• pieckenbrock
    Erfahren
    • 30.06.2011
    • 146
    • Privat


    [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

    Skåneleden 2018 (Sölvesborg bis Ängelholm plus „bisschen was“), 5. Juli bis 27. Juli 2018



    Erster Tag & Prolog.

    Ich hätte eigentlich verdient gehabt, nicht hier zu sein, wo ich jetzt sitze. Der Wecker war auf 3:15 Uhr gestellt, ich war wach und schlief wieder ein. Um 5min vor 6:00 Uhr erwachte ich erneut: Was für ein Adrenalinstoß! Ich packte – bis aus die Salami im Kühlschrank… – alles in Windeseile zusammen während ich ein Taxi rief. 6:02 Uhr ging es los. Der Fahrer, ein ausgemachter Dummschwätzer, wie sich später herausstellte, berichtete von einer Vollsperrung auf der Autobahn nach Tegel, den Ferienbeginn und den damit einhergehenden Stau, der überall in der Stadt sei. Es sei über sehr, sehr viele Unfälle im Radio berichtet worden. Über das Taxifunk würden ebenfalls Schreckensmeldungen verbreitet. Letztlich erreichten wir TXL um kurz vor 6:30 Uhr. Kein Stau, kein Unfall, keine Kinder, nichts.

    Der Abflug war auf 7:30 Uhr terminiert. Alle schienen sich über meine Frage zu wundern, ob das noch reiche für mich, da ich ja noch mein Gepäck aufzugeben hätte. Tatsächlich musste ich sogar noch einige Minuten auf das Boarding warten. Ich stank wie ein Raubritter nach 6 Pils am Vorabend, die ich getrunken hatte, weil mich die Nervosität vor der ersten längeren Reise nach langer Zeit nicht zur Ruhe kommen ließ, und dem Eileschweiß aus Angst, den Flug eigentlich schon verpasst zu haben. Eigentlich hatte ich mir am Vorabend der Reise nichts vor- und keine Verabredung angenommen – damit genau das nicht passiert, was nun passiert ist. Entschluss: Drei Wochen keinen Tropfen Alkohol und frühes Zubettgehen. Als Selbstkasteiung. Außerdem schmecken mir zuckerhaltige Getränke, wenn sie kalt sind, nach einem Wandertag ohnehin besser.




    Die Hardware vor Aufbruch - ohne die Salami

    Der Einstieg war schwierig. In der Innenstadt Sölvesborgs ist der Skåneleden fast übertrieben gut ausgeschildert, doch dann ist es schnell vorbei mit der Herrlichkeit: Weil nicht nur die Wegmarkierungen orange sind sondern auch Busmarkierungen an den Laternen. Ich hatte mehrere Personen nach dem Einstieg gefragt, ein junges Pärchen konnte schließlich helfen und schickte mich in die grundsätzlich richtige Richtung. Ich ging durch eine Unterführung und beschloss, es zu handhaben wie in der Fahrschule: Keine Markierung, keine Richtungsänderung. Zum Glück wich ich von diesem Vorgehen ab, als ich bemerkte, dass Karte und Realität nichts mehr miteinander zu tun haben. Ich lief erneut in Richtung Innenstadt, wo ich eine Radfahrerin ansprach, die mir entgegenkam. Die ca. 50-Jährige war happy, helfen zu können, und über einen Ausländer, der sie in ihrer Sprache anradebrechte. Sie begleitete mich, und mit ihr unternahm ich exakt denselben Weg, den ich zuvor ging, mit einem entscheidenden Unterschied: Hinter dem Schulgelände (das nicht in der Karte verzeichnet ist), lief ich in dem Kreisel (der nicht in der Karte verzeichnet ist) nicht halb links sondern halb rechts in ein Wohngebiet (das nicht in der Karte verzeichnet ist), um anschließend die Autobahnbrücke zu passieren. Und – zack – war ich drin in meinem Abenteuer, das ebenso spontan (mein Gesellschafter „zwang“ mich, Urlaub zu nehmen) wie vernünftig (Südschweden statt Lappland wegen eines Bandscheibenvorfalls Anfang März) zustande kam. Zwischenzeitlich lud mich meine Radführerin noch zum „lunch“ ein, was ich aber dankend ablehnte. Ich wollte ja mittenrein in den Tag, nachdem er so bescheiden begonnen hatte.

    Es ist ein Abenteuer, das ich brauche – und auch die Zeit und Ruhe, die ich hoffentlich hier finde. Ich habe noch nie spektakuläre Erkenntnisse über mich, das Leben an sich oder sonstiges mit nach Hause gebracht von meinen Wanderungen. Das erwarte ich auch nicht. Was ich aber erhoffe: Dass sich meine Seele regenerieren kann; der Körper natürlich auch. Hier bin ich: Auf dem Skåneleden. Und das sind meine Gedanken.

    --------

    Hinweis:

    Dieser Bericht basiert auf dem Tagebuch, das ich bei längeren Wanderungen immer schreibe. Das ist natürlich eher ein persönliches Dokument als ein Reiseführer, der schildert, wo man rechts und wo links abzubiegen hat. Daher schreibe ich auch so halb im Präsens, weil es immer die unmittelbaren Gedanken sind, die ich abends aufschrieb.

    Aber keine Sorge: Es wird Fotos geben und meine Anmerkungen zum Weg; Seelenstriptease muss niemand fürchten. Hingegen wird es auch ein paar Anmerkungen zu dem geben, was ich so gelesen habe in den drei Wochen, in denen ich so viel Zeit ab dem frühen Nachmittage hatte wie seit Schulzeiten nicht mehr.

    Ach ja, nicht wundern: die Digicam, die ich verwendet habe, ist aus einer Zeit, in der es eigentlich noch keine Digicams gab. Der Fotogenuss ist leider eingeschränkt, wenn man die Bilder in größerem Format als dem Handybildschirm ansieht…

  • Prachttaucher
    Freak

    Liebt das Forum
    • 21.01.2008
    • 11979
    • Privat


    #2
    AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

    Sehr schön ! Ein Stück (bis Glimåkra) war ich dort im April unterwegs. Ein GPS mit Track hilft ungemein beim Auffinden der Wege.

    Und Respekt : Da bist Du ja ein ordentliches Stück gelaufen.

    Kommentar


    • pieckenbrock
      Erfahren
      • 30.06.2011
      • 146
      • Privat


      #3
      AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

      Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
      Sehr schön ! Ein Stück (bis Glimåkra) war ich dort im April unterwegs. Ein GPS mit Track hilft ungemein beim Auffinden der Wege.
      Ehrlich gesagt meine ich fast, dass man nicht einmal eine Karte benötigt, wenn man nicht zwischendurch abschätzen will, wie weit man auf einer Etappe vorangeschritten ist bzw. ob und wann die nächste Quelle kommt. Bis auf den Einstieg in Sölvesborg fand ich den Weg glänzend markiert bis übermarkiert. An einem der folgenden Tage habe ich ein Foto gemacht, da sah der Baum aus wie 'ne Ampel...

      Kommentar


      • pieckenbrock
        Erfahren
        • 30.06.2011
        • 146
        • Privat


        #4
        AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

        Immer noch erster Tag: Sölvesborg nach Grundsjön (14km)

        Der Weg von Sölvesborg nach Grundsjön ist nicht nur am Einstieg versteckt, sondern (von einigen Passagen schönen Laubwaldes mit großen Findlingen und schönem Sonne-Schatten-Mix abgesehen) auch nicht sonderlich attraktiv, da er über viele Passagen Schotter- und Wirtschaftsweg sowie unter Hochspannungsleitungen verläuft.


        Durch's Dickicht

        Aber der Grundsjön entschädigt: ein toller kleiner See mit einem feinen Zeltplatz direkt am Wasser. Nachdem ich ihn gegen 17:15 Uhr nach rd. 5h „Bruttowanderzeit“ bei nur 14km (zzgl. der eingangs geschilderten Irrungen und Wirrungen) erreiche, habe ich ihn leider nicht für mich. Es sind sicher fünf Anglerpaare am Ufer, die in den nächsten Stunden allesamt nichts fangen werden. Es ist ein Kommen und Gehen an dem kleinen See. Der einzige Wanderer bin ich. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass der Skåneleden vielen der Einheimischen unbekannt ist. Wanderer habe ich bislang überhaupt keine gesehen, dafür viele Fahrradfahrer und Jogger.


        Grundsjön am Abend


        Die meisten Bewohner der Region scheinen ohnehin auf dem Jahrmarkt zu sein, der hauptsächlich am Seeufer in Sölvesborg aufgebaut ist aber mit einigen Fahrgeschäften auch im Stadtzentrum. Er ist im Übrigen ausgenommen hässlich, weil völlig überladen mit äußerst kitschigen Buden und Karussells. Ich liebe Land, Leute und Sprache in Schweden, aber ihre amerikaähnliche Liebe zu Dingen und Verhaltensweisen, die an das amerikanische „white trash“ erinnern, liebe ich nicht so sehr…

        Zum Weg selber: Nach etwa 4km beginnt der schönste Teilabschnitt der Etappe 1. Es geht (für jemandem in meinem körperlichen Zustand) ordentlich bergan in abwechslungsreichem Mischwald und gipfelt für mich in der Mittagspause an der leider verschlossenen Ryssbergstugan. Sie hat eine Grillecke und eine Quelle, die man per Knopfdruck zum Füllen der Flaschen anzapfen kann. Darüber freue ich mich sehr, denn als eigentlich auf Nordschweden fokussierter Wanderer beging ich den eigentlich dämlichen Fehlschluss, dass es hier in Skåne ja auch überall trinkbares Wasser geben müsste und es schon nicht so verdammt heiß sein würde wie zu Hause in Berlin. Und so hatte ich mir für den Weg bis zur Ryssbergstugan 0,33l Ginger Ale einzuteilen.

        Die zweite Fehleinschätzung: In schwedischen Zügen gibt es immer Strom – auch falsch. Daher zunächst meine Freude, Steckdosen in der Grillecke zu sehen, die dann in Enttäuschung umschlug als sich herausstellte, dass es keinen „Saft“ gab. Damit war klar, dass ich mich die nächsten fünf Tage bei Gesprächsbedarf meiner Freundin oder meines Arbeitsgebers werde durchmogeln müssen.

        Ich sitze am See und mache meine Notizen. Ich bin froh, nach so langer Zeit wieder so eine Reise zu unternehmen: Zum Entgiften und zum Ruhigerwerden. Für mehr und andere Abenteuer im Leben, obgleich der Skåneleden nicht sehr abenteuerlich ist. Die Zweifel an mir (Hält der Rücken?) und an der Idee Skåneleden (Warum nicht wieder Lappland?) sind nicht weggeblasen – aber sie flüstern nun statt zu kreischen.



        Zelt steht!

        Kommentar


        • Prachttaucher
          Freak

          Liebt das Forum
          • 21.01.2008
          • 11979
          • Privat


          #5
          AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

          Die Hütte selbst ist dort ja leider nicht so direkt am See gelegen. Da war´s mit dem Zelt sicher netter. Ich fand´s sehr angenehm, daß die erste Etappe nicht weit war. Gerade wenn man später gestartet ist.

          Wasserfilter hatte ich mit, ob immer nötig weiß ich nicht.

          Und wenn´s noch so gut markiert ist, mir passiert es wirklich häufig, daß ich irgendwo ganz in Gedanken falsch abbiege.

          Kommentar


          • pieckenbrock
            Erfahren
            • 30.06.2011
            • 146
            • Privat


            #6
            AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

            Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
            Wasserfilter hatte ich mit, ob immer nötig weiß ich nicht.

            Und wenn´s noch so gut markiert ist, mir passiert es wirklich häufig, daß ich irgendwo ganz in Gedanken falsch abbiege.
            Ich habe nie einen mit - und habe es dieses Jahr zum ersten Mal bereut.

            Zweiteres kenne ich zu gut. Selbst mit Markierungen: Man ist in Gedanken und zack...

            Kommentar


            • Dogmann
              Fuchs
              • 27.09.2015
              • 1022
              • Privat


              #7
              AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

              Hallo, Skaneleden, bin ich vor ungefähr 16 Jahren gegangen!
              Schön einen Bericht darüber zu lesen.
              Ich denke mit gemischten Gefühlen daran zurück.
              Ich hatte das Auto an einer TouristIinformation abgestellt, etwas auserhalb. Pkw Anhänger im rechten Winkel dahinter, als ich wieder zum Auto kam, war es aufgebrochen und alles weg was zu gebrauchen war! Hätte ich den Anhänger nicht so abgestellt , verschlossen, mit Kette , ectr., wäre wohl kein Auto mehr da gewesen!
              Da es dort beim losgehen nur so von polnischen, tschechischen, was weiß ich nicht noch alles Kennzeichen wimmelte, .....na egal hinter her ist es eh zu spät.
              Landschaftlich ist er natürlich nicht mit dem Fjäll zu vergleichen, habe ich logischerweise auch hinter her feststellen dürfen
              Aber ich hatte einige Hütten die bereits durch Auto fahrende Urlauber besetzt waren.
              Damals recht häufig bei Weiden, Übergänge, mit Hunden und schweren Pack, nicht immer leicht.
              An einer Stelle haben wir im Regen richtig welche gewischt bekommen, Strom, wohl mehr als erlaubt, in der nähe zu einem Hof.
              Aber ich bin gespannt wie es dir erging.

              Gruss Michael
              Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

              Kommentar


              • pieckenbrock
                Erfahren
                • 30.06.2011
                • 146
                • Privat


                #8
                AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                Tag 2: Grundsjön – Östafors – Bökestand (25km)

                Ich habe den ersten Ruhetag erwandert; in 7:40h bin ich die rd 25km von Grundsjön nach Bökestad gelaufen, habe Östafors als „überhüpft“ durch die letzten 9km nach Bökestad, die eigentich 11km waren, weil ich motiviert – die Karotte vor den Nase – so in Gedanken verloren war, dass ich ca. 1km in die falsche Richtung lief, da ich nicht bemerkt hatte, dass der Skåneleden abgebogen war, während ich sinnierte.


                Waldpfad statt Straße


                Eigentlich sind 25km in 7:40h ein Witz, da nicht einmal 4km pro Stunde. Aber ich muss mit den Begebenheiten und meinem Zustand anfreunden bzw. zumindest meinen Frieden damit machen – wer nicht trainiert, bringt im Ernstfall keine Leistung. Darüber hinaus hatte der Weg mit einigen unschönen Steigungen aufzuwarten – meist im freien Feld, sodass sich Steigung und die pralle Sonne auf das Übelste gegen mich verbünden konnten und mir Schweiß, Atemnot, Sonnenbrand und Mücken in Legion verschafften. Glücklicherweise hielt der Weg auch einige Pfade durch den Kiefernwald parat und eine erste Schafsbegegnung.


                Erste Schafsbegegnung - leider (wie fast alles) überbelichtet


                Auch heute lief ich über viele Schotter- und Wirtschaftswege. Mir kamen Bagger und LKW entgegen und an der Straße, die an der Östafors-Schutzhütte vorbeiführt, haufenweise Pickups, die sich der Beschriftung nach alle im Baugewerbe verdingen. Die Hütte selber lag in gleißender Sonne an einem Bach mit altersschwacher Brücke. So fangen normalerweise Idyllbeschreibungen an. Bei Östafors handelte es sich aber um keine solche: Vor dem Rastskydd standen drei riesige ungeleerte Mülleimer und stanken in der Sonne vor sich hin nach verwesendem Fisch. Auf der 20m Luftlinie entfernten Straße rauschte alle 5min ein Auto vorbei.

                Ich dachte zwar ohnehin, dass die weiteren 9km nach Bökestad kein Problem wären, aber die Location hatte zusätzliche Überzeugungskraft: Immer eine Abreise wert.


                Deutlich schöner als Östafors: der See bei Bökestad.


                Nach einem schönen waldigen Teilstück in Bökestad angekommen badete ich gemütlich im See und wusch meine Klamotten gründlich aus. Das Wasser war gut trinkbar, der Seegenuss phantastisch. Nach kurzer Lesezeit (zu Beginn des Urlaubes etwas Leichtes: „Wandern. Radeln. Paddeln.“) gesellten sich zwei Schweden zu mir, miteinander verschwägert und mit Hund. Natürlich folgte am 6. Juli das zwangsläufige Fußballgespräch (Deutschland bereits ausgeschieden, Schweden am nächsten Tag gegen England). Die beiden wollten wegen des Spiels am Folgetag noch weiterziehen, da sie sich die Möglichkeit erhofften, irgendwo unterschlüpfen und fernsehen zu können. Nach Aufbruch des Duos begann die Schreibzeit; natürlich erst nach dem obligatorischen Foto von meinem Lagerplatz.


                Hier wurde geschlafen und getrocknet. Selbstverständlich wurde auch überbelichtet...

                Kommentar


                • Dogmann
                  Fuchs
                  • 27.09.2015
                  • 1022
                  • Privat


                  #9
                  AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                  ha ha..... wir sind damals auch an einer Stelle in Gedanken gerade aus weiter, paste irgendwie besser.
                  Aber schnell bemerkt
                  Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                  Kommentar


                  • pieckenbrock
                    Erfahren
                    • 30.06.2011
                    • 146
                    • Privat


                    #10
                    AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                    Tag 3: Bökestad – Brotorpet (13km)

                    Heute schreibe ich meine Zeilen am Ufer des Sees der Rastskydd Brotorpet. Leider ist auch eine ca. 30köpfige Familiengruppe im Stile einer Ferienfreizeit hier und okkupiert sämtliche Tische, Bänke und Stühle sowie alle geeigneten Zeltplätze, um dort Spiele durchzuführen, deren Spektrum von Wasserbombenwerfen bis Frage-Antwort-Quiz reicht. Die hintere Schutzhütte nebst Umgebung hat sich zu „Asihausen“ verwandelt: Die Anfänge habe ich noch mitbekommen – der finale kleine Abstieg zu Brotorpet zielte auf einen Parkplatz, wo vier schätzungsweise 20- bis 25-Jährige Schlauchboote aufpumpten. Sie grüßten freundlicher als sie aussahen (Modell schwer tätowierte Dorfjugend mit Oberkörper frei; die Autos in vergleichbarem Look).Ich setze meinen Weg fort über eine kleine Brücke über den Kanal, der zum Seeführte und auf der anderen Seite am Kanal entlang. Dort kam mir dann auch der „Anführer“ (wie sich später herausstellen sollte) entgegen; er war etwas älter, glatzköpfig wie ich, im Gegensatz zu mir trug er aber suppentellergroß das Jägermeister-Logo auf der Brust tätowiert mit allerlei Frakturschrift drumherum.


                    Das Seepanorama zum Tagebuchschreiben

                    Angekommen bin ich im 14:30 Uhr nach rd. 4:15h für die nur 13km. Dabei hatte sich gerade zu Beginn alles ganz „fluffig“ angefühlt.Ich kam vor allen Dingen am Anfang gefühlt ganz gut und zügig voran bis die Doppelblase am rechten Fuß zu schmerzen begann. Dass das erst am dritten Tag passiert, kann durchaus zufrieden stellen, da ich ja immer Probleme mit Blasen habe und mein wichtigstes Utensil zum Wandern die Bepanthen-Salbe ist. Dennoch hatte ich eigentlich am Anfang des Tages gehofft, mich nunmehr so langsam in Richtung der 5km pro Stunde zu bewegen. Aktuell eine völlig illusorische Geschwindigkeit. Ich neige eigentlich nicht dazu, aus einer Wanderung einen Hochleistungswettbewerb zu machen, aber es schwebt dennoch im Kopf herum, was eigentlich „normal“ ist…

                    Der Weg führte hinter der Bökestad-Hütte rechts über eine kleine Brücke und kleine Waldpfade. Nach ca. 30 min. gelangt man an eine weitere Schutzhütte der Kristianstads Kommun – dieses Mal mit Doppel-Trocken-WC. Diese Einladung zur Erleichterung war nicht auszuschlagen. Der Skåneleden führte heute zwar auch über Schotterpisten, jedoch über weniger als an den Vortagen.Witzigerweise ordnet Skånes län auf der Karte des Kust-Kust-Leden gerade diejenigen Etappen als „schwierig zu gehen“ ein (gekennzeichnet mit roter Farbe), die auf WENIGER als 50% Schotter oder Teer verlaufen. Beides hasse ich: Es ist schlecht für die Gelenke und schlicht langweilig.


                    Herrlich: Waldweg statt Schotterpiste!

                    30min vor Ankunft sah ich noch eine Hütte nebst Steg am See. Meine Hoffnung auf eine sehr frühe Ankunft auf „echtes“ Schwimmen im See schlug zunächst in Euphorie wegen des Steges und dann in Enttäuschung um, weil der Skåneleden partout nichts mit der Hütte zu tun haben wollte und auch in der Umgebung ein Zelten völlig unmöglich war, wenn man keine erotische Beziehung zu riesigen schwarzen Waldameisen pflegt.

                    Nach einer unruhigen Nacht gestern (eine Maus hatte sich in meinen Rucksack gewühlt und auch sonst war die Fauna in Aufruhr – und ich daher wach) mache ich mich erneut auf eine unangenehme Geräuschkulisse und wenig Nachtschlaf gefasst. Von der oberen Hütte dringt bereits seit Stunden laute Hip-Hop-Musik über den See; die Ferienlagergruppe macht den Eindruck, sich ebenfalls auf einen längeren Abend vorzubereiten. Aktuell schauen sie über Laptop, Taschen-WLAN und Bluetooth-Boxen das Spiel Schweden gegen England. Ich versuche, die Müdigkeit des Wandertages für ein frühes Zubettgehen zu nutzen und ein neues Buch zu beginnen.


                    Hier wird sich zur Ruhe gebettet

                    Zunächst probiere ich jedoch – trotz Unwillens wegen der warmen Temperaturen – mir ein Trekkingessen einzuverleiben. Für irgendwas habe ich sie ja mitgenommen und das Gewicht aus dem Rucksack zu bekommen wäre durchaus angenehm. Leider ist die Pumpe in Brotorpet tot (dieser Erfahrung folgten einige weitere an den Folgetagen) also muss ich das Wasser aus dem See schöpfen.

                    Kommentar


                    • Dogmann
                      Fuchs
                      • 27.09.2015
                      • 1022
                      • Privat


                      #11
                      AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                      Ich sage es ja Skaneleden, ectr., sind nicht das Fjäll
                      Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                      Kommentar


                      • pieckenbrock
                        Erfahren
                        • 30.06.2011
                        • 146
                        • Privat


                        #12
                        AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                        Zitat von Dogmann Beitrag anzeigen
                        Ich sage es ja Skaneleden, ectr., sind nicht das Fjäll
                        Wird noch besser - äh, schlechter...

                        Kommentar


                        • pieckenbrock
                          Erfahren
                          • 30.06.2011
                          • 146
                          • Privat


                          #13
                          AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                          Tag 4: Brotorpet – Vesslarp (13km)

                          Eine Bank oder Vergleichbares für die Tagebuchroutine gibt es nicht in Vesslarp, wo ich heute nach 4 Stunden ankam. Die erste Stunde fühlte sich erneut gut an, die ersten vier bis fünf Kilometer waren zügig durch. Die zweite Stunde fühlte sich besser an als sie es war. Die Mittagspause war ein Alptraum: Ich bekam meinen Riegel nur mit einer Menge Wasser hinunter. Wasser aus dem See bei Brotorpet, das mir eine unruhige Nacht und einen flauen Magen beschert hatte. Bereits am Morgen hatte ich zwei „Gänge“; das war nur konsequent so katastrophal, wie meine Nacht verlief: Ich konnte zunächst nicht einschlafen wegen der lauten Musik aus „Asihausen“, dann kam der Hund des Jägermeisteranführers drei Mal schnüffelnd vorbei, schließlich sein Herrchen: Lallend fragte er außerhalb des Zeltes stehend gegen 3 Uhr morgens, ob ich denn wüsste, wo es noch Feuerholz gäbe und wo die Toilette sei. Sein Hund hatte seine zwischenzeitlichen Spaziergänge auf die Familienfreizeit ausgeweitet. Darauf hatten die dortigen vier Hunde natürlich nur gewartet, weshalb es unregelmäßig ein herzliches Begrüßungsgebelle aus fünf Kehlen gab. Gegen 8 Uhr konnte ich zwischen Brechreiz und Bedürfnis nicht mehr unterscheiden und begann mit lindernder Aktivität…

                          Ich brach trotz der nur 13km langen Etappe gegen 9:20 Uhr auf und musste zunächst durch „Asihausen“. Dort hatte sich eine beträchtliche Anzahl verschiedenster leerer Getränke- und Rau(s)chbehältnisse auf dem Tisch vor der Rastskydd gesammelt, in der von der gestrigen Meute noch sieben Schnapps-, Kiff- und Koksleichen lagen. Die Utensilien, die nichts mit Alkohol zu tun hatten, standen und lagen ebenso weiterhin auf dem Tisch: monströse Bongs, Pfeifchen jeder Art und kleine Plastikbriefchen. Obwohl das detektivische Interesse anschlug, ging ich weiter, weil der Hund des Jägermeisteranführers zunehmend aggressiver kläffte – auch und gerade, weil niemand von seinem Rufen Notiz nahm. Die Jungs waren einfach total geplättet.

                          Danach folgte ein schön schattiges, ca. 4km lange Wegstück durch Mischwald. Fürstlich für die Gelenke, zauberhaft fürs Auge nach dem Schotter und Teer der vergangenen Tage. Das hielt jedoch leider nicht an und so waren die letzten 6km nach Vesslarp wieder geprägt von Stein unterm Schuh.


                          Markierung im Ampelsystem

                          Hier sitze ich nun in der Schutzhütte nachdem ich wasserflaschengeduscht und meine Klamotten an der Pumpe ausgewaschen habe, die grandios kaltes Wasser zutage fördert. Es ist tagsüber konstant wärmer als 26°C, mit dem Wasser ist es nicht einfach; da tut das kalte Nass sehr gut. Dummerweise darf man es nicht trinken. Nichts da mit „kein Trinkwasser“, sondern „trinken verboten“ und ein DIN A4-Zettel mit einer Aufzählung aller bakteriellen Belastungen, die sich in der Zisterne finden. Gefühlt halb verdurstet, ignorierte ich das Schild kurzerhand, ließ es mir ordentlich reinlaufen und bezahlte bitterlich: Kurze Zeit später war mir übel, kalt und dennoch fühlte ich mich fiebrig. Zum Glück kaufe ich jedes Jahr aus Neue Kohletabletten, die auch dieses Jahr ihren Dienst taten. Unterstützend: das Trocken-WC. Bemerkenswert ist hier, dass die Regionalgruppen sich die Mühe machen, in jeder der Toiletten regelmäßig Klopapier nachzulegen. Ein aus dem schwedischen Lappland völlig unbekannter Luxus. Dasselbe gilt auch für das Feuerholz, das eigentlich immer in rauen Mengen vorhanden sowie bereits gesägt, gespalten und gespant ist.

                          Wer den Skåneleden westwärts läuft, hat ein Problem: Der wird von einem aktuellen Aushang an der Tafel darauf aufmerksam gemacht, dass bis Bökestad kein Wasser mehr zu finden ist und man daher reichlich Wasser aus der Quelle schöpfen solle. Läuft man dann zur Quelle sieht man das oben beschriebene Trinkverbot. Misslich, denn bis Brotorpet sind es 13km und bis Bökestad nochmals 13km.

                          Nach der Wasserflaschendusche und 1,5l aus der verbotenen Pumpe im Magen liege ich apathisch auf der Matratz in der Schutzhütte und versuche zu schlafen. Soll doch die Kohletablette ohne meine Aufmerksamkeit ihren Job machen! Das gelingt leider nicht und so schaue ich auf die Bäume und höre auf das leise Plätschern des Baches, der sich vor dem Grillplatz gabelt und somit eine kleine Insel geschaffen hat, die über eine kleine Brücke mit beiden Seiten des Ufers verbunden ist. Auf dem einseitigen Geländer der Brücke trockne ich meine Kleidung des heutigen Tages. Auf der Insel hätte ich gern mein Zelt aufgeschlagen. Leider finde ich kein ebenes Plätzchen und erholsamen Schlaf habe ich (nicht nur aber besonders) heute deutlich nötiger als Style-Punkte für „Zelt auf Insel“. Und so wird es eine Nacht neben Treppe zur verbotenen Pumpe mit 5m Abstand zur Toilette. Man weiß ja nie…


                          Meine Burg

                          Parallel zu meinen Notizen koche ich Wasser ab. Besser schlechtes Wasser gekocht als gar kein Wasser bei diesen Temperaturen. Zudem ist absehbar, dass der Weg nach Glimåkra morgen über ordentlich Straße und Wirtschaftsweg verlaufen wird. Die sind meist breiter und daher mit entsprechender Sonneneinstrahlung gesegnet. Es beruhigt mich, dass mein Magen nicht gegen die zweite Scheibe Polarbröd rebelliert, die ich kaum hinunter bekommen habe, weil mein Körper die Speichelproduktion fast vollständig eingestellt hat. Ich fühle mich inzwischen weniger fiebrig als noch vor zwei Stunden und habe in der Zwischenzeit das Handy gecheckt: Nichts aus dem Büro, nichts von der Gefährtin. Sonst die üblichen Verdächtigen, die zwar wissen, dass ich „weg-weg“ (so hatte ich es ihnen gegenüber angekündigt) bin, es aber ignorieren oder auf eine Kommunikationsvorzugsbehandlung hoffen. Matthias als ehem. Mediziner macht mir Angst und rät zum Arztbesuch.

                          Nach Abschluss von „Der alte Mann und das Meer“ geht es mit Manuel Andracks „Das neue Wandern“ weiter. Sehr kurzweilig und humoristisch geschrieben; eine unbedingte Lektüreempfehlung aus der Kategorie „wann man nicht weiß, was man schenken soll“. Witze hat Andrack als Redaktionsleiter und Sidekick von Harald Schmidt ja gelernt.

                          Kommentar


                          • Dogmann
                            Fuchs
                            • 27.09.2015
                            • 1022
                            • Privat


                            #14
                            AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                            Soweit hast du mit deiner vor Ankündigung voll recht

                            Aber wie gesagt ich bin den Skane auch schon gelaufen
                            Zuletzt geändert von Dogmann; 08.08.2018, 15:39. Grund: Nachtrag
                            Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                            Kommentar


                            • pieckenbrock
                              Erfahren
                              • 30.06.2011
                              • 146
                              • Privat


                              #15
                              AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                              Wie zufrieden warst Du denn? Ich muss leider sagen, dass die Sehnsucht nach Lappland ab Ende der ersten Woche (als ich endlich das Gefühl hatte, dass wieder richtig was im Tank ist) mitgelaufen ist. Kein schöner Weg abgesehen von den Tagen, an denen es auf der Bjärehalvön direkt an der Küste entlang ging

                              Kommentar


                              • Dogmann
                                Fuchs
                                • 27.09.2015
                                • 1022
                                • Privat


                                #16
                                AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                Weist du, im vergleich zu heimischen Wegen, da hat mir meine erste Tour in Schweden recht gut gefallen, das Zelten, ectr.,
                                aber eindeutig klar ist auch das es nichts mit dem eigentlichen im hohen norden zu tun hat!
                                Später Hallandsleden, bisl Bohusleden, dann südl. Kungsleden, da wirds dann schon besser, aber das wirkliche ist weiter oben zu finden.
                                Meine Ansicht!
                                Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                                Kommentar


                                • Prachttaucher
                                  Freak

                                  Liebt das Forum
                                  • 21.01.2008
                                  • 11979
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                  Tut mir sehr leid wenn es Dir eigentlich nicht so gut gefallen hat. Ich mache solche Touren eher Ende April (außerhalb der schwedischen Sommerferien) und hatte dieses Jahr eine wirklich schöne Zeit dort und an anderer Stelle. Gut im letzten Jahr hatte ich um diese Zeit dafür Tage mit Scheetreiben und Graupelschauer....

                                  So sehr hoch sind meine Erwartungen aber nicht an die Wegebeschaffenheit. Es gibt immer mal schöne Abschnitte aber eben nur "Abschnitte" ansonsten hat da die Forstwirtschaft so wie bei uns oft für breite Wege gesorgt. Überhaupt wenn man das mit Touren bei uns vergleicht ist da auch nicht generell ein rießiger Unterschied, trotzdem ist diese Woche für mich irgendwie mehr Urlaub als eine heimische Tour, vielleicht einfach auch weil ich das Land liebe....

                                  Eine Fjälltour ist natürlich etwas ganz anderes, kann aber vielleicht auch mehr ins Schwierige abrutschen (z.B. Tagelanger Dauerregen bei 8 Grad, keine Hütten in der Nähe....). Da hat man´s in Südschweden deutlich einfacher spontan etwas umzuplanen.

                                  Zu Brotorpet : Ich glaube da hat´s immer Leute, bei mir eine Gruppe aus Malmö. Denen habe ich dann eben die Plätze am großen See gelassen, aber sonst war´s o.K. Hat ja auch Straßenanschluß dort, sehr großes Gelände mit mehreren Hütten und wohl eine Sauna. Also eine Art Party-Area. Außerdem in dem Seengebiet ja auch die Wasserwanderer - da läßt sich auch schön paddeln.

                                  Kommentar


                                  • Dogmann
                                    Fuchs
                                    • 27.09.2015
                                    • 1022
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                    Ja mit den Hütten hast du sicher vieler Orts Recht, aber das nicht so gut gefallen bezieht sich auf keinen Fall auf deinen Bericht, den find ich echt gut.
                                    Auserdem ist es ganz schön das noch mal nach zu erleben.
                                    Damals hat es mir auch gefallen, nur später stieg mit den erlebnissen im Fjäll auch die Ansicht. Das meinte ich
                                    Ich hab damals auch den Skane wegen der erreichbarkeit , usw., gewählt.

                                    Alles gut ich lese gerne weiter mit, zum anderen ist die Fragestellung von mir persönlich bisl falsch verstanden worden.


                                    Sorry , nur weiter so
                                    Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                                    Kommentar


                                    • pieckenbrock
                                      Erfahren
                                      • 30.06.2011
                                      • 146
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                      Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                      Tut mir sehr leid wenn es Dir eigentlich nicht so gut gefallen hat. [...]
                                      Damit kein Missverständnis entsteht: Ich hatte eine sehr, sehr gute Zeit auf dem Skåneleden und habe es wirklich genossen, einmal wieder dem Vagabundenleben zu frönen!

                                      Einige Streckenabschnitte (bspw nach Vejbystrand) gingen aber einfach gar nicht; teilweise läuft man ja kilometerweit auf dem Seitenstreifen einer Bundesstraße. Bilder dazu werde ich im Bericht hochladen.

                                      Ich mache dem Skåneleden auch nicht zum Vorwurf, dass er durch Skåne verläuft (nur falls dieser Eindruck) entstehen sollte...

                                      Ich habe mich ja dazu entschieden, einmal den Süden auszuprobieren. Da wir mir schon klar, dass es stärker bevölkert, wärmer und wasserärmer sein würde und man auch ab und an auf eine Straße trifft. Zu Hause, bei klarem Verstand vor der Reise bzw. bei deren Planung war das eine rationale Abwägung nach einem Bandscheibenvorfall im März. Vor Ort fühlt es sich dann anders an; vor allen Dingen, wenn man merkt, dass man täglich fitter wird. Dann taucht natürlich erst die Frage auf. "Hättest Du nicht doch in den Norden gekonnt?" Und die beantwortet man sich dann irgendwann selber mit: "Ja, klar." Ist aber vermutlich nicht so. Im Norden wäre ich in der ersten Woche wahrscheinlich eingegangen wie 'ne Primel.

                                      Kommentar


                                      • Prachttaucher
                                        Freak

                                        Liebt das Forum
                                        • 21.01.2008
                                        • 11979
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                        Solche Wege an Straßen finde ich auch schlimm - hatte ich auch mal auf einem anderen der SK-Wege. Selber kenne ich ja hier auch nur den ersten Abschnitt. Wenn´s allerdings im Küstenbereich längsgeht bin ich wegen der Kulisse sogar bereit andere Wegbeschaffenheit in Kauf zu nehmen. Ansonsten wie schon geschrieben : Zu einer anderen Jahreszeit wären die Erfahrungen vielleicht besser oder noch schöner gewesen. Gerne würde ich auch mal September/ Oktober los aber da hat man ggf. das Problem mit den Jägern.

                                        Kommentar


                                        • pieckenbrock
                                          Erfahren
                                          • 30.06.2011
                                          • 146
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                          Tag 5: Vesslarp – Glimåkra (19km)

                                          Vor der Hütte bei Glimåkra habe ich ein Feuer in der Feuerstelle gelegt. Zum ersten Mal überhaupt seitdem ich alleine durch Schweden reise. Es prasselt und zischt herrlich. Wegen der Trockenheit habe ausschließlich Birken- und Buchescheide aufgelegt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von den schlimmen Waldbränden, die Kommunen hatten noch keine Schilder oder Hinweise zum totalen Feuerverbot in Verkehr gebracht.


                                          Feuer!

                                          Auf meinem Weg habe ich bis auf eine Reiterin am frühen Morgen wieder niemanden getroffen. Aufgebrochen bin ich bereits gegen kurz vor 8 Uhr, da ich nach den erheblichen Magenproblemen nicht wusste, wie meine körperliche Konstitution sein würde. Die Sorgen waren glücklicherweise unbegründet und ich ging die knapp 20km nach Glimåkra in viereinhalb Stunden. Heute war es ein ausnehmend schöner und abwechslungsreicher Wandertag: verschiedene Wälder und Wiesen, am See entlang, durch ein bisschen Kulturlandschaft, durch Farndschungel – und leider auch 1,5km richtiger harter Straßenklotz. Das Wasser reichte trotz der warmen Temperaturen dicke hin, da ich doch große Zurückhaltung an der Flasche übte. Der Magen grummelt noch immer.

                                          Auf einmal wurde ich von einem Jogger überholt. Er grüßte freundlich. Ich dachte, ich hätte noch eine Stunde bis zu meinem Ziel und der Möglichkeit mich mit einer Coke zu belohnen, als ich las „Trollbäckarna 600m“. *Natürlich* täte die Coke auch ganz, ganz sicher meinem Magen gut. Voraussetzung wäre natürlich, 4km zusätzlich in die Beine zu laden, um zum ICA in der Stadt zu kommen. Jedenfalls bedeutete das, dass ich nur noch ca. 1,2km vor mir hatte, da 600m nach der Quelle schon die Hütte liegen sollte. Noch erstaunlicher: „Trollbacken 600m“, ein niegelnagelneues Freibad – nicht einmal der Rasen war angewachsen – war wohl vor kurzem äußerst lieblos aus dem Boden gestampft worden. Ich ging trotzdem dorthin, da an seinem Zaun ein Zettel angebracht war, der den Wanderer darüber aufklärte, dass der Skåneleden *angeblich* über das Schwimmbadgelände führe und man das Personal fragen solle. Die sehr jungen Schwimmbadmitarbeiter kannten aber keinen Weg durch ihr Schwimmbad und vom Skåneleden hatten sie auch noch nie etwas gehört… Dafür wusste die 17jährige Einlasserin, dass es 2km zum ICA seien. Ich durfte meinen Rucksack dort lagern, mein Handy an die Steckdose klemmen und genoss in Ermangelung einer Coke eine eiskalte Fanta. Grandios! Währenddessen unterhielt ich mich noch ein Weilchen mit dem Jogger, der seine Frau und seine Tochter im Schwimmbad besuchte, nachdem er seine Runde gedreht hatte. Er kommt gebürtig aus der Gegend und machte so eine Art Heimaturlaub zum Besuchen seiner Eltern.

                                          Glimåkra ist hingegen weniger grandios als eine kalte Fanta: Den Menschen, die ich gesehen habe, meine ich auch angesehen zu haben, dass die meisten keine Arbeit haben. Dazu passend die Anzahl der Männer im ICA, die montags um 14 Uhr herum nach erheblichem Bierkonsum rochen. Dazu ein Aushang des ICA-Inhabers, dass er es nicht mehr dulden würde, dass die Jugendlichen vor dem Laden herumlungern, Handys im Vorraum laden und ihren Müll von abendlichen Gelagen auf den Sitzbänken lassen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen in Glimåkra leben, aber ich sah vier Mal die Polizei und beim vierten Mal einen Jugendlichen, der in einem Höllentempo vor dem Polizeiauto davon rannte. Insgesamt macht die Stadt einen verschlafenen und traurigen Eindruck.

                                          Im ICA gönnte ich mir, wovon ich in der Hitze der vergangenen Tage phantasiert hatte: einen Liter Trinkjoghurt, den ich nach dem Einkauf direkt quasi „auf ex“ in mich hineinzapfte, eine Banane, einen Apfel und eine Mango – Abendessen damit geklärt.

                                          Im Schwimmbad zurück, wollte ich den hilfsbereiten Teenies, die im Kiosk arbeiteten noch 100 Kronen als symbolische Anerkennungspauschale zustecken, doch sie weigerten sich standhaft. Ich füllte noch schnell meine Trinkflaschen und verließ das Schwimmbad. Der Weg führte nämlich nicht über das Gelände, sondern tat das (so der Jogger) nur während der (Um-)Bauphase.

                                          Eine kurze ordentliche Steigung später war ich an der Hütte, die ich sofort zum Lesen bezog. „Der Andrack“ ist nun ausgelesen. Ein schönes Ritual: Luftmatratze aufblasen, dösen, lesen und gegen 21 Uhr ins Zelt übersiedeln.


                                          Wirklich Platz für das Zelt gab es leider nur direkt neben der Hütte

                                          Das Feuer brennt aus. Holzvorräte sind noch en masse vorhanden. Ich beschließe, ein guter Gast zu sein und die vier Scheide ausbrennen zu lassen statt nachzulegen. Ich trenne mich von 1l Wasser, um sicherzugehen, dass das Feuer wirklich erloschen ist. Es war ein sehr schöner Tag.

                                          Kommentar


                                          • pieckenbrock
                                            Erfahren
                                            • 30.06.2011
                                            • 146
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                            Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                            Solche Wege an Straßen finde ich auch schlimm - hatte ich auch mal auf einem anderen der SK-Wege. Selber kenne ich ja hier auch nur den ersten Abschnitt. Wenn´s allerdings im Küstenbereich längsgeht bin ich wegen der Kulisse sogar bereit andere Wegbeschaffenheit in Kauf zu nehmen.
                                            An der Küste war es grandios!

                                            Kommentar


                                            • Prachttaucher
                                              Freak

                                              Liebt das Forum
                                              • 21.01.2008
                                              • 11979
                                              • Privat


                                              #23
                                              AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                              Ist ja witzig daß für Dich der Abschnitt nach Glimåkra so angenehm war. Ich empfand die Wege davor schöner zu gehen und gerade wegen des Seengebiets bin ich überhaupt dorthin. Mit dem Ort gebe ich Dir vollkommen recht, außerdem zog es sich etwas hin bis zur Bushaltestelle/ IKA. An der Bushaltestelle dann ein betrunkener Schwede in Jogginghosen, der auf der ganzen Fahrt seine Begleitung zugelallt hat.

                                              Kommentar


                                              • pieckenbrock
                                                Erfahren
                                                • 30.06.2011
                                                • 146
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                                Klar, von der Hütte/ vom Schwimmbad in das Städtchen rein sind es 2km pure Teerstraße geradeaus. Den Weg BIS zum Schwimmbad/ zur Hütte fand ich sehr angenehm.

                                                Kommentar


                                                • pieckenbrock
                                                  Erfahren
                                                  • 30.06.2011
                                                  • 146
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                                  Tag 6: Glimåkra – Osby (17km)

                                                  Nun hat es doch gekracht: Eine Stunde Gewitter und eine ordentliche Schüttung gingen gegen 15:30 Uhr über Osby nieder. Abkühlung hat es kaum gebracht. Die Mitarbeiterin des Zeltplatzes, auf dem ich die heutige Nacht und den morgigen Ruhetag verbringen werde, war ganz begeistert. Aber nicht nur über den von allen heiß ersehnten Regen, sondern auch über mein Einkaufsverhalten: eine kleine Coke und einen Liter des heute abgelaufenen Trinkjoghurts für schlanke 10 SEK. Als ich die Waschmaschine buchte, eine Tüte meiner heißgeliebten Estrella Dillchips, eine Packung Erdnüsse und eine weitere Coke kaufte, war sie von meinen Schwedisch-Versuchen begeistert. Völlig subjektive füge ich hinzu, dass sie die erste junge Frau war, der ich in diesen sechs Tagen begegnete, die nicht nach „White Trash“ sondern nach Klischee-Schwedin aussah und sich auch so verhielt. Was für ein Unterschied zwischen Osby und Glimåkra.

                                                  Ungewöhnlich am Zeltplatz: Es gab keinen STF-Rabatt. Der Betreiber ist derselbe wie unter anderem Råbacka (in Ängelholm). Die Bewohnerschaft ist ziemlich hälftig aufgeteilt unter den Wohnmobilisten (ich war das zweite von zwei Zelten, die auf dem Campingplatz standen); 50% Deutsche, 50% Niederländer. Der einsame Zelter (ich) und das Dreier-Familienzelt, in dem man gut und gern drei 3er-Familien hätte unterbringen können, sind ebenfalls gerecht zwischen Deutschland und Holland aufgeteilt.

                                                  Von Kim, die ebenfalls zu einer deutschen WoMo-Crew zählte, bekam ich einen Schluck von dem guten Frosch-Waschmittel „geliehen“. Die Campingplätze, die ich besuchte, verkaufen ausschließlich Riesenpackungen (500gr aufwärts). Ich revanchierte mich durch vorzeitigen WaMa-Zugang, nachdem ich meine Wäsche in den Trockner umgeschichtet hatte. Übrigens sind ohnehin 2 WaMas und 2 Trockner in der kleinen Waschküche. Dennoch wird der Schlüssel immer für exakt vier Stunden ausgehändigt und die restlichen drei Geräte bleiben in der Zeit ungenutzt. Seltsames System.

                                                  Der Himmel klart wieder auf. Die Tagesetappe war okay und zügig heruntergelaufen. Zunächst konnte ich aber auf der Trockentoilette an der Glimåkrahütte den Mut und die Völlerei einer Spinne bewundern, die ihr Nest direkt unter einem Wespennest in der Toilette gebaut hatte und das sich unter dem Gewichte der Wespenleichen in Trichterform bog.


                                                  Mutige Spinne!

                                                  Danach ging es durch ein bisschen Kiefernwald mit dem bekannten Ampelmarkierungssystem. Und wieder über viele geschotterte Abschnitte, die zwar leicht aber furchtbar unangenehm zu erwandern sind. Diese Streckenführung geht mir zunehmend auf den Keks. Bis auf einen Bericht hier, der die Schotterwege nach meinem Leseverständnis eher beiläufig erwähnte, habe ich keine diesbezüglichen „Warnungen“ gelesen. Scheinbar habe ich mich einfach nicht richtig gekümmert. Wobei auch die offizielle Website des Skåneleden keine Aussagen dazu macht.


                                                  Weitere Ampeln

                                                  Ich passierte ein Wasseraufbereitungsgebiet mit mehreren kleinen Seen und pittoresken Brücken und eine Schafsweide; auch ein paar Orchideen habe ich gesehen.


                                                  Wasser


                                                  Schafe


                                                  Blumen

                                                  Eine Extrarunde hat mich der Pfad durch die Markierungen 2,5km vor Osby gesandt: Man läuft auf einem Schotterweg auf Brebapp zu; der Pfeil/ Pfosten, der rechts ins Gestrüpp zeigt, ist vollständig überwuchert. Also ging ich geradeaus weiter. Fast am Ende des Weges, der dann auf eine Brücke zeigt, zeigt die Markierung nach rechts. Dummerweise ist das die Markierung, die für die Wanderer in die Ost-Richtung gemeint ist. Ich lief also fälschlich diesem Pfeil nach und erst als ich durch das Gestrüpp wieder auf den Schotterweg brach, sah ich den Pfeil, der mich ursprünglich richtig geleitet hätte... So lief ich den schönsten Teil der heutigen Etappe zwei Mal, bevor ich wieder auf der Straße Richtung Campingplatz weitermarschierte. Nach weiteren 2km durch ein Naturschutzgebiet gelangte ich an den Zeltplatz. Endlich WLAN, endlich Strom, endlich Dusch- und Rasurmöglichkeit. Morgen ist Saunanutzung vorgesehen – Temperatur hin, Temperatur her!




                                                  Schlafplatz

                                                  Kommentar


                                                  • Dogmann
                                                    Fuchs
                                                    • 27.09.2015
                                                    • 1022
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                                    Na auf dem Campingplatz ging es dir ja richtig gut
                                                    Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                                                    Kommentar


                                                    • pieckenbrock
                                                      Erfahren
                                                      • 30.06.2011
                                                      • 146
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                                      Tag 8: Osby – Verum (24km)

                                                      Ein größtenteils furchtbarer aber leicht zu gehender Weg führt die 24km von Osby nach Verum: 7:40 Uhr Aufbruch, 8:00 Uhr Ankunft am ICA und Frühstück mit 0,5l Schokomilch, einer Banane und einem Schinkenbrötchen. Die Chips und Nüsse von gestern sind somit nur „teilkompensiert“…

                                                      Danach ging es 4km durch die „Stadt“ Osby. Immer entlang der größten Straße bis ins Industriegebiet. Furchtbar. Glücklicherweise schloss sich nach dem großen Parkplatz direkt ein schöner schmaler Pfad durch eine Sumpflandschaft an, die in ein kleines Wäldchen überging, bevor es auf diversen Schotterpiste weiterging. Ich machte kurze Pausen für die beiden Äpfel, die ich in Osby noch erstanden habe. Zum Glück befand ich mich zu den Pausenzeiten an den wenigen schönen Punkten des heutigen Weges, wenn man von Pause 2 absieht, die ich einlegte, weil nicht klar war, wann die „Umleitung“, die der Weg nach ca. 12km einlegte, wieder von der Schnellstraße wegführen würde. So hatte ich beim Genuss des zweiten Apfels Kühe im Rücken und meist donnernde Chopper vor mir.


                                                      Kein Schotter, keine Straße: Sofort dokumentieren!

                                                      Nach zügigen 5 Stunden hatte ich das Örtchen Verum vor mir. Mich empfingen ein aufgegebener ICA und eine aufgegebene Tankstelle. Auf dem Hof gegenüber von Kirche und Friedhof fand eine Art Schleiertanz in Kombination mit Fußball statt. Zwischen alledem jagte ein Hund mit fünf bis sieben (schwierig zu zählenden) Kindern umher.

                                                      Ich ging zunächst auf den Friedhof, um zu sondieren, ob hier Trinkwasser zu bekommen sei, da für die Rastskydd in Verum keine Quelle und kein größerer Bach eingezeichnet war. Auf dem Schild am gießenkannenumstandenen Wasserhahn für das Gießwasser war leider ein ein-eindeutiger Hinweis zu lesen, dass hier kein Trinkwasser zu holen sei. Im Kirchgarten schnitt ein bärtiger Mann glücklicherweise die Hecken. Ich sprach ihn an und er erklärte sich freudig, seine Arbeit unterbrechen zu können, dazu bereit, mich in Pfarrhaus einzulassen, um meine mittlerweile fünf (3x 0,5l, 2x 1,0l) komplett ausgetrunkenen Flaschen zu füllen. Weil es noch ziemlich früh war und ich den Eindruck hatte, dass er durchaus froh über mein Erscheinen war, fragte ich ihn ganz frech, ob er nicht Lust hätte, ein bisschen zu quatschen. Ich hätte schon seit einer Weile kein Gespräch mehr geführt. Damit war er sofort einverstanden. Wir setzten uns auf die Treppe zum Friedhofseingang und unterhielten uns. Es ist schon ein wenig seltsam: In Deutschland würde ich vermutlich nicht auf die Idee kommen, einfach so jemanden mit der Frage anzusprechen "Hallo, haben Sie vielleicht Lust mit mir zu reden?"...

                                                      Er ist schon seit einer Weile in jedem Sommer für zwei bis drei Monate Vikarshelfer und macht die handwerklichen Arbeiten. Den Rest des Jahres arbeitet er im Wald oder auf dem Feld, wenn ihn jemand gebrauchen kann. Ich fand ganz erstaunlich, dass er – wenn ich das richtig verstanden habe – so eine Art Wanderarbeiter bzw. (freundlicher formuliert) „Selbstständiger im unqualifizierten Aushilfsbereich“ ist. Und das im sozialdemokratischen Schweden, das uns von einigen Politikern gern als Arbeitnehmerparadies verkauft wird. Jedenfalls sei das ein ziemlich hartes Leben, weil der einzige sichere Job sei eben der bei der Kirche; da immer weniger Bauern in dieser Ecke lebten und überhaupt immer weniger Menschen hierblieben, gäbe es für ihn auch immer weniger zu tun. Früher habe er noch ein bisschen Milch verkaufen können, doch nun habe er nur noch 5 bis 7 Stiere (je nachdem, wann er einen zum Schlachten gibt und wann er Geld für einen neuen hat, schwankt die Zahl). Viele Bauern seien in den letzten Jahren durch reiche Städter ersetzt worden, die das Landleben schätzen; die hätten zwar auch noch Vieh, aber – so führte er aus – nur noch genau so viel, dass man sagen könne, man halte eben Vieh. Mein Gesprächspartner war keineswegs verbittert, sondern ein wirklich netter und offener Mann. Aber er sprach schon durchaus verächtlich über die „Neuankömmlinge“ in Verum. Da kein Bus mehr führe, sondern nur noch ein sehr teures Ruftaxi, müsse man motorisiert sein und es sich erlauben können, hier zu wohnen, obgleich das Land und die Immobilien sehr günstig seien, meinte er.

                                                      Sein Leben, so scheint mir, besteht aus Leuten, die er früher einmal kannte, was ich traurig finde. Diese Leute zogen dann irgendwann nach da-und-da, wo er sie besuchte. Manchmal kamen sie auch zurück auf Besuch in die Heimat. Dann zogen sie nach dort-und-dort und der Kontakt ging verloren. Er hatte auch einmal eine Freundin. Mit ihr wollte er in Lappland wandern gehen. Sie machten bei Umeå einen Zwischenstopp, wo seine Großmutter damals noch lebte. Das war 1997 oder 1998. Die Freundin vertrug die Stille in der ersten Nacht nicht und reiset deshalb direkt am nächsten Tage wieder ab, nachdem er ihr erklärt hatte, dass in Umeå noch richtig was los sei im Vergleich zu der Ecke Schwedens, wo die beiden wandern wollten. Er hat sie seit diesem Morgen nie wieder gesehen und lebt seitdem allein.

                                                      Wir haben uns einander nicht vorgestellt in den 1,5 Stunden, die wir letztlich miteinander sprachen. Ich musste zwischenzeitlich erneut Wasser holen, weil wir ein paar seiner selbstgedrehten höllisch starken Kippen geraucht hatten, die ich schlecht vertrug. Er sagt: Falls ich jemals wieder in der Gegend sei, solle ich unbedingt am Pfarrhaus klopfen. Ich glaube ihm. Er freut sich über jedes Klopfen: Hilfsbereit, freundlich und aufgeschlossen. Ich freue mich, mit ihm so lange gesprochen zu haben. Vermutlich bin ich schon heute zu jemandem geworden, den er einmal kannte.


                                                      Zelt an der Schutzhütte

                                                      An der Schutzhütte überraschte ich S., die Deutsche ist. Sie scheint knapp über 50 Jahre zu sein und kommt aus der Westrichtung gewandert. Morgen wird sie nach Osby gehen und von dort abreisen, um ihre Freundin auf Öland zu treffen, die bis dahin „gewoved“ hat. „Woven“, so ließ ich mir erklären, ist die Verschmelzung von „work“ und „move“: Man arbeitet täglich 4 Stunden und bekommt dafür Kost und Logis. Sonst gibt es nichts über diese Begegnung zu berichten – außer, dass sie mein Zelt zu schwer und meine Schuhe zu schwarz findet. So ist das manchmal.

                                                      Kommentar


                                                      • Dogmann
                                                        Fuchs
                                                        • 27.09.2015
                                                        • 1022
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [SE] Kust-Kustleden: Endlos lang zieht sich die Straße...

                                                        Manchmal trift man schon spezielle Leute!
                                                        Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                                                        Kommentar