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    [IT] Das Meer

    Das Zelt muss mit.

    Natürlich ist es unsinnig, im Januar ein Zelt nach Italien mitzunehmen. Die Campingplätze haben geschlossen, Wildcampen ist verboten und kostet 350,00 Euro Strafe (falls man überhaupt einen Platz findet) und das Zelten in Nationalparks ist sowieso tabu.
    Andererseits: Da der südlichste Ort Italiens, den ich in einer Tagesreise bequem mit dem Zug erreichen kann, Mailand ist, plane ich, mich mit meinem Klapproller im Umfeld der Pilgerwege Via de la Costa und Via Francigena herumzutreiben. Was ist, wenn im Januar die Hotels nicht geöffnet haben, auf die man als Pilgerer angewiesen ist? Was ist, wenn die wenigen privaten Pilgerunterkünfte, wegen derer ich Schlafsack und Isomatte mitnehmen werde, ebenfalls geschlossen sind? Eine Infrastruktur wie auf dem Jakobsweg gibt es hier nicht. Und was ist, wenn Zugstreiks und andere Katastrophen ein Weiterkommen unmöglich machen? Wenn es Erdrutsche, Schneekatastrophen, Vulkanausbrüche oder Erdbeben gibt?

    Das Zelt muss mit.


    Zuletzt geändert von Torres; 22.03.2015, 20:56. Grund: geotagging
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    #2
    AW: [IT] Das Meer

    04.01.2014 Anreise

    Kaum hatte ich im Oktober die Zugfahrkarte nach Mailand gebucht (inklusive Reservierungsgebühren 104,00 Euro für die Hin- und Rückfahrt), spielte mein Gehirn verrückt. Trete ich bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen aus dem Haus, sehe ich verschneite Bäume und fühle die Sonne Lapplands in meinem Gesicht. Gehe ich nachts durch die Straßen, höre ich die Stille des Schnees und betrachte die glitzernden Sterne in Erwartung von Nordlichtern. Ich atme die Luft von Saariselkä und Helsinki und freue mich auf Finnland. Autsch. Verdammt, ich fahre ja nach Italien.

    Ich bemühe mich, rationale Argumente herbeizuziehen: 800 Euro hat mich im letzten Jahr alleine die Fahrt nach Finnland gekostet, nur damit ich am dritten Tag bei Tauwetter im Wald hocken und anschließend Passivurlaub machen durfte. Für diese Summe kann ich mich 10 Tage lang in italienischen Hotels verlustieren. Und Nordlichter habe ich auch schon gesehen. Das wird doch wieder nur ein sündhaft teurer Pauschalurlaub über dem Polarkreis.

    Aber es nutzt nix. Finnland überall. In blindem Aktionismus packe ich meinen (Finnland)Rucksack und stelle fest, dass das Ding für Italien viel zu groß ist. Damit komme ich höchstens unverzüglich in die Zeitung. Auch 65 Liter sind noch viel zuviel. Es wird der Deuter 45 (+10), zumal er für meine Zwecke die beste Aufteilung hat und erheblich weniger wiegt. Meine Knie wollen die 20 kg des letzten Jahres nicht mehr akzeptieren. 8 kg, höchstens. Das ist mit 2,5 Litern Wasser + Futter sogar ohne Ausrüstung grenzwertig, denn auch in Italien kann es Winter werden. Damit steht fest: Der Klapproller muss mit. Schon als Reserve, falls meine Füße wieder versagen und ich nicht mehr laufen kann. Zumal ich meinen Konditionsstand noch gar nicht einschätzen kann, denn immer noch muss ich mich schonen. Am Ende heißt es: 8 kg für mich, 8 kg für den Roller. Und auf kurze Strecken sind 26 kg inklusive Roller auch zu schaffen.

    Trotzdem geht mir Finnland nicht aus dem Kopf. Als Ersatzhandlung treibe ich mich wochenlang auf Pilgerseiten herum und versuche an Informationen und die Tracks zu kommen. Mein neues Garmin 62s macht mich wahnsinnig, und ich schalte stundenlang Karten frei, die dann nicht angezeigt werden ( weil andere Karten Vorrang haben) oder laut Gerät doch nicht freigeschaltet sind oder so oder wie auch immer. Dreimal bin ich kurz davor, das Gerät vom Balkon zu stürzen und werden nur von der immer gut gelaunten ODS-Hotline davon abgehalten. Ich lade Topos runter, die trotz Anleitung irgendwie nicht funktionieren, lese OSM Anleitungen bis mir der Kopf raucht, zeichne auf Karten vorliegende Tracks liebevoll in Basemap nach und bin mir sicher, dass wie immer die Mühe vermutlich umsonst ist, weil alles ganz anders wird.

    Weihnachten treibt vorbei und Anfang des Jahres lege ich letzte Hand an: Der Deuter 45 + 10 Liter Deuter als Rollergepäck (Zelt, Isomatte, Schlafsack, Footprint, Notkocher, Winterkleidung, Ersatzschläuche) und der Vaude Rock 25 UL als Rückengepäck (Hygiene, Elektronik, Essen und Trinken, Luftpumpe und Flickzeug). Beim allerletzten Check finde ich noch einmal Sachen, auf die ich verzichten kann. Ich habe für Skandinavien gepackt, ich habe es gemerkt. Aber die dünne Daunenjacke, die muss mit.

    Am 2. Januar treffe ich eine Finnin: Schnee in Turku? No. Schnee in Tampere? No. Zugefrorener See in Tampere? No. Schnee in Rovaniemi: A little. In Finnland sind Plusgerade. Meine Laune bessert sich. Dennoch ist mein Kopf entschlossen, am Tag vor der Abreise gegen 15.00 Uhr den Losmarschbefehl zu geben, um die Fähre nach Helsinki um Mitternacht rechtzeitig zu erreichen. Nur mit viel Mühe programmiere ich mich um: Der Zug geht morgens um 6.11 Uhr und fährt nach MAILAND!

    Tatsächlich schaffe ich es, mit vier Weckern Unterstützung morgens um 4.00 Uhr wachzuwerden (eigentlich Schlafenszeit, denn die Fähre legt ja um 3.00 Uhr morgens ab ). Gegen 5.30 Uhr bin ich am Hauptbahnhof und steige (nach einem kurzen Moment der Schwäche nicht in den Zug nach Travemünde, sondern) in den Zug nach Basel. Ab Karlsruhe bekomme ich Begleitung von einem Erasmusstudenten, den es nach Mailand verschlagen hat. Er ist zufrieden. Er wollte – wie alle – nach Rom, aber Mailand bietet ähnliche Möglichkeiten und Verkehrsanbindungen. Eine halbe Stunde vor dem Gotthard-Pass bringe ich mich in Position, um endlich das im September verpasste das Gletscherfoto machen. Dreimal schaffe ich es, nicht einzunicken, beim vierten Mal nicht mehr. Als ich aufwache, sind wir kurz vor Bellinzona. Es liegt dünn Schnee.

    In Lugano haben wir eine Dreiviertelstunde Aufenthalt, dann sind wir auch schon in Mailand. Durch gemeinsame Recherche kann er mir ungefähr sagen, wo ich hin muss: Mit der grünen Linie von Centrale nach Cadorna, dort Umsteigen in die rote M1 (Richtung Rho Fiera). Ich steige Lotto aus, richtig wäre QT8 gewesen, das ist kürzer. So steht es auch in der Beschreibung, aber irgendwie habe ich das übersehen. Mit dem Navi finde ich das Hihostel Piero Rossa dennoch schnell. Es ist wie ein Sicherheitstrakt gesichert, der Mann an der Rezeption ist total nett und spricht Italienisch, Englisch, Französisch, eine afrikanische Sprache und etwas deutsch. Das Hostel ist alt und laut, die Sanitäräume erinnern an klassische Jugendherbergen, aber für meine Zwecke taugt es. Im Zimmer befinden sich Moldawien, Australien und Österreich. In der Pizzeria in der Nähe esse ich eine vegetarische Pizza. Sie schmeckt grottig und ich werde lernen, dass man in Italien besser Margherita bestellt oder eine normale Pizza ohne Schinken. Die Straßen sind menschenleer und selbst Autos sind nur wenige unterwegs. Ich komme mir vor wie in einem einsamen Vorort und ein bisschen unheimlich wirkt das Viertel schon. Erst drei Wochen später wird mir klar, dass Schulferien und Feiertage die Ursache dieses Eindrucks sind.
    Zuletzt geändert von Torres; 26.01.2014, 19:58.
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      #3
      AW: [IT] Das Meer

      I. Teil: Antipasto – Vorspeise




      05.01.2014 Mailand

      Als ich morgens aus dem Tiefschlaf erwache, überlege ich, was ich heute mache. Die Anreise zur eigentlichen Tour wird erst morgen beginnen. Ich wollte noch einen Tag Erholung haben. Es gibt nur eines, was mich an Mailand wirklich interessiert. Etwas Fernes, Großes aus meiner Kindheit. Ein Traum. Aus einer Zeit, wo Mailand weit weg hinter den Alpen lag und keine Billigflieger oder Europa-Spezial Tickets mit Shopping-Wochenenden lockten. Aber ich bin mir sicher, mein Traum wird sich nicht erfüllen.

      Das Frühstück erscheint mir mäßig, ist aber, nachdem, was ich heute weiß, für italienische Verhältnisse reichlich und gut. Ich kaufe mir im Tabakladen das Metroticket und einen Stadtplan und los geht es. Zuerst die Kirche Santa Maria delle Gracie, in deren Anbau sich Leonardo da Vincis Abendmahl befinden, dann der Dom. Und dann vielleicht – der Traum? Mal schauen.

      Nur wenige Menschen sind auf der Straße. Es ist Sonntag.

      Ich laufe zur Kirche Santa Maria delle Gracie. Es ist Gottesdienst, und ich setze mich dazu. Die Stimmen des Geistlichen ist wunderschön und der Klang durchströmt die Kirche. Ich halte inne.





      Da Vincis Gemälde befindet sich im Museum nebenan. Touristen mit vorreservierten Karten drängeln sich im Eingang und der Tag ist beinahe ausverkauft, aber ich erhalte noch eine Karte für 12.15 Uhr. Zeit genug, um erst zum Dom zu fahren. Ich nehme die Straßenbahn. Es sind ein paar internationale Touristen unterwegs und weiterhin regnet es in Strömen. Der Dom sieht beeindruckend aus, aber er ist nass und lässt sich schlecht fotografieren. Besichtigungsstimmung kommt nicht auf. Ich versuche, Karten für meine Traum zu erhalten, aber der Ticketshop ist noch nicht geöffnet. Also besichtige ich den Dom. Das Militär kontrolliert die Taschen der Besucher. Innen ist die Kathedrale für mich eher eine Enttäuschung. Riesig, in der Tat. Aber auch kalt und eher schmucklos. Die Wärme und Geborgenheit der Kirche von vorhin verströmt sie nicht. Die drittgrößte Kirche der Welt nach Sevilla und Rom. Fotografieren kostet zwei Euro.





      Ich durchquere die Galerie am Domplatz suche das Gebäude meiner Träume und finde es. Unscheinbar steht es an der Straße.





      Aber zunächst muss ich zu Da Vincis Abendmahl. Wieder nehme ich die Straßenbahn. Der Raum des Gemäldes wird mit mehreren Sicherheitsschranken gesichert, die auch die Besucherströme lenken sollen. 15 Minuten sind Zeit. Fotografieren ist verboten. Einige tun es dennoch und müssen die Bilder löschen. Auch mich schaut der Wächter scharf an, traut mir eine derartige Tat aber nicht zu. Ein Vorteil des Alters?

      Wieder springe ich in die Straßenbahn und laufe zum Ticketcenter. Es gibt noch Karten: Für 110 Euro oder für 11 Euro. Ich nehme eine Karte für 11 Euro. Das Gebotene ist nicht ganz nach meinem Geschmack, aber man soll nicht meckern. 15.00 Uhr wird es losgehen.

      2 Stunden habe ich nun noch Zeit. Ich schlendere durch die noble Gallerie Vittorio Emanuelle II und beschließe, mir das Castello Sforzesco anzuschauen, das am anderen Ende der Via Dante liegt. Eine glückliche Entscheidung. Längst ist mir klargeworden, dass meine Regenjacke bei diesem Dauerregen auf Tour viel zu schwer zu trocknen sein wird. Eine dünne Überjacke hatte ich aus Gewichtsgründen zu Hause gelassen und es bereits bereut. Und was befindet sich an dem Platz vor dem Castello? Ein Decathlon. Zivilisation hat auch Vorteile. Ein schmutziggelber Poncho wechselt für 12 Euro den Besitzer. Eigentlich mag ich keine Ponchos, aber ein positiver Kommentar von Randonneur hat sich in meinen Gehirnwindungen festgesetzt. Und gelb ist immer gut. Es wird der Beginn einer langandauernden Haßliebe.

      Vor dem Castello faszinieren die Springbrunnen und Straßenhändler bemühen sich, Regenschirme zu verkaufen. In einem Burggraben spielen die Katzen an den Kanonenkugeln. Hinter dem Schloss liegt ein Park und in der Ferne lässt sich ein Triumphbogen erkennen, der Arco della Pace. Im Sommer muss es hier wunderschön sein. Vögel zwitschern. Wie schön. In Helsinki war es immer totenstill.





      Dann eile ich zurück. Bei einem Straßenhändler erwerbe ich Maronen. Sie sind teuer und könnten besser schmecken, machen aber satt. Schnell bin ich am gewünschten Ort. Auf dem Kopf von Leonardo da Vinci, dessen Statue den Platz davor verziert, sitzt eine Taube,. Anscheinend hindert ihn das aber nicht am Nachdenken. Vor der Raffaelo-Ausstellung gegenüber steht eine lange Schlange.





      Ich betrete „mein“ Gebäude durch den Seiteneingang, da ich ja nur einen billigen Platz habe. Der Haupteingang ist für die Logengäste reserviert. Es geht viele Treppenstufen empor, aber ich bin nicht alleine. Elegant gekleidete Menschen im Pelzmantel befinden sich hinter mir. Oben angekommen, wir von einem der Platzanweiser mein Ticket kontrolliert, und ich muss meine Ausweis zeigen. In meiner Outdoorkluft sehe ich nicht ganz standesgemäß aus, zumal ich immer noch die Stirnlampe um den Hals habe. Vermutlich traut man mir nicht zu, die Karte regulär erworben zu haben. Dann werde ich zu meinem Platz geführt. Und sehe meinen Traum mit eigenen Augen: In befinde mich in der Mailänder Scala, korrekt: Dem Teatro alla Scala. 1778 auf dem Platz einer Kirche errichtet, wurde sie im Krieg durch die Allierten bombardiert, wieder aufgebaut und 1946 rekonstruiert mit einem Konzert von Toscanini wiedereröffnet. Zwischen 2002 und 2004 wurde der Bühnenteil komplett renoviert. Die Scala, eines der besten und berühmtesten Opernhäuser der Welt. Was gäbe ich darum, in diesem Hause einmal singen zu dürfen. Statler und Waldorf wohnen hier übrigens nicht.





      Es wird ein Ballett des Choreographen Serata Radmannsky aufgeführt, das aus drei Teilen besteht. Je nach Stück begleiten Streichorchester, Orchester, Flügel und Gesang die Tänzer. Von den Stücken habe ich noch nie etwas gehört und ich vermute erst einmal, dass das eines der Gründe ist, warum es überhaupt noch Karten gab. Auch die Feiertage können eine Rolle gespielt haben. Die Vorstellung beginnt pünktlich, es gab Zeiten, da stellte man seine Uhr nach dern Aufführungen der Scala. Erst wird der Kronleuchter ein paar Mal gedimmt und wenn er langsam verglüht, wird Stille erwartet. Das Fotografieren der Aufführung ist verboten.

      In der Pause vibriert mein Telefon. Verrückt. Ich sitze in der Scala und ausgerechnet da ruft eine der wenigen Personen an, die wissen, was das für mich bedeutet. Schnell noch eine sms an Vega und die Antwort ist „smile“. Damen im Pelzmantel füllen im Waschraum Wasser in eine mitgebrachte Wasserflasche. Verdeckte Armut und der Versuch, Würde zu bewahren. Als die Lichter wieder ausgehen, leuchten die Smartphones in der Dunkelheit. Die Aufführung gefällt mir zunehmend, auch wenn ich von meinem Platz aus nur eingeschränkt auf die Bühne schauen kann. Anderen geht es genauso und die Tänzer werden mit mehreren Vorhängen belohnt. Als der Solotänzer einen Blumenstrauß auf die Bühne geworfen bekommt, geht ein Raunen durch die Menge.

      Als ich die Scala verlasse, bin ich wunderbar entspannt. Ich war in der Scala und ich habe Urlaub. Endlich Urlaub. Die Scala, die Straße und das Museum gegenüber sind beleuchtet, Lichtspiele finden sich auf dem Asphalt. Immer noch stehen lange Schlangen vor der Raffaelo Ausstellung. Von oben herab betrachtet Leonardo das Treiben. Die Galerie ist gut gefüllt von Menschen, vor allem jungen Menschen. Die meisten schauen nur, aber einige betreten auch die Geschäfte. Elegant gekleidete Verkäufer öffnen die Türen. Hier findet man die großen italienischen Modehäuser von Rang und Namen, aber auch der deutsche Stern ist mit Modellen vertreten. Die Kuppel glitzert blau. Neben dem Dom steht ein weiteres Gebäude, es wird mit weihnachtlicher Schokoladenwerbung angestrahlt. Der Tannenbaum leuchtet im Regen. Unwillkürlich denke ich an Rovaniemi und den Lordi Square. Ob der Tannenbaum noch steht? Deutlich sehe ich die Lichter vor mir.
      Langsam gehe ich zur U-Bahn. Die Bahnsteige sind überfüllt, aber die Menschen guter Laune und niemand drängelt. Tief in Gedanken fahre ich zum Hostel und steige diesmal an der richtigen Haltestelle aus. Es ist still draußen, Menschen sind keine unterwegs, nur die Vögel zwitschern. So mache ich noch einen kleinen Spaziergang um den Block. Es riecht nach Frühling und der Regen hat aufgehört.





      Und ich fühle mich, als wäre ich in Helsinki. Es ist nur etwas wärmer als gewohnt. Allerdings nicht viel, denn auch in Helsinki ist im Januar diesen Jahres Frühling.
      Zuletzt geändert von Torres; 26.01.2014, 22:10.
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      • hosentreger
        Fuchs
        • 04.04.2003
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        #4
        AW: [IT] Das Meer

        Ich wusste doch, dass mir in den letzten Wochen etwas gefehlt hatte!

        Danke Torres, und ich bin/wir sind schon sehr auf die Fortsetzung gespannt:
        Fahrad im Eisland, Rodelschlitten in der Arktis und Klapproller in der Scala.
        Das hat was...

        hosentreger
        Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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        • Torres
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          #5
          AW: [IT] Das Meer

          II. Teil: Primo Piatto – Erster Gang

          Das Ligurische Meer: Via del la Costa und Via Aurelia






          06.01.2014 Als Helsinki in Ligurien lag - Genova

          Am nächsten Morgen scheint die Sonne. Am Frühstücksbuffet gibt es statt Brötchen Zwieback und Cracker aus der Plastikverpackung sowie vollgezuckertes Müsli. Ein typisches italienisches Frühstück, wie ich nun weiß. Es ist Feiertag, was ich noch nicht weiß. Die Bäcker haben geschlossen. Aber ich habe eine kleine Ration Haferflocken im Gepäck. Der Bahnhof Milano Centrale leuchtet in der Sonne. Ein imposantes Gebäude. Laut wikipedia die Kopie römischer Monumentalarchitektur mit der Mussolini Zeichen setzen wollte. In der Ferne sieht man die Berge.





          Eine Bahnmitarbeiterin zieht mir am Automaten für ca. 20 Euro eine Fahrkarte nach Genua. Ich hatte mich entschieden, ab Genua zu starten, da die Via Francigena in Richtung Sarzana über den Cisa Pass verläuft. Nun hält sich in diesem Jahr der Winter zwar in Grenzen, aber der Weg von Genua über Cinque Terre nach Sarzana, erscheint mir interessanter. Ab Sarzana vereinen sich die Wege und führen als Via Francigena nach Rom. Soweit werde ich es natürlich nicht schaffen, denn alleine für diese Strecke wären 3 Wochen anzusetzen. Übrigens sind die Via de la Costa und die Via Francigena von Sarzana bis Rom Teil eines Jakobsweges, auf dem sich Pilgerer in beiden Richtungen treffen können: Die Pilgerer von Santiago de Compostela nach Rom und die Pilgerer von Rom nach Santiago de Compostela.

          Der Blick aus dem Zug bestätigt meinen theoretisch gewonnenen Eindruck. Die Via Francigena führt gar nicht so weit von Mailand entfernt durch flaches Gelände, um dann die Apenninen zu erklimmen, die das Meer vom Binnenland trennen. Die Trennung der Landschaften durch den Gebirgszug ist aus Zugfahrersicht abrupt. Gerade noch im Flachland befindlich, wird kurz vor Genua die Aussicht auf malerische, einsame Bergdörfer und tiefe Schluchten atemberaubend, bevor das tiefe blaue Ligurische Meer samt Genua unvermittelt vor einem liegt. Da ich mich mitten im Gespräch mit einer deutschen Erasmusstudentin befinde, mache ich aber keine Fotos, sondern staune nur. Welch ein Kontrast. Und habe den Eindruck, ich müsse dieser Stadt einen Tag widmen.

          Als ich aus dem Zug steige, bin ich zunächst erst einmal ratlos. Niemand, den man fragen kann. Noch immer habe ich nicht begriffen, dass heute Feiertag ist. Die Sonne scheint mit unglaublicher Kraft und fühlt sich an, als wäre Sommer. Ich schiebe den Roller eine Straße am Bahnhof hoch, um mir einen Überblick zu verschaffen. Schilder weisen auf Schlafgelegenheiten hin. Steil ragen die Häuser Genuas den Hügel hinauf. Genua hat eine Jugendherberge. Wie ich im Zug erfahren habe, liegt sie weit hoch auf dem Berg und sollte mit dem Bus angefahren werden.








          Ich stelle das Navi an. Noch haben das Navi und ich eine Beziehungskrise, aber es wird. Der Weg sieht nach einer langen Serpentinenfahrt aus. Was tun? Tour beginnen, Zimmer am Hafen suchen oder mit dem Bus zum Hihostel fahren? Eine Touristeninformation sehe ich nicht. Es riecht nach Hafen und Meer. Ein Tor zu Welt. Helsinki im Sommer.

          Ich denke an balticskin, der mir vor meinem Urlaub geraten hatte, mich nicht an irgendwelchen Reiseberichten zu orientieren, sondern das zu machen, was mir Spaß macht. Es ist DEIN URLAUB, hatte er gesagt. Die Sonne kitzelt in meiner Nase. Er hat recht. An so einem Tag sollte man die Sonne genießen. Morgen ist auch noch ein Tag.

          Ich rollere zurück Richtung Bahnhof, um nach Hinweisschildern Ausschau zu halten, aber Hilfe ist nicht in Sicht. Ich folge der Straße und gelange an den Haupteingang des Bahnhofs. Nichts. Taxen stehen vor der Tür. Spontan steuere ich das erste Taxi an und klappe den Roller zusammen. Nicht ohne vorher zu fragen, ob das Hostel auf hat. Der Taxifahrer fragt nach und nickt. Sollte es nach meiner Recherche auch. Hat es aber nicht. Gleich werde ich das wissen.

          Der Taxifahrer fährt sportlich und recht lange einige Serpentinen hoch und ich habe ihn im Verdacht, dass er einen Umweg fährt. Tut er aber nicht. 20 Euro will er für die Fahrt haben. Nun gut, es ist Wirtschaftskrise, und auch er will leben. Dann stehe ich vor dem Hostel und komme nicht hinein. Erst denke ich an Mittagspause. So stelle ich mich an den Sportplatz, genieße den Ausblick, blinzele in die Sonne und feile ein wenig an meiner Ausrüstung. Bisher hatte ich den Bergrucksack am Roller hängen gehabt, aber der schlackert mir zuviel herum. Also tausche ich. Und stelle fest, dass diese Lösung perfekt ist. Durch die Rückenpolsterung besitzt der Deuter eine Spalte, die genau an das Gabelrohr passt. Er sitzt wie angegossen und der Roller läuft viel ruhiger.

          Im Schatten wird es kühl, es ist eben doch erst Januar. Ich halte einen Jogger an und er nickt: Das Hostel ist geschlossen. 20 Euro in den Sand gesetzt. Noch einmal ein Blick durch die Bäume. Ein Bus schnauft den Weg hinauf.





          Ich schaue die Bergstraße hinunter. Ich habe im Herbst Magura Bremsen am Roller anbringen lassen und dieses wird der erste Test. Langsam setze ich den Roller in Bewegung und was dann passiert ist einfach nur geil. Elegant und mit unglaublich guter Straßenlage fahren wir lässig in Richtung Tal. Ein paar junge Motorrollerfahrer stehen am Straßenrand und schauen mir verblüfft hinterher. Ein Motorradfahrer grüßt mich. Die Luft riecht nach Sonne, Meer und Blüten, das Ganze abgerundet mit einem leichten Geruch nach Benzin. Ich fühle mich wie auf einer Motorradtour in Frankreich an einen warmen perfekten Sommertag. Frei. Frei wie ein Vogel.

          An einer kleinen Sitzgruppe mache ich erst einmal Fotos. Ein Ehepaar, das in der Sonne sitzt, lacht mich wohlwollend an und betrachtet meinen Roller.








          Ein Hostelschild taucht auf, und ich biege ab. Wieder ein schöner Ausblick in der Kurve.








          Aber ich bin unsicher, ob die Abbiegung richtig ist. Also laufe ich ein Stück zurück, finde das Schild aber nicht mehr. Eine Frau will mir helfen, sie spricht ein wenig englisch, kennt das Hostel aber auch nicht. Das kann schwierig werden mit Übernachtung heute, sagt sie, es ist Feiertag. Erst da begreife ich, warum es überall so ruhig und entspannt ist und nur wenige Autos unterwegs sind. Feiertag. Die Heiligen Drei Könige. Ich Depp. Ein Bus zwängt sich um die Kurve. Die Frau rennt um Entschuldigung bittend unvermittelt los, um ihn zu erwischen. In der Kurve stehen drei ausgebrannte Autos.

          Wieder geht es bergab und ich entscheide mich, mir ein Hotel in Hafennähe zu suchen. Dort befindet sich der Startpunkt meiner Tour. Weiter geht die wilde Jagd. Einige Ausblicke erkenne ich wieder, ich fahre die Strecke des Taxifahrers. Er ist keinen Umweg gefahren, die Strecke ist so lang.





          An einer Art Platz bin ich unsicher, ob ich noch richtig bin und frage. Man erklärt mir den Weg. Noch ein kurzes Stück ins Tal und ich befinde mich am Eingang der Altstadt. Kurz darauf stehe ich vor einer Touristeninformation und halte endlich einen Stadtplan in den Händen. Die Frau in der Touristen Information ist eine italienische Schönheit mit langem blonden lockigen Haar. Sie lacht die ganze Zeit ein bezauberndes Lächeln und spricht gut deutsch. Für zwei Euro bucht sie mir für 40 Euro ein Dreisterne-Hotel mit Bad im Zimmer. Hotel Bellevue. Es befindet sich am Bahnhof. Gegenüber dem Taxistand. Hahaha.

          Das Hotel ist mitten in einer Kurve und sehr gut geführt, das sieht man sofort. Regulär kostet das Doppelzimmer 170 Euro und das ist es wert. Der Blick aus dem Fenster zeigt in Richtung Bahnhof und Leuchtturm. Die Gleise sind leer. Viele Züge fahren sonntags nicht nach Genua. Die Inneneinrichtung des Zimmers und das Bad sind tadellos. Meinen Roller kann ich im Aufzug mit aufs Zimmer nehmen. Welch ein Luxus. Nicht einfach, in der Wirtschaftskrise so ein großes Haus zu bewirtschaften. Das dürfte den Sonderpreis für das Zimmer erklären. Und auch wenn ich eigentlich nicht so der Hoteltyp bin, fühle ich mich doch ganz gut dabei, mit meiner Reise ein wenig die Wirtschaft anzukurbeln. Auf der Terrasse mache ich Fotos.





          In der Via Balbi kaufe ich in kleinen Lädchen Brötchen, frischen Käse und Gemüse für den nächsten Tag. Dann tauche ich in die Altstadt von Genua ein.





          Bald befinde ich mich am alten Hafen. Eine vielbefahrene Landstraße, die auf einer Brücke verläuft, trennt Altstadt und Hafen und die Autos sind laut. Aber es ist ein ständiger Strom und bald vergisst man die Geräusche.

          An der Fußgängerpromenade befinden sich viele Familien mit ihren Kindern. Ein Piratenschiff liegt am Weg: „Il Galeone Neptune“, aus dem Film „Pirate“ (Piraten) von Roman Polanski (1986). Der Himmel ist klar und das Licht reflektiert in vielfältigen Farben.








          Und wieder denke ich an Finnland. Die Farben und das Licht. Sollte es nicht nur an der Kälte, sondern auch am Monat liegen? Ich könnte auch in Helsinki sein. Es fehlt nur die Eisbahn. Dafür ist es hier natürlich zu warm.
          Die moderne Architektur im Hafen war mir schon vorher aufgefallen. Futuristisch ragt ein weiß überspanntes Gebäude ins Wasser. Bald darauf muss ich lachen. Es ist die Eisbahn. Willkommen in Helsinki.





          Aber zuvor gab es einen kleinen Zwischenfall. Eine rote Ente (2 CV6 Spezial) rattert in die Fußgängerzone. Das Auto ist ziemlich verbeult und ich wundere mich kurz, was ein so altes, französisches Auto in Italien wohl anliefert, dass es hier fahren darf. Aber in Italien ist ja alles möglich. Wie üblich, mache ich natürlich Fotos von dem Oldtimer.





          Plötzlich verliert der Wagen einen der blauen Koffer auf dem Dach und der Beifahrer steigt aus. Aber erst, als er französisch parlierend eine Leiter anbringt, um den Koffer wieder zu befestigen, wird mir klar, was es ist: Kleinkunst. Mann, hatte ich eine lange Leitung!





          Wahlweise steigen nun beide mal ein, mal aus. Kurz ruckelt das Auto nach vorne, aber bremst sofort wieder ab. Wieder springen die Franzosen hinaus, einer wedelt mit dem Stadtplan. Immer wieder fragen sie nach dem Porto Antico (an dessen Eingang sie sich ja bereits befinden). Immer mehr Publikum kommt hinzu. Und alle lachen. Die Kinder versuchen zu helfen, aber die Franzosen verstehen natürlich nichts. Es ist zu komisch.

          Ein junger Mann räumt zwei Pappsäulen weg und ich vermute instinktiv, dass sie Wegweiser für die Franzosen sind. Schnell mache ich ein Foto von dem aufgeklebten Plakat: Es ist der letzte Tag des „Circum Navigando Festival“, des Festival Internationale di Tetro e Circo Genova XIII. Ein Blick auf die website des Veranstalters zeigt folgende Notiz:

          „16h30 - PORTO ANTICO di Genova
          “ENTE GUT” di Bangditos Theatre ed il loro teatro di strada dalla Germania.“
          Keine Franzosen. Deutsche. Upps. Und daher habe ich eben weitergesucht. Und nun kommt der Knaller: Die Jungs sind aus Hamburg!

          http://www.baengditos.de/shows_2cv.html

          Eine super gute Show. Gratulation. Denn die Aufführung geht noch weiter. Aber ich lasse sie zunächst hinter mir. Das Wetter ist einfach zu schön. An der Hafenkante rollere ich weiter. Langgestreckte Hallen mir Restaurants liegen am Weg. Vermutlich alte Fischhallen.

          Wieder dieses finnische Licht. Die Farben so klar und der Himmel so groß.














          Umwillkürlich denke ich an Suomenlinna. So stelle ich mir die Atmosphäre dort im Sommer vor. Ein Familienvater spielt mit seinen Kindern Fußball.

          Als ich zurückschlendere, sehe ich wieder die Ente. Sie macht sich zur Abfahrt bereit, aber das dauert. Irgendetwas ist immer und es ist schreiend komisch. Keck springt ein Junge aufs Auto, aber die Darsteller lösen die Situation souverän. Überhaupt die Kinder. Diese leuchtenden Augen sind ein Genuss. Und die Erwachsenen freuen sich mit. Die italienische Leichtigkeit, hier ist sie wieder. Das Auto ist ein Wunderwerk der Technik. Es funkt und zischt und knallt. Nur das Französisch der Darsteller erscheint mir langsam äußerst suspekt. Vermutlich sind es Italienier. Erinnerungen an das französische Straßentheaterfestival in Saarbrücken werden wach. Lange ist es her. Gibt es das noch?





          Ich habe heute kaum etwas gegessen und lasse mich in einer Pizzeria an der Promenade wieder. Die Sonne ist weg und nun wird es empfindlich kühl. Aber das Licht fasziniert weiterhin. Man muss nicht immer nach Finnland fahren. Hier ist es auch schön.














          Ich rollere zurück zum Hotel. Die Gänge der Altstadt sind eng und an einigen Stellen einsam. Eine Gedenktafel weist auf ein mittlerweile geschlossenes Hotel hin, in dem Mark Twain, James Fennimore Cooper und andere übernachtet haben. An den größeren Straßen schieben sich fröhliche Menschen durch die Gänge. Italien wird wach. Internationale Touristen sehe ich keine. Reisende mit Koffer oder Stadtplan in der Hand sind Italiener.
          Auf der Ampel am Ausgang der Innenstadt steht in grüner Schrift „Avanti“ = „Fort“ oder „voran“. Und ich muss lachen. In Helsinki machen die Ampeln laute, schnelle „tokk, tokk, tokk“-Geräusche, wenn es grün ist, um die Menschen zu Eile an zuhalten. Nun besteht kein Zweifel mehr: Helsinki liegt in Ligurien. Am nächsten Kreisverkehr bestärkt das große Gebäude diesen Eindruck. Nur der Verkehr ist temperamentvoller. Die Polizei hält mitten auf der Straße einen Farbigen an und kontrolliert seine Papiere. Der Bus muss warten. Ich biege in die Via Balbi ein und kurz darauf bin ich am Bahnhof.





          Auf seinem Sockel posiert der wohl berühmteste Sohn der Stadt: Christoph Kolumbus (1451-1506), derjenige unter den Entdeckern Amerikas, der 1492 mit der Entdeckung eines bisher unbekannten Kontinentes die europäische Kolonialisierung Amerikas eingeleitet hat. Obwohl er selbst Genua als Geburtsort angegeben hat, war diese Tatsache in der Wissenschaft allerdings lange umstritten. Es wäre durchaus möglich, dass er aus der Provinz Genua stammte. Ihm selbst war seine Entdeckung übrigens bis zuletzt nicht bewusst. Erst Amerigo Vespucci, der Namensgeber Amerikas, stellte fest, dass es sich um einen bisher unbekannten Kontinent handelte.





          Der Wetterbericht der italienischen Fernsehens kündigt an, dass es morgen Regen gibt. War ja nicht anders zu erwarten. Den Tag heute hätte ich dennoch nicht missen mögen. Die Nachrichtensendungen sind voller Nachrichten und Unterschlagzeilen von Michael Schumacher, der nach seinem Skiunfall immer noch im Koma liegt. Ob die Medienaufmersamkeit bei einem italienischen Sportler in Deutschland auch so hoch wäre?
          Als ich mein Hotelzimmerfenster öffne, genieße ich den Blick auf die Stadt. Der Leuchtturm sendet seine Signale. Eine schöne Stadt. Ich freue mich auf meine Tour. Und beschließe endgültig, dass Helsinki am Ligurischen Meer liegt. Willkommen in Finnland.


          Zuletzt geändert von Torres; 27.01.2014, 19:01.
          Oha.
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          • lina
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            • 12.07.2008
            • 43828
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            #6
            AW: [IT] Das Meer

            Stimmt, das Abendlicht in Genua ist traumschön. Freut mich, dass das auch im Winter so zu sein scheint

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            • Rainer Duesmann
              Fuchs
              • 31.12.2005
              • 1642
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              #7
              AW: [IT] Das Meer

              Einfach Klasse!
              Vielen Dank.
              Dein Besuch der Scala erinnert mich an mein Glück eine Vorstellung in der Londoner Royal Albert Hall zu erleben.
              radioRAW - Der gesellige Fotopodcast

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              • hosentreger
                Fuchs
                • 04.04.2003
                • 1406


                #8
                AW: [IT] Das Meer

                Torres,

                ich beneide Dich schon ein bißchen um Deine Art des Reisens!
                Ich fahre mehr, und Du siehst mehr.

                Bei der Planung meiner nächsten Reise (die Du sicherlich mitkriegst) darfst Du mich ruhig "anstupsen" und mich an meine guten Vorsätze von jetzt erinnern.

                Deine Bilder strotzen vor Leben! Immer noch die E-M5?

                hosentreger
                Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                • Torres
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                  • 16.08.2008
                  • 31757
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                  #9
                  AW: [IT] Das Meer

                  Ja, immer noch die gleiche Kamera.

                  Nun, der Unterschied ist vielleicht, dass es mir mehr um die Menschen und die Atmosphäre, als um die Strecke an sich geht. Aber noch bin ich ja gar nicht richtig losgefahren.

                  Gleich geht es weiter.
                  Oha.
                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                    • 16.08.2008
                    • 31757
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                    #10
                    AW: [IT] Das Meer

                    07.01.2014 Recco

                    21,8 km. 284 m Anstieg, 272 m Abstieg.

                    Am Morgen scheint zunächst die Sonne, aber das wird sich bald ändern.





                    Das Frühstück lässt keine Wünsche übrig. Ich frage den Hotelier, ob es ihm lieber ist, wenn ich bar zahle. Es ist ihm lieber, auch in Italien kosten Kreditkarten Gebühren. Angesichts des Sonderpreises ist das nur fair.

                    Ich fahre die gewohnte Strecke Richtung Innenstadt und am Palazzo Rosso vorbei, um zum Hafen zu kommen. Leider biege ich nicht rechtzeitig ab und befindet mich plötzlich an einer unbekannten Straße. Den Stadtplan hatte ich bereits entsorgt. Ich quere einen Platz und lenke den Roller nach Gefühl in Seitenstraßen. Mein Navi hat den Track der Via de la Costa geladen, zeigt mir aber nicht an, wo ich mich gerade befinde. Ich bin genervt.





                    Mit Kombinationsgabe finde ich den Hafen Antico wieder und versuche meinem Navi meinen genauen Standort zu entlocken. Nichts. Eine halbe Stunde probiere ich alles mögliche aus und bin mal wieder soweit, das Teil ins Wasser zu werfen. Leider ist das keine Lösung, und ich beschließe jetzt einfach, der Straße zu folgen. Der aufgezeichnete Track führt zum Teil durch die Stadt, das weiß ich noch. Er wird aber irgendwann auf diese Straße einmünden, so dass ich nicht ganz falsch liegen werden.

                    Mein Kampf mit dem Navi hat Zeit gekostet. So komme ich erst viel später los, als ich wollte. Es ist viel Verkehr und es riecht nach Fisch. Ich rollere den Corso Italia entlang, der immer am Meer entlang führt. Die Autos sind laut und das dürfte der Grund sein, warum der Originaltrack an dieser Stelle durch die Innenstadt führt. Es sieht nach Regen aus. Ein leichter Wind weht – natürlich von vorne. Ein Plakat liegt auf dem Bürgersteig. Gesucht wird ein Massenmörder.









                    Immerhin sieht man schon die Hügel am Meer, die vor mir liegen. Langsam kommt Tourenstimmung auf. Da will ich hin. Das der erste Teil der Strecke nicht sehr angenehm ist, weiß ich aus der Beschreibung. Aber einen anderen Weg gibt es nicht.





                    Ein Vorort taucht auf und ich muss durch eine Unterführung. Natürlich gibt es nur Treppen, aber ich kann den Roller tragen ohne abzuladen.





                    Ich schiebe den Roller über den Jahrmarkt. Arbeiter fegen und erledigen Reparaturarbeiten und einige schauen erstaunt auf den Roller. Immer noch befinde ich mich in Vororten von Genua. Ein Strand taucht auf. Im Sommer wird hier viel los sein. Heute liegt er verlassen da.





                    Am nächsten Felsvorsprung liegt ein alter Dorfkern. Die Via de la Costa führt auf dem direkten Wege hindurch, doch ich möchte die Treppen meiden. Noch bin ich nicht gut genug trainiert. So wähle ich einen Umweg durch Seitenstraßen. An einer Kirche komme ich wieder auf die Hauptstraße und letztlich bleibt dann nur ein Blick zurück.





                    Zu meiner Freude entdecke ich, dass mein Navi nun endlich anzeigt, wo ich mich befinde. Vielleicht war der Track einfach zu groß für den Speicher und daher war keine Energie mehr für den Zeiger da. Ich weiß es nicht. Von nun an klappt es. An einem kleinen Platz mache ich Fotos. Er ist einer italienischen Schauspielerin gewidmet. Das Meer rauscht. Ich genieße den Anblick.








                    An einer unbekannten Statue mache ich Rast und esse etwas Brot und Käse. Es hat angefangen zu nieseln und ich ziehe den Poncho an. Premiere. Auch die Regenhülle für den Deuter wird herausgekramt. Ich werde von da an nicht mehr ohne fahren. Langsam nähere ich mich Genua-Nervi. Bei Sonnenschein bestimmt ein idyllischer Ort. Die Promenade wird von der Straße weg direkt am Wasser neben der Eisenbahnlinie weitergeführt und es ist eine sehr schöne Strecke.





                    Der Wind frischt auf (wie immer kommt er von vorne) und ich fechte meinen ersten Kampf mit dem Poncho aus. Zack habe ich ihn im Gesicht. Für einen Moment rollere ich blind. Also befestige ich ihn am Rucksack und bekomme das übliche Dilemma: Befestige ich ihn windfest, werde ich genauso nass, als hätte ich eine Regenjacke. Wozu dann also einen Poncho nehmen? 2 Spaziergänger sind vor mir und an einer Stelle steht ein fliegender Verkäufer. Schlechte Zeiten für Geschäfte. Ein Mann angelt vom Felsen aus.





                    An einem winzigen Hafen ist die Strecke plötzlich zu Ende. Ein junger Mann und eine junge Frau flirten genau im Eingang und da ich nicht stören will, navigiere ich nicht genau, sondern kämpfe mich die falsche Straße den Berg hoch. Die Parallelstraße wäre richtig gewesen. Das erste Mal befinde ich mich auf der Via Aurelia, der Staatsstraße 1 des modernen Italiens. Ursprünglich verlief die Via Aurelia (gebaut ab 241 v. Chr.) nur von Rom bis Pisa, wurde aber auf die Via Aemilia Scaura (gebaut ab 109 v. Chr.), die zwischen Genua und Pisa verläuft, sowie die Via Iulia Augusta ausgedehnt. Die Kirche an der Straße ist geschlossen und ich mache kurz im Garten des Museo Luxoro halt. Es ist 14.00 Uhr.





                    Ich folge nun der Via Aurelia. Der Verkehr hat etwas abgenommen und ich komme gut voran. Mein ständiger Begleiter ist die Eisenbahn. Sie führt direkt am Meer entlang und zeigt mir, wo ich gerade bin. Vermutlich gehören die Ortschaften immer noch zu Genua, denn noch habe ich Bürgersteige zur Verfügung. Mit Erstaunen nehme ich in einer Kurve zur Kenntnis, dass auf Straßenschildern vor Schneeglätte gewarnt wird. Schneefall scheint hier also üblich zu sein.





                    Der Track der Via de la Costa, der mir vorliegt, führt weiterhin die Straße entlang, die über eine lange Brücke geleitet wird. Fußgänger können allerdings in das Zentrum des in der Bucht liegenden Ortes Sori gelangen und auf der anderen Seite wieder hinauf gehen. Sori ist ein malerischer Ort mit einer schönen Kirche, aber für mich ist ein Besuch mit Roller leider keine Option. Der Zugang ist sehr steil und auf der anderen Seite sind vermutlich nur Treppenwege. So rollere ich leicht bergab über die Brücke und schiebe auf der anderen Seite wieder hinauf. Einen Randstreifen gibt es hier nicht, aber die Autofahrer sind Fußgänger gewohnt und hinter der Brücke gibt es die üblichen schmalen Bürgersteige. Menschen sehe ich nur wenige.





                    Es fängt nun richtig an zu regnen und die Bürgersteige hören auf. So konzentriere ich mich ganz auf die Straße und schiebe und rollere am Seitenstreifen entlang. Der Verkehr nimmt langsam zu, vermutlich ist jetzt Feierabend. Meine Jacke ist an den Stellen, wo der Poncho zu kurz ist, klitschnass und dort, wo der Poncho schützt, nass vom Schwitzen. Langsam wird mir kalt. Ich merke, dass ich die Lust verliere. Fotos mache ich nun keine mehr, ich will voran kommen. Es ist Viertel nach drei. Eigentlich wollte ich bis nach Camogli rollern, aber ich bezweifle, dass ich das noch schaffe. Gegen 16.00 Uhr taucht das Ortsschild von Recco auf. Ich stöhne auf. Ich habe erst die Hälfte der Strecke geschafft. Denke ich. In Wirklichkeit stimmt das nicht, Recco liegt kurz vor Camogli. Aber das eingebildete „Versagen“ raubt Schwung und Motivation. Ich mag nicht mehr.

                    Plötzlich sehe ich ein Hotelschild. Das Haus sieht nett aus und ich versuche mein Glück. Es ist ein sehr hell und geschmackvoll eingerichtetes Hotel und der elegant gekleidete Besitzer macht einen seriösen Eindruck. 60 Euro möchte er haben und ich sage, das ist zuviel. Er lacht und bietet 50,00 Euro ohne Frühstück. Das ist mir recht. Er übersieht meinen dekorativen Poncho und hilft mir, den nassen, verdreckten Roller ins Bad zu schaffen. Das Zimmer ist ein geräumiges Doppelzimmer und bietet einen Blick auf die Bucht. Ich bin zufrieden. Ein paar Meter weiter verläuft die Eisenbahn. Meine Beine sind bleischwer und ich kann mir nicht vorstellen, morgen irgendeinen Schritt zu gehen. Mein Fuß schmerzt wieder und ich beschließe, die Einlagen zu wechseln. Eine gute Idee. Ich stelle mich unter die heiße Dusche und ziehe mir trockene Sachen an. Als ich fertig bin, ist es fast dunkel. Es ist 17.15 Uhr.





                    Ich frage nach einem Restaurant und laufe die Via Aurelia Richtung Recco. Auf dem Hügel leuchtet eine Kirche. Das Restaurant hat geschlossen, noch weiß ich nicht, dass die Restaurants in Italien erst ab 19.30 Uhr öffnen. So laufe ich einen Kilometer in den Ort. Die Hotels an der Straße sind verrammelt. Anscheinend habe ich das einzige geöffnete Hotel der Gegend gefunden. Der Wind treibt das Wasser in die Bucht. Ich finde einen Supermarkt und kaufe Milch, Wasser, Brot, Salat und Paprika. In einem Geschäft gibt es Pizza zum Mitnehmen und ich kaufe ein Stück. Es wird ausgewogen und kostet fast 5,00 Euro und das erscheint mir sehr viel. Aber als ich es esse, ist es jeden Penny wert. Es schmeckt wunderbar und macht satt.






                    Im Hotel finden sich Monteure ein und sie sind der Grund, warum es im Januar geöffnet hat. Ich esse, schmiere Brot für morgen und wasche dann ein paar Sachen durch. Die Heizung ist schön warm, und die Wäsche wird bis morgen trocken sein. Der Wetterbericht vermeldet keine Wetteränderung. Kurz darauf falle ich todmüde ins Bett.


                    Zuletzt geändert von Torres; 28.01.2014, 20:37.
                    Oha.
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                      • 16.08.2008
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                      #11
                      AW: [IT] Das Meer

                      08.01.2014 Rapallo

                      14,8 km. Anstieg 319 m, Abstieg 299 m


                      Am nächsten Morgen ist es feucht und kühl. Der Hotelier hatte gefragt, ob ich vor 8.30 Uhr abreise und ich hatte verneint, damit er etwas später kommen kann.





                      So finde ich mich halb 9 an der Rezeption ein. Da ich mir unsicher wegen des Weges bin, frage ich ihn.
                      Anmerkung:

                      Ich hatte zur Tourdurchführung verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.

                      a) Die erste Möglichkeit (Radroute) folgt weiterhin der Via Aurelia Richtung Santa Margherita Ligure.

                      b) Der von mir gespeicherte Track führt durch Camogli und dann über Wanderwege Richtung Portofino und von dort über die Straßenverbindung Richtung Santa Margherita Ligure.

                      c) Zusätzlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit, die ebenfalls Wanderwegen in der Region folgt, deren Verlauf mir aber bei der Vorbereitung höchst unklar geblieben waren (aber auf der Karte, die ich in gleich vom Hotelier erhalte, eingezeichnet ist). Es ist die Version der offiziellen (?) Via de la Costa Website. Leider lag die Wegbeschreibung der website bis zu meiner Tour nur in Form der detaillierten schriftliche Wegbeschreibungen vor, die auf meinen Karten nicht nachvollziehbar waren. Ich hatte keine Vorstellung, wo die Route überhaupt entlang gehen sollte. Ich hätte also ständig mit der englischen Wegbeschreibung vor Augen laufen müssen und mich anhand von Beschreibungen wie: "Hinter den Olivenbäumen links, an der Mauer rechts" orientieren müssen. Ich habe dann im Laufe der Vorbereitung auf diese Routenvariante verzichtet. Erst heute sehe ich, dass sie eine Karte der Tracks eingestellt haben. Das wäre bei der Vorbereitung sehr hilfreich gewesen und hätte meine Streckenplanung sicherlich beeinflusst. Genutzt hätte es mir in der Praxis jedoch nichts, wie man gleich erfahren wird.

                      Zusätzlich muss ich ehrlicherweise erwähnen, dass ich auch bei der Trackbeschreibung, die auf meinem Navi abgespeichert war, vor Ort die Abzweigungen schlichtweg nicht gesehen habe, selbst wenn sie unmittelbar am Weg lagen. Ich konnte die Wanderrouten teilweise nur anhand der Kirchen vermuten. An der Fortbewegungsart lag das nicht, denn ich bin ja nur selten schnell gerollert, sondern meistens gewandert.

                      So habe ich dann - unabhängig von den gleich zu berichtenden Einschränkungen - aus der geplanten Wandertour eine Radtour gemacht und bin dem einfachsten Weg gefolgt, der da war: Der Via Aurelia.

                      Der Hotelier zaubert eine Karte der Region hervor und als ich ihm die eingezeichneten Wanderweg zeige, schaut er alarmiert. „Nein“, sagt er, „das ist kein Weg für einen Roller“. Ich frage: „Warum?“, „Das ist ein Weg für Trekker“. „Was sind für Sie Trekker?“ „Leute mit Wanderschuhen und Stöcken.“„Aber“, sage ich, „Wanderschuhe habe ich ja an“. Er schüttelt wieder stöhnend den Kopf. „Das sind Berge (mountains)“, sagt er mit Betonung. „Aber ohne Roller wäre der Weg machbar?“ „Nein“, schüttelt er den Kopf. „Das sind mountains“. Ich frage noch einmal nach, denn er macht nicht den Eindruck, dass er mich warnt, weil er die Wege nur vom Hörensagen kennt. Nun wird er endlich deutlich: „Seit November hat es hier ununterbrochen geregnet. Die Wege sind lebensgefährlich. Wer dort abrutscht oder ein Problem bekommt, ist verloren. Rettung kann höchstens mit Hubschraubern erfolgen, wenn man überhaupt gefunden wird“. Ich zeige auf den Wanderweg der offiziellen Via de la Costa Seite, der nicht so nah an der Küste verläuft und er rät mir noch einmal dringend ab. Keine Wanderwege zu dieser Zeit in dieser Region! Ich zeige mein Bedauern, denn ich wollte unbedingt Portofino besuchen. Es soll ein malerischer kleiner Ort sein. Er lacht. „Da finden Sie kaum Hotels und wenn Sie eins finden, dann können Sie mit 1000,00 Euro pro Nacht für das Zimmer rechnen“. Okay. Das ist ein Wort. Ich verspreche ihm, der Via Aurelia zu folgen.

                      Er gibt mir die Karte mit und nachdenklich verlasse ich das Hotel. Kurz bevor ich losgefahren bin, gab es bei Genua einen Erdrutsch. Seine Einschätzung könnte stimmen. Und ich sollte sie ernst nehmen. Das sind Wanderwege für den Sommer. Willkommen in Finnland.


                      Auf der Via Aurelia ist einiges los. Es ist Berufsverkehr. Immerhin bin ich nicht alleine. Menschen eilen zur Arbeit. Zu Fuß bleibt nur die Landstraße, denn links ist Felsen und rechts die Eisenbahn und das Meer.







                      Bei Tageslicht sieht die Kirche sehr viel weniger romantisch aus. Ich verweile etwas am Sandstrand in der Bucht. Ein Ehepaar geht spazieren, ansonsten ist es hier menschenleer. Wie es hier wohl im Sommer sein wird? Handtuch an Handtuch, vermute ich. So, mit seiner rauen Schönheit gefällt es mir besser. Gerne würde ich noch ein wenig verweilen, aber es sieht nach Regen aus.





                      Ich habe die Wahl zwischen der Straße nach Camogli und der Via Aurelia. Ich hatte den Hotelier gefragt, ob sich ein Besuch von Camogli lohnt und er hatte mich mit dem Blick dessen angeschaut, der gerne ehrlich ist und lieber nichts sagt. Kurz: Touristen stehen auf den Ort, aber im Grunde sieht er aus wie Orte hier eben so aussehen. Die Info reicht mir. Aus strategischen Gründen entscheide ich mich für die Via Aurelia, da die Strecke kürzer ist, denn aus dem Tal führen später steile Serpentinen zurück zur Straße. So nehme ich die Sache in Angriff.





                      Zunächst schiebe ich den Roller auf der linken Straßenseite, merke aber schnell, dass das die Autofahrer in den Kurven irritiert. So wechsele ich auf die rechte Straßenseite. Hinter der ersten Kurve befindet sich ein Friedhof mit Kapelle und ich bedauere, dass ich den Roller dabei habe. Ich möchte mein Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen. Obwohl ich nicht glaube, dass etwas passiert wäre.
                      Für meine Verhältnisse ist die Straße steil und meine Beine müssen sich erst einmal an die Herausforderung gewöhnen. Der Roller samt Gepäck ist übrigens keine Last. Später werde ich irgendwann feststellen, dass es sich mit Gepäck sogar besser schiebt, weil der Roller ruhiger auf der Straße liegt. Zwei Autos hoch über mir bringen mich zum lachen und ich nutze die Fotopause als kleine Verschnaufpause. Zwischendrin natürlich immer der Blick zurück.





                      Ich erreiche nun Camogli. Ein paar Häuser hängen am Berg, in den Gärten findet man bunte Tupfer, aber der Boden ist tatsächlich sehr nass. An einer Stelle sieht man, wie tief der Schlamm ist. Es ist feucht-kalt und ich merke, dass der Poncho vom Schwitzen nass wird. Ausziehen möchte ich ihn aber nicht, denn das wäre zu kalt. Und ich bin mit der Farbe eben auch gut sichtbar. Ein Auto hält unvermittelt, der Fahrer ruft „Rapallo“. Ich zeige nach vorne, nicke und sage „Si. S uno.“ Eigentlich heißt die Straße SS1, aber egal. Er ruft „Danke“ und braust davon. Seine Antwort versetzt mich in tiefes Nachdenken. Woher weiß er, dass ich aus Germania bin? Die Aussprache? Oder muss man einfach aus Deutschland sein, wenn man mit einem Roller in einem gelben Poncho die Via Aurelia hochlatscht? Ich komme zu keinem schlüssigen Ergebnis.








                      Dann sehe ich den Dorfkern und den Hafen von Camogli. Er sieht hübsch aus von oben, hübscher als ich dachte. Im Sommer ist es hier bestimmt reizend. Menschen sehe ich keine.





                      Am Ende des Hafens geht die Bucht in einen Wald über. Der Wald, vor dem ich gewarnt wurde. Der Hügel mit den Wanderwegen. An der Spitze führen die Wanderwege in Wassernähe um den Hügel herum. Am Ende des Felsens liegt auf der anderen Seite Portofino. Von hier aus nicht zu sehen.





                      Noch einmal ein Blick zurück.





                      Ich befinde mich nun am höchsten Punkt Camoglis und vor mir liegt ein Tunnel durch den Berg. Ein Kiosk steht vor einer runden Anlage mit Bäumen und Bänken. Ich esse eine Apfelsine. Eine Straße weiter oben steht eine Kirche.





                      Nach kurzer Zeit wird mir kalt und ich setze mich wieder in Bewegung. Ein Schild weist darauf hin, dass Fahrradfahrer im Tunnel gelbe Sicherheitswesten tragen müssen. Ich hoffe, der Poncho tut dem Genüge.

                      Der Tunnel ist eng und der Straßenbelag kaputt. So mache ich keine Fotos, sondern spute mich, um Autos aus dem Weg gehen zu können. Es gelingt. Ich durchfahre den Tunnel alleine.

                      Auf der anderen Seite bekomme ich einen Kälteschock. Es ist feucht, neblig und unglaublich kalt. Ich muss die Handschuhe anziehen. Da tröstet auch nicht, dass es nun bergab geht. Die Witterung zieht in Sekunden in alle Knochen. Ich komme mir vor, wie in einem nebligen Sherlock Holmes Film in den Untiefen Londons. Auf einem Parkplatz des Hotel und Restaurants Aurelia fische ich die Handschuhe aus der Jacke und mache schnell Fotos von der Szenerie. Die Gastwirtin schaut aus dem Fenster und ich winke ihr zu. Sie winkt zurück und lacht. Vermutlich stehen Roller nicht so oft auf ihrem Parkplatz.








                      Dann rollere ich geschwind die Straße hinunter. Sie machte eine Kurve und von dort aus fotografiere ich noch einmal die Stelle, an der ich eben war. Brrrrh. Das Gasthaus ist links im Bild.





                      Dicke Wolken ziehen über die Hügel und dieser Anblick wird ausschlaggebend für die Entscheidung, nicht über die Hügel zu fahren. Doch dazu später.





                      Ein Bus spuckt zwei Fahrgäste aus. Ein Schulbus kriecht den Berg hoch. Ab und zu ein Auto. Für mich ist das menschenleer. Es geht bergab und ich kann bequem rollern. Die Straße macht wieder eine Kurve und jetzt...

                      Jetzt...

                      ...jetzt fahre ich die Abfahrt meines Lebens herunter. Ein Gefühl, das ich nie vergessen werden. Hammer. Das beste Erlebnis mit einem Roller, was ich je hatte. Kein Fahrrad kommt da mit. Ich rollere mit ca. 20 km/h ins Tal, links neben mir der Blick über die Riviera di Levante und ganz hinten am Meer der Streifen Sonne. Mein Blick vorwiegend auf der Szenerie statt auf der Straße. Irre. Hormone pur. Nur ungern halte ich an, um Fotos zu machen. Hinterher überlege ich, warum gerade diese Abfahrt so besonders ist. Es ist die Stehposition. Auf dem Roller steht man und hat durch die Körperhaltung ein ganz anderes Sichtfeld als beim Fahrradfahren. Das wird es sein.

                      Schaue ich mir jetzt die Fotos an, so geben sie nicht wieder, was ich gefühlt habe. Da war noch so viel mehr in der Luft, als man mit einem Apparat auf Karte bannen kann. Und ich bilde mir ein, dass da noch eine Brücke zu sehen war. Sieht man sie nur von ganz oben? Habe ich vermieden, sie aufs Bild zu bannen, um die Natur zu betonen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich ein anderes Bild im Kopf habe, als die Bilder, die ich hier zeigen kann. Irgendetwas fehlt.








                      Am Ende der Strecke steht die Kirche San Lorenzo della Costa. Ich stelle ich meinen Roller an den Eingang im Vertrauen darauf, dass Kirchenbesuche heilig sind und betrete sie. Sie ist wunderschön.





                      Ich habe jetzt die Wahl, nach Santa Margherita Ligure abzubiegen oder nach Rapallo zu rollern. Ich entscheide mich für Rapallo, da es für morgen eine besser Ausgangsposition bietet. Außerdem habe ich vor, nachher mit dem Bus nach Portofino zu fahren, so dass ich durch Santa sowieso durchkommen werden. So lasse ich den Ort rechts liegen.








                      Der Hügel, an dem die Via de la Costa Wanderwege entlanglaufen, ist wolkenverhangen. Es sieht neblig und feucht aus. Es war die richtige Entscheidung.





                      Das erste Mal wird mir bewusst, wie schroff die Hügel hier in das Wasser ragen.








                      In der Ferne der Blick auf Chiavari.





                      Auf Sestri Levante.





                      Man merkt sicher, dass ich das erste Mal ein zweites Objektiv dabei habe. :-) Wieder Santa Margherita Ligure.








                      Stundenlang könnte ich hier stehen und fotografieren. Nur ungern setze ich mich wieder in Bewegung. Wieder geht es bergab, aber die Straße ist nass und es liegt Laub am Straßenrand. So fahre ich extrem vorsichtig, denn der Straßenbelag ist rutschig.








                      Und dann erscheint schon Rapallo in meinem Blickfeld.





                      Schön sieht der Ort nicht aus, aber ich weiß, dass es hier preisgünstigere Hotels gibt. Auch ein geöffneter Campinglatz ist vorhanden, aber er befindet sich außerhalb des Ortes an der Autobahn. Das ist nun nicht mein Wunschtraum für den heutigen Abend und so fahre ich in den Ort, um ein Hotel zu suchen. Ich finde eine Touristeninformation und erfahren, dass eines der Hotels an der Promenade 30,00 Euro die Nacht nimmt. Für den Roller besser wäre aber eine Albergo, die auch nicht viel mehr kosten soll. Ich suche das Hotel und finde es nur mit Hilfe einer netten Frau aus einem Restaurant. Hohe Stufen führen hinauf und das Hotel selbst ist im 1. Stock. Ich beschließe, die Albergo zu suchen, Meerblick hin oder her. Sie ist etwas teurer, aber hier gibt es einen Parkplatz für meinen Roller und der Besitzer hat etwas leicht Tragisches an sich, so dass ich es nicht über das Herz bringe, wieder zurück zu rollern. Günstiger als gestern ist es ja. Ich vermute, er kann das Geld gut gebrauchen, es ist ein Familienbetrieb.

                      So beziehe ich ein einfaches Zimmer, ziehe die durchgeschwitzten Sachen aus und lege sie auf die Heizung. Ich bin müde. 14,8 km bin ich heute gefahren. Nicht viel, aber sehr lange habe ich ja auch nicht gebraucht. Kurz lege ich mich aufs Bett. Aber ich wollte ja unbedingt noch Portofino kennenlernen.

                      Das Tabakladen an der Ecke hat zu. Also laufe ich zum Bahnhof. Dort befindet sich der Busbahnhof, dort haben die Ticketschalter geöffnet und ab dort fährt auch der Bus. Ich finde den richtigen Bus, und er fährt nur nach Santa Margherita Ligure. Dort muss ich umsteigen. Leider weiß ich nicht wo (vor dem Hotel Lido Palace) und als ich frage, bin ich schon zu weit. Also muss ich eine Haltestelle zurücklaufen. Auch mal schön, etwas Bewegung zu haben.
                      Dann warte ich erst einmal ca. 40 Minuten auf den Bus. Die Zeit vertreibe ich mir mit Fotografieren. Ich bin zwar erschöpft, aber das einzige, was ich dann nicht kann, ist dumm herumwarten.















                      Kurz bevor ich einen emotionalen Kollaps bekomme, kommt der Bus endlich. Die Scheiben sind so schmutzig, dass man kaum etwas sehen geschweige denn fotografieren kann. Die Landstraße ist eng und kurvig und jede Kurve wird angehupt. Zwei Fahrradfahrer sind unterwegs und das ist sehr gewagt. Ich bin heilfroh, dass ich hier nicht mit dem Roller rollern muss. Viel zu eng, man kann nicht ausweichen. Dafür ist der Roller zu langsam. Hinterher lese ich irgendwo, dass es in Portofino fast keine Parkplätze gibt, so dass sich der Autoverkehr in Grenzen hält. Die Felsen lassen nur wenig Bebauung zu, es ist hier einfach zu eng.





                      Ein paar nette Häuser stehen an den Felsen und nach ca. 20 Minuten ist der Bus da. Ich steige aus und aus allen möglichen Ecken kommen Menschen und steigen ein. Ich drehe mich einmal um die eigene Achse und merke, dass ich keine Lust habe, den Ort zu besichtigen. Mag ja sein, dass der Hafen wunderhübsch ist, aber wenn ich da jetzt hinlaufe, kann ich wieder auf einen Bus warten. Es gibt noch andere schöne Häfen in dieser Gegend. Ich mache zwei Fotos, steige wieder in den Bus ein und ergattere den letzten Sitzplatz. Eine Familie redet englisch und italienisch durcheinander. Der Anschluss in Santa klappt diesmal besser und nach ca. 1,5 Stunden insgesamt bin ich wieder in Rapallo.


                      Vom Bus aus hatte ich einen Supermarkt gesehen und ich beschließe, ihm einen Besuch abzustatten. Als ich mich ihm nähere, bekomme ich angesichts des schwindenden Tageslichtes einen kurzen Finnlandflash. Lachs aus der Theke von Stockmann wäre jetzt genau das richtige. Finnischer Lachs. Die Tür geht auf und ich stehe vor einer Fischtheke. Frischen geräucherten Lachs haben sie zwar nicht, aber die Garnelen sehen verlockend aus. Der Supermarkt ist gut sortiert und hat ein durchaus finnlandwürdiges Angebot. Nur die Preise Finnlands gibt es hier nicht. Wie angenehm.

                      Ich gehe zum Strand





                      und setzte mich auf eine der Bänke. Ein paar ältere Herrschaften gehen spazieren und schauen mich durchdringend an. Essen auf Bänken oder in der Öffentlichkeit ist in Italien nicht sehr beliebt. Man sieht daher kaum Menschen, die etwas zu Essen (oder sogar das üble deutsche Wegbier) in der Hand haben. Und schon gar nicht in den Geschäften. Glückliches Italien. Wenn es jemand tut, sind es Touristen, wie ich. Ich fühle mich schlecht. Aber die Restaurants haben noch nicht auf, und im Hotelzimmer sollte man auch keinen Fisch essen. So halte ich die Blicke tapfer aus. Und eigentlich bin ich ja auch gerade in Finnland.





                      Ich beschließe, meine Einkäufe ins Hotel zu bringen. Als ich meinen Roller so sehe, bekomme ich Lust, noch ein wenig herumzurollern. Ich wollte sowieso noch bei der Touristeninformation fragen, ob sie eine detailliertere Karte der Region haben. Es ist dunkel geworden und ich rollere die Promenade entlang. Die Dame von der Touristeninformation schließt gerade ab. Sie muss wohl kurz in die hinteren Räume, denn eigentlich hat sie noch auf. So fahre ich ein wenig an der Promenade entlang. Hinter der Burg macht sie eine Kurve und ich rollere weiter. Tatsächlich ist hier ein Weg. Ein schöner Weg. Perfekt. Zwei Frauen mit Hund und Kinderwagen unterhalten sich lautstark. Heraus kommt er an der Via Aurelia. Dann weiß ich also schon einmal, wo ich morgen langfahren werden.





                      Ich schaue noch ein wenig auf das Meer und als ich zurückrollere ist es bereits dunkel geworden. Die Burg fasziniert mich. Das wäre genau die richtige Burg für Göga. Nicht zu groß und nicht zu klein.





                      Die Dame von der Touristeninformation ist nun da und ich frage sie, ob es noch weitere Wege gibt, die wie diese Promenade gestaltet sind. Die Dame ist in heller Aufregung. „In Zoagli (dem Nachbarort) ist eine Mauer zusammengebrochen und auf die Straße gestürzt. Die Straße ist gesperrt. Niemand kommt mehr durch. Die Polizei hat abgesperrt und die Bauarbeiter sind dabei, die Mauer wieder aufzurichten. Niemand weiß, wie lange das dauert. Die Menschen kommen nicht nach Hause. Die Busse, die Autos, alle müssen umkehren. Die fahren da hin und müssen umkehren und auf die Autobahn fahren. Das sind über 15 km Umweg. Und alle beschweren sich. Es ist kein Durchkommen. Niemand weiß, wann das aufhört. Die Via Aurelia ist geschlossen.“
                      Ich glaube, ich höre nicht richtig. Eine andere Straße als die Via Aurelia gibt es hier praktisch nicht. Parallelstraße oder Umgehungsstraßen fehlen. Die einzige Alternative ist tatsächlich die Autobahn. Mir wird schummrig. Der zweite Tag. Mein Finnlandtrauma. Letztes Jahr bei Tauwetter im Wald. Dieses Jahr mit Erdrutschen am Ligurischen Meer. Klasse.

                      Ich frage nach Alternativen. „Die Alternative ist, mit dem Zug zu fahren. Der Zug fährt.“ „Und was ist mit den Wanderwegen?“ „Vergessen Sie die Wanderwege. Es regnet seit Wochen. Cinque Terre ist komplett gesperrt. Sie können den Weg über die Hügel nehmen, indem sie weiter der Via Aurelia folgen. Aber da gibt es nichts außer ein paar Feldern und Wald. Sie sehen nichts. Keine Küste, keine Ortschaften, nichts. Das ist weit entfernt vom Meer“ Ich denke an den kalten, feuchten Nebel von heute morgen. Keine besonders reizvolle Option. Der Weg über die Hügel dauert mit Roller ungefähr 5 Tage. „Aber es führt doch eine Straße nach Moneglia und nach Deiva Marina“. „Ja, aber die Straße führt durch Tunnel. Die Tunnel sind für Fahrräder gesperrt. Sie kommen bis nach Sestri Levante. Dann müssen Sie den Zug nehmen“. Ich verweise auf den Wanderweg zwischen Sestri Levante und Deiva Marina. „Da kommen Sie nicht durch. Das sind Wege, da müssen sie Klettern. Da sind umgefallene Bäume und Felsen. Es gibt keine Verbindung.“ Aha. Das meinte der Hotelier vermutlich mit „mountains“. Ihre Stimme wird immer ungeduldiger und ihr Englisch immer härter. „Glauben Sie mir, ich würde Ihnen gerne etwas anderes sagen. Aber bei uns gehen die Felsen bis ins Wasser. Hier ist keine Fläche um Straßen zu bauen. Die Straße mit den Tunneln wurde auf einer alten Eisenbahnlinie gebaut. Die Straße ist nicht breit genug für Fahrräder. Für andere Straßen haben wir keinen Platz. Die Mauer, die eingestürzt ist, ist alt. Das sind hier alles alte Häuser und irgendwann geben sie nach, wenn sich die Besitzer nicht ständig darum kümmern. Das sind alte Leute, die dort wohnen. Cinque Terre wurde vor ein paar Jahren überflutet. Seither ist dort alles instabil. Der Hauptwanderweg wurde im Winter gesperrt, weil er gemacht werden musste. Alle anderen Wege sind jetzt auch gesperrt. Das ganze Gebiet ist gesperrt. Das ist viel zu gefährlich. Es tut mir ja leid für Sie. Aber in Cinque Terre ist alles dicht. Wenn ich morgen etwas neues von der Straße nach Zoagli weiß, sage ich Ihnen Bescheid. Kommen Sie morgen vorbei. Vielleicht weiß ich morgen früh mehr. Und sonst müssen Sie den Zug nehmen.“

                      Meine gute Laune ist vergangen. Wieder eine gescheiterte Tour. Januar ist eben nicht März. Ich beschließe, ins Hotel zu fahren und mich mit Mineralwasser zu betrinken. Aber eigentlich ist es mir auch egal. Dann breche ich eben mal wieder ab. Ist ja nichts neues. Morgen wird mir schon etwas einfallen. Ich habe Urlaub.


                      Zuletzt geändert von Torres; 29.01.2014, 14:24.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                      • lina
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                        • 12.07.2008
                        • 43828
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                        #12
                        AW: [IT] Das Meer

                        Hmmmmm, spannend ...
                        schreib, schreib ......

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                        • volx-wolf

                          Lebt im Forum
                          • 14.07.2008
                          • 5576
                          • Privat


                          #13
                          AW: [IT] Das Meer

                          ...ähm, nichts für ungut, aber wenn jetzt hier jeder seine Städte-Tripps als outdoor Reisebericht einstelt, kann ich mich auch gleich beim camping-forum anmelden

                          Moralische Kultur hat ihren höchsten Stand erreicht, wenn wir erkennen,
                          daß wir unsere Gedanken kontrollieren können. (C.R. Darwin)

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                          • lina
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                            • 12.07.2008
                            • 43828
                            • Privat


                            #14
                            AW: [IT] Das Meer

                            @volx-wolf: Erstens weißt Du doch noch gar nicht, was noch kommt, und zweitens ist es nunmal ein Charakteristikum von Fahrrad- und Roller-Reisen, dass Städte vorkommen, da man auf Wege angewiesen ist. Deswegen finde ich Dein statement jetzt etwas unfair.

                            Bzw. sollen die idealen Reiseberichte dann lieber vorwiegend Sträucher & Steine beschreiben und nicht Land & Leute?
                            Zuletzt geändert von lina; 29.01.2014, 22:12.

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                            • Ingwer
                              Alter Hase
                              • 28.09.2011
                              • 3237
                              • Privat


                              #15
                              AW: [IT] Das Meer

                              Zitat von lina Beitrag anzeigen
                              @volx-wolf: Erstens weißt Du doch noch gar nicht, was noch kommt, und zweitens ist es nunmal ein Charakteristikum von Fahrrad- und Roller-Reisen, dass Städte vorkommen, da man auf Wege angewiesen ist.
                              OT:
                              Und Drittens haben Italiener eh eine andere Definition von Outdoor, wie ich erfahren durfte.

                              "Ich liebe es hier in den Bergen zu sein. Die Natur ist so schön, es ist so entspannt hier. Ich will hier draußen meinen Urlaub verbringen und dabei kann ich dann lernen mal meinen eigenen Käse mit meinen eigenen Händen zu machen." Vor dem letzten Satz dachte ich, ich hätte endlich einen richtigen Tourenpartner dort gefunden.

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                              • lina
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                                Vorstand
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                                • 12.07.2008
                                • 43828
                                • Privat


                                #16
                                AW: [IT] Das Meer

                                Ja, ich habe diesem Sommer auch – und nicht nur einmal – gehört, dass vor gar nicht so kurzer Zeit kein Italiener auf die Idee gekommen ist, man könne ja mal wandern Manche Pilgerwege waren zwar schon lange da (die von und nach Rom), die neueren derer (und auch überhaupt die Ausschilderung!) sei aber eher eine Entwicklung für die Gäste und den Tourismus – so erzählten diejenigen, die das wissen müssen, weil sie dort schon seit vielen Generationen leben und arbeiten: Dass auch Einheimische wandern gehen, sei eine eher neuere Entwicklung. Die zahlreichen Rennradfahrer sähen ihre Berge-Erkletterei wohl auch eher als sportliche Betätigung bzw. Herausforderung.

                                Das Stück der Via della Costa, das ich gesehen habe, fand ich sehr schön und gut wanderbar – es kommt aber natürlich auch auf das Wetter an, nicht alle Wege sehen jederzeit begehbar aus.
                                Zuletzt geändert von lina; 30.01.2014, 01:46.

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                                • Igelstroem
                                  Fuchs
                                  • 30.01.2013
                                  • 1944
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [IT] Das Meer

                                  Zitat von volx-wolf Beitrag anzeigen
                                  ...ähm, nichts für ungut, aber wenn jetzt hier jeder seine Städte-Tripps als outdoor Reisebericht einstelt, kann ich mich auch gleich beim camping-forum anmelden
                                  Da muss ich jetzt auch mal behutsam widersprechen. Der Roller ist ein besonders unkonventionelles muskelkraftgetriebenes Reiseverkehrsmittel, so dass gerade ein besonderes Interesse daran besteht, zu erfahren, was damit möglich ist und was nicht. Diese Frage wird ja im Bericht auch explizit mitbehandelt. Natürlich ist das hauptsächlich ein Verkehrsmittel für Kulturlandschaften; das gilt aber für viele Reisefahrräder genauso. Man könnte höchstens kritisieren, dass Torres sehr ausgiebig urbane Motive fotografiert. Aber das ist nur ein kleines Gegengewicht zu den zehntausend graublaugrünen Ich-bin-der-einzige-Mensch-in-der-Wildnis-Bildern aus Lappland. Das sei uns also gegönnt. Des weiteren leben ja Torres’ Reiseberichte nicht zuletzt von ihren subtilen psychologischen Selbst- und Fremdbeobachtungen; darauf würde ich ungern verzichten.
                                  Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                  • Chouchen
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                                    • 20009
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [IT] Das Meer

                                    Zitat von volx-wolf Beitrag anzeigen
                                    ...ähm, nichts für ungut, aber wenn jetzt hier jeder seine Städte-Tripps als outdoor Reisebericht einstelt, kann ich mich auch gleich beim camping-forum anmelden
                                    OT: Nix für ungut an alle die den Bericht mögen, aber: Wenn sich in diesem Bericht nicht noch viel ändert bei dem noch zu postenden Teil, dann gebe ich Dir Recht. Und das wo ich doch Tretroller so mag und für ein sinnvolles Verkehrsmittel halte und ich es eigentlich ätzend finde, wenn an den Berichten, bei denen sich jmd. Mühe gibt, rumgenörgelt wird. Aber bisher ist es tatsächlich zu 99% Städtetrip mit Hotel und ÖPNV. Das ist ja mal witzig, aber die letzten Berichte waren jeweils in der Art.
                                    Die Mühe in allen Ehren, aber ich finde es hier auch nicht richtig aufgehoben.
                                    "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                                    • lina
                                      Freak

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                                      • 43828
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                                      #19
                                      AW: [IT] Das Meer

                                      07.01.2014 Recco
                                      21,8 km. 284 m Anstieg, 272 m Abstieg.

                                      08.01.2014 Rapallo
                                      14,8 km. Anstieg 319 m, Abstieg 299 m
                                      = 2 Etappen/Tage per Roller bzw. zu Fuß



                                      --> ?

                                      Kommentar


                                      • hosentreger
                                        Fuchs
                                        • 04.04.2003
                                        • 1406


                                        #20
                                        AW: [IT] Das Meer

                                        Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass alle die, die solche Berichte wie die von Torres (oder mir) zu urban und zu wenig outdoormäßig finden, einfach die entsprechenden Stellen überschlagen. Dann braucht man sich dann auch nicht - Ironie-Zwinkern hin, Lach-smiley her - darüber aufzuregen.

                                        Wenn wir das weiterdenken, dann können wir ja bald ein Roller-Forum, ein Städte-Radreiseforum o.ä. aufmachen - dann ist unser ODS-Forum aber nicht mehr das, was ich an Vielfalt (und Buntheit) daran so sehr schätze!

                                        Ohne Zwinkern und smiley, aber dafür Ernst gemeint
                                        von hosentreger
                                        Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                                        • Torres
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                                          Liebt das Forum
                                          • 16.08.2008
                                          • 31757
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [IT] Das Meer

                                          Ich finde es sehr schade, dass dieser Reisebericht nicht von allen als Outdoor empfunden wird (danke an die, die mich unterstützt haben). Für mich ist auch zivilisationsnahes Reisen mit Muskelkraft Outdoor, und ich fände es bedauerlich, wenn Menschen ihre Reisen aufgrund eines vermutet zu geringen Grünanteils nicht mehr posten würden. Ich bin jahrelang durch die Natur gestreift und habe mich über jede Wiese, jede Blume und jeden Baum gefreut. Aber ich merke, dass mir das heute alleine nicht mehr reicht. Dass ich auch gerne etwas über das Land und seine Bewohner erfahre, dessen Natur ich konsumiere. Letztlich sind es doch immer Menschen, die auch die Natur und eine Landschaft prägen.

                                          Die Konsequenz aus einem sehr engen Outdoorbegriff wäre, dicht besiedelte Länder wie Italien oder Frankreich nicht mehr als Outdoorreisegebiete zuzulassen oder nur noch in alpinen oder extrem dünnbesiedelten Bereichen. Das fände ich schade. Wäre jeder nur noch auf diese Weise unterwegs, würde jeder nur noch mit sich alleine reisen und auf jede Horizonterweiterung, die über eine romantische Naturbetrachtung hinausgeht, verzichten.

                                          Bedauerlich finde ich zusätzlich, dass die durch einen Reisezeitraum vorgegebenen Rahmenbedingungen zum persönlichen Vorwurf werden. Outdoor bedeutet für mich auch, aus den Bedingungen eines tristen Januars das Bestmöglichste und Erreichbarste zu machen.
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                                          • Chouchen
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                                            Liebt das Forum
                                            • 07.04.2008
                                            • 20009
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [IT] Das Meer

                                            OT: Ich rege mich nicht über den Bericht auf (dafür ist das Leben viel zu kurz um da Aufrege-Energie rein zu stecken), ich kann aber volx-wolfs Post sehr gut nachvollziehen. Ohne seinen Beitrag hätte wohl nichts dazu geschrieben, obwohl mir ähnliches schon beim letzten Tourbericht durch den Kopf ging, aber ich hätte auch diesen Bericht dann eben still und leise überblättert, aber ich wollte zeigen, dass volx-wolf nicht alleine da steht und dass ich sein Posting nicht unfair finde.
                                            Im Übrigen habe ich zu dem letzten Bericht einen link in einem Roller-Forum gepostet, als jmd. nach Urlaub mit Zug und Roller für die Fortbewegung vor Ort fragte. Ich finde, da hat es gut hin gepasst.
                                            "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                                            • Chouchen
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                                              Liebt das Forum
                                              • 07.04.2008
                                              • 20009
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                                              #23
                                              AW: [IT] Das Meer

                                              OT: Ich denke aus früheren Diskussionen sollte klar sein, dass ich generell alles andere als einen "engen" Outdoorbegriff vertrete.

                                              Torres, ich finde es schade, dass Du hier Geschriebenes als persönlichen Vorwurf empfindest. So etwas hat hier nämlich IMO niemand geäußert.
                                              Ich habe meine Meinung geschrieben (bevor hier noch der volx-wolf geschlachtet wird), aber das muss ja niemanden davon abhalten hier weiter zu lesen und zu schreiben.
                                              "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                                              • Torres
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                                                Liebt das Forum
                                                • 16.08.2008
                                                • 31757
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [IT] Das Meer

                                                OT: @Chouchen
                                                Bei meinem letzten Bericht hätte ich Dir uneingeschränkt Recht gegeben. Aber bei diesem Urlaub steht die Outdoor-Fortbewegung mit dem Roller im Vordergrund. Was ich unfair finde, ist, einen Reisebericht zu beurteilen, der noch nicht gar nicht zu Ende geschrieben ist.

                                                Edit: Und ehrlich: Wie soll man nach so einem Statement weiterschreiben wollen.
                                                Oha.
                                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                • berni71
                                                  Musteruser
                                                  Fuchs
                                                  • 27.01.2005
                                                  • 1612
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [IT] Das Meer

                                                  Zitat von volx-wolf Beitrag anzeigen
                                                  kann ich mich auch gleich beim camping-forum anmelden
                                                  Wenn Dich hier etwas nicht interessiert, dann klicke nicht rein.

                                                  Aber destruktive Kommentare schreiben mit so einem lächerlichen Inhalt?

                                                  Dann geh doch ins camping-forum, wenn Du lange Weile hast...

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                                                    Freak

                                                    Liebt das Forum
                                                    • 20.07.2009
                                                    • 12705
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [IT] Das Meer

                                                    Schreib weiter. Die Diskussion, was nun outdoor ist und was nicht, ist so alt wie das Forum. Da kann jeder seine individuelle Grenze ziehen.
                                                    Ich war noch nie im Sarek, habe aber nach gefühlt 8354 bebilderten Berichten den Eindruck, dort jeden Stein zu kennen.
                                                    Aber wer zog schon mal im Januar mit einem Klapproller durch Italien? Niemand sonst.
                                                    Dein Bericht ist erfrischend geschrieben, hat schöne Fotos und ist eines ganz bestimmt: originell.
                                                    Ich lese gerne mit.
                                                    Ditschi

                                                    Kommentar


                                                    • bblume
                                                      Erfahren
                                                      • 19.06.2013
                                                      • 209
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [IT] Das Meer

                                                      Zitat von Ditschi Beitrag anzeigen
                                                      Schreib weiter. Die Diskussion, was nun outdoor ist und was nicht, ist so alt wie das Forum. Da kann jeder seine individuelle Grenze ziehen.
                                                      Ich war noch nie im Sarek, habe aber nach gefühlt 8354 bebilderten Berichten den Eindruck, dort jeden Stein zu kennen.
                                                      Aber wer zog schon mal im Januar mit einem Klapproller durch Italien? Niemand sonst.
                                                      Dein Bericht ist erfrischend geschrieben, hat schöne Fotos und ist eines ganz bestimmt: originell.
                                                      Ich lese gerne mit.
                                                      Ditschi


                                                      Ich habe deine anderen Berichte auch sehr gerne gelesen, wäre schade um den originellen Bericht!

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                                                        AW: [IT] Das Meer

                                                        Auf die Gefahr hin, dass die Fans über mich herfallen, nörgel ich trotzdem herum. Dieser Reisebericht im Winter leidet eindeutig unter Schneemangel!

                                                        Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
                                                        Wenn wir das weiterdenken, dann können wir ja bald ein Roller-Forum, ein Städte-Radreiseforum o.ä. aufmachen - dann ist unser ODS-Forum aber nicht mehr das, was ich an Vielfalt (und Buntheit) daran so sehr schätze!

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                                                          Fuchs
                                                          • 30.05.2009
                                                          • 1197
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [IT] Das Meer

                                                          Outdoor hin - Outdoor her.

                                                          Ehrlich gesagt, habe ich Torres´ Berichte auch immer überlesen, da mir zu viele Bilder mit Häusern und Teerstraßen darin enthalten waren. Ich flüchte lieber vor solchen.
                                                          Allerdings nur solange wie ich Texte nicht richtig wahrgenommen hatte.

                                                          Ich gehe nicht zu weit, wenn ich mir zu behaupten erlaube, dass die Berichte von erstaunlich hoher literarischer Qualität sind.
                                                          Es sind die einzigen Berichte, die ich mit Spannung gelesen habe und die man auch lesen könnte, wenn keine Fotos dabei wären. (Im Gegensatz zu manch anderem Geschreibsel hier).

                                                          Außerdem scheint bei jedem Bericht ein neues Zelt dabei zu sein.

                                                          Viele Grüße, bitte weiter und meinen außerordentlichen Respekt vor dem Dichter des Forums.

                                                          bbb
                                                          Zuletzt geändert von berlinbyebye; 30.01.2014, 08:07.

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                                                            • 16.08.2008
                                                            • 31757
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                                                            AW: [IT] Das Meer

                                                            09.01.2014 Chiavari

                                                            13,2 km. 325 m Anstieg, 284 m Abstieg.

                                                            Am nächsten Morgen verlasse ich das Hotel früh. Wieder ist der Himmel wolkenverhangen. Ich lasse ich mir Zeit. Die Strandpromenade ist völlig verändert. Es ist Wochenmarkt. Ich bedauere, keinen Platz für die ganzen Köstlichkeiten zu haben, die angeboten werden.














                                                            Ein Graureiher steht in der Nähe der Burg und lässt sich nicht stören. So nahe habe ich noch nie einen gesehen. Er steht günstig und erwischt einen Fisch. Aber er ist so schnell, dass ich den Moment nicht festhalten kann. Fischer stehen an einem Zaun und schauen zu. Ein Arbeiter entfernt das angeschwemmte Treibgut.











                                                            Nach einiger Zeit überquere ich die Straße und gehe zur Touristeninformation. Die schlechte Nachricht abholen. Die Dame springt auf, als sie mich sieht und strahlt: „Sie können fahren! Die Straße ist wieder offen!“ Es geht weiter. Ein Wunder. Ich bedanke mich sehr herzlich und sie wünscht mir gute Fahrt.




                                                            Ich fahre wieder die Strecke an der Promenade, mache aber den Umweg zum Herrenhaus, das in dem Park verborgen sein soll. Der Zugang ist verschlossen. Es wird restauriert. EU Fördermittel. Es riecht betäubend nach Eukalyptus, aber den Baum sehe ich nicht.





                                                            Weiter geht es nun die Via Aurelia. Den eingespeicherten Track suche ich nicht mehr, vermute ihn aber ab und zu oben in der Höhe, wo die Kirchen stehen.
                                                            Es ist plötzlich wunderbar warm und überall grünt und blüht es. Genau hier scheint ein kleiner Flecken zu sein, der durchgehend mildes Klima hat. Ein Schild berichtet, dass hier Sir Max Beerbohm, englischer Schriftsteller und Karikaturist „The incomparable Max“ gelebt hat. Die Engländer hatten schon immer einen hervorragenden Sinn für landschaftlich schöne Orte. Hubschrauber donnern über die Bucht. Portofino liegt ruhig am Meer. Ich schiebe den Roller langsam die Straße hoch. Es ist schön hier und ich genieße den Weg.





                                                            Rechts von mir finden sich Olivenhaine. An den Häusern bellen die Hunde. Ein Wasserfall plätschert. Autos sind nur wenige unterwegs.





                                                            Kurz darauf bin ich in Zoagli. An der gestern noch gesperrten Straße. Die Mauer entpuppt sich als Mäuerchen und für Fußgänger hätte es eine Umgehung durch das Tal gegeben. Aber das konnte die Dame natürlich nicht wissen. Es sind aus Steinen geschichtete Mauern, die ohne Mörtel zusammengefügt wurden. Ich sehe kunstvolle Exemplare an den Straßen. Die fallen natürlich auseinander, wenn der Boden nachgibt.








                                                            Zoagli entpuppt sich als hübscher Ort. In der Ferne liegt Rapallo. Es ist immer wieder erhebend, wie anders man die Landschaft sieht, wenn man schon einmal dort gewesen ist.





                                                            Ein wasserturmähnliches Gebäude erscheint. Es wird vermutlich eine Villa sein. An einem Haus hängt der Weihnachtsmann. Ich trödele ein wenig herum und kann mich am Meer nicht satt sehen. Immer wieder hat man Ausblick auf Portofino oder Rapallo. Ein Tunnel kommt. Dazwischen wird die Straße mit einem Geländer gesichert. Auch ihm traue ich nicht so recht. Meterweit geht es in die Tiefe. Kein Wunder, dass aufgeweichte Wanderwege zu tödlichen Gefahr werden können.





                                                            Das erste Mal erhasche ich einen Blick auf Chiavari. Die Sonne spielt mit dem Meer. Ich kann mich an den Reflexionen nicht satt sehen. Aber noch geht es immer weiter bergan. Radrennfahrer überholen mich. Es scheint eine gute Trainingsstrecke zu sein. Selten nur kommt ein Auto.





                                                            Irgendwann mag ich dann nicht mehr. Die Steigung hört einfach nicht auf. Es fühlt sich an, als käme ich überhaupt nicht voran. Eine Brücke überbrückt einen Abgrund, aber sie erscheint mir am Fußgängerbereich sehr suspekt und brüchig. Ich weiche lieber auf die Straße aus.





                                                            Und dann neigt sich die Steigung langsam dem Ende zu.





                                                            Noch ein letztes Waldstück und eine Brücke, aber Chiavari rückt immer näher. Die Wiesen blühen und sind sattgrün.





                                                            Eine Kirche steht am Weg. Ich stelle meine Roller in den Eingang und trete ein. Ein Mann sieht den Roller und schaut durch die Türen, geht aber sofort weg, als er mich sieht. So habe ich die Kirche für mich alleine. Ich bleibe ein paar Minuten in Andacht sitzen und bin mir sicher, dass das Glück bringt. Auch die Sonne, die nun scheint, ist ein gutes Zeichen.








                                                            Ich rollere bergab nach Chiavari hinein ohne einen Plan zu haben. Elegant ist die Stadt nicht, das sehe ich. Soll ich hier wirklich bleiben? Ich könnte ein wenig Idylle vertragen. An einer Kreuzung ist ein Schild „Campingplatz Al Mare“ und obwohl ich weiß, dass er nicht geöffnet hat, biege ich ab. Wer weiß, wozu es gut ist. Man kann ihn sich ja einfach mal ansehen. Ich rollere an ziemlich gleich aussehenden großen Häusern vorbei und finde nichts, was mir gefällt. Die Straße ist eher ein mit dem Lineal gezogener Boulevard, so dass ich gut voran komme. Die Eisenbahn gibt hier die Struktur vor. Ich schiebe den Roller zu der Brücke, die über die Eisenbahn führt. Furchterregend ragt ein leerstehendes Hochhaus in den Himmel. Wo bin ich hier nur hingeraten.

                                                            Aber da ich nun schon einmal hier bin, rollere ich tapfer weiter. Der Campingplatz liegt an einer Straße mit Parkplatz vor dem Strand. Menschen sehe ich keine. Die Tür ist zu. Wie zu erwarten war.

                                                            Ich rollere noch am Zaun entlang und sehe einen Wäscheständer. Mit Wäsche. Merkwürdig. Auf geschlossenen Campingplätzen trocknet man doch keine Wäsche. Ich schaue noch genauer hin. Ein Kinderfahrrad liegt herum. Zwei Sonnenstühle stehen neben dem Wäscheständer. Sollte der Platz etwas offen haben? An der Rezeption steht eine Telefonnummer, aber mehr nicht.

                                                            Ich frage einen Passanten, aber der spricht erstens nur italienisch und ist zweitens wirr im Kopf. Er nimmt die Gelegenheit wahr, mir auf italienisch ohne Punkt und Komma seine Weltsicht zu erklären. Eine Joggerin spricht etwas Englisch, weiß aber nichts. Ich soll doch einfach dort anrufen. Ich schnappe mir mein Handy und rufe an. Der Mann am Telefon spricht Englisch. Ja, sie haben auf. Die Rezeption ist ab 16.00 Uhr besetzt. Ich kann mein Glück kaum fassen. Ein sich wichtig verhaltender Mann kommt von innen an den Zaun und fragt, wo ich her bin. Er spricht deutsch und erst denke ich, er ist Schwabe, aber es ist ein Schweizer. Er fragt, wer am Telefon ist. Da er keine Ruhe lässt, gebe ich ihm das Telefon und er redet italienisch auf meinen Gesprächspartner ein. Dann gibt er mir das Telefon zurück und der Mann am Telefon erklärt mir, wo ich mich hinstellen soll. An die Wand bei den Schweizern, damit ich geschützt stehe. Ich verzichte, zu erklären, dass ich einen Geodäten mithabe. Der Schweizer öffnet mir die Tür und weist mich ein. Auch er ist Gast hier. Kurz darauf kommt er mit einem Kaffee vorbei. Das ist natürlich unglaublich nett, und ich bedauere, dass ich keinen trinke. Aber dann würde ich die ganze Nacht senkrecht auf der Isomatte stehen.

                                                            Ich baue mein Zelt auf und spanne den footprint über den Eingang. Die Lampe an der Straße gefällt mir überhaupt nicht und ich hoffe, das mildert die Helligkeit ab. Als ich zu den Sanis gehe, begrüße ich auch die anderen Schweizer., die sich in ein windgeschütztes Plätzchen zwischen Dauercampern verzogen haben. Es sind zwei Ehepaare, Rentner. Die Frauen grüßen nett, während der andere Mann mich einfach nur anschaut. Warum mich das ein wenig verunsichert, weiß ich nicht. Er ist älter als die anderen und läuft sehr schlecht.

                                                            Kaum habe ich mein Zelt aufgebaut, ist die Sonne wieder weg. Egal. Heute wird gezeltet. Ich freue mich. 10.00 Euro kostet die Übernachtung. Das ist ein Wort. Ich schnappe mir den Roller, um mir den Ort anzuschauen. Die nun gefahrenen Kilometer rechne ich übrigens nicht mit, wenn ich die Kilometerangaben in der Überschrift aufführe. Vor dem Campingplatz sieht es so aus.





                                                            Der Campingplatz mit Wäscheständer.





                                                            Und hier der Schandfleck. Später werde ich erfahren, dass die Gebäude schon seit 35 Jahren so aussehen. Aber anscheinend hat niemand ein Interesse, die Gebäude einzureißen. Oder es ist zu teuer.





                                                            Am Wasser hat Chiavari auch andere Seiten. Angler angeln. Kajakfahrer trainieren. In der Ferne lieg Rapallo. Auf der Promenade sind große Steine angebracht. Ihre Bedeutung wird mir erst später aufgehen. Im Hafen werden Boote repariert und frische Fische verkauft. Schade. Fisch und Zelt verträgt sich nicht besonders gut. Zumindest nicht auf Tour.





                                                            Als die Promenade zu Ende ist, sehe ich nur noch Verkehr und hässliche Häuser. Notgedrungen rollere ich an der Straße weiter. Vielleicht gibt es ja weiter hinten noch etwas zu sehen. Nett machen mir Fußgänger Platz, und ich bedanke mich. Am Ende finde ich einen Fluss, die Entella und einen Park am Fluss. Hier ist Naturschutzgebiet. Gierig sauge ich das bisschen Natur in mir auf und rollere ein wenig hin und her.








                                                            Dann geht es in den Lärm der Stadt zurück. Diesmal finde ich das Zentrum. Dort ist auch der Bahnhof. Vittorio Emanuelle II steht auf dem Sockel. Und eine große Kirche gibt es auch. Aber ich habe Hunger. Verzweifelt suche ich ein geöffnetes Geschäft oder ein Restaurant. Nichts. Ich versuche es an der Promenade, aber hier ist alles dicht. Dann finde ich doch noch einen Imbiss, der Kebab und Pizza verkauft. Das Stück Pizza kostet 1,50 und schmeckt wie Pappe.





                                                            Ich rollere zurück zu der Kirche. Es ist bereits dunkel. Ich setze mich hinein, um etwas Ruhe zu finden. Anschließend fahre ich den Lichtern nach. So finde ich die Altstadt und hier ist auch Leben. Man bummelt, kauft ein und unterhält sich. Es gibt auch eine Burg, aber besichtigen möchte ich nichts. Ich freue mich über den kleinen Supermarkt, wo ich endlich Wasser und etwas Brot kaufen kann. Dann zieht es mich ans Wasser zurück.





                                                            Wieder muss ich unter der Unterführung durch, um auf die Wasserseite zu kommen. In einem kleinen Alimentari erwerbe ich Pesto, Gemüse und Käse. Kurz darauf erschließt sich mir auch die Bedeutung der Steine an der Promenade. Es ist ein Wasserspiel. Im Hintergrund leuchten Rapallo, Santa Margherita Ligure und Portofino.

                                                            Die Restaurants sind immer noch geschlossen und so traue ich mich in den kleinen Laden an der Ecke hinein, der vor der Straße zum Campingplatz liegt. Ein paar Mal hatte ich schon hineingeguckt, aber nicht begriffen, ob es nun ein Restaurant oder ein Geschäft ist. Er heißt „Gastronomia Olga“. Er entpuppt sich als Feinkostladen mit Tischen und Stühlen, an denen man die Waren im Tresen verzehen kann. Ich esse Pasta mit Pesto sowie Spinat und Bohnen. Endlich etwas Warmes. Der Mann hinter dem Tresen spricht Englisch und wir unterhalten uns ausgiebig. Im Winter kommt niemand an die Promenade, erzählt er. Da bleiben die Leute auf der anderen Seite der Bahn. Im Sommer ist hier die Hölle los. Wie bei uns.





                                                            Als ich zurückkomme, sitzen die beiden Schweizer Familien in der Nähe des Eingangs und unterhalten sich leise. Der Mann von vorhin steht, die Frauen sitzen nahe beieinander und tuscheln, der alte Mann sitzt etwas abseits und ohne sich zu Rühren auf einem Stuhl. Es ist ein lauer Frühlingsabend bei um die 9 Grad.
                                                            Ich hole meine Zahnbürste und als ich zurückkomme, habe ich Lust auf ein Gespräch. Und beginne einen Small-talk. Die Frauen schauen nicht so glücklich, aber der Mann ist hocherfreut. Es entwickelt sich ein bizarres Gespräch. Mehrere Tage ods-Lagerfeuerentzug hinterlassen einfach Spuren, das Gespräch macht mir Spaß. Der Mann bringt einen Klopper nach dem anderen, ich vertrete gut gelaunt die Gegenposition, und die Frauen kommentieren meine Beiträge mit großen Augen und Kopfnicken. Nur der alte Mann zeigt keinerlei Reaktion.

                                                            Plötzlich wird mein Gesprächspartner ganz aufgeregt. Die Nachrichten sind gleich vorbei, der Wetterbericht beginnt. Er fährt morgen mit seiner Frau in die Schweiz zurück und will wissen, was ihn erwartet. Er eilt zu seinem Gefährt. Ich weiß nicht mehr genau, was ich dann tue, vermutlich verabschiede ich mich noch von den Frauen oder überlege im Stehen, was ich vergessen habe. Plötzlich steht der alte Mann neben mir und sagt ganz ruhig: „Kommen Sie, wir schauen jetzt den Wetterbericht“. Ich bin überrascht, dass er mich anspricht, aber ich folge ihm, und er lenkt mich zum Auto des Mannes. Von der Motorhaube aus kann man den Fernseher sehen. Einträchtig lehnen wir uns wie die Schulbuben auf das Auto und schauen durch einen Schlitz in der Frontscheibenabdeckung auf den Fernseher. Die Sicht ist gut. Plötzlich sieht uns der Mann und merkt, dass er Publikum hat. Mit großer Geste öffnet er die Abdeckung, damit auch wir in den Genuss dieser besonderen Übertragung kommen. Wir atmen tief durch. Es wäre nicht nötig gewesen, da sind wir Schulbuben uns einig.

                                                            Der Wetterbericht kündigt Regen und Mitte der Woche etwas Schneeregen an. Immer noch gibt es keinen richtigen Schnee in der Schweiz. Ich denke an Becks und Vega und sage „Da werden sich Freunde von mir aber nicht freuen, die sind Bergsteiger“. Pause. „Ich war auch mal Bergsteiger“, sagt der alte Mann ruhig. „Mit 35 Jahren habe ich aufgehört.“ Pause. „Frau und Kinder?“, frage ich. Pause. „Nein, das kam später. Was ich gemacht habe, war zu riskant.“ Pause. „Ich glaube, es war Bonatti, der gesagt hat: „Nur ein alter Bergsteiger ist ein guter Bergsteiger“. Pause. „Das ist der Italiener“, sagt er ruhig, „den kannte ich auch.“ Pause. „Der, an den ich eben gedacht habe, hat mit viel Glück eine Lawine überlebt“, sage ich. Pause. „Jeder muss wissen, was er tut“, sagt der alte Mann in seinem langsamen, singendem Schweizer Tonfall. Wir schweigen.

                                                            Der Wetterbericht ist vorbei. Ich hatte eigentlich erwartet, dass jetzt noch das Wetter Italiens kommt. „Nur die Schweiz?“, frage ich den alten Mann. „Ja natürlich, das ist ja das Schweizer Fernsehen“, sagt er. „Wie bekommt er hier denn Schweizer Fernsehen?“, wundere ich mich naiv. „Ja“, sagt der alte Mann mit einem Lächeln in der Stimme, „was meinen Sie, warum er sich diese teure Anlage aufs Dach geschraubt hat“..... und schüttelt leicht den Kopf. Ich lache und wünsche eine gute Nacht. Das Gespräch ist vorbei. Ich gehe in die Sanis, Zähne putzen. Als ich in mein Zelt gehe, sind die Schweizer verschwunden.

                                                            Als ich im Schlafsack liege, denke ich noch einmal an das Gespräch mit dem alten Mann. Ich hätte ihn fragen sollen, ob er eine Berühmtheit ist. Er wäre der Typ dazu.


                                                            Zuletzt geändert von Torres; 30.01.2014, 12:05.
                                                            Oha.
                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                              • 24.01.2011
                                                              • 12506
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                                                              AW: [IT] Das Meer

                                                              Prima Bericht, wieder mal was anderes... Hier gibts nur wenig Berichte, in denen Menschen so genau beobachtet werden (ohne den Leser sofort mit Wertungen totzuschmeißen). :-)

                                                              OT: Wüsste nicht, warum du dich die Bohne rechtfertigen solltest... wer das nicht lesen will, muss ja nicht, also was soll das Gemaule?

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                                                                • 19.07.2004
                                                                • 549
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                                                                AW: [IT] Das Meer

                                                                Zitat von ronaldo Beitrag anzeigen
                                                                OT: Wüsste nicht, warum du dich die Bohne rechtfertigen solltest... wer das nicht lesen will, muss ja nicht, also was soll das Gemaule?
                                                                Genau! Und mit dem Roller: wie geil. Danke fürs Weiterschreiben.
                                                                Hans-Christian
                                                                fortis ac vehemens, tunc pulcherrime patiens, apta temporibus (Seneca / de vita beata III, 3)

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                                                                  AW: [IT] Das Meer

                                                                  10.01.2014 Sestri Levante

                                                                  16,3 km. Anstieg 234 m, Abstieg 210 m.

                                                                  Am nächsten Morgen bin ich wie gerädert. Mehrmals bin ich in der Nacht mit Handschmerzen aufgewacht und schlecht einschlafen konnte ich auch. Die Lampe vor mir war durch das footprint leicht abgemildert worden, aber hinter mir war auch noch eine Lampe. Das Zelt war innen taghell. Als hätte ich unter der Flutlichtanlage eines Stadions gestanden. Eine weitere Erkenntnis zum Thema Wildcampen in Italien. Der ganze Strandbereich ist nachts hell erleuchtet und man sieht jede Mücke im Sand. Die Polizei fährt regelmäßig die Parkplätze ab. Wo kein Licht hindringt, ist entweder eine Müllhalde oder kein Platz für ein Zelt. Zumindest an diesem Teil der Küste ist das so.

                                                                  Ich frühstücke in Ruhe und kann mich nicht entscheiden. Weiterziehen oder Tagestour? Ab Sestri Levante komme ich ja sowieso nur noch mit dem Zug weiter. Entweder ich rollere jetzt nach Sestri Levante, suche dort ein Hotel und fahre morgen mit dem Zug durch Cinque Terre nach La Spezia, um von dort dann einen Tag später Richtung Sarzana auf die Via Francigena zu wechseln oder: Oder ich genieße es, noch einmal im Zelt schlafen zu können, mache eine Tagestour nach Sestri Levante, fahre dann von dort mit dem Zug zu den Dörfern des Cinque Terre und morgen mit dem Zug nach La Spezia. Von dort rollere ich dann weiter nach Sarzana. In Sarzana gibt es einen Campingplatz, der offen haben könnte.

                                                                  Unerwarteterweise ist es plötzlich 10.00 Uhr und spontan entscheide ich mich, zu bleiben. Ohne Gepäck zu rollern ist sicher auch mal ganz schön. Vielleicht finde ich ja endlich einen der Pilgerwege, die mein Track anzeigt. Die Via Aurelia möchte ich heute umgehen. Sie ist in diesem Teilstück stark befahren. Ich zahle für die nächste Nacht und mache mich mit kleinem Gepäck auf den Weg. Während ich noch umpacke, verliert ein Baum am Felsen über dem Campinglatz den Halt und fällt krachend metertief hinunter. Ich erschrecke mich. Ein eindringlicher Hinweis, die Ratschläge von gestern ernst zu nehmen.





                                                                  Das Wetter sieht durchwachsen aus. Aber es regnet nicht.





                                                                  An der Promenade vertieft sich eine Schulklasse in ihre Malhefte. Ich rollere in einen kleinen Park, um die Kirche von gestern zu fotografieren. Gestern war mir das Foto misslungen, die Kirche war unscharf. Schade. Das Licht war gestern besser. In der Ferne leuchtet der Hafen von Portofino.





                                                                  Da ich genug Zeit habe, fotografiere ich ein wenig herum. Der Mann im Restaurant gestern meinte, es wären höchstens 8 km bis Sestri Levante und das sollte selbst mit Roller in zwei Stunden zu schaffen sein. Mit dem Fahrrad braucht er zwanzig Minuten. Ich mache sogar ein Foto von einer der Unterführungen. Die Bahn bildet ein natürliches Hindernis im Ort.





                                                                  Als die Promenade zu Ende ist, wechsele ich auf die Via Aurelia. Ich will heute versuchen, dem eingespeicherten Track zu folgen. Es herrscht das übliche Verkehrschaos. Man nimmt es mit der Zeit gar nicht mehr wahr. Mit „Scusi“ komme ich auch auf den Bürgersteigen erstaunlich gut durch. Ob es grammatikalisch richtig ist, weiß ich nicht. Aber es funktioniert und so bleibe ich dabei. Die Antwort ist im allgemeinen „Prego“.





                                                                  Bald bin ich wieder an der Entella. Der Track führt über die Brücke, die ich gestern fotografiert habe. Eine Frau mit Modehündchen und Handy in der Hand hat Schwierigkeiten, die Straße zu überqueren. Sie schleift den Hund einfach hinter sich her.





                                                                  Von der Brücke aus sieht man wieder die Kirche am Hang. Die Eisenbahnbrücke ist voller Vögel, die auffliegen, wenn ein Zug kommt, um sich gleich wieder niederzulassen. Die Züge fahren im 15 Minuten Takt. Künstliche Aufregung, sozusagen.





                                                                  Wie üblich will ich der Straße folgen, dann fällt mir auf, dass mein Navi etwas anderes zeigt. An der Brücke gibt es einen Fußweg zum Fluss. Ein kurzes Stück geht es nun durch eine Flußaue. Dann biegt der Weg in den Ort ab. Am Ende der Straße befindet sich eine Kirche.








                                                                  Die Kirche ist entweder geschlossen oder ich finde den Eingang nicht. Ich weiß es nicht mehr. Ich schiebe den Roller durch die Straßen. Es sind nette, kleine Straßen mit vielen Läden. Die Stadt lebt vom Tourismus, das merkt man am Angebot. Aber es scheint ein gehobenes Publikum zu sein, denn man spürt Eleganz in den Straßen. Die Wasserqualität soll hier ausgezeichnet sein. In der Ferne erahnt man das Meer.
                                                                  In einer Seitenstraße erblicke ich noch eine Kirche. Ich biege ab und was ich dann sehe, verschlägt mir den Atem. Was für eine Anlage.





                                                                  Ich mache mich auf den Weg und wähle statt der Stufen den Weg an der Seite. Er führt noch weiter hinauf und ich folge ihm einfach. Ein paar Treppen und ich bin am Ziel. Es ist ein alter Friedhof.





                                                                  Die Kirche selbst ist geschlossen. Man kann hier nur spazierengehen. Ich frage extra noch einmal nach. Die Kirche ist „chiuso“, geschlossen. Meine Recherchen ergeben, dass es sich um die Basilica di Santo Stefano handelt.








                                                                  Ich folge nun wieder dem Track. Ein wunderschöner Garten fasziniert mich. Ein paar Regentropfen fallen, aber gleich hört es wieder auf. An einer Kreuzung weiß ich nicht weiter und studiere die Karte im Gerät. Das Navi lenkt mich unerwarteterweise geradaus. Aber da dort eine alte Frau läuft, scheint das richtig zu sein. Noch einmal Kontrolle. Ja, ich bin richtig. Es geht geradeaus. So gerate ich nun auf eine einsame Nebenstraße. Höchstens vier oder fünf Autos werden mir in den nächsten zwei Stunden begegnen.





                                                                  Ich könnte jetzt mit der Pointe noch etwas warten, aber ich bin ehrlich. Diese Straße ist falsch. Irgendwo an der Stelle, an der ich navigiert habe, muss es noch einen kleinen Weg geben, an dem der Pilger hoch auf den Hügel zur Kirche S. Gulia geleitet wird. Obwohl ich mein Gerät in der Hand habe und sorgfältig die Hinweise studiere, sehe ich die Abzweigung nicht. Schilder gibt es hier nicht. So denke ich wirklich, dass ich richtig bin. Einsam genug ist es ja. Als ich meinen Irrtum bemerke, ist es längst zu spät. Egal. Diese Straße hier ist auch wunderschön.

                                                                  Ich komme an eine Kapelle, aber sie ist verschlossen und sieht renovierungsbedürftig aus. Eine Frau geht zu ihrem Auto. Sie hat einen Pelzmantel an. Die Temperatur dürfte in diesem Moment ungefähr bei + 14 Grad liegen. Später werde ich mich der Theorie anschließen, dass sich Italiener unabhängig von der herrschenden Temperatur jahreszeitlich gewanden. Und im Winter trägt man eben Pelz. Elegant sieht es ja auch aus.

                                                                  Wo genau sich der Campingplatz befindet, auf dem unter tiefhängenden Bäumen mit Grünspan bedeckte, farblich an die Umgebung angepasste Wohnwagen stehen, weiß ich nicht mehr. Ich vermute, das ich ihn sehe, bevor ich den Weg entdeckt habe, von dem gleich die Rede ist. Das Erblicken des Campingplatzes war Moment, an dem mir der Verdacht kam, dass ich falsch bin. Nicht vorstellbar, dass ein Pilgerweg an einer Straße verläuft, die im Sommer Zufahrtsweg zu einem Campingplatz ist. Auf dem Navi sehe ich: Der Pilgerweg führt über mir auf der Höhe zu einer Kirche, während ich mich ungefähr auf halber Höhe zwischen Pilgerweg und der im Tal verlaufenden Via Aurelia befinde. Ärgerlich, aber man muss eben das beste daraus machen. Zurück gehe ich grundsätzlich nicht.

                                                                  Ein gelber Wegweiser „pedonale s. gulia minuti 40“ verweist auf einen Fußweg zu der Kirche hoch über mir. Der erste Wegweiser, den ich seit Genua sehe. Ein schmaler, steiler Pfad führt neben einem Gebäude nach oben. Kein Wunder, dass ich die Wege bisher nicht erkannt habe. Ich hätte vermutet, der Weg führt in den Garten hinter dem Haus.








                                                                  Ein Schild „Via Romana“ steht am Straßenrand. Weit unten im Tal sieht man die Via Aurelia. Die Autos fahren dicht an dicht. Immer wieder mal sieht man Wege, doch dürften sie vor allem der Bewirtschaftung der Olivenhaine dienen. Bisher habe ich derartige Wege nicht gesehen, aber hier sehen die Hänge auch erheblich fruchtbarer aus und sind plantagenartig angeordnet.





                                                                  Einen Moment gibt es wieder Fernsicht.











                                                                  Dann heißt es volle Konzentration. Denn nun kommt der Pilgerweg laut Navi den Berg herunter. Auch diesen Weg hätte ich ohne Navi übersehen, da er von Pflanzen verdeckt ist. Hinweise gibt es keine. Nur der Anschlag, der auf die Gottesdienstzeiten in S. Gulia hinweist, lässt einen Zugang zur Kirche vermuten. Der Weg ist sehr steil und ich bin mir nicht sicher, ob ich als Flachländer dafür die Kondition hätte.





                                                                  Langsam nähert sich Sestri Levante. Aber erst einmal muss ich mir meinen Lohn des Tages abholen: Die Abfahrt :-)

                                                                  An einer Kreuzung biege ich rechts ab, und warum ich kurz darauf an den Harry denken muss, ist für Insider wohl offensichtlich. Wobei professioneller vorgegangen wäre, wenn ich mir das Brenngut so anschaue. Dann gleite ich elegant ins Tal, nicht ohne festzustellen, dass es sich mit Gepäck besser fährt.








                                                                  Das Meer und die Via Aurelia haben mich nun wieder. Eine andere Straße gibt es nicht. Sestri Levante liegt hinter einem langgestreckten Tunnelsystem. Auch Pilgerer müssen diesen Tunnel nutzen. Die verrosteten Drahtgitter am Rande und der Brösel an den Pfeilern sind nichts für Schwächlinge. Aber alles geht gut.





                                                                  Und dann: Sehe ich Nordlichter. Natürlich nur auf dem Wasser. Aber plötzlich und unerwartet sind sie da. Und verändern ihre Form. Hübsch sieht das aus. Bei uns gibt es so etwas nicht.




















                                                                  Ich bin nun in Sestri Levante. Ein hübscher Ort. Hübscher als Chiavari. Da hatte der Gastronom von gestern recht.









                                                                  An der Promenade mache ich Rast. Ruhig ist es hier. Es gibt keine Durchgangsstraße. Das merkt an. Ich bedauere, mein Domizil nicht hier aufgeschlagen zu haben und meine Ausrüstung in Chiavari gelassen zu haben. Hier fühle ich mich wohl. Das Meer. Die Weite. Der erste Ort auf meiner Reise, den ich als naturnah empfinde. Diese Zwiesprache mit dem Meer hatte ich mir von der Via de la Costa erhofft. Auf den Karten sah alles so anders aus. Aber gut. Man muss es nehmen, wie es kommt. Immerhin weiß ich jetzt, wie es hier aussieht.





                                                                  Später rollere ich in den Ort, um meine Anwesenheit zu dokumentieren. Bei den Samaritern finde ich den gewünschten Stempel. Die Kirche ist geschlossen. Auf der anderen Seite des Ortes gibt es eine zweite Bucht. Auch hier ist es ruhig und idyllisch. Entspannt schaue ich auf das Wasser. Irgendwo an den Hügeln führt der Wanderweg nach Moneglia entlang.





                                                                  Und ich entscheide, dass ich hier den Tag beende. Eigentlich wollte ich ja noch die Ortschaften des Cinque Terre kennenlernen, aber das wird zu viel. Das war heute ein schöner Tag. Ich möchte es dabei bewenden lassen. Einen kurzen Moment überlege ich, mit dem Roller zurück zu fahren. Aber die Via Aurelia ist mir zuviel befahren. Das würde meine Stimmung erst recht beeinträchtigen. Der andere Weg ist zu weit, so lange bleibt es nicht hell. So suche ich jemanden, den ich nach dem Bahnhof fragen kann.

                                                                  Es ist Mittagspause und im Ort ist wenig los. Die Fußgängerzone ist gleichzeitig Wifi-Zone. Keine schlechte Idee. Ein Gebäude fällt auf. Es ist der Palazzo Fascie und er beinhaltet die Bibliothek.





                                                                  Am Ende der Fußgängerzone sitzen alte Männer an einem Tisch. Ich frage auf italienisch nach dem Bahnhof. Die Männer sind neugierig und als ich „Germania“ sage, springt einer auf und erzählt, dass er in Deutschland gearbeitet hat. Er bewundert meinen Roller und ich lasse ihn ein Stück fahren. Er ist ganz vorsichtig. Auf Deutsch erklärt er mir den Weg zum Bahnhof und wir verabschieden uns winkend und lachend.





                                                                  Die Fahrkarte kostet um die 3 Euro, viel ist es nicht. Der Bahnbeamte spricht nur Italienisch und macht mit den Gesten das Entwertungszeichen. Ich entwerte am Automaten die Fahrkarte. Der Zug steht schon bereit. Sicherheitshalber frage ich dennoch eine ältere Dame. Sie nickt und kümmert sich von jetzt an um mich. Ich klappe den Roller ein und setze mich.

                                                                  Zehn Minuten braucht der Zug bis Chiavari. Wie lange habe ich gebraucht? Etwas mehr als 3 Stunden? 16,3 km hat das Navi aufgezeichnet.
                                                                  Am Bahnhof kaufe ich mir für 6,50 Euro eine Zugfahrtkarte bis La Spezia. Sie erlaubt das Aussteigen in Moneglia, Deiva Marina und an den fünf Cinque Terre Ortschaften innerhalb von 6 Stunden. Die fünf Cinque Terre Ortschaften sind übrigens mit 2 Ausnahmen nur per Bahn, per Boot oder zu Fuß zu erreichen. Eine Straßenverbindung fehlt.

                                                                  Bis die Geschäfte aufmachen, ist noch Zeit und so treibe ich mich ein wenig auf der Promenade herum. Ein Kind an der Laufleine läuft mit den Eltern spazieren. Ihm gefällt es sichtbar.





                                                                  In der Ferne sticht ein Frachter in hohe See. Er kommt sicherlich aus Genua. Lange ist es her. Vor einem Eisgeschäft riecht es wunderbar nach Crêpes, aber das Mädchen hinter dem Tresen hat keine Ahnung, wie man Crêpes macht. So esse ich ein köstliches, gestrichenes Schokoladeneis. Es ist 16.00 Uhr und der Alimentari öffnet. So kaufe ich Brot und Wasser für morgen. Käse und Gemüse habe ich noch genug.





                                                                  Mein Magen knurrt und bis abends möchte nicht auf die Restaurants warten. So gehe ich wieder zu „Olga“ und esse Fisch mit Kartoffeln und Salat. Am Strand sammeln Männer schwarze Steine. Sind es Kohlen? Ich kann es nicht erkennen. Und um zu fragen, reichen meine Sprachkenntnisse nicht aus.





                                                                  Langsam wird es dunkel und ich ziehe mich in mein Zelt zurück. Der Mann ist heute in der Frühe abgereist und das andere Ehepaar ist nicht zu sehen. Dafür sind die italienischen Bewohner des Wohnwagens neben mir eingetroffen, um das Wochenende zu verbringen. Sie haben ein kleines Kind, aber ich sehe nur den Mann. Ich spanne den footprint als Verdunkelung über das Zelt und blättere in den Unterlagen für die Via Francigena. Werde ich da überhaupt Unterkünfte finden? Ist das wirklich eine Strecke für den toten, nassen Januar? Ich werde es sehen. Aber so ganz überzeugt bin ich nicht.

                                                                  Das war also der Golf von Tigulio. Und das Ligurische Meer.








                                                                  11.01.2014 Ein neuer Tag

                                                                  Am Morgen werde ich sehr früh wach. Das Wetter sieht wie immer aus. Wolkenverhangen. Diszipliniert beginne ich, mich fertig zu machen. Und ohne zu wissen, warum, habe ich plötzlich das Gefühl, ich müsse mich beeilen und das Zelt vor Regen schützen. Es sind so Eingebungen, die mich immer wieder irritieren, aber ich nehmen sie auch immer ernst. In Windeseile sind Schlafsack und Rucksäcke in einem große Zelt ausgebreitet, das im Sommer als Brötchenverkaufshalle dient und nun die Gartenstühle beherbergt. Ich löse die Knoten des footprints, ziehe die vier Heringe heraus und stelle das Zelt dazu. Ich liebe selbststehende Konstruktionen, das sind die Momente, wo sie ihre Stärke ausspielen. Für den Roller reicht die Zeit nicht mehr, denn in dieser Sekunde fängt es an zu schütten. Bingo. Portofino ist vom Erdboden verschluckt und nur ein kleiner rosa Streifen hinter Sestri Levante lässt hoffen.





                                                                  In Ruhe packe ich meine Sachen. Bei diesem Wetter muss man es nicht eilig haben. Es ist gerade mal 8.00 Uhr.

                                                                  Als ich den Roller holen will, geht der alte Mann gerade zu seinem Wohnwagen. Ich spreche ihn an und teile ihm mit, dass ich heute abreise. Er nickt. Direkt wie ich bin, lässt mir meine Frage von vorgestern keine Ruhe. „Entschuldigen Sie, aber ich muss wegen des Bergsteigens noch einmal etwas fragen. Sind Sie berühmt?“ Er schmunzelt. „Nein. Ich bin nicht berühmt.“ „Darf ich trotzdem ihren Namen wissen? Vielleicht finde ich Sie ja im Internet.“ Eine kleine Pause entsteht. Dann sieht er mich an und sagt ganz ruhig: „Ich war bei der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand dabei, durch die Schweizer Equipe.“ Ich schaue ihn mit großen Augen an. Das sagt sogar mir etwas. Sein Gesicht wirkt plötzlich jung und er lächelt. „Man nannte mich den „Schlosser“, wegen meiner besonderen Art, die Haken in die Wand zu setzen“. Das Leuchten erlischt. „Aber das ist lange her“. Wortlos dreht er sich um und geht langsam und sicherlich unter Schmerzen zu seinem Wohnwagen zurück. Ein alter Mann.


                                                                  Exkurs:
                                                                  Die Eiger Nordwand wurde im Juli 1938 das erste Mal durch eine deutsch-österreichische Seilschaft (Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek) bestiegen. Die zweite Besteigung geschah im Juli 1947 durch die Franzosen Lionel Terray und Louis Lachenal. Die dritte (Erst-)Besteigung erfolgte im August 1947 durch ein Schweizer Team, bestehend aus den Brüdern Hans und Karl Schlunegger aus Wengen und ihrem Gast Gottfried Jermann aus Dittingen. Klick.

                                                                  Gottfried Jermann (dr Räuber), lebte von 1902 bis 1954. Hans Schlunegger, geboren 1912, Skirennfahrer und Bergführer, starb 1948 bei einem Lawinenunglück. Karl Schlunegger, Bergführer, war 1952 bei der Bergung eines Flugzeuges am Guggigletscher federführend dabei und sprengte mit vier Kollegen in einer gefährlichen Aktion einen Tragflügel der verunglückten Maschine frei. Weitere Informationen gibt es im Netz über ihn nicht.



                                                                  Die Begegnung mit dem alten Mann hat meine Stimmung verändert. Ich packe meine Sachen, schließe das Tor auf und stecke den Schlüssel in den Briefkasten. Ich bin ganz leer. Ein Hauch von Ahnung durchzieht mich, was noch kommen wird. Das Alter verändert so vieles. Nichts bleibt, wie es war. Ein letztes Mal rollere ich an der Plakatwand vor den Bruchhäusern vorbei. Fast alle Bekanntmachungen sind Todesanzeigen. In jedem größeren Ort findet man diese Bekanntmachungen an öffentlichen Plätzen.





                                                                  Es regnet wieder und meine Ärmel sind durchnässt. Die Straßen sind leer. An der Via Aurelia bereiten die ersten Gewerbetreibenden die Ladenöffnung vor. Sie sind mit Eifer und Freude dabei und jeder Laden ist anders und individuell. Ein Stück versunkener Heimat. Bei uns im Viertel gibt es diese Läden nicht mehr. Es sind diese seltenen Momente der Klarheit, in denen man den Verlust bemerkt.

                                                                  Als ich am Bahnhof ankomme, ist es 9.00 Uhr. Ich schaue auf die Anzeigetafel. Der Regionalzug aus Genua nach La Spezia fährt um 10.15 Uhr. Das bedeutet, dass ich über eine Stunde am Bahnsteig warten kann. Eine andere Verbindung gibt es nicht. Der nächste Zug fährt um 9.31 Uhr nach Rom.

                                                                  Und plötzlich habe ich die Schnauze voll. Die Schnauze voll von diesen kleinen bunten gelben und roten Häusern an diesen engen asphaltierten Landstraßen mit diesen instabilen Hängen, an denen nur Olivenbäume wachsen. Die Schnauze voll von dem Regen, dem Nebel und überhaupt dieser ganzen puppenhausartigen Landschaft. Mag sein, dass ich nie wieder die Gelegenheit habe, Cinque Terre zu sehen, aber es ist mir egal. Es reicht. Die Orte werden aussehen, wie alle anderen auch. Wenn die Schalterbeamtin rechtzeitig zurückkommt, buche ich um. Wenn nicht, schau ich mir Cinque Terre an. Mein Schicksal liegt in ihrer Hand.

                                                                  Um 9.20 Uhr ist die Schalterbeamtin wieder da. Eine ältere Italienerin fragt, ob ich es eilig habe (glaube ich zumindest, dass sie das fragt) und ich nicke und sage auf italiensch „Zug nach Rom“. Sie lässt mich vor. Die Schalterbeamtin hatte mir gestern das Ticket verkauft und ist etwas genervt, was ich denn nun schon wieder will. Sie nimmt gegen Abzug das Ticket zurück und zwei Minuten später habe ich für ca. 30 Euro ein Ticket nach Rom in der Tasche. Ich werde eine neue Tour planen. Irgendwo in der Nähe von Rom wird es doch Wanderwege oder Natur geben. Irgendetwas, was man outdoormäßig machen kann. Mir wird schon etwas einfallen.

                                                                  Die Zugfahrt ist ereignislos. Die Fahrt durch Cinque Terre verläuft durch Tunnel und nur ganz kurz sieht man an den Haltestellen kleine, nasse Häuser auftauchen. La Spezia ist groß und ich bin froh, dort kein Zimmer suchen zu müssen. Sarzana entpuppt sich als im Regen abgesoffene, zweckoptimierte Kleinstadt. Die Gegend, durch welche die Via Francigena verläuft, präsentiert sich im Januar als deprimierend flach und alles, was nicht nach Asphalt aussieht, ist verschlammt. Wasser steht auf den Feldern. Die Landschaft wirkt einfach trostlos. Nur weg hier. In der Ferne liegt Cinque Terre auf der anderen Seite der Bucht im Nebel.

                                                                  Hinter Livorno kommt ganz plötzlich die Sonne heraus und gibt einen wundervollen Blick auf das Meer frei. Das Meer. Das war es, was ich hier auf meiner Tour gesucht habe. Gibt es hier vielleicht eine Küstenroute, die man rollern kann? Die Idee klingt gar nicht schlecht. Da muss ich heute Abend, wenn ich Internet habe, mal drüber nachdenken. Mir wird schon etwas einfallen.

                                                                  Und das wird es auch.
                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 30.01.2014, 18:11.
                                                                  Oha.
                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                  Kommentar


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                                                                    • 8843
                                                                    • Privat


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                                                                    AW: [IT] Das Meer

                                                                    Die Diskussion was Outdoor ist oder nicht, hatten wir schon mal anlässlich eines Reiseberichts wo jemand mit dem Motorrad in Schweden/Norwegen unterwegs war und als Outdooraktivität auf Campingplätzen übernachtet hat, sonst aber keinen überflüssigen Schritt zu Fuß gemacht hat.
                                                                    Irgendwo in den Tiefen des Forums wurde sich dann nach langem hin und her darauf geeinigt das Outdoorer ist wer sich als Outdoorer fühlt.
                                                                    OT: Als Outdoorer bezeichne ich mich auch erst seit ich hier im Forum bin. Im Grunde wandere ich noch genauso durch die Gegend wie vor meiner Forumszeit. Darf ich als einfacher Wanderer jetzt hier keine Berichte mehr veröffentlichen?

                                                                    Ich oute mich mal als Fan von Torres Reiseberichten, die mMn mit zu den besten im Forum gehören.
                                                                    @Torres: Ich hoffe noch auf viele Berichte von dir, in deiner speziellen Art zu reisen.
                                                                    Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                    Kommentar


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                                                                      Freak

                                                                      Liebt das Forum
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                                                                      • 31757
                                                                      • Privat


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                                                                      AW: [IT] Das Meer

                                                                      Danke für die vielen netten Kommentare, die mich sehr freuen. Ich schreibe so schnell es geht weiter
                                                                      Oha.
                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                      Kommentar


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                                                                        Lebt im Forum
                                                                        • 14.07.2008
                                                                        • 5576
                                                                        • Privat


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                                                                        AW: [IT] Das Meer

                                                                        OT:
                                                                        Es ging mir nicht:
                                                                        (1) um torres persönlich
                                                                        (2) den Schreibstil
                                                                        (3) die Qualität der Fotos
                                                                        (4) die sportliche Leistung.

                                                                        Es ging mir schlicht um die Thematik.
                                                                        Denn für mich hat outdoor noch immer damit zu tun: "Ich bin jahrelang durch die Natur gestreift und habe mich über jede Wiese, jede Blume und jeden Baum gefreut. " (zitat torres), weniger/nichts mit Stadtansichten - seien sie sprachlich oder fotografisch noch so gut dargestellt.
                                                                        Aber die Kritik gestern abend war eher maulig, weniger zielführend. Entschuldigung dafür.
                                                                        Wir müssen es an dieser Stelle aber auch nicht weiterführen...

                                                                        Moralische Kultur hat ihren höchsten Stand erreicht, wenn wir erkennen,
                                                                        daß wir unsere Gedanken kontrollieren können. (C.R. Darwin)

                                                                        Kommentar


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                                                                          Freak

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                                                                          • 16.08.2008
                                                                          • 31757
                                                                          • Privat


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                                                                          AW: [IT] Das Meer

                                                                          OT: Danke für die Klarstellung.

                                                                          Und vielleicht gefällt Dir ja der zweite Teil besser
                                                                          Oha.
                                                                          (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                          Kommentar


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                                                                            Erfahren
                                                                            • 03.11.2010
                                                                            • 489
                                                                            • Privat


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                                                                            AW: [IT] Das Meer

                                                                            Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                            Danke für die vielen netten Kommentare, die mich sehr freuen. Ich schreibe so schnell es geht weiter
                                                                            Ja bitte!
                                                                            Deine Berichte gehören zu dem Besten, was das Forum zu bieten hat - das soll mal eine nachmachen, so gut zu schreiben!

                                                                            Thomas, der sich schon auf die nächsten Zeilen freut :-)
                                                                            _____________________________________
                                                                            Meine Seite: http://www.thomasbrandner.at

                                                                            Kommentar


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                                                                              Alter Hase
                                                                              • 28.09.2011
                                                                              • 3237
                                                                              • Privat


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                                                                              AW: [IT] Das Meer

                                                                              Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                              Irgendwo in der Nähe von Rom wird es doch Wanderwege oder Natur geben. Irgendetwas, was man outdoormäßig machen kann. Mir wird schon etwas einfallen.
                                                                              Also an dieser Stelle bin ich ja mal gespannt.
                                                                              Ich tippe mal auf die Gegend um Tivoli oder Frascati?

                                                                              Kommentar


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                                                                                • 16.08.2008
                                                                                • 31757
                                                                                • Privat


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                                                                                AW: [IT] Das Meer

                                                                                Zitat von Ingwer Beitrag anzeigen
                                                                                Also an dieser Stelle bin ich ja mal gespannt.
                                                                                Ich tippe mal auf die Gegend um Tivoli oder Frascati?
                                                                                Ne. Auf die Idee bin ich nicht gekommen.
                                                                                Oha.
                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                Kommentar


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                                                                                  Freak

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                                                                                  • 31757
                                                                                  • Privat


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                                                                                  III. Teil: Contorno – Beilage






                                                                                  11.01.-13.1.2014 Rom

                                                                                  Der Aufenthalt in Rom ist schnell erzählt. Ich checke wieder in der Jugendherberge ein, die diesmal nur 14 Euro die Nacht kostet. Die Stadt ist sehr voll und ich merke, dass mich das massiv stört. Nach Großstadt steht mir nach den letzten Tagen überhaupt nicht der Sinn. Dennoch gehe ich noch schnell zum Petersdom, den ich gerne auf Pilgerwegen erreicht hätte. Der Tannenbaum steht beleuchtet auf dem Vorplatz. So beeindruckend wie beim ersten Mal erscheint mir der Petersdom aber nicht mehr und ich bin ein wenig enttäuscht. Der Sitzbereich abgesperrt. Die Messe lässt sich anscheinend nur mit Eintrittskarten besuchen.
                                                                                  Als ich zurück durch die Straßen eile, wird die Erinnerung an die Fußschmerzen des letzten Jahres wieder wach. Welch ein Genuss, wieder laufen zu können.





                                                                                  Am Abend esse ich ein Stück Pizza in einer kleinen Pizzeria. Es schmeckt grauenvoll. Man kann nicht immer Glück haben.

                                                                                  -----------------

                                                                                  Am folgenden Tag rollere ich im Park der Villa Borghese herum. Es ist Sonntag, und es macht Spaß, die Römer bei Wochenendaktivitäten zu beobachten. Die Kinder tragen Wintermützen und Daunenjacken, obwohl es um die 15 Grad sind und die Sonne scheint. Straßenmaler sitzen mit Fellmützen und Daunenhandschuhen an ihrem Platz und warten auf Kundschaft. Fahrradfahrer mit Sicherheitswesten, Skater, Hundebesitzer, Reiter und Spaziergänger sind unterwegs und genießen den schönen Tag. Ein Rollschuhtrainer bringt kleinen Kindern bei, über kleine Hütchen zu springen. Die Kinder hinterlassen Kleinholz. Ein Papagei sitzt im Baum, doch die Fotos werden unscharf. Um herauszufinden, wieviele Kilometer ich im Durchschnitt bei Tagesaktivitäten fahre, lasse ich das Navi mitlaufen. 15 km stehen auf der Uhr. Diesen Wert kann ich also bei der zukünftigen Streckenplanung als unterste Grenze ansetzen.





                                                                                  Am späten Nachmittag verlängere ich in der Jugendherberge noch einmal um eine Nacht, weil ich immer noch keine Idee habe, wie es weiter gehen soll. Das Wetter ist überall ziemlich schlecht. Teile Siziliens stehen unter Wasser und einige Flüsse sind über das Ufer gelaufen. Kaum habe ich bezahlt und noch einmal die Italienkarte in die Hand genommen, ist die Idee da. Mist. Warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen. Ich ärgere mich. Am liebsten würde ich sofort starten. Mein Geld bekomme ich dann allerdings nicht mehr zurück. So werte ich die Angelegenheit wie üblich als Schicksal. Ich habe genug Zeit. Ich kann auch einen Tag später fahren.
                                                                                  An diesem Abend richte ich mich nach der Empfehlung eines Hostelmitarbeiters. Das Restaurant ist schmucklos und es sitzen ausschließlich Italiener dort. Die Qualität ist hervorragend. Es gibt eine leckere Minnestrone und Schinkenpizza ohne Schinken.

                                                                                  ---------

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                                                                                  Viel Lust auf Stadtbesichtigung habe ich nicht und so setze ich mich vor allem in die Sonne. Die Stadt ist ziemlich leer, es war nur der Samstagabend, der für Rummel gesorgt hat. Die wenigen Touristen, die mit Stadtplänen Orientierung suchen, sind Italiener.
                                                                                  Auf dem Marktplatz von Trastevere ist Wochenmarkt und am Rand lockt ein dazugehöriger Käsestand. Der Verkäufer sieht ein bisschen aus wie eine Maus und spricht ziemlich gut Englisch. Ich beschreibe ihm ungefähr, welche Geschmacksrichtungen ich gerne mag und folge seinen Empfehlungen. Er freut sich. Mit vier verschiedenen Käsesorten verlasse ich den Ort. Ein Stück weiter finde ich ein alteingesessenes Käsegeschäft. Und kaufe wieder Käse. An das Gewicht, dass ich nun die nächsten Tage tragen darf, denke ich in dem Moment nicht. Der Käse dort ist günstiger als am Marktstand, aber als ich am Abend die Sorten probiere, liegt der Marktstand ganz weit vorn. Diese Geschmacksvielfalt ist jeden Penny wert. In einem Pasta- und Pizza-Imbiss herrscht Hochbetrieb und vor der Tür essen Geschäftsleute hektisch ein Stück Pizza. Ich werte das als Qualitätskriterium. Tatsächlich ist die Pizza preisgünstig und köstlich.





                                                                                  Früh gehe ich zum Hostel zurück und erledige noch letzte Vorbereitungen, in dem ich Tourendetails im Handy speichere und die Unterkünfte recherchiere. In der ersten Nacht kann ich auf einen Campingplatz gehen. Danach werde ich auf Hotels angewiesen sein. Aber das wusste ich ja bereits, bevor ich nach Italien fuhr. Das ist hier im Januar eben so. Mal sehen, was mich erwartet. Hoffentlich klappt es diesmal besser. Ich bin gespannt.
                                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2014, 10:36.
                                                                                  Oha.
                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                  Kommentar


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                                                                                    • 31757
                                                                                    • Privat


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                                                                                    AW: [IT] Das Meer

                                                                                    IV. Teil: Secondo Piatto – Zweiter Gang

                                                                                    Das Tyrrhenische Meer: Von Lido di Ostia bis Monte San Biaggio






                                                                                    14.01.2014 Tor San Lorenzo (Ardea)

                                                                                    32 km

                                                                                    Am Morgen nehme ich die rumpelnde Vorortbahn nach Ostia. Sie ist vollgesprüht mit Graffitis, und man muss die Haltestellen zählen, weil man nichts sieht. Ich habe vor, in Richtung Neapel mit dem Roller zu fahren. Auf der Strecke liegt ein Naturschutzgebiet und da soll es schön sein. Die Straße führt immer am Meer entlang. Ganz nach Neapel werde ich nicht kommen, weil dann nur noch Hauptverkehrsadern an der Küste entlang führen. Aber der Weg bis Terracina ist machbar, und da will ich auf jeden Fall hinrollern. Die Etappen lassen sich gut einteilen, und ich orientiere mich an den Kilometerangaben meiner Straßenkarte.
                                                                                    Den Weg aus Rom herauszurollern, erspare ich mir aber. Das ist mir einfach zu viel Verkehr und wäre wohl alleine schon eine Tagesetappe. Außerdem will ich heute abend auf dem einzigen geöffneten Campingplatz übernachten.

                                                                                    Ich steige am Bahnhof Ostia aus und es schüttet wie aus Eimern. Neben dem Bahnhof befindet sich eine Schnellstraße, und ich stelle fest, dass man hier nur mit dem Auto weg kommt. Ich hebe den Roller samt Gepäck hoch und erklimme die Überführung. Auf der anderen Seite hebe ich den Roller wieder herunter. Dann stehe ich da. Mein Navi zeigt lauter Sackgassen, aber keine Straße zum Meer an. An einer Tankstelle frage ich um Rat und bin anscheinend die Sensation, denn der halbe Betrieb wird alarmiert. Die Männer erklären mir, dass es nur die Schnellstraße Richtung Lido di Ostia gibt. Ich soll die Bahn nehmen. Überprüfen kann ich das leider nicht und so verlasse ich mich darauf. Voller Begeisterung hebe ich den Roller im strömenden Regen wieder die Treppen hoch und wieder runter und nehme die nächste Bahn. Mein Ticket ist noch gültig. Nach zwei Stationen bin ich da.

                                                                                    Die Aktion hat mich eine Stunde gekostet und nun ist es kurz vor 11.00 Uhr. Ich navigiere durch die Straßen des Ortes und endlich stehe ich am Meer. Das Meer ist wild und es weht ein frischer Wind. Ich atme tief durch. Nur die Häuser am Rande der Straße sehen grauenvoll aus. Zweckarchitektur. Schön ist hier etwas anderes. Aber ich muss ja nicht nach links gucken. Rechts ist das Meer.

                                                                                    Ich setze mich in Bewegung. Es ist flach hier, also kann ich rollern und schnell merke ich mal wieder, wie anstrengend das ist. Vor allem bei Gegenwind. Am angenehmsten für das Rollerfahren sind leicht hügelige Strecken, die Rollphasen ermöglichen oder Strecken, die Geschicklichkeit erfordern. Hier geht es einfach nur geradeaus an der Küste entlang. Der Campingplatz am Wegesrand ist geschlossen. Im Winter ist hier Totentanz.
                                                                                    Ich esse ein Stück Brot mit Gorgonzola und Paprika. Das Meer neben mir rauscht und ich freue mich über den Anblick. Ist es nicht schön? Ich kann mich nicht satt sehen. An vielen Stellen wird die Sicht jedoch durch Aufbauten verstellt. Scheinbar ist das Meer hier überwiegend in privater Hand und bewirtschaftet.





                                                                                    Die Promenade endet und ich werde auf eine größere, vielbefahrenere Straße gelenkt. Die Autos sind aber kein Problem, denn es gibt einen zwar schmalen, aber doch nutzbaren Seitenstreifen. Außerdem kommen sie nur in Wellen und dann ist wieder lange nichts. Aber ich habe Gegenwind. Konstanten, lästigen Gegenwind. Eine Windbö erfasst den Poncho und hüllt meinen Kopf einmal komplett ein. Für einen unangenehm langen Moment sehe ich nichts und muss anhalten. Gott sei Dank ist gerade kein Auto da. Das geht so nicht. Ich rede mit ihm ein ernstes Wort. Hätte ich mich nicht an ihn gewöhnt, würde ich über Konsequenzen nachdenken. Ich befestige ihn noch sorgfältiger. Der Regen dringt durch die Ärmel meiner Jacke.

                                                                                    Rechts von mir ist nun eine Dünenlandschaft und ich komme mir ein wenig vor, als sei ich in Dänemark. Häuser gibt es hier keine. Im Sommer werden am Rande der Straße die Autos parken und die Badenden durch die Dünen ans Meer gehen. Man sieht es an den breiten Zugängen. Den Rest der Zeit sind die Einkerbungen in der Landschaft Orte für Müllablagerung und das kleine und große Geschäft. Letzteres trifft sich gut und ich setze einen drauf. Schwieriger ist es, Fotos zu machen. Durch den Regen und den Wind ist es nicht möglich, das Objektiv ernsthaft regentropfenfrei zu halten. Etwas später, in einer kurzen Regenpause, gelingt es besser. Das Rollern ist sehr anstrengend, aber die Strecke macht mir Spaß. Ich mag diese Landschaft sehr und merke, wie ich mich entspanne. In der Ferne sieht man Kitesurfer. Es ist das richtige Wetter dafür.

                                                                                    In einer offenen Holzhütte, die als Eingang zum Strand fungiert, mache ich Rast. Das Dach ist mit Reet bedeckt. Die Hütte bietet zwar Regenschutz, aber keinerlei Windschutz und nach kurzer Zeit wird mir entsetzlich kalt. Also fahre ich weiter. Ein Auto steht neben der Hütte, aber es ist niemand zu sehen. Im nachhinein vermute ich, dass es ein Brandungsangler ist. Man findet sie überall an den Stränden dieser Küste.





                                                                                    Ein Ort kommt in Sicht. Ist es schon Tor Vanaica? Ortsschilder gibt es nur selten und viele kleinere Ortschaften gehören postalisch zu einer größeren Ortschaft. Ich bewundere den Genitiv („Baden unsicher wegen des mangels an bademeister“) auf einem Schild, das ich noch öfter sehen werde und das braune Wasser, das vom Sand gefärbt wird.








                                                                                    Die erste einer Serie von modernen Kirchen taucht auf. Eigentlich unüblich für Italien. Noch weiß ich nicht, dass diese Küste Schauplatz des zweiten Weltkrieges war und es etwas weiter Orte gibt, denen Mussolini die Struktur vorgegeben hat. Die Wasserpfützen an der Straße sind tief. Ich muss aufpassen, dass ich sie passiere, wenn kein Auto in der Nähe ist. An einem Zebrastreifen ist ein Gedenkgrab für ein kleines Kind. Ein Auto parkt den Gehweg zu. Deutsches Kennzeichen.
                                                                                    Eine besonders tiefe Wasserpfütze kommt und ich stelle fest, dass der Autotyp das Fahrverhalten bestimmt. Kleinwagen bremsen herunter. Große Limousinen fahren zügig hindurch und Transporter ballern mit Vollgas durch das Wasser und produzieren rücksichtslos hohe Fontänen. Der Regen ist schwächer geworden und an den Stränden herrscht Stillleben. Menschen sind auf den Straßen keine.





                                                                                    Wieder geht es eine Landstraße entlang, allerdings nicht mehr direkt am Meer. Rechts von mir sind Parkanlagen und Wohnanlagen und ich lerne, dass es Gebiete an der Küste gibt, die Privatbesitz sind und wie Hochsicherheitstrakts gesichert sind. Zwar sind in meinem Navi Seitenstraßen eingezeichnet, aber die stehen mir hier nicht zur Verfügung.





                                                                                    Am Straßenrand ist ein geöffneter Campingplatz, aber es ist nur ein Wohnmobilstellplatz. Er weckt in mir die Hoffnung, dass der Campingplatz, der mich heute abend beherbergen soll, tatsächlich geöffnet ist. Man weiß ja nie. Alle anderen haben definitiv geschlossen. Zwei Männer laufen an der Straße, und ich überhole sie. Ich bin zwar langsam, aber mit dem Roller doch ein kleines bisschen schneller als zu Fuß. Auch wenn die Straße wie üblich immer leicht bergauf geht.

                                                                                    Ich erreiche eine weitere Ortschaft und merke, dass ich müde bin. Ich habe kaum etwas gegessen und mein Wasser ist auch fast alle. Der Verkehr ist stärker geworden, es ist Berufsverkehr. Mein Navi zeigt mir, dass ich eine Seitenstraße fahren kann und ich biege in einen besseren Feldweg ein. Ein afrikanischstämmiger Italiener überholt mich mit in einem alten weißen Mercedes und zeigt seine Begeisterung für meine Fortbewegung. Am Ende des Weges hält er an, um eine Zigarette zu rauchen. Ich frage ihn, ob ich da durch komme, wenn ich am Meer weiter fahre und er schüttelt bedauernd den Kopf. Nein, nein, bloß nicht. Ich muss zurück.

                                                                                    Also wieder zurück. Laut meinem Navi sind es noch 3 km bis zum Campingplatz und sie dauern lang. Ich rollere und rollere und komme nicht voran. 2,98 km. 2,4 km. 2,2 km. Hoffentlich hat der Platz auf. Ich bin mir plötzlich gar nicht mehr so sicher. Noch 1,6 km. Noch 1,3 km. Noch 1 km. Noch 600 Meter. Das Schild. Endlich. Ich biege in einen Sandweg mit tiefen Wasserkuhlen ein. Am Rande ist eine wilde Müllkippe. Es ist kurz vor fünf Uhr. Gleich wird es dunkel.

                                                                                    Ein Auto verschwindet links vor mir an einem Wochenendhaus, schwer fällt das Sicherheitstor ins Schloss. Ich rollere um die Wasserpfützen herum und gebe mit letzter Kraft Gas. Zelt, Essen, Schlafen. Mehr will ich nicht. Zwei Männer gehen durch einen Spalt am Tor. Die Ausfahrt auf der anderen Seite ist gesichert. Im Pförtnerhäuschen ist niemand zu sehen. Der Platz hat zu. Ich weigere mich, darüber nachzudenken. Ich schiebe das offene Tor ein Stück auf und gehe hinein. Irgendwo ist hier sicherlich die Rezeption. Vielleicht ist jemand da.

                                                                                    Ich finde die Rezeption und stelle den Roller ab, da kommt auch schon ein Mann aus der Tür. Er sieht sympathisch aus. Vermutlich ist der Eingang videoüberwacht. Ich sagen meinen übrigen Spruch auf: Eine Person, eine Nacht, ein Zelt. Er schaut mich ziemlich erschrocken an und erklärt mir auf Englisch, was ich befürchtet habe: Der Campingplatz ist im Winter geschlossen. Ich bin so müde, dass ich ihn einfach nur völlig apathisch ansehe. Er guckt mich hilflos an und will irgendwie helfen, weiß aber nicht wie. „Wir haben hier keinen Strom“, sagt er. „Ich brauche nur Wasser“, sage ich matt. Er schaut mich noch einmal prüfend an und sagt, er müsse mal eben überprüfen, ob sie noch Wasser hätten. Drei lange Minuten bleibt er weg und ich wage es nicht, Hoffnung zu schöpfen. Er kommt wieder zurück und sagt: „Wir haben Wasser. Sie haben alles dabei?“ Ich nicke. „Okay, sie können heute nacht hier bleiben, weil es schon spät ist. Aber das ist nur eine Ausnahme. Bezahlen müssen Sie nichts. Aber das ist nur für eine Nacht, morgen müssen Sie weiter.“ Ich nicke und kann mein Glück kaum fassen. Und bedanke mich. Er zeigt mir einen Platz, wo ich mich hinstellen kann und den Wasserhahn, der Wasser führt. Eine Toilette funktioniert auch noch. Mehr brauche ich nicht. Er informiert mich, dass der Campingplatz nachts von Rangern bewacht wird und sagt den Männern Bescheid. Dann bin ich alleine.

                                                                                    Ich lehne den Roller an einen Zaun und merke, dass ich völlig durchgefroren bin. Das Denken fällt mir schwer. Ich gebe mir einen Ruck und schalte instinktiv auf Wintermodus um. Regenhülle ab, Rucksack oben aufmachen, Zelt in die Hand nehmen. Footprint auslegen, der Boden besteht aus nassem Laub und Gras auf kleinen spitzen Schottersteinchen. Hüllen sichern, es ist windig. Mit drei Handgriffen steht das Zelt und mit etwas Gefühl bekomme ich sogar provisorisch die vorderen Heringe in den Boden rein. Isomatte ins Zelt werfen, Schlafsack reinwerfen, kleiner Rucksack in die Apsis, großer Rucksack ins Zelt, Reservewäsche aus dem Rucksack holen. In Windeseile reiße ich mir die nassen Klamotten vom Leib. Ein Teil ist durchgeschwitzt, der Rest vom Regen völlig durchnässt. Schnell ziehe ich die Daunenjacke über. Nach einigen Minuten wird mir etwas wärmer. Wie bin ich froh, dass ich sie mithabe.

                                                                                    Hinter mir steht eine Hütte mit Überdachung. Eine Hollywoodschaukel steht darunter. Ich hänge meine nasse Jacke und die Überhose auf. Im Zelt werden die Sachen nicht trocknen.

                                                                                    Die Hütte neben mir leuchtet plötzlich glühend rot auf, als würde sie brennen. Die Sonne ist herausgekommen. Ich bin am richtigen Ort. Schnell schnappe ich mir die Kamera und die Wasserflasche. Erst etwas trinken. Dann marschiere ich durch die Häuserreihen und finde die Zeltwiese. Das Gelände ist riesig. Das Meer ist ohrenbetäubend laut und die Wellen in der Ferne sind wunderbar.








                                                                                    Wie schön es hier ist. Als hätte die Sonne auf mich gewartet.












                                                                                    Ich atme tief durch. Ich bin zu Hause. Hier gehöre ich hin.













                                                                                    Ein letzter Blick zurück und dann zieht es mich zu meinem Zelt. In der Ferne patroulliert der Wachdienst. Aber niemand wird mich stören.








                                                                                    Ich hatte im Reflex zu Hause das letzte Paket Trekkingnahrung von der Wintertour des letztes Jahres in den Rucksack gestopft und das ist jetzt genau das Richtige. Wie immer stimmt die Wassermenge nicht, die ich dazugebe, aber das ist mir völlig egal. Hauptsache heiß. Das Essen gleicht einer Suppe, und ich merke, wie ausgehungert ich wirklich war. Ich zwinge mich, langsam zu essen. Dann diszipliniert alles schön wegpacken. Kurz darauf liege ich im Schlafsack. Noch eben den Track abspeichern. 34 km bin ich heute gerollert, das ist Rekord. Mehr hätten es auch nicht sein dürfen. Meine Beine brennen und die Sehne in meinem linken Fuß ist wieder geschwollen.

                                                                                    Das Meer ist so laut, dass ich Ohropax in die Ohren stecke. Zwei Minuten später schlafe ich tief und fest.


                                                                                    Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2014, 10:46.
                                                                                    Oha.
                                                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                    Kommentar


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                                                                                      • 14456
                                                                                      • Privat


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                                                                                      AW: [IT] Das Meer

                                                                                      Vom Meer in diesem schneearmen Winter zu schreiben ist schon gewagt *träum*...
                                                                                      "Niemand hört den Ruf des Meeres oder der Berge, nur derjenige, der dem Meer oder den Bergen wesensverwandt ist" (O. Chambers)

                                                                                      Kommentar


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                                                                                        • 31757
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                                                                                        15.01.2014 Anzio

                                                                                        17,6 km

                                                                                        Am Morgen geht die Sonne auf. Es wird ein schöner Tag werden.





                                                                                        Schnell packe ich meine Sachen zusammen. Die Hardshell auf der Hollywoodschaukel ist relativ trocken geworden, aber den nassen Merinopullover muss ich heute trocken laufen. Ein älterer Italiener mit freundlichem, wettergegerbtem Gesicht nähert sich vorsichtig. Ich lache ihn an und grüße. Er weiß nicht so ganz, was er mit der Situation anfangen soll und druckst ein wenig herum. Dann fasst er sich ein Herz und fragt auf italienisch, ob ich wirklich hier die Nacht im Zelt geschlafen habe. Ich nicke und er ist schwer beeindruckt. Er bietet mir einen Kaffee an und leider muss ich wieder ablehnen, da ich ja keinen Kaffee trinke. Höflicher wäre es sicherlich, aber Familienanschluss wäre mir auch zu mühsam am Morgen. Ich spreche nun einmal kein Italienisch. Er ist ein wenig enttäuscht, auch über die Sprachhindernisse, denn man merkt, dass ihn das hier alles brennend interessiert. Ich werde wohl heute Gesprächsthema sein.

                                                                                        Als ich alles verstaut habe, begleitet er mich zum Tor und lässt mich hinaus. Ich bedanke mich noch einmal sehr herzlich. Schön war es hier. Vielen, vielen Dank für die unkonventionelle Hilfe.





                                                                                        Wieder rollere ich die Holperstrecke entlang. Am Zaun bellen Hunde. Es wird ein strahlender Tag. An der Kreuzung ist eine Baumschule. Die Straße führt nun bis zum nächsten Ort an Feldern entlang. Lido di Pini. An den Geschäften herrscht eine heitere Atmosphäre und ich erinnere mich an einen Artikel im Internet, der schrieb, dass dieser Küstenabschnitt noch das ursprüngliche Italien abbildet. Es sieht ganz so aus. Hunde laufen frei auf der Straße herum und kommentieren meine Anwesenheit kurz mit Gebell. Dann ziehen sie weiter. Mit gefällt es hier, ich kann es nicht leugnen. Ein kleines Hotel kommt in mein Sichtfeld. Aber es ist nicht zu erkennen, ob es geöffnet ist.





                                                                                        Hinter dem Ort beginnt eine schöne Landstraße, die leider viel befahren ist. So bin ich froh, dass ich einen eigenen Waldstreifen zur Verfügung habe. Links und rechts sind die Grundstücke eingezäunt, aber die Landschaft sieht wunderbar harmonisch aus. Links von mir sind Felder und ab und zu taucht ein Bauernhof auf. Rechts von mir ist Wald. Er gehört zu einer riesigen Campinganlage. Wieviele Leute hier wohl im Sommer Urlaub machen werden? Fünftausend? Oder sogar mehr? Im Moment dominiert die Natur. Nur an einer Stelle fällen Gartenarbeiter Bäume. Die meisten Menschen, die ich unterwegs in der Nähe von Häusern sehe, sind übrigens Angestellte, die mit Gartenarbeiten beschäftigt sind. Auf dem Weg sind Pferdespuren zu sehen.








                                                                                        Plötzlich ist der Seitenstreifen zu Ende. Ich muss auf die Straße wechseln. Mist. Immer noch sind viele Autos unterwegs, und bei dem schönen Wetter fahren sie entsprechend schnell. Rechts von mir ist ein großer Zaun. Ein Verkaufsschild hängt daran. Neben dem Zaun ist eine künstliche Lücke und es ist offentlich, dass man dort hindurchschlüpfen kann. Doch wo geht es da hin? Auf ein Privatgrundstück? Ans Meer? Schade, dass ich keine Ortskenntnis habe. Außerdem wäre das wohl Einbruch.
                                                                                        Ich wechsele auf die Straße, schiebe ein paar Meter und es macht keinen Spaß. Überhaupt keinen Spaß.

                                                                                        Achtung: Kinder und gesetzestreue Bürger jetzt bitte nicht weiterlesen. Was ich nun anschließend tue, macht man nicht. Es ist Einbruch oder Hausfriedensbruch oder was auch immer. Dass ich es aus Outdoormotiven und teilweise aus Unwissenheit mache, macht die Sache nicht besser. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.


                                                                                        Ich drehe um und schaue wieder durch den Zaun. Eine breite, ausgetretene Spur befindet sich dahinter. Anscheinend laufen dort öfter Menschen entlang. Mein gutes Gewissen kämpft mit dem Verlangen, die Straße zu umgehen. Auf dem Navi ist keine Wegführung zu sehen. Es ist ein Privatgrundstück. Aber das Loch im Zaun ist groß. Scheinbar kümmert sich niemand darum. Wieder brausen Autos an mir vorbei. Okay, ich versuche es.

                                                                                        Mit schlechtem Gewissen schiebe ich den Roller durch die Lücke. Auf hartem Sand rollere ich vorwärts und bin froh, als ich frische Hundespuren entdecke. Kurz darauf sehe ich in der Ferne einen Mann mit Hund, und ich folge ihm. Die Landschaft ist wunderschön, und ich genieße sie. Ein schöner Platz. Schade, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich mich hier aufhalten darf. Ich würde Rast machen und die Stille genießen. Die Straße scheint weit weg. Wie gerne würde ich hier zelten. Aber das ist natürlich unmöglich. Dünen kommen in Sicht.





                                                                                        Und dann sehe ich: Na was wohl: Das Meer :-)










                                                                                        Die Wellen sind laut und groß. Ein leichter Wind geht. Ein Traumstrand. Der Mann mit dem Hund sieht mich und vielleicht täusche ich mich, aber er wirkt etwas pikiert. Vermutlich ist der Weg hier nur für Einheimische und Touristen will man hier nicht sehen. Ich kann mich weder satt sehen noch satt fotografieren.





                                                                                        Bei uns kommt man nicht so schnell an einen derartigen Strand und derartige Wellen finden sich nur bei höheren Sturmstärken. Hier scheinen die Wellen von selbst zu entstehen. Was für eine Landschaft. Glücksgefühle überfluten mich.








                                                                                        Und vor allem hört dieser Strand nicht auf. Meilenweit ist einfach nur Strand.








                                                                                        Ein Ehepaar mit Hund betritt die Bühne. Auch sie schauen mich scheu und etwas misstrauisch an und gehen Richtung Strand. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Aber diese Stelle hier hätte ich nicht missen mögen. Ich packe meinen Käse aus und frühstücke erst einmal. Ich habe bisher noch nichts gegessen.

                                                                                        In den Dünen stehen Kakteen und ich kann nicht anders, als Fotos zu machen.




















                                                                                        Nur mühsam reiße ich mich von dieser Stelle los. Hier müsste man bleiben können.

                                                                                        Hinter den Kakteen befindet sich in den Dünen ist ein Haus und es sieht so aus, als gäbe es von diesem Haus aus einen Sandweg parallel zur Straße, der in meine Richtung führt. Ich beschließe, ihn zu nehmen. Auf Fotos verzichte ich nun, ihr wisst gleich, warum.

                                                                                        Der Weg führt allerdings nur zu einer technischen Anlage. Sackgasse. Über einen kleinen Dünenhügel führt ein schmaler Weg in die gewünschte Richtung und ich gehe volles Risiko. Ich nehme ihn. Nicht einfach, den schweren Roller da hoch zu wuchten. Kurzzeitig lasten 26 kg auf meinen Knien. Aber es funktioniert.
                                                                                        Dann versuche ich, den Roller mit viel Kraft durch die Dünen zu schieben. Fahrräder durch Sand zu schieben, ist schon blöde. Aber ein Roller ist absolut nervig, da kein Gewicht auf dem Hinterrad liegt. Er bricht ständig nach oben oder zur Seite aus und letztlich trage und ziehe ich ihn mehr, als dass ich schiebe. Zwischen Grasbüscheln sind versteckte Plätze, die sich zum Wildcampen eignen könnten. Aber ich bin mir sicher, dass auch dieser Strandabschnitt nachts hell erleuchtet ist und regelmäßig kontrolliert wird. Warum ich das glaube, kommt ebenfalls gleich.

                                                                                        Auch der Dünenweg endet und die Hundespuren, denen ich bisher gefolgt bin, kommen mir wieder entgegen. Mist. Vor mir liegt eine ungemähte Wiese. Von drei Seiten ist sie eingezäunt. Mist, Mist, Mist. Wieder zurück? Das kostet mich eine Dreiviertelstunde. Mindestens. In meinem Navi wird angezeigt, dass es hinter der Wiese eine Straße gibt. An dieser Stelle ist kein Zaun, sondern eine Mauer, die mit Querstreben aus Stahl erhöht ist. Die könnte man überklettern.

                                                                                        Gesagt, getan. Ich schleppe den Roller über die Wiese und das dauert auch gefühlt 10 Minuten, denn die Wiese ist huckelig und nass. Das kostet Kraft, denn schieben kann man nicht, und man muss aufpassen, wo man hintritt. Mehrfach muss ich den Roller absetzen. Ich lade den Rucksack ab und werfe ihn über die Mauer. Dann kommt der Roller dran. Dann ich. Baulich ist die Mauer so gestaltet, dass Kinder problemlos darüber steigen können. Das ist mein Glück. Dann ist es geschafft. Menschen sind keine zu sehen und die Häuser wirken merkwürdig still.

                                                                                        Ich schiebe den Roller vom Platz in Richtung Straße. Rechts befindet sich eine Schranke zum Strand. Laut Navi muss ich mich rechts halten und das tue ich. Ich rollere langsam eine schmale Straße herunter. Hinter der Kurve steht ein junger Gärtner neben seinem Lastwagen und lädt Gartenabfälle auf. Als er mich sieht, schaut er mich an, als hätte er eine Erscheinung. Ich begrüße ihn nett, wie ich es immer tue. Er grüßt zurück und fragt etwas. Ich erkläre ihm, dass ich kein Italienisch spreche. Er spricht ein paar Brocken Englisch und fragt, wie ich hier mache. Ich zeige auf mein Navi und sage, dass ich zur Straße will. Er guckt mich groß an und erklärt mir, dass ich hier in einer privaten Wohnanlage bin. Wenn ich keine Zugangsberechtigung habe, darf ich mir hier gar nicht aufhalten. Und das Tor ist geschlossen. Ich komme hier auch nicht hinaus. Mein Herz setzt aus. Ich sehe die Wiese vor mir und die Kraftanstrengung, die es bedeuten würde, den ganzen Weg wieder zurück zu gehen.

                                                                                        Groß schaue ich ihn an und frage, ob er mich nicht rauslassen kann. Er ringt mit seinem Gewissen und seiner Menschlichkeit. Dann stöhnt er auf, macht er eine „folge mir“-Kopfbewegung und geht mit mir um die Kurve und zur Schranke. Glücklich schaut er nicht aus, als er seinen Ausweis an den Kartenleser hält, und ich bedanke mich bei ihm erleichtert. Er schaut mich noch einmal so an, wie Italiener ihre unartigen Kinder anschauen und eilt dann zurück.

                                                                                        Kurz darauf bin ich zurück an der Straße. Ich hoffe, dass er mit dieser Tat keinen Ärger bekommen hat. Ich bin mir sicher, dass er das eigentlich nicht gedurft hätte. Vermutlich hätte er die Polizei holen müssen. Andererseits bin ich sicher, dass meine Aktion irgendwo auf Video gebannt wurde und man sehen kann, dass ich nichts gestohlen haben, sondern mich tatsächlich nur verirrt habe. Puh. Gibt es bei uns auch private Strände? Ich kann mich nicht daran erinnern. Wieder etwas gelernt. Als ich an der Straße ankomme, sehe ich auch das Schild: Proprietà privata. Das ganze Gebiet ist Privatbesitz. Aufenthalt nur mit Genehmigung. Wo genau es sich befindet, möchte ich jetzt nicht zeigen.

                                                                                        Jetzt dürfen alle wieder weiterlesen.


                                                                                        Die Straße hat mich nun wieder und ich rollere nun ganz brav am Straßenrand entlang. Gestern hatte ich Glück, heute hatte ich Glück. Man sollte sein Glückskonto nicht überstrapazieren. Allerdings ist der Abschnitt an der Straße nur kurz, denn ich habe die Möglichkeit, in Seitenstraßen abzubiegen. Dort ist es ruhig. Keine Autos. Keine Menschen. Wie angenehm. Es ist bereits halb 12 Uhr. Nicht immer achte ich darauf, dass der Weg am Meer entlang führt. Die Seitenstraßen sind still genug. Es regnet wieder, aber es sind nur Schauer, die niedergehen.





                                                                                        Die Seitenstraßen enden und ich habe ein kurzes Tief. Gott sei Dank hat es keine Auswirkungen. Das wäre sehr schade gewesen. Warum ich das Tief habe, weiß ich nicht mehr. Vermutlich, weil die Straße jetzt nicht mehr am Meer entlang führt. Und weil Rollern verdammt anstrengend und mühselig ist. Es sieht so leicht aus, aber das ist es nicht. Die Kilometer vergehen in absolutem Kriechtempo und man muss schon ordentlich treten. Und es gibt eben nur die Möglichkeit, diese Straßen zu fahren. Wanderwege wie den GR 34 oder Promenaden mit spektakulären Ausblicken wie bei Genua gibt es hier nicht.

                                                                                        Konkreter Auslöser des Tiefs ist das Schild „Eisenbahnstation“. Auf dem Navi sehe ich, dass von hier aus ein Zug nach Nettuno fährt. Abkürzung? Ein Regenschauer kommt herunter und ich schiebe kurzentschlossen den Roller den Hügel hoch. An einer Ecke ist eine Bar mit Tabakladen Als ich überlege, wo ich meinen Roller anlehne, um nach Tickets zu fragen, kommt ein Auto mit quietschenden Bremsen angefahren und vier Personen steuern lautstark auf die Bar zu. Da habe ich keine Lust drauf. So schiebe ich weiter. Oben angekommen sehe ich die Eisenbahnstation. Sie ist voller Graffitis und ich muss den Roller die Treppen hochtragen. Ich suche auf dem unwirtlich aussehenden Bahnhof einen Ticketautomaten. Es gibt keinen. Ich trage den Roller am Haupteingang wieder herunter. Ein gutgekleideter Mann parkt gerade seinen Wagen in seiner Garage. „Tickets bekommen Sie an der Bar“. Na toll. Da war ich eben. Ich stelle mich auf den Roller und rollere zurück ans Meer. Dann eben nicht.

                                                                                        Danach bin ich froh, weitergerollert zu sein. Ich komme in einen kleinen, netten Ort. Ich habe kein Wasser mehr und eine alte Dame in rosafarbenem Kittel, die ein Obstgeschäft besitzt, verkauft mir fröhlich lachend in der Tür eine Flasche Mineralwasser. Meine gute Laune ist wieder da. Kurz darauf sehe ich, dass ich bereits in einem Vorort von Anzio bin. Es wäre völlig überflüssig gewesen, mit der Bahn zu fahren.





                                                                                        Ich erreiche Anzio. Die Straßen sind leer und ein alter Mann rollt seine Frau mit einem Rollstuhl die Straße entlang. Eine Promenade beginnt und sie hat tatsächlich einen Fahrradweg. Wenn das nicht ein Foto wert ist!





                                                                                        Ein Leuchtturm gerät in mein Blickfeld. Hier bin ich richtig. Wie gut, dass ich nicht mit dem Zug gefahren bin. Ich steige auf eine Bank, um ihn besser fotografieren zu können. Passend zu meiner Stimmung kommt die Sonne heraus.












                                                                                        Der Leuchtturm gehört zu einer militärischen Sperrzone. Das lässt darauf schließen, dass er noch im Dienst ist. Eine junge Frau kommt mir entgegen und grinst mich an. Anscheinend gefällt ihr der Roller. Eine kleine Seitenstraße taucht auf. Sie führt Richtung Wasser und ich nehme sie. Vielleicht kann ich den Leuchtturm noch aus anderer Perspektive fotografieren. Ich kann.





                                                                                        Die Straße ist die Strandpromenade ab und biegt links ab. Ein kleiner Park liegt vor mir. Eine Skulptur schaut Richtung Meer. Neugierig trete ich näher.





                                                                                        Nerone. Nero. Das Wort löst sofort die Erinnerung an den großartigen, leierspielende Sir Peter Ustinov als Nero im Film „Quo Vadis“ aus. Der Film war schon immer Ultrakitsch und man kann ihn sich heute bestimmt überhaupt nicht mehr anschauen. Aber die schauspielerische Leistung von Ustinov bleibt. Die Rolle war sein internationaler Durchbruch. Unvergessen.





                                                                                        Warum Nero da steht? Kaiser Nero wurde am 15.12.37 n. Chr. in Antium, dem heutigen Anzio geboren. Ich befinde mich also in seiner Geburtsstadt und das hier ist sein Denkmal.

                                                                                        Die Sonne scheint in mein Gesicht und ich habe das Bedürfnis, Urlaub zu machen. Hier sollte ich versuchen, heute nacht zu bleiben.














                                                                                        Ich rollere die schmale Straße in Richtung Promenade und sehe im Augenwinkel, dass links ein Hotel an der Straße steht. Eine Frau steht in der Tür. Spontan frage ich „Aperto?“ und die Frau nickt eifrig. 50,00 Euro. Da ich ja nun nicht mit der Fähre nach Finnland gefahren bin, ist diese Summe okay, und ich will nicken. Sie ruft „45 Euro“. Das ist auch in Ordnung. Sie freut sich und hilft. Mein Roller findet einen Platz hinter dem Treppenabsatz. Dabei stelle ich fest, dass sich die Hinterradlampe selbst in Gang setzt. Immer wenn ich sie abstelle, leuchtet sie nach wenigen Minuten wieder auf. Sie hat gestern im Regen wohl einen Schlag bekommen. Sie wird die ganze Nacht leuchten. Als die Kontakte am nächsten Tag trocken sind, beruhigt sie sich, bleibt von da an aber ein unsicherer Kandidat.

                                                                                        Die Hotellobby ist sehr geschmackvoll eingerichtet. Ein Schild amüsiert mich. Es ist auf italienisch, aber ich verstehe es dennoch: „Das Paradies ist, wenn die Polizisten Engländer, die Köche Italiener, die Mechaniker Deutsche, die Liebhaber Franzosen und die Mitarbeiter der Verwaltung Schweizer sind. Die Hölle ist, wenn die Polizisten Deutsche, die Köche Engländer, die Mechaniker Franzosen, die Liebhaber Schweizer und die Mitarbeiter der Verwaltung Italiener sind.“

                                                                                        An der Wand lächelt eine blutjunge Sofia Loren. An einer anderen finden sich Anna Magnani, Audrey Hephburn und Alain Delon. Vor der Tür genießt man schweigend die Sonne.





                                                                                        Das Zimmer ist nett eingerichtet und hat einen Balkon. Eine gute Gelegenheit, das nasse Zelt in der Sonne zu trocknen. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich selbststehende Zelte liebe? Mit der Abspannleine hinten links knote ich es am Geländer an, damit es nicht wegweht. Es geht ein leichter Wind. Wie immer lässt es mich nicht im Stich. Innerhalb von 15 Minuten ändert sich sein Zustand von klitschnass in ziemlich trocken. Zur Sicherheit lasse ich es aber noch ein paar Minuten in der Sonne liegen.








                                                                                        Ich selbst gönne mir erst einmal eine Dusche. Rollern ist schweißtreibend und die Ausdünstungen des Trekkingfutters vermischen sich zu einer unglücklichen Mischung, die ich nicht leiden kann. Die Dusche ist einfach so an einer Wand im Badezimmer angebracht. Es gibt zwar einen Vorhang, aber im Fußraum kein Becken oder eine Begrenzung. Italien. Hier ist es ja (fast) immer warm, deshalb trocknet es im Sommer bestimmt schnell. Ich bemerke allerdings Wasserschäden an der Badtür. Einen Moment überlege ich, was ich jetzt tun soll. Dann fange ich einfach an zu duschen und was ich vermute, passiert: Das ganze Badezimmer steht zentimeterhoch unter Wasser. Und da ich die Tür anscheinend nicht richtig geschlossen habe, auch ein Stück vom Schlafzimmer. Die Lache reicht bis an das Bett. Ich denke an die deutschen Mechaniker. Zehn Minuten und das Problem wäre gelöst.

                                                                                        Ich versuche, die kombinierte Heizung und Klimaanlage in Gang zu bringen, die unter der Decke hängt, damit das Bad trocknet, aber es passiert nichts. Sie macht zwar Geräusche aber mehr auch nicht. Ich frage daher beim Hotelier nach. Instinktiv ahne ich, dass „Caldo“ nicht kalt bedeutet und daher versuche ich, mein Problem auf englisch zu erklären. Besonders gut gelingt das nicht. Ein Engländer kommt die Treppe herunter und übersetzt. Er ist hier Feriengast. Etwas ungehalten kommt der Hotelier mit aufs Zimmer, nimmt die Fernbedienung in die Hand und erklärt mir, wie sie angeht. Das wusste ich auch. Nur warm wird sie nicht. Aber er weiß selbst, dass das Teil kaputt ist, denn ich zahle am nächsten Tag nur 40,00 Euro für die Nacht.

                                                                                        Jetzt verschiebe ich das Problem Heizung aber erst einmal. Gerade geht die Sonne unter. Im Dunst liegt der Mt. Circeo. Da will ich in den nächsten Tagen hin. Zügig rollere ich in Richtung Zentrum. Ich brauche Brot und Vitamine. Außerdem hätte ich gerne Informationen, ob ich die Landstraße von morgen vielleicht umrollern kann. Der Ort entpuppt sich als reizendes, kleines Städtchen mit einem Hafen. Hier wird man bestimmt wunderbar Fisch essen können. Der Obst- und Gemüseladen ist ein Paradies.





                                                                                        Ich frage einen Mann nach der Touristeninformation und er zeigt Richtung Marktplatz. Am Marktplatz finde ich nichts, und so frage ich am Hafen noch einmal. Ich halte zwei junge Frauen an, aber diesmal spricht nur der Mann, der sie begleitet, Englisch und das sogar sehr gut. Er lacht, als er den Roller sieht und hört, was ich gerade mache. Nicht schlecht, meint er. Ich solle an der Straße nach Latina aufpassen. Da fahren die Autos rücksichtslos. Immer schön Licht anmachen. Die Gegend um Mt. Circeo lohnt sich. Dort ist es wunderschön. Im Sommer kann man dort wunderbar wandern. Um diese Jahreszeit allerdings nicht, die Wege sind zu gefährlich. Aber die Gegend ist dennoch schön. Er wünscht mir eine gute Reise.

                                                                                        Obwohl ich nun schon alles weiß, suche ich trotzdem die Touristeninformation. Es interessiert mich einfach, so sie sich befindet. Vielleicht haben sie dort ja genauere Karten. Es ist ein ganz schmaler Laden und er sieht eher wie ein Büro aus. Der Schreibtisch weist nicht zur Tür, sondern zur gegenüberliegenden Wand. Ich trete mit eingeklapptem Roller ein. Der Raum sieht aus wie ein chaotisches Arbeitszimmer und zielführende Prospekte sind nicht zu erkennen. Ein Mann von um die fünfzig sitzt in seinem Bürosessel und telefoniert lautstark. Ich warte. Irgendwann ist er fertig, und ich frage, ob er eine Karte nach Lido di Latina hat. Leider spricht er kein Englisch. Er springt hinter dem Schreibtisch hervor, drückt mir einen Busfahrplan für den Bus nach Latina in die Hand, erklärt mir, dass es die Tickets am Schloss (?) bei einem Tabakladen gibt und komplimentiert mich freundlich, aber bestimmt hinaus. Schlauer bin ich jetzt nicht, aber beeindruckt. Ein ganz normaler Mensch und keine freundlichkeitsoffensivezertifizierte Auskunftsmaschine. Mir gefällt´s. Kurz darauf hängt er wieder am Telefon.


                                                                                        Der Mond geht gerade auf und ich rollere an die Hafenkante.











                                                                                        Die Sonne ist bereits verschwunden.





                                                                                        Fasziniert betrachte ich die Wellen. Es ist so schön hier. Leider wird es langsam kühl. Es ist eben doch erst Januar.

                                                                                        Ich rollere nun mehrfach durch die Innenstadt auf der Suche nach einem kleinen Geschäft, das Brot verkauft. Bis zuletzt werde ich damit in Italien Schwierigkeiten haben. Die meisten Geschäfte produzieren nur süße Backwaren. Als ich alle Straßen kenne, frage ich und werde zu einem supermercado verwiese, der meiner Aufmerksamkeit entgangen war. Schade, dass ich hier nicht kochen kann. Auf dem Balkon oder auf der Promenade den Kocher anzuschmeißen, bringe ich nun doch nicht. Da würde ich mich nicht wohl fühlen. So kaufe ich Brot, Wasser und ein Glas Erbsen. Tomaten habe ich bereits. Käse sowieso.





                                                                                        Ich esse im Hotelzimmer. Ich habe die Daunenjacke an. Es ist kalt im Zimmer und immer noch steht das Wasser vor dem Bett. Spontan habe ich Lust, im Park Neros noch ein paar Bilder zu machen. Ein Fotograf mit Stativ ist bereits da. Mir muss die Mauer reichen.

                                                                                        Ruhig und dunkel liegt das Meer in der Bucht. Es sieht so friedlich aus. Ich starre hinaus, aber der Fotograf stört mich. Ich ihn vermutlich auch. Dann bekomme ich Lust, zu fotografieren. Mehrere Minuten verbringe ich damit, den Leuchtturm dazu zu bringen, genau dann seinen Strahl auf mich zu richten, wenn die Kamera auslöst. Ein Geduldsspiel.





                                                                                        Und als ich es dann endlich hinbekomme, ist das Ergebnis noch nicht mal toll.





                                                                                        So wende ich mich dem Mond zu.





                                                                                        Nero habe ich ganz vergessen. Auch Nero muss mit auf´s Bild.





                                                                                        Es ist jetzt halb acht und langsam erwacht Italien. Ein Liebespaar erscheint. Die Fischrestaurants werden bald öffnen und ihre Köstlichkeiten darbieten. Ich dagegen bin müde. Noch ein letztes Bild vom Meer, dann gehe ich in mein Zimmer. Es ist eiskalt. Die Heizung ist zwar laut, aber nicht warm. Ich stelle sie aus und kuschele mich in meinen Schlafsack. Es ist schön, Outdoorer zu sein. Kurze Zeit später bin ich eingeschlafen.


                                                                                        Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2014, 21:50.
                                                                                        Oha.
                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                        Kommentar


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                                                                                          Fuchs
                                                                                          • 04.04.2003
                                                                                          • 1406


                                                                                          #45
                                                                                          AW: [IT] Das Meer

                                                                                          Eine schöne Überraschng, Deine Fortsetzung der Tour von Rom aus südwärts an der Westküste.
                                                                                          Auf denselben Straßen bin ich im Mai 2012 auf der Radtour von Sizilien bis (fast) nach München hochgefahren - ganz merkwürdig, wenn man dann die Orte und Gegebenheiten von jemand anders geschildert bekommt. Und mit einer Sprache, gegen die mein Stil ... aber lassen wir das! Und dann die Bilder, die das zeigen, was ich auch sah, aber mit anderen "Augen".

                                                                                          Schön, dass Du diese Strecke gewählt hast. Die Sache mit dem Privat-Grlände hätte übrigens auch noch ganz anders ausgehen können: Ich erinnere mich gerade für diesen Strandabschnitt der sog. pontinischen Sümpfe an einige größere militärische Sperrbezirke. In dem Fall wäre auch wahrscheinlich kein netter, hilfbereiter Gärtner aufgetaucht, um Dich heimlich rauszulassen...

                                                                                          Zum Pizzaessen habe ich mich meist dort angestellt, wo vor der Tür viele Vespas gepakrt hatten. Die waren immer gut!

                                                                                          Freue mich schon auf die Fortsetzung
                                                                                          hosentreger
                                                                                          Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                                                          Kommentar


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                                                                                            Freak
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                                                                                            • 12506
                                                                                            • Privat


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                                                                                            AW: [IT] Das Meer

                                                                                            cool... :-)

                                                                                            Leuchtturm? Hafen? Nero? Das mit Abstand beste Bild ist dir, wie ich vermute, aus dem Handgelenk gelungen: die Katze in der Tür. Man muss net mal Katzen mögen, um das einfach großartig zu finden.

                                                                                            Kommentar


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                                                                                              Freak

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                                                                                              • 31757
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              AW: [IT] Das Meer

                                                                                              @ronaldo
                                                                                              Ja, das war Sekundensache. Erst habe ich die Männer fotografiert, dann die Katze auf der Treppe. Als sie aufstand, wollte ich gehen und dann sah ich zufällig das Motiv und habe abgedrückt.





                                                                                              @Hosentreger
                                                                                              Ja, das Sperrgebiet kommt auf der nächsten Etappe. Ich habe Deinen Bericht gestern noch einmal gelesen. Interessant, die Gegend mal zu einer anderen Jahreszeit zu sehen. Allerdings warst Du ein kleines bisschen schneller als ich, gell?
                                                                                              Oha.
                                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                              Kommentar


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                                                                                                Fuchs
                                                                                                • 04.04.2003
                                                                                                • 1406


                                                                                                #48
                                                                                                AW: [IT] Das Meer

                                                                                                Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                Allerdings warst Du ein kleines bisschen schneller als ich, gell?
                                                                                                Na ja, ein bißchen - ich hatte ja auch noch ein Stückchen Heimweg vor mir.
                                                                                                Außerdem hat mein Gefährt Räder mit einem größeren Umfang. Wenn die mal ins Rollen kommen...

                                                                                                Dafür hast Du mee(h)r gesehen!
                                                                                                Unsere Berichte egänzen sich halt: Verbaler Minimalist und Forumsdichter. Nicht schlecht.
                                                                                                Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                                                                Kommentar


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                                                                                                  Freak

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                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                  • 31757
                                                                                                  • Privat


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                                                                                                  AW: [IT] Das Meer

                                                                                                  Tja, wer schneller fährt, kann halt weniger reden
                                                                                                  Oha.
                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                    • 31757
                                                                                                    • Privat


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                                                                                                    16.01.2014 Lido di Latina

                                                                                                    26,2 km

                                                                                                    Am nächsten Morgen bin ich früh wach. Bald zeigt sich die Sonne am Horizont und ich hoffe, dass ich heute Wetterglück habe.





                                                                                                    Das Wasser vor dem Bett ist immer noch da, aber das soll nicht mein Problem sein. Dunkel erinnere ich mich, bei den Vorbereitungen gelesen zu haben, dass Heizen in Italien so eine Sache sein. In Norditalien, wo man mit Winter rechnet, sind die Häuser beheizt. Je südlicher man kommt, desto weniger Häuser haben überhaupt Heizungen, zumal das auch eine Kostenfrage ist. Hier muss man in den Wintermonaten auch in den Hotels mit feuchten, klammen Unterkünften rechnen. In Rom waren die Fenster morgens dick beschlagen und das Wasser tropfte stetig auf das Fensterbrett hinunter. Wärmeabstrahlende Heizkörper in unserem Sinne habe ich ich nur in Norditalien vorgefunden. Ab Rom waren es warme Luft in den Raum blasenden Klimaanlagen. Teilweise werden diese Warmlüfter mit Zeitschaltuhr reguliert, so dass nur in den Abendstunden und den frühen Morgenstunden warme Luft in den Raum geblasen wird. Thermostate gibt es anscheinend nicht. Ich gehe davon aus, das dies ein gewichtiger Grund ist, warum selbst die Campingplätze in der Nähe touristischer Regionen geschlossen sind: Es fehlt einfach jegliche Wärmequelle.

                                                                                                    An dieser Stelle muss ich einmal anmerken, dass die Luftfeuchtigkeit in dieser Region selbst im Winter sehr hoch ist. Laut Wetterapp lag sie um die 80 bis 90 Prozent. Die Verbindung kurzer Sonnenscheinphasen mit diesen Umluftheizungen führte dazu, dass ich für das Trocknen von Wäsche immer zwei Tage oder mehr brauchte und sie auch dann noch restfeucht anziehen musste. So war ich auf eine gewissen Weise auch ganz froh, nicht mehr zu zelten. Den Schlafsack hätte ich nicht mehr trocken bekommen. Heute nacht hatte ich ihn unter der Bettdecke zwar schön angewärmt, aber von heute abend an riecht er konsequent nach nasser Katze und lässt jeden Loft vermissen. Hier wäre wohl Kufa angebracht gewesen. Auch der Merinopullover, den ich trage, wird die nächsten Tage dauerfeucht bleiben. Nun äußert sich das bekanntermaßen ja nicht in unangenehmen Gerüchen und da war ich sehr dankbar. Dagegen musste ich die Kunstfaserinnenjacke meiner Jacke am Abend diesen Tages aus dem Verkehr ziehen, da sie mittlerweile Gerüche entwickelte, die Menschen an sich haben, die lange Zeit auf der Straße leben. Den romantischen Blick auf Meer, die Wahrnehmung des Duftes von Blüten und Bäumen und natürlich die Essenspausen stört das doch ungemein.

                                                                                                    Bezahlt hatte ich gestern schon, und so lässt mich um 8.00 Uhr ein Angesteller hinaus. Er hat bereits ein Tablett mit Frühstück vorbereitet und ist ganz enttäuscht, als ich verzichte. Wahrscheinlich hätte er gerne ein Schwätzchen gehalten. Aber auf dem Tablett ist nur der übliche, in Plastik eingepackte Süßkram: Zwieback, Kekse, Marmelade und Nutella. Und Kaffee trinkt ich ja bekanntermaßen nicht. Aber ich bin ganz froh, dass ich so früh los komme. Ich kann die Strecke heute schlecht einschätzen.





                                                                                                    Die Müllabfuhr holt gerade den Müll ab. Auch in Italien herrscht Mülltrennung. Der Fahrer spielt mit seinem Smartphone. Ein Mann geht zu seinem Auto, ansonsten ist die Straße menschenleer. Am Hafen sorgen Sonne und Wolken für ganz besondere Farben, die ich noch nie gesehen habe, und ich atme tief durch. Ich bin ein Hafenkind.











                                                                                                    Der Hafen. Schutz des Menschen vor dem unberechenbaren Meer, das gleichzeitig die Lebensgrundlage ist. Ein Fischer macht sein Boot klar. Einen Moment überlege ich, ob sie nun Outdoorer oder Urban-Outdoorer sind. Ihr Boot ist motorbetrieben, ohne Frage. Aber seit Generationen fahren sie im Einklang mit der Natur auf dieses Meer hinaus. Jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr. Wieviele haben hier schon auf der Suche nach Nahrung ihr Leben gelassen? Den Kampf mit den Naturgewalten verloren? Für mich ist das Outdoor.
                                                                                                    Am Kai sitzt ein Fischer mit seinem Fang. Katzen streichen auf dem Tisch über ihm herum, sie wissen, wo etwas für sie abfällt. Und ich bedauere, dass es mir nicht gelingt, in diesem Ort einfach inne zu halten. Ich sollte bleiben und für eine gewisse Zeit ein Teil von ihm werden. Reisen ist flüchtig. An einem Ort zu bleiben, dort zu leben und ein Teil einer Landschaft oder Region zu werden, ist etwas ganz anderes.








                                                                                                    Aber meine Beine wollen weiter. Tourmodus. Das schöne Wetter ausnutzen. Die Region um Cinque Terre versinkt seit Tagen im Regen und die Wetterprognose für diese Region sieht auch nicht erfreulich aus.

                                                                                                    Hinter dem Hafen beginnt eine Strandpromade und der Strand wird sichtbar. Das Licht ist immer noch diffus und ohne dass ich weiß, warum, ist mir der Abschnitt unheimlich. Es gibt keinen Grund dafür. Es ist so leer hier. Absolute Stille. Links befinden sich Häuser, doch die Läden sind verschlossen. Ein Mann mit Hund geht spazieren, später noch ein zweiter. Und dennoch empfinde ich den Abschnitt als fremd.











                                                                                                    Ist es das Licht? Ist es, weil ich noch nicht gefrühstückt habe? Es wird die Farbe des Himmels sein. Unvorstellbar, dass hier im Sommer alles voller Leben sein wird, und vielleicht Tausende von Menschen am Strand liegen werden. Sie werden Ball spielen, Eis essen, sich unterhalten und die Luft wird voller Lachen und Meeresrauschen sein.





                                                                                                    Als ich in der Woche darauf eine Fotoausstellung mit Italienbildern des Kriegsreporters Robert Capa (1913-1954) besuche, einem der besten Fotografen der Welt („Wenn Deine Bilder nicht gut genug sind, warst Du nicht nahe genug dran“), und das Bild eines getöteten, deutschen Soldaten in Anzio (1944) sehe, bin ich zutiefst berührt. Die Promenade. Es muss dort gewesen sein.

                                                                                                    Erklärung:
                                                                                                    Am 22. Januar 1944 landeten britische und amerikanische Truppen bei Anzio und östlich von Nettuno (heute Militärsperrgebiet), um die deutsche Hauptverteidigungslinie in Mittelitalien zu umgehen. Die Kämpfe werden als Operation Shingle oder als Schlacht um Anzio bezeichnet.


                                                                                                    Ich verdränge die trüben Gedanken und rollere weiter.








                                                                                                    Und befinde mich kurz darauf in dem Ort Nettuno. Ein paar Straßenhändler rufen mir „Avanti“ hinterher, die Straßen sind voller Autos, es herrscht das vertraute Chaos, man unterhält sich mitten auf der Straße, und alte Männer freuen sich über meinen Roller. Dennoch kein Grund, hier zu verweilen, auch wenn ich kurz in die innere Stadt eintrete, die an ihren Ecken mit Burgtürmen versehen ist. Wenn alles gut geht, erreiche ich heute das Naturschutzgebiet und ich freue mich darauf.






                                                                                                    Der Yachthafen und eine moderne Kirche. Ein Straßenhändler trägt Pudelmütze. Noch ein kurzer Blick zurück - und dann ist auch dieser Teil der Reise Geschichte.








                                                                                                    Ich fahre nun durch ein Wohngebiet und wohl fühle ich mich hier nicht. Dann geht es in Richtung Hauptstraße. An der Ecke befindet sich ein eingezäuntes Gebäude. Ein Schild weist ganz klar und unmissverständlich darauf hin, dass sich hier eine militärische Anlage befindet und jedes Fotografieren strengstens verboten ist. Wie groß die Anlage wirklich sein wird, ahne ich hier noch nicht. Sie nimmt den ganze Küstenbereich ein. Es besteht keine Möglichkeit, zwischen Nettuno und Lido di Latina ans Wasser zu kommen, obwohl Strände in meinem Navi ausgewiesen werden. Ich wage es, die Straßenschilder zu fotografieren. Für den Zaun dahinter kann ich ja nichts. An der Straßenlaterne kleben Werbeschilder. Wegweiser für Radfahrer oder Klapprollerfahrer gibt es hier nicht.

                                                                                                    Da ich die Möglichkeit habe, der Hauptstraße auszuweichen, biege ich ab und komme in ein Wohngebiet. Es ist ruhig und idyllisch und man sieht Felder und Wiesen. Die Hunde nehmen meine Anwesenheit mit Freude zur Kenntnis und kläffen sich einmal richtig aus. Einer läuft frei herum und kontrolliert, warum ich Fotos mache. Katzen sitzen auf Stromkästen. Im Sommer wird es hier wunderschön sein. Im Winter sieht man zwar mehr von der Landschaft, weil die Blätter an den Bäumen fehlen, aber ein echter Natureindruck fehlt natürlich. Eine Frau an einem Fenster fragt mich, ob ich von der Zeitung bin. Ich verneine und sage mit meinem minimalistischen Wortschatz, dass ich "Viaggio Internet" mache. Sie nickt zufrieden und klappt das Fenster wieder zu. Das scheint also in Ordnung zu sein.








                                                                                                    Die Straße geht jetzt in einen verschlammten Feldweg über und ich stelle mal wieder fest, dass alles, was nicht eingezäunt ist, besonderer Verwendung zugeführt wird.











                                                                                                    Ich passiere einen kleinen Hof, dessen Außenflächen die gleiche Bodenbeschaffenheit wie der Weg haben und voller Gerümpel sind. Ein alter Mann schaut mich unwirsch an. Anscheinend mag er keine Störung. Was er da herumkramt, ist nicht zu erkennen.

                                                                                                    Ich biege nun auf die Landstraße nach Latina ein, vor der ich gewarnt wurde. Sie ist angenehmer zu fahren, als ich dachte. Rechts und links ist viel grün und auf der rechten Seite befindet sich hinter dem Zaun die militärische Anlage. Viel sieht man nicht vom dem Gelände. Büsche, Bäume, ab und zu eine Wiese und Reste verfallender Architektur. Zwei sinnlos in der Gegend stehende Betonpfeiler fallen mir besonders auf, aber ich wage nicht, sie zu fotografieren.
                                                                                                    In der nächsten Kurve kommt ein kleines Wäldchen. Ein paar Hunde freuen sich über die Abwechslung. Es scheint eine Erholungsanlage zu sein, denn ich sehe Bänke.







                                                                                                    Dann wird die Straße schnurgerade und ich stelle erneut fest, dass der Unterschied zwischen einem Fahrrad und einem Roller groß ist. Mit dem Fahrrad würde ich so etwas in einer Minute abreißen, mit dem Roller brauche ich 11 Minuten, bis ich das Ortsschild von Latina erreiche.





                                                                                                    Es sind einige Autos unterwegs und es ist üblich zu überholen. Daher entscheide ich mich das erste Mal auf dieser Reise für die linke Straßenseite und entwickele ein Roller-Hopping. Immer wenn wieder ein Schwung Autos kommt – meistens fahren sie im Pulk, weil ein langsames Auto die anderen aufhält – springe ich mit Roller auf den Seitenstreifen und warte die Autos ab. Interessanterweise macht das sogar Spaß. In gewissen Abständen gibt es Einfahrten zu den Höfen an der Straße und mein Ehrgeiz besteht, eine dieser Einfahrten zu erreichen, bevor die Autos direkt vor mir sind. Fast immer klappt es. Andernfalls wäre diese schnurgerade Strecke wirklich ereignislos. Es sind viele Rennradfahrer unterwegs, die meisten schätze ich auf über 50. Immerhin grüßen einige. Wenn mir welche entgegen kommen, springe ich ebenfalls auf den Seitenstreifen, denn der erste, der mir begegnet, fährt fast in den Graben, als er mich sieht. Die linke Straßenseite ist also gut für mich, weil ich die Autos sehe, die auf meiner Spur fahren. Aber sehr schlecht für die Autos und Radfahrer, weil sie zu lange brauchen, um zu identifizieren, WAS da eigentlich auf sie zukommt. Die Polizei fährt vorbei, interessiert sich aber nicht für mich. Ich werte das als Zustimmung.

                                                                                                    Nach den besagten 11 Minuten erreiche ich den Bezirk Latina. Erst jetzt gehört die Landschaft also nicht mehr zu Rom. An der Straße stehen Damen und grüßen mich.





                                                                                                    Weiter geht es am Zaun entlang. Eine Zeitlang habe ich einen komfortablen Seitenstreifen, der sogar rollerbar ist.





                                                                                                    In einer Einfahrt leuchten die Orangen. Hier scheint ein Verkauf vom Erzeuger zu sein. Auf den Feldern beginnt der Raps zu blühen.














                                                                                                    Die militärische Anlage entfernt sich nun von der Straße und biegt nach rechts ab. Felder kommen in Sicht. Mein Seitenstreifen ist zusammengeschrumpft und die Autos fahren sehr schnell. Erneut erfordern deutsche oder japanische Limousinen und Lkw höchste Achtung. Mehr als einmal ziehe ich instinktiv den Bauch ein, als ich mich an der Seite ins Gebüsch presse.





                                                                                                    Aber die Rettung ist nah. Die Hauptstraße geht nun geradeaus weiter und ich kann rechts auf Nebenstraßen abbiegen. Gefühlt dauert es ewig, bis die Abzweigung kommt, die letzten Meter werden zur Qual. Für eine Strecke, die ich mit dem Fahrrad vielleicht in gerade mal 5 bis 10 Minuten hinter mich gebracht hätte, habe ich 41 Minuten gebraucht. Mehr als 4 Kilometer waren das nicht.





                                                                                                    Als ich in die Seitenstraße einbiege, denke ich im ersten Moment, es hätte geschneit. Reines Wunschdenken, natürlich.








                                                                                                    Die Straße ist kaum befahren. Dafür kommen mir immer mehr Radfahrer entgegen, die mich fröhlich grüßen. Das wird sich auf der gesamten Strecke auch nicht ändern.








                                                                                                    Auf der rechten Seite erscheint ein Gestüt auf und der Fahrer scheint sich zu freuen, dass ich ihn bei der Morgenarbeit fotografiere, denn er setzt sich in Pose.





                                                                                                    Es folgt eine Käserei, die Büffelmozarella herstellt und vertreibt. Da könnte man wirklich schwach werden. Aber ich bin froh, dass sich die 2 kg Käse aus Rom (oder waren es sogar 3 kg? ) bereits etwas reduziert haben. Steaks gibt es dort auch, aber das interessiert mich ja nicht mehr.


                                                                                                    Aber was mich eben noch begeistert hat, wird nun rollerbedingt langsam zur Qual. So schön es ist, dass die Straße ruhig und einsam ist, so eintönig wird das Dahingerollere auch. Rechts von mir ist der Zaun der Militäranlage wieder da, und es geht einfach nur geradeaus: Immer am Zaun lang und links stehen Bäume.








                                                                                                    Ein Himmelreich für ein Fahrrad. Treten, treten, treten. Und gefühlt immer bergauf. So leicht zumindestens. Aber nie leicht bergab. Uff.
                                                                                                    Als es endlich einmal wieder etwas zu sehen gibt, bin ich ziemlich erleichtert. An dem Wehr weiden Schafe. Ich hoffe, die Anlage gehört nicht zum Sperrgebiet.
                                                                                                    Dann heißt es wieder treten, treten, treten. Ich meine, ich könnte ja schieben, aber im Flachland ist das auch nicht der Brüller. Also treten, treten, treten.

                                                                                                    Auf der linken Seite befinden sich nun wieder hochsicherheitstraktmäßig mit Tor und Schranke gesicherte Anlagen. Ob es eine Wohnanlage, Schrebergärten oder Ferienhäuser sind, kann ich nicht herausfinden. An einer Schranke steht ein Auto und die Leute unterhalten sich. Für mich haben sie nur einen kurzen Blick übrigen. Dennoch werde ich unsicher. Nicht, dass diese Straße jetzt wieder in irgendeiner Privatanlage endet. Aber es ist niemand da, den man fragen kann.

                                                                                                    Ein Gedenkstein taucht auf. Gestiftet vom Radclub Latina. Es sind Dinge, die man nicht so gerne sieht. Hoffentlich hat er seinen Frieden gefunden.

                                                                                                    Der Militärzaun weist plötzlich ein Tor auf und dahinter stehen tatsächlich mehrere Soldaten mit Militärfahrzeugen. Bisher war ich mir nicht sicher, ob hier noch überhaupt jemand die Anlage nutzt. Ein blutjunger Soldat steht in der Nähe des Tors, seine Sachen liegen auf dem Boden. Er wird wohl gleich abgeholt.
                                                                                                    Ich rollere etwas näher, rufe „Scusi“ und frage, ob er Englisch spricht. Er erschrickt ein wenig, kommt dann näher und nickt, aber man merkt ihm an, wie unsicher er ist. Liegt es am Englisch, an seiner Jugend oder an dem, was er erlebt hat? Ich frage ihn, ob ich hier nach Lido di Latina komme und er sagt ja. Die Straße führt nach Latina.
                                                                                                    Ein paar Minuten später sehe ich das auch, denn hier steht tatsächlich ein Straßenschild. Ungewohnt.





                                                                                                    Bald sehe ich in der Ferne einen Engpass, der durch Ampeln geregelt wird. Außerdem ist die militärische Anlage hier zu Ende. Rechts von mir sieht man Wohnwagen unter den Bäumen stehen. Die Orangen am Baum leuchten. Der Campingplatz sieht geschlossen aus. Ob er es wirklich ist, kann ich nicht beurteilen, denn ein Tor steht offen und ein Auto steht davor. Aber das hat hier ja immer nichts zu sagen. Einen Moment überlege ich, ob ich nachschaue, aber mein Hunger meldet sich. Es wird Zeit, endlich zu frühstücken.





                                                                                                    Ich nutze die Bänke vor einem geschlossenen Kiosk an. Es ist kalt geworden. Aber der Ausblick ist hübsch. In der Ferne sehe ich wieder den Mt. Circeo. Die Inseln sind mir unbekannt, am Abend erfahre ich, dass es sich um Zanone, Ponza und Palmarola handelt.











                                                                                                    Wäre es wärmer gewesen, hätte ich hier noch etwas verweilt. Aber ich schlottere. So packe ich schnell meine Sachen und fahre weiter. Den Campingplatz habe ich völlig vergessen. Die Recherche von eben liefert allerdings auch kein Ergebnis, ob er geöffnet hat. Die auf dem Hinweisschild angegebene Website weist auf einen professionellen Reinigungsdienst für Strände hin.

                                                                                                    Ich rollere weiter und merke, dass meine Beine schwer geworden sind. Auch wenn ich mich wiederhole: Rollerfahren ist anstrengend. Kurz darauf nähere ich mich einer Architektur, die ich als touristische Zweckarchitektur beschreiben möchte. Scheußlich. Ich hatte gehofft, es wäre hier in der Gegend vielleicht ein ganz klein wenig wie in Anzio, aber das ist es nicht. Unmotiviert stehen Häuser an der Straße, als hätte man sie einfach fallen lassen. In einer Kurve deutet sich so etwas wie ein Ortskern, bestehend aus mindestens einem, möglicherweise sogar zwei Geschäften, an. Eines der Geschäfte ist ein Fischgeschäft. Es stehen Leute im Geschäft und als ich vorbeirollere, starren sie mich an. Nur weiter. Irgendwie hatte ich es mir hier romantischer vorgestellt.





                                                                                                    Hinter der Kurve bin ich noch frustrierter. Es gibt links eine Häuserzeile und rechts Sommeraufbauten und das Meer. Sonst nichts.
                                                                                                    Das Meer ist schön, ohne Frage. Gegen das Meer habe ich ja auch gar nichts. Aber Meeresidylle verspüre ich nicht. Ich schaue in mein Navi. Puh. Ist dies hier tatsächlich mein Ziel für heute? Ich befürchte, ja. Ich schaue noch einmal ins Navi, aber in der Tat. Ich bin besser voran gekommen, als ich dachte. Es ist erst 13.00 Uhr. Diesen Ort hatte ich mir ausgesucht, da er in erreichbarer Distanz lag. Ungefähr 25 km bin ich jetzt in fünf Stunden gerollert, das ist gar nicht mal schlecht (laut Navi ein 5,7 er Schnitt ). Aber ich spüre es in den Beinen. Einfach mal locker noch das Doppelte darauf setzen, schaffe ich nicht. Die nächste Etappe wäre 25 km entfernt.

                                                                                                    Ich rollere an der langgezogenen Straße entlang. Die meisten Häuser haben heruntergezogene Rolläden. Die Hotels sind geschlossen. Ein Campingplatz erscheint, und die Tür ist offen. Er sieht nett und heimelig aus. Ich rollere hinein und die Gartenarbeiter lächeln verlegen. Nein, tut mir leid, „chiuso“. Um diese Zeit kommt hier niemand, da ist geschlossen. Ich frage, ob es hier denn offene Hotels gibt. Weiß ich nicht, sagt der eine, aber ich glaube, da kommt noch etwas. Ich bin gespannt. Gleich ist der Ort zu Ende.
                                                                                                    Im Vorwege hatte ich in Rom bei einem Hotelbuchungsportal nachgeschaut, ob es hier Hotels gibt. 2 Hotelangebote gab es. Das eine sollte 100,00 Euro die Nacht kosten, das andere ein kleines Hotel sein. Dass das kleine Hotel geöffnet ist, ist nicht vorstellbar angesichts der Menschenmassen hier. Selbst die Läden an der Promenade sind geschlossen und ein Blick auf die Uhr zeigt, dass dies eigentlich zu früh ist. Von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr läuft in Italien gar nichts, das weiß ich mittlerweile. Aber jetzt ist es erst halb eins. Hier ist wirklich nichts los.

                                                                                                    Ich überlege, ob man hier notfalls zelten kann. Der Strand ist nachts hell beleuchtet. Überall sind diese hellen gelben Lampen aufgestellt. Neben mir sind Häuser und Privatbesitz und es sieht nicht so aus, als gäbe es hier ungestörte Plätze. Ein paar Meter weiter fängt das Naturschutzgebiet an, dort findet man vielleicht einen Platz. Aber im Naturschutzgebiet zelten? Ich möchte das nicht. Und angesichts der hohen Zäune an den Häusern bin ich mir auch nicht sicher, ob das in Italien wirklich sicher ist. In Finnland hatte ich keine Angst. Hier bleibt ein gewisses Misstrauen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal hoffen würde, dass ein Hotel offen hat.

                                                                                                    Der Ort ist fast zu Ende, da sehe ich auf der rechten Seite endlich eines der in Rom gefundenen Hotels. Direkt davor ist noch ein zweites Hotel und ihm ist ein offenes, aber leeres Restaurant angeschlossen. Die Tür des ersten Hotels geht auf und zwei rundliche ältere Damen verlassen das Hotel. Sie wirken nett, so dass ich mir für dieses Hotel entscheide. Im Inneren ist es warm und ich merke, dass ich vor Erschöpfung zittere. Vielleicht wird heute mein Merinopullover endlich einmal trocken. 50,00 Euro kostet das Zimmer die Nacht und da dies Durchschnitt in Italien ist, ist es okay. Ich muss wie üblich meine Pass abgeben und bekomme Schlüssel und die Fernbedienungen für die Heizung/Klimaanlage und den Fernseher in die Hand gedrückt.

                                                                                                    Der Roller kommt unter die Treppe zu den Mineralwasserkästen und ich beziehe ein schlicht eingerichtetes Zimmer. Eigentlich ist es nur Mittel zum Zweck, ich hätte wirklich lieber im Zelt geschlafen. Aber als ich die Rollläden öffne und den kleinen Balkon betrete, merke ich, wie schnell man korrumpierbar ist. Ich konnte solche Hotels nie leiden, ich hasse sie sogar. Überall stehen diese Klötze, vor allem bei uns an der Küste. Ungerührt verschandeln sie die Landschaft. Aber ich war auch noch nie Gast in einem derartigen Hotel. Als ich die Tür öffne und direkt vor dem Meer stehe, tja, da muss ich sagen, dass ich das erste Mal in meinem Leben verstehe, warum Menschen derartige Hotelzimmer mieten. Man lernt eben nie aus.

















                                                                                                    Ein Schild weist in mehreren Sprachen darauf hin, dass Kochen mit Kochern jeglicher Art im Hotelzimmer verboten ist.





                                                                                                    Nachdem ich meine feuchten Sachen ausgezogen habe und etwas getrunken habe, zieht es mich ans Meer. Wundervoll ist es hier plötzlich, denn die Sonne ist herausgekommen. Auf dem Steg stehen Angler und es sind Jogger da, die ihre Glieder strecken. Auch ein Radfahrer findet sich ein. Hier scheint ein zentraler Punkt zu sein.











                                                                                                    Und dann fotografiere ich Wellen.














                                                                                                    Eine ist schöner als die andere.








                                                                                                    Ich bin glücklich.

                                                                                                    Dann fällt mir ein, dass das Naturschutzgebiet hier anfängt. Ich rollere ein wenig die Straße hoch und kurz darauf finde ich einen Zugang, der einen Blick zu dem See ermöglicht. Es ist ein sandiger Hang, an dem ich stehe, aber durch die Pflanzen ist der Boden fest. Ein tiefer Frieden erfüllt mich bei dem Blick auf den See. Wunderschön ist diese Landschaft im späten Sonnenlicht. Mittlerweile ist es Viertel vor 4 Uhr.

















                                                                                                    Ich überlege, ob ich an diesem Abhang im Notfall hätte illegal zelten können. Naja. Die weißen Tupfer und andere Hinterlassenschaften um mich herum, zu denen auch eine Unterhose gehört, zeigen, wozu Einschnitte in der Vegetation dienen können. Am nächsten Tag sehe ich, dass das dornige Buschwerk an der Fortsetzung der Straße undurchdringlich ist. Und ich hätte alle diese schönen Eindrücke nicht bekommen. Es ist, wie es ist.











                                                                                                    Im Dunst taucht eine Stadt auf.





                                                                                                    Noch ein letzter, sehnsuchtsvoller Blick auf die Landschaft. Wenn ich morgen Glück mit dem Wetter habe, wird der Tag wunderbar.





                                                                                                    Ich brauche für morgen noch Milch und Wasser und reiße mich von dem Anblick los. Am Strand gehen ein paar Leute spazieren. Ein winziges Auto bremst und fährt auf den Parkstreifen. Eine Fotografin steigt aus und läuft an den Strand. Sie hat einen dicken Schal an und eine große Spiegelreflex. Sie wechselt das Objektiv und fotografiert die Wellen.











                                                                                                    Ich rollere die Straße Richtung Supermarkt hinunter und merke, dass es leicht bergab geht. Es war also nicht Einbildung, dass ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, es ging ganz leicht bergan. Das Geschäft ist weiter, als ich dachte, und ich stöhne innerlich auf. 26 km sind meine Wohlfühlgrenze. Das steht jetzt fest. Der Himmel sieht ungewöhnlich aus. Solche Farben habe ich noch nicht gesehen.









                                                                                                    Der Supermarkt entpuppt sich als Fischgeschäft mit ein paar Notfallartikeln. Frische Sachen gibt es nicht. Brot auch nicht. So kaufe ich Milch und eine große Flasche Wasser. Schade, dass ich keine Ferienwohnung mit Küche habe. Der Fisch sieht verlockend aus. Und lina wüsste sicherlich ein gutes Rezept.





                                                                                                    Als ich zurückrollere brennt der Himmel. Als wäre am Ende des Meeres ein Höllenschlund.








                                                                                                    Noch einmal besuche ich den Steg. Der Fischer packt seine Angel ein. Er hat heute nichts gefangen. Ich frage ihn auf italienisch nach den Inseln und er nennt mir die Namen. Der Himmel färbt sich nun rosa.









                                                                                                    Während ich fotografiere, merke ich, dass ich völlig ausgehungert bin und eine warme Mahlzeit mit Vitaminen brauche. Im Restaurant des Hotels esse ich das Sonderangebot, ein viergängiges Menu für 20,00 Euro. Ich bin der einzige Gast und der Großbild-Fernseher läuft. Es gibt eine Quiz-Show. Die junge Kellnerin wirkt, als würde sie viel lieber mit Freunden unterwegs sein und kann kaum still stehen. Während ich esse, schaut sie auf den Fernseher. Sie ist nett und spricht mit mir Italienisch. Dass ich kein Italienisch spreche, stört sie nicht im geringsten. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich ungefähr ahne, was sie meint und die Kommunikation funktioniert. Das Essen ist zwar nicht sehr raffiniert, aber es macht satt. Als ich der Kellnerin Trinkgeld geben, strahlt sie und winkt mir zum Abschied zu.

                                                                                                    Die Heizung läuft auf Hochtouren, doch die Kleider trocknet sie nicht. Ich stelle sie aus. Es ist warm genug hier und sie laut. Ich trete auf den Balkon und genieße noch einmal die Geräusche des Meeres. UUUUUWumm. UUUUUWumm. Wie alt ist eigentlich das Meer? So alt wie die Erde, vermutlich. Auf jeden Fall älter als alle Menschen. Das Meer war schon immer da. Und es wird auch nach uns da sein.

                                                                                                    Ich schließe die Balkontür. Dann schlafe ich wie ein Stein.


                                                                                                    Zuletzt geändert von Torres; 01.02.2014, 23:45.
                                                                                                    Oha.
                                                                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                      Freak

                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                      • 16.08.2008
                                                                                                      • 31757
                                                                                                      • Privat


                                                                                                      #51
                                                                                                      AW: [IT] Das Meer

                                                                                                      17.01.2014 Sabaudia

                                                                                                      28,4 km

                                                                                                      Als ich aufwache, steht der Mond noch am Himmel. Ein roter Streifen lässt auf Sonne hoffen, doch diese Hoffnung wird vergebens sein. Der Wind hat mächtig aufgefrischt. Die Wellen donnern an den Strand. Die Möwen stehen im Wind und lassen sich tragen. Was für eine Kulisse. Rau und schön. Ich liebe dieses Wetter.











                                                                                                      Ich packe. Die Fototasche ist übrigens nicht auf dem Bild. Die habe ich bereits um.





                                                                                                      Noch ein letzter Check im Zimmer. Das Zimmer war nur eine Schlafgelegenheit. Aber es fällt mir schwer, mich von dem Blick aus dem Fenster loszureissen. Hotel hin oder her. Die Aussicht würde ich gerne mitnehmen wollen. So eine Aussicht werde ich wohl nie wieder haben.

                                                                                                      Wieder ziehe ich ohne Frühstück los, denn auch hier gibt es nur den üblichen eingepackten Zuckerkram. Vor der Tür sehe ich Tropfen auf den Steinen, aber es ist wohl nur die Gischt. Wieder einmal fliegt mir der Poncho um die Ohren und ich muss ihn gut festzurren. Der Wind weht halb von der Seite, also faktisch von vorne. Durch den Poncho bin ich windschnittig wie ein Kettenpanzer, und ich weiß jetzt schon, dass diese Etappe anstrengend wird.

                                                                                                      Das Naturschutzgebiet sieht aus wie Naturschutzgebiete im Januar so aussehen: Trist und leer. Der Zauber von gestern ist verflogen. Nichts erinnert mehr an die wundervollen Herbstfarben. Was für ein Glück, dass ich gestern die Landschaft aus ganz anderen Perspektive genießen konnte. Die Vögel sind verstummt. Am Straßenrand steht wieder eine Gedenktafel. Die Straße ist schnurgerade – wie mit dem Lineal gezogen. Sie wird durch das Meer rechts und den See links vorgegeben, und ist der einzige begehbare und befahrbare Streifen im Naturschutzgebiet. Die wenigen Autos fahren schnell. Eine Fußgängerin ist vor mir, aber sie grüßt nicht, als ich sie grüßend überhole. Ein wenig schneller bin ich, aber durch das Fotografieren wird sich unser Abstand nicht groß verändern. Eine alte Frau, die auf der Gegenseite mit Rollwagen unterwegs ist, ruft uns beiden etwas zu, aber ich verstehe sie nicht. Ich trete wie ein Weltmeister, aber der Wind bremst mich stark ab. Die Strecke kostet Kraft. Fahrradfahren ist leichter.





                                                                                                      Als ich an eine Art Schleuse komme, die den See mit dem Meer verbindet, freue ich mich über die Abwechslung. Beschnittene Palmen ragen wie Säulen in den Himmel. In der Ferne sieht man ein rotes und ein grünes Positionslicht. Hier scheint ein Hafen zu sein.





                                                                                                      Kurz darauf bin ich da. Ein paar Autos stehen auf einem Parkplatz, die Sommerbuden haben geschlossen. Ein Angler trägt seinen großen Kescher Richtung See, am Fluss sitzen Flussangler. Der Mann mit dem Kescher hat den Kescher kaum in den See gehalten, schon zieht er einen dicken, fetten Fisch hinaus. Ein Kollege packt ihn in eine langes Netz. Kein Wassereimer. Kein Töten. Einfach ins Netz. Macht man das so? Innerhalb von 5 Minuten landen 7 Fische im Netz. Zu nahe darf ich nicht ran, ein Mann hält mich zurück, damit ich den Kescher nicht ins Gesicht bekomme. Aber dass ich ihn fotografiere, scheint ihm zu gefallen.





                                                                                                      Die Frau läuft vorbei. Sie hat Turnschuhe an. Kurze Zeit später wird sie wieder zurückkommen. Vielleicht ist sie Geherin und trainiert.

                                                                                                      Die Straße führt jetzt am Fluss entlang. Er heißt Rio Martino. Wieder schaue ich auf den See des Naturschutzgebietes. In der Ferne stehen Häuser. Anscheinend sind Höfe Teil des Naturschutzgebietes. Der Autoverkehr besteht aus Anglern, die meiste Zeit ist es idyllisch ruhig.





                                                                                                      Ein kleiner Hafen taucht auf und ein Mann ordnet die Netze. Ich frage ihn, ob ich ihn fotografieren darf und er bejaht.








                                                                                                      Ich nähere mich nun einer kleinen Brücke. Hier umgeht die Küstenstraße den Fluss. Links von mir stehen Bullen auf der Weide. Auf der anderen Seite steht ein langgestreckter Bauernhof. Auf meiner Straßenkarte ist eingezeichnet, dass die Straße auf der anderen Seite des Flusses bis zur Mündung geht und dann gesperrt ist. Ich wage es daher nicht, dort einzubiegen. Laut meiner Recherche von heute auf google earth scheint dort ein Dünenweg entlang zu führen. Doch ob er in dieser Jahreszeit begehbar ist, ist unsicher. Auch an einer späteren Stelle ist die Küstenstraße komplett gesperrt.
                                                                                                      Ein Blick auf die anderen Seite des Flusses. Ein Teil ist landwirtschaftliches Nutzgebiet, aber es gibt auch einen weiteren See.





                                                                                                      Im Hotel hatte ich gestern einen Bildband von dieser Landschaft gesehen. Es waren Sommer- und Herbstbilder. Traumschön.











                                                                                                      Kaum habe ich die Brücke verlassen, rücken die Vögel wieder näher, die unter großem Geschrei meine Anwesenheit verurteilt hatten. Von vorne kommt eine Göttin, und nach einer Erstaunensekunde reiße ich die Kamera aus meiner Kameratasche, die ich gerade in Erwartung der Straße sorgfältig verstaut hatte. Als die Kamera auslöst, ist es schon zu spät. Man verzeihe mir diesen Moment der Autoliebhaberei. Wer mit der Göttin jemals über Feldwege gebrettert ist, wird sie nie mehr vergessen. An einem Garten fotografiere ich trotz der „Betreten verboten“-Straße einen Zitronenbaum. Auf dem Gehweg liegt ein umgefallener Baum. Vermutlich hat er in dem nassen Boden den Halt verloren.





                                                                                                      Ich biege nun in die Hauptstraße ein. Es ist viel Verkehr und die Autos dröhnen in meinen Ohren. Meine Taktik ist nun variabel. In den Ortschaften fahre ich rechts und wenn möglich, auf den ziemlich desolaten Bürgersteigen. Außerhalb der Ortschaften fahre ich links. An der Straße fotografiere ich ein Hotelschild. Man weiß ja nie, wozu man es braucht. Die Bäume sind kahl und die Natur wirkt trostlos. Der Wind ist unvermindert stark und es sieht nach Regen aus. Rechts sind Felder mit Gewächshäuser darauf. Lauter Kuppelzelte. Einige hat es zerfetzt. Das Schild der Straßensperrung taucht auf und nimmt mir die Hoffnung auf eine ruhige Seitenstraße. Ein Biohof wirbt an einem Seitenweg. Auch in Italien scheint es Kreuzungsvandalismus zu geben. Auf einem Schild steht „radici sporgenti“. Was auch immer das heißt. (Es heißt „hervorstehende Wurzeln“).





                                                                                                      Ein Gutshof mit beschnittenen Palmen taucht auf und ich komme mir vor, wie in Mexiko. Das Foto wird zu dunkel. Kurz vor einer menschlichen Ansiedlung setze ich mich auf die Mauer auf einer Brücke über den Fluss und esse erst einmal etwas. Es ist 11.15 Uhr. Viel Zeit gönne ich mir nicht, es ist mit um die 8 Grad und Wind ein wenig frisch. Noch ein Bild von der Landstraße, die hinter mir liegt, dann treibt es mich weiter. Die Landstraße geht mir langsam auf den Geist, aber die Hälfte habe ich schon hinter mir. Bis Sabaudia ist es auf meinem Navi noch 6 km weit. Eine kurze Strecke kann ich auf einen Seitenweg ausweichen, der Zufahrt für die Höfe der Umgebung ist. Leider endet der Weg nach einm paar Metern wieder.

                                                                                                      An der Ecke taucht ein eingezäuntes Stück Wald auf. Es ist der Nationalpark auf dieser Seite der Straße. Er bildet ein größeres Viereck, ist aber durch Straßen begrenzt. Viel Platz für Natur ist hier nicht. Ein Tor taucht auf. Und ich stehe vor der Frage, ob ich den direkten Weg hinter mich bringe oder einen größeren Umweg durch den Nationalpark nehme.





                                                                                                      Logischerweise entscheide ich mich für den Nationalpark. Die Öffnungszeiten stehen nicht dran, aber ich gehe davon aus, dass er bis Einbruch der Dunkelheit geöffnet ist. Ein eingezäunter Wald. Gesichert wie ein Hochsicherheitstrakt. Das müsste bei uns erst einmal jemand bringen. Die Waldwege sind idiotensicher ausgeschildert, der Wald kann im nördlichen Teil bequem mit Autos angefahren werden, eine Grillstelle gibt es auch und er ist menschenleer.














                                                                                                      Ich rollere nun auf einem breiten Wanderweg dahin. Diese Wege mag mein Roller und rollern macht wieder Spaß. Es ist still im Wald. Tiere hört man nicht. Januar. Pilze tauchen auf und endlich kann auch ich mal Pilzbilder einstellen.





                                                                                                      Ein Tümpel und ich sehe sofort, dass auf diesem Bild etwas fehlt. Vielleicht werde ich es mal in das Allgemeine Outdoor-Fotorätsel einstellen, wenn ich in 10.000 Jahren mal wieder dran bin.





                                                                                                      Die nächsten Pilze werden unscharf. Mist. Ich hoffe, es fällt nicht auf.





                                                                                                      Im Baum sitzt ein Leguan. Oder ist es ein Krokodil?





                                                                                                      Wieder taucht ein Tümpel auf und irgendetwas springt darin umher. Was es ist, kann ich nicht erkennen.
                                                                                                      An einem Mäuerchen mache ich Rast und trinke etwas. Immer noch ist es totenstill. Vögel gibt es zu dieser Jahreszeit hier keine.





                                                                                                      Auf dem Weg befinden sich in der Wegmitte schon seit längerer Zeit Krokusse. Vielleicht ist dies der einzige Ort auf dem Weg, wo sie nicht zertrampelt werden. Ein paar Mal sage ich mir: „Den nächsten fotografierst Du“ und dann mache ich es tatsächlich. Es sind die einzigen Blüten, die ich sehe.





                                                                                                      Und ich weiß, dass mich jetzt einige hassen werden: Aber irgendwann fange ich mich an zu langweilen. Ich meine, so ein Wald ist ja ganz schön und Bäume sind auch ganz nett. Aber was anderes als Bäume ist eben auch nicht zu sehen. Gut, auch Bäume sehen alle anders aus. Trotzdem. Wellen kann ich mir stundenlang anschauen. Aber Bäume. Wenn jedenfalls der Weg etwas interessanter wäre. Pilze gibt es jetzt auch keine mehr. Seufz.

                                                                                                      Ich erreiche den ersten Kontrollpunkt. Eine Stunde habe ich bis hierhin gebraucht. Dann folgt der zentrale Punkt im Norden. Da ich Richtung Sabaudia will, nehme ich den zentralen Weg Richtung Osten. Er ist als Fahrradweg ausgeschildert. Ein kleiner Pfad geht an der Seite ab, aber es ist nur ein Rundweg zum Grillplatz. Nach ungefähr einer halben Stunde erreiche ich eine Schutzhütte. Einen klitzekleinen Moment überlege ich, ob man hier ein Zelt aufbauen könnte, gut, es ist Nationalpark, aber es ist eben auch eine Schutzhütte, aber nach einem Blick in das Innere der Hütte erübrigt sich meine Antwort.





                                                                                                      Ich rollere weiter und drei Minuten später bereue ich meine Entscheidung. Es regnet nicht, es gießt. Laut prasselt der Regen auf den Waldboden.
                                                                                                      Kurze Zeit später erreiche ich das nächste Tor. Hier führt eine Landstraße durch, die direkt nach Sabaudia geht. Auf der anderen Seite geht der Nationalpark weiter, aber es wäre ein Umweg, der mir wieder ein paar km auf der Landstraße einbringen würde, die ich umgehen wollte.

                                                                                                      Ich entscheide mich für die Querstraße. Vermutlich ist sie weniger befahren als die zentrale Achse Richtung San Felice, die ich vorhin verlassen habe. Es ist zehn vor zwei, ich habe fast zwei Stunden im Wald verbracht. An der Straße stehen in regelmäßigen Abständen Feuerlöscher und es gibt einen sehr breiten Streifen Gras, den ich nutzen kann. Schilder warnen vor Waldbränden. Es scheint ein Sicherheitsstreifen zu sein. Wilde Osterglocken blühen. Ein von einem Auto getöteter Fuchs liegt im Gras.
                                                                                                      Aufgrund des Regens fahren die Autos mit Licht. Keine schlechte Idee. Ich hole meine Stirnlampe heraus. Mit der Lampe kann ich die Kapuze vom Poncho besser befestigen. Bisher habe ich bei Wind die Zähne nutzen müssen. Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen. Tatsächlich scheinen die Autos besser damit klar zu kommen, wenn ich beleuchtet bin. Ich bin dann einfach ein Fahrzeug auf der falschen Seite. Und kein Monster mehr.





                                                                                                      Ein Auto fährt in eine Parkbucht am Straßenrand. Ich umrollere es elegant. Der Fahrer spielt mit seinem Smartphone und so entgeht ihm, dass er gerade von Batman überholt wird.

                                                                                                      Nach erstaunlich kurzer Zeit bin ich an einem Kreisververkehr angelangt. Nach Sabaudia geht es geradeaus und anscheinend ist der Ort, der jetzt kommt, bereits Sabaudia. Der erste Eindruck ist ernüchternd. Es sieht aus wie eine nasse, verbaute, norddeutsche Kleinstadt an einer Durchgangsstraße. Ich hatte in nettes Luftfoto der Stadt gesehen und erhoffte mir ein wenig Flair. Anzio an einem See, sozusagen. Aber vielleicht kommt das noch. Ein Schild weist darauf hin, dass es hier zum Meer und zu den entsprechenden Hotels geht. Ich bin unsicher. Es ist eine Umgehungsstraße, wie es aussieht. Ich entscheide mich, weiter zu rollern und den Dorfkern zu suchen.
                                                                                                      Ich finde eine Art Markplatz und die Häuser sehen auch nicht anders aus als die touristische Zweckarchitektur, die ich so kenne. Die Geschäfte sehen mondän aus und es gibt sehr hohe Glasfronten. Aber zum shopping war ich eigentlich nicht gekommen. Der Rest sieht langweilig aus. Ich habe keinerlei Bedürfnis hier auch nur ein Foto zu machen und mache auch keins.

                                                                                                      Laut Navi ist der See vor mir und ich rollere an einer Wiese eine Zufahrt hinunter. Hier wird es sicherlich einen Hafen geben. Nichts. Die Straße endet an einer Mauer. Mit Blick auf den See. Was geht denn hier ab?!





                                                                                                      Immerhin, der Blick auf den Mt. Circeo ist immer ein Erlebnis und er ist näher gerückt. Der See wird im Sommer auch schön sein. Aber wo ist hier die Innenstadt?
                                                                                                      Rechts von mir befindet sich eine Straße, die den See überquert. Ein Trampelpfad führt dahin. Ich schnappe meinen Roller und überquere die Wiese. Als ich nach rechts schaue, fühle ich mich wieder in einem falschen Film. Was ist denn das hier für eine Monumentalarchitektur. Sehr merkwürdig.





                                                                                                      Ich erreiche die Straße und schiebe den Roller auf einem Fahrradweg über eine Brücke. Ein Mann in einem völlig individuell gestalteten, niedrigen Dreiradauto, das irgendwelche Sachen transportiert, kommt mir entgegen und ich starre es an und denke: „Coole Idee“. Zur gleichen Zeit sieht ein Mann mit einem völlig individuell gestalteten Dreiradauto, das irgendwelche Sachen transportiert, auf dem Fahrradweg einen Tretroller mit Rucksackvorbau auf sich zukommen, starrt ihn an und denkt: „Coole Idee“. Meine Laune bessert sich. Der Mt. Circeo.








                                                                                                      Zwei Minuten später fängt es an zu regnen. Das Meer ist nun nicht mehr weit, man merkt es am Wind, der an mir zerrt. Als ich an der Küstenstraße ankomme, sehe ich nichts. Das heißt, ich sehe schon die schnurgerade Straße, aber einen Dorfkern gibt es hier nicht. Noch nicht einmal die üblichen Seebauten und Küstenstraßenhäuser. Halblinks steht ein luxuriös aussehendes Hotel. Sonst nichts. Es ist jetzt kurz nach halb drei, aber gefühlt ist es 17.00 Uhr. Durch den Regen und die tiefhängenden Wolken wird es bereits dämmerig dunkel. Und nun? Zurück in den Ort? Meine Laune sinkt auf einen Tiefpunkt. Nichts, aber auch gar nichts zieht mich in diesen Ort zurück. Ich stecke in der Falle. Menschen gibt es hier nicht. Autos auch nicht. Wo zum Teufel finde ich hier eine Unterkunft? Ich fühle mich, als sei ich auf einer Landstraße mitten in Schleswig-Holstein und die Bürgersteige sind hochgeklappt. Na fein.

                                                                                                      Ich nähere mich dem Hotel. Es ist ein 4 Sterne Hotel. Nein danke. Ich gebe jetzt hier an diesem verlorenen Ort keine 150 Euro für ein Hotel aus. Nicht mit mir. Außerdem hat es zu. Denn Autos sehe ich keine. Und nun?

                                                                                                      Ich checke mein Navi nach Unterkünften. Das nächste Hotel ist ungefähr 800 Meter weiter in Richtung Lido di Latina, also in der Richtung, aus der ich quasi gekommen bin. Das nächste Hotel in Gegenrichtung ist 9 km weiter in San Felice. 9 km? Das wäre zu schaffen, aber das glaube ich nicht. Okay, nur über die vielbefahrene Landstraße. Dass das Hotel a) geschlossen ist und b) über einen Berg erreicht werden muss, verschweigt das Navi netterweise ebenfalls. Aber 9 km Fahrt bei einsetzender Dunkelheit an einer vielbefahrenen Landstraße traue ich mir bei dem Regen auch nicht mehr zu. Mein Tagespensum habe ich mit dem Umweg erfüllt. Ratlos stehe ich an der Kreuzung. Der Regen wird stärker.

                                                                                                      Okay, das andere Hotel. Der Name klingt merkwürdig. Oasi di Kufra. Aber gut, ich bin in Italien. Das hat nichts zu heißen. Entweder es ist ein Luxushotel oder eine Absteige. Lassen wir uns überraschen.

                                                                                                      Ich rollere los und der Wind ärgert mich jetzt richtig. Es gießt und alles, was man am Meer ätzend finden kann, trifft nun ein. Wind, Nässe und Temperaturen um die 6 Grad. Auf einem Parkplatz steht ein Auto und ich schwöre mir: Wenn das Hotel nichts ist, stelle ich mich auf diesen Parkplatz in diesem Naturschutzgebiet und zelte. Egal, was passiert. Das einzige Problem ist, dass ich kein Wasser mehr habe. Es gab einfach keinen Alimentari auf dem Weg. Aber darüber kann ich später nachdenken.

                                                                                                      Der Regen nimmt wieder Fahrt auf und die Wolken hängen tief. Ich sehe nur Dünengebüsch, Regen und Straße. Und es geht wie immer leicht bergauf. Aus dem Dunst taucht ein Gebäude auf. Ein viereckiger Klotz. Nein, bloß nicht. Eine Bothy oder ein Friesenhaus wäre jetzt nett. Na, egal. Ich will ja nur ein Bett haben. Von außen muss ich es mir nicht anschauen.

                                                                                                      Ich rollere näher. Ja, das ist es. Wieder so ein Viersterne-Hotel-Mist. Soll ich jetzt die steile Einfahrt herunterschieben und fragen, wieviel es kostet? Und was mache ich, wenn es 150 Euro kostet? Zelten? Verdammt, was mache ich nur.
                                                                                                      Ich blättere wieder in meinem Navi. Das Navi hat sich entschieden, dass das Hotel in San Felice nur 2 km entfernt ist. Luftlinie vielleicht. Danke für die Hilfe. Hatten wir nicht kürzlich Streit? Es ist gar nicht lange her.
                                                                                                      Ich schaue auf das Hotel und die Einfahrt und weiß nicht, was ich machen soll. Mir ist kalt. Meine Jacke ist nass. Mein Pulli ist durchgeschwitzt. Die Schuhe von innen feucht. Der Schlafsack hat sich gestern nicht erholt und riecht immer noch nach toter Katze. Es regnet. Will ich wirklich bei diesem Wetter mein Zelt mitten an einer Straße auf einen Parkplatz stellen? Mich wie ein Tier verkriechen und bei jedem Geräusch hochschrecken? Ich schaue auf die andere Straßenseite zu den Dünen. Wie weit reicht eigentlich die Videoüberwachung? Bei Wind an den Strand stellen, fällt sowieso aus. Ich kenne das Meer hier nicht. Sie scheinen hier zwar keine Tide zu haben, aber das muss nichts heißen. Und morgen ist Wochenende. Wird hier heute abend etwas los sein? Ist das Restaurant auf der anderen Seite heute abend geöffnet? Ich fordere Jedermannsrecht für deutsche Touristen im Januar. Auch in Naturschutzgebieten. Oder zumindestens geöffnete Campingplätze.

                                                                                                      Ich stöhne auf und schaue ein letztes Mal in mein Navi. Aber da steht nichts drin, was ich nicht schon weiß. Zurück nach Sabaudia oder an der Rezeption nach dem Preis fragen. Videokameras haben mich fest im Blick. Was die Leute im Hotel wohl von mir denken werden?

                                                                                                      Und dann geben ich mir einen Ruck. Fragen kostet nichts. Es geht um meine Gesundheit und um meinen Urlaub. Wenn das Zimmer mehr als 100 Euro kostet, zelte ich. Die Wette gilt. Los. Auf geht es. Vorsichtig schiebe ich den Roller die steile, kurvige Einfahrt herunter. Der Weg ist glatt.


                                                                                                      Als ich um die Ecke komme, schaue ich in ein Büro. Ich lehne den Roller an die Wand und eine Frau schaut mich erstaunt an. Das kann ja heiter werden. Aber tapfer trete ich durch die Eingangstür. Das Hotel ist geschmackvoll eingerichtet, das sehe ich sofort. Hätte ich eine Villa, könnte ich mir eine derartige Einrichtung vorstellen. Die Dame an der Rezeption spricht Englisch und ist unglaublich nett. Sie hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich wirklich herunter komme. Ich frage nach dem Preis und erhöhe innerlich auf 120,00 Euro. Entschuldigend sagt die Dame, das Zimmer koste 65,00 Euro. Es sei der Winterpreis.
                                                                                                      Ich bin sprachlos. Wenn ich überlege, was ich in letzter Zeit in Relation zu diesem Haus für ungeheizte Zimmer ausgegeben habe, ist dieser Preis ein Traum. Ich lege meinen Pass auf den Tresen und sie sucht nach einem Schlüssel, weil die Schlüsselkarte nicht richtig programmiert ist. Später erhalte ich eine Codekarte. In der Zwischenzeit sehe ich, dass es heute abend im Restaurant ein Menu gibt. Es ist nicht preiswert, 35,00 Euro, aber der zweite Blick zeigt, dass die Menufolge erlesen ist, und es dafür auch nicht zu teuer ist. Wenn es noch einen Zweifel an meiner Entscheidung gegeben hätte, wäre er in diesem Moment nichtig gewesen.

                                                                                                      Sicherheitshalber frage ich, ob ich der einzige Gast bin, denn der ziemlich surreale Abend von gestern steht mir noch vor Augen. Aber dem ist nicht so. Und ich hätte nichts zum Anziehen. „Kein Problem“, lacht die Dame. Gemeinsam bringen wir den Roller in eine Abstellkammer. „Wo ich denn jetzt herkäme“. Ich erkläre die Route. Sie kennt den Weg (was nach meiner Erfahrung für Italiener sehr erstaunlich ist, denn die meisten fahren nur Auto auf vordefinierten Straßen. Sprich: Kennen sich absolut nicht aus). Ich sei aber hoffentlich nicht unten entlang gefahren, da sei gesperrt. „Nein“, sage ich. „Ich habe das Schild gesehen“. „Das ist gut“, meint sie. „Da wären sie nicht durchgekommen“. Sie fragt, wo ich danach hin will und als ich Mt. Cicero, San Felice, Terracina, eventuell sogar Gaeta sage, nickt sie anerkennend. Südlicher sollte ich aber nicht fahren, da ist es nicht sicher. Ich frage nach Neapel. „Nein, Neapel ist kein Problem. Aber dazwischen ist eine schwierige Ecke.“ Ich weiß, was sie meint. Die Gegend gehört zu einem Gebiet, in dem seit Jahren organisiert tonnenweise Giftmüll im Boden vergraben wurde, darunter auch kontaminierter Krankenhausmüll, der langsam in das Grundwasser eindringt. Schon alleine aus diesem Grund würde ich auf Wasser aus der Italiens Natur verzichten. Gerade vor drei Wochen wurde bekannt, dass sich die Entsorgung der Problemstoffe nun in die Toscana in der Gegend von Prato bei Florenz verlagert hat.

                                                                                                      Das Gespräch hat mir Spaß gemacht. Es ist das erste Mal in Italien, dass sich jemand für meine Tour interessiert hat. Es kommt mir fast so vor, als wenn sie so etwas auch machen würde, aber ich versäume es, sie zu fragen. Vermutlich fährt sie Rennrad.

                                                                                                      Mein Roller kommt in eine Abstellkammer und ich beziehe mein Zimmer. Das Zimmer gestern war ja schon schön, aber dieses Zimmer hier ist die absolute Krönung. Es ist viel größer, hat einen riesigen Balkon und der Blick geht direkt auf das tobende Meer. Buchten oder den Mt. Circeo sieht man hier nicht. Nur Strand und Meer. Natürlich sind vor dem Hotel die sommerlichen Aufbauten zu sehen. Aber der Kontakt zum Meer ist viel ursprünglicher und direkter. Hier gibt es nur Strand und Meer. Naturschutzgebiet. Ich überprüfe das Navi. 28,4 km bin ich heute gerollert. Das ist genug. Ich bin am Ziel.





                                                                                                      Kurz esse ich etwas, dann mache ich mich auf dem Weg zum Strand. Es hat aufgehört zu regnen. Die Wellen schlagen an den Strand und Mt. Circeo liegt in der Wellengischt. Für einen Moment fühle ich mich ganz alleine und genieße es aus vollen Zügen. Das Meer und ich. Aber ganz alleine bin ich nicht. Ein Brandungsangler holt in der Ferne seine Angel ein.

















                                                                                                      Hier an dem Strand zu stehen, ist unbeschreiblich. Es ist Glück. Einfach nur Glück. Einige werden dieses Glück empfinden, wenn sie im Fjell stehen. Andere werden das Glück empfinden, wenn sie im Wald oder in den Bergen stehen. Ich empfinde dieses Glück, wenn ich das Meer sehe. Obwohl: Eigentlich ist es das Wasser, was mich so in seinen Bann zieht: Der Fluss, der See, der Schnee, das Eis und als Krönung das große, rauschende, ewige Meer.

                                                                                                      Ich stapfe durch den Sand und versuche, den Moment in meinem Gedächtnis festzuhalten. Eine tote Qualle liegt im Sand. Die Muscheln, die ich sehe, kenne ich. Herzmuscheln. Eine Austernschale. Das Wasser umspült meine Schuhe. Der Wind treibt das Wasser an den Strand.





                                                                                                      Weit hinter dem Hotel gehe ich langsam einen Bohlenweg hoch. Wenn man weiß, wo man bleiben kann, sieht die Straße viel freundlicher aus. Sie hat einen Seitenstreifen, hier parken im Sommer die Sommergäste.





                                                                                                      Ich gehe auf die andere Seite und finde einen Weg in die mit Buschwerk versehene Dünenlandschaft. Hundespuren sind zu sehen. Vielleicht hätte man hier zelten können, ja. Aber wäre ich jemals an das Meer gegangen und hätte meine Ausrüstung im Stich gelassen? Nein, das hätte ich nicht getan. Und außerdem ist hier Naturschutzgebiet. Über dem Gebüsch sieht man einen Kirchturm. Die Kirche gehört zu Sabaudia, aber schön ist sie nicht. Noch immer weiß ich nicht, dass Sabaudia eine Retortenstadt ist. 1934 wurde sie von Mussolini als faschistische Idealstadt gegründet und hat sich architektonisch fast unverändert erhalten. Sie ist ein typisches Beispiel für den italienischen Rationalismus. Klick und Klack.





                                                                                                      In einem großen Bogen gehe ich um das Hotel herum und an einem Bohlenweg wieder herunter. Es ist dunkel geworden. Um besser zu sehen und gesehen zu werden, ziehe ich die Stirnlampe auf. Bilde ich mir ein, dass der Brandungsangler sich erschrickt? Auch er hat eine Stirnlampe auf, aber als er mich sieht, zieht er sich hinter ein Holzhaus zurück. Ich werde ihn nicht mehr wieder sehen. In der Ferne sieht man nun doch eine Küste. Es könnte Lido di Latina sein. Die Lichter der Straße, an der ich gestern war. Und die Spitze sogar Anzio. Lange ist es her.





                                                                                                      Ich laufe noch ein wenig am Strand entlang und hänge meinen Gedanken nach. Hier müsste man Urlaub machen. Den ganzen Tag spazieren gehen, die Einsamkeit genießen, lesen und sich abends mit Essen verwöhnen lassen. Warum nur bin ich nicht der Typ dazu.

                                                                                                      Irgendwann wird es zu kalt. Wir haben Winter. In meinem Zimmer lese ich ein wenig. Urlaub. Es ist warm im Zimmer und der Schlafsack trocknet. Ich habe ein paar Sachen durchgewaschen. Die erste Heizung, die den Namen verdient.

                                                                                                      Gegen 20.00 Uhr gehe ich in den Speisesaal. Das Menu ist hervorragend. Aus einer Auswahl von zwei bis vier Gerichten pro Menufolge wähle ich 3 Sorten Mozarella, Gemüsesuppe (statt der obligatorischen Pasta, die auf den Nebentischen gereicht wird und beneidenswert gut aussieht), Seeteufel mit Mangoldbeilage, Salat vom Buffett und Melone. Die Küche ist ausgezeichnet, der ältere Kellner stilsicher, das Mineralwasser preiswert. Es sind auch andere Gäste da, zwei junge italienische Paare, und der eine junge Mann schaufelt das Essen in sich hinein, als sei er in einem Asia Imbiss. Dafür lese ich in den Pausen in meinem E-Book-Reader. Eigentlich macht man das nicht. Aber es gibt nichts Schlimmeres, als alleine essen zu gehen.
                                                                                                      Ich bitte um sofortige Bezahlung, statt auf Zimmerrechnung, und als er abrechnet, verstehen wir uns nicht richtig. Er gibt mir daher korrekt heraus. Aber ich hatte die Zahl schon so gemeint, und er schaut mir erst mit Spannung zu und ist dann erstaunt und glücklich zugleich. Für mich ist das selbstverständlich. Wenn ich einen guten Job gemacht hatte, hatte ich mich auch über Trinkgeld gefreut. Das Essen war perfekt. Der Service auch. Italienische Küche von ihrer besten Seite.

                                                                                                      Ich setze mich noch ein wenig auf den Balkon und schaue auf das Wasser. Hier könnte ich die nächsten vier Wochen sitzen bleiben. Schade, dass ich morgen weiter will.


                                                                                                      Zuletzt geändert von Torres; 03.02.2014, 09:14.
                                                                                                      Oha.
                                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                        Fuchs
                                                                                                        • 04.04.2003
                                                                                                        • 1406


                                                                                                        #52
                                                                                                        AW: [IT] Das Meer

                                                                                                        Ich freue mich mit Dir über diesen gelungenen Tag und den krönenden Abschluss: Dieses Menue!
                                                                                                        Perfekt!
                                                                                                        Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                          Gesperrt
                                                                                                          Neu im Forum
                                                                                                          • 31.01.2014
                                                                                                          • 4
                                                                                                          • Privat


                                                                                                          #53
                                                                                                          AW: [IT] Das Meer

                                                                                                          Wunderbarer Bericht! Das könnte ja fasrt ein Buch werden!
                                                                                                          Und einige recht gute Fotos.
                                                                                                          Weiter so!

                                                                                                          Kommentar


                                                                                                          • Juno234
                                                                                                            Erfahren
                                                                                                            • 03.08.2007
                                                                                                            • 397


                                                                                                            #54
                                                                                                            AW: [IT] Das Meer

                                                                                                            Mir gefällt dein Text auch sehr

                                                                                                            Schön, dass dieses Forum so offen ist und einen weitgespannten outdoor-Begriff hat

                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                              Freak

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                                                                                                              • 31757
                                                                                                              • Privat


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                                                                                                              AW: [IT] Das Meer

                                                                                                              18.01.2013 San Felice Circeo

                                                                                                              27,8 km

                                                                                                              Als ich am nächsten Morgen aufwache, hoffe ich auf Regen. Ich habe hier im Hotel W-Lan und die Voraussage meiner Wetter App für den heutigen Tag ist schlecht. Für morgen sogar katastrophal. Morgen soll es Gewitter geben. Vor meinem geistigen Auge erscheint die Vision eines Ruhetages. Mit meinem Buch in den Schlafsack gekuschelt bei Regen und Wind auf dem Balkon. Nordseefeeling. Urlaub machen.

                                                                                                              Aber das Schicksal will es anders. Schon der erste Blick aus dem Fenster zeigt, dass heute ein wunderschöner Tag wird. Das muss ich ausnutzen, bevor das Wetter umschlägt. Das Ziel dieser Reise liegt vor mir: Der Mt. Circeo. Vielleicht habe ich heute Glück.








                                                                                                              Der Wetterbericht im Fernsehen bestätigt die schlechte Wetterprognose. In Ligurien gab es in Gegenrichtung zu meiner Tour an der eingleisigen Bahnstrecke zwischen Genua und Ventimiglia einen Erdrutsch. Der Zug wurde bei Imperia an ein Geländer gedrückt und ist wie durch ein Wunder nicht ins Meer gestürtzt. Der Lokführer und die zwei Maschinisten wurden leicht verletzt, die 200 Fahrgäste kamen mit dem Schrecken davon. In Teilen Siziliens stehen Felder unter Wasser. Andernorts schießen Flüsse durch die Straßen. Italien hat in diesem Jahr nicht das große Los gezogen. Meine Entscheidung, an diese Küste auszuweichen, war richtig.











                                                                                                              Um in den Frühstücksraum zu kommen, muss man über die Außenterrasse gehen und ich mache noch einen Abstecher an den Strand. Waaah. Ist das schön hier.














                                                                                                              Nach dem Essen gestern bin ich auf das Frühstück gespannt. Eine leise Hoffnung keimt in mir, dass es hier auch Brot geben könnte. Das Frühstücksbuffet übertrifft alle meine Erwartungen. Sogar Vollkornbrötchen gibt es. Ein Jammer, dass ich nicht so viel essen kann. Der Kellner begrüßt mich lächelnd und linst kumpelhaft, was ich für eine Kamera habe. Ich versuche es, ihm zu erklären. Italienisch müsste man sprechen können.





                                                                                                              Zur Feier des Tages gönne ich mir einen Kakao. Ich erhalte eine ganze Kanne und kann es nicht fassen. In Italien weiß man, was Kakao ist. Es ist echter Kakao und er ist mit nur wenig Zucker angerührt. Nicht diese unerträglich süßen Fertigmischungen, die fast überall Standard sind. Ich esse Vollkornmüsli, zwei Vollkornbrötchen mit Käse und ein paar Erdbeeren. Als ich gehe, winkt mir der Kellner zum Abschied zu und ich bin gerührt. Es ist schön, wenn man den Menschen hinter einer Funktion sehen darf. Der Abschied fällt mir ungewohnt schwer. Im Sommer werden die Gäste auf der Terrasse frühstücken. Es muss idyllisch sein.





                                                                                                              An der Rezeption ist eine andere Dame als gestern und sie fragt, wo es heute hingeht. Ich zeige ihr die Küstenroute und sie nickt anerkennend. Ich frage sie, ob es sich lohnt, auf den Berg zu laufen und sie zieht diplomatisch die Schultern hoch. Steil, Serpentinen, viele Autos und man sieht nichts von der Landschaft. Ich frage nach dem gestern gefundenen Hotel. Es ist am höchsten Punkt von San Felice, erzählt sie. Die Straßen am Mt. Circeo sind alle Sackgassen. Es gibt keine Verbindung um den den Berg herum. Er fällt direkt ins Meer. „Wie Cinque Terre“, sage ich. Sie nickt anerkennend. Die Hotels in San Felice sind teuer, warnt sie. Lachend meint sie, ich dürfe gerne heute abend wiederkommen. Wie gerne ich das würde. Aber mit dem Roller ist das eben einfach zu weit. Wir verabschieden uns sehr herzlich.

                                                                                                              Als ich meinen Roller die Einfahrt hochschiebe, bin ich wirklich ein wenig traurig. Oasi di Kufra. Das erste Hotel, das mir wirklich gefallen hat. Das hier war wirklich eine Oase.





                                                                                                              Die Straße ist menschenleer. Ein paar Autos fahren in der Ferne und Radfahrer im Renndress sind unterwegs. Es ist Samstag. Was für ein Tag.





                                                                                                              In den Dünen sehe ich eine Kakteenpflanze. So etwas findet man in unseren Dünen nicht. Wie hieß sie denn gleich? Ich hatte sie sogar mal eine davon als Zimmerpflanze. Agave. Aber es sind keine Kakteen, sondern sie gehören zu den Spargelpflanzen. Man lernt nie aus. Sabaudia liegt in der Sonne, man kann die Häuserspitzen und Türme sehen. Wasservögel fliegen in Schwärmen am Himmel entlang. Was Sonne doch ausmacht. Die Landschaft ist plötzlich voller Leben.





                                                                                                              Ich komme nicht so richtig voran, denn ich trödele. Links sind Privathäuser, die in überbordenden Gärten versteckt sind und am Wegesrand findet sich Natur. Es sind so gut wie keine Autos unterwegs und ich fühle mich, als sei ich alleine. Immer wieder habe ich das Bedürfnis, die Straße zu fotografieren. Der Berg fasziniert mich ungemein und ihm immer ein kleines Stück näher zu kommen, ist ein Erlebnis.





                                                                                                              Ich bin in einsam-friedlicher Stimmung, nachdem ich mich mehrere Minuten völlig ungestört in Blümchenfotos vertieft hatte. Aus meiner Träumerei werde ich erst gerissen, als mir ein Mann mit Hund entgegenkommt, der in der Nähe sein Auto geparkt hat. Ich mache noch ein Fotos, dann packe ich die Kamera ein und beschließe, jetzt etwas Strecke zu machen. Ich mache ein paar Tritte, als ich jäh durch Zivilisationsgeräusche aufgeschreckt werden. Ein schnell fahrender Transporter nähert sich von hinten, man hört es am Motorengeräusch. Ich hasse dieses Geräuch, das muss doch am Wochenende in dieser ruhigen Atmosphäre nicht sein. Es ist das Geräusch der Großstadt mit ihren ständig am Limit fahrenden Paketdiensten. Die Bestellung im Internet lässt grüßen.

                                                                                                              Als ich im Ohrenwinkel höre, dass der Transporter auch noch recht nahe an mich heranfährt, bekomme ich einen kurzen Aggressionsschub, den ich im Urlaub eigentlich überwunden glaubte. Der Transporter bremst ab, stellt sich schräg vor mich und ich sehe in das runde Gesicht eines jungen Italieners. Was soll das? Er greift mit einer langsamen Bewegung neben sich und greift auf den Beifahrersitz. Die Hand kommt zurück –- und hält meinen Personalausweis in der Hand. Für einen Moment bleibt mein Herz stehen. Ferngesteuert ergreife ich den Personalausweis, und schaue ihn mit großen Augen an: „Oh God. Thank you“. Dass er das vielleicht gar nicht versteht, fällt mir erst hinterher ein. Er schaut in den Rückspiegel, und man sieht, dass er sich über diese gelungene Überraschung freut. Lässig schlägt er den Lenker ein, wendet und braust davon.
                                                                                                              Ich bin so perplex, dass ich erst dann ein Foto mache, als er schon fast am Horizont verschwunden ist. Das Hotel. Normalerweise hatte ich den Personalausweis beim Verlassen des Hotels immer zurückgefordert. Gestern hatte ich es vergessen und heute morgen hat durch das Gespräch auch niemand mehr daran gedacht. Das Hotel. Die wussten, wo ich bin. Alle anderen hätten mich niemals gefunden. Es hat alles gepasst. Ich mochte die und die mochten mich. Danke für alles.





                                                                                                              Auf der linken Seite tauchen nun die ersten Campingplätze auf. Im Sommer muss das ein Traum sein. Man geht über die Straße und befindet sich direkt am Meer. Es wäre interessant zu wissen, wie voll es hier in der Hochsaison ist. Die Bettenburgen stehen an der Adria. Echtes Remmidemmi gibt es hier auch nicht. Es müssen schon Naturliebhaber sein.

                                                                                                              Gleichzeitig wird mir aber auch deutlich, dass zumindest im Küstenbereich (in den Bergen mag es ja anders sein) die deutsche und die italienische Definition von Naturschutzgebieten und Naturnähe weit auseinanderzugehen scheinen. Naturschutzgebiet in Italien heißt bisher: Müllfreie Zone. Oder anders ausgedrückt: Dörfliche Region ohne Müll an den Straßen und im Gebüsch. Mit romantischer Naturnähe, echter Abgeschiedenheit oder Angeboten für nichtmotorisierte Outdoorer, speziell Weitwanderer, hat das hier bisher absolut nichts zu tun. Das Gebiet ist vor allem für Angler, Radrennfahrer und Badegäste optimiert. Die Wanderwege sind auf Tageswanderer mit Auto abgestellt und keinesfalls extra ausgewiesen oder für Wanderer angelegt. Es sind traditionelle Wirtschaftspfade, die Dörfer, Häuser und Kirchen miteinander verbinden. Auch das Pilgerwesen steckt ja noch völlig in den Anfängen und erst ganz langsam erkennt man die touristische Bedeutung von Fernwanderwegen, da die Nachfrage aus dem Ausland ansteigt. Erheblich naturnäher hatte ich mir das ganze Gebiet hier schon vorgestellt. Aber so etwas weiß man letztlich nur, wenn man einmal da war und es mit eigenen Augen gesehen hat.

                                                                                                              Die Sonne hinterlässt am Mt. Circeo Streifen und fasziniert versuche ich, das Licht zu fotografieren. Die Seen von Sabaudia liegen ruhig in der Ferne und sehen heute nicht mehr so trostlos aus. Eine Villa steht direkt am Meer. Ein Traum. So würde ich auch gerne wohnen.








                                                                                                              Der Autoverkehr nimmt langsam zu. Es ist jetzt 10.00 Uhr. Die meisten wollen zum Angeln. Ein fröhlicher Trupp Radfahrer winkt mir zu und ich winke lachend zurück. Auf dem Wasser zeigen sich wieder Nordlichter. Ein paar Männer parken an der Straße und ziehen sich ihre Neoprensachen an. Der eine pinkelt gerade offen am Straßenrand, ein anderer hüpft nackt auf der Straße herum, weil er seine Hose nicht anbekommt. Ich muss lachen und die Kumpels von denen auch. Schade, dass ich keinen Spruch ablassen kann.

                                                                                                              Der Torre Paola kommt nun in mein Blickfeld. Insgesamt weist das Gebiet rund um den Berg 6 Türme auf. Klick. Auf dem Berg sieht man Sendemasten.








                                                                                                              In der Kurve stehen die Angler. Es gibt einen großen Parkplatz. Der Kanal heißt Canale Romano. Gerne würde ich meinen Roller irgendwo hinstellen und mich an dem Turm ein wenig umschauen. Die Beschaffenheit der Wanderwege überprüfen. Das ist der einzige Nachteil des Alleinreisens. Man kann niemanden mal kurz bitten, auf die Sachen aufzupassen. Nicht, dass ich glaube, dass hier etwas passiert wäre. Aber ich habe dann nicht so die Ruhe, mir richtig die Gegend anzuschauen.














                                                                                                              Auf mich wartet nun eine idyllische kleine Straße am Fuße des Berges.





                                                                                                              Der Mann in Anzio hatte Recht. Hier ist es wunderschön. Links und rechts der Straße ist es urwaldartig. Später sehe ich auf der rechten Seite einen breiten, etwas schlammigen Weg, doch bin ich mir nicht sicher, ob er nicht nur zu den Feldern führt, die am Fuße des Berges liegen. Wanderwegweiser gibt es hier nicht. Im Gegensatz zu dem Wald von gestern sind die Bäume teilweise belaubt.











                                                                                                              Ein Hoftor kommt und dahinter liegen Hunde in der Sonne. Mir ist völlig klar, was jetzt kommt und es macht mir Spaß. Irgendwann sieht mich der erste. Dann kommt der Zweite und schließlich stehen alle am Tor und regen sich auf. Ich fahre weiter und sie toben kläffend über das Grundstück, als wäre eine Invasion von Feinden vor der Tür. Ein Pferd steht am Ende der Wiese und frisst. Pferde sind Fluchttiere, aber selbst als die Hunde aufgeregt ins Heu springen, lässt sich das Pferd nicht aus der Ruhe bringen. Anscheinend kennt es das schon. Es ist schreiend komisch. Irgendwann erlahmt der Ehrgeiz der Hunde und sie laufen wieder zurück. Nur ein kleiner Hund hat einen neuen Platz gefunden.








                                                                                                              An der rechten Seite sieht man nun den einen oder anderen verstecken Hof. Der Nationalpark wurde 1934 gegründet und ich vermute, dass die damals schon dort lebende Bevölkerung bleiben durfte.











                                                                                                              Bald bin ich am Ortseingang von San Felice. Das ging schneller, als ich dachte. 2 Stunden habe ich für die Strecke gebraucht. Es ist jetzt halb 12.00 Uhr. Ein Schilderbaum steht an einer Straße und weist auf die kurvenreiche Straße auf den Berg hin. Hinter den Schildern beginnt ein Fahrradweg. Kurz überlege ich, die Bergstrecke zu nehmen, aber gerade fährt ein junger, sportlicher Fahrer den Berg hinauf. Ich rollere auf den Fahrradweg zu und muss mich kurz mit zwei Wanderinnen von Anfang zwanzig abstimmen, die mir entgegenkommen. Ich rollere ein kurzes Stück und dann halte ich an. Wanderinnen? Es ist das erste Mal, dass mir hier in Italien Menschen mit einem Wanderrucksack begegnen. Ich halte inne und drehe mich um. Aha. Sie wollen die Bergstraße hoch. Vermutlich sind dort irgendwo Wanderpfade. Ach, ich probiere es einfach. Am linken Straßenrand, ganz vorsichtig so weit links wie möglich gehend, schiebe ich den Roller die Straße hoch. Anfangs habe ich Grünstreifen, später nicht mehr. Vor allem die Serpentinen sind knapp bemessen und die Autos fahren zügig und nahe am Rand. Ungefährlich ist das nicht.

                                                                                                              Ein Trupp Radler zieht an mir vorbei, aber kurz vor der Kurve fährt einer wieder zurück. Schnell sehe ich, warum. Die Damen der Gruppe sind langsamer. Aber tapfer. Sie sind nur ein wenig schneller als ich und ein geübter Wanderer würde sie überholen. Aber sie geben nicht auf. Wir lachen uns zu und feuern uns gegenseitig an. Sicht hat man keine, auch wenn man durch die Bäume ab und zu das Tal sehen kann.





                                                                                                              Und ein paar Häuser tauchen auf. Und endlich auch wieder der Blick auf das Meer.

















                                                                                                              Eine Kreuzung kommt, und ich halte mich rechts. Kurz darauf bin ich in einem verwunschenen und auch leicht französisch wirkenden Dorfkern mit einem Kiosk und einem Alimentari. Die Atmosphäre ist besonders. Familiär und harmonisch. Hier könnte ich mir vorstellen, zu bleiben, um die Umgebung zu Fuß erkunden zu können, doch das Hotel an der Straße und die Hotels in der Nähe sind geschlossen. Ein reiner Sommertourismus.
                                                                                                              Ich kaufe in dem kleinen Geschäft Brötchen und Wasser. Dann denke ich nach. Ich habe jetzt die Möglichkeit, den Roller bis oben auf den Mt. Circeo zu schieben, in der Hoffnung, oben einen Aussichtspunkt zu finden. Oder zu den Grotten zu rollern. Dort ist auch der „Faro“. Und „Faro“ ist immer gut.
                                                                                                              Ein junges Mädchen steht im Laden und ich frage sie, ob sie Englisch spricht. Ein ganz kleines bisschen, aber sie traut sich nicht richtig. Ich überlasse ihr die Entscheidung und sie sagt, sie würde die Grotten nehmen. Sie sind wie Viadukte. Also dann die Grotten.





                                                                                                              Ob die Entscheidung richtig ist, kann ich nicht beurteilen. Immerhin habe ich Sicht auf das Meer. Erst geht es durch ein Waldstück steil bergan, dann am Felsen entlang mit Blick auf die Bucht und den Hafen, dann steil zwischen Häusern wieder ins Tal.




















                                                                                                              Die Abfahrt ins Tal macht Spaß, obwohl ich weiß, dass ich nachher wieder hinauf muss. In der Ferne liegen die drei Inseln, die mich seit Lido di Latina begleiten. Als ich am Leuchtturm ankomme, bin ich mir nicht sicher, ob er noch aktiv ist oder zum gleichnamigen Hotel gehört. Das Hotel ist nur in den Sommermonaten geöffnet.

                                                                                                              Die Straße würde noch weiterführen, in den Ortsteil Punta Rossa, aber ich kehre um. Wo es zu den Grotten gehen soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Schilder gibt es hier nicht.

                                                                                                              Als ich zurückschiebe, sehe ich eine Seitenstraße. Ein Auto kommt gerade heraus und ich frage, ob es hier zu den Grotten geht. Der Mann nickt. Wieder geht es etwas bergab und ich brettere mit dem Roller über eine Schotterpiste mit Wasserpfützen. Mit dem Fahrad würde ich hier ins Schlingern kommen, aber der Roller liegt ganz anders auf der Straße. Ein Genuss.

                                                                                                              Ein kleiner dunkler Zugang zum Wasser taucht auf, aber die Grotten müssten etwas weiter hinten sein. Dann ein Parkplatz. Die Grotten sind unter mir. Ich lehne den Roller an das Schild und gehe sehr tiefe, anstrengend zu laufende Treppen herunter. Auf der nächsten Ebene erwartet mich eine Sitzgelegenheit. Hier könnte man wunderbar sein Zelt aufschlagen, wenn es nicht verboten wäre. Eine kleine Feuerstelle ist auch da. Ein Weg führt von diesem Ort weiter zu den Grotten und ich würde gerne absteigen und sie anschauen. Aber was ist mit dem Roller? Zu zweit müsste man sein. Abladen und die Sachen hier hinunterschleppen? Einen Blick auf die Grotten werfen und dann alles wieder hochschleppen? Zelten? Auch auf die Gefahr hin, dass das Wetter umschlägt? Oder sich heute abend hier Leute treffen?





                                                                                                              Ich entscheide, dass es gut ist. Ich bin müde und der Weg zurück ist weit. Ich werde auch ohne Grotten glücklich werden. Lieber im Tal übernachten, wo man im Fall der Fälle auch wieder weg kommt. Wer weiß, wann die Schlechtwetterfront kommt, es ist schon so lange gut gegangen.
                                                                                                              Erneut brettere ich über die Schotterpiste und dann fängt schieben, schieben, schieben an. Ein Schild taucht auf. Der Pfad zum Torre Fico beginnt hier. Es ist ein kleiner, sehr enger Pfad. Nein, diese Pfade sind für einen Roller nicht geeignet.





                                                                                                              Von der Seeseite her zieht Bewölkung auf. Die Sonne trübt sich ein. Schlägt das Wetter um? Ja und Nein, denn glücklicherweise wird es letztlich vorbeiziehen. Aber diese Wetterboten können am Meer auch innerhalb von wenigen Minuten aus einer gemütlichen Wattwanderung eine lebensgefährliche Überlebensaktion machen. Instinktiv spute ich mich. Schließlich war die Schlechtwetterfront angesagt. Es ist nicht gesagt, dass ich Glück habe. Als ich mich der Buch nähere, ist das Wetter zweigeteilt. Im Sonnenschein liegen San Felice und Terracina zu meinen Füßen, während oben am Berg die Bewölkung zu nimmt. Auch wenn die Bilder der Bucht schon zu sehen waren: Der Anblick von Bucht und Bergen ist einfach zu schön. Postkartenkitsch, kein Zweifel.














                                                                                                              Ob das Unwetter in Richtung Sabaudia weiter zieht, kann ich nicht beurteilen. Als ich den kleinen Dorfkern auf der Höhe erreiche, ist das Wetter wieder besser. Es ist gerade 14.00 Uhr und Mittagspause. Der Eingang zu einem Gebäude entpuppt sich als Zugang zu einem Turm der Tempelritter und einem ehemaliger Palast von Lucrezia Borgia und Prinz Poniatowski. Besichtigen tue ich die Gebäude nicht, aber von unten wird man später die Anlage deutlich sehen. Dagegen steige ich über eine kleine Nebenstraße, die mir das Navi gezeigt hat, ins Tal ab. Das ist mit bepacktem Roller weniger einfach, als es aussieht. Hier wirkt sich wieder das fehlende Gewicht auf dem Hinterrad aus und ich muss gut bremsen. Hinunterfahren sieht mir zu gefährlich aus.








                                                                                                              Wieder hatte ich mir auf einer Hotelbuchungswebsite Hotels abgespeichert und ich beeile mich, ein Bett zu finden. Es ist jetzt kurz nach halb drei. Noch immer sieht der Himmel bedrohlich aus und ich spute mich. Der Wind hat stark aufgefrischt. Schön für den Wellengang, aber anstrengend zu rollern.





                                                                                                              Das erste Hotel aus der Liste ist ein Hochhaus und ich bringe es nicht fertig, es in die Wahl zu ziehen. So rollere ich nun direkt an der Promenade entlang, am Torre Vittoria vorbei und sehe auch ein Hotel neben dem anderen. Geschlossen. Campingplätze. Geschlossen. An Wildcampen brauche ich hier gar nicht zu denken. Hier ist kein Naturschutzgebiet mehr und alles ist Privatbesitz und gesichert. Irgendwann stehe ich da und weiß nicht weiter. Eine Dame an der Straße erbarmt sich und fragt auf Englisch, ob ich Hilfe brauche. Ich suche ein Hotel. Sie sagt mir ein kleines Hotel, das eigentlich geöffnet haben müsste. Sonst bleibt nur das Hochhaus.

                                                                                                              Ich bedanke mich herzlich und rollere in Richtung kleines Hotel. Das Hotel ist wirklich nett. Aber niemand ist da. An der Tür hängt ein vergilbter Zettel auf Italienisch, dass irgendetwas um 16.00 Uhr passiert, aber Autos stehen hier nicht. Das ist immer ein schlechtes Zeichen. Ich warte, bis es 16.00 Uhr ist, dann gebe ich auf. An der Promenade ist Einbahnstraße, aber das ist mir egal. Das Hochaus ist nicht weit. Ein Trupp Radfahrerinnen kommt mir entgegen: Es sind meine Bekannten von der Steigung heute morgen. Mit einem große Hallo begrüßen wir uns, lachen und winken uns zu. Wir haben es geschafft. Wir sind die Größten. Es sind diese Moment, die das Leben lebenswert machen.

                                                                                                              Als ich das Hochhaus betrete, weiß ich, dass ich es nicht leiden kann. Dunkelbraune Inneneinrichtung. Gediegen, meinetwegen. Aber ich bekomme in solchen Hotels Platzangst. An der Rezeption ist niemand zu sehen. Nach drei Minuten drücke ich auf den Klingelknopf. Eine Dame kommt erschrocken aus dem Nebenraum. Nein, wir haben geschlossen. Im Winter ist nicht geöffnet. Na fein. Ich frage nach einem Hotel, das geöffnet ist. Sie sagt mir eins. Das hat garantiert immer auf.

                                                                                                              Ich bin froh, dass ich hier nicht übernachten muss und rollere auf die Straße. Diesmal halte ich mich an die Einbahnstraßenregelung und es ist wenig Verkehr. Das Rollern macht Spaß. Das Hotel ist Richtung Hafen und als ich schon denke, dass ich falsch bin, sehe ich es. Ein nobler Schuppen, Vier Sterne. Teuer. Egal. Ich bin müde. An das Hotel in Sabaudia kommt sowieso kein Hotel heran. Ach ja, Sabaudia. Mit einem Fahrrad wäre ich in zwanzig Minuten da. Es ist, wie es ist.

                                                                                                              Das Hotel wirkt etwas verstaubt und könnte in Hamburg stehen. Zielgruppe: Betuchte Hanseaten. Golfspielende Silverager mit beigefarbenem V-Ausschnitt-Pulli auf Oberhemd. Die Frauen ein Tuch von Hermes. Herbstfarben. Oder Segler. Holzvertäfeltes Boot, holzvertäfeltes Büro. Antike Möbel. Der Yachthafen ist um die Ecke.
                                                                                                              Das Zimmer kostet 90,00 Euro. Das ist nicht wenig, aber ich habe jetzt keine Lust, noch weiter zu suchen. Dann kann ich gleich nach Terracina fahren. Meine letzte Etappe. Am Ende der Bucht. Ich darf gar nicht daran denken. Danach komme ich an der Küste nicht mehr weiter. Schnellstraßen kann ich nicht rollern. Aber die Tour nach Terracina wollte ich mir für morgen aufheben.

                                                                                                              Ich gebe meinen Pass ab und fordere ihn gleich wieder zurück. Dann beziehe ich das Zimmer. Nicht mein Stil, aber die Zielgruppe wird zufrieden sein. Geräumig ist es. Der Blick auf das Zimmerschild zeigt, dass das Zimmer im Sommer 350,00 Euro kostet. 175,00 pro Person. Ich bin sprachlos. Ich meine, dafür bekommt man ein Zelt. Wer gibt soviel Geld für ein Bett aus? Es gibt in Italien Menschen mit Geld. Kein Zweifel. Und dann mache ich die Balkontür auf.






                                                                                                              Das ist ein Argument. Wenn man das Geld hat. Nicht jeder braucht ein Zelt.





                                                                                                              Ich speichere den Track ab. 27,8 km. Anstieg 347 m. Maximale Höhe 146 m. Enttäuschend. Sammy wird behaupten, der Mt. Circeo ist ein Deich.

                                                                                                              Als ich die Außenanlagen des Hotels betrete, ist das schon beeindruckend.





                                                                                                              Die Einsamkeit von Sabaudia hat mir besser gefallen. Sie liegt meinem Wesen näher. Aber so etwas hier einmal gesehen zu haben, ist auch nicht schlecht. Bisher kannte ich das nur von Urlaubspostkarten oder von Hotelkatalogbildern.

                                                                                                              Ich laufe zum Hafen. Unbeobachtet bin ich nicht.





                                                                                                              Das Tief hat sich verzogen. Aber der Wind treibt das Wasser an die Kaimauer. Hoch spritzt die Gischt. Menschen gehen spazieren. Ein Geschäft mit Schiffsbedarf hat geöffnet. Im Schaufenster steht ein Klapprad. Und dann hat mich die Faszination für das Meer wieder. Die Wellen und das Meer.





                                                                                                              An der Kaimauer entlang zu gehen, ist verboten. Ich halte mich grundsätzlich an Verbote. Woher der plötzliche Moment der Schwäche kommt, weiß ich nicht. Ungefähr 80 Fotos werde ich machen. Von 2-3 unterschiedlichen Motiven. Manchmal ist man einfach bekloppt. Der Turm ist übrigens der Torre Fico, dessen Wanderweg ich vorhin gesehen habe.














                                                                                                              Es geht um die Wellen. Je höher, desto besser.











                                                                                                              Von der vorderen Kante ziehe ich mich aber schnell zurück. Das ist zu gefährlich. Erwischt einen eine Welle, die zu hoch kommt, wird man schneller, als man denkt, von ihr ins Wasser gezogen. Das überlebt man nicht.

                                                                                                              Nun ist wieder der Turm dran. Schöner Kitsch. Das kann man sich nicht entgehen lassen.








                                                                                                              Etwas Abwechslung gefällig? Auf der anderen Seite der Hügel und die Felsspitze von Terracina. Und dann ein bisschen Fels.








                                                                                                              Dann geht es wieder um Wellen. Je höher, desto besser. Gerne auch mit Abendrot.








                                                                                                              Eine Yacht mit eingezogenem Segel kurvt durch den Hafen. Als sich der Segler dem Ende der Mole nähert, schaue ich gebannt hinaus. Will er wirklich hinausfahren? Aber er dreht sich nur ein paar Mal im Kreis und fährt dann wieder hinein. Besser so.








                                                                                                              Ich gehe zum Hotel zurück und reduziere meine Vorräte. Noch habe ich Käse im Rucksack, aber langsam geht er zur Neige.


                                                                                                              Gegen 20.00 Uhr mache ich mich wieder auf den Weg an den Hafen. An der Promenade gibt es edle und teure Geschäfte. Und sicherlich teure Restaurants. Die Bar - Restaurant - Pizzeria, in der ich heute nachmittag eine Familienfeier gesehen hatte, gefiel mir. Sie wirkte bodenständig. Es ist ein Familienbetrieb.
                                                                                                              Neugierig schaut man mich an, als ich näher trete. Als ich frage, ob geöffnet ist, wird sofort bejaht und mir die Tür aufgehalten. Ein herzlicher Empfang. Ich bekomme eine englische Speisekarte in die Hand gedrückt, bitte aber zusätzlich um eine italienische. Das ist einfacher.

                                                                                                              Ich wähle einen Salat und Pizza. Der Salat ist frisch und schmeckt köstlich. Die Pizza ist vegetarisch und mit ziemlich viel Käse belegt, vermutlich, damit man satt wird, wenn kein Fleisch dabei ist. Dennoch ist sie sehr gut. Immer wieder geht die Tür auf, weil irgendjemand irgendetwas zu tun hat, und ich versuche die Familienmitglieder zu identifizieren. Die alte Dame sollte die Oma sein. Dann gibt es einen älteren Mann, vermutlich der Sohn. Dessen Sohn wiederum ist auch im Betrieb und die Tochter oder Schwiegertochter und ihr Ehemann sind auch dabei. Die nächste Generation ist auch schon auf der Welt. Die junge Frau bedient und kümmert sich zwischendrin wie selbstverständlich um ihren Sohn. Er lernt gerade laufen und sie hält ihn an den Händen und lässt ihn durch das Restaurant hin- und hergehen. Der Junge lacht mich an. Ein süßer Kerl mit einem runden, erwachsen aussehenden Gesicht und Geheimratsecken. Bestimmt wird er später einmal Pizzabäcker. Ein Modell, das einengt, sicher. Aber auch soviel Halt und Sicherheit geben kann.

                                                                                                              Immer mehr Leute kommen in das Restaurant und man kennt sich. Wer kommt, gehört zur Familie. Keine aufgesetzte, professionelle Freundlichkeit, sondern ein ganz natürliches Miteinander. Es sind Familien mit ihren Kindern dabei und es fällt auf, wie entspannt auch die Familienmitglieder miteinander umgehen. Keine hyperaktiven oder quengeligen Kinder. Ein kleiner Junge spielt mit seiner Holzeisenbahn und besteht darauf, aus einem Weinglas Wasser zu trinken. Die Mutter gibt ihm das Glas und er trinkt, aber als sie es wegstellt, gibt es kein Geschrei. Die Mama bestimmt, basta. Auch ältere Kinder sind dabei und sie sind ganz stolz, mit den Erwachsenen am Tisch zu sitzen. Ich fühle mich wohl hier und bedauere, kein Italienisch sprechen zu können. Dass der Fernseher läuft, ist selbstverständlich.





                                                                                                              Langsam gehe ich zum Hotel zurück. Die Einsamkeit am Strand von gestern war der Höhepunkt dieser Reise. Aber auch das hier ist Italien. Man muss sich seine Neugier bewahren.


                                                                                                              Zuletzt geändert von Torres; 04.02.2014, 16:07.
                                                                                                              Oha.
                                                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                • 31757
                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                19.01.2014 Terracina

                                                                                                                31,1 km

                                                                                                                Die Wettervorhersage ist eingetroffen. Das Wetter ist umgeschlagen. Dieses Wetter hätte ich mir gestern für einen Ruhetag in Sabaudia gewünscht. Man hätte die Tage tauschen sollen.





                                                                                                                Es herrscht ein rauer Wind. Ich schätze ihn auf zwischen 25 und 30 Stundenkilometer, in Böen mehr.
                                                                                                                Das Frühstück ist italienisch und ich greife, da ich kein Brot mehr habe, zu überzuckertem Müsli mit Cornflakes. Der Kakao ist in Ordnung. Immerhin ist das schon recht ältliche Personal rührend bemüht und sogar der Ausdruck der Rechnung klappt.

                                                                                                                An der Promenade sieht alles tot und grau aus. Schön war der Ausblick an der Promenade schon gestern nicht, aber heute sieht alles noch viel trostloser aus. Der ganze Strandbereich ist für die Zeit der Sommermonate optimiert. Schön, dass ich mit dem Teil des Ortes am Hang auch noch eine andere Seite kennenlernen durfte.





                                                                                                                Der Wind weht den Sand auf die Straße, und ich muss einige Male ausweichen, wenn der Sand den Bürgersteig verdeckt. Die Brandung ist vom feinsten, aber mir graut vor der Strecke. Terracina ist vielleicht 8 km entfernt, aber ein Teil der Promenade ist eine in der Karte rot eingezeichnete Hauptverkehrsstraße. Ich wollte sie extra am Sonntag fahren, weil ich mir weniger Verkehr erhoffte. Aber bei dem Wind macht rollern an einer Hauptstraße einfach keinen Spaß, selbst wenn es einen Bürgersteig geben sollte.





                                                                                                                Mein Navi hatte im Fahrradmodus eine Alternativroute entfernt der Küste vorgeschlagen. Ich entscheide mich für diese Variante. Ein letzter Blick zurück auf den Mt. Circeo. Seit Anzio hatte ich ihn im Blick. Nun ist er in meinem Rücken. Ein merkwürdiges Gefühl.
                                                                                                                Ich quere die Straße, um nach links abzubiegen. Ein untersetzter Italiener mit rundlichem Gesicht spricht mich an. Wein aus Terracina. Er öffnet den Kofferraum. Er hat 5 Liter Behälter dabei. Ich schüttele den Kopf und zeige auf den Roller. Er macht ein bedauerndes Gesicht und fährt weiter. Ein Turm steht am Wegesrand. Rechts biege ich auf eine in der Karte gelb eingezeichnete Landstraße ein. Die Autos fahren schnell und nerven mich. Der Wind weht hier nicht so stark, aber merken tut man ihn trotzdem.





                                                                                                                Kurze Zeit später habe ich einen Begleiter. Ein schwarzer Hund, der frei herumläuft, begeistert sich für den Roller. Immer wieder schnüffelt er im Gebüsch, dann folgt er mir freudig und springt vor den Roller, als wolle er mit ihm spielen. Ich finde das gar nicht lustig, denn beim ersten Mal stürze ich fast. Dann werde ich vorsichtiger.

                                                                                                                Als ich wieder nach links abbiege, folgt er mir weiter. Nun springt er nicht mehr an den Roller, wechselt aber ständig die Straßenseite. Die meisten der wenigen Autos, die vorbeikommen, sind vorsichtig. Aber ein SUV Fahrer rast ohne Rücksicht die Straße entlang, und als der Hund gerade wieder herüberkommen will, ist es wirklich knapp. Jedes Mal bin ich kurz vor einem Herzkasper. An einem Flüsschen wächst Bambus.
                                                                                                                Als der Hund mit einer Hundedame flirtet, erhoffe ich mir, dass er nun anderweitig beschäftigt ist, aber das ist Wunschdenken. Wieder kommt eine Abzweigung und wieder folgt mir der Hund. Er ist schon ziemlich weit von seinem Ausgangspunkt entfernt, und ich entscheide mich, zum äußersten Mittel zu greifen. Ich sammele zwei Steinchen auf. Erst täusche ich an, aber das interessiert ihn nicht. Dann werfe ich ein Steinchen – weich, ich will ihm ja nicht wehtun - und treffe ihn. Er schaut mich ganz verwundert und nachdenklich an. Wieder werfe ich ein Steinchen, treffe ihn aber nicht. Er läuft ein Stück zurück und schnüffelt am Wegesrand herum. Ich fahre ein paar Meter weiter und drehe mich dann um. Er ist verschwunden. Ich werde ihn nicht mehr wiedersehen.





                                                                                                                An der nächsten Abzweigung ist tatsächlich ein Wegweiser. Vermutlich das Überbleibsel einer Sportveranstaltung. An einem Pfahl ist ein weißrote Markierung. Die erste Markierung, die ich bisher gesehen habe. Ippovia steht darauf. Ich habe den Verdacht, dass es eine Radwegmarkierung ist, tatsächlich bezeichnet der Begriff jedoch Reitwege.





                                                                                                                Ich fahre nun durch landwirtschaftliches Gebiet, man sieht die Felder und die Gewächshäuser. Ich habe Rückenwind und die Fahrt ist angenehm. Autos fahren hier nicht. Eine stark befahrene Straße kreuzt, dann bin ich wieder alleine. Die Landschaft ist abwechslungsreich und gefällt mir.








                                                                                                                Ich biege nun rechts ab und das bedeutet, dass ich von jetzt an mit dem Wind zu kämpfen habe. Der Mt. Circeo versinkt im Dunst. Er ist nur noch zu erahnen. Es ist, als würde die letzten Tage im Nichts versinken. Kurze Zeit später ist er völlig verschwunden.





                                                                                                                Der Wind ist unverändert stark, und ich nutze die Fotopausen, um Kraft zu schöpfen. Ein Motorroller kommt mir entgegen, der Fahrer in Ledermontur liegt förmlich auf dem Sitz, den Kopf in Höhe des Lenkers. Kurze Zeit später kommt er wieder zurückgedüst. Autos fahren hier keine. Ein Schild warnt vor einem unbefestigten Ufer. Leider kann ich nicht feststellen, wo es sein soll. Vielleicht ist der Bach neben der Straße gemeint. Zwei Radfahrer kommen mir entgegen. Es dürften Landarbeiter sein.





                                                                                                                Wieder kommt eine Abzweigung, und nun habe ich den Wind direkt von vorne. Auf dem Fahrrad ist das schon anstrengend, aber auf dem Roller noch anstrengender. Ich versuche, die Windstärke fotografisch festzuhalten, aber es gelingt mir nicht.





                                                                                                                Wieder ein Radfahrer. Ich bin hoffnungslos unterlegen. Das Schilf wiegt sich im Wind. Rechte Straßenseite: Nach rechts. Linke Straßenseite: Nach links. Die Landschaft wird bei Sonne oder im Sommer traumhaft sein. In der Ferne tauchen langsam die Berge von Terracina aus dem Dunst auf.











                                                                                                                Hinter einem Fluss führt die Via Appia entlang. Ein kurzes Stück muss ich ihr folgen, da sie die einzige Flussquerung darstellt. Zur mentalen Vorbereitung fotografiere ich Schnecken. Die Autos fahren sehr schnell und ich wende wieder meine ZurSeitespringen-Taktik an. Aber ein wenig fühle ich mich wie ein Hindernis in einem Computerspiel. Die Autofahrer am Joystick: Hindernis nicht gesehen, Puff, Neustart. Keine schöne Vorstellung.





                                                                                                                Als ich in den Seitenweg abbiegen kann, bin ich erleichert und froh.








                                                                                                                Und dann passiert etwas Unglaubliches. Ich stelle mich auf meinen Roller und langsam rollert der Roller bergauf. Waaah. Was für ein Gefühl. Rückenwind.

                                                                                                                Leider ist die Strecke nicht lang, und ich kämpfe wieder gegen den Wind. Die Straße ist jetzt weniger idyllisch, aber weiterhin menschenleer. Unter der Autobahn schaue ich auf die Berge, dann geht es rechts auf eine kleine Seitenstraße. Wieder sind Todesanzeigen plakatiert. Der Ort heißt La Fiora, man sieht es an der Bahnstation. Die Strecke ist stillgelegt. Die Recherche gestern abend hatte ergeben, dass Terracina keinen Bahnanschluss mehr hat. Busse übernehmen die Verbindung zum überregionalen Bahnverkehr.





                                                                                                                Nun beginnt ein Wegstück, das ich sehr genieße. Es ist vielleicht das schönste Teilstück dieser Tour. Es führt auf einer kleinen Straße in der Nähe der alten Bahntrasse entlang. Hier ist es windstill. Überall sind Olivenhaine. Auf den Grasflächen blühen Wildblumen. An einer Stelle ruft ein Esel, aber das Tier sehe ich nicht.





                                                                                                                Das Wetter verschlechtert sich zusehens. Am Wegesrand liegen abgeschnittene Zitronenbaumzweige und ich pflücke eine schon etwas weiche Zitrone. Ich reibe an ihr und sie riecht, als hätte ich meine Hände in einer Flasche Duftöl gebadet. Nur viel besser.
                                                                                                                Die Straße führt nun durch ein Wohngebiet. Es ist Sonntag und Familien besuchen Oma und Opa. Ein zahnloser Mann grinst mich an. Er fährt eines der dreirädrigen Autos, mit denen die Landschaftspflege erledigt wird. Der Bahnhof kommt in Sicht. An einer Wand hängen noch die Fahrpläne, aber die Tür ist geschlossen, und die Büros sind ausgeräumt. An der Eingangstür kleben Busfahrpläne.

                                                                                                                Geradeaus geht es in die historische Innenstadt, aber mein Navi lenkt mich nach rechts. Ich habe ein Hotel gespeichert, das am Meer liegt. Die Straße führt bergab und bald an einem Fluss entlang, der den Ort zerschneidet. Ein Obstgeschäft lockt. Andere Geschäfte sind geschlossen, es ist wieder Mittagspause. Ich werde von meinem Navi in Nebenstraßen gelenkt, entscheide mich aber für die intuitive Variante und stehe kurz darauf am Meer. Der Wind hat zugelegt und ich muss den Roller festhalten. Die Palmen flattern im Wind und erinnern mich an Bilder von Tropenstürmen. Ein richtiger Sturm ist es aber glücklicherweise nicht.





                                                                                                                Das eingespeicherte Hotel befindet sich Richtung San Felice und ist recht weit entfernt. Die Straße dahin ist viel befahren. Ich entscheide mich für die Gegenrichtung. Aber alles, was am Wege steht, ist geschlossen. Am Hafen finde ich eine geöffnete Bar. Ich decke mich mit Mineralwasser ein und frage die englisch sprechenden Männer, mit welchem Bus man hier zu einem Bahnhof kommt. Sie wissen es nicht. Aber sie wissen ein Hotel. Es ist in einer Nebenstraße.
                                                                                                                Zuerst finde ich es nicht und fahre zu weit, aber die Passanten, die ich frage, entdecken ein Schild. Ich bin froh, eine Unterkunft zu haben und checke ein. Es kostet 60,00 Euro. Der Roller kommt in die Tiefgarage. Die Dame an der Rezeption erklärt mir, dass der nächste Bahnhof in Monte San Biaggio ist. So weit ist das nicht, 8 km vielleicht. Da kann ich hinrollern. Ich bin erleichtert. Einen Tourentag habe ich also noch.

                                                                                                                Kaum habe ich das Zimmer bezogen, fängt es in Strömen an zu regnen. Ein gutes Timing. Meerblick habe ich hier leider nicht, aber ich sehe, wie sich die Palmen am Strand im Wind bewegen. Ich betrachte den Stadtplan und stelle fest, dass es in Terracina 18 Campingplätze gibt. Oder waren es nur 14? Dass sie geschlossen sind, versteht sich. 31,1 km bin ich heute gerollert und es hat Spaß gemacht. Die Strecke heute hätte sogar noch länger sein können. Ich bin in Form.

                                                                                                                Gegen halb Fünf hört es auf zu regnen und ich beschließe, mich ein wenig umzusehen. Ich habe Hunger. Meine Vorräte sind aufgebraucht.
                                                                                                                Ich rollere an den Hafen. Ein Tempel liegt auf dem Felsen und schaut Richtung Meer. Der Fuß des Felsens ist eine strategische Stelle, denn hier treffen die Berge, die ich die letzten Tage fotografiert haben, die Monti Ausoni, auf die Küste. Bei wikipedia erfahre ich, dass die Via Appia am Fuße des Felsens seit der Antike die beiden Seiten der Berge miteinander verbindet. Terracina wurde 329 v. Chr. auf dem Gebiet der volskischen Seestadt Anxur von den Römern errichtet. Weil es so strategisch wichtig war, erhielten seine Bewohner das römische Bürgerrecht. Die Via Appia führt seit 312 v. Chr. durch die Stadt. Die Straße ist also 2326 Jahre alt. Die Tempelanlage ist das Heiligtum des Jupiter Anxur.





                                                                                                                Ich rollere Richtung historische Altstadt. Ein runder Platz mit einer Kirche fällt mir auf. Sie ist sehr schlicht und die Malerei modern.





                                                                                                                In den Straßen staut sich der Verkehr. Die Mittagspause ist vorbei. Eine Kapelle steht an der Straße. Die Marienfigur wird bunt angestrahlt. Die Gläubigen sammeln sich zum Gottesdienst. Steil geht es nun einen schmale Einbahnstraße hinauf. Auch ein paar Kinder, die ihre Fahrräder schieben, brauchen Zeit, bis sie oben sind. Antike Mauern stehen herum. Die Ausgrabungen haben ein bewohntes Haus völlig isoliert. Einsam ragt es hervor. Etwas weiter befindet sich der Dom. Ich schließe den Roller ab und trete ein. Es ist kurz vor Beginn des Gottesdienstes, und ich fühle mich wie ein Räuber, als ich schnell zwei Fotos mache und dann wieder gehe.








                                                                                                                Inzwischen ist es dunkel geworden. Ich entscheide mich, die Treppe neben den Ausgrabungen hoch zu steigen. Ein Weihnachtsbaum liegt neben den antiken Säulen. Den Roller nehme ich mit. Es sind recht viele Treppen und ich erhoffe mir den Zugang zur oberen Kirche und vielleicht sogar zu dem Tempel. Aber es ist eine Sackgasse. Zwischen historischer Bausubstanz hängt Wäsche. Eine Familie kommt mir entgegen und schaut misstrauisch, bevor sie über einen Wiesenpfad in den hinteren Teil der Altstadt entschwindet. Auf der gegenüberliegenden Seite sehe ich eine Frau über eine hohe Treppe in ein Haus huschen. Aus dem Nichts taucht ein Mann auf und verschwindet in einem Seitengang. Eine Welt für sich.

                                                                                                                Ich finde am Ende einer Seitengasse einen Ausblick über die Stadt. Der Mt. Circeo ist schemenhaft zu sehen. Und doch weit weg.





                                                                                                                Mein Navi zeigt, dass die Tempelanlage an einer Straße liegt und weiter entfernt ist. Angesichts der Dunkelheit verzichte ich auf einen Besuch. Zum Rollern ist die Straße, die ich gekommen bin, zu steil, und ich schiebe ins Tal. Die Straßen sind voller Menschen, die durch die Straßen bummeln. Ich versuche ihnen aus dem Weg zu gehen und stelle mich an einen Mauer am Strand. Noch einmal das Meer sehen, bevor es morgen weiter geht.

                                                                                                                Über dem Meer ist Wetterleuchten, und ich versuche, es mit der Kamera einzufangen. Ich weiß, dass meine Kamera das nicht schafft und ein Stativ habe ich auch nicht dabei, aber man kann es ja mal versuchen. Damit die Kamera überhaupt auslöst, nehme ich an einer Straßenlaterne in der Ferne Maß und warte dann mit gedrücktem Auslöser auf das Leuchten. Meistens bin ich zu spät. Aber dann habe ich Glück. Mein Finger drückt ungewollt den Auslöser und es ist der richtige Moment, um zumindest einen kleinen Streifen auf die Karte zu bannen.





                                                                                                                Das Wetterleuchten zieht nun Richtung Hafen. Man sieht kleine Blitze. Ich entscheide mich, meinen Poncho aus dem Hotel zu holen.





                                                                                                                An einer Ecke ist ein Fischgeschäft und ich schaue hinein. Zwei Männer verlassen gerade das Geschäft und besteigen Fahrräder, die Tüte voller frischem Fisch. In der Küche steht Küchenpersonal und eine Frau sieht mich und den Roller. Neugierig schauen sie aus dem Fenster. Anscheinend ist ein Restaurant angegliedert und ich überlege, ob ich dort gleich essen gehen soll. Zuerst schaue ich aber noch einmal am Hafen nach, ob es dort auch Restaurants gibt. Ich rollere Richtung Hafen. Einer der Männer, der eben Fisch gekauft hat, labert mich vom Fahrrad aus blöd an und auf so etwas habe ich im Moment keine Lust. Ich gebe Gas. Locker hänge ich ihn ab. Ohne Gegenwind bin ich schnell.

                                                                                                                Am Hafen findet sich auf die Schnelle kein Restaurant. Dafür sehe ich, dass die Tempelanlagen nachts erleuchtet sind. Die Bilder verwackeln leider. Die ersten Blitze sind am Himmel zu sehen. Schnell hole ich den Poncho aus dem Hotel. Ich gebe Gas, aber diesmal bin ich nicht schnell genug. Es blitzt und kracht und sturzflutartig entlädt sich der Himmel über Terracina. Das Wasser spritzt von oben und von unten. Cool. Das ist Regen, den ich liebe. Dennoch flitze ich zu dem Restaurant. Wieder sieht mich die Küche und man starrt mich fasziniert an. Wer mich nicht sieht, wird auf mich aufmerksam gemacht. Mit Poncho mache ich wohl erst richtig Eindruck. Ich klappe den Roller zusammen und packe ihn in den Gastraum. Er besteht aus einem Plastikzelt. Im Sommer sitzt man hier vermutlich im Freien.

                                                                                                                Ich bestelle das, worauf ich Hunger habe. Salat. Gemischtes Gemüse. Pasta mit Meeresfrüchten. Fischfilet. Mineralwasser. Es kostet mich 19,80 Euro, aber das ist es wert. Kellner gibt es nicht, sondern man bestellt mit Tablett am Tresen. Es gibt Plastiktabletts, Plastikteller, Plastikbecher, Plastikbesteck, Plastikstühle und Plastiktische. Sitze ich zuerst fast alleine da, füllt sich das Restaurant zusehend. Die meisten essen frittierten Tintenfisch, aber es gibt auch Türme aus gebratenen Fischen, die sehr lecker aussehen. In der Ecke singt ein Alleinunterhalter amerikanische Lieder. Der Fernseher läuft. Fußball. Alberto Tomba („Tomba la bomba“), ehemaliger Skirennläufer, dreimaliger Olympiasieger und Enfant terrible, wirbt vor einer traumhaften Schneekulisse. Schnee. Für was genau er wirbt, habe ich vergessen. Es könnten die Olympischen Spiele sein.

                                                                                                                Als ich gehe, drückt sich eine der jungen Küchenhelferinnen am Küchenfenster fast ihre Nase platt. Sie kichert, als ich sie bemerke und informiert die Traube Menschen hinter ihr, was man sehen kann, und was ich gerade tue, da ich den Roller nicht direkt vor dem Küchenfenster zusammenbauen kann. Ich komme mir vor, wie in einem Spielfilm der fünfziger Jahre. Stadtmensch trifft auf Landmensch. Lässig bringe ich den Roller in Position, rollere einen Halbkreis und gebe dann Gas in Richtung Hotel. Ich wette, das wurde Abendgespräch. Schön, wenn man Menschen eine Freude machen kann.


                                                                                                                Zuletzt geändert von Torres; 04.02.2014, 23:04.
                                                                                                                Oha.
                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                  Freak

                                                                                                                  Moderator
                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                  • 19.08.2009
                                                                                                                  • 14456
                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                  #57
                                                                                                                  AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                  Hah, diesen Berg der Circe bin ich annodazumal mit Absatzsandalen hoch gelaufen! Wir waren in Rom als Touristen unterwegs und es hat sich diesen Ausflug angeboten. Leider hatte ich kein passendes Schuhwerk (und sonst nur Sommerröcke dabei), aber ich wollte unbedingt mit hoch. Es gibt einen Pfad direkt durch den Wald/Gebüsch, ziemlich steil, bergauf ging das gut weil ich trittsicher und bergerfahren war, aber der Abstieg war die Hölle.....(und auch das letzte, was diese Sandalen je mitgemacht haben ). Fotos davon habe ich auch, analog , der Ausblick über das Meer war schon toll.

                                                                                                                  Ist aber schon interessant wieviele Tage Du bis dorthin gebraucht hast und wie anders sich die Distanz anfühlt, wenn man nur mit Muskelkraft unterwegs ist, an die Anfahrt von Rom kann ich mich ja gar nicht erinnern, so ereignislos und kurz war sie..
                                                                                                                  "Niemand hört den Ruf des Meeres oder der Berge, nur derjenige, der dem Meer oder den Bergen wesensverwandt ist" (O. Chambers)

                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                    Erfahren
                                                                                                                    • 10.12.2010
                                                                                                                    • 328
                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                    #58
                                                                                                                    AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                    Wow, was für ein Bericht!

                                                                                                                    Du hast einen interessanten Blick auf Kleinigkeiten und Wichtigkeiten des Lebens.

                                                                                                                    Danke!
                                                                                                                    http://bikibike.wordpress.com/

                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                      Freak

                                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                                      • 16.08.2008
                                                                                                                      • 31757
                                                                                                                      • Privat


                                                                                                                      #59
                                                                                                                      AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                      Zitat von Vegareve Beitrag anzeigen
                                                                                                                      Hah, diesen Berg der Circe bin ich annodazumal mit Absatzsandalen hoch gelaufen! Wir waren in Rom als Touristen unterwegs und es hat sich diesen Ausflug angeboten. Leider hatte ich kein passendes Schuhwerk (und sonst nur Sommerröcke dabei), aber ich wollte unbedingt mit hoch. Es gibt einen Pfad direkt durch den Wald/Gebüsch, ziemlich steil, bergauf ging das gut weil ich trittsicher und bergerfahren war, aber der Abstieg war die Hölle.....(und auch das letzte, was diese Sandalen je mitgemacht haben ). Fotos davon habe ich auch, analog , der Ausblick über das Meer war schon toll.

                                                                                                                      Ist aber schon interessant wieviele Tage Du bis dorthin gebraucht hast und wie anders sich die Distanz anfühlt, wenn man nur mit Muskelkraft unterwegs ist, an die Anfahrt von Rom kann ich mich ja gar nicht erinnern, so ereignislos und kurz war sie..
                                                                                                                      Oh, stell mal die Fotos ein. Würde mich interessieren!

                                                                                                                      Ja, dass man bergerfahren und trittsicher sein sollte, habe ich jetzt gelernt. Für mich wäre das auch ohne Roller nichts gewesen. 99 km ist er von Rom entfernt. Ca. eine Stunde mit dem Auto....


                                                                                                                      @Biki
                                                                                                                      Freut mich!
                                                                                                                      Oha.
                                                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                        • 14456
                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                                        Oh, stell mal die Fotos ein. Würde mich interessieren!
                                                                                                                        Wie gesagt, analog, leider. Wenn Du mal vorbei kommst, schauen wir dann Italien Bilder an .
                                                                                                                        "Niemand hört den Ruf des Meeres oder der Berge, nur derjenige, der dem Meer oder den Bergen wesensverwandt ist" (O. Chambers)

                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                          • 31757
                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                          20.01.2014 Monte San Biagio

                                                                                                                          13,3 km


                                                                                                                          Am Morgen stürmt es nicht mehr so stark und am Himmel zeigen sich kleine helle Abschnitte.





                                                                                                                          Im Fernsehen werden dramatische Bilder von Überschwemmungen in Italien gezeigt. Das Militär füllt Sandsäcke. Der verunglückte IC in Ligurien ist immer noch ein wichtiges Thema. Anscheinend ist es nicht möglich, ihn bei diesen Wetterbedingungen von den Gleisen zu entfernen. Die Hänge unter ihm sind ebenfalls instabil. Züge in Richtung französische Grenze müssen vermutlich über Turin geleitet werden und eine Region ist vom öffentlichen Nahverkehr ausgeschlossen.

                                                                                                                          Als ich Richtung Hafen rollere, ist es trocknen. Aber über dem Meer liegt ein bläulicher Streifen, der nichts Gutes verheißt.





                                                                                                                          Auch in der Nacht sind sintflutartige Regenfälle heruntergekommen, auf den Straßen stehen hohe Pfützen. Fischer sehe ich bei dem Wetter keine. Zum Abschied hätte das gut getan. Im Sommer wird es hier traumhaft sein. Heute wirkt alles trostlos. Vielleicht ganz gut. So fällt die Erkenntnis, dass der Urlaub bald zu Ende ist, nicht so schwer.





                                                                                                                          Ein breiter Strand taucht auf und ich genieße noch einmal das Flair und die Weite der Küste. Ein alter Mann parkt sein Dreiradgefährt am Straßenrand und läuft mühsam auf die andere Straßenseite. Diese Gefährte waren mir immer wieder auf den Landstraßen begegnet. Sie werden bei Gartenarbeiten oder in der Landwirtschaft eingesetzt und halsbrecherisch gefahren. Ape 50. Nun weiß ich auch den Namen. Ein Gedenkstein mit italienischer Flagge kommt in Sicht und an der Fahne sieht man den Wind. So schön bekommt man eine Fahne nicht immer fotografiert. Den Text verstehe ich nicht. Recherchen ergeben, dass es sich um ein Ehrenmal für einen 1942 gefallenen Leutnant und Scharfschützen Augstine Quartulli handelt, der im heutigen Kroatien gefallen ist. Das Denkmal wurde 2012 errichtet und wenn ich die maschinelle Übersetzung richtig verstanden habe, ist es Teil eines historischen Projektes, dass die Identität Terracinas stärken soll, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Schwierigkeiten zu überwinden.








                                                                                                                          Ein alter Mann kommt durch den Sand gestapft. Als er meinen Roller sieht, fragt er, woher ich sei. „Germania“, sage ich. Er lächelt. Auf Deutsch erzählt er, dass er in Deutschland gelebt hat, als er ein junger Mann war. Das war eine schöne Zeit. Er wünscht mir eine gute Weiterreise.

                                                                                                                          Ich komme nun an den strategisch wichtigen Engpunkt, den die Via Appia so bedeutend macht. Wissen tue ich davon nichts, aber es ist schon beeindruckend, wie wenig Platz hier ist. Zunächst sind auf der rechten Seite noch Häuser, dann geht die Straße über eine gemauerte Steinkonstruktion direkt am Meer entlang um die Felsen herum. Ob man hier wohl damals Felsen abgetragen hat, um die Straße zu bauen?





                                                                                                                          Ein kleiner Gewerbebetrieb befindet sich direkt am Meer, und ich fahre in die Einfahrt und genieße einmal wieder das Spiel der Wellen.








                                                                                                                          Ein Stück weiter ist ein kleiner Aussichtspunkt und hier ist das Wasser noch näher und wilder.














                                                                                                                          Erwähnte ich schon einmal, dass ich an derartigen Stellen stundenlang stehen könnte und dem Wasser zuschauen könnte?





                                                                                                                          Es fängt nun an zu nieseln und ich sehe das als Zeichen des Abschiedes. Eine enge, schmale Straße direkt am Meer liegt vor mir. Ein Schild warnt vor Steinschlag („caduta massi“).







                                                                                                                          Die Straße ist gerade frei und geht leicht bergab. Das trifft sich gut. Sie ist sehr schmal und hat keinen Seitenstreifen, an dem ich Autos ausweichen könnte. So wage ich es nicht, ein Foto zu machen. Aus dem Auto heraus, und vielleicht sogar mit dem Fahrrad, würde man vermutlich gar nicht merken, wie der Abschnitt beschaffen ist. Eine normale Straße nahe am Wasser, wie schön, würde man vermutlich sagen.
                                                                                                                          Mit dem Roller ist das ein ganz anderes Erlebnis. Wohl wissend, ein zu langsames und damit gefährliches Verkehrshindernis zu sein, rollt man mit vielleicht 3-4 km/h bei leichtem Gegenwind eine nasse, enge Straße entlang, die rechts nur durch einen alten Mauer-Stahlrohrzaun vom fast ebenerdig liegend wirkenden, unruhig schäumenden Wasser getrennt wird, das direkt neben einem am Fuß der leicht erhöht gebauten Straße tobt. Ich war noch nie besonders mutig und in dem Moment muss ich eine leichte aufkeimende Panik unterdrücken. Wäre das hier eine Fußgängerbrücke, wäre ich sicherlich Feuer und Flamme. Aber auf der vielbefahrenen Via Appia ist das schon Nervenkitzel.
                                                                                                                          Als die Hälfte geschafft ist, muss ich wieder treten und komme aufgrund des Windes kaum voran. Schneller als ein Fußgänger bin ich kaum. Tatsächlich kommen nun ein paar Autos. Aber sie fahren zu meiner Erleichterung human. Möglicherweise sind hier im Sommer Fußgänger und Radfahrer unterwegs und sie sind Hindernisse gewohnt. Und ich bin mit dem Poncho wohl auch kaum zu übersehen.


                                                                                                                          Der Regen wird nun erheblich stärker und fotografieren sinnlos. Der Küstenstreifen verbreitert sich wieder und es tauchen Sommeraufbauten auf. Ob es nun ein Campingplatz oder Strandinfrastruktur ist, erinnere ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich in einen Nebenweg abbiege, um der Straße aus dem Weg zu gehen und in einer Sackgasse lande.

                                                                                                                          Die Landstraße teilt sich und ich passe gut auf, dass ich nicht auf der Autobahn lande. Das Navi ist hier eine große Hilfe, ich muss es auch mal loben. Dann kommt wieder ein neuralgischer Punkt, und ich interpretiere Straßenschilder und Navi falsch. Ich denke, ich muss mich rechts halten, dabei führt der Rechtsabbieger auf der linken Spur unter der Brücke entlang. So lande ich auf einem Feldweg parallel zur Straße und nutze den Moment, etwas zu essen und ein paar Fotos zu machen.

                                                                                                                          Ich ordne mich wieder auf der Straße ein und groß warnt ein Schild langsame Verkehrsmittel, wie z.B. Fahrräder und Motorroller, geradeaus zu fahren und zwingt sie nach links. Geradeaus ist der Zubringer zur Autobahn. Ich rollere ganz nach links und biege ordnungsgemäß ab. Als ich die Autobahn quere, mache ich noch ein Bild von der Straße und den tiefhängenden Wolken an den Bergen. Die Sicht könnte besser sein.





                                                                                                                          Und dann ist Schluss mit lustig. Dieser Teil der Via Appia ist stark befahren. Mit ohrenbetäubendem Geräusch fahren die LKW ganz nahe an mir vorbei. Nicht unhöflich, keinesfalls. Aber die Straße ist zu eng und zu stark befahren, um richtig ausweichen zu können. Ich wechsele auf die linke Seite und stelle die Stirnlampe auf die höchste Stufe.





                                                                                                                          Wieder versuche ich mich im Seitenstreifen- und Einfahrthopping und das macht die Sache etwas erträglicher. Links und rechts der Straße sind nämlich Häuser und so bin ich jedenfalls etwas geschützt.





                                                                                                                          Irgendwann taucht ein See auf. Den Turm fotografiere ich nicht, aber ein Erinnerungsfoto ist der See wert. Er ist groß. Tagebau hat einem Felsen den Stempel aufgeprägt. Faszinierend und zerstörerisch zugleich.





                                                                                                                          Die Landschaft wird nun wieder bäuerlicher und im Sommer und ohne Verkehr wäre die Straße sicherlich sehr schön. Immerhin kommen die Autos nun wieder im Pulk und das macht die Fahrt angenehmer. In der Ferne zeigt sich ein heller Streifen und der Regen nimmt langsam ab.





                                                                                                                          Eisenbahngleise tauchen auf und ein Schnellzug verschwindet im Tunnel. Der Bahnhof Monte San Biagio existiert. Lange halte ich diese Straße nicht mehr aus. Aber das schlimmste Stück beginnt erst jetzt. Die Straße ist kurvenreich und an den Kurven ist es lebensgefährlich, an der linken Seite zu rollern. Seitenstreifen fehlen und wenn die Straße links abknickt, fahren die italienischen Autofahrer ganz nahe am Rand, um Kurvenschneidern aus dem Weg zu gehen. Mit mir rechnen sie nicht und die Ausweichsmanöver, die sie vor lauter Schreck fahren, sind bei Gegenverkehr für alle, auch mich, gefährlich. So wechsele ich erst ständig zwischen links und rechts hin und her und bleibe bald auf der rechten Seite. Das ist für alle Beteiligten einfacher. Als ich später bei ODS die Diskussion über den Unfall einer Gruppenkolonne lese, die auf der rechten Seite marschierend von einem Auto angefahren wurde, weiß ich, warum die Kolonne wie vorgeschrieben rechts unterwegs war. Auf ein langsames Fahrzeug rechts muss ein Autofahrer vorbereitet sein. Eine Kolonne in Gegenrichtung fährt zu gefährlichen Ausweichmanövern. Ein Ape demonstriert sehr schön, dass sich Autofahrer auch auf langsame Fahrzeuge einstellen können. Bei seinem Anblick wird mir warm ums Herz. Schade, dass er nicht hinter mir fährt.





                                                                                                                          Auf den letzten Metern bekomme ich Angst. Die Straße ist kurvig, schlecht einsehbar und die mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Autos gefährlich. Da es hügelig ist, muss ich schieben. Mehr als einmal dränge ich mich beim geringsten Geräusch mit dem Rücken an die Leitplanke. An einer Stelle klappe ich sogar den Lenker ein. Dass der Roller viel schmaler als ein Fahrrad ist, kommt mir hier zu gute. Die Angst bleibt. Nicht auf den letzten Metern noch ein Gedenkstein am Straßenrand werden.








                                                                                                                          Dann bin ich am Ort. Die Polizei bremst vor mir hart auf der anderen Straßenseite, aber sie ist an einem LKW hinter ihr interessiert. Der Regen hat aufgehört. Ich erhalte die originellste Fahrkarte meines Lebens, einen Vordruck mit zwei aufgeklebten Marken sowie einem handschriftlichen Vermerk. Ungefähr sieben Euro zahle ich für die Fahrkarte nach Neapel. Der Zug hat vierzig Minuten Verspätung.








                                                                                                                          Ich entledige mich am Bahnsteig meines Gepäcks auf einer Bank. Ein älterer Herr mit imposantem Bauch sucht das Gespräch, aber ich kann ja kein Italienisch. Er schenkt mir drei Bananen. Ein Mann von um die vierzig ist leicht genervt über die Verspätung. Wir kommen ins Gespräch. Er ist aus Nizza und spricht französisch, englisch und italienisch. Er hat seine geschiedene Frau und den Sohn in Terracina besucht und will jetzt in Neapel einkaufen. Neapel ist günstig. Vermutlich kauft er Anzüge. Heute morgen gab es in Italien ein kleines Erdbeben. Der Ätna ist auch wieder aktiv und im Umfeld des Vesuves gibt es schon seit längerer Zeit Veränderungen. Wir wünschen uns Glück. Später warnt er mich, mein Gepäck so offen da liegen zu lassen, wie ich es gerade tue. Ich nicke. Aber noch bin ich auf eine Großstadt nicht vorbereitet. Im Herzen stehe ich immer noch in Sabaudia am Meer.


                                                                                                                          Zuletzt geändert von Torres; 05.02.2014, 23:15.
                                                                                                                          Oha.
                                                                                                                          (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                            • 31757
                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                            20.-21.01.2014 Neapel und Vulcano Solfatara (Pozzuoli)


                                                                                                                            Mein Traum, den Vesuv zu besteigen, wird sich nicht erfüllen. Er war der Grund, die Strecke Richtung Neapel zu wählen und die letzten Tage der Reise Neapel vorzubehalten. Geplant hatte ich das schon vor der Reise. Aber das Wetter, das Italien in diesem Jahr schwer getroffen hat und noch trifft, macht auch vor dem Vesuv nicht halt. Als der Zug nach Neapel einfährt, ahne ich schon, dass ich verloren habe. Er ist kaum zu sehen.

                                                                                                                            Ortskenntnisse sind unbezahlbar und nach kurzer Zeit sitze ich in der Vorortbahn nach Mergellina. Am Vesuv hat ein Campingplatz geöffnet, aber mir fällt nicht ein, was ich bei dem Wetter dort machen soll. So checke ich im Hihostel Neapel ein – mit Blick auf den Vesuv und auf das Meer.





                                                                                                                            Manchmal.





                                                                                                                            Ich muss meine Vorräte auffüllen und quere die Hauptstraße. Zu meinem Erstaunen ist der Kulturschock geringer, als ich dachte. Ich bin erholt. In einer ruhigen Einkaufsstraße finde ich kleine Läden. Sogar norwegischen Fisch aller Art kann man hier seit über hundert Jahren kaufen. Und ich finde das Meer, hier, in Form der Bucht von Neapel. Sie ist gar nicht weit weg.





                                                                                                                            Und als wolle mir der Wettergott etwas Gutes tun, sind auch hier die Wellen hoch.





                                                                                                                            Am Ufer stehen Brandungsangler.








                                                                                                                            Ein kleiner Junge interessiert sich für meine Kamera, aber ich traue ihm nicht und schaue ihn scharf an. Behände hüpft er durch den Großstadtverkehr und verschwindet auf der anderen Straßenseite in einer Seitenstraße.





                                                                                                                            Langsam wird es dunkel und ich sehe eine kleine Bäckerei. Eine richtige Bäckerei. Er verkauft sogar Vollkornbrötchen mit Körnern. Am nächsten Tag wird er mich fragen, ob ich aus Deutschland bin. Die Deutschen essen diese Brötchen am liebsten.
                                                                                                                            In anderen kleinen Läden erwerbe ich frisches Gemüse, Wasser, Obst und Seife für das Hostel. Ich muss mit Kleingeld bezahlen, die Händler können nicht wechseln. Die Banken sind wie ein Sicherheitstrakt ausgestattet. An einer Ecke gibt es Pizza zum Mitnehmen, aber der Ofen ist noch nicht heiß. So esse ich im Restaurantteil im ersten Stock in einem menschenleeren, kühlen Raum eine Gemüsesuppe. Sie ist nahrhaft und schmeckt sehr würzig. Sollte das Fleischbrühe sein? Mein Verdacht erhärtet sich, als ich ein Stück Schweinefleisch aus der Haxe finde. Es schmeckt farblos.





                                                                                                                            Gegen 20.00 Uhr liege ich in den Schlafsack gekuschelt im Bett und schlafe sofort ein. 12 Stunden werde ich durchschlafen. Der Vesuv bleibt verschwunden.


                                                                                                                            -------------------------


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                                                                                                                            Ein Fernradler packt vor der Tür. Ich frage ihn, was er macht, denn er hat einen Anhänger dabei. Englisch spricht er nicht. Aber ich erfahre, dass er Matteo Blundo heißt und auf dem Weg nach Madagaskar ist, um mit der Reise den Bau einer Schule zu unterstützen. http://www.youtube.com/watch?v=J3p5Bw-AcW0 Er drückt mir Prospekte in die Hand und verteilt auch welche im Hostel. Die Frau am Empfang schaut genervt. Es sind inzwischen zu viele geworden, die auf Unterstützung hoffen. Ich erkläre ihm, dass ich mit 16 kg Gepäck gerollert bin und er kontert mit 200 kg. 200 kg. Ich bin sprachlos. Na dann viel Spaß. Immerhin ist es nicht seine erste Tour, er ist bereits zum Nordkap und nach Israel geradelt und scheint auch eine 1500 Meilen Wanderung absolviert zu haben.





                                                                                                                            Den Vesuv zu besuchen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Dann möchte ich jedenfalls die Phlegräischen Felder besichtigen. Man empfiehlt mir das Zentrum der Phlegräischen Felder, Pozzuoli. Bei wikipedia lese ich, dass sich hier im Laufe der Jahrhunderte - das letzte Mal in den 80iger Jahren des letzten Jahrhunderts - immer wieder der Boden gehoben und gesenkt hat. Laut einem Fernsehbericht hat man erst kürzlich entdeckt, dass es eine unterirdische Verbindung zum Vesuv gibt.
                                                                                                                            Die Solfatara sind heiße Quellen in einem erloschenen Vulkan, die schon in der Antike für ihre Heilwirkung bekannt waren und sogar von J.W. v. Goethe gezeichnet wurden. Gerne würde ich mit dem Roller nach Pozzuli rollern, aber der Weg ist zu weit und zu stark befahren. So steigen der Roller und ich in die Metro vor dem Hostel. Viel zu rollern gibt es nicht, denn im Grund geht es immer die Hauptstraße den Berg hoch. Es ist so einfach, dass ich es nicht gleich finde. Der Blick auf die Bucht ist wunderschön.

                                                                                                                            Der Vulkan kostet Eintritt und der Roller bleibt am Eingang. Einen geöffneten Campingplatz gibt es hier auch, und er sieht wirklich hübsch aus. Hätte ich das gewusst! Gäste gibt es keine.
                                                                                                                            Ein Wanderweg führt in das Innere und zunächst ist der Anblick der Fläche enttäuschend. Hell mit einer großen Wasserpfütze. Der Wanderweg gefällt mir besser.





                                                                                                                            Spannend wird die Sache erst, als ich näher trete. Aus der Ferne unsichtbar, steigen Dämpfe auf. Der Geruch ist gewöhnungsbedürftig. Faule Eier, mindestens. Der Dampf muss heiß sein, denn Holz verkohlt. Am Rande des Kraters stehen Häuser.








                                                                                                                            Die fiesen Gerüche hinterlassen fiese Farben. So richtig sehen kann man die Geruchsquelle nicht. Aber dort, wo etwas auftritt, werden die Bilder unscharf.














                                                                                                                            Ein paar Meter weiter dampft es. Immer wieder kommen schauerartige Regengüsse und verschlechtern die Sicht. An manchen Stellen kann man die Aktivitäten nur erahnen.








                                                                                                                            Als ich über eine der Erhebungen in der Mitte des Vulkans weiterlaufe, habe ich plötzlich das Gefühl, dass meine Schuhsohlen warm werden. Unheimlich. Einbildung ist das nicht.






                                                                                                                            Kurze Zeit später kommen die Dampferzeuger in meine Blickfeld. Der Geruch wird mich die nächsten zwei Tage begleiten. Aber gesund soll es sein.








                                                                                                                            Auch hier wird gewarnt, zu nahe heran zu treten. Heiße Dämpfe und Bodentemperatur: Verbrennungsgefahr. Das Schild ist auch auf deutsch. In dieser Quelle herrschen 160 Grad.











                                                                                                                            Klar, dass zwischendrin der Wind wechselt und die Dämpfe genau auf mich zukommen.








                                                                                                                            Und wenn es hier schon keine Wellen gibt, muss ich eben Dämpfe fotografieren.








                                                                                                                            Als plötzlich zwei Männer erscheinen, erschrecke ich mich. Sie scheinen hier zu wohnen oder zu arbeiten. Touristen sind es nicht. Kurz darauf bemerke ich auf einer Bank einen dunkeln Punkt. Ich könnte schwören, es sind Menschen. Später werde ich sehen, dass es ein knutschendes Liebespaar ist. Weitere Menschen sind hier keine.





                                                                                                                            Eine gemauerte Grotte namens „Le Stufe“. Sie wurde bis Ende des 19. Jhs. Für Solebäder genutzt. Die Wände sind salzverkrustet. Auch hier steigen Dämpfe auf. Das Betreten ist verboten. Nachts wird die Anlage beleuchtet.





                                                                                                                            Immer noch tauchen neue Stellen auf. Auch das perfekte, sich selbst regenerierende ODS Lagerfeuer ist dabei. Hier werden keine Spuren hinterlassen.





                                                                                                                            Dann geht es durch Natur Richtung Campingplatz. Eine gepflegte Anlage.








                                                                                                                            Schade. Aber ich werde morgen nach Norden fahren. Falls die Züge witterungsbedingt nicht mehr fahren sollten, brauche ich einen Puffer. Man weiß ja nie.





                                                                                                                            Ich rollere zur Metro zurück und fahre bis zum Hauptbahnhof. Dann rollere ich durch die Innenstadt, die ich mir letztes Jahr nicht angeschaut habe. Es sind wenige Menschen auf der Straßen. Viel weniger als im September. Zu kalt, vermutlich. Erst mache ich vorsichtig Fotos, später wie immer. Die Anwohner in den Straßen schauen zwar nach mir, aber bald merke ich, dass sie eher neugierig sind oder sogar stolz darauf sind, dass jemand fotografiert. Nur als ein Tourist die Krippenlandschaften und Heiligenfiguren eines Geschäftes fotografiert, wird ein Mann böse. Soetwas tut man nicht. Es ist Handarbeit.








                                                                                                                            Ich bin erstaunt, wieviel Perlen sich in der Innenstadt verbergen. Ein wenig Fassadenfarbe und die Stadt wäre ein Touristenmagnet.





                                                                                                                            Hinter dem großen Castel wird die Stadt richtig mondän und nur in den Seitenstraßen, die auf den Hügel führen, sieht man enge Gassen. Meine Kamera macht unscharfe Bilder, irgendetwas ist beschlagen. Wie gut, dass sie abgedichtet ist. Immer wieder gibt es kräftige Regenschauer. Ich hoffe, dass die Regenschirmverkäufer gute Geschäfte machen.
                                                                                                                            An einem Eckladen esse ich ein Stück Pizza. Es kostet 1.50 Euro und schmeckt köstlich. Ein unbeschreiblicher Mix aus Kräutern macht aus einem einfachen Stück Pizza ein Fest für die Sinne. Man sollte Pizza tatsächlich nur in Neapel essen.





                                                                                                                            Ich durchrollere eine kleine Einbahnstraße in der richtigen Fahrtrichtung und bekomme eine riesige Pfütze ab, die von einem Motorrollerfahrer erzeugt wird, der in der falschen Fahrtrichtung. Bella Napoli. Kurz darauf bin ich wieder an der Bucht. Ein kombinierter Weg für Jogger und Radler führt zwischen Mergellina und Kreuzfahrthafen an der Bucht entlang. Das Wolkenspiel fasziniert. Der Vesuv ist nicht zu sehen.





                                                                                                                            Wieder gibt es Wellen, die ich fotografieren kann.











                                                                                                                            Für einen Moment kommt tatsächlich die Sonne heraus.





                                                                                                                            Und mit ihr der Vesuv





                                                                                                                            Und dann gehe ich zu früh. Als das Castell dell´Ovo in Flammen steht, bin ich schon auf der anderen Straßenseite.





                                                                                                                            Ich schließe meinen Roller an einem Geländer an. Mittlerweile fühle ich mich hier sicher. Ein Junge fragt mich neugierig nach meinem Roller, aber ich muss passen, ich verstehe ihn nicht. Enttäuscht geht er zu den anderen und ein größerer Junge zieht in auf. „Das ist ein Scooter.“ Soviel verstehe ich. Gut, das hätte ich auch noch beantworten können. Als ich aus der Bäckerei komme, sind sie verschwunden. Im städtischen Markt gibt es Tinnef zu kaufen. Ich mache nur ein Foto von dem Schild und ein Mann mit Kinderwagen, der im Eingang steht, lächelt anerkennend.
                                                                                                                            Beim Schlachter am Ende des Platzes wird Fleisch angeliefert. Ein Mann trägt Schweinehälften über den Platz. Wieviele Kilos hat so ein Schwein? Leider versperren mir Pflanzen und Fußgänger die Sicht. Ein Motorroller will den Lieferwagen kurz zuparken, man einigt sich vorher. Als ich nahe genug für ein Foto bin, trägt er gerade das letzte und im Vergleich recht kleine Stück.





                                                                                                                            In einem kleinen Käsegeschäft erwerbe ich Käse mit Pistazien darin und einen festen Schnittkäse. Da der ältere Eigentümer kein Englisch spricht, ist er etwas hilflos und man merkt, dass es ihn irgendetwas stresst. Er empfiehlt mir frischen Büffelmozarella, und ich nehme dankend an. Ein junger Mann steht untätig im Laden herum und langweilt sich. Als er die Brotlieferung entgegennehmen kann, wird er kurz wach. Aber motiviert ist er nicht. Vermutlich wäre er lieber bei seinen Kumpels auf der Straße. Vielleicht ärgert sich der Mann auch mehr über ihn als über mich.

                                                                                                                            Als ich die steile Straße hinter dem Bahnhof zum Hostel hochlaufe, sitzen Vögel auf der Stange und tratschen. Mir zu Ehren entscheiden sich Sonne und Wolken zu einem großen Finale. Am Fenster sehe ich einen Tanker in den Hafen einlaufen.





                                                                                                                            Abschied.


                                                                                                                            Zuletzt geändert von Torres; 06.02.2014, 18:34.
                                                                                                                            Oha.
                                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                              Fuchs
                                                                                                                              • 04.04.2003
                                                                                                                              • 1406


                                                                                                                              #63
                                                                                                                              AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                              Hallo Torres,

                                                                                                                              ich habe Deine Strecke Satz für Satz und Bild für Bild verfolgt: Ganz vieles habe ich wiedererkannt von meiner Sizilien-München-Tour vor fast zwei Jahren. Nur mit dem Wetter hatte ich sehr viel mehr Glück!
                                                                                                                              Und ich kann Dich (und die anderen radinteressierten für die Westküste Italiens) beruhigen: Im Mai ist es für Radfahrer noch recht unproblematisch. Das könnte im Hochsommer aber auf den Straßen tatsächlich etwas gefährlicher sein.

                                                                                                                              Für Dich, Torres, damit Du diese "Engstelle" auch mit blauem Himmel siehst:



                                                                                                                              Und falls jemand das Meer an ihrem Lieblingsstrand etwas weniger stürmisch mag als Torres - biite schön:

                                                                                                                              .

                                                                                                                              Danke nochmal für Deinen Bericht
                                                                                                                              hosentreger
                                                                                                                              Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                Freak

                                                                                                                                Liebt das Forum
                                                                                                                                • 16.08.2008
                                                                                                                                • 31757
                                                                                                                                • Privat


                                                                                                                                #64
                                                                                                                                AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                                VI. Teil: Dolce I – Dessert





                                                                                                                                22.-23.01.2014 Florenz

                                                                                                                                Die Nachspeise kann aus köstlichem Eis mit Früchten, aus Melone oder aus Zabaione bestehen. Allerdings auch aus einem trockenen Mürbeteigkuchen mit viel zu viel übersüßter Marmelade bestehen. Der erste Teil des Desserts besteht aus letzterem.

                                                                                                                                Kaum bin ich aus dem Zug gestiegen, weiß ich, dass ich die Stadt nicht mag. Zu touristisch. Zuviel Folklore. Zuviel Tourismusbusiness. Eine „Leiche“. Man lebt von der Vergangenheit. Mit dem Italien, das ich in den letzten Tagen erlebt habe, hat das nichts zu tun.

                                                                                                                                Ich miete mir ein Hotelzimmer, weil ich auf ein unruhiges Stadthostel keine Lust habe. Noch ein bisschen Einsamkeit bewahren, solange es geht. Da ich nun mal da bin, laufe ich zu den Uffizien. Es ist Januar und niemand steht in der Schlange an.
                                                                                                                                Es sind unglaublich viele Bilder und das ist in zwei Stunden nicht zu schaffen. Immerhin sehe die Botticelli Engel, Da Vinci, Rembrandt, Dürer, Raffaelo, Lucas Cranach der Ältere, Rubens, Tizian, Michaelangelo. Caravaggio, Crespi, del Sarto und viele, viele mehr. Nur Canaletto habe ich wohl übersehen. Oder die Bilder werden restauriert, es gab Abteilungen, die geschlossen waren.

                                                                                                                                Ich verstehe nichts von Kunst und so muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht bei allen Bildern gleich erkenne, dass es sich um die berühmten Meister handelt. Gut, bei einigen Bildern sehe ich schon Qualitätsunterschiede. Aber wenn jemand sagen würde: Suche aus dem Raum den xxx heraus: Ich wäre verloren. Obwohl man nur fotografieren darf, wenn man eine andere Person vor dem Bild fotografiert, bin ich dennoch wie viele andere so frei, mir die Erinnerung per Foto zu bewahren. Vor allem, um zu Hause noch einmal in Ruhe schauen zu können, was ich gesehen habe. Die Ausstellung ist nur schwach besucht. Es sind vor allem französische Gruppen mit Führung, welche die Sicht versperren. Einige Chinesen und Koreaner. Sowie Kunststudenten. Sie interessieren sich vor allem für Details und bannen Bildausschnitte auf ihr I-Pad. Einen geschwungenen Mantel, eine kleine Figur im Hintergrund. Nur ein Bild beeindruckt mich wirklich: Francisco (José de) Goya (y Lucientes): Die Gräfin von Chinchon (1797-1800). Es ist ein sehr großes Bild und meine Fantasie reicht nicht aus, um mir vorstellen zu können, wie man ein so luftiges Kleid auf eine Leinwand malen kann.


                                                                                                                                Ponte Vecchio, die Brücke der Juweliere und Namensgeber italienischer Restaurants in Deutschland, hatte ich schon vorher fotografiert und der Blick aus dem Museum bietet zusätzlich eine reizvolle Perspektive.





                                                                                                                                Aber so irgendwie ist diese Stadt nicht mein Stil. Da nutzt auch ein Sonnenuntergang nichts.





                                                                                                                                Ich suche meinen Weg durch die Straßen. In einer Kirche gibt es ein Orgelkonzert, man bitte um eine Spende, um die Kirche unterhalten zu können. Aber gerne. Ein paar Male werde ich fast von Fahrradfahrern umgefahren, das bin ich nicht mehr gewöhnt. Es ist durchgängig Schrottfahrräder, die aussehen, als würden sie jeden Moment auseinanderfallen. Der Dom beieindruckt dann doch. Er ist riesig, bunt und noch nicht mal in Ansätzen für meine Kamera geeignet. Zu groß. Etwas weiter ist ein Ledermarkt und ich nutze die Gelegenheit, mir einen Gürtel zu kaufen. Meine Hose ist zu weit geworden.





                                                                                                                                Ich widerstehe den italienischen Fastfoodrestaurants und lande in einer Trattoria. Der Touristenmagnet in Florenz ist das Steak Florentiner Art, ein ungefähr 1300 gr. schweres T-Bone Steak. Ich entscheide mich für ein Menu, bestehend aus Suppe und Fisch mit Gemüse. Wie der Fisch wurde das Gemüse gegrillt und schmeckt wie Gummi. Dafür zieht es allerdings auch nicht so viel Fett, als wenn es in der Pfanne gebraten wurde.
                                                                                                                                Eine der Lampen blendet und der Inhaber versucht, sie zu richten. Anscheinend sind sie neu. Er steigt auf einen Stuhl und dreht an der Lampe. Das Ergebnis ist, dass sie gar nicht mehr funktioniert. Schulterzuckend lässt er es so. Am Nebentisch sitzt die erwachsene Tochter. Sie zeigt den Eltern Bilder auf einem Tablet-PC, und die Eltern schauen interessiert, aber auch ein wenig distanziert zu, als wäre das, was sie sehen, eine andere Welt. Einen Moment fühle ich mich wieder in das Italien der letzten Tage versetzt. Das tröstet.





                                                                                                                                ---------


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                                                                                                                                Wie ferngesteuert finde ich mich nach dem Blick auf den Arno plötzlich auf der Brücke Ponte Vecchio wieder.





                                                                                                                                Schöner Kitsch. Da muss man fast Maler werden. Canaletto kommt mir wie ein Vertreter eines modernen Realismus vor.

                                                                                                                                Die Geschäfte haben noch nicht geöffnet. Eine Angestellte zieht den schweren Laden vor dem Geschäft hoch. Zwei Männer mit lustigem Kostüm stehen am Ende der Brücke. Es sind Polizisten. Sie sehen aus wie Feuerwehrleute, doch sie tragen einen weißen Helm und blauweiße Uniform. Als sich der Polizist umdreht, sieht es aus, als hätte er ein Ferrari-Logo auf dem Gürtel. Überprüfen kann ich das natürlich nicht.

                                                                                                                                Immer noch ferngesteuert laufe oder rollere ich einfach weiter. Der Palazzo Pitti. Dahinter ist ein großer Garten, aber ich laufe weiter. Schon bald bin ich in einer kleinen Straße und fühle mich wieder in Italien. Wenige Menschen, schmale Bürgersteige, kaum Autos. Am Ende der Straße ist ein Tor und ein Kreisverkehr mit dem üblichen Verkehr. Zu meiner Linken ein Garten. Vermutlich ist es der Garten, der zum Palazzo Pitti gehört und ich überlege, ob ich hineinfahren soll. Aber irgendetwas hält mich ab. Vielleicht der Winter.





                                                                                                                                Ich kaufe ein paar Mandarinen bei einem Straßenhändler und biege links in die nächste Straße ab. Die Autos höre ich gar nicht mehr, ich bin ja erholt. Hauptsache, frei sein. Mein Stadtplan ist hier zu Ende und ich habe keine Ahnung, wo es hier hingeht. Ich lasse mich überraschen. Bergauf ist immer gut.
                                                                                                                                Nach einiger Zeit sehe ich in der Ferne historische Gemäuder und biege in eine idyllische Nebenstraße ein. Autos begegnen mir keine. Menschen auch nicht. In einem Haus hat wohl Peter Tschaikowsky einmal gewohnt. Den Text verstehe ich nicht.





                                                                                                                                Ich komme an eine stärker befahrene Straße, aber vom Gefühl her bin ich mir unsicher, ob geradeaus die richtige Richtung ist. Mein Navi liegt im Hotel. Ich frage eine Frau nach dem Piazza Michelangelo, um mich nicht ganz zu verirren. Er ist gerade noch auf meinem Stadtplan drauf. Sie lenkt mich nach links, an der Hauptstraße entlang. Ich bin etwas enttäuscht. Die kleinen Gassen hatten mir gut gefallen. Aber ohne geeignetes Kartenmaterial ist mir das dann doch zu kritisch. Immerhin ist die Straße voller Bäume und weist keine Bebauung auf.

                                                                                                                                Kurz darauf werde ich mit einer netten Aussicht belohnt. So bleibe ich auf dem Bürgersteig links, obwohl es rechts einen gut ausgebauten Wanderweg an der Straße gibt. Für meinen Geschmack weiterhin ein bisschen zu kitschig, aber immerhin.





                                                                                                                                Eine Seitenstraße zweigt ab mit dem Hinweis zu einer Kirche. Ich folge der Straße, die recht steil nach oben führt.





                                                                                                                                Vor der nächsten Kurve bin ich mir unsicher: Geht es nach rechts, weiter an der Straße entlang oder in den kleinen Weg hinein. Ein Schild zeigt, dass Florenz hier bereits zu Ende ist. Ich hätte mir die Stadt viel größer vorgestellt. Einen Moment überlege ich, der Straße dennoch zu folgen. Aber sie sieht nicht anders aus als die Straßen, die ich am Meer kennengelernt habe: Kein Randstreifen, kein Wanderweg. Es ändert nichts. Hier herrscht eine andere Kultur. Kein Land für Roller.
                                                                                                                                Ich entscheide mich, in Florenz zu bleiben und damit für den kleinen Weg. Eine Joggerin überholt mich. Am Laternenpfahl klebt eine Markierung. Vielleicht ein Wanderweg? Oder wieder ein Reitweg? Ein Figur markiert eine Einfahrt. Ein Haus, das mit internationalen Flaggen beklebt ist, kommt in Sicht. Man hört fröhliche Stimmen. In der Ferne Toscana-Romantik. War das in gewissen Kreisen nicht mal modern, hier Häuser zu kaufen oder seine Wohnungen im Toscana – Stil einzurichten? Ich hatte es mehr mit den Schweden. Links von mir ist ein kleines Wäldchen, ein Kriegsmahnmal steht im Schatten. Hinter einer Mauer kann man eine Kirche erahnen.








                                                                                                                                Vor mir liegt nun wieder die Straße. Aber über eine Auffahrt geht es zu einem Gebäude auf dem Hügel. Es ist San Miniato al Monte. Sie gilt als eine der schönsten Kirchen Italiens Sie wird von Benediktinern betrieben (genaugenommen von der Benediktinerkongregation von Monte Oliveto, auch Olivetaner genannt), die in einem kleinen Geschäft Tee, Honig und Souvenirs verkaufen. Vor und hinter dem Gebäude schließt sich ein großer, alter Friedhof an. Die Kirche, die ich hinter der Mauer gesehen habe, gehört zu dem Friedhof. Möglicherweise ist es nur eine Kapelle.





                                                                                                                                Etwas später bin ich am Piazza Michelangelo. Die Zivilisation hat mich wieder. Überall stehen Touristengrüppchen. Der Platz ist mit öffentlichem Nahverkehr gut zu erreichen. Händler verkaufen die üblichen Souvernirs. Im Sommer ist hier bestimmt ein Menschenmeer. In der Nähe ist ein Campingplatz, aber ich sehe ihn nicht. Ein letztes Foto.





                                                                                                                                Dann rollere ich gemütlich ins Tal. Es war schön, noch einmal das Unbekannte gesucht zu haben und ein wenig Pfadsucher gespielt zu haben. Und gutes Timing, denn es sieht nach Regen aus.

                                                                                                                                Als ich im Zentrum ankomme, fängt es an zu regnen. Ich besuche den Dom, schaue mir die Ausstellung von Robert Capas Italienbildern an und gehe dann noch in die Kirche Basilica di Santa Maria Novella – ebenfalls eine schöne Kirche. Dann fällt mir nichts mehr ein. Ich kaufe noch ein wenig Wegproviant und esse diesmal in einem anderen Restaurant. Es ist eine auf Touristen abgestimmte, reibungslos laufende, geölte Maschinerie, die familiär wirken soll. Italienisch ist allerdings, dass der Fernseher läuft. Ich esse zum Abschied eine Pizza Napoli (die in Neapel übrigens Romana heißt).

                                                                                                                                Gesättigt verziehe ich mich ins Hotel und lese.


                                                                                                                                Zuletzt geändert von Torres; 06.02.2014, 19:02.
                                                                                                                                Oha.
                                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                                                  • 31757
                                                                                                                                  • Privat


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                                                                                                                                  VI. Teil: Dolce II – Dessert





                                                                                                                                  24.01.2014 Mailand

                                                                                                                                  Ich hatte die Jugendherberge vorreserviert, sonst wäre ich wohl in der Innenstadt geblieben. Die Metro Richtung Rho Fiera steht still. Nationaler Streik. Ab Cadorna komme ich nicht mehr weiter. Aber wozu habe ich einen Roller. Eine Stunde brauche ich, und sie macht Spaß, auch wenn es nur an großen Straßen entlang geht. Die Sonne scheint. Immerhin finde ich wieder etwas Unerwartetes: Zunächst nur ein dekoratives Gebäude. Oben drauf steht: Casa di riposo per musicisti – Fondatione Giuseppe Verdi. Vermutlich eine Musikschule, denke ich mir. Was es wirklich ist, weiß ich erst jetzt: Ein von Verdi gestiftetes Altersheim für verarmte Musiker. Aufgenommen werde Italiener ab 65, die mindestens 25 Jahre Berufsmusiker waren und nachweisbar verarmt sind. Klick. Klack. Giuseppe Verdi (La Traviata, Aida) und seine Frau liegen in der Gruft des Gebäudes begraben. Was für ein soziales und vor allem vorausschauendes Denken. Ich bin beeindruckt. Dass er geschäftstüchtig war, wusste ich. Aber das hier wusste ich nicht.

                                                                                                                                  Das Gebäude steht an einem riesigen Kreisverkehr, in dessen Mitte eine große Statue steht. Nur ein Wort steht in großen Lettern darauf: Verdi. Dass er 1901 in Mailand gestorben ist, wusste ich auch nicht. Man lernt nie aus.





                                                                                                                                  Nachdem ich eingecheckt habe, begebe ich mich noch einmal in die Innenstadt. Das Wetter ist unerwartet schön und ein bisschen rollern schadet ja nicht. Insgesamt werden an diesem Tag 25 km Rollern zusammenkommen. Ich fahre nach Gefühl und verirre mich kurz, dann bin ich wieder auf Kurs.

                                                                                                                                  Im Sonnenlicht sehen die Gebäude ganz anders aus. Und die Stadt ist plötzlich so lebendig. Eine junge Stadt. Eine pulsierende Stadt. Es ist der Moment, wo mir klar wird, dass bei meinem ersten Besuch Feiertag war. Dies hier ist eine völlig andere Stadt als vor drei Wochen. Und kein Vergleich mit Florenz. Ich düse durch die Straßen, hier spielt der Roller seine Stärken aus: Wendig, klein und bürgersteigtauglich. Eine griechisch-orthodoxe Kirche. Der Dom im Sonnenlicht. 2015 wird Mailand Expo – Stadt. Eine gelungene Wahl. Das ist die richtige Stadt dafür. Das Thema lautet: "Den Planeten ernähren". Klick.





                                                                                                                                  Am Abend gehe ich in der Nähe des Hostels Mitbringsel einkaufen. Das Gewicht ist ja nun egal. Es gibt in der Straße sogar einen Bioladen, doch das Angebot, was ich benötige, hat er nicht. Ein Supermarkt ist um die Ecke. Pesto frisch. Parmesankäse. Gorgonzola. Gebäck. Proviant für die Fahrt. Es ist ein gut sortierter Supermarkt. Auch er hatte am Anfang der Reise geschlossen.
                                                                                                                                  Als ich meinen Roller vom Schloss befreien will, bekomme ich das Ende des Schloss nicht mehr aus dem kleinen Ring. Ich ziehe und ziehe. Versuche es mit Technik. Nichts. Ein älterer Mann stellt seine Einkäufe auf den Boden und will helfen. Das ist nicht einfach und er wirft erst einmal das Schloss ins Wasser, das sich in den Fahrradrillen der Betonkonstruktion gesammelt hat. Dann müht er sich ab und ich habe ein wenig Angst um ihn. Aber tatsächlich schafft er es und gibt mir freudestrahlend das Schloss in die Hand. Wo ich denn herkäme. „Germania“. Ahhh. Er freut sich. Heidelberg. Er spricht gut englisch. Er war mit einer Frau befreundet, die bei den Amerikanern gearbeitet hat. Das war eine tolle Zeit. Ich frage, ob er sie geheiratet hat. Nein. Er ist dann nach Japan gegangen. Dort hat er die beste Frau der Welt gefunden. Und geheiratet. Nach einem Jahr ist sie gestorben. Und er stand da mit dem bambino. „Es war kein einfaches Leben“, sagt er und hat Tränen in den Augen. Wortlos dreht er sich um und geht. Das wollte ich nicht.

                                                                                                                                  Ich rollere mit meinen Einkäufen zu der Pizzeria vom letzten Mal. Ich bestelle zum Abschied Pasta und sie ist sehr gut. Viele italienische Familien sind heute da und wieder bin ich überrascht, wie entspannt und fröhlich alle sind. Sie scheinen aus der Nachbarschaft zu sein. Der Fernseher läuft. Ich lasse mir eine Pizza für morgen einpacken und erhalte einen großen Karton. Eine Frau hilft mir mit der Tür. Ich befreie den Roller vom Schloss und sehe sie, wie sie vor mir an ein Fenstern klopft. Es wird nicht gleich geöffnet und sie ruft irgendetwas und klopft noch einmal ganz massiv. Sie will die Pizza durch das Fenster reichen. Ich sage: "Gut" und wir lachen gemeinsam sehr herzlich. Auch Mailand ist Italien.

                                                                                                                                  Der Karton ist auf dem Roller etwas umständlich zu transportieren, aber es geht. Schließlich wird der morgige Tag lang. Ich werde von 11.45 Uhr bis 0.08 Uhr im Zug sitzen.

                                                                                                                                  Tatsächlich wird es sogar länger sein, denn in Göttingen war ein paar Tage vorher ein mit Energiebrause beladener Güterwagen entgleist. Der ICE wird von Kassel aus direkt über Hannover umgeleitet und fährt teilweise auf den S-Bahngleisen. So haben wir anderthalb Stunden Verspätung. Es gibt ein Freigetränk. Meine Fahrgastrechte nehme ich nicht in Anspruch. Das Team und der Lokführer haben einen guten Job gemacht. In Italien lernt man Gelassenheit. Ich bin ja angekommen.


                                                                                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 06.02.2014, 19:15.
                                                                                                                                  Oha.
                                                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                    Freak

                                                                                                                                    Liebt das Forum
                                                                                                                                    • 16.08.2008
                                                                                                                                    • 31757
                                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                                    #66
                                                                                                                                    AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                                    Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
                                                                                                                                    Hallo Torres,

                                                                                                                                    ich habe Deine Strecke Satz für Satz und Bild für Bild verfolgt: Ganz vieles habe ich wiedererkannt von meiner Sizilien-München-Tour vor fast zwei Jahren. Nur mit dem Wetter hatte ich sehr viel mehr Glück!
                                                                                                                                    Und ich kann Dich (und die anderen radinteressierten für die Westküste Italiens) beruhigen: Im Mai ist es für Radfahrer noch recht unproblematisch. Das könnte im Hochsommer aber auf den Straßen tatsächlich etwas gefährlicher sein.

                                                                                                                                    Für Dich, Torres, damit Du diese "Engstelle" auch mit blauem Himmel siehst:
                                                                                                                                    ....

                                                                                                                                    Danke nochmal für Deinen Bericht
                                                                                                                                    hosentreger
                                                                                                                                    Danke für die Fotos, hosentreger. Sieht hübsch aus. So unzufrieden bin ich aber im Nachhinein nicht mit dem Wetter. Es hätte erheblich schlimmer kommen können, vor allem, wenn ich meine Streckenplanung nicht geändert hätte. Teile Pisas, wo in der Nähe die Via Francigena verläuft, waren letzte Woche überflutet und selbst Rom ist ja letzte Woche von Hochwasser betroffen gewesen. So waren das letztlich wirklich schöne Tage, und ich wäre gerne noch nach Formia - Geata gerollert. Schade, dass die Streckenabschnitte dort so gefährlich sind.

                                                                                                                                    Gestern war ich übrigens auf einer Reisemesse und habe am Italienstand nach Radwegen und Wanderwegen in Italien gefragt. Die Leute am Stand meinten unisono, dass es in Italien dafür keine Kultur gäbe. Wenn es so etwas gibt, dann sind es kleine Abschnitte in den Bergen (für MTBs). Selbst am Gardasee gibt es nur ein kleines Stück Radweg. Voie verte wie in Frankreich oder Fernwanderwege wie den GR 34 gibt es in Italien nicht. Die eine Frau bedauerte das sehr und meinte, sie würde ihre Freunde in Deutschland so beneiden, dass die mit dem Fahrrad sogar zur Arbeit fahren könnten. Man ist also - wie es ja auch hosentregers Sizilienbericht zeigt - auf ganz normale Straße angewiesen und folglich auch zivilisationsnah unterwegs.

                                                                                                                                    Zwei Dinge habe ich übrigens im Reisebericht vergessen zu erwähnen:

                                                                                                                                    a) Als ich in Terracina im Hotel ankam, fragt die Frau an der Rezeption, warum ich einen Roller mithabe. Ich erzählte, dass ich von Ostia bis Terracina mit dem Roller gefahren bin. "Ach, sie sind Sportler!", meinte sie.

                                                                                                                                    b) In dem familiären Restaurant am Hafen in San Felice Circeo lief neben dem Fernseher auch Musik. Und was wurde gespielt: Modern talking. Erst dachte ich, das kenne ich doch, und dann musste ich doch etwas schmunzeln, als ich hörte, was da gespielt wird.
                                                                                                                                    Mein Musikstil war das nie, aber heute sind die Lieder so selbstverständlich, dass man schon genau hinhören muss, um sie zu erkennen. Dieter Bohlen ist heute 60 Jahre alt geworden. Eins muss man ihm lassen: Er hat sich international durchgesetzt wie kaum jemand anderer.
                                                                                                                                    Oha.
                                                                                                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                      Alter Hase
                                                                                                                                      • 28.09.2011
                                                                                                                                      • 3237
                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                      AW: [IT] Das Meer

                                                                                                                                      Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                                                      Gestern war ich übrigens auf einer Reisemesse und habe am Italienstand nach Radwegen und Wanderwegen in Italien gefragt. Die Leute am Stand meinten unisono, dass es in Italien dafür keine Kultur gäbe. Wenn es so etwas gibt, dann sind es kleine Abschnitte in den Bergen (für MTBs). Selbst am Gardasee gibt es nur ein kleines Stück Radweg. Voie verte wie in Frankreich oder Fernwanderwege wie den GR 34 gibt es in Italien nicht. Die eine Frau bedauerte das sehr und meinte, sie würde ihre Freunde in Deutschland so beneiden, dass die mit dem Fahrrad sogar zur Arbeit fahren könnten. Man ist also - wie es ja auch hosentregers Sizilienbericht zeigt - auf ganz normale Straße angewiesen und folglich auch zivilisationsnah unterwegs.


                                                                                                                                      Für den Süden gäbe es diese Streckenmöglichkeiten. Die Ausschilderung ist gut, ist halt aber sehr straßenbetont.
                                                                                                                                      http://www.viefrancigenedelsud.it/it/map/wrap/

                                                                                                                                      Und was kartenmaterial angeht, hier kann man in einige Karten auswählen und regelrecht reinzoomen bis ins kleinste Detail:
                                                                                                                                      http://www.edizioniillupo.it/index.p...kmlgoogle.html
                                                                                                                                      Zuletzt geändert von Ingwer; 07.02.2014, 12:53.

                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                        Freak

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                                                                                                                                        • 31757
                                                                                                                                        • Privat


                                                                                                                                        #68
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                                                                                                                                        Danke. Die Strecke war bei mir anfangs auch in der engeren Wahl und die Website der Südroute hatte ich auch gesehen. Ich habe dann aber nur die nördlichen Tracks bis Rom eingespeichert. Die Via Francigena scheint mir generell am besten erschlossen zu sein.
                                                                                                                                        Ich sehe nun auch gerade, dass ich auf dem letzten Teilstück die Via Appia hätte umgehen können. Da gab es eine Parallelstraße, die ich auch hinter den Schienen gesehen habe. Nur nicht, wie man da hinkommt. Das ärgert mich im Nachhinein. Auch nach Formia hätte ich auf der Via Francigena kommen können. Mein Navi hatte mir Richtung Fondi eine 40 km Strecke durch die Berge empfohlen, hier sind es nur 17 km. Das wäre okay gewesen.
                                                                                                                                        Oha.
                                                                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                          Lebt im Forum
                                                                                                                                          • 22.08.2008
                                                                                                                                          • 8843
                                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                                          Hallo Torres
                                                                                                                                          Danke, dass du die Phlegräischen Felder bei Pozzuoli so ausführlich fotografiert hast.
                                                                                                                                          Als ich vor Jahrzenten (ich glaube ich werde doch langsam alt) in Neapel war wollte ich mir dieses vulkanische Gebiet ansehen. In der Nacht vorher wurde jedoch mein Auto aufgebrochen und so kam ich nicht dazu.
                                                                                                                                          Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                                                                                          Kommentar