• Goldi
    Erfahren
    • 11.09.2022
    • 214
    • Privat


    [UK] Nord-Süd-Nord durch die Cairngorms – Mai 2023

    Tourentyp Trekkingtour
    Breitengrad 57.0775547
    Längengrad -4.0515518

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 01 Titelfoto.jpg Ansichten: 65 Größe: 2,20 MB ID: 3203225

    Die Kurzfassung:
    • Flug nach Inverness, Übernachtung dort, morgens Fahrt mit dem Zug nach Kingussie
    • Wanderung in Nord-Süd-Richtung nach Blair Atholl und von dort wieder nach Norden bis Aviemore
    • Insgesamt 5 Tage und vier Nächte, 129km und vier Munros
    • Übernachtung in Aviemore, dann mit dem Zug nach Inverness und Rückflug

    Prolog – Von Flaschen, Karten und einem neuen Rucksack

    Nachdem ich letztes Jahr mit dem WHW meine Schottlandpremiere feiern konnte, musste ich einfach wieder in dieses wilde und schöne Land. Am besten dorthin, wo es noch ein bisschen wilder und schöner ist. In die Cairngorms. Nachdem ich sämtliche Anreisewege studiert und für mich bewertet hatte, lief es auf den Flug nach Inverness hinaus. Obwohl ich schon gerne mit dem Caledonian Sleeper gefahren wäre. Allerdings hätte es die Anreise sowohl zeitlich als auch vom Preis verdoppelt. Also nix Schlafwagenromantik. Dafür lieblos gereichte Tütchen mit Sour Pretzels von British Airways. Immerhin zweimal, da ich einen Zwischenstopp in Heathrow habe.

    Dann feile ich noch ein wenig an meiner Ausrüstung. Der 75+20 L Cerro Torre Rucksack von Lowe Alpine, der mir die letzten rund 20 Jahre treue Dienste in den Alpen und anderswo geleistet hatte, ist leider mit seinen 3kg nicht der leichteste und etwas klobig noch dazu. So leiste ich mir den Aether Pro 70 von Osprey, nachdem ich nur Gutes über ihn gehört hatte. Er ist mit 1,9 kg inklusive Regenhülle deutlich leichter und sitzt sehr gut. Drei Testwanderungen mit 18kg Gepäck auf meiner 10km-Laufstrecke bestätigen den ersten Eindruck. Um es vorwegzunehmen: Der Rucksack hat sich auf der Wanderung super bewährt. Das Tragesystem ist der Hammer. Das liegt vor allem an dem super geformten und exakt einstellbaren Hüftgurt, der mit seiner runden Form perfekt den oberen Beckenknochen umschließt. Lediglich die Regenhülle ist sehr passgenau. Insbesondere, wenn man das Deckelfach nach oben hochpackt und noch etwas darauf schnallt, kann man nicht mal eben das obere Ende der Hülle wegziehen, um an das Hauptfach zu kommen. Stattdessen muss man die Hülle von unten komplett abziehen, was bei strömendem Regen und schwimmendem Boden schon etwas dumm ist. Vielleicht nehme ich nächstes mal doch lieber eine größere Hülle, auch wenn sie im Wind hin und her flattert.

    Ein Wort noch zu den Karten. Ich habe die OS Landranger 35, 36, 42 und 43 dabei, ohne die Pappdeckel. Die 42 werde ich bei meiner geplanten Tour nur an der oberen rechten Ecke streifen. Ich überlege lange, ob ich sie überhaupt mitnehme. Am Ende überwiegt der Sicherheitsgedanke und ich packe sie ein. Es könnte ja sein, dass ich spontan umplanen muss oder ich von der Route abkomme und doch mehr von der Karte benötige. Zusätzlich lade ich mir alle vier auf mein Smartphone. Kleiner Vorgriff: Die GPS-Funktion in der OS-App werde ich das eine oder andere mal nutzen. Meistens allerdings nur, um festzustellen, dass ich an der richtigen Stelle bin, der eingezeichnete Weg allerdings nicht. Die Erklärung ist, dass die Karten zum Teil ziemlich alt sind. Ausgerechnet die, in der ich mich die meiste Zeit bewege, ist von 2011 (!).

    Als Anleihe aus dem UL-Lager tausche ich die Sigg-Flaschen gegen hundsgewöhnliche 1L-PET-Pfand-Mineralwasserflaschen. Die Vorteile sind offensichtlich: Man sieht (ohne Etikett), wieviel noch drin ist und wie sauber das Wasser ist, man kann sie vor dem Rückflug wegwerfen und sie wiegen nur 30g anstatt 135g, was bei zwei Flaschen über 200g Gewicht einspart. Also lasse auch ich das Zeitalter der Siggflaschenromantik (je verbeulter, desto Abenteuer) hinter mir. Ein bisschen skeptisch bin ich schon wegen der Stabilität, aber um es vorwegzunehmen: Beide Flaschen habe die ganze Tour über perfekt dicht gehalten. Und das, obwohl ich einmal beim Nachfüllen am Fluss mit einer leeren, offenen Flasche in meiner Hand ausgerutscht bin und sie beim Abstützen völlig zusammengeknautscht habe. Nach dem sie durch Aufblasen wieder in Form gebracht war, war sie wie neu. Außerdem habe ich noch zwei 500ml Camelbak-Trinkblasen. Sie passen sehr schön rechts und links in die Hüftgurttaschen des Rucksacks (diese Taschen sind echt superpraktisch). Ja, ich oute mich: Ich bin kein Trinkschlauch-Freund. Und das, obwohl fast jeder mittlerweile mit einem Schlauch über der Schulter herumläuft. Ich mag es weder beim Laufen noch beim Wandern. Das Trinken ist mühsam, man sieht nicht, wie voll der Vorrat noch ist und man weiß nie, wieviel man getrunken hat. Meistens ist es weniger als man denkt.

    Die meisten anderen Sachen sind praxisbewährt und hier nicht erwähnenswert, obwohl alles minutiös geplant, auf den Nutzwert geprüft und gewogen wird. Meine Frau schüttelt nur belustigt den Kopf, wenn sie auf die auf dem Boden ausgebreitete Ausrüstung blickt. Insgesamt habe ich am Körper (inkl. Stöcke und Wanderschuhe) 3,6kg. Der Rucksack wiegt beim Start 19,1kg einschließlich der 3L Wasser und 3,4kg Essen. (Nicht gezählt die drei Käsebrötchen, die vom Viererpack aus dem Tesco in Inverness noch übrig sein werden. Ich will sie nicht wegwerfen, und so baumeln sie eben außerplanmäßig in einer Plastiktüte vorne am Rucksack.)


    Anreise (Mittwoch, 17.5.2023) – Es geht los

    Meine Frau bringt mich zum Frankfurter Flughafen und wir verabschieden uns an der Kurzparkzone vor Terminal 1. Die Flugverbindung klappt relativ planmäßig, aber in Heathrow funktionieren die Pass-Scanner an den vielen automatischen Kontrollen nicht und so müssen alle an dem einzigen mit einem Menschen besetzten Schalter vorbei und ihren Pass kontrollieren lassen. Das dauert eine gefühlte Ewigkeit, denn jeder wird interviewt, was er denn in UK wolle und wie lange er zu bleiben gedenke. Dann staut es sich noch an der Sicherheitskontrolle, durch die man nochmal muss. Als ich endlich dran bin, sehe ich auf der Anzeigetafel, dass das Boarding für meinen Anschlussflug schon begonnen hat. Ich raffe also alles aus den Wannen zusammen, halte mich nicht mit dem Schuhebinden auf und renne mit schlackernden Wanderschuhen durch das ganze Terminalgebäude zum Gate A20. Ich komme gerade noch rechtzeitig und gehe als einer der letzten in die Maschine.

    Am Inverness Airport wird mein Rucksack mit anderem Sondergepäck von Hand in den Gepäckausgaberaum gereicht. Uff, ich bin erleichtert, er ist nicht verloren gegangen. Obwohl der Rucksack in einem robusten Transportsack steckt, war ich doch etwas nervös, ob er auch ankommt, besonders wegen des Zwischenstopps in London. Ich nehme den Bus 11 vom Flughafen in die Stadt und bin um 16:30 endlich in Inverness. Am erstbesten Outdoorladen schräg gegenüber vom Bahnhof kaufe ich eine 220g Gaskartusche. Wahrscheinlich hätte es eine 100er auch getan, aber da ich viele Nescafe-Tütchen und Teebeutel dabei habe, will ich mir bei den Heißgetränken keine Gedanken über den Gasverbrauch machen müssen. Ich beziehe mein Zimmer in einem schlichten aber okayen B&B und bummel dann noch ein bisschen durch die (nicht wirklich schöne) Stadt. Vorfreude mischt sich mit Anspannung. Es ist kühl, regnerisch und windig. Mal schauen, wie es morgen wird. Die Wetterprognose ist durchwachsen.

    Zuletzt geändert von Goldi; 10.06.2023, 22:08. Grund: Position auf der Karte eingetragen (hoffentlich ist sie diesmal gespeichert)

  • Ljungdalen

    Alter Hase
    • 28.08.2017
    • 3014
    • Privat


    #2
    Bin gespannt...

    Zitat von Goldi Beitrag anzeigen
    ... Inverness ... Ich beziehe mein Zimmer in einem schlichten aber okayen B&B und bummel dann noch ein bisschen durch die (nicht wirklich schöne) Stadt.
    Naja, welche (halbwegs größere) Stadt in Schottland ist schon im Ganzen "schön" - außer Edinburgh?

    Mit Aberdeen oder Dundee kann Inverness durchaus mithalten (in allen bemüht man sich, anerkennenswert... aber bei den Hinterlassenschaften der dort relativ üblen industriellen Epoche hat man's halt nicht leicht...)

    Das Youth Hostel (Hostelling Scotland) in Inverness übrigens ganz gut.

    Kommentar


    • Goldi
      Erfahren
      • 11.09.2022
      • 214
      • Privat


      #3
      Zitat von Ljungdalen Beitrag anzeigen
      ... Naja, welche (halbwegs größere) Stadt in Schottland ist schon im Ganzen "schön" - außer Edinburgh?
      Hm, ja. Ich gebe zu, mir nicht allzu viel Mühe mit Inverness gemacht zu haben. Dabei hatte mir Lisa, die Wirtin empfohlen, einen Fußgängerweg am Flussufer zu gehen, eine Hängebrücke über den Fluss zu nehmen und auf der anderen Seite wieder zurück. Es war aber, wie gesagt, kühl und regnerisch und ich wollte nicht zu weit gehen.

      Glasgow ist übrigens ganz schön, aber natürlich auch größer und studentischer.

      Die Jugendherberge ist ein guter Tipp, danke.

      Kommentar


      • Goldi
        Erfahren
        • 11.09.2022
        • 214
        • Privat


        #4
        Tag 1 (Donnerstag, 18.5.2023) – Aus Kingussie in die Berge

        Nach einem letzten soliden Frühstück in der Unterkunft nehme ich den Zug um 8:42 von Inverness nach Kingussie. Die Strecke ist zum großen Teil eingleisig und so muss öfters der Gegenzug abgewartet werden. Eine Station vor meinem Ziel kommt Aviemore, der Ort, an dem ich in fünf Tagen wieder aus den Bergen herauskommen werde. Seltsames Gefühl. Ich könnte einfach hier aussteigen, dann wäre ich schon da. Ich bleibe sitzen, der Zug fährt weiter und dann kommt endlich Kingussie, nach insgesamt rund einer Stunde Fahrzeit. Ich sehe vom Ort nur den Bahnhof und den südlichen Ortsausgang, aber ich glaube, viel mehr gibt es auch nicht zu sehen.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_094714 Kingussie Bahnhof.jpg
Ansichten: 931
Größe: 2,77 MB
ID: 3204392

        Ich sortiere mich noch ein bisschen und marschiere gegen zehn Uhr los. Das Wetter ist bewölkt, aber trocken. Um in die Berge zu kommen, muss ich die Straße nehmen, die nach Süden über den River Spey führt und unter der Bundesstraße A9 hindurch. Da treffe ich auch schon auf ein ernsthaftes Hindernis. Ausgerechnet heute wird die Brücke neu geteert und ist auch für „non-motorized users“ wie mich gesperrt. Ein picknickender Brite, der auf einer Bank am Wegrand sitzt, sagt mir bedauernd, dass es heute kein Durchkommen gäbe, falls ich die „Barracks“ anschauen wollte. Ich weiß nicht, von welchen Barracken er spricht, ich will jedenfalls in die Berge.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_100907 Straßensperre.jpg
Ansichten: 854
Größe: 3,37 MB
ID: 3204393

        Ich versuche trotzdem mein Glück, gehe an den Verbotsschildern vorbei und sehe, dass die Bauarbeiter noch an ihrer Asphaltmaschine herumwerkeln, die schon vor sich hin dampft und praktisch die gesamte Fahrbahnbreite einnimmt. Auf meine vorsichtige Frage nicken die Bauarbeiter knapp und machen mit einem „Quick!“ klar, dass ich mich buchstäblich in letzter Sekunde durchgemogelt habe. Hier der Blick zurück durch die Unterführung unter der Bundesstraße:

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_101300 Baustelle.jpg
Ansichten: 841
Größe: 3,20 MB
ID: 3204394

        Dann geht es endlich richtig raus aus dem Ort und rein in die Landschaft. Und jetzt sehe ich auch, welche Barracken der Mann vorhin gemeint hat. Ich merke, dass ich mich schlecht vorbereitet habe und schließe an den sehr guten Erklär-Schildern meine Wissenslücke. Es ist die Ruine der „Ruthwen Barracks“, einer alten Garnison aus dem achtzehnten Jahrhundert, in dem sich die Truppen des Hannoveraner Königs gegen die Jakobiten eingeigelt hatten. Der Minigaig-Pass war früher die Militärstraße, auf der die Soldaten im Sommer zwischen hier und Blair Atholl marschiert sind. Genau diesen Weg will ich auch gehen.

        Das Fort sieht immer noch sehr imposant aus. Interessanterweise war es im Februar 1746 doch noch an die aufständischen Schotten gefallen. Als die Jakobiten dann im April des gleichen Jahres in der Schlacht von Culloden, einem Vorort von Inverness, entscheidend geschlagen wurden, hatte sich ein versprengter Teil von ihnen hierhin zurückgezogen.


        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_102353 Ruthwen Barracks.jpg
Ansichten: 855
Größe: 2,48 MB
ID: 3204395

        Ich lasse meinen Rucksack an der Straße stehen und laufe durch die Ruine. Dann geht es weiter. Durch die Straßensperrung ist außer mir niemand unterwegs. Einmal fährt ein Traktor vorbei. Ich komme an einer Farm vorbei. Man kann Schafdung kaufen, einen Sack für £1,50. Was auch immer man damit will.

        Es geht ein bisschen durch einen lichten Wald und dann kommt die Tromie Bridge. Sie führt über gleichnamigen Fluss und dort zweigt mein Weg von der Straße ab. Es bleibt allerdings ein Fahrweg, der dem Fluss stromaufwärts folgt. Da mir das schon bei der Planung zu langweilig erschienen war, hatte ich mir einen gestrichelten Weg ausgesucht, der aus dem Glen Tromie ins östliche Paralleltal Gleann Chomhraig wechselt. Ich finde den Weg und da ich schon zwei Stunden gewandert bin, mache vor dem Anstieg erst einmal Pause. Schnell noch eine Whatsapp an die Familie geschickt, bevor das Netz weg ist. Dann geht es den Heidekraut-Hang hinauf. Endlich fühle ich mich so richtig in den Highlands.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_121022 Fußweg.jpg
Ansichten: 844
Größe: 2,95 MB
ID: 3204396

        Der Fußweg geht über einen Bergrücken in ein schönes, weites Tal. Außer mir ist hier niemand unterwegs und ich habe das ganze Tal für mich allein. Zivilisation ist auch keine mehr zu sehen. Gut so. Der Weg wird zu einer etwas verwilderten Fahrspur, die durch den Fluss führt, der an der östlichen Talseite fließt. Es ragen günstige Steine aus dem Wasser und ich komme trockenen Fußes hinüber. Dann verliert sich der Weg allerdings vollständig. Auf der Karte ist durchgängig ein gestrichelter Weg verzeichnet. In der Wirklichkeit ist nur Gras zu sehen.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_130433 Stöcke am Fluss.jpg
Ansichten: 847
Größe: 4,59 MB
ID: 3204397

        So gehe ich eben ohne Weg am Fluss entlang. Das ist etwas beschwerlich, da der Boden aus Gras, weichem Moos und Morast besteht und bei jedem Schritt nachgibt, so dass man bis zum Knöchel einsinkt. Manchmal trocken, manchmal im Wasser. Es schmatzt und gluckst bei jedem Schritt. Ich bin jedenfalls froh, keine Trailrunner anzuhaben, sondern old-school Wanderschuhe. Häufig ist die Wiese von offenen Wasserstellen durchzogen.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_132220 Stock Fuß Wasser.jpg
Ansichten: 834
Größe: 6,00 MB
ID: 3204398

        Ich bin umgeben von einem vielstimmigen Vogelkonzert. Vor allem ein Ruf fällt mir auf, ein sehr melodiöses, erst langsames, dann schneller werdendes „Tuuuuit, tuuuit, tuituituit“. Ich weiß nicht, was für ein Vogel das ist, aber es klingt sehr schön, fast tropisch.

        Nach eineinhalb Stunden anstrengendem Gehen wie im Tiefschnee wird das Tal enger und von rechts kommt ein geschotterter Fahrweg in Sicht. Ich steige zu ihm hoch, blicke zurück und merke, dass er vermutlich die ganze Zeit auf der anderen Talseite parallel zu meiner weglosen Route verlaufen ist. Da er höher gelegen ist, hatte ich ihn von der Talsohle aus nicht gesehen. Auf ihm wäre es sehr viel weniger anstrengend gewesen, aber auch nicht so authentisch. In der Karte ist der Schotterweg nicht verzeichnet, er sieht auch noch ziemlich neu aus. Dafür endet er nach ein paar hundert Metern abrupt mit einer Wendestelle.

        Ich folge wieder weglos dem Bach, bis dieser immer kleiner wird und irgendwann ganz unter dem hohen Gras und Heidekraut verschwindet. Dann stoße ich auf einen mannshohen Wildzaun, der dummerweise die Richtung blockiert, in die ich eigentlich gehen möchte.


        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_143031 Zaun.jpg
Ansichten: 821
Größe: 4,02 MB
ID: 3204399

        Da ich nicht darüber klettern will, muss ich wohl oder übel dem Zaun folgen, was mal einfacher (Gras), mal mühsamer (Heidekraut) ist. Endlich kommt ein Gatter, durch das ich hindurch kann. Erstmal die nächste Pause machen, jetzt, wo ich die Richtung wieder stimmt. Dann geht es durch das Gatter. Es gibt eine Fahrspur, die sich aber schnell wieder verflüchtigt.

        Obwohl ich auf einer Hochebene unterwegs bin, ist sie durchzogen von Wasserläufen. Einmal passe ich nicht auf und setze einen Stock zu knapp an den Rand der gegenüber liegenden Grasfläche, auf die ich treten möchte. Während ich mich aufstütze und den großen Schritt über das Wasser mache, gibt der Boden unter dem Stock nach und er versinkt tief im Wasser. Ich falle vornüber, trete ins Wasser und mache, durch das Gewicht des Rucksacks heruntergedrückt, eine Bauchlandung auf dem Grasstück, das Gesicht im nassen Moos. Zum Glück ziehe ich das Bein so schnell aus dem Wasser, dass der Schuh innen trocken bleibt. Ich stehe auf, wische meine Brille und das Gesicht ab und sortiere mich erstmal. Der Stock steckt noch im Wasser. Von den eigentlich 130cm schauen nur noch 30cm heraus. Ich hätte nie gedacht, dass diese Wasserläufe so tief sind.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_153830 tief eingesunkener Stock.jpg
Ansichten: 809
Größe: 5,35 MB
ID: 3204400

        Zum Glück hat mich niemand gesehen. Ich ziehe den schlickigen Stock heraus und sehe zu, dass ich dieses Wasserlabyrinth hinter mich lasse. Hinter der Hochebene stoße ich wieder auf ein Tal mit einem kleinen Bach, dem ich folge. Es ist schon nach vier Uhr, der Wind wird böig und die Wolken sehen aus, als ob es jederzeit regnen könnte. Zeit, einen Lagerplatz zu suchen. Eigentlich wollte ich noch aus der OS-Karte 35 „herauswandern“ und kurz vor dem Anstieg zum Mingaig in einem Flusstal campieren, aber wer weiß, wie geeignet es da wirklich ist. Ich nehme mir also vor, ab jetzt den ersten halbwegs brauchbaren Platz zu nehmen. Lange Zeit ist alles schwammig und nass, aber dann finde ich eine feste, trockene Grasfläche und baue mein Zelt auf.

        Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230518_165808 Zelt.jpg
Ansichten: 816
Größe: 3,47 MB
ID: 3204401

        Ich bin gerade damit beschäftigt, die Sachen für die Nacht zurecht zu legen, als ich von außen ein „Good Evening!“ höre. Da steht ein älterer, drahtiger Schotte und schmunzelt mich an. Er ist der erste Mensch, dem begegne, seit ich Kingussie und die Straßenbaustelle verlassen habe. Er will gleich von mir wissen, ob ich auch die „Challenge“ mache. Häh, denke ich. Was für eine Challenge? Ich merke, dass ich a) noch ein Schottland-Anfänger bin und b) mich schon wieder schlecht vorbereitet habe. Er erklärt mir, wie die Great Outdoor Challenge funktioniert. In zwei Wochen von Coast-to-coast. Route vorher eingereicht, begutachtet und genehmigt. Je anspruchsvoller, desto besser. Nicht schlecht. Er selbst, ein pensionierter Lehrer, macht nämlich auch mit und muss jetzt noch ein bisschen gehen zu seinem Tagesziel.

        Wir reden – natürlich – noch über das Wetter und über die schwer am Himmel hängenden Wolken. „I think the water will come down here.“ meint er, und zeigt vom nahen Hang herunter genau auf mein Zelt. Ich schlucke. Was für ein vernichtendes Urteil über meine Zeltplatzwahl. Ausgerechnet von so einem Wander-Profi. Dabei finde ich den Platz gar nicht so schlecht. Es ist kein Flussbett oder eine Rinne im Gelände oder so. Vielleicht ist es auch nur ein spezieller schottischer Humor. „Then I have to trust in the waterproof bottom of my tent”, kann ich gerade noch herausbringen.
        Er darauf nur trocken: “It will come over.” Und mit einem ehrlich gemeinten, freundlichen Gruß verabschiedet er sich. Ich schaue etwas verunsichert auf die Oberkante meines Innenzeltbodens, aber da in der Nähe sowieso keine andere geeignete Fläche zu finden ist, bleibe ich da und riskiere es. Ich esse, schreibe Tagebuch, brüte noch ein wenig über einem Sudoku und lege mich gegen neun Uhr schlafen. Bilder von eindringenden Wassermassen gehen mir durch den Kopf. Wie es sich wohl anfühlt, wenn das Innenzelt unaufhaltsam voll Wasser läuft? Noch regnet es nicht.

        Und um gleich den Cliffhanger rauszunehmen: Es wird auch die ganze Nacht und den nächsten Tag nicht regnen. Ich werde also nie erfahren, ob ich in der Nacht abgesoffen wäre.

        Tagesbilanz: 18km, 330hm (wobei ich durch frühere Vergleichsmessungen mit Strava den starken Verdacht habe, dass Komoot systematisch zu wenig Höhenmeter ausweist.)

        Kommentar


        • Hunter9000
          Dauerbesucher
          • 02.06.2012
          • 678
          • Privat


          #5
          Es könnte tatsächlich sein, dass bei schweren Regenfällen sich die Grasnarbe auf der du dein Zelt aufgebaut hast, in einen kleinen Bach verwandelt. Aber so sicher wäre ich mir da nicht und ich wäre auch da geblieben.

          Kommentar


          • Goldi
            Erfahren
            • 11.09.2022
            • 214
            • Privat


            #6
            Tag 2 (Freitag, 19.5.2023) – Über den Minigaig-Pass

            Ich bin vor fünf Uhr wach und stehe auf. Draußen ist es noch ganz schön kalt, aber trocken. Ich frühstücke vor dem Zelt und genieße mein warmes Müsli und den heißen Kaffee.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_061243 ich vor dem Zelt .jpg
Ansichten: 747
Größe: 3,33 MB
ID: 3205420

            Dann packe ich zusammen und bin um sieben Uhr abmarschbereit. Ich steige weiter nach oben und der Boden wird immer trockener und fester. Es geht sich leicht und da ist auch wieder einen Weg, besser gesagt, die Fahrspur eines Geländefahrzeugs.

            Ein Blick zurück in das Tal, aus dem ich gekommen bin:


            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_072641 Landschaft mit Tal.jpg
Ansichten: 698
Größe: 3,90 MB
ID: 3205421

            Auf der anderen Seite geht es an einem Waldstück entlang in das nächste Flusstal (Bild unten). Dort unten hatte ich ursprünglich übernachten wollen. In der Ferne sehe ich auch ein einzelnes Zelt, der helle Punkt in der Bildmitte rechts vom Fluss. Dahinter ist übrigens am linken Berg der Aufstieg zum Minigaig-Pass zu sehen, als schräg nach rechts oben laufendes Band. Da will ich hoch.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_074809 Waldrand mit Fluss.jpg
Ansichten: 690
Größe: 3,08 MB
ID: 3205422

            Als ich später unten am Fluss bin und an dem silbergrünen Firstzelt vorbei gehe, ist von dem oder den Bewohnern noch nichts zu sehen oder zu hören. Da es erst acht Uhr ist, möchte ich niemanden aufwecken und schleiche leise vorbei. Ein schöner Zeltplatz, denke ich im Vorbeigehen, aber das konnte ich gestern ja noch nicht wissen.

            Mal schauen, ob die Richtung noch stimmt:

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_081604 Karte.jpg
Ansichten: 700
Größe: 2,25 MB
ID: 3205423

            Ich folge der gestrichelten Linie, die auf der Kartenmitte nach oben läuft und befinde mich jetzt ungefähr da, wo der Bleistiftkringel ist. Es ist kein Weg zu sehen, aber der Pass ist nicht zu verfehlen. Allmählich steige ich wieder höher, immer dem Fluss folgend, der nach und nach zum Bach wird und irgendwann verschwindet. Noch die übliche „alle-2h-Gehen-eine-Pause“-Pause, dann geht es den Hang hinauf, den ich von unten schon so lange gesehen habe. Hier ist der Weg wieder deutlich zu erkennen und leicht zu folgen.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_094648 Selfie.jpg
Ansichten: 688
Größe: 812,3 KB
ID: 3205424

            Oben auf der Höhe angekommen gibt es sogar Wegmarkierungen aus aufgeschichteten weißen Quarzsteinen. Die Sonne kommt mehr und mehr heraus und ich stelle auf kurze Hosenbeine und T-Shirt um. Der Weg geht eine Weile mit leichtem auf und ab auf einer Hochebene aus Gras und Heidekraut entlang. Es ist windstill und absolut ruhig. Nur die Moorhühner, die ab und zu plötzlich laut quakend kurz vor mir aufflattern, lassen mich jedesmal ziemlich erschrecken.

            Es ist Mittag geworden und ich mache in der Sonne Rast und genieße die Aussicht. Dann geht es abrupt wieder von der Hochebene hinab in ein weites Tal mit Fluss und Fahrweg.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_120545 Tal mit Stöcken.jpg
Ansichten: 696
Größe: 4,06 MB
ID: 3205425

            Unten angekommen folge ich dem Fahrweg, der das Tal entlangführt. Er verläuft topfeben und wie mit dem Lineal gezogen.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_124230 gerader Fahrweg.jpg
Ansichten: 687
Größe: 3,83 MB
ID: 3205426

            Der Weg sieht zwar etwas öde aus, aber ich genieße das leichte Gehen und falle in ein schnelles Marschtempo. Hier sind die Stöcke wirklich gut. Sie helfen einem, sehr gleichmäßig und mit dem ganzen Körper zu gehen (obwohl ich hier im Forum vermutlich keine Werbung für Stöcke machen muss). Ich weiß nur nie, ob ich einen bestimmten Atemrhythmus einhalten soll, so wie beim Laufen. Zwei Schritte ein, zwei Schritte aus scheint mir etwas schnell, aber 3-3 ist wiederum zu langsam.

            Dann bin ich bei der Bruar Lodge, einer Farm mit Weide und Waldstück. Es stehen zwei Landrover davor, aber es ist niemand zu sehen. Ich zweige vom Feldweg ab und steige aus dem Tal hinauf, auf einem gut zu folgenden Pfad. Dieser Weg führt auf der Karte südlich um Beinn Dearg herum, einem der 18 Munros in den Cairngorms. Ein Stichweg zweigt dann auf der Karte davon ab und führt direkt auf den Gipfel. Mein Plan ist, den Rucksack an diesem Wegabzweig zurückzulassen und nur mit leichtem Gepäck auf den Gipfel zu gehen (ca. 3km und 350hm). Dummerweise löst sich der Weg noch weit vor dem Abzweig vollständig auf und ich muss mich durch kniehohes Heidekraut kämpfen. Immer mal sieht es wie ein Weg aus und ist dann doch nur eine Wildspur, die wieder verschwindet. Ich gehe parallel zum Hang und umrunde so einen Geländevorsprung. Ein Blick auf die OS-App zeigt mir, dass ich etwas zu tief bin. Also hochsteigen. Ich pflüge mich durch das dichte Heidekraut. Jetzt bin ich genau dort, wo der Weg eigentlich sein sollte. Aber nur Heidekraut zu sehen.

            Überwältigende Aussicht, aber kein Weg:

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_135739 Blick ins Tal.jpg
Ansichten: 680
Größe: 3,53 MB
ID: 3205427

            Ich kämpfe mich weiter durch das Gestrüpp und gehe auf den Einschnitt zu, wo sich laut Karte mehrere Wege kreuzen sollten, auch ein größerer Fahrweg. Endlich stoße ich auf einen gut ausgebauten Wanderweg mit Treppenstufen aus Fels und allem, was dazu gehört. Jetzt habe ich allerdings den Punkt, an dem ich meinen Rucksack zurücklassen und zum Gipfel aufsteigen wollte, längst verpasst, so dass der Gipfelanstieg von hier deutlich länger ist. Es ist kurz nach drei Uhr. Das war meine selbstgesteckte Deadline für den Gipfelaufstieg, allerdings vom ursprünglichen Abzweig. Außerdem bin ich genervt und erschöpft vom mühsamen Wegbahnen in dem steilen Buschland. Ich setze mich erstmal an den Wegrand und beschließe schweren Herzens, den Munro Munro seien zu lassen und lieber weiterzugehen. Dabei wäre es mein erster gewesen! Wäre ich gestern wie geplant bis zu meinem Zielgebiet gegangen, wäre ich jetzt eine Stunde früher dran und der Gipfel wäre keine Frage gewesen.

            Ausgerechnet, als ich so abgekämpft dasitze und ein Frust-Snickers vor mich hin mampfe, kommen vier junge Männer gut gelaunt und voller Elan den Gipfelweg heruntergeprescht. Sie sind die ersten Menschen, die ich heute sehe. Ich muss in ihren Augen wohl ziemlich bemitleidenswert ausgesehen haben, denn sie fragen sofort, ob ich okay wäre und ob sie mir helfen können. Das hat mir noch gefehlt. Aber ich antworte natürlich höflich, es ist ja wirklich nett gemeint. „Yes, I´m fine. Thanks. Just resting.“ Sie nicken und galoppieren weiter.


            Ich raffe mich nach einer Weile auf und gehe den breiten Weg nach Süden und dann nach Westen in Richtung Blair Atholl. Wenigstens geht es sich hier angenehm leicht. Zwei Mountainbiker überholen mich, dann begegne ich noch ein paar Wanderern mit Tagesgepäck.

            Ich will vor Blair Atholl bleiben und suche mir gegen 17 Uhr einen schönen Fleck am Fluss.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230519_202114 Zelt am Fluss.jpg
Ansichten: 682
Größe: 4,49 MB
ID: 3205428

            Man beachte das Hirschgeweih, das vor dem Zelt liegt. Ich habe es direkt neben meinem Zeltplatz gefunden. Ich überlege kurz, ob ich es mitnehmen soll. Dann denke ich daran, wie es ohne die Umgebung und mit verblassender Freude über den Zufallsfund seinen Zauber verlieren würde und nur noch ein sinnloser Staubfänger bei mir zuhause wäre. Also beschließe ich, es morgen hier zu lassen. Ich weiß, dass es so weit ab vom Weg liegt, dass der nächste Finder nur jemand sein kann, der genau hier sein Zelt aufschlagen will.

            Tagesbilanz: 25km, 580hm

            Kommentar


            • Mancunian
              Erfahren
              • 12.06.2014
              • 262
              • Privat


              #7
              Beachtliche Tour bisher und ich bin gespannt wie es weiter geht. An den Barracks in Ruthven war ich dieses Jahr ebenfalls und fand die Ruinen ganz beeindruckend. Auch viele andere Punkte kann ich nachvollziehen. Z.b. das treten in Wasserlöcher oder trittfest aussehendes Moos, welches plötzlich nachgibt und das halbe Bein verschwindet. Sowas ist unangenehm bis schmerzhaft.
              Tja und die Wege zu den Munros sind so ein Thema für sich. Von Parkplätzen aus gehen meist sehr gut sichtbare Pfade hinauf. Auch zwischen benachbarten Munros existieren häufig gute Pfade. Darüber hinaus wird es allerdings schon dünn. Manchmal findet man einen Pfad, doch der verliert sich schnell, denn es ist nur ein Wildwechsel. Auch die Pfade in den OS Karten sind häufig ungenau oder existieren nicht mehr. Ein guter Anhaltspunkts zur Prüfung ob Pfade existieren ist z.B. die Strava Heatmap (https://www.strava.com/heatmap), also eine Karte auf der alle Logs von Wander-/Jogging-/Spazier-Aktivitäten übereinanderliegen, je häufiger ein Pfad genommen wird, desto heller. Helle Abschnitte bedeuten oft vorhandene Pfade. Oder aber Where-is-the-path (https://wtp2.appspot.com/wheresthepath.htm), eine Webseite, wo OS-Karte und Google Maps Satellitenkarte nebeneinander liegen und so prima erkennbar ist, wo ggf ein Pfad entlang führt und ob dieser in der Karte eingezeichnet ist. Aber ja, ich kann mir vorstellen, mitten in den Highlands bringt einem das herzlich wenig.
              ---
              I'd rather be out on the hills...
              http://chorltoniac.blogspot.com

              Kommentar


              • Goldi
                Erfahren
                • 11.09.2022
                • 214
                • Privat


                #8
                Hallo Mancunian, danke für deine Kommentare und die Tipps. Ich glaube, in Zukunft rechne ich einfach nicht mehr fest mit einem Weg, nur weil auf der OS-Karte einer eingezeichnet ist. Weglos gehen ist im Prinzip ja ok, man muss sich nur darauf einstellen. Aber die Strava Heatmap ist ein guter Hinweis.

                Kommentar


                • Goldi
                  Erfahren
                  • 11.09.2022
                  • 214
                  • Privat


                  #9
                  Tag 3 (Samstag, 20.5.2023) – Zweites Frühstück in Blair Atholl, das endlose Glen Tilt und ein unerreichbarer See

                  Ich stecke morgens meinen Kopf aus dem Zelt und sehe auf dem Bergrücken vor mir ein ganzes Rudel Hirsche, die sehr gelassen vorbeiziehen.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_050445 Hirschrudel.jpg
Ansichten: 670
Größe: 1,75 MB
ID: 3206318

                  Das Wetter ist bewölkt, aber trocken (noch). Ich frühstücke mein übliches Müsli, gönne mir einen doppelten Nescafe, packe zusammen und ziehe los. Es geht weiter das Tal hinunter in Richtung Blair Atholl. Nach kurzer Zeit kommt ein harter Schnitt in Form eines Wildgatters. Auf der einen Seite, von der ich komme, karges Gras- und Buschland, auf der anderen ein üppiger Wald.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_081627 Zaungatter.jpg
Ansichten: 535
Größe: 4,67 MB
ID: 3206319

                  Ich bin an dem Wald angelangt, der zum Blair Castle gehört. Es geht eine Weile auf dem Forstweg weiter, dann betrete ich durch den Hintereingang den Schlossgarten. Es ist die Lieferanteneinfahrt und ich deute das Verbotsschild so, dass es nur für unerlaubte Fahrzeuge gilt, nicht für harmlose Wanderer wie mich.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_085053 Schlossweg.jpg
Ansichten: 539
Größe: 4,62 MB
ID: 3206320

                  Der frisch gemähte Rasen und die Bäume sind so grün, dass es schon fast in den Augen weh tut.

                  Das Schloss liegt so früh morgens noch etwas verlassen da.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_085321 Schloss.jpg
Ansichten: 536
Größe: 2,11 MB
ID: 3206321

                  Es macht erst in einer Stunde auf und so beschließe ich, es nicht zu besichtigen und lieber in den Ort zu gehen für ein zweites Frühstück. Es gibt dort eine historische Wassermühle, die noch in Betrieb ist und mit dem Mehl eine eigene Bäckerei betreibt. Habe ich gelesen, denn ein bisschen habe ich mich schließlich doch vorbereitet.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_100532 Watermill.jpg
Ansichten: 530
Größe: 3,47 MB
ID: 3206322

                  Hier treffe ich einen Deutschen, der auch die Challenge macht und auf dem Campingplatz in Blair Atholl übernachtet hat (viele Grüße, falls Du auch im Forum bist und das hier liest). Wir sitzen auf der Terrasse der Bäckerei, frühstücken zusammen und reden über unsere Kinder, Bergtouren in Österreich und Italien, über Schottland, die Challenge und noch über dies und das. Die (der? das?) Roll mit Bacon und Fried Egg ist der Hammer. Dazu richtig guten Cappuccino. Ich sage nie mehr etwas Schlechtes über britisches Essen. Eigentlich wollte ich hier ein Brot als Proviant kaufen, aber da ich noch bis gestern von den Tesco Käsebrötchen aus Inverness gezehrt habe, ist mein aus Deutschland importiertes 500g REWE-Körnerbrot noch unangetastet. So belasse ich es bei dem Frühstück.

                  Nach einer guten Stunde verabschieden wir uns. Mein Weg führt mich immer flussaufwärts den River Tilt entlang. Zuerst geht es unter üppigen Bäumen direkt am Fluss entlang.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_110224 Flussufer Bäume.jpg
Ansichten: 534
Größe: 5,55 MB
ID: 3206323

                  So nett der Weg auch ist, es könnte genauso gut bei mir zuhause im Odenwald sein.

                  Dann bleiben die Bäume zurück und die Vegetation wird wieder karger. Endlich sieht es wieder aus wie in den Highlands. Der Weg ist jetzt allerdings eine langweilige, ebene Schotterpiste.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_133002 Fluss Tilt.jpg
Ansichten: 530
Größe: 3,22 MB
ID: 3206324

                  Gegen Mittag fängt es an zu regnen, zuerst mit Unterbrechungen, später dauerhaft und so wird bis morgen früh durchregnen. Also Regenjacke und Hose anziehen und die Rucksackhülle aufziehen.

                  Die Mountainbiker tun mir Leid. Auf dem Fahrrad kann man sich eben doch nicht so gut gegen den Regen schützen wie zu Fuß. Ich unterhalte mich mit einem älteren Radfahrer auf einem High-End-Rad, der gerade hält und seine Kleidung etwas umkonfiguriert. Er ist ganz begeistert, dass ich aus Deutschland zum Wandern hierher gekommen bin. Er wolle, sagt er, im Juni nach Deutschland reisen für eine Flusskreuzfahrt.

                  – Hier ein kleiner Einschub: Ich lese später in der Zeitung, dass Anfang Juni ein Flusskreuzfahrtschiff mit britischen Passagieren auf dem Main beim Ausfahren aus einer Schleuse einen Felsen gestreift hat und Leck geschlagen ist. Die armen Touristen mussten vom Schiff evakuiert werden. Es durchzuckt mich leicht, denn ich befürchte, dass meine Begegnung im Glen Tilt einer von ihnen war. Sorry, ich hoffe, Ihr konntet Eure Reise fortsetzen. Einschub Ende –

                  Das Glen Tilt ist an sich ganz malerisch. Immer wieder kleine Häuser, Schafe, Baumgruppen. Wenn nur dieser planierte, geschotterte Fahrweg nicht wäre.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_130506 Glen Tilt Schafe.jpg
Ansichten: 526
Größe: 2,60 MB
ID: 3206325

                  Ich wandere weiter durch den Regen das Tal entlang. Zum Glück weht der Wind von Westen durch das Glen Tilt und somit von hinten.

                  Auf die Dauer wird es doch eintönig. Vor allem sieht man keinen Fortschritt. Stundenlang sieht das Tal immer gleich aus und auch der langweilige Schotterweg bleibt mir leider ziemlich lange erhalten. Mein Tagesziel ist der Loch Tilt, der hinter dem oberen Talausgang in einer flachen Hochebene liegt, etwas neben dem eingezeichneten Weg. Ich hatte mir bei der Tourplanung überlegt, dass ein Camp an diesem kleinen, einsam gelegenen See idyllischer und irgendwie Highland-mäßiger wäre, als direkt am Weg selbst zu zelten. Die Vorfreude auf „meinen“ See hilft mir über den monotonen Weg hinweg.

                  Den ganzen Tag kommen mir immer wieder Mountainbiker entgegen, einzeln oder in kleinen Gruppen, manche sogar mit Campinggepäck. Sie sind zwar alle nett, grüßen und halten beim Vorbeifahren ausreichend Abstand ein. Trotzdem fühle ich mich als Fußgänger hier irgendwie deplatziert, so als wäre ich auf einem ausgewiesenen Radweg unterwegs, auf dem Fußgänger nichts zu suchen hätten.

                  Dann kommen endlich die Falls of Tarf, Wasserfälle, die zwar nicht riesig sind, aber von einer schönen schmiedeeisernen Hängebrücke aus dem neunzehnten Jahrhundert überspannt werden.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_164058 Hängebrücke.jpg
Ansichten: 522
Größe: 4,43 MB
ID: 3206326

                  Sie schwankt ganz schön, als ich darüber gehe und ist noch dazu ziemlich rutschig. Danach wird der Weg endlich schmaler und wilder. Für einen breiten Fahrweg wäre auch gar kein Platz in dem engen Tal. Und Radfahrer gibt es hier auch keine mehr.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_165950 Tilt enges Tal.jpg
Ansichten: 523
Größe: 3,87 MB
ID: 3206327

                  Es ist schon später Nachmittag und ich gehe seit Stunden durch dieses endlose Tal, gemütlich in meine Kapuze gehüllt und vom hoch aufragenden Rucksack vor dem Wind von hinten geschützt. Vom Regen merke ich fast nichts, außer, dass er unablässig auf die Kapuze prasselt. Jetzt, wo der Weg schmal ist und es auf der einen Seite steil hinunter geht, muss ich mich immer wieder zwingen, mich auf meine Schritte zu konzentrieren, um nicht auf dem glitschigen Boden auszurutschen und abzustürzen.

                  Am Ende angelangt, öffnet sich das Tal schlagartig und ich betrete eine weite, hügelige Landschaft. Endlich!

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_174338 Tal öffnet sich.jpg
Ansichten: 524
Größe: 3,64 MB
ID: 3206328

                  Zum Loch Tilt müsste ein Teil des Flusses irgendwann links abzweigen, und zwar eher flach, gemessen an den Höhenlinien der Karte. Ich gehe und gehe, aber links ist die ganze Zeit steiles Gelände. Ich trotte den gut sichtbaren Pfad durch das regennasse Grasland entlang.

                  Irgendwann fällt mir auf, dass der Fluss weg ist. Also schaue ich auf der OS-App nach, wo ich mich gerade befinde und merke, dass ich längst am Abzweig zum See vorbei gelaufen bin. Mist! Ich muss rund zwei km zurückgehen. Als ich dann den Bachlauf finde, der zum Loch Tilt führt, sehe ich, dass er ziemlich steil einen Berghang herunterplätschert.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_184114 Tilt Gebirgsbach.jpg
Ansichten: 527
Größe: 5,20 MB
ID: 3206329

                  Hm, seltsam. Auf der Karte sah das doch so flach aus. Deshalb hatte ich ihn vorhin nicht erkannt und war vorbei gelaufen. Egal, ich will da hoch. Schließlich ist der Bach der Abfluss „meines“ Sees. Und so arbeite ich mich den rutschigen Hang hoch, den rauschenden Bach immer neben mir. Es regnet weiterhin ununterbrochen und alles ist glitschig und nass. Der Berghang ist viel länger und höher als er von unten ausgesehen hat und mehrmals denke ich daran, umzukehren. Nein, nein nein! Ich will da rauf! Der Bachlauf wird oben flacher, aber immer noch kann man nicht in die Ebene sehen, in der der See liegen soll.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_183858 Tilt wird flacher.jpg
Ansichten: 517
Größe: 3,04 MB
ID: 3206330

                  Ich motiviere mich mit der Erwartung, einen idyllischen Bergsee zu sehen, wenn ich nur erstmal diesen Hang geschafft habe, umgeben von schön ebenen, zelttauglichen Wiesen.

                  Dann habe ich den Hang endlich überwunden. Hat es eine halbe Stunde gedauert? Oder eine ganze? Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Egal, ich bin oben! Die Sicht über die Geländekante ist frei. Ich blicke in eine weite, ebene Landschaft und sehe… leider keinen See. Stattdessen verläuft der Fluss hier oben breit und ruhig weiter und verschwindet aufreizend gemächlich in der Ferne aus meinem Sichtfeld.

                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230520_183609 kein See.jpg
Ansichten: 517
Größe: 3,32 MB
ID: 3206331

                  Ich kann es nicht fassen. Wo ist der See? Er sollte doch vor mir liegen. Mein See! Ich bleibe stehen und checke die Karte. Trotz der Plackerei am Hang habe ich mich auf der Karte kaum vorwärts bewegt und der See ist noch ganz schön weit weg. Die schweren Beine werden auf einmal noch viel schwerer. Der Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich den See nicht mehr erreichen werde. Alle positive Energie fällt von mir ab, die Endorphine verflüchtigen sich instantan und ich sacke innerlich zusammen. Kein idyllisches campen am Seeufer. Kein Geheim-Spot, von MIR entdeckt und als ultimativer Cairngorms-Tipp konspirativ raunend weitergegeben.

                  Langsam wende ich mich zum Rückzug. Ich versuche mir einzureden, dass das ganze Seeufer bestimmt total morastig oder felsig sei und ich mir so viel Ärger mit der Zeltplatzsucherei erspart hätte. Trotzdem überwiegt die Enttäuschung. Der Weg ins Tal kommt mir doppelt beschwerlich und rutschig vor.

                  Irgendwie komme ich herunter und nehme ich mir vor, auf dem erstbesten flachen, festen Wiesenstück das Zelt aufzubauen. Ich gehe noch ein bisschen den Weg, den ich vorhin schon einmal gegangen und dann zurückgegangen bin und baue um 19 Uhr im Regen das Zelt auf. Dann schleuse ich mich hinein, schaffe es irgendwie, die nassen Regenklamotten in der Apsis zu lassen und möglichst wenig Wasser in das Innenzelt zu schleppen. Schnell noch etwas Essen, einen Tee zum Aufwärmen und ab in den Schlafsack. Ich bin zu müde und zu frustriert, um Tagebuch zu schreiben oder sonst noch etwas Sinnvolles zu machen.

                  - Noch ein Einschub: Wenn ich das hier jetzt schreibe, auf der sommerwarmen Terrasse sitzend mit einem Glas Rotwein neben mir und den Laptop auf dem Schoß, denke ich, solche Misserfolge sollte man gar nicht veröffentlichen. Aber jetzt kann ich selbst darüber lachen und irgendwie gehört so etwas ja dazu. Also lasse ich das Geschriebene stehen. Einschub Ende -

                  Tagesbilanz: 35km, 400hm (überwiegend glitschig und eklig)

                  Kommentar


                  • momper
                    Dauerbesucher
                    • 05.12.2011
                    • 702
                    • Privat


                    #10
                    Hab Dich innerlich romantisch am See übernachten sehen - schade, dass das nicht geklappt hat. Bei dem Mistwetter musste ich noch bis zum neu eröffneten Red Bothy gehen, um mich dort aufzuwärmen . Es war allerdings so voll mit angetüterten Locals, dass ich schlussendlich doch lieber gecampt habe. Liebe Grüße!​​​​​​
                    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
                    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

                    Kommentar


                    • Ljungdalen

                      Alter Hase
                      • 28.08.2017
                      • 3014
                      • Privat


                      #11
                      Zitat von Goldi Beitrag anzeigen
                      Ich kann es nicht fassen. Wo ist der See? Er sollte doch vor mir liegen. Mein See! Ich bleibe stehen und checke die Karte. Trotz der Plackerei am Hang habe ich mich auf der Karte kaum vorwärts bewegt und der See ist noch ganz schön weit weg.
                      Hm... kommt der da nicht gleich, bisschen rechts? Maximal 500 m noch, keine/kaum weitere Steigung? Oder missinterpretiere den Fotostandort völlig?

                      Aber OK, nach 35 km, im Regen & bald wird's dunkel... da macht man schon mal, was man halt macht...

                      Kommentar


                      • Goldi
                        Erfahren
                        • 11.09.2022
                        • 214
                        • Privat


                        #12
                        Ihr seid ja fix! Danke für die Kommentare und die Anteilnahme 😊

                        Zitat von Ljungdalen Beitrag anzeigen

                        Hm... kommt der da nicht gleich, bisschen rechts? Maximal 500 m noch, keine/kaum weitere Steigung? Oder missinterpretiere den Fotostandort völlig?

                        Aber OK, nach 35 km, im Regen & bald wird's dunkel... da macht man schon mal, was man halt macht...
                        Ja, Du vermutest den richtigen Standort. Laut Karte ist der See rechts von dem flachen Hügel, den man in der Mitte sieht. Aber auch er erschien mir zu dem Zeitpunkt seeehr weit weg. Letztlich hat aber der Untergrund den Ausschlag gegeben. Soweit man schauen konnte, war der Boden uneben und nicht zelttauglich. Wenn es am See auch so ausgesehen hätte, hätte ich alles zurücklaufen müssen oder eine sehr unbequeme Nacht gehabt.

                        Kommentar


                        • Goldi
                          Erfahren
                          • 11.09.2022
                          • 214
                          • Privat


                          #13
                          Hi momper, danke für den Link. Den Bildern nach könnte ich fast geneigt sein zu denken, dass es sich dort nicht gut zelten lässt. Am Red House bin ich am nächsten Tag in einiger Entfernung vorbei. Die Furt ist ja in Sichtweite zur Bothy. Ich habe aber nicht reingeschaut.

                          Kommentar


                          • Goldi
                            Erfahren
                            • 11.09.2022
                            • 214
                            • Privat


                            #14
                            Tag 4 (Sonntag, 21.5.2023) – Durch das schöne Glen Dee zur Corrour Bothy und Devil´s Point ohne Sicht

                            Die ganze Nacht hat es auf das Zelt geprasselt. Jetzt, morgens ist es still. Kein Wind, kein Regen. Dick stehen die Tropfen auf dem Zelt. Das Abdichten der Nähte mit Silicon hat sich auf jeden Fall gelohnt, kein Tropfen ist hinein gekommen. Das Kondenswasser hält sich auch in Grenzen, vermutlich, weil es draußen nicht so kalt ist. Ich schaue vorsichtig hinaus.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_052528 Blick aus Zelt.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,42 MB ID: 3207402

                            Alles ist dunstig und nass. Ich schäle mich vorsichtig aus dem Zelt, bedacht darauf, möglichst wenig Wasser vom Außenzelt mitzunehmen und schaue mich um. Nicht, dass es gestern stockdunkel gewesen wäre, aber ich war wohl zu müde und zu abgelenkt vom Regen, um die Umgebung bewusst wahrzunehmen.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_052907 Zelt am Fluss.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,59 MB ID: 3207401

                            Ich habe wirklich genau neben dem Weg geparkt. Eigentlich das, was ich nicht wollte. Aber da sich der Verkehr in Grenzen hält (genauer gesagt, kommt bis zu meinem Aufbruch NIEMAND vorbei), trage ich es mit Fassung.

                            Ich steige noch ein bisschen höher, um einen besseren Ausblick zu haben. Die aufsteigenden Dunstwolken sind wirklich mystisch. In meiner Phantasie höre ich in der Ferne Bagpipes, die Scotland The Brave anstimmen. Aber natürlich ist bis auf das leise Flussrauschen alles still. Links unten ist mein Zelt zu sehen, viel grüner als die Vegetation, die noch irgendwie im Winterschlaf steckt.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_053944 Zelt von oben.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,31 MB ID: 3207403

                            Zum Glück ist es nicht kalt. Ich bin trotzdem froh über mein warmes Müsli, das die Lebensgeister wieder weckt. (Wie man sieht, ertränke ich die 170g Müsli-Milchpulver-Mischung mit maximal viel heißem Wasser und mache eher eine Müsli-Suppe. Aber in diesem Moment liebe ich es und genieße jeden Löffel.)

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_060105 Frühstück.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,56 MB ID: 3207404

                            Ich packe das nasse Zelt zusammen und ziehe gegen 7 Uhr los. Die Beine sind wieder erstaunlich frisch, nach der Mörderstrecke gestern. Es waren ja auch kaum Höhenmeter. Ich finde, die gehen immer viel mehr auf die Beinmuskeln als flache Strecken.

                            Nach ein paar Kilometern kommt wieder ein Bach, der nach und nach zum Fluss wird. Jetzt gehe ich nicht mehr gegen die Fließrichtung sondern mit ihr. Der Weg ist eben und wird irgendwann wieder zu einer Fahrspur, aber nicht so straßenmäßig wie im Glen Tilt. Zweimal kreuzt die Spur den Fluss, der durch den vielen Regen vermutlich mehr Wasser führt als normal. Die Furtstellen sehen jedenfalls recht breit aus und Wasser ist reichlich vorhanden und fließt zügig. Es geht mir aber zum Glück nur bis zur Schienbein-Mitte, so dass das Furten kein Problem darstellt.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_091819 Furt.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,48 MB ID: 3207405

                            Während ich noch die Schuhe wechsle, sehe ich weit vor mir eine Gruppe Wanderer, die aus der nahegelegenen Red House Bothy aufbrechen. Ich gehe noch eine Weile hinter ihnen, hole sie aber nicht mehr ein, denn an der White Bridge laufen sie weiter nach Osten in Richtung Braemar, während ich dem hier mündenden River Dee nach Norden folge.

                            Der Dee hat einige spektakuläre Stellen wie diese hier:

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_102204 kleine Wasserfälle.jpg Ansichten: 0 Größe: 4,85 MB ID: 3207406

                            Ich folge dem Fluss am rechten Ufer stromaufwärts das Glenn Dee entlang. Der Weg ist gut sichtbar und einfach, nur an einigen Stellen etwas boggy. Ich habe das ganze Tal für mich. Nur einmal kommt mir ein Trailrunner mit Minimalgepäck entgegen und trabt kommentarlos an mir vorbei, wahrscheinlich total auf Endorphinen. Ich bin ihm nicht böse.

                            Den ganzen Tag bleibt es trocken, aber die Wolken liegen dicht auf und schneiden die oberen Hälften der Berge scharf ab, so dass man nur die gewaltigen Sockel sieht. Es ist auch so imposant.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_122728 Berge in Wolken.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,31 MB ID: 3207407

                            Es ist recht kühl und ich bin froh, die Fleecemütze dabei zu haben. Die Pausen fallen eher kurz und zweckmäßig aus, der Weg ist leicht zu gehen und so komme ich gut und schnell voran. Mein Plan ist, in der Nähe der Corrour Bothy zu übernachten. Immer wieder rollen dunkle Wolken durch das Tal, aber der Regen bleibt heute zum Glück aus. Dann wirkt die Gegend majestätisch-düster.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_134614 Tal in Wolken.jpg Ansichten: 0 Größe: 1,81 MB ID: 3207408

                            Ich sehe die Bothy schon von Weitem (der kleine weiße Fleck auf dem Bild oben) und bin froh zu wissen, dass es rund um die Hütte gute Zeltplätze gibt, denn der übrige Boden ist sehr durchweicht und matschig. Dann geht es über die klapprige Brücke und um 15 Uhr ich bin da.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_141526 Corrour Bothy außen.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,81 MB ID: 3207409

                            Kein Zelt zu sehen. Ich werfe einen Blick hinein und finde auch drinnen niemand. Was soll ich sagen? Sooo einladend sieht die Bothy nicht aus. Bevölkert mit netten Leuten wäre es vielleicht anders, aber jetzt wirkt sie düster und muffig.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_141142 Corrour Bothy innen.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,01 MB ID: 3207410

                            So bin ich froh, mein Zelt auf einer ebenen, festen und trockenen Wiese nebenan aufzubauen.

                            Da es noch früh am Nachmittag ist, beschließe ich, trotz der Wolken und der zu erwartenden Nullsicht auf den Devil´s Point zu steigen, der ja gewissermaßen der Hausberg der Bothy ist. Ich will endlich meinen ersten Munro auf der Liste haben.

                            Am Fuß des Bergs sehe ich ein abgelegtes MTB, also ist noch jemand oben. Ich treffe noch unterhalb der Wolken aber erstmal ein älteres, aber superfittes Paar, das auf dem Abstieg ist. Sie hätten gerade alle Gipfel da oben mitgenommen und müssten jetzt nur noch zum Parkplatz am Linn of Dee zurückwandern. Später schaue ich auf der Karte nach und sehe, dass es bis dort über 13km sind. Also insgesamt ein krasses Tagespensum. Ich staune immer wieder über die wanderverrückten schottischen Best-Ager.

                            Am Gipfel ist dann tatsächlich wenig bis nichts zu sehen.

                            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20230521_161333 Devils Peak selfie.jpg Ansichten: 0 Größe: 524,3 KB ID: 3207411

                            Beim Abstieg überholt mich dann noch eine junge Schottin, vielleicht Anfang zwanzig, die auch mit Zelt unterwegs ist und ihren Hund dabei hat. Sie zeigt mir ihren Lieblingsberg, den Carn a´ Mhaim, einem langgezogenen felsigen Bergrücken auf der anderen Talseite. Da wolle sie heute noch rauf. Unglaublich! Dabei ist es jetzt schon 17 Uhr. Ich staune auch über die jungen wanderverrückten Schotten. Dann überholt mich noch ein dicklicher älterer Wanderer („… just rolling down…“). Ihm gehört das MTB unten. Wir bedauern beide, dass die Sicht so schlecht ist und ich erzähle, dass ich für den morgigen Weg nach Aviemore zwei Optionen habe: Über die Gipfelkette oder durch das Tal. Er nuckelt versonnen an seinem Trinkschlauch, schaut auf sein Mobiltelefon und verkündet für morgen 80% clear sky. Sein knapper aber präziser Rat: „Stay high!“

                            Wieder an der Corrour Bothy kommt gerade ein anderes schottisches Paar mit wuchtigem Gepäck an, ebenfalls beide schon deutlich im Rentenalter. Er ist gut zu verstehen, aber sie spricht einen extremen Dialekt. Wenn ich nicht einzelne englische Wörter heraushören würde, hätte ich es für Gälisch gehalten. Oder Klingonisch. Sie machen (natürlich) die Challenge mit, seien aber zu spät gestartet und hätten daher ein Stück fahren müssen. Also sind sie offiziell nicht mehr dabei. Sie wollen natürlich trotzdem am Freitag am Zielort an der Ostküste ankommen, auch wenn sie dann weder Urkunden noch T-Shirts überreicht bekommen. Nicht so schlimm, meinen sie, sie seien ja schon viermal erfolgreich dabei gewesen.

                            Da es langsam kalt wird, verziehen wir uns in unsere Zelte. Sie übernachten auch nicht in der Bothy, sondern in ihrem Zelt, das sie wie ich direkt daneben aufgebaut haben.

                            Tagesbilanz: 22km, 590hm
                            Zuletzt geändert von Goldi; 10.07.2023, 19:25. Grund: Geographische Bezeichnung korrigiert

                            Kommentar


                            • Mancunian
                              Erfahren
                              • 12.06.2014
                              • 262
                              • Privat


                              #15
                              Spannend plus schottisches Wetter vom Feinsten ... wieder mal kann ich vieles nachvollziehen. Z.b. dass man sich freut, wenn man doch mal jemanden trifft und sich ein freundlicher Smalltalk entwickelt und dann das dumme Gefühl, wenn man aufgrund des starken Akzents nicht viel versteht.
                              Schön auch mal die Cairngorms zu sehen. Bislang kenne ich die nur aus vielen Reports hier oder von Walkhighlands, aber näher als der Fahrt auf der A9 oder dem Glenmore Campingplatz bin ich diesen Bergen nie gekommen. Schöne Landschaft, wenngleich auch etwas sanfter als die Berge entlang der Westküste.
                              Nochmal danke fürs Aufschreiben, ich les weiter mit....
                              ---
                              I'd rather be out on the hills...
                              http://chorltoniac.blogspot.com

                              Kommentar


                              • Goldi
                                Erfahren
                                • 11.09.2022
                                • 214
                                • Privat


                                #16
                                Zitat von Mancunian Beitrag anzeigen
                                Schöne Landschaft, wenngleich auch etwas sanfter als die Berge entlang der Westküste.
                                Am Folgetag wird es etwas schroffer. Aber insgesamt hast Du Recht: Die Berge sind schon sehr rundgeschliffen. Ich finde, sie sehen ein bisschen aus wie unter Wasser, vor allem wenn hohe Wolken sie zwar nicht verhüllen, aber in ein bläuliches Licht tauchen.

                                Kommentar


                                • Goldi
                                  Erfahren
                                  • 11.09.2022
                                  • 214
                                  • Privat


                                  #17
                                  Tag 5 (Montag, 22.5.2023) –Traumtag über die Gipfelkette nach Aviemore

                                  Ich stehe wie immer früh auf, schaue raus und sehe: Der Schotte gestern hatte Recht. Blauer Himmel. Die aufgehende Sonne taucht Devil´s Point gerade in ihr goldenes Licht. Kein Vergleich mit gestern.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_063154 Devils Peak im Sonnenlicht.jpg
Ansichten: 389
Größe: 2,82 MB
ID: 3208444

                                  Ich frühstücke meine letzte Müsliration vor dem Zelt.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_061700 Zelt vor Corrour Bothy.jpg
Ansichten: 311
Größe: 3,69 MB
ID: 3208461

                                  Die Entscheidung ist natürlich klar: Obenrum gehen! Es wehen zwar immer wieder Wolkenfelder heran, aber sie sind hoch und es herrscht klare Sicht.

                                  Ich lasse die Gaskartusche in der Bothy. Die Schüttelprobe sagt, dass sie mindestens noch halbvoll ist. Im Vorraum stehen ein Paar Stöcke, die gestern noch nicht da waren und die Innentür ist zu. Offensichtlich ist doch noch jemand angekommen. Da von innen nichts zu hören ist, will ich sie oder ihn nicht stören und lasse das Gas im Vorraum stehen. Ich verabschiede mich noch von dem Mann des älteren Paares, der gerade aus dem Zelt krabbelt, und breche auf.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_080821 Weg auf Bergkamm.jpg
Ansichten: 314
Größe: 4,19 MB
ID: 3208445

                                  Wieder steige ich auf den Bergkamm, aber oben gehe nicht nach links zum Devil´s Point, sondern nach rechts auf die anderen Gipfel zu. Im Tal war es windstill und beim Aufstieg hatte ich schon die ersten Schichten ausgezogen. Hier oben weht ein strammer Wind und ich ziehe die Fleecejacke unter die Jacke, außerdem noch die Mütze auf und nehme später zum ersten mal auch die Handschuhe. Zuhause wollte ich sie eigentlich gar nicht mitnehmen und habe es dann nur aus Prinzip gemacht. Jetzt bin ich echt froh, sie dabei zu haben.

                                  Der Weg ist mal besser und mal schlechter zu sehen, aber letztlich geht es immer am Kamm entlang. Ab und zu sind Altschneefelder zu überqueren, aber alle flach und problemlos.

                                  Immer höher geht es. Die Sonne taucht alles in grelles, hartes Licht und weil man natürlich keine Sonnencreme dabei hat („Haha, Sonnencreme nach Schottland…“), verbrenne ich mir ganz schön das Gesicht.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_085128 Selfie mit Schneefeldern.jpg
Ansichten: 302
Größe: 601,0 KB
ID: 3208446

                                  Die Aussicht ist umwerfend. Nach Osten blickt man über das Glenn Dee hinweg. Links hüllt sich der Ben Macdui in Wolken, aber die Reihe der Bergrücken, über die man schaut, ist wirklich majestätisch.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_093630 Bergrücken.jpg
Ansichten: 312
Größe: 2,06 MB
ID: 3208447

                                  Der erste richtige Gipfel ist der Stob Coire an t-Saighdeir (wer denkt sich solche Namen aus!?). Kein Munro und ein etwas flacher, buckeliger Gipfel, aber mit schöner Aussicht. Hier der Blick auf den Cairn Toul, der nächste Berg in der Kette (und ein „echter“ Munro):

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_093831 Blick auf Cairn Toul.jpg
Ansichten: 309
Größe: 3,39 MB
ID: 3208448

                                  Immer wieder ziehen dramatische Wolken durch. Der Weg auf den Cairn Toul führt durch Felder aus schwierig zu gehende große Felsbrocken, die wie lose aufeinander getürmt daliegen. Manchmal sind sie wirklich lose und wackeln und kippen beim Draufsteigen bedrohlich. Ich male mir aus, wie es wäre, jetzt zu stolpern und sich den Knöchel zu brechen. Kein Empfang, niemand weit und breit zu sehen.

                                  Auf dem Gipfel zeigt ein großer Cairn, dass man jetzt wirklich oben ist. Ringsum bietet sich eine atemberaubende Aussicht:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_102202 Cairn Toul Gipfel.jpg
Ansichten: 308
Größe: 3,44 MB
ID: 3208449

                                  Hier der Blick in die Richtung, aus der ich gestern gekommen bin:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_102848 Blick ins Tal mit Felsen.jpg
Ansichten: 307
Größe: 3,29 MB
ID: 3208450

                                  Der River Dee, teilweise verdeckt vom Devil´s Point (von oben sieht er viel unspektakulärer aus als von unten) und dort, wo er endet, nach rechts hinten weggehend das Glen Tilt.

                                  Ich folge der Abbruchkante. Immer mal wieder kommt ein Gipfel mit einem Cairn, so dass ich allmählich den Überblick verliere, welcher ein Munro ist und welcher nur ein Nebengipfel ohne die erforderliche Alleinstellung. Vor Ort beschriftet ist jedenfalls keiner. Der nächste Munro auf meinem Weg ist der Sgor an Lochain Uaine, der erst 1995 in die Munro-Liste aufgenommen wurde. Da das auf Gälisch „Spitze über dem kleinen grünen Bergsee“ heißt, fühle ich mich bestätigt, als ich tief unter mir tatsächlich einen kleinen runden Bergsee sehe, der etwas grünlich aussieht. Leider muss ich den Fotobeweis schuldig bleiben, denn sooft ich die vielen Fotos auch durchschaue, den See habe ich tatsächlich auf keinem festgehalten.

                                  Ich kann mich gar nicht satt sehen an dem Panorama und dem spektakulären Grat, dem ich folge. Immer wieder bleibe ich stehen und schaue mich um. Ich könnte platzen vor Glück. Was für ein Kontrast zu den letzten Tagen, wo es immer nur durch Täler ging. Hier der Blick entlang der Kante nach Süden:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_112024 Blick nach Süden.jpg
Ansichten: 305
Größe: 3,14 MB
ID: 3208451

                                  Und hier der Blick nach Norden in Richtung des letzten Munros, des Braeriach:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_112826 Kante mit Schnee.jpg
Ansichten: 311
Größe: 3,98 MB
ID: 3208452

                                  Bevor ich dahin komme, geht es über eine wahre Mondlandschaft. Sehr eben, fast ohne Vegetation, rechts die Abbruchkante, links bis zum Horizont wellige Hügel. Das kein Weg erkennbar ist, stört beim heutigen klaren Wetter nicht wirklich. Es ist allerdings etwas unheimlich, dass kein Mensch zu sehen ist, nicht mal ein Fuß- oder Stockabdruck. Als wäre ich allein auf der Welt. Wie Matt Damon auf dem Mars. Bei schlechter Sicht möchte ich hier jedenfalls nicht laufen.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_124110 Mondlandschaft.jpg
Ansichten: 308
Größe: 4,46 MB
ID: 3208453

                                  Es geht noch mal über einen Bach (ja, selbst hier auf diesem scheinbar trockenen, wüstenartigen Hochplateau fließt Wasser, wir sind schließlich in Schottland), dann verliere ich in diesem sanft geschwungenen Gelände den Gipfel aus dem Blick. Auch die Abbuchkante ist irgendwo rechts hinter mir geblieben. Ich orientiere mich einzig daran, dass ich nach oben gehen muss. Da der Gipfel, so sage ich mir, der höchste Punkt ist, kann ich noch nicht dort sein, wenn es vor mir noch höher geht. Als würde ich auf einer Funktion herumlaufen und das Maximum suchen. Ich bilde in einer offensichtlich unterbeschäftigten Ecke meines Geistes die erste und zweite Ableitung der Landschaft.

                                  Dann wird die Steigung flacher. Offensichtlich bin ich in der Nähe des Gipfels. Ich treffe auch wieder auf die Felskante. Der Blick entlang der Richtung, aus der ich gekommen bin, ist unglaublich.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_133631 Felskante.jpg
Ansichten: 313
Größe: 3,72 MB
ID: 3208454

                                  Der Gipfel ist tatsächlich so flach, dass ich ihn ohne den großen Cairn nicht erkannt hätte. Hier treffe ich endlich einen anderen Menschen, einen jungen Briten, der von Aviemore aufgestiegen ist. Er will zur Corrour Bothy und wir tauschen uns kurz aus, wie weit wir jeweils bis hier gegangen sind. Es ist jetzt 13:30 Uhr, ich bin also fünfeinhalb Stunden gegangen. Er in etwa auch. (Wie ich später sehen werde, war dies genau Halbzeit und ich werden für den Abstieg und den langen Weg nach Aviemore nochmal fünfeinhalb Stunden brauchen. Aber das wusste ich da zum Glück noch nicht. Ich dachte jedefalls, bergab würde ich es deutlich schneller schaffen als der andere bergauf.) Uns wird in dem peitschenden Wind sofort kalt, als wir stehen bleiben, um uns zu unterhalten. So verabschieden wir uns und gehen auf der jeweils anderen Seite herunter. Ich mache noch ein Foto vom Gipfel.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_132908 Braeriach Gipfel.jpg
Ansichten: 308
Größe: 3,53 MB
ID: 3208455

                                  Dann geht es stetig abwärts über die sanft geschwungenen Bergrücken. Ich blicke noch einmal herunter zum Lairig Ghru tief im Tal.

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_143834 Liarig Ghru.jpg
Ansichten: 309
Größe: 4,05 MB
ID: 3208456

                                  Der Bergkamm wird immer niedriger und endlich bin ich im Tal und treffe auf den Weg, den ich bei der „Untenrum“-Option genommen hätte. Wie froh bin ich, dass das Wetter so gut war und ich den „Obenrum“-Weg genommen habe. Danke, Ljungdalen für den Tipp.

                                  Ich bin noch ganz beseelt von den Gipfeleindrücken und außerdem völlig im Wanderflow. Ich gehe ganz auf in der gleichförmigen Bewegung. Schritte-Stockeinsatz-Atmung, alles wird eins. Tiefenentspannt und glücklich gehe ich Kilometer um Kilometer. Ich höre auch nicht auf, innerlich zu lächeln, als der Weg irgendwann an einer Straße entlangführt. Ich lasse eben die Stöcke weg, wenn sie so hart auf den Asphalt aufschlagen.

                                  Ich komme zuerst durch einen lichten und sehr urigen Wald:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_170307 lichter Wald.jpg
Ansichten: 314
Größe: 5,00 MB
ID: 3208457

                                  Der Weg wird breiter:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_174313 breiter Weg.jpg
Ansichten: 308
Größe: 3,83 MB
ID: 3208458

                                  … und gerader:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_175642 gerader Weg.jpg
Ansichten: 311
Größe: 5,41 MB
ID: 3208459

                                  … und ist irgendwann asphaltiert:

                                  Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht

Name: 20230522_184310 Asphaltweg.jpg
Ansichten: 306
Größe: 4,94 MB
ID: 3208460

                                  Dann geht es auf einer wuchtigen alten Eisenbrücke über den Spey und ich bin in Aviemore. Ich laufe durch den Ort, denn mein B&B ist dummerweise ganz auf der anderen Seite. Um 19 Uhr bin ich da. Jetzt sind die Beine doch sehr schwer. Ich bin müde, aber unglaublich glücklich. Duschen, Essen, mit der Familie telefonieren, Sachen sortieren, auf dem Bett liegen, nichts machen.

                                  Tagesbilanz: 29km, 930hm (von denen sich jeder einzelne gelohnt hat)


                                  Abreise (Dienstag, 23.5.2023)

                                  Nach sehr gutem Frühstück (ich habe sogar die Bratwürste genossen) fahre ich mit dem Zug nach Inverness. Dort kaufe ich noch ein paar Mitbringsel (Highland-Honig, Disteltee, IRN-BRU usw.), bummel durch die Stadt und nehme dann den Bus zum Flughafen. Nochmal Mittagessen und dann über Heathrow nach Frankfurt.

                                  Im Flugzeug schließe ich die Augen und denke zurück an die weiten Täler und die majestätischen Berge. Ich gehe noch einmal durch die Heide, spüre den Regen und die Sonne, sehe die grandiose Landschaft vor mir. Ich werde wiederkommen.

                                  ENDE

                                  Kommentar


                                  • Hunter9000
                                    Dauerbesucher
                                    • 02.06.2012
                                    • 678
                                    • Privat


                                    #18
                                    Danke für den tollen Bericht und die Erinnerungen!

                                    Kommentar


                                    • NordicFrank
                                      Anfänger im Forum
                                      • 01.11.2021
                                      • 42
                                      • Privat


                                      #19
                                      Hi Goldi, auch von mir ein herzliches Dankeschön. Ich wollte eigentlich auch in diesem Mai für zwei Wochen in die Cairngorms, aber da mein Reisepartner kurz vorher absagte, bin ich doch wie ursprünglich von mir geplant auf die Äußeren Hebrieden und habe den Hebridian Way gemacht (Bericht kommt noch) Die Cairngorms kommen dann nächstes Jahr dran. Was du geschrieben hast hört sich gut an, zumal du nichts von Midges und Extremwetter geschrieben hast, wovon ich bei meinen letzten Schottland-Touren (Cape Wrath Trail, Skye Trail, Hebridean Way) genug hatte. Alles Gute!

                                      Kommentar


                                      • Goldi
                                        Erfahren
                                        • 11.09.2022
                                        • 214
                                        • Privat


                                        #20
                                        Hallo Frank,

                                        ich habe tatsächlich kaum Midges erlebt. Am letzten Tag im Wald vor Aviemore habe ich mir aber ein paar Zecken an den Beinen eingefangen, trotz langer Hosenbeine. Vielleicht besser unten zumachen, so Bundeswehrstyle.

                                        Der Skye Trail steht ziemlich weit oben auf meiner Liste, vielleicht nächstes Frühjahr. Ich habe gerade nochmal deinen Bericht gelesen. Das Wetter war ja echt heftig. Ich denke, es ist im Westen generell stürmischer als im Osten. Mal schauen...

                                        Dir viel Spaß in den Cairngorms, wenn du das nächstes Jahr machst.

                                        Gruß,
                                        Goldi

                                        Kommentar


                                        • Hunter9000
                                          Dauerbesucher
                                          • 02.06.2012
                                          • 678
                                          • Privat


                                          #21
                                          Der Skye Trail steht ziemlich weit oben auf meiner Liste
                                          Skye Trail ist in der Tat empfehlenswert, wenn auch an manchen Stellen sehr zivilisationsnah!

                                          Kommentar