• Styg
    Gerne im Forum
    • 01.05.2014
    • 86
    • Privat


    [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

    10.7.2016 | Prolog

    Die Gäste sitzen draußen im Garten und grillen, einen Tag vor der Abreise markiert die Feier zum 70. Geburtstag meines Untermieters den Abschluss aller Urlaubsvorbereitungen. Zeit wird's. Viel hat sich geändert in den letzten Monaten. Im zweiten Jahr meiner Selbstständigkeit stehe ich zwar mit beiden Beinen auf festem Boden, habe aber auch viel Arbeit hinter mir. Trotzdem: Die Projekte in der Firma sind alle in Zuständen, in denen man sie drei Wochen liegen lassen kann. Mein Kopf sieht das noch nicht ganz ein, aber man kennt sicht selbst mit den Jahren,

    Der Rucksack ist gepackt und lässt sich schließen. Alles an Ausrüstung ist untergebracht. Meinen Notfall-spot stößt bei den Geburtstagsgästen auf Interesse und als ich die Funktion des Geräts erkläre und natürlich auch auf meine Route zu sprechen komme, merke ich: Die Stationen Snæfell, Askja und Snæfell sind ohne Kontext nur einfache Wörter ohne Kontur. Für mich sind es Versprechungen. Ich bin schon nicht mehr richtig hier in meinem Garten. Die Grundspannung ist da. Zeit für Urlaub, meinen vierten Island-Besuch und meine erste Solotour.

    11.7. Oberschwaben - Island

    Meine Schwester holt mich kurz vor 6 Uhr morgens ab, es geht über die A96 nach Ulm an den Bahnhof. Nach einem frühen Kaffee stehe ich alleine am Gleis. Kaum im Zug, kündigt eine SMS die einstündige Verspätung des Flugsan. Die nächste Stunde beschallt mich eine laute Schulklasse auf Berlin-Ausflug mit ziemlich profanem Mist. In Mannheim entkomme ich der Zwangsbeschallung durch den Umstieg nach FFM. Dort angekommen streikt die IG-Metal. Ich nehme den Bus nach Terminal 2, gebe meinen eingepackten Rucksack ab und warte. Jemand lässt seinen Rucksack liegen, nervöse Hektik der Flughafenpolizei.

    Im Gate unterhalte ich mich mit einer Dame aus dem Norden, zusammen mit ihrem Mann bereist sie die Welt. Wir stellen fest, wie sehr sich Ansichten und Meinungen doch ändern, wenn man „raus“ kommt. Eines dieser angenehmen Gespräche außerhalb des Alltags, unverbindlich und doch einprägsam. Gerade wegen der Anonymität berichtet man doch erstaunlich offen und freizügig über sich selbst. Ein Bus fährt uns auf‘s Rollfeld, Takeoff kurz vor 15 Uhr.

    Der Flug verläuft unspektakulär über einer dichten Wolkendecke, dann drehen wir zwei Runden über dem Flughafen in Keflavik. Der einzige kurz Aufreger ist das verbindliche Durchstarten nach Runde zwei etwa zehn Meter über der Landebahn. Dort steht nämlich ein Flugzeug mit Plattfuß. Die Landung erfolgt nach Extra-Runde Drei und mit knappen drei Stunden Verspätung. Die Autoabgabe in Höfn bis 23 Uhr wird knapp heute.

    Ich hole mein Transportmittel ab. Der Mietwagen hat eine Beule die nicht verzeichnet ist, ich fotografiere den Polo und lasse den Schaden im Terminal bei der Vermietung nachtragen. Typisch Deutsch, war aber sinnvoll. An der Olis außerhalb von Reykjavík kaufe ich Rödsprit und „meine“ Wasserflasche für die Tour, Skyr darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Dann geht es die 1 entlang Richtung Höfn.

    Stadt, Menschen und überlaufene Sehenswürdigkeiten wollte ich mir sparen.


    Auf dem Weg nach Höfn

    Auf der Fahrt komme ich langsam auch geistig im Land an. Die Gedanken kreisen noch um alltägliches. Hinter Vík lässt der Verkehr wie üblich schlagartig nach. Ein halte Ewigkeit später hält mich ein Polizist an, ich war zu schnell. Zittrig wie ein Fahranfänger reiche ich ihm meine Papiere. 120 meint er, mein Herz schlägt kurz triolisch, dann lässt er mich mit einer Verwarnung davonkommen. Natürlich war ich zu schnell, zu sehr im Alltag, zu sehr auf's Termin einhalten bedacht.

    Nicht immer sind die anderen die Idioten - ab und zu ist man eben auch selbst einer.


    Für die Landschaften sollten man sich Zeit nehmen, kein Grund zur Hektik.

    Ich bin zu sehr in Gedanken, berapple mich aber und fahre Strich 90 nach Höfn weiter. Kurzer Zwischenstop in Jökulsárlón. Trotz der späten Stunde sind immer noch Leute da. Range Rover lässt Produktfotos mit sündteuren Mittelformatkameras anfertigen. Es ist duster und belegt, dennoch eine elegische Stimmung. Ich stehe am Seeufer und mache nur wenige Fotos. Der Gletschersee ist mittlerweile mehr Freund denn Fotobjekt.


    Schwimmendes Eis ist wie immer ein Genuss!

    Mein Ziel kommt näher, der Tank leert sich. Beide Tankautomaten um Höfn fressen meine Kreditkarten nicht. Am Flughafen, wo ich mein Auto abgeben sollte, ich niemand mehr da. Es ist Mitternacht. Es wird 1 Uhr morgens, bis ich mein Zelt auf dem Campground in Höfn aufstelle. Anreise abgeschlossen. Fast.

    12.7. | Höfn - Stafafell

    Um 6:15 weckt mich leise der Wecker. In den Zelten um mich herum herrscht schnarchende Stelle. Die Motivation, die Küche auszupacken ist überschaubar, also gibt es Oatsnack statt Müsli. An der Tankstelle im Ort öffnet der Tankwart die Zapfsäule für mich als ersten Kunden, die Kartenzahlung klappt. Nun sollte ich das vollgetankte Auto am Flughafen Hornafjörður abgeben. Der hat heute aber geschlossen. Ich stehe in der Landschaft und hadere mit meinem Schicksal. Ein Pärchen kommt, er hat seinen Ladeadapter im Gebäude vergessen, nichts zu machen. Ich rufe bei der Autovermietung an, nach etwas Verwirrung teilt man mir mit, dass ein Mitarbeiter in 10 Minuten käme. Nach einer Stunde Wartezeit rufe ich erneut an. Ein Missverständnis, diesmal kommt tatsächlich jemand - und lotst mich zurück nach Höfn zur Abgabestelle. Die wäre sogar ausgeschildert gewesen, hätte ich noch eine Runde durch den Ort gedreht. Egal. Bei der Abgabe des Autos wird die neue Delle moniert. Ich zeige den nachgetragenen Schaden vor und bin das Auto los.

    Ein Telefonanruf am Vorabend bei der Autovermietung hätte mir diese Episode erspart. Der Bus nach Stafafell, meinem Einstiegspunkt, ist jetzt um 10 Uhr natürlich auch weg. So stehe ich auf dem Parkplatz der Vermietung. Dann laufe ich einfach los. Was soll's. Zwar bin ich nun ab dem ersten Schritt einen Wandertag hinter dem Zeitplan, da die Tour aber genügend Optionen hat, wird das kein Problem sein.


    Die ersten Tourkilometer Richtung Stafafell.

    Die Gehmoral ist gut, bei Sonnenschein und mäßigem Wind bringe ich die ersten Schritte hinter mich. Bei der Kreuzung der 1 biege ich rechts ab. Der Weg verläuft neben der Straße und ist angenehm zu gehen. Die Berge links sind nett anzuschauen. Das hier ist mein Island und ich freue mich auf den Moment, morgen von der Straße aus Richtung Hochland abzubiegen. Einige Male halte zaghaft ich den Daumen raus, vielleicht lässt sich die Etappe ja doch noch abkürzen. Niemand hält an, zu 99% sitzen Touristen in den Autos. Ein Busfahrer kommt mir entgegen und zeigt auf seinen Bus. Ja, ich weiß.


    Durchatmen, ankommen, Landschaft genießen.

    Durch den Tunnel bei Almannaskarð darf man nicht zu Fuß, aber oben drüber geht natürlich. Zuvor gibt‘s aber Mittagessen in herrlicher Kulisse. Der Jägertopf gelingt mir hervorragend und ist außerordentlich köstlich. Während ich da so sitze, rutschen vier Jugendliche hinter mir den Hang des Skardðindur durch‘s Geröll hinunter. Laute Schuttabgänge verkünden mit langem Nachhall von diesem Leichtsinn. Es bleiben Staubwolken und die Gewissheit, dass die Spuren dieses Manövers noch lange Zeuge dieser schwachsinnigen Aktion sein werden.

    Oben am Pass stehen Busse an einem Aussichtspunkt. Touristen schauen in's Tal, ich werden begafft wie ein zweifköpfiger Affe. Schöne Gegend, ich laufe durch das Skarðdalur wieder bergab Richtung Küste. Etwas Niesel, eher eine tiefe Wolke, holt mich ein. Natürlich geht es heute fast ausnahmslos die Teerstraße entlang, links schroffe Berge, rechts das offene Meer. In der Mitte schlängelt sich das Band der 1. Die Landschaft hat ihren Reiz. Mit dem Auto war ich nicht nur einmal hier, hatte immer eine Erinnerung und einen Bezug zu diesem Abschnitt. Trotzdem ist man, vor allem und speziell auf Island, wie so oft schneller durchgefahren, als man sich auf den Charakter der Umgebung einlassen kann.


    Blick zurück ...


    Stafafell zumindest in weiter Ferne in Sicht.

    Gleichförmige Teermuster laufen unter meinen Füßen durch. Wenn der Randstreifen es erlaubt, laufe ich direkt neben der Piste. Neben dem „roten Stuhl“ beim Guesthouse Lon mache ich die nächste Pause. Eine Radfahrerin passiert meinen Pausenplatz mit einem stillen Gruß. Knappe 22 Kilometer, gut über der Halbzeit für heute. Trotzig grüßt der zweiköpfige Affe alle Autos, die ihn passieren.


    Pistenlaufen ist nicht sehr angenehm, aber die Landschaft entschädigt.

    Der harte Teer fordert seinen Tribut, meine Gehmoral lässt nach. Ich suche mir Ablenkungen, antworte den laut meckernden Vögel ähnlich laut schimpfend - hier hört mich ja niemand - und denke ganz bewusst einige Gedanken aus einem etwas 3000 km südlich gelegenen Alltag durch. Mit jedem Schritt öffnet sich das breite Delta des Jökulsa í Lóni ein Stückchen weiter vor mir. Es ist wunderschön, aber auch noch ein Stückchen weg und ich möchte da heute auch noch durch. Nach einer weiteren Pause überschreite ich Tageskilometer 30.

    Die Lauferei auf Teer wird zum Kampf. Endlich bin ich an der Brücke über den Fluss, dann endlich am anderen Ufer. Die Straße knickt rechts ab, der Campingplatz ist leider nicht da, wo ich ihm GPS markiert hatte. Das beschert mir einige Extrameter. Ein Schild behauoptet „800m Camping“. Achthundert verdammte Meter! Jeder Schritt tut weh. Als ich schließlich auf der Anlage ankomme, bin ich nach 35 km körperlich wirklich am Ende. Dass ich auf dieser Etappe der einzige Wanderer war, ist absolut nicht verwunderlich.

    Die Rezeption des Campground ist nicht besetzt, also schlage ich meine Zelt auf, räume den Hausrat ein und lege mich für einige Minuten in‘s warme Gras. Nix mehr gewohnt, der Kerl. Eine heiße Dusche in den sanitären Anlagen weckt meine Lebensgeister wieder. Vor dem Abendessen möchte ich nur kurz dösen, schlafe jedoch auf der Stelle sofort tief ein.

    13.7. Höfn - Stafafell


    Den auf 6:15 Uhr eingestellte Wecker vom Vortag habe ich natürlich nicht ausgeschalten, ich werde nur kurz wach und verschiebe das Aufstehen auf „wenn ich wach werde“ und schalte die akustische Fußfessel endgültig aus. Zum Frühstück bei absolutem Kaiserwetter gibt‘s dann in ausgeschlafenem Zustand eine doppelte Portion Porridge. Die Rezeptur dieses Jahr ist stimmig, neben dem Bombenwetter bereits die zweite gute Nachricht des Tages!


    Aussicht und Sonne zum Frühstück.

    Dann verfasse ich meine Aufschrieb in der Sonne liegend. Neben mir stehen noch vier Zelte und ein Blechcamper auf der Wiese. Langsam rührt sich Leben in der Nachbarschaft. Körperlich geht es mir gut, ich fühle mich fit. Lediglich eine kleine Blase am linken Fuß gilt es zu versorgen.
    Kurz rede ich mit den beiden Motorradfahrern neben mir aus Österreich und Ulm, wie klein die Welt doch ist. Während ich mir nicht vorstellen kann, mit einem Verbrenner zwischen den Schenkeln durch das Hochland zu fahren, ernte ich für meine Trekking-Ausführungen in Umkehr ebenfalls nur diplomatisches Verständnis. Ich lächle in mich hinein. Für beide geht es nach 14 Tagen Rundfahrt heim, anhand der unterschiedlichen Tempi was Frühstück und Bepackung angeht, meine ich trotz aller Freundschaft eine gewisse zerdehnte Geduld zwischen beiden zu bemerken. Dann trägt das Ehepaar im Blechcamper trägt gut hörbar Streitigkeiten über diverse Banalitäten aus. Ich sollte wohl langsam los.

    Mit 17 km ist die heutige Etappe nur halb so lang wie gestern. Da einige Furten zu erwarten sind, möchte ich nicht zu spät in den Tag laufen. Die Rezeption ist besetzt, die junge Frau frägt mich, wohin des Weges. Ich antworte mit „Askja“, wir wechseln einige kurze Sätze.


    Letzter Blick auf den Campground Stafafell.

    Ein kurzes Stück laufe ich auf der 1 zurück bis kurz vor der Brücke, dann biege ich rechts ab. Dort, wo die Touristen ihre Autos für eine kurze Fotopause wenden, um weiter den Randstreifen der Insel zu umfahren, geht es für mich tiefer in das Land hinein.


    Links die 1, rechts mein Einstieg Richtung in die erste "echte" Etappe.

    Die ersten Kilometer laufe ich auf einem Schotterweg durch viel Grün und Wald. Die Sonne scheint, es ist regelrecht heiß, links und rechts des Weges stehen Ferienhäuschen.


    Verlassene Behausung am Wegesrand.


    Hier gibt es überall einiges zu sehen.


    Üppiger Bewuchs am Wegesrand.

    Nach einigen Kilometern dünnt die Bebauung gleichzeitig mit der Vegetation aus. An dieser Stelle denke ich mir, dass dieses "Herauslaufen" aus der Zivilisation durchaus ihren Reiz hat. Gestern noch in Höfn, von der Teerstraße auf einen Schotterweg hin zu kleinen Pfaden. Für mich sehr reizvoll, zumal ich die Abbiegung hinter der Brücke in Stafafell von vorherigen Touren gut in Erinnerung habe. Was wohl hinter diesem Schotterweg liegen mag, habe ich mich gefragt. Heute laufe ich auf diesem Weg in Richtung Askja und werde es wohl in Erfahrung bringen.


    Aussicht auf das Gegenufer.


    Hinter mir Ferienhäuser, vor mir menschenleere Natur.

    Der Weg folgt nicht flach dem Uferverlauf, sondern bringt einige Auf- und Abstiege mit sich. Hinter einem trockenen, breiten Flusslauf geht es durch gelbes, sandiges Gelände hinab Richtung Flussbett. Direkt am Wasser verliert sich dann der Schotterweg. Der Wasserstand scheint erfreulich niedrig. Gute Nachrichten: Wenig Wasser, kein Grund zu Eile. In aller Ruhe befeure ich die Kantine, mache gemütlich meine Mittagspause und genieße die Natur um mich herum. Diese Fleckchen Erde habe ich nun langsam aber sicher für mich alleine.


    Mittagspause in ganz leichtem Niesel.


    Ausblick beim Essen.


    Nach dem Essen geht's hier durch.

    Der Weg rechts von mir wurde von Wasser gefressen. Ich entschließe ich mich daher zum Gang über durch das Bachbett und rechne mit drei Furten. Der Himmel zieht etwas zu, was im Langarmshirt und ohne Jacke durchaus noch angenehm ist. Über die erste Furt komme ich noch in den Wanderschuhen, dann packe ich die Furtsandalen aus. 15cm, kalt, aber kein Problem. Die Wanderschuhe bleiben im Rucksack. Es geht über Kies und Geröll, ich drifte etwas zu weit vom Ufer weg nach links und korrigiere. Nach einer zweiten Furt habe ich das Delta hinter mir gelassen, eine Reihe gelber Pfosten fängt Wanderer ein und führt zum Einstieg eines schmalen Pfades.


    Gelbe Pfosten führen Wanderer zum richtigen Pfad Richtung Brücke.

    Diese Passage durch ein niedriges Wäldchen ist fast schon verwunschen idyllisch und dem Bewuchs nach selten begangen. Der weitere Verlauf führt jedoch auch über einige steil ausgesetzte Stellen in losem Geröll einige Meter direkt über dem Fluss.


    Nicht gerade eine Hauptstraße, für mich ein gutes Zeichen.


    Steil und ausgesetzt über losen Schotter.

    Einige Wegwindungen später kommt die Brücke über die Jökulsa í Lóni in Sichtweite. Wenige Meter vor mir sitzt ein Ehepaar auf einer Bank. Leise gehe ich einige Meter zurück, nur um gleich wieder ziemlich laut aus dem Gebüsch zu stolpern. Ich möchte meine Anwesenheit anzukündigen und die beiden nicht erschrecken. Kurz wird das Woher und Wohin ausgetauscht, dann gehen die beiden zurück über die Brücke. Wegen der Einsamkeit sind sie hier, die möchte ich ihnen lassen. Auf der Brücke warte ich kurz und genieße auf der Brücke stehend die Sicht zurück Richtung Küste. Heute morgen noch auf Teer, nun auf schmalen Pfaden.


    Brücke über die Jökulsa í Lóni

    Hinter der Brücke wird der Weg zu einem schmalen Pfad, durch Pfosten unfehlbar markiert. In engen Serpentinen führen schmale Pfade über wenig Stock aber viele Steine, nordöstlich über Eskifell. Ich sauge die Landschaft regelrecht in mich auf, vergesse die Kamera und laufe wie auf Autopilot durch diese einsame Idylle. Die erste Begegnung mit der Einsamkeit war noch jeden Urlaub eindrücklich.



    Der Isländer von vorhin wartet auf mich und weist mich auf die richtige Weggabelung hin. Meine Route knickt hier steil rechts ab. Ich wäre vor lauter Landschaft hier wohl erst einmal geradeaus gelaufen. Ob ich genug zu essen dabei habe, ein Zelt, einen Schlafsack? Ich rattere meine 18kg Ausrüstung samt Nahrung herunter, und nach einem kurzen Gespräch über vorherige Touren ist der Mann beruhigt. Ich zeige ihm meine GPS-Route, meine Karte und auch den spot für den Notfall. Leider habe ich vergessen, mir seine Mailadresse zu notieren. Nach dieser Begegnung geht jeder seiner Wege, ich bin für den restlichen Tag alleine.

    Nach dem gestrigen Tag möchte ich heute die Gehmoral nicht ausreizen, also schlage ich schon bald und nach 17 Tageskilometern mein Zelt an einem namenlosen Teich auf, in der Nähe des Svínadalur und nur etwa fünfhundert Meter südöstlich von der Piste zum Parkplatz Illikambur. Wie versprochen rufe ich daheim an. Dann wird es Abend. Schön ist es hier, um mich herum nur Natur. Schweigend und genießend nehme ich mein Abendessen zu mir.


    Campground bei Eskifell.
    Zuletzt geändert von Styg; 27.04.2017, 22:07.

  • Vogelfreund
    Erfahren
    • 04.08.2008
    • 148
    • Privat


    #2
    AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

    Ganz nach meinem Geschmack ... meer (!) davon biddeschöön.

    Das pic vom Eis (jener See). Wohl kaum Polfiltermißbrauch (hier jüngst bei Rotzelten krass auffallend) oder fotoshoprape. Echt so düster, mehr so gen Mitternacht?

    Vf

    Kommentar


    • Albiown

      Erfahren
      • 18.08.2011
      • 373
      • Privat


      #3
      AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

      Unbedingt weiterschreiben, bin gespannt! Die Tour hatte ich 2016 sehr sehr ähnlich vor. Die Schneemengen Anfang des Sommers machten mir aber in meinem Urlaub einen Strich durch die Rechnung.

      Dieses Jahr neuer Versuch.

      Kommentar


      • Styg
        Gerne im Forum
        • 01.05.2014
        • 86
        • Privat


        #4
        AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

        Ich muss gegen 22 Uhr am Jökulsarlon gewesen sein. Reizvolle Stimmung, der See selbst duster behangen, der Gletscher im Hintergrund heller. Die Bilder bearbeite ich nach, versuche aber, mich für die Tourberichte selbst am Riemen zu reißen. Am Bildschirm ist alles nicht mehr so epochal wie vor Ort, da ist schnell einmal übertrieben. Die eigene Sehnsucht sitzt ja meistens mit vor dem Rechner.

        @Albiown: Ich eile, habe schon vorgeschrieben!

        Kommentar


        • AlfBerlin
          Lebt im Forum
          • 16.09.2013
          • 5073
          • Privat


          #5
          AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

          @Styg: Spannender Bericht in nüchternem Schreibstil mit schönen Fotos.
          Da gefällt sogar der Blick aus dem Auto.

          Was hast Du für ein Zelt? Es wird doch hier ständig nach "Zelten für Island" gefragt.

          Kommentar


          • SouthWest
            Erfahren
            • 28.03.2013
            • 373
            • Privat


            #6
            AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

            Sieht aus wie ein SMD Skyskape Trekker. Tolles Teil.

            Ich finde den schreibstil sehr gut! Die Fotos sind auch super.

            Kommentar


            • Dieter

              Dauerbesucher
              • 26.05.2002
              • 537
              • Privat


              #7
              AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

              Hallo Styg,

              sehr schön geschrieben - weiter so!

              Dieter

              Kommentar


              • Sternenstaub
                Alter Hase
                • 14.03.2012
                • 3583
                • Privat


                #8
                AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                ein sehr ansprechender Bericht, sowie im Stil und auch wegen den Fotos!

                freu mich auf mehr.
                Two roads diverged in a wood, and I—
                I took the one less traveled by,
                And that has made all the difference (Robert Frost)

                Kommentar


                • neumania
                  Erfahren
                  • 22.02.2015
                  • 309
                  • Privat


                  #9
                  AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                  Moin,



                  sehr schöner Bericht, geht's denn bald weiter?

                  Grüße,
                  Markus

                  Kommentar


                  • Styg
                    Gerne im Forum
                    • 01.05.2014
                    • 86
                    • Privat


                    #10
                    AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                    Vielen Dank für eure Rückmeldung und Entschuldigung für die etwas längere Pause - ab sofort sollte es etwas schneller gehen.

                    @AlfBerlin: Es ist ein SMD Skyskape Trekker, ich war und bin sehr zufrieden damit, auch wenn ich es am letzten Tag ... aber das kommt dann im Bericht.

                    Weiter geht's ...


                    14.7. Eskifell - Egillsel

                    Mit einem dampfenden Kaffee in den Händen sitze ich, mit dem Rücken an einen Fels gelehnt, nur wenige Meter vom Zelt entfernt und frühstücke. Ich habe wunderbar geschlafen, die Pistenetappe von Höfn nach Stafafell ist vergessen. Es ist noch relativ früh am Tag, daher schaue ich nun im Moos sitzend der Sonne zu, wie sie sich über die Berge schiebt, das Tal unter mir mit Licht flutet mir schließlich ins Gesicht scheint. Die Vorfreude auf den Tag ist groß, schließlich führt mich die heutige Etappe durch eine vielfältige und bunte Landschaft. Ich breche auf.


                    Blick zurück Richtung Stafafell.

                    Mein Route führt mich über Mulaskali, der Pfad führt am westlichen Ufer der Jökulsa entlang und ist bereits nach wenigen Gehminuten mehr Schafspfad denn Weg. Sattes Grün weicht grauen Gesteinstönen, nicht weniger eindrucksvoll. Die Weite der Landschaft wird durch nahe Berghänge links und rechts verengt, ich laufe auf schmalen Pfaden durch zunehmend enger werdende Schluchten.



                    Schräg an den Hängen ist der schotterige Pfad mitunter ausgesetzt, häufig kaum zu erkennen und aufgrund des nachgiebigen Untergrund durch das lose Gestein auch nicht ganz einfach zu laufen. Hin und wieder geht es ziemlich steile Schotterhänge hinab und auf der Gegenseite gleich wieder hinauf. Ohne Trittsicherheit geht hier nichts, schweißtreibend ist die Angelegenheit noch dazu. Alternativ zu dieser Route führt die Piste zum Parkplatz Illikambur oben auf dem Kamm durch wahrscheinlich einfacheres Gelände.


                    Steile Schotterhängen sind für diesen Routenabschnitt charakteristisch

                    Trotz einiger Wolken ist mir heiß, es geht kaum Wind. Erneut bin ich nur im Langarmshirt unterwegs.


                    Nach dem "Schafspfad-Abschnitt" werden Pfad und Landschaft wieder etwas weiter.


                    Kurze Kaffeepause bei bestem Ausblick, den nächsten Aufstieg vor Augen.


                    Enge Schluchten weichen weitläufigen Panoramen


                    Bald führt der Weg über durchgängiges Grün.


                    Die Berge werden bunt.


                    Ich treffe wieder auf die Piste zum Parkplatz.

                    Bunte Berge begleiten mich bis zum Illikambur, mir begegnet jedoch kein einziges Fahrzeug. Vom Parkplatz aus geht es über schroffe Serpentinen hinab über Schotter in ein idyllisches Postkarten-Tal. Die Hütte Múlaskáli liegt als kleiner Farbtupfer mittendrin. Von oben betrachtet könnte das auch ein Gemälde sein.


                    Blick in das malerische Tal vor dem Abstieg.


                    Rechts komme ich her, links geht es weiter.

                    Unten angekommen folgt der Weg einer weiten Schleife der Jökulsá, man läuft in einem Bogen um die Hütte herum. Mittag ist durch, ich bin sehr gut vorangekommen, also wird es Zeit für's Mittagessen. Die Sonne scheint gerade durchgängig und so schlage ich mein kleines Lager in einer Wiese etwa einer Kilometer vor der Hütte entfernt auf.


                    Mittagspause mit Aussicht

                    Noch während das Trekkingfutter im heißen Wasser aufquilt, treffe ich die Entscheidung, weiterzulaufen. Es ist noch nicht ganz 13 Uhr, das Wetter ist prima und mich zieht es weiter. Eine Bauchsache, ich lasse mich treiben.

                    Frisch gestärkt lasse ich nach der Pause die Hütte rechts liegen, nach einer kurzen und harmlosen Kletterpartie mit Seil überquere ich die Jökulsá über eine schmale Hängebrücke und biege dann links ab Richtung Egilsell.


                    Einige hundert Meter führt der Weg am rechten Ufer des Flusses entlang


                    Zwei Schilder, zwei Routen-Optionen

                    Dann bieten Schilder mit der Beschriftung „Egilsell“ zwei Optionen, einmal über die Leiðartungur oder über „Milli gilja“. Ich entscheide mich für die letztere, steile Variante, die direkt rechts ab und ziemlich geradeaus bergauf führt. Nach einigen heftig anstrengenden Höhenmetern revidiere ich die Entscheidung und bleibe erst einmal schnaufend stehen. Hm, das geht noch ein Stückchen so weiter, die andere Option sollte flacher verlaufen. Also steige den rutschigen Hang wieder hinunter, unten wetzt ein älterer Herr vorbei, er legt mit seine Trekkingstöcken ein ziemlich zackiges Tempo vor. Wir winken uns kurz zu. Noch bevor ich wieder unten bin, ist er weiter gelaufen und außer Sichtweite.

                    Der andere Weg führt noch etwas länger am Flussufer entlang, dann hat der Fluss den Pfad gefressen. Es geht recht' nach oben in's Gelände, erneut ziemlich steil und auf losem Untergrund. Nun ja, hoch und aus dem Tal heraus muss ich ja, daran führt kein Weg vorbei. Plötzlich steht der Mann von vorhin vor mir, es ist der Hüttenwart. Wir unterhalten uns kurz und seine Frage, ob ich nach Egilsell wolle, bejahe ich. Wo es weitergehe, frage ich. Vor mir sperrt nämlich eine Kette den Weg. Nein, lacht der Hüttenwart - die Kette sei zum Abseilen da. Ich schaue über die Kante, hinter der die Kette verschwindet. Tatsächlich, da ist der Pfad. Typisch Island! Der Hüttenwart verabschiedet sich, dreht um und rennt in einem absurden Tempo den Steilhang hinunter. Er mache das täglich, sagt er mir noch vorher. Weg ist er. Mich wundert langsam nichts mehr. Die Kameraausrüstung wird im Rucksack verpackt, dann seile ich mich an der Kette in den Stich ab. Auf der Gegenseite geht es ähnlich steil wieder hoch.


                    Ketten als Kletterhilfe für allzu steile Hänge

                    Der Haltbarkeit der Kette kann ich hier nur vertrauen, denn für einige Meter ist sie meine einzige Stütze. Hinter dieser kurzen Kraxelei erwartet mich ein Märchenland. Das entschädigt wirklich für jeden noch so schmalen und bröseligen Geröllpfad heute! Ungläubig laufe ich durch hohes Gras, in losen Abständen stehen übermannshohe Birken, von Wind und Wetter geformt und zu skurrilen Formen gezwungen.


                    Hier kann man's aushalten




                    Birken, Blumen, Gras

                    Würde mir hier eine Elfe oder ein Troll durch‘s Bild marschieren, ich wäre keine Sekunde verwundert. Schon alleine für diesen Abschnitt hat sich die Umkehr auf dem steilen Aufstieg zuvor gelohnt, auch wenn ich natürlich nicht sagen kann, wie diese optionale Route weiter oben verlaufen wäre. Sanft oder zumindest weit weniger steil wir auf dieser Etappe bisher, geht es über den Südwesthang Leiðartungnagil bergauf und mit jedem Höhenmeter wird die Sicht im Rücken eindrucksvoller.


                    Mit den Höhenmeter kommt die Aussicht


                    Rechts im Bild der Öxarfellsjökull, ein Ausläufer des Vatnajökull

                    Die Vegetation zieht sich langsam zurück, erste Schneereste schleichen sich ein. Oben auf der Ebene angekommen, mache ich noch ohne Niederschlag meine Kaffeepause an einem größeren Geröllhaufen. Hinter mir kündigt sich jedoch schon seit geraumer Zeit ein Wetterchen an. So richtig Ruhe habe ich daher jetzt nicht mehr, denn entweder suche ich mir hier einen Platz, oder aber ich erreiche die Hütte Egilssel. Ich entscheide mich für die Hütte und marschiere einen Müsliriegel später weiter bergauf.


                    Blick zurück nach Südwesten Richtung Vatnajökull


                    Der Pfad führt über immer mehr Schneefelder

                    Oben auf der flachen Hochebene angekommen, finde ich wie erwartet keine brauchbaren Campingplätze. Wasser wäre da, Wind jedoch ebenfalls. Ich passiere ich zwei namenlose kleine Seen und halte weiter Richtung Norden auf die am Kollumúlavatn gelegene Hütte Egilssel zu.


                    Campingplätze mit Wasser gäbe es genug, aber man ist dem Wind ziemlich ausgeliefert



                    Nach Überquerung der Ebene öffnet sich die Sicht im Norden, es geht mit leichtem Gefälle langgezogen hinab ins Tal. In der Ferne sehe ich die Hütte direkt am See. Es ist einfach zu gehen hier obwohl der Hand sehr nass ist und sich viel Wasser im Gelände befindet.


                    Der Kollumúlavatn, rechts davon die Hütte

                    Am Kollumúlavatn angekommen muss ich tatsächlich noch über eine kleine Furt. Es ist später Nachmittag, vor ein bis zwei Stunden hätte ich den See-Abfluss noch bequem über einige Steine gequert. Jetzt sind diese überspült. Also lasse ich das lieber, denn glitschige Steine und Bruchlandungen in tiefen Bächen sind alleine im Hochland kein gute Idee. So packe ich für die letzten Meter meine Furtsandalen erneut aus. Die Hütte selbst ist dann mit gleich mehreren Zahlenschlössern gesichert und wie erwartet auch verschlossen. Eine Gehminute hinter der Hütte schlage ich windgeschützt mein Zelt auf, kurz vor Tageskilometer 22. Abspannsteine sind genügend da, in einiger Entfernung steht ein Klohäuschen.


                    Windgeschütztes Camp hinter der Hütte


                    Camp mit Klo und Aussicht an der Hütte Egilssel

                    Wasser hole ich am Bach gleich auf Vorrat, dann wird die Küche angeworfen. Der Wind weht zunehmend schärfer, bald hüllt Nebel mein Zelt ein, isländischer Niesel kommt auf. Ich bin froh, jetzt im warmen Zelt zu liegen, verfasse meinen Aufschrieb und schwelge in den Erinnerungen über die abwechslungsreiche Etappe. Im Endeffekt wäre es kein Fehler gewesen, an der Múlaskáli für den Tag Station zu machen, denn die Gegend ist mit Sicherheit für einige Tage Erkundung gut. Durch meine ungeplante erste Etappe von Höfn aus war ich eben auch einen Tag „hinten“. Das ist zwar mehr eine Sache der Psyche denn ein echtes Problem, schließlich bietet der Etappenplan durchaus Luft für genau solche Dinge. Aber man kennt sich selbst ja auch.

                    An den unzähligen Auf- und Abstiegen mit guter Fernsicht bin ich heute oft stehen geblieben und habe mir ein „Wow“ gedacht und das eine dere Mal auch laut ausgesprochen. Hört ja niemand. Heute bin ich in das Hochland hinein gelaufen und da wollte ich schließlich hin. Morgen geht es nordwestlich weiter Richtung Snæfell, dem ersten großen Etappenziel dieser Tour.

                    Bis zur Geldingafellskali möchte ich morgen kommen, davor gilt es jedoch einige Gewässer zu queren. Viel Wasser, nasse Böden, Restschnee - ich bin gespannt, was mich erwartet ...
                    Zuletzt geändert von Styg; 28.05.2017, 14:02.

                    Kommentar


                    • Hapi
                      Erfahren
                      • 22.09.2015
                      • 426
                      • Privat


                      #11
                      AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                      ...vielen Dank für die tollen Bilder! Sehr nett geschrieben!

                      *Abo*
                      Look deep into nature and you will understand everything better (A. Einstein)

                      Kommentar


                      • Styg
                        Gerne im Forum
                        • 01.05.2014
                        • 86
                        • Privat


                        #12
                        AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                        15.7. Egilsell - Geldingafellskali

                        In der Nacht regnet es, Wind zerrt immer wieder heftig am Zelt. Gegen sechs Uhr wache ich das erste Mal auf, draußen ist es nach wie vor trübe und vor allem nass, zwei Stunden später bin ich dann halbwegs mit dem Wetter einverstanden und stehe auf. Es sei für die Nachwelt dokumentiert, dass das Klohäuschen hier ganz formidabel ist! Auf dem wenigen Metern dorthin schaue ich mir das Wetter rund um das Camp an: Keine Sonne heute, bedeckter Himmel und immer noch windig.

                        Es riecht nach Regen. Das wird so bleiben, denke ich. Frühstück im Zelt. Wie schon die Tage zuvor gibt der Rest Chilli der Nudeln vom Abendessen dem Müsli am Morgen eine besondere Note mit. Für zu Hause unbedingt merken. Ich trinke meinen Kaffee - davon kann ich auch auf Island nicht lassen - und komme langsam in die Gänge. Fußpflege, keine Blasen, Gehapparat in bester Ordnung. Mal schauen, was der Kopf heute macht.

                        Ich schlage mein Lager ab, dann geht es los Richtung Geldingafellskali. Die Gehmoral heute ist eher so mittel, das steht bereits nach wenigen Metern fest. Trübes Wetter setzt sich in diffusen Gedanken fort. Das Gebiet um den See herum ist feucht, eher schon naß, ich umlaufe diesen nördlich. Am Nordufer passiere ich bald einige passable Campingmöglichkeiten, mit den typischen Steinmauern und frei herumliegenden Hering-Steinen auch deutlich als solche erkennbar.


                        Hütte Egilsell


                        Blick zurück zur Hütte Egilsell


                        Viele kleine Wasserläufe rund um den See herum

                        Den Lónsöræfi-Weg der map.is-Karte finde ich hingegen nicht obwohl ich die GPS-Koordinaten mehrfach quere. Macht aber nichts, damit war zu rechnen. Hin und wieder deuten sich Pfade für an, in der Mehrzahl vermutlich Schaafspfade. Die schmalen Linien im Gelände verlaufen sich fast immer schon nach wenigen Schritten. Also laufe ich weglos über eine moorig-grüne Landschaft. Mir ist das ganz recht so.

                        Meine Schritte schmatzen im weichen Untergrund, zudem habe ich eine Befürchtung hinsichtlich der Dichtheit meiner Schuhe. Leider bewahrheitet sich diese im Lauf des Tages. Nasse Füsse, das darf nicht wahr sein! Mit den Höhenmetern im Kollumúlahraun kommt dann der Schnee. Auf 840m weht der Wind scharf von hinten, Regen hat sich auf meinen ersten Kilometern eingeschlichen. Größere Schneefelder bestimmen bald das Landschaftsbild.


                        Schneller geht's über Schneefelder

                        Das Gelände ist mit Wasser vollgesogen und etwas geröllig. Ich komme nicht wirklich schnell voran, da immer wieder sumpfige Flächen, kleinere Tümpel und Wasserläufe umlaufen werden müssen. Es geht stetig bergauf, bald lasse ich die tief eingeschnittene Jökulsa links liegen und hinter mir, inklusive toller Aussicht auf deren Ursprung im tief eingeschnittenen Vesturdalur: Aus dem Fuß des Vesturjökull gleich um‘s Eck entspringt die Jökulsá.




                        Die Jökulsá verabschiedet sich

                        In der Nachbereitung der Reise finde ich auf Karten (z.B. www.map.is) die Lónsöræfi-Route, die hier bereits die Vesturdalsá quert, dann etwas weiter westlich läuft und später wieder im Norden vor der Geldingafellskali mit meiner Route zusamenkommt. Ich habe die eingezeichnete Furt dieser Route jedoch nicht gesehen und auch nicht auf Fotos gefunden sodass ich nicht sagen kann, ob dieser Routenverlauf etwas einfacher ist oder gewesen wäre.

                        Es geht weiter bergauf, meine Schuhe samt Socken sind definitiv nass, ganz prima. Ich bin angespannt. Es könnte kniffelig werden, eine sichere Route über die an einer Kette aufgereihten Seen Fremstavatn, Míðavant, Innstavatn und Kelduárvatn zu finden. Das mag im Hochsommer und zu einer trockenen Periode anders sein, aber hier und heute liegt noch Restschnee in großen Mengen, die Schmelze ist in vollem Gange und der Nieselregel dürfte zwar vernachlässigbar sein, senkt die Wassermenge im Gelände aber auch nicht wirklich. Von der Sonne ist heute den ganzen Tag nichts zu sehen.



                        Mein GPS-Track und die Karte führen ihre Route hier über den Fluss, ich erkenne an einer Stelle am Gegenufer auch gelbe Markierungspfosten. Eine Brücke gibt es nicht, falls doch, ist sie unter Schnee begraben. Eine Furtung ist bei diesen Wassermassen an dieser Stelle jedoch völlig ausgeschlossen. Die Vesturdalsá, die die vier Seen miteinander verbindet, ist ein schneller und reißender Fluss: Entweder ich finde eine sichere Schneebrücke, oder aber ich kehre um oder sondiere andere Optionen.

                        Den ersten See umlaufe ich nördlich, dann mache ich hinter einem großen, freistehenden Felsen eine windgeschützte Pause und sondiere meine Karte genauer. Socken trockenlegen. Erst hier verpacke ich mich vollständig regendicht, ein klassischer Fehler, den ich aus unerfindlichen Gründen seit Jahren wiederhole. Denn ich bin nun schon einigermaßen nass. Gedämpfte Laune, selber schuld, dieses Problem wird mir wohl erhalten bleiben. Aber was hilft‘s, hier muss ich durch. Hier möchte ich durch.


                        Ein kleiner Nebenarm der Vesturdalsá


                        Vesturdalsá und Restschnee


                        An eine Furtung ist nicht zu denken

                        Im weiteren Verlauf am Fluss entlang habe ich die Schneebretter über der Vesturdalsá immer im Blick. Das Kameraobjektiv ist beschlagen, daher sind die Aufnahmen hier einigermaßen milchig. Fotografieren liegt hier gerade aber nicht unbedingt im Fokus. An den meisten Stellen sind die Schneebrücken über das Gewässer wenig vertrauenswürdig, eingesunken, schmal und oft brüchig.



                        Zwischen dem Midvatn und Innstavatn, See Nummer zwei und drei, finde ich schließlich eine dicke und breite Schneebrücke ohne Absackungen. Der Fluss ist hier auf vielleicht 200 Metern noch vollständig vom Schnee überdacht. Sieht solide aus. Ich laufe ein Stückchen weiter und auch wieder zurück, um die Lage zu sondieren. Keine Risse, keine Fugen. Der Fluss macht keine Kurve und ist recht breit, an den Öffnungen der Schneebrücke ist selbige einen guten Meter dick. Sieht immer noch gut aus. Dann nehme ich mir ein Herz und laufe zügig und mit flachen Schritten über die gefühlt gefährlichsten 50 Meter der Tour.


                        Irgendwo im Nirgendwo

                        Drüben! Ich bin erleichtert, diese Schlüsselstelle hinter mich gebracht zu haben, die Anspannung fällt ab. Fotos gibt es keine, die Kamera war im Rucksack verpackt.

                        Nach wie vor nieselt es in Kombination mit kräftigem Wind, es bleibt relativ ungemütlich hier oben. Die Mittagspause entfällt heute wohl. Dafür bin ich jetzt auf der richtigen Seite, habe freie Bahn und kann den Kelduárvatn, See Nummer Vier, südwestlich am Ufer umlaufen. Soweit es geht, nutzte ich jetzt die großflächigen Schneefelder zum zügigen Vorankommen.


                        Mit nassen Füßen Richtung Geldingafellskali

                        Das Gelände führt bald sanft bergab, ich gebe Höhenmeter her und bekomme auf der Leeseite etwas weniger Wind und Regen im Tausch. Der fast durchgängige Restschnee verringert sich mit jedem Schritt, gerölliger und grober Untergrund kommt zum Vorschein. Auch darauf läuft es sich gut. Die Geldingafellskáli kommt wie erwartet erst auf den letzten Metern in Sicht.



                        Sie ist verschlossen, Zeltplätze sind Mangelware. Der Boden um die Hütte herum ist ziemlich matschig, zudem müsste ich Schnee für Frischwasser schmelzen. Es ist später Nachmittag. Mein Bauchgefühl sagt „Lauf weiter!“, ich höre drauf und laufe weiter. Der schwierige Teil der Etappe liegt hinter mir, da stört mich auch eine einfache Furt unterhalb des steilen Abstiegs von der Hütte in‘s Tal nicht mehr. Hier unten liegt dann auch kaum noch Schnee.

                        Nach dieser Furt kommt der typische zweite Wind auf: Trotz durchweichter Füße bin ich guter Laune und beschließe, noch etwas Strecke zu machen. Es läuft gerade auch!


                        Die Landschaft wird weit und eben, der Boden ist fest.

                        Weglos geht es über weite steinerne Ebenen Richtung Eyjabakkar. Das Gehen hier ist fast schon meditativ. Es ist sehr ruhig hier und Fotos geben die friedliche Stimmung in keinster Weise wieder. Auch die Landschaft ist alles andere als langweilig. Ich laufe von einem angepeilten Fixhügel zum nächsten und halte die Augen offen: Trotz der Weitläufigkeit sind gute Zeltplätze mit weichem Untergrund hier relativ rar und vernünftige Zeltplätze in Wassernähe sogar ziemlich selten.


                        Zeltplatzsuche auf einem gigantischen Schotterparkplatz

                        Schließlich werde ich fündig und schlage eine gute Gehstunde nach der Geldingafellskali mein Zelt windgeschützt auf weichem Untergrund auf. Der Frischwassertümpel in der Nähe ist eigentlich nur eine riesige Pfütze und damit stehendes Gewässer, durch den heutigen Dauerniesel aber wohl unbedenklich. Heute bin ich deutlich weiter gekommen, als ich erwartet hätte. Es ist duster, windig und nieslig. Ich bin nach 28 Tageskilometern trotzdem mehr als zufrieden, lege meine Schuhe trocken, kümmere mich im warmen Zelt um das Abendessen und schlafe dann ziemlich rasch ein.



                        Morgen führt mich meine Route durch das Eyjabakkar, dann rückt der Snæfell in einem weiteren Wandertag in Reichweite.

                        Kommentar


                        • Borgman
                          Dauerbesucher
                          • 22.05.2016
                          • 768
                          • Privat


                          #13
                          AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                          Oh toll, es geht weiter und bleibt spannend! Sehr eindrucksvoller Bericht, freue mich schon auf die Fortsetzung.

                          Kommentar


                          • evernorth
                            Fuchs
                            • 22.08.2010
                            • 1835
                            • Privat


                            #14
                            AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                            Toller Bericht, gut geschrieben und ebenso gute Fotos. Spannend und schön, daß es weiter geht.
                            Bin neugierig, wie es weitergeht.
                            My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                            Kommentar


                            • Styg
                              Gerne im Forum
                              • 01.05.2014
                              • 86
                              • Privat


                              #15
                              AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                              16.7 Eyjabakkar süd - Eyjabakkar Nord

                              Nachts regnet es. Ich schlafe schlecht ein, weil mir kalt ist. Das Zelt ist nicht tief genug abgespannt. Weil ich faul bin, krame ich irgendwann nachts den Bivaksack raus, packe mich zur Hälfte ein und schlafe weiter. Ich wache auf, es regnet. Erwartungsgemäß habe ich dank Bivaksack ein kleines Kondensproblem in Form eines leicht klammen Daunenschlafsacks. Es ist ja nicht so, dass man's nicht vorher wüßte. Ich komme schwer in die Gänge und bin etwas motivationslos. Meine Schuhe sind noch klamm, bei der Luftfeuchtigkeit trocknet natürlich nichts so richtig. Geht gut los heute.

                              Nach einem knappen Frühstück baue ich das Zelt in einer kurzen Regenpause ab, dann stapfe ich in Regenklamotten los. Nach den ersten Schritten beginnt es zu schütten, meine Schuhe sind bald schon wieder patschnaß. Anfangs passiere ich noch einzelne Schneefelder, diese sind ziemlich weich und gehen langsam aber sicher in Matsch und Sumpf über. Auf dieser Etappe ist das Umlaufen von sumpfigen Flächen und kleineren Wasserläufen an der Tagesordnung. Flach zwar, aber dennoch alles andere als eine zügige Wander-Autobahn.


                              Trübetassenwetter zum Etappenstart

                              Kennzeichnend für die Etappe ist, dass es die gesamte Etappe über am Ostufer der in weiten Bögen und mit vielen Ausläufern versehenen Jokulsá í Fljótsdal entlang geht. Dieser große und breite Wasserlauf nimmt am Fuße des Eyjabakkajökull seinen Lauf. Das beindruckend breite Eisschild des Vatnsjökullausläufers hat man den ganzen Tag über im Rücken. Viel sehen tue ich davon heute nicht, den ganzen Tag über sorgen Regen und dichte Wolken für stumpfes, trübes Licht.

                              Ich suche einige Minuten nach einer Überquerungsmöglichkeit eines kleinen Wasserlaufs. Das Bächlein selbst ist nicht das Problem, vielmehr Matsch und Schlamm drum herum. Dazu kommt, dass man mit etwas Islanderfahrung weiß, wie lange tiefe Fußspuren hier überdauern und was sie anrichten können. Ich finde eine Möglichkeit und laufe weiter. Der Wind dreht, vorhin kam er noch von hinten, jetzt kommt er von der Seite. Bald bläst er mich von vorne an. Ich hadere mit einer allgemeinen Unzufriedenheit und dem Universum an sich.

                              Der Wind dreht erneut, ich quere seit geraumer Zeit einen sanften Aufstieg. Dann stehe ich wieder vor meinen eigenen Fußspuren. Ich habe tatsächlich das Kunststück fertig gebracht, einen guten Kilometer lang einen formschönen Kreis auszulaufen, rund herum um eine Kuppe. Meine Güte, alles was Dir hier passiert, liegt in deiner eigenen Verantwortung, also hör' mir dem Gejammer auf und ziehe die Etappe durch, wie man eben eine Etappe durchzieht. So oder ähnlich dürfte ich mir die Leviten gelesen haben. In den Aufzeichnungen steht „habe mich berappelt“ und so war‘s auch. Es ist neblig, ich habe keinen passablen Peilberg und bin unaufmerksam. Der Aufbruch heute erfolgte in nervöser Eile, dabei habe ich im Endeffekt alle Zeit der Welt und keinerlei Zeitdruck. Eine mentale Formschwäche, das passiert, aber ohne Weg und Pfad, dem man hinterhertrotten her, sollte man so etwas auf die Seite schieben. Lektion gelernt.

                              Mit Karte und GPS laufe ich dann orientierter weiter. Die Route führt am Westufer des Kelduárlón vorbei, ohne diesen jedoch zu Gesicht zu bekommen. Bis zum Nachmittag sollte ich am des Ufsarlón angekommen sein, sagt der Etappenplan. Der Wind ändert im Verlauf des Tages auch nicht mehr plötzlich seine Richtung. Dafür ist die Gehmoral ziemlich mies, denn schon bald beginnt mein rechtes Knie zu zwicken. Ich weiß, was das kurzfristig und auch auf die Tour betrachtet bedeutet. Aus einem sanften Ziehen und Zwicken werden bald seriöse Schmerzen, die mich zur Pause zwingen. So kann ich nicht weiterlaufen.


                              Mittagspause hinter steinernem Regenschutz.

                              Im Regenschatten eines größeren Felsen schlage ich mein Lager auf. Gut, liebes Universum, dann eben Mittagspause. Alles ist besser mit Jägertopf und Ibuprofen! Auf die Einnahme von Schmerzmitteln aufgrund von Überlast bin ich nicht stolz, ohne hätte ich einen Tagesradius von vielleicht noch 8km gehabt. Laufen, Pause, laufen, Pause - das wäre gegangen. Kleine Aktionsradien mag ich nicht, sei es durch Wassermangel oder physische Einschränkungen. Als ich da so essend auf einem Grashügelchen saß, ging mir das durchaus durch den Kopf - vor allem in Hinblick auf die Etappen, die noch vor mir liegen sollten.

                              Nach dem Essen tut mir vor allem leid, dass ich so wenig Jägertopf dabei habe. Ich beschließe, die letzte Packung für die Askja aufzuheben. Fernziel, Selbstmotivation. Irgendeine Möhre muss man sich ja hin und wieder vor die eigene Nase hängen, denke ich mir. Dann geht es deutlich besser gelaunt weiter.


                              Ein einzelner, kurzer Lichtblick.


                              Gegen Nachmittag lässt der Regen nach.


                              Durch das Eyjabakkar, das Bild veranschaulicht die Landschaft recht gut.

                              Meine Route korrigiere ich leicht, weg vom vielen Wasser im Westen, hin zu leicht höher liegenden Erhebungen im Norden. Der Vulkan Snæfell zeigt mir im Westen heute nur seinen Fuß. Der Regen hört auf und irgendwann später bekommen sogar die Wolken Konturen. Perfektes Wanderwetter! Ich laufe an einer frischen, sehr tiefen und ziemlich hässlichen frischen Jeepspur vorbei. Eine alte Jeepspur, wohl im Sommer und damit ohne tiefe Einschnitte entstanden, läuft in weiten Kurven entlang meiner Route, ich kreuze sie immer wieder.


                              Ufsarlón-Querung mit manueller Seilbahn.

                              Dann stehe ich vor dem Ufsarlón. Dass dieser eine technische Anlage bzw. ein Stausee ist, ist nicht zu übersehen. Neben einer manuell zu bedienenden Seilbahn ans Gegenufer steht ein Schild „Fußgänger verboten“. Die Frage einer Furtung stellt sich an dieser Stelle aber überhaupt nicht. Mag sein, dass es im Hochsommer ein Zeitfenster zur Überquerung gibt, aber hier und heute ganz sicher nicht. Mich stört das nicht, nach meinem Plan wäre ich sowieso um den See herumgelaufen. Während ich da so stehe und die Aussicht genieße, entdecke ich am Gegenufer einige dunkle Punkte. Andere Wanderer, die anscheinend nach einer Möglichkeit zur Überquerung suchen. Ich werde ihnen jedoch nie begegnen. Dann laufe ich weiter am Ufer des Sees entlang. Ich weiß, dass ich demnächst auf eine geteerte Straße stoßen werden, die ihrerseits die Jökulsá í Fljótsdal überbrückt.


                              Flüsse gibt's, die's garnicht geben sollte!

                              Am Südufer des Ufsárlon wird man unweigerlich auf einen Fluss stoßen, der seltsam künstlich wirkt. Ist er nämlich auch. Die Fließgeschwindigkeit ist sehr hoch, reißend fast, die Farbe des Wasser will auch nicht so recht passen und die Uferböschung schon gar nicht. Noch irritierender ist, dass dieser Fluss auf diversen Karten noch nicht verzeichnet ist, etwa (Stand Juni 2017) auf openstreetmap, hier fehlt sowieso noch der ganze See selbst. Auf meiner Wanderkarte war er ebenfalls noch nicht eingezeichnet, aber ich war durch die Lektüre anderer Reiseberichte vorgewarnt. Ein Blick auf map.is an der entsprechenden Stelle schafft dann Klarheit: Der künstliche Fluss ist vorhanden und eingezeichnet. Wichtiger noch: Der Fluss ist zwar definitiv nicht zu furten, aber man kann ihn ganz einfach umlaufen.





                              So laufe ich also am künstlichen Ufer einige hundert Meter zurück und an allerlei Baumaterialien vorbei, bis ein technisches Bauwerk in Sicht kommt, dass diesen Fluss tief aus dem Boden kommend ausspuckt. Der Betonbunker bildet auf der map.is-Karte eine gerade Linie zum Kelduárlón. Tatsächlich entspringt das Wasser einer unterirdischen Zuleitung aus diesem südwestlich gelegenen See, der als Reservoir dient. Der künstliche geschaffene Ufsarlón ist ein Zulauf bzw. Stausee für das deutlich größere Hálslón-Reservoir und damit Bestandteil der Kárahnjúkar-Anlage, eines der größten Wasserkraftwerke Europas.

                              Der Staudamm des Reservoirs selbst liegt noch zwei Tagesetappen entfernt. Mir reicht es für heute, ich möchte erst morgen über die Brücke. Und so empfinde ich es dann als angenehmen Ausklang der Etappe, dass ich einige Gehminuten später einen wundervollen Campground finde. In einer Wiese leicht versenkt gelegen schlage ich mein Lager auf, mit direktem Wasseranschluss und - bei gutem Wetter - perfekter Sicht auf den Vulkan Snæfell.


                              Camp am Hálslón

                              Da eine leichte Brise geht, lege ich meinen Schlafsack an die frische Luft und trockne auch die restliche Ausrüstung, während ich das Abendessen zubereite. Heute bin ich 18km weit gekommen, mit Rücksicht auf mein Knie und auch das schwierige Gelände völlig in Ordnung. Eigentlich sieht es sogar eher so aus, als würde ich meine erste unfreiwillige Etappe wieder einholen. Morgen möchte ich über eine Schulter des Snæfell zur Hütte auf der anderen Seite. Gutes Wetter wäre toll!
                              Zuletzt geändert von Styg; 14.07.2017, 21:14.

                              Kommentar


                              • SouthWest
                                Erfahren
                                • 28.03.2013
                                • 373
                                • Privat


                                #16
                                AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                Lässt sich echt toll lesen der Bericht. Die Fotos sind eh klasse.

                                Hoffe das mit dem Knie wird nicht zu böse.

                                Danke fürs Aufschreiben!

                                Kommentar


                                • Styg
                                  Gerne im Forum
                                  • 01.05.2014
                                  • 86
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                  17.7.2017 Eyjabakkar Nord - Hütte Snaefell

                                  Es dauert eine ganze Weile, bis ich im Schlafsack warme Füsse bekomme und schlafen kann. Sehr früh am nächsten Morgen weckt mich das Fehlen von Regentropfen auf dem Zelt auf. Kaum umgedreht, schlafe ich weiter und träume wirres Zeug, greife aber auch einige Gedanken, auf denen ich auf der heutigen Etappe in aller Ruhe herumkauen kann. Auf an‘s Tagwerk, ich schlage die Augen auf - draußen es ist hell, im Zelt ist es außerdem warm. Gutes Wetter? Durch die rechte Apsis scheint die Sonne. Zelt auf, Kopf raus - keine Wolke, strahlend blauer Himmel und warm noch dazu. Einige Handgriffe später liegen alle feuchten oder nassen Ausrüstungsgegenstände zum Trocknen in der Sonne. Allen voran natürlich das Schuhwerk. Am linken Fuß habe ich mir durch die Nässe zwei offene Stellen eingehandelt, ich verarzte mich. Heute möchte ich trocken laufen.





                                  Dann sitze ich beim Frühstück faul im Gras und lasse mir die Sonne auf den Pelz brennen. Direkt neben dem Zelt murmeln und glucksen zwei kleine Wasserläufe beruhigend. Aus einiger Entfernung mischt sich das Rauschen des Künstlichen Flusses™ hinzu. Die Etappe selbst beginne ich eher spät am Vormittag, erst soll alles trocken sein. Das Verlassen des Campgrounds ist Gewohnheit geworden und geht schnell von der Hand. Alles im Camp hat seinen Platz, auch wenn‘s für Aussenstehende mitunter sicher chaotisch aussehen mag.


                                  Der Pfad führt rechts am Gipfel des Snæfell vorbei

                                  Kurz vor 10 Uhr laufe ich im T-Shirt los, nur wenige Quellwolken haben sich gebildet. Heute möchte ich vom Ufer des Ufsarlón bis zur Hütte Snaefellsskali laufen. Die Etappe sollte nicht allzu schwierig sein, lediglich die Überquerung eines Ausläufers des Vulkans steht an. Trockenen Fusses lasse ich die Wiese mit meinem Nachquartier hinter mir, treffe auf die Straße und folge dieser bis zur Brücke über die Jökulsá í Fljótsdal.


                                  Laut diesem Schild ist der Künstliche Fluss wohl hin und wieder ausgeschalten

                                  An der Brücke angekommen, trenne ich unbeabsichtigt und einfach durch meine Anwesenheit ein junges Schaf vom Muttertier. Das Jungtier drückt sich schon bald routiniert durch die quadratsiche Masche eines Drahtzauns, während ich mich nur wundere, wie dürr die Viecher unter der Wolle doch tatsächlich sind. Aus sicherer Entfernung beobachte ich schon bald die glückliche Familienzusammenführung unter lauten Mähs und Böhs.

                                  Hinter der Brücke führt die Strasse Richtung Süden am Westufer des Kelduárlón entlang, später knickt sie im rechten Winkel nach Westen ab. Um diesem Knick nicht hinterherzulaufen und unnötig Strecke auf einer Piste zu verbringen, kürze ich südwestlich durch‘s Gelände und entlang der Hafursá ab. Es geht über flache, grüne Wiesen, und auch hier ist noch viel Wasser im Gelände, wenn auch lange nicht so viel wie noch in den beiden Vortagen. Die Sonne scheint und brennt sogar. Meine Mittagspause mache ich kurz unterhalb der etwas höhergelegenen Piste, die ich über meine Abkürzung nun fast wieder erreicht habe. Chicken Curry und Ibuprufen, denn mein rechtes Knie meldet sich erneut, wenn auch sanfter als gestern.


                                  Mittagspause bei bestem Wetter


                                  Wieder auf der Piste, rechts im Bild der Aufstieg.

                                  Nach der Pause geht es Richtung Westen weiter, der Snaefell liegt bestens sichtbar majestätisch etwas weiter im Südwesten. Am Fuße des Sandfell, einem Berg nördlich des Snaefell geht es an etwa 200 Höhenmeter Anstieg, über einen nördlichen Ausläufer des Vulkans. Dazu verlasse ich die Piste. Bleibt man hier auf selbiger, handelt man einen mehrere Kilometer langen Umweg in Form eines großen Bogens Richtung Norden, der die Tagesetappe ziemlich in die Länge ziehen dürfte. Daher führt mich meine Route bergauf und auf direkterem Wege Richtung Hütte. Wegweiser als auch die üblichen Pfosten markieren hier wieder den Weg zur Snaefellskalí. Noch unten am Fuß des Aufsteigs mogle ich mich mittels Schneebrücke über einen schmalen Wasserlauf. Prompt bricht diese ein, ich bleibe aber trocken. Hinauf geht es über grüne Wiesen, die Aussicht in das Eyjabakkar ist an diesem Tag wirklich toll.


                                  Blick zurück in's Eyjabakkar


                                  Immer wieder bleibe ich stehen um mich umzudrehen und die Landschaft zu genießen. Dann lasse ich dieses sumpfige Gelände endgültig hinter mir und betrete durch eine Verrengung zwischen dem Sandfell und einem namenlosen Berg eine Ebene.


                                  Schneefelder auf der Hochebene

                                  Hier liegt ein wundervoller blauen See zwischen zwei Hügeln, kleine Eisberge schwimmen darin. Ein Schneefeld am führt mich an diesem Gewässer vorbei und direkt in eine weite grüne Fläche, von unzähligen Wasserläufen durchzogen.



                                  Zehn Minuten später: Saftig leuchtendes, grünes Moos. Für mich einer dieser klassische „Island-Momente“, in denen sich die Eigenschaften der Landschaft binnen weniger Minuten völlig umkrempelt.







                                  Gelbe Pfosten führen am Rand dieses farbenfrohen Wasserdeltas vorbei, dann folgt nach einem sanften Anstieg über Schotter erst einmal ein gigantischer Ausblick Richtung Westen. Hier bleibe ich eine ganze Weile stehen und genieße: Bei bester Sicht erkenne ich die weit im Westen gelegenen Herðubreið, diese „Königin der Berge Islands“ ist fast 1700m hoch und daher kaum zu übersehen. Diesen Tafelberg werde ich, so alles einigermaßen nach Plan verläuft, in drei bis vier Tagen auf der letzten Etappe in die Askja passieren. Auf den im Tal als dünne Linien liegenden Pisten ziehen nahe als auch ferne Geländewagen lange Staubfahnen hinter sich her.



                                  Bevor ich dann über weite Schneefelder schräg hinter in das Tal Richtung Hütte absteige, nehme ich noch einmal Wasser zu mir. Die Landschaft ist wüstig, geröllig, vor allem aber sehr trocken. Vom Überschuss an Wasser im Eyjabakkar bin ich in nur wenigen Kilometern in das Gegenteil gelaufen. Unten am Bergfuß angekommen, schieben mich die mit Schmelzwasser vollgesogenen Geröllhänge dann doch näher die F909, als mir lieb ist. Bald habe ich mich meinem Schicksal ergeben und laufe auf der Piste in südsüdwestliche Richtung zur Hütte. Hin und wieder kürze ich einen Schlenker der Straße durch die Luftlinie ab.

                                  Das „Hi“, das ich einem der wenigen Offroad-Fahrer durch‘s offene Fenster auf seine Begrüßung entgegne, ist dann auch die erste Konversation, seit ich mich vor drei Tagen vom Hüttenwart der Múlaskalí verabschiedet habe. Piste laufen zieht sich. Auf den letzten beiden Kilometern meldet sich mein Knie erneut. Die Hütte kommt in der Ferne in Sicht, die letzten Meter sind ein schmerzafter Kampf.


                                  Die Snaefellskali kommt in Sicht, Wasser gäbe es auch ...

                                  Ich kürze querfeldein ab und muss mich dazu noch über einige sumpfige Flächen und auch einen schmalen Wasserlauf mogeln. Alle paar Schritte muss ich unter Schmerzen stehen bleiben, aber die Hütte in Steinwurfweite möchte ich jetzt ohne weitere Pause erreichen.

                                  Nach 22 Tageskilometern komme ich schließlich an der Hütte an, packe ich meinen Rucksack auf einen Stuhl auf der Veranda und gebe mich erst einmal diesem kurzen Gefühl der Schwerelosigkeit hin. Nach sechs Wandertagen bin ich an meinem ersten großen Etappenziel angekommen. Noch ist die Halbzeit der Tour noch nicht erreicht. Mein Knie funktioniert ohne Rucksack nach wenigen Minuten wieder ziemlich gut. Irgendwas stimmt da nicht. Dann bezahle ich bei den isländischen Hüttenwarten für Camping und Dusche und schlage mein Lager auf. Hinter der Hütte sind dazu Plätze gekennzeichnet, ein Pärchen mit PKW und Mountainbikes baut gerade ebenfalls ein Zelt auf. Ansonsten sind wir bis auf die drei Ranger in der Hütte alleine hier. Mich stört‘s nicht. Nach dem Verräumen des Hausrats liege ich erst einmal einige Minuten faul in der Sonne. Dann laufe ich einigermaßen erholt und vor allem barfuß - was für ein Gedicht! - zu den sanitären Anlagen. Duschen! Heißes Wasser!



                                  Mit der Heimat zu telefonieren, tut mir dann auch gut. Mit den Katzen alles in Ordnung, auch wichtig. Dann telefoniere ich mit einem guten Freund, wir lachen gemeinsam über meinen gestrigen „Kreislauf“ im Eyjabakkar am Vormittag. Den hat er dank spot und Onlinezugang natürlich auf der Karte gesehen. Dann sitze ich noch lange draußen und genieße einfach die Stille und die Natur um mich herum, vor allem aber die Tatsache, dass ich morgen einen Pausentag einlegen werde. Schön ist es hier!



                                  Ein junger Ranger kommt aus der Hütte und setzt sich zu mir. Die werden sich wegen meiner Humpelei Sorgen machen, denke ich mir. Neben dem Woher und Wohin sprechen wir dann auch tatsächlich über mein Knie. Überlastung sage ich, ein bis zwei Tage Pause, sagt er. Der Pausentag morgen ist sowieso fest eingeplant.

                                  Wir kommen auf eine Off-Road-Spur quer über den Campground zu sprechen, ziemlich hässliche Spuren. Er ärgert sich, dass er sich das Nummernschild des Fahrzeugs nicht gemerkt hat, denn die tiefen Spuren im Moos wären durchaus eine Strafe wert. Der Fahrer hat sogar einige absperrende Steinde zur Seite getragen, wohl um mit dem Auto sein Zelt vor Wind zu schützen. Der Fahrer hätte gesagt, dass das Wetter nicht wie versprochen gewesen wäre. Leute gibt‘s? Dann treten wir zu zweit die Spuren aus dem noch weichen Boden heraus. So gut es eben geht. Der junge Ranger studiert Biologie an der Uni in Reykjavic und macht gerade seinen Master. Was er im Herbst arbeitet, weiß er noch nicht. Es würde sich jedoch etwas finden, meint er zuversichtlich. Die Spur ist bald einigermaßen beseitigt, er geht zurück in die Hütte, ich in mein Zelt. Schlafen. Morgen ist Pause angesagt.


                                  18.7. Pausentag an der Hütte Snaefellskali

                                  Als ich auf morgens aus dem Zelt krieche, ist das Pärchen mit dem PKW und den Mountainbikes schon weg. Auf dem Weg zum Klohäuschen machen mir Knie als auch Fußsohlen klar, dass sie von dem Konzept der Pausentage ebenfalls überzeugt sind. Ist ja schon gut, ich seh‘s doch ein. Bin ja auch im Urlaub, nicht auf der Flucht. Meine Ok-Nachricht per Spot setze ich daher auch schon gegen 9 Uhr vormittags ab. Heute keine Kreise um Berge. Frühstücken und dann faulenzen im Zelt ist angesagt. Endlich lese ich wieder einmal mehrere Stunden am Stück, im Prinzip den gesamten Tag. Die Hütte wird frisch gestrichen - rote Grundierung, graues Dach. Zu den Essenspausen schaue ich den Handwerkern zu. Kann man so machen, denke ich mir nur. Ziemliche Hitze, die Sonne scheint heute durchgängig und einigermaßen unbarmherzig.


                                  Pausentag an der Snaefellskali

                                  Gegen Abend bezahle ich an der Hütte die Zeche für die zweite Nacht. Ein Isländer mit brutalem Sonnenbrand im grinst mich an, durch seine Skibrille hat er ein nicht ganz vorteilhaftes Muster mit hartem Rot-Weiß-Kontrast im Gesicht. Kann man so machen! Dafür hat er eine gigantische Ski-Abfahrt vom Gipfel hinter sich und ist damit auch sichtlich zufrieden. In der Hütte treffen ich außerdem einen Isländer, der dieselbe Strecke gelaufen ist, wie ich. Jetzt weiß ich auch, zu wem die Fußspuren gehört haben, die ich hin und wieder gesehen habe. Er hatte wohl einen Tag Vorsprung. Ich entschließe mich, morgen zu schauen, wie es um die Gehmoral steht. Eigentlich fühle ich mich jetzt ziemlich gut und das Wetter scheint mir einige schöne Wandertage zu bescheren. Mit etwas Glück bin ich in vier Tagen in der Askja.

                                  Kommentar


                                  • Styg
                                    Gerne im Forum
                                    • 01.05.2014
                                    • 86
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                    19.7. Snæfell - Hálslón

                                    Sie Sonne weckt mich früh am Tag im Zelt, gerade erst hat sie sich über den Snæfell erhoben. Bald bilden sich hoch oben einige Wolken, das verspricht Schatten und perfektes Wanderwetter. Ich stehe auf auf. Neben mir auf der Wiese steht ein Zelt, bald schon kriecht Emanuel auf Frankreich aus diesem heraus. Ihn hatte ich schon in der Nacht bzw. früh am Morgen gehört, als ich einige Mal kurz wach wurde und er rast- und vor allem schlaflos über den Campground lief. Ich biete ihm einen Kaffee an. Kurz darauf sitzen gemeinsam vor unseren Zelten, frühstücken und unterhalten uns über Lebenspläne. Er ist für sieben Wochen mit dem Fahrrad auf Island, zurück in seinen Alltagsjob will er später nicht mehr. In Westfrankreich, seiner Heimat, möchte er ein Ferienhaus kaufen, vermieten, reisen und nur über den Winter darin wohnen. Zuvor und heute will er aber erst einmal den Snæfell hinauf. Den Vulkan lasse ich ganz sicher aus, mein Knie würde das sehr wahrscheinlich nicht mitmachen und ich habe noch ein gutes Stück meiner Route vor mir. Aber laufen möchte ich heute wieder und so verabschiede ich mich von Emanuel und breche um kurz vor 10 Uhr in westliche Richtung auf.



                                    Vorbeugend nehme ich entzündungshemmende Schmerzmittel in niedriger Dosis, noch ist genügend Vorrat da. Zurück auf die Piste und ab über dunkles Gestein und eine wenig ausgefahrene Jeep-Spur. Bald lässt ein Hügel die Hütte hinter mir verschwinden. Den Sauðahnjúkar lasse ich links liegen, dann geht es sanft bergab in das Vesturöræfi, ein weites Marschland nicht ganz unähnlich dem Eyjabakkar, allerdings deutlich trockener.


                                    Im Rücken der Snæfell ...


                                    ... vor mir Vesturöræfi, der Tafelberg Herðubreið ist nicht zu übersehen.



                                    Ich folge weiter einer Piste, diese hat sich an einigen Stellen hässlich tief in den Boden eingegraben. Hier führt die Piste durch saftige und dichte Gastflächen, ein krasser Kontrast zum dunklen Schotter noch wenige Kilometer zuvor.


                                    Eingegrabene Piste im Vesturöræfi

                                    Nach guten zwei Stunden mache ich Pause am Ufer der Sauða. Hier liege ich gemütlich mit dem Rücken im Gras und genieße das Wechselspiel zwischen Sonne, Schatten und etwas Wind. Eine Entenfamilie ist mein Fernsehprogramm.





                                    Nach der Pause quere ich ich zwei einfache Furten, weil ich eine weite Biegung der Sauða nicht auslaufen möchte. Dafür kommt bald schon eine Hütte in Sichtweite. Die Sauðárkofi ist nicht auf meiner Papierkarte und auch nicht im GPS, aber auf map.is habe ich sie gefunden.


                                    Die Hütte Sauðárkofi

                                    Die Hütte ist unbewirtschaftet und verschlossen, genauer gesagt zugeschraubt. Ein Schraubenschlüssel liegt griffbereit neben der Tür. Das separat stehende Klohäuschen bietet bei offener Tür eine geradezu sensationelle Sicht auf den Snæfell, vorbei kommt hier jetzt garantiert niemand. Im Anschluss verlasse ich die Pistenspur, da diese Richtung Süden abbiegt und dann weiter dem Verlauf der Sauða folgt.

                                    Ich selbst quere das Gelände in nordwestlicher Richtung. Da hier wieder mehr Wasser im Gelände steht, komme ich etwas langsamer voran. Dennoch stehe ich schon bald und - wichtig - noch immer trockenen Fußes auf der aufgeschütteten Piste, die am Ufer des Hálslón entlangführt und am Nordende des Stausees zum Káranjhúkar-Staudamm führt.


                                    Links der Snæfell, rechts das Ufer des künstlichen Hálslón

                                    Dass dieser See künstlich ist, ist nicht zu übersehen. Am Ufer finden sich in regelmäßigen Abständen rechteckig ausgebaggerte Taschen. Später und nach meiner Rückkehr recherchiere ich, dass diese Aushebungen wohl kleine Sandstürme am Ufer des Hálslón unterbinden sollen.


                                    Taschen am Ufer gegen Sandstürme, eine kleine Variante davon rechts im Bild

                                    Dann ist Pause angesagt, denn nach etwa 15km meldet sich mein Knie wieder, wenn auch sanft. Also Kaffee, Oatsnack und Ipuprofen. Zumindest bis zur Askja möchte ich es noch schaffen. In der Hoffnung, dass es davon besser wird, dehne ich mich ausgiebig. Habe das Gefühl, dass sich ein Muskel an der Außenseite des Knies ständig verkrampft. Überlast kenne ich anders, seltsam. Nach der Pause möchte ich noch ungefähr zwei Stunden gehen, dann wäre ich fast an der Straße bzw. am Damm angekommen. Im Fall der Fälle sollte es hier auch per Daumentaxi weitergehen, zumindest aber wäre ich an einer befahrenen Straße. Der Muskel zwickt, das Thema drückt.

                                    Kalter Wind weht vom Gletscher im Rücken her, ich gehe mit Jacke weiter. Die Straße am Hálslón entlang ist sicherlich keine Schönheit, aber das ist der künstliche See auch nicht. Dennoch gehört beides zu dieser Tour dazu, eben die Auswirkungen der isländischen Energiewirtschaft einmal zu erleben bzw. zu erlaufen. Das steht auch im krassen Gegensatz zu vielen herrlichen Ecken, oft nur Minuten voneinander entfernt. Das Ufer ist leidlich befestigt, überall zeugen Wunden im Boden von schwerem Gerät. Der Wasserstand ist augenscheinlich noch recht niedrig. Da er zu steigen scheint und sich dabei immer weiter das Ufer hoch frisst, ist das Wasser ziemlich trübe vom Sediment.

                                    Die Piste zieht sich noch weitere neun recht gleichförmige Kilometer an dem Stausee entlang. Drei Schafe treibe ich über Kilometer vor mir her, bis diese irgendwann nicht weiter nach Norden über die Straße, sondern nach Osten in Richtung Wiese und offenes Gelände ausweichen. Campmöglichkeiten mit sauberem Wasser sind hier selten.


                                    Schafe vor der weithin sichtbaren Herðubreið

                                    Dann schlage ich nach 23 Tageskilometern mein Zelt am Wegesrand auf, einigermaßen in einer kleine Senke versteckt. Direkt daneben befindet sich eine große Pfütze, Brackwasser. Optisch keine Tretminen darin zu erkennen. Einige Meter weiter geht die Piste in Teer über. Ein paar Steinwürfe weiter nördlich nördlich ragt der schmale aber hohe Sandfell aus dem Hálslón heraus. Bis zum Damm ist es nicht mehr weit.


                                    Camp am Hálslón kurz vor dem Damm

                                    Ich laufe zum Wasserholen an dass Ufer. Mein Knie zwickt erneut, ich gehe langsam. Umsonst: Diese braune Brühe möchte ich nicht trinken. Zurück am Zelt bediene ich mich aus dem Brackwassertümpel in der Nähe des Zeltes. Eine Premiere: Das erste Mal, dass ich auf Island Micropur nutze. Dann gibt es Abendessen, gut abgekocht. Spiritus ist genug da, sicher ist sicher. Es ist seltsam, hier am Ufer dieses technischen Bauwerks erscheint mir die Natur unnahbarer und feindlicher wie weit abgelegen im Hochland. Da es mir hier nicht besonders gut gefällt und mich die Knieproblematik auch mental etwas belastet, seile ich mich schnell in mein Buch ab. Weltenflucht. Morgen geht es über den Damm und dann, wenn denn die Vorzeichen richtig stehen, Richtung Askja.
                                    Zuletzt geändert von Styg; 17.07.2017, 20:30.

                                    Kommentar


                                    • Styg
                                      Gerne im Forum
                                      • 01.05.2014
                                      • 86
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                      20.7. Háslón - Álftadalur

                                      Tiefe graue Wolken, die Landschaft liegt trübe und fahl im Morgenlicht. Mangels sauberem Wasser für‘s Frühstück gibt‘s Kaffee und Oatsnack, kein Müsli. Sieben Sachen wanden in Drybags und dann den Rucksack, das Lager ist routiniert schnell abgeschlagen - noch vor 9 Uhr bin ich auf der Piste. Den Sandfell, einen charakteristischen Berg am Ufer des Hálslón, fotografiere ich leider nicht, obwohl sich dieser malerisch aus dem Wasser erhebt. Bald erreiche ich die Straße 910 über den Damm, sie ist deutlich schmaler, als ich erwartet hätte.


                                      Straße über den Damm

                                      Ich laufe am Kárahnjúkar vorbei, der Berg, der dem Bauwerk hier seinen Namen gibt. Laut Karte gibt's den Berg sogar doppelt. Wenig Verkehr, dann ertönt doch Motorenlärm von hinten. Ein Wagen überholt mich, hält an einem Gebäude zur Mitte des Staudamms linksseitig an, der Fahrer öffnet eine Tür und verschwindet in den Innereien der technischen Anlage.


                                      "Trostlos", kommt mir hier und heute in den Sinn.


                                      Blick in den Canyon Hafrahvammagljúfur am Kárahnjúkar-Staudamm.

                                      Mein Knie meldet sich, die alte Leier - Ibuprofen. So geht das nicht weiter. Tendenziell missmutig laufe ich weiter. Hinter dem Damm steht ein Denkmal. Der Name der Gestalterin ist verkratzt, man scheint geteilter Meinung über Kunstwerk oder Staudamm an sich zu sein.


                                      Blick auf den Kárajmjúkar-Staudamm

                                      Einige Schilder informieren über das gigantische Bauprojekt zu dem auch der künstliche Fluss vor einigen Tagen gehört. Dann eine Toilette, in Stein gehauen und in die Felswand gebaut, nach europäischen Maßstäben. So richtig mit reinweißen Fließen, automatischem Licht, Siemens-Lufthandtrockner und so weiter. Surreal. Seife ist aus, dafür fülle ich Wasser aus einem richtigen Wasserhahn nach. Ist bequem, fühlt sich gerade aber trotzdem irgendwie falsch an.

                                      Rastlos laufe ich weiter. Hält mein Knie, oder stehe ich irgendwann mit einem Bewegungsradius von einem Bierdeckel im Gelände? Leichtsinnig möchte ich nicht sein. Meine Route führt mich eine gute Tagesetappe durch wüstiges Gelände. Folge ich der vorhandene Piste, laufe ich einige weite Kurven aus. Im Auto sind das einige Minuten, läuft man, verbringt man unter Umständen einen weiteren Wandertag mit wenig oder gleich ganz ohne Wasser. Daher plane ich, querfeldein der Luftlinie zu folgen. Ich laufe auf der Teerstrasse weiter, der Damm liegt mir nun im Rücken. Ich halte den Daumen raus, wollen will ich das nicht, aber ... hätte hier und jetzt jemand angehalten, wäre ich zur Askja getrampt. Drei, vier Autos passieren mich. Touristen glotzen mich an. Keine der Blechkisten stoppt. Aber, so stelle ich fest, immerhin kommen überhaupt ab und zu Autos vorbei. Dann wird die Teerstraße zur Piste. Ich wäge meine Optionen ab und treffe eine Entscheidung.


                                      Weiter geht's weglos über Schotter und Steine.

                                      Die Piste führt in einem weiten Bogen südlich um das Hvannstóðfjöll herum, ich biege querfeldein und kürze über die Südflanke der Hügelkette ab. Das Gelände ist schottrig, im besten Sinne ein unendlich großer Parkplatz und damit einfach zu gehen. Es geht sanft bergauf.


                                      Ein letzter Blick zurück auf den Hálslón.

                                      Die Tablette wirkt, ich komme gut voran. Mit den Höhenmeter und nachlassendem Nebel kommt die Zuversicht zurück, zu Fuß bis zur Askja zu kommen. Wäre doch gelacht! Nordwestlich des Hvannstóðfjöll nimmt die Vegetation zu, im Grágæsadalur mogle ich mich über einen Bach und komme trotz feuchterem Gelände immer noch ziemlich gut voran.


                                      Im Grágæsadalur ist es grün und feucht.

                                      Da das Frühstück knapp war und hier kein Mangel an Wasser herrscht, mache ich Mittagspause. Eine kleine Erhebung ist meine Rückenlehne, ich sitze bequem im weichen Gras. Kocher raus, Wasser rein, Spiritus an - zu Tisch!


                                      Mittagessen im Grünen.

                                      Während das Essen in seinem Beutelchen durchzieht, spiele ich an meinem wieder etwas indifferent ziehenden Knie herum. Beugen, Druck auf die Kniescheibe, strecken. Hm. Ich übe mehr Druck aus, strecke erneut, dann rastet etwas ein (oder aus?), es knackt laut und sehr außerordentlich zufriedenstellend. Ich kenne das von meiner Wirbelsäule. Egal: Ich stehe auf, laufe einige Schritte und stelle erstaunt aber freudig fest, dass Beugen und Strecken auf einmal völlig schmerzfrei funktionieren. Ein leichtes Ziehen bleibt, aber für den Rest der Tour wird das Thema Knie etwas in den Hintergrund treten. Spontanheilung? Wohl kaum. Was ein Arzt nach meiner Rückkehr dazu sagt, ist hier aber unwichtig. Die Überlastung durch den ersten Tourtag mit 35km auf der Teerpiste - wenn auch ungeplant - war jedoch mit Sicherheit nicht hilfreich. Viel wichtiger aber: Das Mittagessen ist fertig! Die sonst eher mäßigen Chili con Carne schmecken mir heute einfach sensationell gut. Guten Appetit!

                                      Nach der Pause geht es frohen Mutes weiter Richtung Nordwesten. Meine Wasservorräte sind prall gefüllt, der Rucksack daher um einige Kilo schwerer. Die Route könnte staubtrocken werden, ich rechne nicht mehr mit viel Wasserläufen und will das Thema Wasser geistig von der Agenda haben. Die erste Stunde nach dem Mittagslader geht es durch flaches, aber auch feuchtes Terrain.


                                      Viel Wasser im Gelände sorgt für Umwege.

                                      Immer wieder suche ich trockene Wege über sumpfige Flächen. Nachdem ich dann die Háumýrakvísl dank einiger großer Steine trockenen Fußes queren kann, lasse ich das Feuchtgebiet hinter mir, die Route führt bergauf Richtung Báruvatn.


                                      Furt über Steine.

                                      Mit jedem Schritt, den ich diesem See näher komme, vermindert sich der Bewuchs. Schließlich laufe ich wieder über die altbekannten weiten Steinfelder. Nachdem ich eine Rampe hinaufgelaufen bin, sehe ich weit hinab in ein Tal, der Báruvatn kommt in Sicht. Bald stehe ich am Ufer, es ist vollgesogen mit Wasser.


                                      Am Ufer das Báruvatn.

                                      Der nasse Untergrund zerrt an meinen Schuhen, ich laufe mit einigen Metern Abstand am Ufer entlang. Glasklares Wasser schwappt monoton über Kies und Bimsgestein. Ganze Bimsinseln rascheln schwimmend im Takt mit. Der See selbst bietet eine Kulisse, die ich selten erlebt habe: Bis auf den Gang der Wellen ist es hier erhaben ruhig. Kaum Bewuchs, einige Vögel am Himmel sind zusammen mit mir die einzigen (größeren) Lebenwesen. Einige Minuten stehe ich gedankenverloren am Ufer und schaue der Weite beim weit sein zu.





                                      Den Báruvatn lasse ich dann und nach einem sanften Anstieg hinter mir. Ich marschiere sanft bergauf durch eine Mondlandschaft, durch Wind und Wetter geglättet. Hin und wieder trotzen große Steine der Flachheit des Geländes.


                                      Weit und eben, heute aber auch trübe und düster.

                                      Dann öffnet sich die faszinierend karge Landschaft vor mir, ein breit eingeschnittenes Flußtal mit Vegatation kommt in Sicht.



                                      Über die steile Westflanke eines Hügels steige ich im Zickzack durch loses Geröll in das Àlftadalur ab. Wie schon zur Mittagspause gibt es hier Bewuchs und dazu noch ausreichend Wasser. Ich habe keine Eile. Während einer Kaffeepause lüfte ich meine Füße.


                                      Kaffeepause im Grünen.

                                      Noch habe ich meine zusätzlichen Wasservorräte nicht angetastet, denn zur Brücke über die Kreppa sind es jetzt noch gute 11 Kilometer Luftline. Das werde ich heute nicht mehr schaffen, aber verkürzen könnte ich die Distanz. Ich rechne mir aus, dass ich die morgige Etappe heute noch soweit verkürzen kann, dass am Tag darauf das Lager an der Askja in Reichweite liegt und dazu noch ohne Schinderei erreichbar wird.

                                      Nach der Pause zwingt mich ein breiter aber flacher Wasserlauf mitsamt schlammigem Ufer in die Furtsandalen. Die Querung selbst ist wunderbar einfach. Knie gut, Gehmoral voll im grünen Bereich. Es ist später Nachmittag, ganz langsam beginnt es zu dämmern.


                                      Eine einfache Furt im Àlftadalur.


                                      Diesen Hang ging es hinab in's Àlftadalur.

                                      Am Gegenufer böten sich viele Möglichkeiten zum Campieren: flach, Bewuchs, Winschutz und Trinkwasseranschluss. Ich sondiere einige Plätze, bermerke aber bei der Gelegenheit, dass ich heute noch etwas Strecke machen möchte, auch wenn mich diese in‘s Ungewisse führt. So steige ich aus dem Flussdelta hinaus und hinauf. In einiger Entfernung zieht ein Geländewagen eine Staubspur hinter sich her. Es ist leicht dämmerig. Dann quere ich die Piste, die quer Richtung Norden durch diese Landschaft führt und dann mittels Haken nach Westen zur Brücke über die Kreppa führt. Die Querung dieser Piste war für mich ein psychisch wichtiger Punkt, „halb durch“ sozusagen. Ich folge ihr jedoch nicht, da dies einige Zusatzkilometer mit sich bringen würde - querfeldein geht es weiter.


                                      Eine entfernte Begegnung.

                                      Da ich nicht kontraststark angezogen bin, weiß ich nicht, ob der Fahrer mich überhaupt gesehen hat. So laufe ich dann frohen Mutes weiter in die Abenddämmerung hinein und lasse die Zivilisation endgültig hinter mir: Die Álftadalsdyngja besteht aus Kies, Steinen und Geröll. Eine vom Nebel verhüllte Weite, nichts sonst. Leichter Niesel, tiefhängende Wolken, düster und doch auf eine seltsame Art und Weise fast heimelig. Es ist unwirklich hier, gleichzeitig fühle ich mich geborgen. Ich bin froh, dass ich hier und jetzt an genau diesem Ort bin. Und obwohl ich ein erwachsener Mann bin, drehe ich mich auf diesem Abschnitt einige Male um. Natürlich ist da niemand, aber das Kopfkino wird durch die raschelige Regenjacke noch verstärkt.



                                      Vor mir liegt das Nirgendwo in Nebel und Niesel, irgendwo dahinter ist die Brücke über die Kreppa und dazwischen werde ich wahrscheinlich mein Lager für heute aufschlagen. An Navigation per Karte oder auf Sicht ist hier nicht mehr zu denken - vor und hinter sehr ich nur Schotter und Gestein, ausgrauend im Nebel. Der Kompass gibt ganz ohne Strom die Richtung an. Ebene Zeltplätze ohne spitzen Untergrund und mit Windschutz sind hier kaum zu finden. Verbindlicher Wind von hinten treibt mich an. Ich bleibe stehen. An Rand des gedimmten GPS-Bildschirm taucht eine blaue Wasserfläche auf. Ich korrigiere meine Marschrichtung um einige Grad und peile das angezeigte Gewässer an. Einige Gehminuten später kommt es in Sicht und ist damit tatsächlich auch vorhanden, ganz im Gegensatz zu einigen anderen kleinen Seen, von denen nur noch ebene Vertiefungen und Ringe aus Bims zeugten.


                                      Bims soweit das Auge reicht.

                                      Hier schlage ich mein Lager auf. Einige Kilo Wasser habe ich nun zwar umsonst mitgeschleppt, aber das ist jetzt egal. Ich streife meine Rucksack ab und suche nach Zeltheringsbefestigungssteinen, denn auf dem allgegenwärtigen Bims hält ohne Gewicht kein Bodenanker. Immerhin steht das Zelt eben auf einer minimalen Erhebung. Für wenige Minuten setzt der Regen aus, ich schlage mein Lager trocken auf. 30 Tageskilometer, ich bin fast durch, und das größtenteils schmerzfrei. Abendessen, Aufschrieb, Nachtruhe. Ist da draußen jemand? Ich schlafe ein.


                                      Lager im Nirgendwo.

                                      In der Nacht regnet es stark. Stürmische Böen zerren brutal am Zelt. Die provisorische Arretierung auf 114 cm Länge meines Trekkingstockes mit Haushaltsgummi gibt den Geist auf und sackt zusammen. Zur Strafe steht das Zelt schief und lose und außerdem etwas Wasser am Kopfende. Gegen drei Uhr morgens lege ich daher notgedrungen und verschlafen mein Zelt trocken und fixiere die Trekkingstockzeltstange mit Tape. Letzteres wollte ich zum Tourstart machen, bisher ging es aber auch so. Ich schlafe weiter. Morgen sollte ich in etwa acht Kilometern an der Brücke über die Kreppa stehen.



                                      Eine eindrucksvolle Etappe. Steinwüsten sind schwer in Worte oder Bilder zu packen.
                                      Zuletzt geändert von Styg; 24.08.2017, 08:35.

                                      Kommentar


                                      • Ljungdalen

                                        Alter Hase
                                        • 28.08.2017
                                        • 3014
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                        Da ich hier neu bin, erst jetzt alles gelesen. Krass! Bitte weiter.

                                        Kommentar


                                        • blackteah
                                          Dauerbesucher
                                          • 22.05.2010
                                          • 779
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                          Ich merke grad, dass ich zwar das Thema abboniert, aber noch gar nichts dazu geschrieben habe . Ein toller Bericht und supergute Fotos! Bin schon auf die Fortsetzung gespannt...

                                          Ich finde es wirklich sehr beeindruckend, wenn man so eine Tour (eigentlich jede Tour, aber hier besonders ) allein schafft.

                                          Kommentar


                                          • Hundewanderer
                                            Gerne im Forum
                                            • 17.09.2016
                                            • 73
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                            Toller Bericht, sehr schöne Bilder, danke und weiter so!

                                            Kommentar


                                            • 5-oclock-charlie

                                              Dauerbesucher
                                              • 23.11.2008
                                              • 780
                                              • Privat


                                              #23
                                              AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                              Super geschriebener und interessanter Bericht
                                              Das Leben ist kein Ponyhof!

                                              Kommentar


                                              • Dogmann
                                                Fuchs
                                                • 27.09.2015
                                                • 1022
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                Schöne Tour, zeitweise wirds aber ganz schön finster.
                                                Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

                                                Kommentar


                                                • Styg
                                                  Gerne im Forum
                                                  • 01.05.2014
                                                  • 86
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                  Jetzt geht es weiter, ich hab's nicht vergessen - vielen Dank für die netten Kommentare!

                                                  21.7. Álftadalur - Upptyppingar

                                                  Gegen 9 Uhr wache ich einigermaßen ausgeschlafen auf. Ich stecke den Kopf aus dem Zelt. Draußen ist es neblig, mein Camp steckt in einer Wolke. Ein gutes Frühstück bringt mich in die Gänge, dazu gesellt sich die Aussicht, in etwa 8 Kilometern die Brücke über die Kreppa zu erreichen. Das Zelt wird leicht klamm im Rucksack verpackt, um 10 nach 10 bin ich dann wieder auf der Piste. In zwei Stunden sollte ich in nördlicher Richtung auf die F905 treffen.


                                                  Los geht's über Stock und Stein, ich gewinne noch einige Höhenmeter.

                                                  Die Nebellandschaften sind erhaben schön, ich laufe und fotografiere in Gedanken versunken. Die Ruhe in der Natur verstärkt die eindrückliche Stimmung noch zusätzlich. Die Feuchtigkeit auf Stein und Sand verstärkt die dunklen Erdfarben. Nebel verhüllt alles um mich herum. Stille Dramatik.


                                                  Zwischenzeitlich wird es wieder einmal relativ duster.

                                                  Über die Stimmung kann ich wenig schreiben, denn das erlebt jeder Wanderer für sich. Für mich waren der gestrige Abend und dieser Vormittag so eindrucksvoll, dass ich den Erinnerungen auch ein gutes Jahr danach immer wieder gerne nachgehe. Es ist absolut friedlich hier.


                                                  Es geht bergab, gleichzeitig wird es heller.


                                                  Wasser hätte es auch hier gegeben, ich bin aber noch versorgt.

                                                  Meine Route führt mich weiter in nordwestliche Richtung immer näher an die Ufer von Kreppa und Jökulsá á Fjöllum. Beide Wasserläufe sind zu Fuß nicht furtbar, ohne Diskussion. Der Weg zur Askja führt daher über zwei Brücken. Die Route schlägt dann einen ziemlichen Haken, denn die Brücke über die Jökulsá liegt etwa einen halben Tagesmarsch südlich der Kreppa-Brücke, Luftlinie sind das 10km. Für mich geht es nun aber erst einmal bergab.


                                                  Blick Richtung Süden vor dem Abstieg in's Tal.


                                                  Kreppa und Jökulsá á Fjöllum fließen hier nebeneinander, ich muss dazwischen.

                                                  Wasser sollte heute kein Problem sein. Aus meiner erhöhten Sicht erkenne ich viele kleine und große Pfützen auf den hier üblichen Gesteinsplatten. Eine weite Ebene öffnet sich vor mir, der Nebel geht mit sinkenden Höhenmetern zurück, sanfte Konturen zeichnen sich in den Wolken ab. Der Abstieg ist unproblematisch und nicht besonders steil.





                                                  Die Vegetation kehrt zurück. Bald schon sehe ich die Brücke in der Ferne. Klein, unspektakulär und dennoch eine wichtige Koordinate. Unten angekommen, fülle ich ich einen guten Liter Wasser aus einer großen Frischwasserpfütze nach. Überall schwimmt Bims.




                                                  Brücke über die Kreppa.


                                                  Das silberne Band aus der Entfernung ist vor Ort ein unfurtbarer Fluß.

                                                  Ich quere die Kreppa, schließe das Gatter der Brücke hinter mir und betrete die Krepputunga. Einige wenige Autos sind unterwegs. Hinter der Brücke gibt‘s ein geradezu dekadentes Klohäuschen.


                                                  Klo hinter der Brücke, mit Papier!

                                                  Direkt dahinter mache ich im Windschatten und Sichtschatten eines großen Felsens Mittagspause, denn da steht doch tatsächlich ein Wohnmobil aus Biberach unten auf der Piste. Vertrauter Dialekt weht in Fetzen zu mir. Jetzt gerade nicht, bitte.


                                                  Mittagspause mit Wind- und Sichtschutz.

                                                  Frisch gestärkt geht es dann weiter, der restliche Verlauf der Etappe ist topfeben und geht immer der Piste hinterher. Im Lauf des Tages kommen mir daher einige PKW entgegen, die meisten Fahrer oder Beifahrer winken.




                                                  Die Natur findet immer einen Weg, auch hier, in vermeintlich trostloser Umgebung.

                                                  Ich bin durchaus etwas erleichtert, „meine“ Mondlandschaft hinter mir gelassen zu haben und gehe während dem Laufen meinen Gedanken nach. So stört mich auch das Laufen auf der Sandpiste nicht, es ist hin und wieder ganz angenehm, einfach einem vorgegebenen Weg hinterher trotten zu können. Links und rechts des Weges gibt es jedoch auch hier mehr als genug zu sehen. Große Felsbrocken liegen wie Trutzburgen in schwarzem Sand, bizarre Gebilde, einsame Monolithen - langweilig wird es hier nicht.


                                                  Die Weite ist toll anzusehen, auch das Wetter spielt mit.

                                                  Gegen Nachmittag habe ich die Hälfte der Strecke bis zur nächsten Brücke hinter mich gebracht und mache in aller Ruhe eine Kaffeepause. Nach der Pause verlasse ich die Piste und gehe querfeldein, da ich einen großen v-förmigen Bogen der Piste nicht mitnehmen möchte. Was im Auto ein paar Minuten sind, füllt zu Fuß schnell eine Stunde. Die Sonne scheint nun hin und wieder durch größere Löcher in den Wolken. Meine Güte, ist das landschaftlich hübsch hier!





                                                  Grünes Gras steht farblich im harten Kontrast zum dunklen Untergrund. Ich komme mit Schauen kaum hinterher und bleibe immer wieder stehen. Das wiederum ist keine gute Idee: Es geht kaum Wind, so habe ich das Moskitonetz stets griffbereit auf dem Kopf und ziehe es immer dann herunter, wenn ich wieder einmal durch eine Wolke der lästigen Plagegeister laufe.

                                                  Dann habe ich die Brücke fast erreicht, ich bin noch einige hundert Meter südöstlich. Die Jökulsá gräbt hier einen scharfen Knick in den Fels, in der Kehre an einer hohen Steinwand ist das 1987 entstandene Kunstwerk „Upptyppingar“ zu sehen, ein Wandbild des Nibelungen-Stammbaums (mehr dazu unter https://www.reinoutvandenbergh.nl/mo...nvironment.htm).
                                                  Hier mache ich Feierabend! Einen geeigneten Zeltplatz finde ich etwas erhöht in Flußnähe. Hinter einem schwarzen Sandhaufen habe ich eine tolle Sicht, gleichzeitig ist das Lager von der Straße aus nicht zu sehen.


                                                  Traumhafte Lage mit bester Aussicht.

                                                  Dann telefoniere ich mit der Heimat und versuche einigermaßen verzweifelt, die epische Aussicht zu erklären. Es ist erst kurz nach 19 Uhr. Ich bin mehr als zufrieden mit dem heutigen Tag, aber auch erschöpft. Ich ziehe mich ins Zelt zurück und lese noch etwas. Dann genieße ich bei offenem Zelt die langsam einsetzende Dämmerung, blauen Himmel inklusive.



                                                  Wenn alles glatt läuft, erreiche ich morgen die Askja!
                                                  Zuletzt geändert von Styg; 04.11.2017, 18:57.

                                                  Kommentar


                                                  • evernorth
                                                    Fuchs
                                                    • 22.08.2010
                                                    • 1835
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                    Prima - es geht weiter!
                                                    My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                                                    Kommentar


                                                    • blackteah
                                                      Dauerbesucher
                                                      • 22.05.2010
                                                      • 779
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                      Wunderbar! (bis auf die Moskitos *grusel*)

                                                      Kommentar


                                                      • evernorth
                                                        Fuchs
                                                        • 22.08.2010
                                                        • 1835
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                        Kommt noch das Finale?
                                                        My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                                                        Kommentar


                                                        • Styg
                                                          Gerne im Forum
                                                          • 01.05.2014
                                                          • 86
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                          Was lange währt geht endlich weiter. Danke für eure Geduld angesichts der ziemlich langen Unterbrechung!

                                                          22.7. Upptyppingar - Askja

                                                          Gegen 8 Uhr morgens wache ich auf. Die Nacht war mild und weitgehend windstill, den Schlafsack konnte ich als offene Decke nutzen. Die übliche Morgentoilette als auch das Frühstück gehen heute zügig von der Hand. Ich will auf die Piste, ich will zur Askja, meinem persönlichen Finale. Alles was danach kommt, wird Prolog sein. Kurz nach 9 ist es dann soweit. Meine Heringsbeschwerungssteine trage ich dorthin, wo ich sie geholt habe, dann verlasse ich mein Lager. Noch ist das Wetter trübe, aber das wird sich im Lauf des Tages ändern. Etwas Schatten schadet auf dieser doch sehr wüstigen Etappe sicher nicht, denke ich mir. Windstille macht das Moskitonetz obligat, ich klappe es ständig wie ein Visier nach oben und unten. Kaum lasse ich meinen etwas versteckten Zeltplatz hinter mir, stoße ich auch schon auf die F910 und quere die Jökulsá á Fjöllum über die unausweichlich zu benutzende Brücke.


                                                          Blick auf die Brücke über die Jökulsá á Fjöllum.


                                                          Hier wird definitiv nicht gefurtet.

                                                          Schon begegnen mir die ersten PKWs, viele sind nur durch Staubwolken in weiter Ferne zu erahnen. Die meisten Fahrer grüßen, ich winke zurück, auch wenn ich mit Moskitonetz wahrscheinlich einen sonderbaren Eindruck gemacht haben muss. Einige Gehminuten folge ich der Pisten, da ich erst hinter einem auf der Karte eingezeichneten Wasserlauf per Luftlinie abkürzen möchte, um eben gerade nicht auf der Piste laufen zu müssen. Durch die Staubfahnen der motorisierten Gefährte frisst man doch mehr Staub, als einem lieb ist.


                                                          Die ersten Kilometer folge ich der einfach zu laufenden Piste.


                                                          Immer wieder spielt die durchkommende Sonne mit der Landschaft.

                                                          Der eingezeichnete Wasserlauf ist nicht da, dafür läuft es sicher querfeldein ganz wunderbar: Topfeben, stabiler Untergrund, Steine, Sand, Bims; so kommt man gut voran! Ich habe einen guten Liter Wasser dabei und möchte bis zur Askja durchlaufen. Heute keine längere Pause! Immer wieder aber bleibe ich für Fotos stehe oder schwelge einfach nur in der Weite der Landschaft.


                                                          Bizarres Gestein überall abseits des Weges.

                                                          Die Etappe bietet an und für sich wenig Abwechslung, im Endeffekt durchquert man eine weite Ebene, aber die Szenerie ist trotzdem grandios. Wichtiger ist, wie so oft, die Zeit, die man an einem Ort oder in einem Ort verbringt. So komme ich auch heute in diesen Wander-Flow, den ich so liebe: Man läuft und folgt seinen Gedanken, bleibt an einzelnen länger hängen und betrachtet sie ausführlich aus allen Perspektiven - einfach, weil die Zeit dafür da ist. Über andere, scheinbar große und wichtige Themen springt man nur kurz hinweg, da sie bei Lichte betrachtet eben doch nicht so elementar sind, wie man vermutet hatte. Scheinprobleme. Egal, einfach weiterlaufen.



                                                          Die Sonne gewinnt zur Mittagszeit die Oberhand gegen die Wolken und ab diesem Moment wird mein sandiger, steiniger Untergrund mehr und mehr zur Bratpfanne. Das spornt zusätzlich an, mein zügiges Gehtempo zu halten Gut zwei Kilometer vor meinem Ziel ist dann trotzdem mein Wasser leer. Das war absehbar. Nicht tragisch, aber natürlich ist es unbequem, in den Durst zu laufen. Bald jedoch stoße ich wieder auf die Piste, zusammen mit Hütten und diversen parkenden Fahrzeugen in der Ferne kommt direkt vor mir auch ein Bach in Sicht. Das Wasser fließt direkt über die Straße. Ich fülle einen halben Liter in mich selbst und einen ganzen in die Wasserflasche.


                                                          Zurück auf der Piste kurz vor dem Hochlandlager, Herðubreið links und Snæfell rechts im Bild.




                                                          Hinter mir schmückt sich die Herðubreið mit einer großen Wolke und animiert Touristen in PKWs zu Fotostops. Dann laufe ich mit einem wirklichen Hochgefühl im spektakulär beleuchteten Hochlandlager Dreki respektive der Askja ein. Vor zehn Tagen habe ich noch in Höfn zum Tourstart aus eigener Alltagsverkrampftheit den Bus verpasst, mich dann wieder einmal mit den nassem Schuhwerk herumgeschlagen, kurz vor dem Snæfell wegen Knieproblemen dann fast aufgegeben. Jetzt aber bin ich hier und komme an. Im Nachgang betrachtet alles eher übliche Tourprobleme. Nicht wirklich akut oder gefährlich, aber im Moment des Ankommens fühlt man sich erleichtert, ist froh und auch ein bisschen stolz zugleich, es geschafft zu habe. Meine Güte, und schön ist es hier! Während ich das hier schreibe, erinnere mich mich sehr eindrücklich an diesen Moment. Island in all seinen Facetten rührt immer wieder eine Saite in mir an. Obwohl ich gute vier Flugstunden südlich dieser Vulkaninsel geboren bin und lebe, fühle ich mich hier seltsam aufgehoben und manchmal fast daheim.


                                                          Ankunft in der Askja.

                                                          Kurz darauf teilt mir ein junger Isländer in der Infohütte mit, dass die Hütten voll sind. Ich will sowieso zelten, entrichte meinen Obulus dann auch direkt für zwei Tage. Natürlich mit Dusche inklusive! Der Pausentag morgen ist sowieso gesetzt. Auf dem Zeltplatz stehen nur vereinzelte Zelte, ich entscheide mich für einen Platz mit Mäuerchen, windgeschützt. Herzlichen Dank meinen Vorgängern für den steinfreien Untergrund an dieser Stelle!
                                                          Nach dem Aufbau des Camps setze ich mich auf eine freie Bank mit bestem Ausblick auf den Snæfell, koche ein spätes Mittagessen und gebe mich dann ein bisschen der Erleichterung hin, dass doch alles gut gegangen ist. Die Tour bislang war wirklich großartig. Zwei Regentage auf zehn Wandertage.


                                                          Spätes Mittagessen mit großartiger Aussicht.

                                                          Dann kann ich es nicht lassen und rufe nach zwei Wochen wieder einmal E-Mails ab. Nichts, kein Vorfall in der eigenen Firma der irgendwelches Eingreifen erfordert hätte. Hervorragend! Das Telefonat mit der Heimat genieße ich dann sehr, kurz darauf überfliege ich online noch die Nachrichten der letzten Zeit. Türkei-Putschversuch, Russland-USA-Krise, Schießerei in München mit noch unbekanntem Ausgang. Das klingt alles gar nicht gut und in dem Moment bin ich - ohne dass mir diese Themen tatsächlich egal gewesen wären! - froh, weit weg zu sein. Nach einer gewissen Abstinenz kommen mit Nachrichten manchmal vor, wie eine Tüte Pommes nach einer Hochlandtour mit salzarmer Tütennahrung zu essen: Übertrieben, krass, überspitzt, zu "laut", man wird fast erschlagen vom Geschmack. Hier auf meiner Holzbank wird mir wieder einmal klar, wie absurd und hysterisch vieles von dem ist, was wir für normalen Alltag halten.

                                                          Der Zeltplatz füllt sich gegen Abend mit Autos und einigen Motorrädern. Es wird gegrillt und laut Musik gehört. Ich bemerke, wie sich in mir Widerstand gegen die gefühlt zu hohe Dosis Zivilisation regt. Man unterhält man sich über Reifengrößen, Getriebeprobleme und mitgenommene Treibstoffmengen. Offroad-Latein. Sehr gefreut habe ich mich aber über einen Bulli, der irgendwann in das Lager tuckerte. Heute bin ich der einzige Wanderer.


                                                          Windgeschützer Zeltplatz mit Privatmauer.


                                                          Duschhäuschen mit Müllproblem.


                                                          Bulli und Berg.



                                                          Das Wasser in der Dusche ist heiß, sehr heiß, tut aber unendlich gut. Trotz der muskulären Entspannung bemerke ich, dass ich doch etwas ausgelaugt bin. Der Pausentag morgen wird mir gut tun. Im Waschraum beschwert sich ein Deutscher lautstark über fehlendes Klopapier in einer Kabine, marschiert dann gen Infohäuschen um seine bestürzende Entdeckung wohl auch dort kund zu tun. Kann man so machen. Zur Dämmerung verliert sich das Licht erneut hinter aufkommenden Wolken, also verkrieche ich mich nach einem kurzen Rundgang durch das Lager ins Zelt, lese mich müde und kann dann trotzdem sehr lange nicht einschlafen.



                                                          Angekommen.
                                                          Zuletzt geändert von Styg; 19.04.2018, 17:12.

                                                          Kommentar


                                                          • blackteah
                                                            Dauerbesucher
                                                            • 22.05.2010
                                                            • 779
                                                            • Privat


                                                            #30
                                                            AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                            Oh wie schön, endlich geht es weiter .

                                                            Bezüglich der Nachrichten geht es mir auch immer so. Manchmal hab ich dann ein bisschen das Gefühl, dass man für kurze Zeit gar nicht mehr Teil der Welt war, in der die andern derweil waren .

                                                            Kommentar


                                                            • Styg
                                                              Gerne im Forum
                                                              • 01.05.2014
                                                              • 86
                                                              • Privat


                                                              #31
                                                              AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                              24.7. Askja - Dyngjufell

                                                              Auch in dieser Nacht schlafe ich lange nicht ein. Kurz vor 7 schäle ich darum eher lediglich erholt aus dem Schlafsack. Zuviel Gerede, Autos und Geklapper um mich herum. Die Küche bleibt zum Frühstück kalt, es gibt lediglich einen Oatsnack. Nach der Morgentoilettewechsle ich einige Worte mit dem nur brüchig englisch sprechenden Zeltnachbarn. Kurz darauf habe ich mein Lager aufgeschlagen und bin auf der Piste. Es gibt hier zwei Optionen: „Über“ die Askja, hinauf auf die Caldera zum Öskjuvatn, oder an ihrem Fuß entlang bis zum großen Touristenplarkplatz in etwa zwei Kilometern Entfernung. An diesem Parkplatz zweigt dann auch meine Route ab. Ich entscheide mich für „oben drüber“ und marschiere schon bald bei sich eintrübendem Wetter den schmalen Pfad Richtung Krater hinauf.


                                                              Blick vom Aufstieg Richtung Öskjuvatn zurück über das Askja-Lager

                                                              Oben laufe ich in einer Wolke. Die wüstige und lavaige Landschaft verschwindet nach knapp 50 Metern im Nebel. Die gelben Holzstöcke zur Routenmarkierung sind die einzigen Farbtupfer.



                                                              Der Weg windet sich dem Öksjuvatn entgegen - dieser See ist heute durch den Nebel mehr zu erahnen als tatsächlich zu sehen.



                                                              Immerhin wollen im Krater Viti zwei Besucher im türkisen Wasser schwimmen, so kann ich wenigstens hier meiner Pflicht zum Foto nachgehen.



                                                              Es riecht nach Schwefel, der Boden ist matschig und sehr rutschig. Nur dank meinen Stöcken komme ich einige rutschige Abhänge hoch. Einige Besucher kommen mir auf allen Vieren entgegen, mal mehr, mal weniger freiwillig. Kurz bleibe ich stehend und schaue noch einmal durch den Nebel Richtung Caldera und Wasser, dann laufe ich in Richtung Parkplatz. Jetzt regnet es richtig.

                                                              Am Klohäusschen auf dem Parkplatz mache ich eine kurze Pause und ziehe die Regensachen an. Dyngjufell liegt hinter einem etwa 1300m hohen Pass - es ist nicht zu erwarten, dass dort oben heute die Sonne scheint. Die Hütte ist mein heutiges Ziel.

                                                              Am Rande des Parkplatzes behauptet ein Schild „Dyngjufell 14km“ und zeigt - islandtypisch kommentarlos - in den Ring aus Lava der Caldera, kein Weg zu erkennen. Ich steige mühsam über große Brocken erkalteter Lava, die so aussieht, als sei sie gestern noch in Bewegung gewesen. Bereits auf den ersten Metern reiße ich mir ein keines Dreieck in meine Regenhose. Kann man so machen!

                                                              Nach mühsamen Minuten, ich bin vielleicht 200m weit gekommen, zeigt ein weiterer gelber Stock dann an, dass ich wohl richtig bin. Nachdem ich das Lavafeld irgendwann hinter mich gebracht habe, knickt der Weg links ab, es geht einfacher zu gehen an der Caldera entlang, rechterhand geht es steil nach oben. Hier liegt fast durchgehend Schnee, durch den Regen sulzig, durch das Tauwetter brüchig. Beides zusammen macht das Wandern mühsam. Die nächsten Kilometer geht das dann auch so weiter.

                                                              Stille Kilometer später erkenne ich aus der Ferne steil am Berg kleine gelbe Markierung, und tatsächlich macht der Weg einen erneuten Knick um geradeaus, steil hinauf über die Jónsskarð zu führen. Dieser tiefe Einschnitt in der Umrahmung der Caldera macht eine Querung möglich, kommt aber erst relativ spät in Sicht da man sich diesem von der Seite nähert. Dann geht es auch schon zapfig bergauf. Der schmierige Untergrund macht das Gehen bergauf sehr beschwerlich. Zusätzlich kehrt mein Knieproblem zurück: Was zwei Minuten vorher noch ein leichtes Ziehen war, wird zu einem stechenden Schmerz, der mich kurz scharf Luft holen lässt und dann zum Anhalten zwingt.

                                                              So stehe ich dann - grimmig aber entschlossen - einige lange Minuten an einem steilen Pass mitten im Regen und warte darauf, dass die eingeworfenen Schmerzmittel ihre Wirkung entfalten. Langsam gehen mir jedoch meine Medikamente aus. Während ich so in der Nässe stehe, rechne ich mir aus, dass mein Bestand noch reichen müssten, wenn auch knapp. Verschneite Pässe und blockiges Geländen sollten nach dieser Etappe Geschichte sein sollten, danach wird es deutlich flacher.

                                                              Schließlich komme ich oben an, auch wenn ich durch den vielen Nebel und beständigen Regen die Überquerung des höchsten Punktes nur kurz durch einen Blick auf das GPS registriere. Navigation auf Sicht geht hier nicht mehr, auch die Markierungspfosten verlieren sich immer wieder. Die gute Nachricht ist aber, dass ich oben auf der Ebene dann wieder vollständig schmerzfrei laufen kann. Aus dem Schnee schaut außerdem zunehmend mehr Geröll heraus, es geht sanft bergab. Die mühsam erkämpften Höhenmeter gebe ich nun Meter für Meter wieder her, als Entschädigung verschwindet der Schnee und auch etwas Bewuchs zeigt sich mit der Zeit.

                                                              Schließlich wird auch die Sicht besser, der Regen geht in einen sanften Niesel über und hört dann bald ganz auf. Vor mir öffnet sich eine weite Landschaft. Fotos gibt es von der Etappe ab dem Askja-Parkplatz bis hier nicht, die Kamera war wasserdicht im Rucksack verpackt. Hier aber packe ich sie wieder aus, denn landschaftlich ist das Dyngjufjalladalur karg, weit, verlassen - und wunderschön! Wasser hat tiefe Furchen in die Landschaft eingeschnitten, mich erinnert das fast ein bisschen an den Wilden Western.


                                                              Weit und offen, über zwei Stufen und weite Ebenen ins Tal hinab

                                                              In zwei steilen Stufen, jeweils durch sehr flache Ebenen getrennt, geht es nun hinab ins Tal. Auf der ersten Ebene stapfe ich einfach über einen weit verästelten Wasserlauf, anstatt zu furten. Egal, meine Füße sind seit dem Pakplatz sowieso wieder einmal naß. Membranlösungen haben sich hier und heute für mich einfach erledigt.


                                                              „The Philosopher's Stone“, angelehnt an Song und Artwork einer amerikanischen Band, tatsächlich jedoch Lockstindur bzw. Lokatindur


                                                              Aussicht Richtung Hütte, diese ist auf dem Foto sogar schon erkennbar



                                                              Nach dem Abstieg über die zweite relativ steile Stufe komm auch schon die Hütte in Sicht, an einem Wasserlauf im Tal gelegen, wie üblich gut versteckt. Das letzte kurze Stückchen folge ich einer frischen Jeepspur. Ab hier ist der Weg topfgerade, das wird auch morgen der Fall sein. Da es bereits später am Nachmittag ist, ist der Wasserpegel des Flusses entsprechend hoch, ich mogle mich in einiger Entfernung zur Hütte über ein paar Steine um wenigstens trockene Hosen unter den Regensachen zu behalten.


                                                              Die Hütte Dyngjufell

                                                              Die Hütte selbst ist voll belegt, eine isländische Reisegruppe ist vor Ort. Ich unterhalte mich nett mit dem isländischen Reiseführer, er spricht sehr gut Deutsch. Sehr diplomatisch teilt er mir mit dass die Hütte belegt sei und das auch auf der morgigen Etappe so wäre. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Hüttenübernachtung für diese Tour etwa auf Null. Macht aber überhaupt nichts, ich suche mir ganz einfach hinter der Hütte ein lauschiges Plätzchen.


                                                              Camp mit fließend Wasser direkt hinter der Hütte Dyngjufell

                                                              Über den kleinen Footprint meines Zeltes bin ich auch hier wieder froh. Ich richte mich häuslich ein und lege meine Siebensachen zum Trocknen in den sanften Wind. Dann gibt es Essen, und zwar gleich zwei Mal. Durch die zwangsläufig entfallene Mittagspause habe ich einen Bärenhunger und da sich das Tourende langsam aber sicher abzeichnet, kann ich "Ballast abwerfen".


                                                              Angekommen, Feierabend!

                                                              Die 25km bis hierher waren in der Tat anstrengend, die Etappe ist vergleichsweise rau. Noch drei Wandertage trennen mich nun von meinem finalen Ziel: Mývatn. Obwohl die Tour natürlich noch nicht vorbei ist, kommt an diesem Abend bereits ein Hauch von Wehmut auf.

                                                              Kommentar


                                                              • Dieter

                                                                Dauerbesucher
                                                                • 26.05.2002
                                                                • 537
                                                                • Privat


                                                                #32
                                                                AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                                Hallo Styg,

                                                                ich lese begeistert mit und freue mich auch über die tollen Fotos. So viele Plätze, Eindrücke und Gedanken die ich kenne. Es ist jetzt 20 Jahre her, dass ich diese Route gegangen bin und man kann immer noch das Gleiche erleben. Die Jónsskarð ist im Nebel immer noch gleich ungemütlich und steil. Siehe: http://www.isafold.de/lonsoraefi98/tag_15.htm

                                                                Da beklagen sich viele, dass Island soooo überlaufen ist. Klar, wenn man sich auf die Highlights im Südwesten und auf den Laugavegur beschränkt, trifft das zu - aber das ist ja nur ein klitzekleiner Teil von Island.

                                                                Vielen Dank für Deinen Bericht!

                                                                Dieter

                                                                Kommentar


                                                                • Sternenstaub
                                                                  Alter Hase
                                                                  • 14.03.2012
                                                                  • 3583
                                                                  • Privat


                                                                  #33
                                                                  AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                                  wie schön, dass dieser Bericht endlich weiter geschrieben wurde. U.a. durch ihn verstehe ich die Faszination, die Island auf manche Menschen ausübt und zwar abseits des oft wichtigen "must have done", dem offensichtlich etliche Menschen hinterher jagen.


                                                                  Besonders klasse fand ich das Motiv von dem orangefarbenen Bulli vor der Kulisse...
                                                                  Two roads diverged in a wood, and I—
                                                                  I took the one less traveled by,
                                                                  And that has made all the difference (Robert Frost)

                                                                  Kommentar


                                                                  • evernorth
                                                                    Fuchs
                                                                    • 22.08.2010
                                                                    • 1835
                                                                    • Privat


                                                                    #34
                                                                    AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                                    Moin Styg,

                                                                    ich bin auch sehr begeistert, daß du jetzt auch ( endlich! ) weiterschreibst. Große Berichte verlangen
                                                                    nach einem würdigen Ende.
                                                                    My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                                                                    Kommentar


                                                                    • Styg
                                                                      Gerne im Forum
                                                                      • 01.05.2014
                                                                      • 86
                                                                      • Privat


                                                                      #35
                                                                      AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                                      Hallo und vielen lieben Dank für eure Rückmeldungen!

                                                                      Es sind die Orte und Eindrücke abseits der vielbesuchten Touristengegenden, die auf Island ihren Reiz auf mich ausüben. Dort muss man Weite und Abgeschiedenheit nicht suchen, man läuft einfach durch sie hindurch. Nun kenne ich nur die Zeitspanne zwischen 2012 und 2017, aber selbst in diesen sechs Jahren haben sich viele Orte, vor allem entlang der Ringstraße, hin zu einem Vielfachen an Besuchern verändert. Es steht mir nun nicht zu, den isländischen Tourismus zu bewerten, aber vermutlich wäre ein Ende des Hypes mit einer anschließenden Gesundschrumpfung der Besucherzahlen - und vielleicht auch etwas langsamerem Tourismus - auf lange Sicht nachhaltiger.

                                                                      @Dieter: Dein Tourbericht aus 1998 ist in diese Tourplanung mit eingeflossen. Möglicherweise, ähem, auch die eine oder andere Beschreibung des durchlaufenen Geländes. Für meine vorherigen Touren gilt das ebenfalls, daher an dieser Stellen einmal herzlichen Dank für isafold.de!

                                                                      Der Bulli in des Askja war herrlich! Um mich herum spricht man über Achsübersetzungen, Bodenfreiheit und Dämpferabstimmungen, dann knattert dieser Oldie völlig unprätentiös auf den Campground.


                                                                      25.7 Dyngjufell - Botni

                                                                      Beim Dösen am Vorabend muss ich eingeschlafen sein, denn als ich aufwache, ist es „Nacht“ draußen - also wird gleich weitergeschlafen! Kurz vor 7 wache ich auf und drehe mich nochmal um, heute ist keine Eile geboten, und so stehe ich erst um 9 Uhr auf. Zum Start in den Tag gibt es dann ein ausgedehntes Frühstück mit Kaffee, Müsli und Oatsnack. Umsonst möchte man die Fresspakete ja auch nicht durch die Landschaft getragen haben. Die Gruppe in der Hütte verbrennt diverse Überreste hinter der Hütte, es raucht und riecht. Dann macht sich das gute Dutzend vor mir auf den Weg nach Botni. Frisch gestärkt und definitiv ausgeschlafen schlage ich mein Lager ab und mache ich mich kurz darauf ebenfalls auf die Socken.

                                                                      Das Himmel ist bedeckt, Niederschlag geht zu meiner Zufriedenheit heute aber nur in einiger Entfernung nieder. Meine Schuhe sind über die Nacht nicht vollständig getrocknet sodass ich mit zumindest klammen Füßen loslaufe. Nur wenige Minuten nach Abmarsch kommen mir drei jüngere Wanderer entgegen. Sie sind heute früh an der Hütte Botni los und wollen noch in die Askja. Sportlich! „Have fun“ grüße ich, dann gehen wir unserer Wege.


                                                                      Blick zurück zur Hütte Dyngjufell


                                                                      Blick nach vorne: Sellandafjall links, Bláfjall rechts, dazwischen liegt Mývatn

                                                                      Die heutige Etappe zur Hütte Botni folgt einer Piste und führt nach den ersten Kilometern aus dem engen Dyngjufjalladalur heraus, das ich gestern noch über die Askja-Caldera kommend betreten habe. Der weitere Verlauf der Strecke führt durch sehr weitläufiges Gelände. Man beginnt auf der Piste mit nur wenigen Steinen und sehr viel Sand und Kies, dieses Verhältnis dreht sich im Lauf der Etappe dann um. Nun könnte man sicherlich behaupten, dass es hier wüstig, öde und leer sei, dennoch habe ich die Etappe als ansprechend in Erinnerung. Das liegt sicherlich auch daran, dass sie vergleichsweise einfach zu gehen ist und keinerlei Tücken oder Engstellen seitens des Geländes zu erwarten sind. So kann der Kopf frei irgendwelchen Gedanken nachgehen, während die Füße der Piste folgen. Bei fiesem Wind und heftigem Regen könnte es hier, so ganz ohne Schutz, dennoch sicherlich sehr unangenehm werden.


                                                                      Mittagspause mit Windschutz und Sitzgelegenheit

                                                                      Durch einige Windungen in der Piste kommt die Etappe auf etwa 20 Kilometer. Aus diesem Grund habe ich es heute überhaupt nicht eilig und so mache ich schon nach sieben Kilometern um kurz nach 12 Uhr Mittagspause. In der Regel laufe ich nach dem Mittagessen irgendwie „besser“, das ist auch heute wieder so. Nach dem Boxenstopp kommt gegen Nachmittag dann auch kurz die Sonne durch, zumindest aber verziehen sich die tiefhängenden, düsteren Wolken des Vormittags. In der Ferne kommt Myvátn in Sicht, zumindest in den Vergrößerungen der Kamerabilder kann ich mein finales Tourziel bereits erkennen.


                                                                      Der Sellandafjall kommt immer größer in Sicht, an dem Hügel geht es morgen rechts oder links vorbei


                                                                      Wie üblich gibt's links und rechts des Weges mehr als genug zu sehen


                                                                      Im Tagesverlauf weicht Sand und Schotter zunehmend Lava und auch etwas Grün

                                                                      Die letzten acht Kilometer führt der Weg dann verschlungen über geborstene, flache Lavafelder. Kurz vor der Hütte Botni regnet es dann noch, der kurze Schütter ist jedoch das Auspacken der Regenklamotten nicht wert. Um die Hütte herum befindet sich viel Wasser im Gelände. Die durch Steinmäuerchen erkenntlichen „üblichen“ Zeltplätze kann ich wegen Überschwemmung nicht nutzen, ich baue in direkter Nachbarschaft zur Hütte auf. Kurz danach kommt dann auch die Gruppe an - huch, wo habe ich die denn heute überholt?


                                                                      Die Hütte kommt in Sicht, Wassermangel herrscht hier und heute keiner


                                                                      Klohäuschen hinter der Hütte Botni

                                                                      Ich baue das Zelt auf und werde beobachtet: Die Nutzung der Trekkingstöcke als Zeltgestände sorgt für große Verwunderung bei einzelnen Gruppenmitgliedern. Dann fachsimple ich kurz auf Englisch mit einem Isländer über meine Kamera. Nachdem ich eingerichtet bin, gibt es erst einmal Abendessen. Die Wolkendecke reißt auf, Zeichnung kommt in den Himmel. Na also, geht doch!

                                                                      Zeit für eine Bestandsaufnahme: Meine Klamotten sind größtenteils trocken, auch das zweite Paar Socken und sogar das T-Shirt für den Heimflug. Die Essensvorräte schrumpfen wie geplant, mir wird aber auch nichts ausgehen. Dann laufe ich mit dem Smartphone auf eine kleine Erhebung und rufe bei allerbester Gesprächsqualität in der Heimat an. Daheim kann ich nicht unterbrechungsfrei vom Nachbarort nach Hause fahren, hier stehe ich gottverlassen in der Pampe und haben vollen Empfang. Aber so sei es. Daheim ist alles in Ordnung. Aus minimalem Eigeninteresse melde ich mich für den Samstag nach dem Heimflug zum Essen bei meinen Eltern an. Langsam kann ich die Asia-Nudeln abends nicht mehr sehen, auch wenn man's sich selbst so ausgesucht hat.


                                                                      Camp direkt an der Hütte

                                                                      Abends im Zelt peile ich dann mit dem GPS noch die Etappenlängen zweier Streckenoptionen ab. Links oder rechts am Sellandafjall vorbei? Ich entscheide mich für die zweite Option. Etwa 25km werde ich somit an beiden Tagen gehen müssen. In einfachem Gelände weniger ein Problem, denn auch mein Rucksack ist mittlerweile federleicht geworden. Wasser könnte jedoch ein Problem werden, also werde ich einen Vorrat auf die Etappe mitnehmen. Was macht das Knie? Nun, heute bin ich mit einer Schmerztablette ausgekommen, eher prophylaktisch eingenommen. Fünf habe ich noch. Hm, müsste sich ausgehen, damit sollte ich weitgehend schmerzfrei zum Mývatn kommen. Mit großen Steigungen oder Restschnee ist nicht mehr zu rechnen.

                                                                      Während ich nach der Routenplanung meinen Aufschrieb notiere, wird in der Hütte abgewaschen. Dann wendet man sich, der Geräuschkulisse nach zu urteilen, dem gemütlichen Teil des Abends zu. Mich würde interessieren, was es zu Essen gab: Ausnahmslos jede Person furzt barbarisch, sobald die Hütte Richtung Klohäuschen verlassen wird.


                                                                      Abendessen an der Hütte Botni in stimmungsvollem Licht

                                                                      Auch heute schlafe ich nicht besonders gut ein, was für mich eher untypisch ist. Vermutlich liegt es daran, dass dieses Abenteuer in zwei Tagen vorbei sein wird.
                                                                      Zuletzt geändert von Styg; 09.06.2018, 17:19.

                                                                      Kommentar


                                                                      • Styg
                                                                        Gerne im Forum
                                                                        • 01.05.2014
                                                                        • 86
                                                                        • Privat


                                                                        #36
                                                                        AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn


                                                                        26.7. Botni - Blávhemmur


                                                                        6:30 Uhr, irgendwo auf Island. Es regnet. Ich drehe mich um. 9:00 Uhr, Botni, es regnet, ich drehe mich erneut um, bin jedoch zu wach. Ein Blick nach draußen offenbart tief hängende Wolken, immer wieder nieselt es. Heute wird es fast den ganzen Tag über windig und regnerisch bleiben. Diese Vermutung bestätigt mir auch der Deutsch sprechende, isländische Gruppenleiter, der sich kurz zu meinem Zelt gesellt. Wir wechseln ein paar Sätze. Die Gruppe läuft heute ihre letzte Etappe und wird irgendwo mit Autos abgeholt. Nachts soll es außerdem nur 7°C gehabt haben. Während die Gruppenmitglieder bereits das Frühstücksgeschirr spülen, verleibe ich mir eine stattliche Portion Müsli ein, Kaffee inklusive. Ein Teilnehmer bietet mir Reste vom Frühstück an, als ich von meiner morgendlichen Klohäusschen-Sitzung zum Zelt zurückkehre, ich lehne dankend ab. Im Nachgang betrachtet wäre so ein belegtes Brötchen aber ziemlich sicher die Wucht in Tüten gewesen.

                                                                        Ein weiterer Teilnehmer frägt nach dem Woher und Wohin, ich lege ihm meine bisherige Tour dar und auch die Probleme, die mein Knie mir dabei gemacht hat. Kurz darauf kommt ein weiterer Wanderer aus der Gruppe zu mir und bietet mir aus einer monumentalen Familienpackung Ibuprofen lachend eine handvoll Tabletten an. Ich nehme dankend an, so habe ich einige zusätzliche Schmerztabletten für den Fall der Fälle. Für den Kopf war das in der Situation wichtig: Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als bewegungsunfähig in der Pampa zu stehen. Kleine Bewegungsradien können schnell gefährlich werden und die Angst davor ist bekanntlich auch kein guter Berater.

                                                                        Trotz meines späten Aufstehens komme ich noch vor der Gruppe auf die Piste. Nach den ersten Metern winke ich aus dem Gehen heraus noch einmal mit beiden Stöcken zurück. Die Piste verlasse ich dann bereits nach wenigen Metern: Meine heutige Route folgt weitgehend der Luftlinie, ich laufe Richtung Nordnordost und werde den Sellandafjall dabei östlich passieren. Von diesem Peilberg ist aufgrund tief hängender Wolken und dem damit einhergehenden Nebel im Tagesverlauf jedoch wenig zu sehen. Aber die Richtung ist klar, ebene Lavafelder lassen mich zügig vorankommen. Auch die Gehmoral ist heute ziemlich gut. Letzteres ist wichtig, denn der durchwegs von vorne kommende Wind und der immer wieder in leichten Regen übergehende Niesel bleiben beständig an meiner Seite. Bei mäßiger Moral kann das Wandern dann auch zur Qual werden. Nach einigen Kilometern enden Lava und Gestein, ich laufe über nasses Gras. Nasse Schuhe, nasse Füße. Lassen wir das Thema.


                                                                        Nach steinigem Untergrund geht es auf weitläufigem Grasland weiter


                                                                        Schafe, skeptischer Natur

                                                                        Meine Wasserflasche fällt herunter. Die ehemalige Spiritusliterflasche hat in Snæfell mit der Halbliter-Wasserflasche die Funktionen getauscht. Nun handelt sie sich einen kleinen Riss ein. Bei Druck auf die Flasche tröpfelt Trinkwasser auf den Boden. Ich bemerke das zu dem Zeitpunkt jedoch nicht. Etwa 1,5 Liter Wasser habe ich in einer Wasserblase zur Sicherheit mitgenommen, immerhin geht es heute durch weitgehend wasserloses Gelände.

                                                                        Da ich recht spät losgekommen bin, mache ich nach 15 Kilometern und um 15:30 Uhr recht spät Mittagspause. Ein großer Fels an der Südostseite des Sellandafjall gibt mir die notwendige Rückendeckung vor Wind und Wasser. Ich entdecke das Loch in meiner Wasserflasche, für das Mittagessen reicht es aber noch gut. Noch habe ich keinen Wassermangel, aber ich sollte wohl etwas sparsam sein. Die Landschaft wird zunehmend steiniger, der Untergrund schotterig.


                                                                        Mittagspause am Fuße des Sellandafjall im Wind- und Regenschatten eines Felsen


                                                                        Kurz klart die Sicht auf den Sellandafjall auf, den "Peilberg" dieser Etappe

                                                                        Nach der Pause geht es bald stetig bergab Richtung Mývatn. Am Horizont zeigt sich etwas Licht. Ich komme außerordentlich gut voran, der Untergrund ist sehr einfach zu gehen. Kein Wunder, es gibt hier keine Hindernisse, die umlaufen werden müssten. Den kleinen Hügel Gyðuhnúkur lasse ich rechts liegen, leider ohne Foto. Die im GPS eingezeichnete Piste ist auch da, Offroad-Spuren neueren Ursprungs ebenso und gerne auch kreuz und quer.


                                                                        Sicht über Bláfjallshellur, der Hügel müsste Villingafjall sein, Mývatn liegt links davon

                                                                        Unten in der Ebene angekommen, betrete ich die Bláfjallshellur, eine Wüste. Schwarzer Sand ist mit grauen Gesteinsbrocken durchsetzt, grüngelbes Gras setzt Kontraste. Auch hier stoße ich wieder auf eine Piste, ich folge ihr, sie wird mich Richtung Bláhvammur führen, meinem heutigen Tagesziel. Durch den beständigen Regen haben sich in dem Lavafeld größere und kleinere Tümpel gebildet. Das Abendessen ist somit gesichert - ich fülle meine Wasservorräte auf und bunkere 3 Liter Wasser. Auch für die Abschlussetappe morgen rechne ich nicht unbedingt mit Wasser.


                                                                        Eine Piste führt am Rande des Bláfjallshellur entlang


                                                                        Eine Jeepspur kreuzt meine Fußspuren im nebligen Nirgendwo

                                                                        Im weiteren Verlauf verlasse ich die Piste. Das Lavagestein geht in ebene Sand- bzw. Kiesflächen über. Einsam ist es hier, aber auch eindrucksvoll und in einer schwer zu beschreibenden Art und Weise majestätisch. Kaum vorstellbar, dass hier ganz in der Nähe ein Tal mit üppigem Bewuchs befinden soll. Mit der Kamera fotografiere ich in Richtung Tagesziel, und tatsächlich: Grüne Pixel zeigen sich in der Vergrößerung. Einige Zeit später sehe ich Bláhvammur dann auch mit eigenen Augen, bald darauf erreiche ich mein Ziel.


                                                                        Bláhvammur im Nebel

                                                                        Die Tagesetappe endet an einem der schönsten Campspots, das ich jemals hatte. Üppige Vegation wuchert im Schutz eines Berghangs, trennscharf zur Wüste, die hinter mir liegt. Der aprupte Übergang ist regelrecht surreal. Bäume auf Island, daneben eine Steinwüste in Wurfweite. Mich erinnert das stark an die Oase Hagavatn, die man von der 35 aus auf dem Kjalvegur nach einem Tagesmarsch ganz ähnlich und unverhofft erreicht. Dennoch würde ich im Nachgang betrachtet heute die andere Routenoption wählen, linkerhand am Sellandafjall vorbei nehmen, um dieses kleine Naturschutzgebiet in Ruhe zu lassen.


                                                                        Camp in Bláhvammur

                                                                        Ich schlage mein Zelt am äußeren Rand auf einer ebenen Fläche fast ohne Bewuchs auf. Wasser gäbe es auch hier nur in Form von vereinzeltem Restschnee. Dann gibt es nach über 30 Kilometern endlich Abendessen, das habe ich mir mehr als verdient. Noch heute morgen hatte ich damit gerechnet, in der Wüste zu campieren.

                                                                        Das Trollweib Kráka soll einer Volkssage nach hier in den Berghängen hausen. Auf einen nächtlichen Besuch hat sie jedoch verzichtet, wofür ich sehr dankbar bin.



                                                                        27.7 Bláhvammur - Reykjahlíð


                                                                        Um 4 Uhr morgens wache ich auf, es regnet. Ich drehe mich um und wache erst um kurz vor 10 erneut auf. Es ist trübe und regnet außerdem. Früh loszukommen ist nun ebenfalls keine Option mehr. Etwas antriebslos bereite ich das Frühstück zu. Es ist einfach nicht sehr verlockend, im Regen aufzubrechen, mit nassen Schuhen und mittlerweile auch etwas mitgenommenen Füßen. Nachdem ich eine große Portion Müsli verdrückt habe, sieht die Welt jedoch schon ganz anders aus. Beim Kaffeekochen reiße ich dann erst eine kleine Triangel in das Innenmesh meines Zeltes und bringe anschließend noch den heißen Kocher in Kontakt mit der Außenhaut, was mir drei recht stattliche Löcher in die Außenwand des Zeltes schmort. Prima! Kann man so machen! Immerhin habe ich mich nicht mitsamt Zelt abgefackelt. Das werde ich daheim reparieren müssen, wenigstens sind die Löcher ziemlich weit unten. Eine Nacht wird das ohne allzu starken Regenschlag jetzt noch halten müssen.


                                                                        Trübes Wetter zum Start der finalen Touretappe

                                                                        Laut GPS sind es etwa noch 17,5 Kilometer bis Reykjahlíð. Dieser Ort am Nordufer des Mývatn ist das finale Ziel meiner Tour. Rekordverdächtig spät laufe ich los, es ist bereits fast Mittag. Das Wetter bleibt eher trübe, aber es regnet nicht mehr. Die ersten Kilometer laufe ich noch an der grünen Oase entlang.


                                                                        Kleine Wäldchen in direkter Nachbarschaft zur Wüste


                                                                        Ich verlasse das Naturschutzgebiet Seljahjallagil


                                                                        Weiter geht's auf einer mitunter stark mitgenommenen Piste

                                                                        Dann treffe ich auf eine häufiger befahrene Piste, die durch Erosion teilweise stark ausgewaschen ist. Diese Straße führt mich in das Flataskógarrönd hinauf, eine längliche Ebene mit fast durchgehend grünem Bewuchs und damit einhergehend einer entsprechend stattlichen Anzahl Schafe. Linkerhand durch Hügel eingefasst habe ich keinen Blick mehr auf den östlich liegenden Mývatn. Ich trotte so vor mich hin und hänge meinen Gedanken nach. Die Tourenden-Wehmut kommt auf. Irgendwann steht dann am Wegesrand ein Saga.is-Bus, Insassen sind nicht zu sehen. Vielleicht sind sie auf der Suche nach Kráka.

                                                                        Bei allem Grün hier ist dennoch auffällig, dass die Etappe furztrocken ist: An Wasserläufen bin ich bislang nicht vorbeigekommen. Einige kleine, brackige Pfützen sind Überbleibsel vergangener Niederschläge. Von meinen drei Litern Wasser ist noch ein halber übrig. Meine Mittagspause - besser, Nachmittagspause - möchte ich erst machen, wenn ich Zugang zu Wasser habe. Und ich weiß auch schon, wo das sein wird.

                                                                        Die Piste knickt nach Nordosten ab, ich laufe den sanft abfallenden Hang Nökkvarbrekka hinab und die Landschaft liegt wieder offen vor mir. Links von mir liegt das völlig überlaufene, von mir aber trotzdem immer wieder gern besuchte Dimmuborgir. Zwei Mal schon stand ich schon dort und habe mich gefragt, wie es wohl dahinter weiter geht. Jetzt weiß ich es, denn aus dem Dahinter komme ich diesmal her.


                                                                        Blick auf Dimmuborgir und Mývatn, Vindbelgjarfjall im Hintergrund

                                                                        Rechterhand des Weges kommen erste Touristen in Form von kleinen Punkten auf dem Rand des Tuffkraters Hverfjall in Sicht. Ich erkenne auch den steil und quer zum Hang hinauflaufenden Pfad nach oben, gepunktet markiert durch die bunte Kleidung zahlreicher Besuchern. Hier und heute werde ich den Hverfjall links liegen lassen.


                                                                        Kleine Menschen auf großem Krater

                                                                        Ein Pärchen kommt mir entgegen und frägt, wie weit es noch nach Dimmuborgir sei. Vielleicht zwei Kilometer noch, einige hundert Meter gerade aus, dann rechts ab, auf Wiedersehen. Die Zivilisation hat mich wieder. An der Ostseite des Hverfjall gelegen ist ein kleiner Tümpel, meine finale Wasserquelle und auch mein angepeilter Pausenplatz. Die letzten Minuten bis dorthin habe ich noch etwas Zeit, mich an die zunehmende Anzahl an Menschen zu gewöhnen.

                                                                        Dann bereite ich meine letzte klassische Mittagspause für diese Tour zu: Zur Feier des Tages gibt es die allerletzte Portion Jägertopf! Wie immer ganz hervorragend, außerdem speziell für diesen Anlassen aufgehoben. Die erste Portion gab es vor etwa zwei Wochen bei Höfn auf der ersten Etappe, nur wenige Meter neben der Ringstraße. Während dem Essen schaue ich zu, wie Mietwagen um Mietwagen am gegenüberliegenden Ufer an immer derselben Stelle hässlich knirschend auf der Buckelpiste ihre Unterböden demolieren.


                                                                        Mittagessen mit Frischwasserzufuhr


                                                                        Rastplatz mit Hlíðarfjall im Hintergrund


                                                                        Baustelle beim Hverfjall 2016

                                                                        Nach der Pause laufe ich am damals noch nicht fertiggebauten Touristenzentrum vorbei. Direkt dahinter geht es über kleine Pfade und üppige Vegetation Richtung Reykjahlíð. Irgendwie bin ich froh, diesen Hintereingang laufen zu können anstatt direkt über die Teerstraße in den Ort zu gelangen.


                                                                        Schmale Pfade nach Reykjahlíð



                                                                        Die engen Pfade durch hohen Bewuchs geben mir noch etwas Zeit, um geistig Abschied zu nehmen. Dann kreuze ich die 860, die an der Grjótagjá vorbeiführt. Besucher steigen in die Höhle hinab, um den kleinen See darin zu begutachten. Ich lasse die Sehenswürdigkeit links liegen. Das Fremdeln nach dem Herauslaufen aus der isländischen Weitläufigkeit kenne ich mittlerweile. Es braucht einfach etwas Zeit, bis man sich wieder an Menschen gewöhnt hat. Ein Pärchen begegnet mich auf dem schmalen Pfad und frägt mich nach dem Weg. Minuten später laufe über eine Wiese auf die Ortschaft Reykjahlíð zu.


                                                                        Die letzten Meter auf schmalen Pfaden vor der Ringstraße

                                                                        Dann, nach guten 300 Kilometern zu Fuß, stehe ich wieder auf der Ringstraße. Die 1 habe ich vor zwei Wochen bei Stafafell verlassen um erst Richtung Snæfell, dann zur Askja und schließlich nach Mývatn zu laufen. Das kaputte Knie und die häufig nassen Füße liegen nun hinter mir. Ich bin endgültig am Ziel angekommen. Geschafft!


                                                                        Der Kreis schließt sich - nach 300km stehe ich wieder auf der Ringstraße


                                                                        Eingang zum Campingplatz Bjarg in Reykjahlíð, Vindbelgjarfjall im Hintergrund

                                                                        Kurz darauf stehe ich an der Rezeption des Zeltplatzes, dann stelle ich auch schon mein Zelt nahe am Seeufer auf und räume es ein. Anruf in der Heimat, Bericht über das Tourende. Da mir auch heute die Füße zunehmend weiter wundgelaufen habe, bin ich, rein von der „Abnutzung“ her betrachtet um das Tourende froh. Ich fühle Erleichterung, morgen nicht mehr laufen zu müssen. Ein anderer Teil in verspürt eine gewisse Melancholie, dass es jetzt das erst einmal war mit dem Naturerlebnis.


                                                                        Der letzte Campingplatz der Tour

                                                                        Ich gehe einkaufen im nahegelegenen Supermarkt: Brot, Cola, Salami, Folie für den Rucksack, Käse, Light Beer. Um die Vorfreude zu steigern, mache ich vor dem Essen noch meine Wäsche. Unfassbar, was da für ein Dreck rauskommt. Dann gibt es endlich wieder einmal etwas anderes als Tournahrung: Unfassbar lecker! Nachdem ich mir den Magen vollgeschlagen habe, gehe ich sanft überfressen und ziemlich angetrunken duschen. Was ein einzelnes Light Beer alles anrichten kann!

                                                                        Die letzte Dusche hatte ich in der Askja, entsprechend froh bin um eine ausgiebige Grundreinigung. Dann rasiere ich mich. Der Kerl im Spiegel ist irgendwie dünner geworden, kann das sein? Zurück im Zelt schreibe ich dann am Aufschrieb zu diesem Tourbericht weiter. An viele Augenblicke und Situationen werde ich mich lange erinnern, von vielen Erinnerungen lange zehren. Meine erste Solotour war, auch jetzt im Nachgang nach fast zwei Jahren, genau das richtige für mich und ein sehr eindrückliches Abenteuer. Trotzdem erinnere ich mich auch daran, dass ich die kleine Feier zum Tourende alleine im Zelt verbracht habe. Ich stoße mit mir selbst an, der Moment vergeht schweigend, kein Glück und keine Freude werden geteilt.

                                                                        Dann stelle ich mir den Wecker auf 6:30 Uhr. Morgen früh um 8 fährt der Sprengisandur-Bus Richtung Reykjavík. Ein empfehlenswerter Erlebnis, somit war nun auch in Nýidalur, wenn auch nur sehr kurz.


                                                                        Sprengisandur-Impressionen zum Abschied


                                                                        Zwei Tage später spuckt mich ein Flugzeug in Frankfurt am Main aus.



                                                                        Epliog

                                                                        Draußen auf der Terrasse sitzend berichte ich meinen Eltern von meinen Erlebnisse auf Tour. Da sich Eindrücke nur schwer verpflanzen lassen, wird noch an diesem Tag eine gemeinsame Island-Rundreise mit dem Auto beschlossen. Die Reiseleitung traue ich mir zu, außerdem bedeutet „irgendwann“ viel zu häufig „niemals“. Gesagt, getan, dann gebucht und geplant.

                                                                        Im Mai 2017 stehen wir dann gemeinsam auf dem südlichen Kraterrand des Hverfjall. Für meine Eltern ist es ein neuer Eindruck, für mich eine Rückkehr. Ich erinnere mich sehr genau an diesen Moment: Es ist windig, wir blicken gemeinsam über die weitläufigen Lavafelder in das Landesinnere. Der Sellandafjall verschwindet wie so oft im Nebel. Ich erkläre meine ungefähre Route der vergangenen Tour und glaube, dass beide in diesem Moment ein kleines bisschen verstehen, worin der Reiz von Trekkingtouren auf Island liegen kann. Für einige Sekunden stehen wir so still nebeneinander, dann ist der Moment vorrüber. Von meinen Fußspuren in der Ferne ist längst nichts mehr zu sehen. Für meinen Vater wird es, völlig unerwartet, seine letzte Reise gewesen sein.



                                                                        Alles was bleibt, ist die Erinnerung.



                                                                        Heute, ein weiteres Jahr später, sitze ich im Garten beschattet unterm Apfelbaum, schaue bei strahlendem Sonnenschein dem Leben um den Teich herum zu und schreibe endlich, endlich diesen Bericht fertig. Dazu musste ich eben auch ein weiteres Mal am Hverfjall vorbei.

                                                                        Im Browser meines Laptops ist, neben diversen Islandkarten mit der Gegend um Mývatn, auch ein Tab von WOW-Air geöffnet. Daneben befindet sich ein weiterer Tab: Ein Satellitenbild zeigt üppiges Grün, dazu Grau und Schwarz. In der Mitte eines langgezogenen blauen Streifen Wassers steht ein einzelnes Wort:

                                                                        Langisjór.


                                                                        Gewidmet meinem Vater Günter (✝ 9.6.2017)

                                                                        Kommentar


                                                                        • Styg
                                                                          Gerne im Forum
                                                                          • 01.05.2014
                                                                          • 86
                                                                          • Privat


                                                                          #37
                                                                          AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                                          https://www.gpsies.com/map.do?fileId=eypcusiltcndjocy

                                                                          Unter dem Link gibts die vollständige, per GPS aufgezeichnete Tour. Enthalten sind alle Camps, wichtige Brücken sowie eine exklusiv von mir gelaufene Unterzucker-Schleife am fünften Wandertag.

                                                                          Kommentar


                                                                          • TilmannG
                                                                            Fuchs
                                                                            • 29.10.2013
                                                                            • 1352
                                                                            • Privat


                                                                            #38
                                                                            AW: [IS] Solotour 2016: Höfn - Snæfell - Askja - Mývatn

                                                                            Schöne Tour - vielleicht ein bischen oft Piste
                                                                            Viele gute Fotos - mit farblich gelungener Endverarbeitung
                                                                            Danke und Grüße von Tilmann
                                                                            http://www.foto-tilmann-graner.de/

                                                                            Kommentar