[DE, CH] Winterlicher Ritt über den Bodensee: Seekajak +Fotos

Einklappen

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • Kajaking-Mark
    Erfahren
    • 03.03.2005
    • 118

    • Meine Reisen

    [DE, CH] Winterlicher Ritt über den Bodensee: Seekajak +Fotos

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Region/Kontinent: Mitteleuropa

    In den zwei Tagen die ich vorletzte Woche Zeit hatte war ich einfach zu faul um nach Italien zu fahren. Außerdem hatte ich günstig ein neues Zelt erstanden, das ausprobiert werden wollte. Also wozu in die Ferne schweifen wenn der Bodensee vor der Haustür liegt.
    Der Bodensee ist im Winter ganz anders als im Sommer, wenn ein nie endender Strom von Cabriofahrern um den See wie Motten ums Licht kreisen, wenn Heerscharen von Frührentnern auf Kettler-Alurädern im Schritttempo auf dem Bodenseeradweg entlangeiern, wenn übergewichtige „Motorbootsport“-treibende Stuttgarter ihre schwabbelnden Bäuche spazieren fahren
    Ganz anders ist es in der „staaden“ Zeit, im Winter wenn die strapazierte Natur endlich zur Ruhe kommt. Dann ist der See menschenleer. Fix das Kajak beladen und zum See gerollert. Von Konstanz-Staad bieten sich für eine Längsquerung des Obersees zwei Kurse an. Bei 110° kommt man nach 6-8 Stunden in Wasserburg raus, bei 120° landet man nach derselben Zeit am Rheinspitz. Da ich das Naturschutzgebiet Fußacher Bucht mit seinen vielfältigen Vogelarten kennenlernen wollte, paddelte ich mit 120° gemütlich los.
    Ein 2er – 3 er West von schräg hinten war mir dabei durchaus willkommen. Aufgrund des langen Fetches baute sich dabei eine für den Bodensee beachtliche Welle auf.



    Manchmal durchbrach die milchige Wintersonne die grauen Wolkenschleier, aber schon bald verschwand sie ganz im trüben Einerlei. Außer den neuen 40 Km/h schnellen Katermaranen war kein weiteres Schiff auf dem See. Durch den 3er von achtern ging es flott nach Romanshorn, so dass ich begann in 20 KM Einheiten zu denken. Am Horizont erschien wie im PC-Spiel „Flugsimulator“ plötzlich ein Baum, dann ein zweiter auf der flirrenden Wasseroberfläche, schließlich immer mehr Details. Da ich durch den Rückenwind relativ leicht vorankam, begann ich großzügige Etappenziele zu stecken, wobei ich den Gedanken, dies morgen bei Gegenwind wieder zurückpaddeln zu müssen, irgendwie beiseite schob.
    Bei Querung der breitesten Stelle des See frischte der Wind etwas auf, wobei sich die ersten Schaumkronen bildeten. Manche klatschten von der Seite über die Spritzdecke und spülten meine Schwimmweste. Erstaunlich wie gut man im Trockenanzug die zahlreichen Spülungen übersteht und dabei wirklich auch an den Ärmeln trocken bleibt. Die kleinen Ausbrecher des Kajaks konnte ich meist schon im Ansatz mit der Steueranlage parieren, so dass es nie zu einem Querschlagen kam. Gelegentlich waren auch ein paar kleine Surfs drin. Da ich ungefähr 5 KM vom Ufer weg war, hielt sich mein Übermut jedoch in Grenzen. Da war kein weiteres Boot auf dem See, wer weiß ob jemand ein Nico aus 5 KM sehen würde. Man ist in Tuchfühlung zur Zivilisation aber trotzdem allein. Ich kannte dieses falsche Sicherheitsgefühl von einer Gratkletterei. Man sieht die Gondel, hört Kuhglocken, wähnt sich irgendwie geschützt, wie ein Kind unter Aufsicht der Eltern, in Wirklichkeit ist man jedoch in der freien Wildbahn auf sich selbst gestellt, auf besagter Grattour mindestens 8 Stunden auf dem Grat gefangen und dem Wetter ausgeliefert. Na, ja so alleine im kalten See zu treiben und rasch handlungsunfähig zu werden, wer weiß schon ob das Handy im Ernstfall ein Schweizer Netz empfängt oder ob der Wind noch mehr zulegt – ja so`n bisschen Schiss fuhr dann doch mit.
    Da war ich dann schon etwas froh das Naturschutzgebiet des Rheindeltas zu erreichen, das bei winterlichem Niedrigwasser so etwas wie das Watt des Bodensees und Rückzugsgebiet zahlreicher Vogelarten und für diese Nacht auch für mich sein würde. Zunächst waren dort jedoch mal Bagger und Planierrauben. Dass die nie mal den See in Ruhe lassen können !
    Also begab ich mich weiter entlang des Schilfgürtels durch eine urtümliche Landschaft in der sich zahlreiche Kormorane, Möwen, Blässhühner und Enten tummelten, auf die Suche nach einem (illegalen) Schlafplatz. An einem fast trockengefallenen (Sport-)boothafen, in dessen Einfahrt das Wasser noch knöcheltief stand fand ich auf der einen Kaimauer gar eine saubere Grasfläche mit Bank und offizieller Feuerstelle. Die andere Kaimauer war von Land aus unzugänglich mit Gestrüpp und Dickicht überwuchert. Welche nun nehmen ? Wo Bänke sind, sind Wege, wo Wege sind können Jeeps fahren – wo Jeeps hinfahren sind Förster – so mein Kalkül – und nicht mit jedem Grünrock kann man reden. Also ab ins Gestrüpp. Das ist zwar noch illegaler, aber durch den Schlamm und das Gestrüpp wird sich kein Grünrock abmühen wollen. Etwa 30m vor der Mole lief ich im Flachwasser auf Grund, definitiv kein weiterpaddeln mehr. Also raus und das Kajak durch den Schlamm gezogen in dem ich bis zu den Waden versank. Die Beine waren bis unter die Knie mit grauem Schlamm von zäher Klebrigkeit überzogen. Als ich an den großen Befestigungssteinen der Mole angelangt war setzte ich mich erst mal um kurz auszuruhen als ich feststellen musste, dass auch all diese Steine mit derselben klebrigen, grauen Schlammschicht überzogen waren. Es erforderte etwas logistische Strategie und Disziplin nicht innerhalb einer Minute völlig zu verdrecken.
    Da ich auf Tour ausdrücklichen Wert auf größtmögliche Sauberkeit lege, missfiel mir die Situation. Um die Ausrüstung zu schonen begann ich gerade im Trockenanzug mein Zelt aufzubauen als mein Kalkül aufging: Auf der gegenübliegenden Mole mit der Feuerstelle stand breitbeinig ein Förster neben seinem Jeep, der die Arme in seine Hüfte gestemmt hatte und mich unentwegt anstarrte. Ich beschloss durch meine Neoprenhaube und Fellmütze nichts zu hören und baute weiter das Zelt auf. Ich war so müde, dass man mich hätte wegtragen müssen. Komm` doch rüber dachte ich mir, ich nehme jeden Abfall wieder mit, mache kein Feuer, bin morgen früh wieder verschwunden, außerdem habe ich ein neues schweizerisches Zelt, das müsste dir Patrioten doch eigentlich gefallen.
    Was hab ` ich mich schon über die vielen Wildzelter am Bodensee geärgert, die im Sommer Müllhaufen hinterlassen, ihre leeren Bierflaschen wegwerfen und in der Natur nicht mehr mit sich anfangen können als sich zu besaufen. Woher soll der Förster wissen, dass ich nicht so einer bin. Sei`s drum irgendwann zog er ab und ich hatte meine Ruhe.



    Das Zelt war fix aufgestellt, die Klamotten gewechselt, da begann es auch schon zu regnen. Auch diese erste Bewährungsprobe überstand das neue Zelt tadellos. Da mein Coleman F1-Kocher bereits nach 2 Jahren endgültig den Geist aufgegeben hat, musste ich schon wieder in einen neuen Kocher investieren. Ich entschied mich für einen robusten, vielseitigen und zerlegbaren schwedischen Kocher, dessen Performance im Gasbetrieb trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt tadellos war. Es war im Zelt im Nu kuschelig warm, der Kocher glühte rot, in wenigen Minuten sprudelte das Wasser. Ich heizte das Zelt mit Gaslaterne und Kocher auf, bis ich im Hemd drin sitzen konnte. Allerdings wurde dabei rasch die Luft knapp.
    Die Nacht wurde von Möwenschreien aber leider auch durch laute Flugzeugmotoren des benachbarten (Sport-)Fluglatzes durchdrungen.



    Am nächsten Tag breitete sich ein das Morgenrot nur spärlich über den verschneiten Bergen aus, es konnte diesen kalten Morgen kaum erwärmen.
    Kleine Wassertropfen waren auf dem Zelt festgefroren. Da ich keine Lust hatte schon am morgen wieder durch den Schlamm zu laufen, musste sumpfiges Seewasser zum Teekochen herhalten. Da der Topf noch von einer Fettschicht des gestern gekochten Lachses besetzt war, hatte der Tee einen sehr speziellen Geschmack.



    Nachdem ich alles relativ sauber verstaut hatte und eigentlich zufrieden war wurde erneut präsent was mir eigentlich schon die ganze Zeit klar gewesen ist: Ich werde das Kajak wieder 30m durch dem wadentiefen Schlamm ziehen müssen um genügend Wasser unter den Kiel zu bekommen. Das bedeutet eine reelle Chance auf einen Tag gefrorene Füße.
    Nachdem ich das Kajak durch den Schlamm in genügend tiefes Wasser gezogen hatte, wurde ein ausgiebiges Fußbad im Sitzen nötig, um den klebrigen Schlamm von den Neoprenschuhen abzuspülen. Wiedereinmal leistete der Trockenanzug mit Latexfüßlingen unschätzbare Dienste, denn erstaunlicherweise blieben die Füße den ganzen Tag warm. Mit den gleichen Neoprenschuhen hatte ich noch vor 2 Jahren als ich ohne Trockenanzug auf Wintertour war nach der ersten Landung taubgefrorene Füße, die praktisch nicht mehr auftauen.
    Nach der Mündung des alten Rhein war es mit dem Windschatten vorbei. Der 3 er von gestern blies ab hier ungebremst durch die Rohschacher-Bucht und stand jetzt genau von vorne gegen mich. Meine linke Schulter schmerzte schon nach etwa 10 Minuten, jeder Paddelschlag war schmerzhaft. Durch den Gegenwind hatte ich - verglichen mit gestern – den Eindruck praktisch auf der Stelle zu paddeln. Dazu setzte Dauerregen ein. Ein schier endloses graues Wasserbecken, immer trüberes Wetter, das den Blick zu den anderen Ufern ganz einhüllte und anhaltender Wind von vorn und der Regen, dabei die ständigen Schmerzen - das zermürbte. Einerseits wurde mein Auge durch den gelösten Blick in diese Weite entspannt und gab mir ein Gefühl der Freiheit, andererseits wurde ich den Eindruck nicht los in dieser gleichförmigen grauen Wasserwüste gefangen zu sein.



    Immer häufiger wurden die Teepausen, immer stärker wurde der Wunsch nach etwas Trockenheit und Wärme. Auch hier war der Trockenanzug wertvoll, bis auf Gesicht und Hände blieb ich trotz 4 - stündigem Dauerregen trocken. Ich wurde bescheidener, freute mich wenn der Regen etwas nachließ, mal eine Spur Orange im grauen Himmel zu sehen war oder ein Kormoran auf einem Pfahl seine Flügel ausbreitete. Einige Tage zuvor hatte ich in einem amerikanischen Outdoorprospekt etwas von „spiritual experience“ durch outdooring activities gelesen. Ich muss gestehen, dass meine Gedanken völlig banal blieben und sich überwiegend um Wärme, Trockenheit und die Länge des Heimweges drehten.
    Nach 4 Stunden wurde der Wind schwächer und die Hügel des Bodanrück mit dem weithin sichtbaren Wasserturm, meinem eigentlichen Ziel tauchten als kaum wahrnehmbare Kontur 19 KM entfernt auf. Wenn ich nochmals 3.5 Stunden dranhänge und 2 Stunden im Dunkeln paddle, würde ich es heute doch noch bis nach Hause schaffen. Da mir seit Stunden jeder Paddelschlag in der Schulter wehtat schlenderte ich unschlüssig am Schweizer-Seeufer entlang um mir die Option doch noch eine Nacht am See zu verbringen offenzuhalten. Allerdings reihte sich nur ein Privatgrundstück ans andere. Irgendwo müssen die an der deutschen Steuer vorbeifließenden Millionen ja hin. Nach 7 Km kam endlich mal so was wie ein naturbelassenes Schilfufer. Aber den heimatliche Hafen nur noch 12 KM entfernt – inzwischen war es fast dunkel – dieser Schlag wäre doch auch noch machbar.
    Ich landete nochmals an, aß gierig mein Nikolauspaket auf und kramte die Taschenlampe aus dem Stauraum. Die war nötig, da ich eine 12 KM Querung im Dunkeln machen musste und dabei die Fahrrouten der beiden 40 Km/h schnellen Katamarane zu kreuzen hatte. Da der Wind inzwischen auf Süd gedreht hatte, gab es kaum Wellen und ich glaubte in Ruhe an meinem Boot hantieren zu können, als durch einen vorbeirauschenden Katamaran einige kleine Wellen erzeugt wurden, die in mein Boot schlugen, so dass erst mal lenzen angesagt war. Bei dieser Aktion fiel mir die Taschenlampe aus der Schwimmweste auf den Seegrund. Allmählich gingen mir diese Katamarane auf die Nerven ! Erstaunlicherweise ging die Taschenlampe (Maglite) noch, obwohl sie bis auf den Grund gesunken war.
    Dann löste ich mich im Dunkeln vom Ufer mit einem etwas mulmigen Gefühl, wegen des Katamarans und der Schwierigkeit im Dunkeln im Notfall Hilfe zu bekommen. In 12 KM Entfernung konnte ich die Lichter des Fährhafens in dessen Nähe ich wohne erkennen, so dass ich mit dem Kurs keine Probleme hatte. Lautlos glitt ich über das schwarze Wasser. Die Größe der entfernten Hafenlichter schien über eine Stunde kaum zuzunehmen. Ich beschloss meine Frau mit dem Handy anzurufen, damit sie sich zuhause keine Sorgen zu machen braucht. Eine gekünstelte Callcenter-Stimme auf meinem Handy erzählte ellenlang, dass mein Guthaben noch 10 Cent beträgt und ich es in allen Schlecker-Märkten wieder aufladen könnte. Na da war ich für den Seenotfall mal wieder toll präpariert. Ein wasserdicht verpacktes Handy, angelascht in der Schwimmweste, aber ohne Gesprächsguthaben. Prima.
    Der erste Katamaran war weit vor mir durch, der zweite, umgekehrt Fahrende müsste demnach also bald auftauchen. Tat er aber nicht. Ich verrenkte mir immer wieder den Hals, meinte irgendwelche Lichter hinter mir wahrzunehmen, die ich auf die Schnelle als Schiff, Fischer oder Katamaran fehlinterpretierte. In Wirklichkeit waren das Uferbeleuchtungen die auch nicht näher oder auf mich zukamen, wie ich mir manchmal einbildete.
    Schließlich war ich aus dem Fahrwasser der lästigen Katamarane raus und konnte entspannter den inzwischen heller leuchtenden Hafenlichtern entgegenpaddeln, wobei ich immer wieder das Gefühl hatte auf der Stelle zu kleben.



    Manchmal schloss ich die Augen um danach festzustellen immer noch nicht weiter gekommen zu sein. Und immer wieder Pausen wegen der Schulter.
    Schließlich war ich erleichtert, als ich endlich in den Hafen einfahren konnte und den Bootswagen wiederfand.
    Manchmal kann man eben auch vor der Haustür was erleben.

    Grüße Mark
    Zuletzt geändert von Sandmanfive; 06.11.2011, 19:20. Grund: Reisecharakter eingestellt
    \" I do not know what I may appear to the world; but to myself I seem to have been only like a boy playing on the sea-shore, whilst the great ocean of truth lay all undiscovered before me.\"
    (Sir Isaac Newton)

  • Loon
    Fuchs
    • 20.09.2004
    • 2249
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    Schöner Bericht, nur leider ist das 1. Bild durch das Komprimieren so unscharf geworden. Aber sieht trotzdem genial aus! Das im Fotowettbewerb, wäre wahrscheinlich mein Favorit!
    "Entspanne dich. Laß das Steuer los. Trudele durch die Welt. Sie ist so schön: gib dich ihr hin, und sie wird sich dir geben." Kurt Tucholsky

    Kommentar


    • felö
      Fuchs
      • 07.09.2003
      • 1976
      • Privat

      • Meine Reisen

      #3
      Schön, wie man auch vor der Haustüre tolle Abenteuer erleben kann.

      Gruß Felö

      Kommentar

      Lädt...
      X