleich nach Radübergabe auf ihren weiteren Weg, so daß ich mich nicht mit einem Eis revanchieren kann; Kai und Kai haben das auch nicht in der Zwischenzeit übernommen, stelle ich später fest. Deshalb an dieser Stelle noch mal: Herzliches Dankeschön.

                Ich lege den Tank am Wegesrand nieder, hüpfe über das Jägerzäunchen in den Bereich mit den Außentischen und geselle mich wieder zu meinen Kameraden. Wir sind um wenige Minuten vor zwei hier am Anleger angekommen, inzwischen ist es fast drei. Selbst, wenn wir fortan unter Volldampf fahren ist es unwahrscheinlich, daß wir die Weserschleuse Balgen vor dem Schleuserfeierabend um 16°° Uhr erreichen. Darüber diskutieren wir unter anderem, während ich mir einen Eiskaffee als erste koffeinhaltige Nahrung des Tages kommen lasse, ergänzt von dem nahrhaftesten Feststoff, den das Haus anzubieten hat, was leider, enttäuschenderweise nur eine Waffel mit Sahne und Blaubeeren ist. Und was war mit dem Pappaufsteller? Tut der Bedienung Leid, aber es gibt keinen Kuchen; nur Waffeln und Blaubeeren. Meine Freunde haben auch Blaubeerwaffeln gehabt. Nun ja, dann halt eine Waffel zum Eiskaffee, den mir die mit Palmtop ausgerüstete aber dennoch völlig überforderte Kellnerin ohne Strohhalm und Löffel serviert, was sie erst auf Anforderung und dann Wartezeit nachbessert. Am Nachbartisch schwadronieren sonnenbebrillte Yuppiemilchgesichter auffällig lautstark über ihren Mallorcaurlaub. K2 packt sieben Flaschen Sonnenmilch auf dem Bistrotischchen aus. Und als ich endlich genug Ausrüstung zusammen habe, um fachgerecht meinen Eiskaffee zu mir nehmen zu können, konzentrieren wir uns wieder auf die Analyse des Weges, der heute noch vor uns liegt.
                Wir werden in Balge heute unseren Informationen zufolge nicht mehr geschleust und in unserer Radwanderkarte ist zwischen Nienburg, der Balger Schleuse und dem Weserwehr in Drakenburg kein Campingplatz mehr eingezeichnet. Letzteres muß aber nicht heißen, daß es keinen gibt, waren doch auch der Hamelner Ruderclub und der Motorbootclub in Stolzenau nicht auf der Karte. Nun, wir wollen uns nicht darauf verlassen und eigentlich wäre es uns sowieso lieber, wenn wir noch geschleust würden, weil wir noch ein kleines Stück Weser hinter uns bringen könnten, ehe es Zeit wird, zum letzten Mal ein Camp zu errichten. Irgendwoher kommt während der Diskussion das Gerücht auf, es gäbe in Sonderfällen auch außerhalb der Schleusenöffnungszeiten die Möglichkeit, geschleust zu werden und dazu müsse man sich an das Wasser- und Schiffahrtsamt wenden. Immerhin werden die Schleusen nicht vor Ort sondern zentral gesteuert. Wie das verwaltungsmäßig läuft und wie wir da durchschlüpfen könnten liegt außerhalb meines Vorstellungsvermögens - ob es wohl teuer ist, dafür einen Schleusenwärter aus dem Bett zu holen? - , aber immerhin haben wir ja die Telefonnummer des Wasser- und Schiffahrtsamtes; was also soll mich davon abhalten, da anzurufen und mal zu fragen, ob sie das nicht mal für uns machen würden. Offenbar haben die Schleusenwärter schon den Feierabend, dessentwegen wir hier diskutieren, denn es geht nur ein Anrufbeantworter ran. Der allerdings verkündet, man möge sich in dringenden Fällen an die Wasserschutzpolizei in Minden wenden und die Telefonnummer wird auch gleich angesagt. Ich bin ein dringender Fall und rufe auch da kackfrech an:
                "Guten Tag, mein Name ist H. Ich habe Ihre Nummer vom Anrufbeantworter des Wasser- und - na ihr wißt schon - , bin mir aber nicht sicher, ob ich mit meinem Problem nun bei Ihnen gut aufgehoben bin. Ich bin weserabwärts unterwegs und augenblicklich in Nienburg, das bedeutet, daß ich es nicht rechtzeitig bis vier Uhr schaffe, an der Schleuse zu sein, um vier ist da aber meines Wissens Feierabend. Gibt es irgendeine Möglichkeit, da doch heute noch durchzukommen?"
                "Nee", sagt der. "Eigentlich nicht".
                Eigentlich? Hört, hört. "Wie groß sind sie denn?" fragt er noch. Naja, nicht sehr groß. Ein Schlauchboot mit Außenborder, fünf PS, und ein Schlauchkajak als Schlepper hintendran, Gespannlänge vielleicht so acht Meter, Gesamtgewicht mit Personen vielleicht eine viertel Tonne. "Ach, das hab' ich mir gedacht, daß Sie das sind", sagt er und ich wundere mich darüber: Wie meint der jetzt etwa, der kennt uns schon? "Meinen Sie, Sie könnten Ihre Zuladung ein Stück tragen? Dann können Sie nämlich sicherlich mit den Booten durch die Bootsgasse am Drakenburger Weserwehr. Dazu müssen Sie da am Campingplatz, statt geradeaus in den Schleusenkanal zu fahren, nach rechts dem alten Weserlauf folgen". Campingplatz?? Offenbar gibt es da einen und wenn er schon mal da ist, dann wäre es doch dumm, dies nicht als die Lösung unseres Problems zu benutzen. Wir werden also für unser letztes Lager diesen von der WSP Minden vorangekündigten Campingplatz anpeilen. Auf gehts!

                Sonntag, 23. Juli 2006 17:30 - 19:30
                Am Abzweig zum Schleusenkanal ignorieren wir das Verkehrsschild, das uns wie üblich darauf hinweist, daß die Durchfahrt des natürlichen Weserlaufs statt durch die Schleuse nur Kleinstwasserfahrzeugen möglich ist, schließlich wollen wir den Weserarm ja nicht komplett durchfahren, denn wenn die Informationen des Wasserschutzmanns korrekt sind, müßte schon nach ein paar Metern gleich der Zeltplatz auftauchen. Na, es sind schon ein paar Meter mehr als angekündigt, in der Ferne ist schon das Weserwehr zu sehen, als wir die ersten Motorboote und Caravans zwischen den Bäumen sichten. Die Wohnwagen stehen nicht regelmäßig, sondern großzügig weit auseinander und in alle Richtungen, trotzdem wirkt der Platz relativ gut gepflegt. Wirklich schön. Wir umfahren die Wasserseite des Platzes ein Mal in voller Länge, um einen umfassenderen Eindruck zu bekommen, und noch ein Mal ganz zurück. Es gibt auch ein Bootshaus, eine kleine, allerdings heruntergekommene Reparaturwerft und, im Schatten hoher Bäume und einer Haselhecke, einen langen massiven nadelhölzernen Bootssteg mit Landeauslegern, dazwischen die unvermeidlichen Außenborderjachten. Sehr schön. Es gefällt uns hier.
                Wir suchen uns einen freien Platz zwischen den Stegauslegern, absolvieren höchst souverän unser Anlegemanöver: Ich drehe das Boot bei kleiner Fahrt gegen die hier nur sehr leichte Strömung und peile den Punkt am Steg an, auf dem ich das Boot ansetzen möchte, der Leichter wird auf der abgewandten Seite längs festgezurrt. Ich gebe Gas und Kai kuppelt aus. Mit dem übrigen Schwung sollten wir eigentlich weit genug kommen. Na, fast. Ich gebe noch mal leicht Gas, Kai kuppelt wieder aus. Und um dann endgültig zu bremsen, ehe wir dann doch aufs Ufer auflaufen, drehen wir kurz in den Rückwärtsgang. Und Stop! Fast eine Punktlandung. War doch ganz gut.



                Eingedenk der gestrigen Lektion in Bootsclubetikette mache ich mich auf, um die hiesigen Häuptlinge zu begrüßen, gnädig zu stimmen, untertänigst um die Erlaubnis zu bitten, deren Land zu betreten, bevor wir uns hier für eine Nacht niederlassen. Kai und Kai warten im Boot. Ich muß eine kleine Weile gehen, ehe ich jemanden im Vorgarten seiner Gartenlaube residieren sehe, der wie ein hiesiger Häuptling wirkt: Er thront in einem Gartengestühl aus Mahagoni und streckt den mächtigen haselnußschwarzbraunen nackten Bauch in die Höhe. Eine Erscheinung, ehrfurchtgebietend wie Doramin von Patusan. Sein grauer, wildgelockter Backenbart ist der eines alten Seebären, die dicke rote Nase desselben. Er wirkt, als sei er im Rum ersoffen. Ich nähere mich ihm, wie ich glaube, daß es das Protokoll verlangt, indem ich an seinem Gartentürchen stehen bleibe und ihn um Erlaubnis bitte, an Bord kommen zu dürfen.
                "Klar, min Jung. Was haste denn?"
                "Ich such' den Platzwart. Könn'se mir sagen, wo ich den finde?"
                "Na, da biste bei mir schon richtig. Der Platzwart bin ich. Na, eigentlich nicht richtig. Mehr so stellvertretender Platzwart. Aber sach doch mal, was de willst?", grinst er wichtigtuerisch. Na gut, also: "Wir sind mit unserem kleinen Motorboot unterwegs und wollen die Nacht über hierbleiben." Wo wir denn unsere Zelte aufschlagen dürften und wohin mit den Booten?
                "Die Zeltwiese ist da hinten, da könnt Ihr Euch aufbauen. Das mit den Booten is egal. Dann müßt Ihr Euch nachher noch anmelden. Die Chefin kommt irgendwann mit dem Fahrrad vorbei und kassiert."
                Okay, so läuft das also hier. Ich bedanke mich untertänigst und lasse ihn weiter in der Sonne dösen.
                Viel habe ich ja nicht erfahren, aber das war ja auch nicht der Zweck. Dieser hier wird sich nun nicht mehr auf den nie besessenen Schlips getreten fühlen, weil wir ihn nicht um Erlaubnis gebeten haben, hier anlanden zu dürfen, darum ging’s. Alles in allem heißt das schließlich, daß wir auspacken und aufbauen können. Und so machen wir 's, parken das Boot noch mal um, mehr in die Nähe der Zeltwiese, diesmal unter den skeptischen Augen zweier gerade eingelaufener Kajütbootkapitäne.
                Dann löschen wir unsere Ladung, zerren die Packsäcke auf die Wiese hinter den Büschen und stellen die Zelte auf. Zu guter Letzt mache ich mich dann doch auf, meinerseits die Platzwartin aufzusuchen. Die hat ihren Wohnwagen in einem eigenen kleinen Garten außerhalb der eigentlichen Campingplatzeinfriedung, aber da gibt es noch andere Wohnwagen und Privatgärtchen rund ums wrackige Bootshaus. Die Frau Häuptling ist barsch, aber auf eine freundliche Art, und sie meint, sie habe uns schon auf- und abschippern sehen. Dann weiß sie ja, daß wir zwei Boote dabeihaben. Die kosten allerdinx nix. Alles in allem kostet uns der Aufenthalt hier ein Almosen, verglichen mit allen anderen Zeltplatzgebühren, die wir unterwegs entrichtet haben. Fein.
                Als ich zu meinen Kameraden zurückkomme, heißt es, wir müßten die Boote noch ein Mal umparken, weil der Anleger, den wir jetzt blockierten, jemandem gehöre, der gleich wiederkommt. Es reiche aber, wenn wir sie nur auf die andere Seite desselben Stegauslegers zögen. Und so machen wir es, setzen uns in den Großkahn und ziehen und staken ihn um den Ausleger herum, machen dann die Boote auf der anderen Seite wieder fest. Später, während ich unterwegs bin, werden Kai und Kai das Anlegemanöver jener Jacht beobachten, für die wir Platz gemacht haben. Glücklicherweise haben wir die Boote nicht nur gegenüber in derselben Auslegernische geparkt, sondern den Ausleger zwischen uns und die andere Nische gebracht. Das Manöver sei nämlich schlimmer gewesen, als alle Beinahehavarien, die wir uns je geleistet hätten. Am Ruder habe ein pubertärer Bengel, schnöselig und besserwisserisch, die Kommandos seines Vaters ignoriert und sei fast mit Volldampf in den Steg gerauscht. Und hinterher habe er sich noch als größter Navigator der Welt aufgespielt. Schade, daß ich das Schauspiel verpaßt habe.

                Die Aussicht auf Bockwürste zum Abendessen macht mich unzufrieden. Für einen so anstrengenden Tag sind je drei Bockwürste etwas dürftig, insbesondere da es ja schon kein anständiges Frühstück gab und nur Blaubeeren zum Mittag, finde ich. Ich habe Hunger. Nachdem die Zelte aufgebaut sind, schleiche ich mich aus dem Lager, um mal zu sehen, ob sich in dem benachbarten Dorf, Drakenburg, nicht was auftreiben läßt. Es sind noch gut zwei Kilometer zu Fuß bis dahin, das Weserwehr befindet sich am nächstgelegenen Ortsende, und der Ort zieht sich noch mal so elend lang am Weserufer entlang, obwohl es groß eigentlich nicht ist. Es gibt nur einen Tante-Emma-Laden, der auch gleichzeitig der Dorfbäcker ist, und zwar am denkbar entferntesten Ortsende, und natürlich ist um diese Zeit längst geschlossen. Es gibt noch sehenswerte Aalreusen und eine kleine Fischräucherei, leider auch sonntags nachmittags geschlossen. Aber unterhalb des Wehrs gibt es eine Gaststätte mit Biergarten, die nett und bürgerlich und urgemütlich aussieht. Ich überlege einige Bruchteile einer Sekunde lang, ob ich jetzt bei dieser Gelegenheit allein zu Abend essen soll, weil ich nicht Gefahr laufen will, daß meine Kameraden möglicherweise keinen Bock mehr haben, heute noch mit mir hierher zurückzukehren, vertraue dann aber meiner charismatischen Überzeugungskraft, verstärkt von den Verlockungen einer warmen Mahlzeit und eines kalten Biers. K2 wird mir auch sicherlich nicht in den Rücken fallen, wenn ich anmerke, daß wir alle ein anständiges Abendessen nötig haben, hat er doch heute schon mehrmals verlauten lassen, daß sein Magen durchhängt, mich deucht, er hat darob sogar einen offiziellen Logbucheintrag gemacht. Jedenfalls hat er bei Gelegenheit mal erwähnt, daß er enttäuscht war, daß das Nahrhafteste, was er in Nienburg bekommen konnte, eine mickrige Waffel mit zwanzig Blaubeeren war. Außerdem hätte ich, selbst, wenn ich all dem nicht vertraut hätte, der Fairneß halber nicht allein zu Abend gegessen; einen solchen Alleingang hätte ich mit meinem Gewissen nicht ausmachen können.

                Sonntag, 23. Juli 2006 19:30 - 21:45 - Die Bootsgasse für die Ruderboote und ein kleiner Anleger liegen linksseitig am riesigen Weserwehr, das Dörfchen Drakenburg aber am rechten Weserufer. Der Biergarten befindet sich zwar rechtsseitig am Ortseingang, aber zum Glück direkt unterhalb der Straße, die über das Wehr die Weser quert, also nicht allzu weit vom kleinen Bootsanleger. Alles in allem ungefähr anderthalb Stromkilometer plus fünfhundert Meter Fußmarsch, alles in allem eine sehr schöne, idyllische Strecke, um so mehr lohnend, wie sich auf dem Rückweg erweisen wird, wenn durch kitschige Sonnenuntergangsstimmung verstärkt. Alles in allem also nicht zu viel Aufwand, um vom Camp zum Abendessen zu kommen, sondern, im Gegenteil, eine schöne Gelegenheit, womöglich zum letzten Mal das Böötchen auszufahren.
                Ich überzeuge die beiden Kameraden davon, daß eine solche Spazierfahrt mit inbegriffenem letzten Abendessen in einem Biergarten doch ganz nett wäre und wir mit dem Böötchen 'rüberfahren sollten, und so machen wir es dann, legen vom Landungssteg vor unserem Camp ab und überqueren das breit aufgestaute Becken vor dem Wehr, etwa, wie gesagt, anderthalb Kilometer bis hinüber zum Anleger an der Bootsgasse. Da wird das Böötchen so sicher wie möglich am Geländer in untiefem ruhigem Wasser außerhalb der uferseitigen Strömung vertäut, die Reißleine des Freddy nehmen wir mit hinüber, wandernd die fünfhundert Meter über die Wehrstraße bis hin zu dem Biergarten im Schatten großer Linden und Kastanien.
                Es ist sehr voll dort, alle Tische im Garten sind besetzt, aber ein Päärchen an einem Vierertisch, die zuvor ihr Zelt neben den unseren aufgebaut haben, lädt uns ein, sich dazuzusetzen. Sie sind mit den Fahrrädern unterwegs. So lange es braucht, ein großes Bier zu trinken und auf das Essen zu warten bleiben sie da und erzählen und lassen sich von uns ein paar elementare Eckdaten unserer Bootsfahrt erzählen, aber als unsere Teller serviert werden, überlassen sie uns den Tisch ganz, lassen uns alleine und radeln zurück zum Camp.
                Zwischendurch hatte Kai Zwo den Tisch für eine Weile verlassen, aufs Klo, wie ich zuerst annehme, was sich aber im Nachhinein als falsch herausstellt. Er hat den Namen der hübschen, lang- und nacktbeinigen Kellnerin erfahren, Olga, was angesichts seines auf dieser Fahrt erworbenen Rufs als Großer Organisator mit Hilfe Geflirtes, Kai und mich aufhorchen, ihn natürlich necken und dann nachbohren läßt; so erfahren wir nach und nach: Offenbar ist er zur Kasse gegangen, um zu erfragen, ob er im Notfall auch mit Karte zahlen könnte, weil er fürchtet, daß das Barschaftbudget für ein Abendessen zu dritt nicht ausreicht. Er weiß nicht, daß ich Dank Kais Kreditaufstockung wieder hundert Euro Barschaft habe, was mich bei der Bestellung entspannt das nehmen läßt, wonach es mich gelüstet. Zum Glück erzählt er uns vor der Bestellung von seiner Befürchtung, so daß ich ihn diesbezüglich auch beruhigen kann; ich stelle vor der allgemeinen Bestellung klar, daß die Rechnung diesmal auf meinem Konto gutgeschrieben werden kann.

                Und so bekomme ich dann von der hübschen Kellnerin einen strammen Max. Zwei Spiegeleier auf herrlichem Bauernbrot mit Schinken. Und extra eine große Portion knuspriger Bratkartoffeln. Bei der Bestellung hatte mich das Mädel sogar gefragt, ob ich das Ei umgedreht haben möchte. Was ich wahnsinnig gut finde; diese Kellnerin hat’s drauf! Nein, natürlich nicht! Ich möchte das Eigelb flüssig, und so bekomme ich es auch: Perfekt. Ich ritze die Dotter an und das Gelb zerläuft unter dem Brot, das Brot saugt es auf und wird herrlich sapschig. Unglaublich gut.

                Auf dem Rückweg vom Biergarten zu der kleinen Plattform, wo wir das Böötchen vertäut haben, bereuen wir alle irgendwie, keine Fotoapparate mitgenommen zu haben, denn der Blick vom mächtigen Weserwehr herab auf die davor aufgestaute, deshalb nahezu strömungslose, spiegelflache Weser, die in dämmriges Sonnenuntergangslicht getaucht ist, ist herrlich postkartenkitschig. Und in diese wunderbare Abendstimmung tuckern wir hinein, zu dritt auf den Wülsten des Böötchens sitzend auf dem Rückweg zum Steg unterhalb unseres Camps.

                Montag, 24. Juli 2006 10:00 - 15:30 - Offenbar habe ich lange, sehr lange geschlafen. Ich muß auch sehr tief geschlafen haben, denn daß es in der Nacht geregnet habe, daß es am frühen Morgen sogar einen Wolkenbruch gegeben haben soll, habe ich nicht mitbekommen. Als ich spät, sehr spät am Morgen aus dem Zelt krieche ist alles trocken, die Sonne scheint, es ist warm. Auf Kais Vorzelt hat sich aber offenbar heute früh eine mächtige Wasserblase gesammelt, die sich beim Verlassen des Zeltes fast über einem von den beiden geleert hätte, so erzählen sie mir. Käpt'n Kai habe das Vorzelt auslenzen müssen. Das jedenfalls verkaufen mir die Kais als die Heldentat des Tages. Nun gut.

                Kai Zwo bereitet das Frühstück zu. Kaffee gib’s heute nich, weil uns ja, wie gesagt, das Gas ausgegangen ist und wir bis heute keine Ersatzkartusche haben auftreiben können. Statt dessen sind aber noch drei Dosen Becks da. Dazu gibt’s die Wiener, die wir auf dem zweiten Grill brutzeln, und Dosenpfirsiche und je eine Scheibe Brot.
                Zusammengenommen die allerletzten Verpflegungsreste dieser langen Expotition. Und weil Becks nicht der allerschlechteste Ersatz für Kaffee zum Frühstück ist, beschließe ich, nicht halb so unzufrieden zu sein wie gestern morgen.

                Während und nach dem Frühstück haben wir alle Zeit der Welt, um in der Sonne zu dösen, zu lesen oder was auch immer, denn Claus D., der ja kommt, uns abzuholen, hat sich erst für den Nachmittag angekündigt. Offenbar hat er sich, entgegen vorherige Absprachen, doch erst gegen Mittag in Brakel losgemacht. Na, mich stört's nicht. Ich genieße, im Gegenteil, die Tatsache, daß wir auch den Campabbruch und das Demontieren der Boote mit der gebotenen Ruhe angehen können.
                Daß wir zuvor, also vor der Demontage, sogar noch ein mal eine Abschiedsrunde auf dem alten Weserarm zwischen der Einfahrt zum Schleusenkanal und dem Drakenburger Wehr drehen können. Käpt'n Kai übernimmt zur Salutfahrt als erster das Ruder, steuert uns stromauf zum Schleusenkanal und genießt es außerordentlich, seinen Mercury mal richtig aufzudrehen und Das Böötchen, ohne auf den Leichter Rücksicht nehmen zu müssen, in einem Schlingerkurs über die eigenen Bugwellen hüpfen zu lassen. Ich weiß, daß er verbissen versucht, aufzudrehen, das Boot ins Gleiten zu bringen, aber dafür sind wir offenbar leider zu schwer. Mich, andererseits, macht diese Salutfahrt unziemlich melancholisch, ich möchte auch das Ruder gar nicht übernehmen. Nicht, daß ich mir eine Träne verdrücken müßte, das nicht. Es ist nett, noch ein letztes Mal auf dem Wasser zu sein, aber mir ist nicht danach, das zu zelebrieren, indem ich auch noch mal steuerte. Eigentlich denke ich: Rouven, nun werd' aber nicht unnötig sentimental. Aber andererseits erlaube ich es mir doch, in der Meinung, das seien Anflüge derselben Stimmung, die wir, Kai und ich, früher das Post-Borchen-Syndrom genannt haben. Und als solches gehört das auch hierher.

                Außerdem ist das auch von selbst vorbei, als wir wieder an Land gehen, vermutlich weil es geschäftiger wird. Immerhin ist doch, wenn auch nicht sehr viel, so doch wenigstens etwas noch zu tun. Wir müssen Das Böötchen noch abblasen, dessen Bodenplatten und Kiel zerlegt werden wollen. Und die Zelte sind auch noch nicht niedergerissen. Geschäftig ist es dann auch, als Vater D. mit dem kleinen überhimmelblauen Fiat auftaucht; die Boote, das Gepäck und wir selbst müssen verstaut werden. Um den Wagen überhaupt auf das Campgelände und in die Nähe des Böötchens bringen zu können, muß der Schlüssel für den Schlagbaum organisiert werden, was sich im Nachhinein als ebenso aufwendig erweist als hätten wir Boote und Ausrüstung die fünfhundert Meter zum Auto getragen, denn die olle Platzwartin ist gerade auf Patrouille und deshalb nicht auffindbar und die Dauercamper, die auch Schlüssel besitzen, die trauen uns nicht. Nun, Kai Zwo, der Große Organisator macht zum letzten Male seinem Titel Große Ehre und treibt letztendlich von irgendwoher einen Schließer auf, der uns zwar nicht den Schlüssel überläßt, aber immerhin den Schlagbaum öffnet, was aufs selbe hinausläuft. Müssen wir die sperrigen Bootsteile also nicht durch die Gegend tragen sondern können einfach aufladen.

                Ich sitze hinten links im Wagen, schaue aus dem Fenster und sage anfangs nicht sehr viel. Die Post-Borchen-Stimmung ist wieder da. Zum Glück geht es ganz offensichtlich den anderen beiden auch so.

                Montag, 24. Juli 2006 20:00 - 02:00 -
                Gleich nachdem wir durch die Tür hereingekommen sind, die Seesäcke achtlos in die Diele gestaut, treibt es uns unter die Dusche. Ich bin der letzte im Bad und lasse mir sehr viel Zeit, dusche ausgiebig, frottiere mich richtig gründlich ab und schabe dann, Zentimeter für Zentimeter, die ganze lockige schwarze Wolle aus dem Gesicht.
                Ingrid D. kommt zum Abendessen und zu anschließendem Fahrtenbericht im alten d.schen Haus vorbei. Wir sitzen wieder lange vor der Tür, trinken Bier, schauen uns Fotos an - zu dem Zwecke reiche ich die Kamera rum, auf deren Display man nur eine kleine Ahnung bekommt, derweil Claus D. alle Bilder, die er vorher von meiner Speicherkarte auf seinen altersschwachen PC rübergeschaufelt hat, für alle interessierten auf CDs brennt. Für mich auch und die paar Bilder, die er selbst bis zu unserem Ablegemanöver in Hann.-Münden mit seiner eigenen Cam geschossen hat, auch.
                Im Nachhinein wundern wir uns alle, wie wir das nur alles ausgehalten haben. Die Enge an Bord, die Nächte in den kleinen Zelten und alles.
                Schon seltsam: Zehn Tage auf so engem Raum, und wir sind trotzdem noch Freunde.

                Dienstag, 25. Juli 2006 02:00 - 12:25 - Die letzte Nacht dieses Abenteuers schlafen wir wieder im d.schen Hause, Kai und ich in Kais ehemaligem Zimmer. Früh aufstehen, weil Kai noch nach Herstelle zu Marine-Richters fahren will, um Freddy Mercury, den Bootsmotor zur ersten Inspektion abzugeben und zu klären, was mit dem Tomos passieren soll. Aber zuerst Frühstück hinterm Haus im Garten. Kai und Kai brechen dann zusammen auf zu Richters, ich bleibe im Garten zurück mit D.s Nachbarin, die die Mutter von zwei sehr extrovertierten Kindern ist, die um uns herumspektakeln. Viel Kaffee, derweil ich noch einmal hinter dem Haus auf der Wiese das Boot abspritze und dabei den Rasen in einen Sumpf verwandele, was wohl keine gute Idee war; ich hätte die Teile besser auf die Straße vor der Garage bringen sollen. Nebenbei lasse ich den Kids Wasser in ihr Planschbecken.
                Die beiden Kais sind früh genug zurück, um mich gemeinsam zum Warburger Bahnhof zu bringen und mich am Bahnsteig zu verabschieden...

                Dienstag, 25. Juli 2006 12:28 - 19:28 - ICE 1549 ab Warburg: Rückreise aus Gehrden nach Dresden. Zweimaliges Umsteigen und zweistündige Verspätung.
                Zuletzt geändert von BlaesFevrier; 09.03.2008, 02:17. Grund: Fotos, Falten geglättet und, wie ein polnischer Freund mal unnachahmlich gewortschöpft hat, Feinigkeiten!

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                • BlaesFevrier
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                  • 11.05.2007
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] Riverboat 2006

                  Soo. Im Großen und Ganzen ist er fertig, mein erster Reisebericht. Ich werde nun morgen oder übermorgen noch die Korrekturkommentare von Kai und Kai an die entsprechenden Stellen im Text einsetzen, ein paar Maptags und Hyperlinks einfügen, die eine oder andere Unebenheit glätten, aber das war's. Vielen Dank für die mit augenblicklich 4,33 Sternen tolle Bewertung; freut mich, daß es gut ankommt. Falls das jetzt, nachdem ich den letzten Teil nun ereingestellt habe, nicht rapide abnimmt, würde ich glatt in Erwägung ziehn, noch ein paar weitere Reiseberichte auszugraben (oder neuzuschreiben). Es gibt in meinem Repertoire auch welche von im Forum beliebteren Reisezielen. Vorhang zu, Auftritt ganzes Ensemble, verneigen, ab.

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                  • cd
                    Alter Hase
                    • 18.01.2005
                    • 2983
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] Riverboat 2006

                    Zitat von BlaesFevrier Beitrag anzeigen
                    Was die Schrift angeht, ja, ich weiß, sie ist mal ein bißchen größer, aber bei so einem Fließtext wirken bei kleinerer Schrift zumindest auf meinem Laptop (dreimalverfluchter Widescreen) die Zeilen viel zu lang und dann wird 's unlesbar. Die nächsten Bilder füg' ich dann nachher ein, ja.
                    Ich sag ehrlich, ich habs nicht (bzw nur ganz vereinzelte Sätze) gelesen, weil ich die Schrift so wie sie ist ziemlich schlecht lesbar finde....

                    Die Bilder aber fand ich echt fein. Scheint ne richtig spassige Tour gewesen zu sein. Sehr schön

                    chris

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                    • Gast-Avatar

                      #11
                      AW: [DE] Riverboat 2006

                      Zitat:
                      "Ein sehr komplexer Wein mit interessanten Facetten. Ein Gesöff, das einem am Gaumen klebt, mit viel apfelsaurem Essigcharakter im Bukett, dazu ein Duft wie nasser Zobel. Ein samtener Hauch von Vitriol legt sich beim ersten Schluck über die Zungenränder. Im Abgang eine abstrakte, nussige Note mit Nelken und Zibet."

                      Warst du mal als Weinverkoster tätig?

                      Ein köstlicher Reisebericht, bitte mehr davon!

                      OT: Und die Schriftgröße ist o.k., evtl. würden ein paar Absätze zwischendurch die Lesbarkeit erhöhen . P.S. Hab gerade noch mal Deinen Bericht "durchgeblättert", eigentlich sind schon viele Absätze da. Dann halt immer mal ein Bild dazwischen schieben, das lockert auch auf...
                      Zuletzt geändert von ; 09.03.2008, 16:56.

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                      • BlaesFevrier
                        Dauerbesucher
                        • 11.05.2007
                        • 557

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [DE] Riverboat 2006

                        Zitat von bergzwerg61 Beitrag anzeigen
                        Zitat:


                        Warst du mal als Weinverkoster tätig?
                        Och, joha, ich hab' in meinem langen Leben schon so manches Fläschchen verkostet. Jedenfalls hab' ich genug gesoffen, um zu wissen, wie Vitriol schmeckt .

                        Ich war drauf und dran, wieder auf die Forenstandardschriftart umszustellen, aber ich werd' vielleicht besser für die, die es in der jetzigen Schriftart nicht lesbar finden, bei Gelegenheit ein PDF daraus machen... Mehr (halbwegs gelungene) Bilder hab' ich leider nicht.

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                        • Werner Hohn
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                          • 05.08.2005
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                          #13
                          AW: [DE] Riverboat 2006

                          Zitat von BlaesFevrier Beitrag anzeigen
                          ... noch ein paar weitere Reiseberichte auszugraben (oder neuzuschreiben). Es gibt in meinem Repertoire auch welche von im Forum beliebteren Reisezielen. Vorhang zu, Auftritt ganzes Ensemble, verneigen, ab.
                          Mach mal. Wenn der so geschrieben ist wie der da oben, kann es auch ein Expetitionsbericht vom Löschweiher am Ortsrand sein.

                          Ein paar Dinge werfen aber noch Fragezeichen auf:

                          Man(n) kann Schweinebauch einem Stück Lamm vorziehen? Und dann noch die Mettenden, die Heiße-Tasse-Suppen. Daran muss noch gearbeitet werden.

                          Zahnbürsten auf den Booten des Volvo Ocean Race? Nach meiner Info nuckeln alle gemeinsam an einer Bürste deren Borsten aus Gewichtgründen kurz geschoren sind. UL zur See!

                          Die legendäre nächtliche Romanze mit Sandra S (wegen der Augen) auf dem Heuboden? Das Publikum wird Einzelheiten schon verkraften! Sittlich gefestigt ist es auch - hoffentlich.

                          Freddy M. freut sich über die Namenspatenschaft bestimmt mehr als über die Baumarktwerbung.

                          Gruß, Werner
                          .

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                          • BlaesFevrier
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                            • 11.05.2007
                            • 557

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [DE] Riverboat 2006

                            Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                            Mach mal. Wenn der so geschrieben ist wie der da oben, kann es auch ein Expetitionsbericht vom Löschweiher am Ortsrand sein.

                            Ui! Das fasse ich mal als ganz besonderes Kompliment auf, vom großen und leider bislang ungekrönten Meister des geschriebenen Outdoorseiten-Reiseberichts. Da muß ich doch glatt noch mal hinter dem Vorhang hervorkommen und mich verneigen.
                            Und als Zugabe gibt `s dafür auch die Geschichte von Sandra; obwohl Du enttäuscht sein wirst, sie ist nämlich nicht sehr spektakulär:

                            Der Name Sandra S. ist in meinem Freundeskreis für einen kleinen Lacher auf meine Kosten gut. Es gibt außer den Frauen, die mich wirklich verwundet haben, noch eine Handvoll Mädels, mit denen ich in meinem Leben zwar angenehme Stunden oder auch manchmal Tage verbringen durfte, die aber keine Spuren hinterlassen haben, und die hießen zufälligerweise alle Sandra. Sandra war eine der allerersten Sandras. Ich war halt jung und Gelegenheit macht Liebe und ich bin mal von einer Party, deren Gastgeber ich war, früher gegangen, um mit einem Mädel, das ich da an dem Tag gerade erst kennengelernt hatte, nämlich Sandra, eine romantische Nacht zu verbringen und was könnte romantischer sein als eine bitterkalte Winternacht im Heu. Es war zwar sehr schön, und wir waren auch danach noch ein paar Tage lang zusammen (wie man so sagt), aber gefunkt hat es (wie man so sagt) leider nicht. Deshalb hoffte ich (Kleiner Feigling!) eigentlich, die Geschichte würde von allein im Sande versickern, nicht zuletzt weil mein Heimatdörfchen und ihres ja auch ein bisschen weiter auseinanderliegen. Aber an irgendeinem Tag bin ich mal mit ein paar Freunden zusammen von irgendwoher wiedergekommen, wir saßen alle in dem orangenen rostbeuligen T3-Bulli von Familie D., Kai am Steuer, auf dem Weg zu mir nach Hause, um mich da abzusetzen. Da haben wir an einer Ampel halten müssen und einer meiner Freunde guckte einem Mädel auf den Hintern, das da an der Ampel stand und ein anderer machte eine Bemerkung in etwa der Art, die sei doch ganz süß und dann drehten sich alle zu mir um und meinten, die sähe ein bisschen aus wie Sandra, und wir alle lachten darüber und dann drehte die sich um und das war Sandra. Und ich muß wohl urkomischerweise mit ziemlich säuerlichem Gesicht und ziemlich plötzlich und sehr erschrocken in den Fußraum des Wagens abgetaucht sein und von Kai verlangt haben, er solle mich doch bitte nicht nach Hause bringen… Hat er dann auch nicht. Ich hab’ mich in unserem Clubhaus eingeschlossen und bin dann erst nach Sonnenuntergang nach Hause gegangen und da hat mein Vater mir dann erzählt, er habe den ganzen Nachmittag lang mit einem sehr netten sehr schüchternen Mädchen, das eigentlich auf mich gewartet hätte, Sportschau geguckt.

                            Und die Sache mit dem Volvo Ocean Race: Ich hatte mal in Kiel zwei Jobs gleichzeitig, ich habe bei zwei Kieler Radiosendern als Hörerservice-, Verkehrs- und Wetterredakteur – also hauptsächlich Textschreiberling – gearbeitet und war gleichzeitig noch Nachtrezeptionist in 'nem Hotel allerersten Ranges. 2001 endete das Volvo Ocean Race nach anderthalb Jahren und 32 500 Seemeilen in Kiel. Schon eine Woche vorher war das Hotel belegt von zwei Seglerteams, die die Ankunft ihrer Mannschaften vorbereiteten: Bei uns sollten die Assa Abloy und die Illbruck absteigen. Tagsüber kam ich dank meiner Pressezugehörigkeit unmittelbar an die Leute heran und nachts hab’ ich die Jungs mit Lieferantenpizza versorgt, mit ihnen in der Lobby gesessen und an ihrem Feierabend teilgenommen und irgendwie gehörte ich irgendwann einfach dazu. Und in dieser Woche habe ich viele Geschichten gehört. Unter anderem die Legende von den Zahnbürsten. Es ist richtig, daß sich immer zwei Mannschaftsmitglieder eine Koje teilen. Angeblich teilen sich auch immer zwei einen Zahnbürstenstiel, aber jeder habe einen eigenen auswechselbaren Bürstenkopf. Und es werde nicht kontrolliert, ob sie die Borsten stutzen, das sei doch bloß Seemannsgarn.
                            Es gab aber noch eine andere Anekdote, die mir Neal McDonald erzählt hat: Die Verpflegung an Bord kommt aus der Tüte. Trekkingmahlzeiten, Peronin und so Zeug, wie wir es ja auch zur Genüge kennen. Und zusätzlich für jede Etappe bekomme jeder, sagte Neal, eine bestimmte Anzahl Schokoladenriegel. Je länger und rauher die Etappen wurden, desto mehr avancierte Schokolade zum Luxusgut und desto teurer wurden die Riegel später an Bord gehandelt. Zwischen Kapstadt und Sydney soll mal an Bord der Assa Abloy ein 100g schwerer Schokoriegel für 1200 $ den Besitzer gewechselt haben. Das muß wohl die teuerste Schokolade der Welt gewesen sein.

                            Ja und das mit dem Lamm (Hurz!) ist so eine Sache. Ein Schwein schmeckt halt nach Schweinebraten aber so ein Lamm immer nach Döner. Ich finde den Geschmack – und auch schon den Geruch – leider viel zu intensiv und talgig. Und in England sind mal an Weihnachten in einem Hotel, in dem ich als Weddingplanner gejobbt habe, hundert ganze Lämmer durch die Küche gegangen, die haben da einen so überwältigenden Geruch hinterlassen, den ich spätestens seither nicht mehr ausstehen kann. Mettwürstchen und Tütensuppen war auch nicht ganz nach meinem Geschmack; ich sagte ja schon, daß Kai und Kai es waren, die uns verproviantiert hatten, kurz bevor ich dazugekommen bin. Falls wir mal wieder zusammen verreisen - und für dieses Jahr haben wir uns mal lose verabredet, die Elbe zu bezwingen. die St.-Pauli-Landungsbrücken locken! - , werde ich Proviantmeister und Küchenbulle, darauf bestehe ich.

                            Noch mal danke und Gruß von

                            BlaesFevrier
                            Zuletzt geändert von BlaesFevrier; 10.03.2008, 23:08.

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                            • Werner Hohn
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                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [DE] Riverboat 2006

                              Zu dem Absatz zwischen "Ui!" und "verneigen" sag' ich jetzt mal nix. Nur soviel, dass ich in dem Punkt ganz anderer Meinung bin. Bei den Reiseberichten gibt es ein paar richtig gute, an denen ich mein Geschreibsel nicht messen möchte.

                              Dein Bericht hat mir wirklich gut gefallen, schon beim ersten Drüberfliegen. Beim ersten Bild mit dem Leichter habe ich gedacht "Was fürn Schrott!". Wurde später revidiert. Als dann Heine im Reisebericht auftauchte, wurde es spannend. Schlauchboot, Außenborder, Gummitender und Heine. Wo gibt es diese Kombination noch? Nirgendwo. Also lesen! Zudem habe ich als Ex-oder-zurzeit-ruhender-Segeler eine gewisse Affinität zu Schlauchbooten.

                              Am Sonntag, zur besten Tatort-Zeit (ja, ich bin so alt), habe ich mir das Ganze auf einem Rutsch zu Gemüte geführt. Immerhin habe ich nichts vom Tatort mitbekommen. Und das soll was heißen!

                              Werner
                              .

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                                #16
                                AW: [DE] Riverboat 2006

                                Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                                ......

                                Am Sonntag, zur besten Tatort-Zeit (ja, ich bin so alt), habe ich mir das Ganze auf einem Rutsch zu Gemüte geführt. Immerhin habe ich nichts vom Tatort mitbekommen. Und das soll was heißen!

                                Werner
                                OT: Und dabei war der letzte Tatort wirklich nicht der schlechteste , im Gegenteil.

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