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    [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

    Wer glaubt, ich wäre mit dem Klapproller von Hamburg nach München gefahren oder hätte weglos den Mt. Everest bestiegen, der irrt leider. Es wurde: Eine Bahnreise. Aus der Not geboren entwickelte sie sich zu einem grandiosen Erlebnis, an dessen Verlauf ich Euch gerne teilhaben lassen möchte. Im Gepäck: Ein Interrail-Ticket (10 Tage innerhalb von 22 Tagen), ein Klapproller, Zeltgerödel, Reisegerödel und ein Jugendherbergsausweis. Die ersten beiden Übernachtungsstationen waren geplant, wie auch der Besuch in der Schweiz, alles andere ergab sich spontan. Eine Fahrradreise ohne Fahrrad sozusagen. Dafür hatte ich eben die Bahn. Und den Roller.

    Warum diese Reise und keine Fahrradtour? Bereits in den ersten Januartagen schwante mir, dass dieses Jahr nicht mein Jahr wird. Meine sorgfältig geplante Klapprodelwanderung scheiterte an dem fehlenden Schnee, während andere zwei Monate später bei besten Schneeverhältnissen ihre Wintertouren durchführten. Aber ich hatte bereits einen neuen Plan: Eine Wanderung in Finnland und Anreise mit dem Motorrad. Dachte ich. Da traf mich ein hinterhältiger, unerwarteteter, schwerer Fall von Obsoleszenz. Obsoleszenz von lateinisch obsolescere, laut wikipedia „sich abnutzen, alt werden“, was bedeutet, dass ein Produkt auf natürliche oder künstliche Art veraltet ist oder altert. Um es kurz zu machen: Meine Knie und mein schon seit einigen Jahren muckendes rechtes Handgelenk entschieden sich, den gewohnten Dienst zu versagen. Wandern? Nicht möglich. Schweres Gewicht tragen? Aua. Fahrradfahren? Tut weh. Motorradfahren? Keine Chance. Streckenweise konnte ich nur mit Mühe ins Zelt krabbeln. Und nun?






    Um Ideen bin ich ja nie verlegen und so war klar, dass ich wohl endlich mal die Fahrt nach Kroatien in Angriff nehmen muss. Vielleicht noch Mazedonien? Griechenland? Meine Kollegin aus Mazedonien ist von dieser Idee sehr angetan (und meint, wenn ich gerne in der Hitze verglühen wollen würde, wäre das eine exzellente Wahl – im September ist immer noch mit über 40 Grad zu rechnen), verweist aber zusätzlich auf Rom. Rom sei schön. Hhm. Italien? Eigentlich nicht so mein Fall. Ich entscheide mich für Kroatien (das ich – dies vorweg – wieder nicht erreichen werde). Mit dem Motorrad scheidet aus. Das Auto? Nein, danke. Die Vorstellung, stundenlang im Auto zu sitzen, widert mich an. Warum nicht wieder die Bahn? Interrail, wie in Finnland? Die Vorstellung begeistert mich. Prompt schmiede ich Pläne. Griechenland ist mit dem internationalen Zugverkehr nicht mehr erreichbar, nur noch mit Bussen. Von dort doch nach Italien und über die Schweiz zurück? Und dort Becks und Vegareve besuchen? Ich grübele und beschließe die endgültige Entscheidung zu vertagen. Inzwischen besitze ich einen Roller, der mir beim Muskelaufbau hilft. Aber die Reichweite ist gering, für eine Tour reicht das nicht. Also Bahnfahren und nur einen kleinen Rucksack mitnehmen? Aber ohne Zelt verreisen geht gar nicht. Ich schaue sehnsuchtsvoll auf meinen Klapprodel, der mir so gute Dienste geleistet hatte. Leider wird wohl kein Schnee zu erwarten sein. Vielleicht statt dessen den Rollwagen mitnehmen? Der löst aber das Problem nicht, dass ich längere Strecken nur schwer zu Fuß bewältigen kann. Ein Klapproller wäre dagegen geeignet. Ich informiere mich beim Berliner Tretrollershop und drücke mich um die Entscheidung. Viel Geld für einen Zweitroller. Andererseits wäre dieser auch im Alltag von Nutzen – den gelben Kostka kann ich in der U-Bahn nicht in den Stoßzeiten mitnehmen und schon öfter habe ich mir gewünscht, mich hin setzen zu können.
    Im Mai entscheide ich mich dann doch, den Mibo Folding Master zu bestellen. Er fährt sich gut. Die Idee ist geboren. Es gibt sogar einen Gepäckhalter dafür, doch diesen bestelle ich nicht. Ich entscheide mich, den Aufsatz meines Rollwagens mit zu nehmen. Er ist zugleich ein Rucksack. Kein Leichtgewicht, aber er lässt sich an den Lenker hängen und kann das Zeltgerödel aufnehmen. Die Elektronik, die Wäsche und der Hygienebeutel sowie das Futter kommen in den Vaude Rock 25, den ich sonst auch auf dem Fahrrad immer mitnehme. Robust, wasserdicht und ziemlich diebstahlsicher (er hat keine Fronttaschen).





    Dominik meldet sich und will nun doch ein Forumscamp im Angriff nehmen. Im August ist er noch da. Ich nehme eine Deutschlandkarte zur Hand und sehe, dass die Mitte von Deutschland ungefähr bei Erfurt liegt. Thüringen – warum nicht? Ich schlage die Gruppenhausseite auf und das fünfte Bild zeigt eine Hütte auf einer Wiese. Mein Herz macht „hüpf“ und ich weiß, das ist es. Pflichtbewusst schaue ich mir noch weitere 45 Objekte an, aber nichts sagt mir zu. Ich frage Ende August an (vor meinem Urlaub), hoffe aber, dass es September wird (nach meinem Urlaub). Der Platz ist Ende August frei, die anderen Termine sind schon belegt. Damit ist es entschieden. Leutenberg in Thüringen wird meine erste Station. Als Rhodan76 schreibt, dass wir uns keine schlechte Gegend für das Forumscamp ausgesucht haben, fällt mir ein Stein vom Herzen. Vor lauter Freude buche ich meine zweite Station: Wien. Da ich von Leutenberg schlecht wegkomme, plane ich eine Zwischenübernachtung in München. Der Preis für die Jugendherberge ist fett: 31 Euro im 6-Bett-Zimmer. Ich lege 10 Euro für ein Einzelzimmer drauf, falls ich das Zelt trocknen muss. Auf ODS Treffen regnet es ja bekanntlich in Strömen. Die Bahnfahrkarten sind ebenfalls schnell gebucht: HH-Leutenberg kostet 24 Euro, München 21 Euro und Wien ebenfalls 21 Euro. Damit kann ich leben. Ab Wien habe ich dann das Interrail-Ticket (Anmerkung: Interrail heißt, dass man nicht im Heimatland fahren darf) zur Verfügung.

    Am Wochenende vor meinem Urlaub – bis dahin habe ich der Sache noch nicht ganz getraut, wer weiß, ob ich wirklich in Urlaub fahren kann, bei meinem Glück – rollere ich zum Bahnhof und kaufe das Interrail-Ticket. Eigentlich soll es ein 15 Tage Ticket werden und ich halte es schon in der Hand. Da erklärt mir die Bahnmitarbeiterin, dass ich auch damit die Züge dokumentieren muss. Wie doof. Ich frage, ob ich umbuchen kann und sie lacht: Wenn ich es jetzt sofort mache, kein Problem. Gesagt, getan. Ich buche auf 10 Tage in 22 Tagen um, spare dadurch 42 Euro und kann sogar länger unterwegs sein. Mehr Tage brauche ich sowieso nicht, ich bin ja nicht auf der Flucht, sondern will auch ein wenig Outdoor sein und mich umsehen. Beglückt rollere ich heimwärts und merke, dass mein linker Fuß ziept. Vielleicht habe ich mal wieder zuviel Temperament gezeigt, aber ich bin zuversichtlich, dass sich das morgen wieder geben wird. Denke ich. Es wird sich als schwerwiegende Verletzung entpuppen. Glückskind eben. Als Schuhe nehme ich meine Hanwag Alaska mit, die etwas mehr Stabilität geben als die leichten Sommerschuhe. Mittwoch Abend wird gepackt – es dauert nur kurz, ich weiß blind, was ich brauche. Das kleine Dragonfly XT kommt mit. In Kroatien kann es windig sein, da will ich Stabilität. Das ist mir 2 kg wert. Der Footprint kann als Tarp dienen. Und am nächsten Morgen geht es dann los.


    29.08. bis 2.9.2013 Leutenberg und München

    Die Zugfahrt nach Leutenberg in IC und Regionalzug funktioniert gut. Ich klappe den Roller ein und verberge ihn in einer Rucksackhülle, die im Winter bereits meinen Klapprodel getarnt hatte. Gegen halb fünf treffe ich in Leutenberg ein. Mein Fuß tut weh und vorsichtig rollere ich vom Bahnhof Richtung Zeltplatz. Der Weg ist nicht ganz eben und der Rollwagenrucksack gibt dem Roller Frontlast. Solange ich drauf stehe, kein Problem, aber Absteigen sollte ich besser nicht. Die Wiese vor dem Gruppenhaus ist huckelig und äußerste Sorgfalt ist vonnöten, kurz, der Roller schlackert ganz schön. Schwerer Geländeeinsatz ist nicht zu empfehlen. Mein Fuß schmerzt, aber ich bleibe tapfer. Auf der Kräuterwanderung geht das Laufen ganz gut, aber als ich dann den Ehrgeiz habe, auch die geführte Wanderung mit zu machen, merke ich a) meinen Fuß und b) die Schwäche im Knie. Das hält mich nicht davon ab, den „Gipfel“ zu erklimmen und mich auf dem Rückweg voll auf die Schnauze – besser – aufs Knie zu legen. Eine Schürfwunde am linken Knie und ein fettes Loch in meiner Reisehose sind das Resultat. Schlimmer kann es nun nicht werden. Eher besser. Die anderen fragen nett nach meinem Befinden und ich komme mir vor wie ein Greis. Wo soll das enden.
    Am Sonntag ist Abreise und lina fährt mich netterweise zum nächsten Bahnhof (Kaulsdorf / Saale), damit ich nicht umsteigen muss. Wir fragen in einer Seitenstraße nach dem Weg und in der Kurve steht ein Herr mit Kappe, der mir irgendwie bekannt vor kommt. Aber das kann natürlich nicht sein. Oder kenne ich den aus dem Fernsehen? Als er den Kopf zu uns wendet, kommt mir ein leiser Verdacht und ich winke schüchtern. Auch der Herr schaut erstaunt auf das Auto und tritt näher. Tatsächlich: Es ist Göga! Er fotografiert ein Schloss. Lina wendet das Auto und schwungvoll kommt von vorne ein Kennzeichen aus NRW. Ein Betrieb hier! Es sind rumtreiberin und Sabine38. Der Ort wird dank ODS schlagartig zum Zentrum touristischen Lebens!

    Wir finden den Bahnhof und kombinieren, welches Gleis richtig ist. In Nürnberg muss ich in den ICE umsteigen und kann mich eines kleinen Triumphes nicht erwehren, dass ich mit einem zweirädrigen Gefährt in einen ICE einsteigen kann. Dann bin ich recht schnell in München. Ich lasse es mir nicht nehmen, zur Jugendherberge zu rollern und es geht erstaunlich gut. Meinem Fuß empfehle ich, sich ruhig zu halten. Die JH ist ein älteres Gebäude und ich soll ein Zimmer im 7. Stock beziehen. Einen Aufzug gibt es nicht. Ich bitte um Gnade und erhalte ein Zimmer im Nebengebäude im 2. Stock. Der Roller wiegt 9 kg und die Ausrüstung ca. 13 kg, das muss ich nicht in den 7. Stock transportieren. Es ist ein lauer Abend und ich humpele ein wenig auf der Straße herum. Das Restaurant mit bayrischer Küche ist geschlossen, aber ich finde ein nettes vietnamesisches Restaurant. Bei einem guten Essen klingt der Tag aus.





    Am nächsten Morgen ist meine Fußsohle dick geschwollen und ich besorge Beinwellsalbe in der Apotheke. Außerdem erstehe ich beim Kaffeeröster ein neues Portemonnaie, da mein altes einen Reißverschlussdefekt hat. Dann rollere ich vorsichtig zum Bahnhof. Das Viertel sieht nett aus. Auf dem Bahnhof spricht mich ein Mann auf den Roller an. Er macht Fahrradtouren, findet die Idee mit einem Klapproller allerdings sehr interessant. Der Zug fährt nach Budapest und viele Ungarn stehen am Bahnsteig. Ich klappe den Roller zusammen und los geht es. Die nächste Station ist Wien. Ich habe für zwei Tage ein Zimmer im Hostel vorgebucht. Sie kosten weniger als eine Nacht München.
    Zuletzt geändert von Torres; 22.03.2015, 20:59. Grund: geotagging
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    #2
    AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

    Juhu, es geht los!















    – schreib schneller!

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    • Torres
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      #3
      AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

      02.09.-03.09.2013 Wien

      Die Fahrt vertreibe ich mir zunächst mit „Wachtmeister Studer“ von Friedrich Glauser (E-Book Reader), Zürich 1936. Dann befinde ich mich unerwartet „Out of Rosenheim“. Erste Hügelketten der Alpen tauchen auf und als ein Mädchen mit dem Fotoapparat ans Fenster stürzt und sich ärgert, dass Häuser das Fotomotiv verstellen, entdecke ich über den Dächern Salzburgs die Festung Hohensalzburg. Ich esse den Rest des Ziegenkäses aus Thüringen, der als Geschenk für Vegareve gedacht war, aber zu zwei Dritteln einem Hund zum Opfer gefallen war, der ihn aus der Apsis meines verschlossenen Zeltes geraubt hatte (Klein-Atze war es nicht!). Gegen 15.30 Uhr erreiche ich Wien. Ich besorge mir für Mittwoch eine Reservierung nach St. Gallen und erhalte den Tipp, dass die Fahrt mit dem Regionalzug über den Bernina Pass genau so schön ist, wie die Bernina Bahn. Diese Strecke will ich unbedingt fahren.





      Mein Navi hat mal wieder im ausgeschalteten Zustand die Batterien entladen und als es mir endlich Wien anzeigt, sind nur die Ausfallstraßen sichtbar. Ein Mann mit Smartphone googelt den Weg, so dass ich die ungefähre Fahrtrichtung kenne. Auf der Hauptstraße ist es für Rollerfahren zu voll, aber Wien ist logisch aufgebaut und ich fahre parallel. In 15 Minuten bin ich am Hostel in der Myrthengasse. Es wirkt sehr ansprechend, ich erhalte ein Zimmer zum Hof hinaus. Das Gepäck kann in Schränken verwahrt werden, wobei man ein eigenes kleines Schloss dabei haben sollte (habe ich). Im Hof treffe ich ein Kieler Ehepaar, das berichtet, dass man für 7 Euro abends warmes Essen vom Buffett bekommt. Das Essen ist tatsächlich phantastisch und dank Rindfleisch mit Knödeln bekomme ich endlich das mir kürzlich verwehrte Essen (Insider). Ich suche und finde einen Supermarkt und kaufe Mineralwasser. Die Häuser sind schön, viele Kneipen, Lokale und Geschäfte sind zu sehen und ich kann verstehen, warum Wien als eine der Städte mit hoher Lebensqualität gilt. Die Einwohnerzahl ist etwas höher als die Hamburgs, aber nicht viel. Wenn nur der Verkehrslärm nicht wäre. Durch die engen Häuserschluchten gibt es kein Entrinnen.


      Am nächsten Morgen ist das Wetter zwar warm, aber durchwachsen. Ich rollere die Burggasse in Richtung Innenstadtring und stelle fest, dass Wien perfekte Rollerverhältnisse bietet. Leichte Steigungen und immer wieder leicht bergab. Kein Wunder, dass ich gestern schon zwei weitere Rollerfahrer gesehen habe - allerdings die mit kleinen Rädern. Der Verkehr dröhnt in den Straßen. Ich rollere auf Kaiserin Maria Theresia zu, eindrucksvoll sitzt sie auf dem von Kaiser Franz Joseph I. errichteten Sockel - aber ich merke, dass ich gereizt bin. Am Ende der Reise hätte ich die Besichtigung wohl anders angegangen, aber an dem Tag will ich einfach nur weg. Ins Grüne. Irgendwohin, wo die Autos nicht so laut sind.
      Ein Schild führt zu "Sissi", ein Tribut an die Deutschen vermutlich und ihren Romy-Schneider-Sissi-Kult. Ein paar Männer haben sich Perücken aufgesetzt und historische Kleider angezogen und werben Touristen für die Museen. Es sind aus, als hätte man polnische oder ungarische Billiglöhner engagiert, das ganze sieht doch recht abgewrackt aus. Den Stephansdom lasse ich achtlos liegen, vermutlich ein unverzeihlicher Fehler. Aber in Städtebesichtigung bin ich noch nicht geübt, ich bin ja eigentlich Outdoorer. Immerhin bemerke ich im letzten Augenblick die Spanische Hofreitschule und zahle 12 Euro, um ein paar Gäulen bei der Morgenarbeit zu zuschauen. Die Morgenarbeit wirkt wie in jedem Reitstall, spektakuläre Übungen finden gerade nicht statt, sondern die Pferde werden lediglich bewegt. An den Wänden blättert der Putz und da ich nicht sitzen kann, tut mir der Fuß weh. So ernüchternd hätte ich mir die Hofreitschule nicht vorgestellt. Vermutlich bedarf es der festlichen Beleuchtung der Aufführungen, damit der Charme zur Geltung kommt. Immerhin habe ich jetzt einmal einen Lippizaner gesehen.





      Ich biege rechts ab, denn ich habe Sehnsucht nach einem eingezeichneten Park und komme an der 1. Philharmonikerstraße bzw. der Wiener Staatsoper heraus. Etwas weiter ist das Büro der Wiener Philharmoniker und vor der Tür sind Sterne auf dem Gehweg eingelassen: Joh. Sebastian Bach, die Wiener Philharmoniker (gegründet 1842), Johann Strauß Sohn, Pierre Boulez. Ich gehe am Karlsplatz vorbei, finde den gesuchten Park und atme etwas auf. Kitschig in Goldfarben verewigt spielt Johann Strauß die Geige. Touristen drängen sich in seine Nähe, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Ich meine, ich mochte seine Walzer und Operetten als Kind gerne, aber das hier ist zu viel. Ich flüchte. Ich passiere eine weitere Skulptur (Landschaftsmaler J.E. Schindler), beobachte einen kleinen Jungen beim Taubenjagen und werde langsam entspannter, während der Verkehr weiterhin in der Ferne dröhnt. An der Seite des Parkes ist ein kleines Rinnsaal zu sehen und eine Skupltur an einem Brunnen fasziniert mich und ich fotografiere sie. Ein Schild, das sie erklärt, entdecke ich nicht. Immer wieder mache ich kleine Pausen, damit mein Fuß sich erholen kann. Am Ende des Parks haben Obdachlose mehrere zusammenhängende Parkbänke für sich in Beschlag genommen. In Sichtweite, vor der Büste von Bürgermeister Zelinka, sitzen Japaner und essen mitgebrachtes Brot.





      Als der Park zu Ende ist, bin ich den Verkehrsmassen erneut ausgeliefert. Am Donaukanal finde ich immerhin ein Stück Radweg. Überall sind Graffitis aufgesprüht. Es liegt Glas auf der Straße, auf der anderen Seite fotografiert ein Mann aus einem weißen Sportwagen einen Skater. Ein Polizeiboot rauscht vorbei. Ich denke an „Der dritte Mann“. Der Slogan „Tourist are Terrorist“ erfreut sich großer Beliebtheit in der Szene, denn er findet sich an mehreren Stellen abgedruckt.





      Als ich hinter der Brücke die Straße überquere, werde ich fast von einem Reisebus überfahren, dessen Fahrer um Orientierung ringt. Ich sehe eine Parklandschaft und begreife, warum das Lied „Im Prater blüh´n wieder die Bäume“ heißt. Ich dachte, der Prater ist nur der Wiener „Dom“.





      Ich halte mich links und kurz darauf stehe ich vor der “Unabhängigen Republik Kugelmugel“. 1971 hatte der Künstler Edwin Lipburger auf seinem Grundstück ein rundes Haus gebaut, dass – da ohne Baugenehmigung gebaut – sofort abgerissen werden sollte. Es beginnt ein Rechtstreit zwischen der Republik Österreich und Edwin Lipburger, der wohl heute noch nicht abschließend entschieden ist, denn Edwin Lipburger gründet kurzerhand rund um sein Haus einen eigenen Staat: Die Unabhängige Republik Kugelmugel. Er muss daraufhin ins Gefängnis (Amtsanmaßung) und die Stadt Wien schlägt ihm Anfang der 80er schließlich vor, das Gebäude in den Prater zu bringen. Dort steht es noch heute. Eine Ausstellung erklärt die Geschichte.

      Der Jahrmarkt ist größer als ich dachte. Das Riesenrad ist alt und steht still, es ist wenig los an diesem Tag. Der Eingang wirkt ein wenig disneyartig, scheint aber auch alt zu sein. Figuren aus Pappmaschee lassen die Erinnerungen an alte Zeiten aufleben. Die Hendlstation ist abgebrannt, rechts gegenüber befindet sich die Monsterschlucht Hölle. Am Schweizerhaus befindet sich der Bankomat. Abends – bei Beleuchtung - wird es hier sicherlich schön sein. Nicht umsonst ist das Riesenrad eines der Wahrzeichen Wiens.





      Da es auch im Parkbereich des Prater nicht still ist und Schilder eher auf eine kommerzielle sportliche Nutzung hinweisen, als auf ein Naturschutzgebiet, sehe ich davon ab, dort Ruhe und Natur zu finden. Ich wende mich der Donau zu. Als ich Richtung Donau rollere, fängt es an sintflutartig zu regnen. Zusammen mit anderen flüchte ich unter die Überdachung der U-Bahn. An der Messe wird rege gebaut, ebenso in Uninähe. Ich rollere an einer netten Gaststätte vorbei, dann versperrt mir den Zugang zur Donau ein Wohnsilo, das wirkt, als wären hier eher sozial schwächere Familien untergebracht. Ein kleiner Umweg und dann kommt die erhoffte Brücke über die Bahngleise. Ein gläsernes Haus gibt Informationen über die Bewohner preis. Das Restaurant an der Donau heißt passenderweise „Bosporus“ und ist geschlossen. Die Donau ist grau wie das Wetter, ein paar Donaukreuzfahrer liegen am Kai und werden mit Rotwein und edlen Speisen beladen. In der Ferne sehe ich Berge und wünsche mir mein Fahrrad herbei. Einfach losfahren in die Natur fernab der Zivilisation. Liegt Krems in dieser Richtung? Aber heron ist vermutlich noch auf Tour und wenn nicht, wäre es eh zu spät.
      Ich verdränge die trüben Gedanken und rollere zurück. Mein Fuß schmerzt. Die Geschäfte auf dem Weg haben schon besser Zeiten gesehen. Wieder trifft mich ein Schauer von Starkregen und ich nehme die U-Bahn. Fahrräder sind erlaubt. Vor Schwarzfahren wird gewarnt: „Wir haben alle Ausreden analysiert. Schwarzfahren kostet so oder so 103 Euro.“





      Ich komme an der U-Bahn Station Volkstheater und damit direkt an der Burggasse heraus. Immer noch ist viel Verkehr. Ich passiere das kleinste Haus Wiens, ein Uhrmacher ist dort angesiedelt. In der Jugendherberge ruhe ich meinen Fuß und mich kurz aus, dann gehe ich noch einmal los und mache kleine Besorgungen. Zwei fertige Klöße werden morgen meinen Proviant darstellen, immerhin werde ich fast 8 Stunden im Zug sitzen. Mit Erstaunen lese ich die Verbotsschilder und erinnere mich dunkel an Threads, in denen deutsche Verbotsschilder als unhöflich moniert wurden. Gegen diese Schilder ist das gar nichts. Besonders die unverhüllte Drohung „Anzeige, Abschleppung und Besitzstörungsklage!“ - man bemerke das zusätzliche Ausrufungszeichen! - gefällt mir außerordentlich. Für kurze Zeit kommt die Sonne heraus und taucht die Straßen in gnädigeres Licht.





      In den anderen Betten haben sich zwei Interrailer einquartiert, die pro Tag ein Budget von 30 Euro zur Verfügung haben und fleißig ausrechnen sind, was sie sich heute noch leisten können. Es ist ihre Belohnung für das Abitur und sie sind fast ein Monat unterwegs. Gestartet sind sie in Münster und - um Geld zu sparen und sich eine teure Reise durch Deutschland zu ersparen - über Amsterdam, Paris, Rom, Bari nach Griechenland gereist und von dort über Sofia und Budapest nach Wien gefahren. Jetzt wollen sie nach Venedig. Es klingt, als hätten sie überwiegend in Zug, Bus und Fähre gesessen, teilweise in Bahnhöfen geschlafen und sich von Hostel zu Hostel gekämpft. Allerdings waren sie auch mal zelten – sie haben ein Zelt dabei. Die Fahrt über Griechenland war abenteuerlich, da eben nur die Regionalzüge fahren und vieles über Busersatzverkehr läuft. Sie raten davon ab. Ich beschließe, Griechenland hinten an zu stellen. Wieder labe ich mich am warmen Abendessen und gehe früh zu Bett. Die anderen nehmen netterweise Rücksicht und verlassen das Zimmer, um mich schlafen zu lassen und so entschlummere ich sehr bald tief und fest. Morgen geht es nach St. Gallen. Becks wird mich am Zug abholen.
      Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:00.
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        AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

        04.09.-05.09.2013 St. Gallen und Schachen

        Am nächsten Morgen sind die Nebenstraßen Wiens fast menschenleer, als ich Richtung Bahnhof rollere. Der Weg ist einfach, ich habe den Stadtplan im Kopf. Auf dem Bahnsteig packe ich den Roller in seine Hülle und ärgere mich über das Klettband, das den geklappten Roller justiert und nicht richtig hält. Der einzige Schwachpunkt. Mein Zug geht um 9.36 Uhr und führt zunächst wieder über Salzburg und Rosenheim. Ich mache die Fotos, die vorgestern misslungen sind.





        Dann geht es über Kufstein Richtung Innsbruck und ich bestaune die Berge. Innsbruck gefällt mir und ich überlege, auf der Rückfahrt dort einen Halt ein zu legen.





        Mit deutlicher Klarheit sehe ich: Wäre ich in den Bergen aufgewachsen, dann hätte ich da rauf gewollt. Der Faszination der Gipfel hätte ich mich nicht entziehen können.





        In Buchs steige ich aus dem Railjet aus und fahre mit einer Regionalbahn Richtung St. Gallen. Ich frage einen Schweizer, ob ich den Roller umsonst mitnehmen kann, aber ein Roller ist für ihn ein Motorroller. Tretroller heißen dort Scooter. Er hat sein Mountainbike dabei und die Strecke, die er zu seinem Wohnort zurück zu legen hat, ist sehr steil. Durchtrainierte Radler betreten das Abteil mit ihren Rennrädern, und ich fühle mich ausgeschlossen. Ein riesiger See taucht auf, und mir wird ganz warm ums Herz. Wasser! Ich frage einen Mitfahrer nach dem Namen. Es ist der Bodensee. Geographie war noch nie meine Stärke.

        In St. Gallen suche ich in der Bahnhofsvorhalle nach Becks und erkenne ihn sofort: Kein Gramm zuviel. Ich reserviere den Zug nach Tirano (Bernina Strecke), aber der Bus von Tirano nach Lugano ist ausgebucht und eine andere Verbindung gibt es nicht. Die Schalterbeamtin bittet mich, ins Reisebüro zu gehen, da die Schlange hinter mir angewachsen ist. Becks ist auch schon etwas ungeduldig, und ich verschiebe das Problem auf morgen. Mit der Vorortbahn geht es nach Schachen, und ich bin überrascht wie schön es dort ist. Es ist Sommer in Schachen, und Vegareve wundert sich, wie viele Sachen ich anhabe. Mit diesen Temperaturen habe ich nicht gerechnet, hier ist tatsächlich Sommer.

        Becks ist immer noch am Preppern, und er zeigt mir den Einweckapparat und seine neuesten Produkte. Auch die Katze wird mir vorgestellt und lässt sich verwöhnen. Nach dem Abendessen (u.a. das Siedfleisch der von ihm eingekochten Brühe) gibt es einen exzellenten Wein, und Becks und ich verstricken uns in heiße Diskussionen. Das Thema ist mir entfallen. Dann beziehe ich mein Gästezimmer und schlafe tief und fest. Ein Wunder, dass die beiden eher selten ODS Besuch haben. Es ist so schön hier.

        Am Morgen können sich Vegareve und ich Zeit lassen. Wir fahren nach St. Gallen hinein. Ich lerne, dass man die Vorortbahn mit einem Halteknopf anfordern muss, da sie sonst durchfährt. St. Gallen entpuppt sich als wunderhübscher Ort.





        Gemeinsam laufen wir zu Vegas Arbeitsstelle, dann besichtige ich die berühmte Stiftsbibliothek. Ich bin so voll der Eindrücke, dass ich es versäume, auch die Stiftskirche zu besichtigen, ein grober Fehler. Stattdessen wandere ich zum Bahnhof und reserviere einen Zug nach Lugano. Der Bahnmitarbeiter empfiehlt mir die Strecke über Arth-Goldau, da diese besonders schön ist. Noch weiß ich nicht, dass Arth-Goldau der Schrecken aller Bahnfahrer ist, weil die Umsteigezeiten dort unglaublich knapp bemessen sind. In meinem Fall sind es 4 Minuten, um von einem Bahnsteig zu anderen zu hechten.





        Mit dem Bus fahre ich zu Vegas Arbeitsstelle, aber sie ist bereits an der Stiftskirche. Also laufe ich wieder zur Stiftskirche, und mein Fuß schreit bei jedem Schritt vor Schmerzen. Vega bringt mich zu einem Café und lädt mich zu einem Stück Schokoladenkuchen ein. Weiter oben ist er bereits abgebildet. Was für ein Genuss, ich kann es kaum fassen. Ich kann ihn immer noch auf der Zunge spüren. Im Migros kaufen wir ein, und ich erwerbe meine Wegzehrung für den morgigen Tag. Viel kann ich ja sowieso nicht mitnehmen. Angesichts der Preise passt das gut, die Schweiz ist einfach unglaublich teuer geworden – auch für die Schweizer.

        Zu Hause will Vegareve mich für die Hausrunde gewinnen. Normalerweise würde ich sofort starten wollen, aber mein Fuß ist dick geschwollen, und so lenke ich vom Thema ab. Becks kommt nach Hause, schnappt sich einen Eimer, murmelt „Holunderbeeren“ und ist schon wieder verschwunden. Als er mit einem vollen Eimer wieder auftaucht, helfe ich ihm, die Beeren vom Stiel zu entfernen. Dann recherchiere ich im Internet nach Campingplätzen in Lugano. In Lugano selbst scheint es keinen zu geben. Vegareve empfiehlt mir einen Campingplatz bei Tenero, aber ich möchte mich nicht zu nahe von der Hauptbahnstrecke entfernen. Jeder Umstieg ist eine Fehlerquelle. Dann finde ich doch noch Campingplätze am Luganer See, aber so richtig befriedigt bin ich nicht. Was das wohl wird? Becks ist so nett, mir leihweise einen Speicherstick zu überlassen, und ich sichere meine Fotos. Dann ist wieder Schlafen angesagt, der Zug fährt morgen um 9.36 Uhr ab Schachen.


        Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:01.
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          AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

          06.09.2013 – 07.09.2013 Lugano

          Vegareve bringt mich zum Bahnhof. Nervös drücke ich mehrfach auf den Aufforderungsknopf, und tatsächlich hält der Zug. In Deggersheim steige ich in den Panoramazug Richtung Arth-Goldau um. Der Schaffner verspricht, dass die 4 Minuten Umsteigezeit reichen werden. Eine Tafel zeigt den Streckenverlauf: Watwil, Uznach, Schmerikon, Rapperswil, Pfäffikon, Biberbougg, Rothenthurm, Arth-Goldau. Weiter fährt er über Küßnacht a.R. nach Luzern. Im Zug hängt eine Werbung eines Schuhherstellers, der einen Schuh entwickelt hat, der intelligentes Abwärtsgehen ermöglichen soll. Die Landschaft ist großartig, und längere Zeit geht es am Zürichsee entlang.





          Dann schraubt sich der Zug wieder langsam nach oben.





          Vorsichtshalber packe ich den Roller aus, damit ich schnell genug den Bahnsteig wechseln kann. Diese Vorsichtsmaßnahme ist gerechtfertigt. Als der Zug hält, stürzen alle in Windeseile zur Unterführung. Ich nutze die Rampe und rollere hinter einem Familienvater her, der in unglaublicher Geschwindigkeit einen riesigen Koffer hinter sich her zieht und seine Familie anweist, Gas zu geben. Ich überhole ihn, und da ist mein Zug. Aber es ist der falsche Wagon. Instinktiv ahne ich, dass a) der Zugführer mich sieht, b) noch 2 Minuten Zeit sind und c) ein Teil der Reisenden noch mindestens eine Minute braucht, um den Zug zu erreichen und gebe Vollgas. Ich möchte mich nicht mit dem schweren Gepäck bei voller Fahrt durch den Zug quetschen. Ein, zwei, drei Waggons – hier ist er. Ich reiße die Tasche vom Roller, klappe ihn in Windeseile zusammen und verspüre ein Poltern. Die kostbare 1,5 Liter Mineralwasserflasche hat sich aufgrund des Bückens trotz Absicherung aus der Seitentasche meines Rucksackes entfernt und rollt ins Gleisbett. Kreisch. Hilft nix. Dafür springt man nicht hinterher. Blitzschnell wuchte ich Roller und Tasche ins Abteil. Der schwere Rucksack kommt auf die Gepäckablage, dann packe ich den Roller in die Tasche. Geschafft. Eine Sekunde später setzt sich der Zug in Bewegung, und ich nehme meinen Platz ein. Ein Fahrgast läuft an mir vorbei und grinst mich anerkennend an. Coole Aktion. Sehe ich auch so.

          Der Zug fährt nun Richtung Gotthardtunnel, und die Berge werden immer beindruckender. Leider ist die Scheibe nicht sauber, und ich kämpfe mit Reflexionen, als ich Fotos mache. Meine Mitfahrerin, eine elegant gekleidete Schweizerin, erklärt mir dass wir immer an der gleichen Kirche vorbei fahren, weil sich der Zug in Schlaufen den Berg hochschraubt. Wir kommen ins Gespräch, und ich bin einen Moment nicht bei der Sache. Da: Ein Gletscher. Ich drücke auf den Auslöser, aber ich habe sie gerade ausgemacht gehabt und schon sind wir im Tunnel verschwunden. Vielleicht sollte man mal einen Thread eröffnen: „Bilder, die man nie gemacht hat, weil man die Gelegenheit verpasst hat.“





          Und dann sind wir auch schon auf der anderen Seite der Alpen. Ich komme mit der Dame ins Gespräch, und sie erzählt, dass die Lebenshaltungskosten in der Schweiz ständig steigen. Für Menschen mit einfachen Berufen wird das Leben langsam unbezahlbar. Sie wohnt in der Nähe des Zürichsees bei Pfäffikon, und auch dort wird das Leben immer schwieriger. Viele Deutsche kaufen sich Häuser am Zürichsee und das wird nicht gerne gesehen, weil es die Preise ständig nach oben treibt. Ich spreche sie auf Arth-Goldau an, und auch sie war bei den eilenden Umsteigern. Das scheint an dem Bahnhof leider Normalität zu sein. Wir reden über Schwyzerdütsch und Hochdeutsch, und sie erzählt von Vorbehalten gegenüber Deutschen, weil wir so redegewandt mit der Sprache umgehen können. Ich denke an einige wortkarge Norddeutsche, aber das sind wohl kaum die Leute, die sich am Zürichsee niederlassen.
          Dann sind wir auch schon in Bellinzona. Dort wimmelt es vor Burgen und sonstigem Gemäuer, aber ein gutes Bild gelingt mir nicht. Lugano ist nun nicht mehr weit. Ich mache mich bereit und stelle mich an die Tür. Der Zug hält, und ich steige aus. Es ist unglaublich warm. Als ich den Roller auspacke, fällt mein Blick auf einen Kiosk und was sehe ich? Zweifelchips. Kein Zweifel, balticskin hat recht: In der Schweiz gibt es sie in jeder Berghütte, und in Deutschland sind sie nicht erhältlich. Schade, dass ich keinen Platz habe, balticskin welche mit zu bringen.





          Nachdem ich mich orientiert habe und beeindruckt die Standseilbahn betrachtet habe, die in die Innenstadt führt, gehe ich zum Fahrkartenschalter und darf für mein Reservierungsanliegen eine Nummer ziehen. 29 Personen sind vor mir. Die sind doch nicht ganz dicht. Ich kriege einen kurzen Anfall italienischen Temperamentes und lege mich auf italienisch mit einem italienischen Bahnbeamten an. Ich kann zwar kein Italienisch, aber zum Fluchen italienischer Art reicht es. Das kenne ich von den italienischen Einwanderern aus meiner Kindheit. Er schaut ein bisschen anerkennend, ihm ist klar, dass ich kein italienisch spreche. Nach einer geschlagenen Stunde bin ich endlich dran und bekomme einen früheren Zug empfohlen, weil die Chance, dass er pünktlich ist, größer ist. Anschließend rollere ich zur Touristeninformation neben dem Bahnhofsgebäude, die in einer Art Container untergebracht ist. Die Frau kollabiert fast, als ich mit dem Roller eintrete, neulich hat ihr wohl ein Fahrrad die Tür zerkratzt. Genervt erklärt sie mir, dass die Campingplätze auf anderen Seite des Berges in Agno sind und gibt mir eine Liste der Plätze in die Hand. Ich muss die Vorortbahn nehmen. Sie ist unter der Erde auf der anderen Straßenseite. Vorsichtig parke ich aus und rollere über die Straße. Ich bin genervt. Italienische Schweiz, Italien. Was will ich hier eigentlich? Ich hätte in die französische Schweiz fahren sollen.

          Ich hebe meinen Roller die Treppe hinuntern (den Kofferzugang finde ich erst den nächsten Tag), ziehe ein Ticket und warte. Ein Rollerfahrer taucht auf, und ich frage, ob Roller extra bezahlt werden müssen. Er verneint. Die Bahn hat das Ziel Ponte-Tresa und fährt im Zwanzig Minutentakt. Zwei Kontrolleure stürmen das Abteil, und als ich brav mein Ticket zücke, grinst er. Vom Roller redet er nicht, der bepackt neben mir steht.





          In Agno steige ich aus und finde im Navi die drei Campingplätze. Es lenkt mich an der Hauptstraße entlang, obwohl es eine Abkürzung gäbe. Immerhin sehe ich, dass es dort mehrere Supermärkte gibt. Mein Fuß tut höllisch weh, und ich eiere zum ersten Campingplatz, der ausgeschildert ist. Ein Caddyfahrer lädt mich ein und zeigt mir den Platz. Der Platz macht einen guten Eindruck. Er hat einen Seezugang, direkt am See kann man aber nicht zelten. Der Caddyfahrer erklärt mir, dass ich mir überlegen müsse, ob mir das 20 Franken mehr wert sei. Schluck. Als mir die rudimentär englisch sprechende Dame am Empfang erklärt, dass der Zeltplatz für mein winziges Zelt 24 Euro kostet, bekommt ich eine kurze hormonelle Störung. Ein Wohnmobil kosten gerade mal 5 Franken mehr und ich erkläre ihr, dass auf einen Wohnmobilstellplatz fünf meiner Zelte passen würden. „Wir müssen auch leben“, sagt sie und das ist ein Argument. Ich checke für zwei Nächte ein. Mein Zelt ist schnell aufgebaut. Ich wähle eine sonnengeschützte Ecke und nutze das footprint als Tarp. Gegenüber steht ein Familienzelt und es handelt sich um eine nette Familie aus Lettland mit einem vielleicht zweijährigen Kind, dass kurz darauf untröstlich ist, weil die italienische Familie mit der neugewonnen Freundin abreist.

          Ich rollere zum Supermarkt und kaufe die Zutaten für eine Minestrone, Müsli, Milch, Joghurt, Brot und etwas Käse. Dazu Mineralwasser. Lange stehe ich vor dem Müsliregal, denn 500 gramm Müsli kosten 3 Franken mehr als 1 kg Müsli. Ich nehme das 1 kg Müsli, preisbewusst wie ich bin. Nudeln habe ich dabei. Dennoch kostet mich der Einkauf 20 Franken.

          Zurück am Zelt koche ich auf dem Reactor mein Süppchen. Die anderen Zelter grüßen und mit einigen halte ich ein kleines Schwätzchen. Ich muss mir morgen um meine Sachen keine Sorgen machen, hier herrscht Zusammenhalt. Nach dem Essen mache ich mich auf den Weg zum See. Schön ist es hier, kein Zweifel. Ein paar Leute baden, es sind die Camper mit den Decathlon Zelten. In der Ferne sieht man die Vorortbahn, mit der ich gekommen bin. Kreischend fliegt ab und zu ein Flugzeug über den See, aber Lugano scheint nur ein Provinzflughafen zu sein. Es sind Learjets unterwegs und ab und zu eine Propellermaschine oder ein Wasserflugzeug.





          Als ich zurück komme, spielt im Restaurant eine Musikgruppe Volksmusik. Ich tarne meinen Roller, schließe ihn an den Stromkasten an, setze mich vor das Zelt und lese noch ein wenig. Zum Schlafen ist es viel zu heiß. Es dürften immer noch um die 30 Grad sein. Als die Dämmerung einsetzt, gehe ich noch einmal an den See und schaue lange auf das Wasser.





          Am nächsten Morgen wache ich erholt auf, obwohl selbst das Inlett als Decke zu warm war. Es ist schwül. Ich frühstücke. Die Familie aus Lettland kündigt ihre Abreise an. Morgen soll es regnen und sie möchten das Zelt trocken einpacken. Sie fahren Richtung Frankreich weiter. Nach einem Spaziergang am See nehme ich die Vorortbahn nach Lugano. Meine Frage, ob ich nach Lugano rollern könne, wurde mit Verwunderung aufgenommen. Hier sind Berge, sagt die Dame vom Empfang, deshalb kommt hier jeder mit dem Auto.





          In Lugano angekommen, entscheide ich mich, den Berg hinunter zu laufen, anstatt die Bahn zu nehmen. Den Treppen folgen Straßen, aber herunterrollern will ich dann noch nicht, so sehr vertraue ich meinen Bremsen nicht. Meinem Fuß geht es etwas besser. Am Morgen habe ich die Einlage aus meinem linken Schuh genommen und das scheint eine gute Idee gewesen zu sein, weil sie immer gegen die Schwellung gedrückt hatte. Ich muss zwar jetzt aufpassen, dass ich nicht umknicke, aber es geht viel besser als ich dachte.

          Die Gassen der Altstadt sind schmal und eng und es sind einige Touristen unterwegs. Ich rollere Richtung See. An ihm kann ich mich nicht satt sehen. Einen Moment setze ich mich auf eine Bank. Mein Banknachbar spielt irgendein Rubbellotto und stöhnt vor sich hin. Er hat bestimmt schon 30 Blätter verbraucht, aber zu gewinnen scheint er nicht.





          Auf einer Karte entdecke ich einen Park und rollere hinein. Familien mit Kindern sind unterwegs und die Stimmung ist gelöst.





          In der Nähe eines Wasserbrunnens setze ich mich auf eine Bank und beobachte die Vögel, die an dem Brunnen ihren Durst stillen.





          Dann wandere ich weiter. Ein Strand taucht auf. Er ist gesperrt, aber das interessiert niemanden. Ich habe eine Ermäßigung für die Schienenseilbahn zum Monte Bre erhalten und rollere eine Hauptstraße entlang, um den Eingang zu suchen. Der Zugang ist etwas irritierend, denn es gibt keine Kasse. Die erste Bahn fährt mir vor der Nase weg, dann begreife ich das System. Wenn das Licht grün leuchtet, kann man durch die enge Drehschranke gehen. Wie gut, dass mein Roller klappbar ist, er geht gerade so durch.

          Die Bahn klappert abenteuerlich, und ich schaue lieber nicht nach unten, damit ich nicht wieder Höhenangst bekomme. Die Rückfahrt wird zeigen, dass diese Sorge unberechtigt ist. Nach einer Station kommt die Kasse und ich steige in eine andere Bahn um. Schnell ist man oben und ich humpele bergab in Richtung Aussichtsrestaurant. Der Ausblick ist atemberaubend, wird aber durch die Gewitterwolken etwas gedämpft. Es ist drückend heiß, aber noch ist der Wind nicht aufgefrischt. Vom Berg herunter gibt es eine Mountainbikestrecke und einen Wanderweg. Sehnsüchtig schaue ich in die Richtung des Weges, aber ich weiß nicht, wie lange mein Fuß das aushalten würde. Nicht, dass ich nachher der Bergrettung bedarf.





          Als ich das kurze Stück Weges, das ich gekommen bin, wieder hochsteige, weiß ich, dass die Entscheidung richtig war. Mein Fuß glüht und ich muss ab und zu Pause machen. Das erste Mal kommt mir der ernsthafte Gedanke, dass ich vielleicht mal einen Arzt konsultieren sollte. Oben angekommen, vergesse ich den Gedanken gleich wieder und belohne meine Tapferkeit mit einem Eis. Auf einer Schautafel stehen die Wanderwege und ihre Schwierigkeiten. Es wird davor gewarnt, sich zu überschätzen.

          Nach zehn Minuten fahre ich mit der Bahn wieder herunter. Vor der Endstation steht eine Stadtrundfahrtbahn für die Schnellentschlossenen oder die Unterbrecher. Der Plan gelingt, fast alle Gäste steigen ein. Ich rollere dagegen Richtung Innenstadt, und als ich mich umdrehe ist es schon ein interessantes Gefühl, dass ich soeben da oben auf der Spitze war. Zwar nicht aus eigener Kraft, aber man kann nicht alles haben. Es gibt sogar noch eine zweite Strecke, die noch viel interessanter ist. Für sie reicht leider die Zeit nicht. Mit der Vorortbahn fahre ich zurück und verspeise den zweiten Teil meiner Minestrone. Dann fängt es langsam an zu nieseln.
          Ich kontrolliere noch einmal meine Reiseplanung und lege mich ins Zelt. Es ist noch drückender als gestern. Mein Fuß brennt wie Feuer. Der Regen nimmt zu, und da ich bei Regen wunderbar einschlafen kann, fallen mir schon bald die Augen zu. In der Nacht wache ich allerdings ein paar Mal auf, als es blitzt und donnert.

          Am nächsten Morgen stehe ich um 6 Uhr auf, dusche und packe konzentriert meine Sachen. Ich habe sogar Glück, dass ich mich in einer kleinen Regenpause unter das Vordach eines unbewohnten Wohnwagens flüchten kann, so dass ich das nasse Zelt so verpacken kann, dass die anderen Sachen trocken bleiben. Gegen halb acht verlasse ich den Platz. Die Rezeption ist noch geschlossen, aber ich hatte gestern bereits gezahlt. Ich bin gut eine Stunde zu früh. Mein Zug fährt erst um 9.48 Uhr. Als ich am Bahnsteig stehe, bekomme ich übermüdetes Selbstmitleid. Mein Fuß tut weh, die Umgebung am Bahnsteig ist trostlos, es regnet und schwülwarm ist es immer noch. Warum fahre ich nicht einfach nach Hause, lege mich ins Bett und kuriere meinen Fuß aus? Lesen und Schlafen. Nichts tun. Warum kann ich nicht einfach wie andere Leute Pauschalurlaub in einem All-Inklusive Hotel buchen, sondern muss wie von einer unsichtbaren Macht getrieben immer weiter reisen? Ich habe ein Tief.





          Und dann kommt Rom.
          Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:02.
          Oha.
          (Norddeutsche Panikattacke)

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          • boulderite
            Fuchs
            • 12.05.2012
            • 1260
            • Privat


            #6
            AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

            Ach schön, in Wien bist du in einer feinen Ecke gelandet. Wenige hundert Meter entfernt von der Jugendherberge im 7. Bezirk habe ich einige Jahre gewohnt. Schön dort.

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            • Sonnenanbeter
              Neu im Forum
              • 12.09.2013
              • 7
              • Privat


              #7
              AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

              Schöne Bilder. Die sind dir gut gelungen

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              • changes

                Dauerbesucher
                • 01.08.2009
                • 981
                • Privat


                #8
                AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                Dachte ich les noch n bisschen um wieder einzuschlafen.................

                von wegen.....

                fesselnde Erzählung, bin ganz gespannt auf die Fortsetzung.
                Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
                Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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                • Wafer

                  Lebt im Forum
                  • 06.03.2011
                  • 9533
                  • Privat


                  #9
                  AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                  Hallo Torres.

                  Toller Bericht! Liest sich sehr abwechslungsreich und spannend. Bin mal gespannt was noch alles kommt. Wenn ich richtig mitgezählt habe, dann hast du erst 3 von den 10 Bahntagen verbraucht. Da ist noch viel Potential für weitere interessante Tage mit schönen Bildern und netten Geschichten. Ich freu mich auf die Fortsetzung!

                  Gruß Wafer

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                  • Rattus
                    Lebt im Forum
                    • 15.09.2011
                    • 5177
                    • Privat


                    #10
                    AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                    Verflixt, ich muss arbeiten Also später lesen. Aber sag, welchen Roller hattest du dabei?
                    Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                    • Torres
                      Freak

                      Liebt das Forum
                      • 16.08.2008
                      • 31757
                      • Privat


                      #11
                      AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                      Herzlichen Dank für die ermutigenden Kommentare. Ja, da kommt noch einiges . Erst war ich etwas unsicher, ob den Reisebericht überhaupt schreiben soll. Aber die Reise war so toll, da musste ich einfach schreiben.

                      Hier ist übrigen die Quelle allen Übels und da war die Schwellung schon stark zurückgegangen.





                      @Rattus: Ich hatte den Mibo Folding Master dabei. Klick. Er ist günstiger geworden. Skandal! Und wiegt ein Kilo mehr, als ich dachte.
                      Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:02.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                      • Rattus
                        Lebt im Forum
                        • 15.09.2011
                        • 5177
                        • Privat


                        #12
                        AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                        Danke. Nicht ärgern, weiterfahren
                        Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                        • derSammy

                          Lebt im Forum
                          • 23.11.2007
                          • 7412
                          • Privat


                          #13
                          AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                          Fährt "Die" 2X durch Rosenheim und sagt net "Hallo"

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                          • Torres
                            Freak

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                            • 16.08.2008
                            • 31757
                            • Privat


                            #14
                            AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                            Ich hab "Hallo" gesagt aber nur zu Marianne Sägebrecht... .

                            Aber hast ja Recht. Das nächste Mal gibt es eine detaillierte Vorschau meiner Zugverbindungen, damit ich dann rechtzeitig winken kann.
                            Oha.
                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                            • Torres
                              Freak

                              Liebt das Forum
                              • 16.08.2008
                              • 31757
                              • Privat


                              #15
                              AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                              08.09. (-10.09.) 2013 Roma


                              Als ich in Lugano auf dem Bahnhof stehe, weiß ich, warum die weiteren Züge Verspätung haben werden. Es ist Sonntag und am Sonntag reisen die Familien nach Hause. Zwei italienische Familien mit Kindern versammeln sich um die Bank, auf der ich sitze und sie haben insgesamt 4 riesige Koffer und 6 mittlere Koffer dabei. Zuzüglich der Handtaschen. Der Junge tobt herum. Ich vermute, sie haben das gleiche Abteil reserviert und ich mache mir Sorgen, ob ich meinen Roller unterbekommen. Denn sie sind nicht die einzigen, immer mehr Familien verabschieden sich von den Verwandten oder Oma und Opa und bauen ihre Kofferburg auf. Eine Durchsage erklärt, dass der Zug heute mit der Wagennummerierung in umgekehrter Reihenfolge einfährt. Da ich im Gegensatz zu den unaufhörlich plappernden Mitreisenden zuhöre, kombiniere ich sofort, dass mein Waggon zwei Abschnitte weiter links sein muss. So ist es. Gemütlich verstaue ich den Roller, während die Familie im falschen Wagen einsteigt und anschließend durch den ganzen Zug läuft. Irritieren tut sie das keinesfalls und ich mache erste Bekanntschaft mit italienischem Pragmatismus und italienischer Lebensfreude.

                              Die Fahrt vergeht schnell und knapp eine Stunde später steige ich in Mailand um. Da das Gleis auf der Reservierung nicht verzeichnet ist, packe ich meinen Roller aus und rollere zur Schautafel. Dann weiter zu dem angegebenen Gleis. Dort steht ein italienische Highspeedtrain. Am Eingang des Gleises steht ein Einweiser, vor den Wagen der ersten Klasse stehen Mitarbeiter in Uniform und begrüßen die Einsteigenden. Das hat Stil. Die Assoziation Orient-Express kommt auf. Ist das wirklich mein Zug? Ich rufe dem einweisenden Herren „Roma Termini“ zu, aber er starrt auf meinen Roller und schüttelt mit wedelndem Zeigefinger den Kopf. Ich mache eine „ist gut“ Handbewegung, gebe Gas und rollere den Zug entlang. Wird schon der richtige sein. Der Roller wird geklappt und passt. Aber wo ist Sitz 58? Die Nummer gibt es nicht. Ich brauche etwas Zeit, bis der Groschen fällt. In den Highspeedtrains gibt es nur kleine Nummern, dafür aber die Sitze ABCD. Ich habe also Sitz 5 B.

                              Neben mir sitzt ein Herr aus Neapel (it. Napoli, eng. Naples) und wir kommen auf Englisch ins Gespräch. Er legt mit Napoli ans Herz: Dort ist es am wärmsten und das Essen ist dort am besten. Dort ist das echte Italien. Das hatte ich von der Schweizerin vor zwei Tagen etwas anders gehört, sie berichtete davon, dass der wirtschaftlich erfolreichere Norden Italiens den armen Süden gerne abspalten würde, da der Süden nicht Italien sei. Die Wirtschaftskrise stärkt derartige Tendenzen. Ich krame nach meiner Italienkarte und entdecke, dass bei Napoli die Amalfiküste entlang geht. Sie war mir von einem Kollegen als traumhafte Küstenstraße empfohlen worden und gehört hatte ich davon auch. Ich erinnere mich außerdem dunkel, dass es mal einen Film „Es begann in Neapel“ mit Sophia Loren gab, der mich als Kind beeindruckt hat, weil ich die Fischerorte so schön fand. Die Handlung habe ich nicht verstanden. Den Film kennt er aber nicht. (Amerik. Spielfilm, 1960, Clark Gable und Sophia Loren). Auch Sophia Loren scheint er nicht zu kennen – oder spreche ich ihren Namen falsch aus? Sie stammt aus der Nähe von Neapel. Napoli kommt auf die Liste meiner Reiseziele.

                              Aus dem Zugfenster ist nicht viel zu sehen – rechts ein paar Hügel, links flaches Land mit wenigen Häusern. Fotos mache ich daher keine. Der Zug fährt auf einer extra Hochgeschwindigkeitstrasse, oftmals parallel zur Autobahn, und er hält nur in den größten Städten. Entsprechend kostete seine Reservierung 10.00 Euro. Ohne Reservierung darf man nicht mitfahren. Die italienischen Schaffner kontrollierten und markierten auf meiner Reise nur die Reservierung, das Interrailticket hat sie nicht interessiert (das wurde von mir allerdings bei der Reservierung am Schalter vorgelegt).

                              Noch einmal überprüfe ich, ob ich die Adresse meiner Unterkunft noch habe. Ich hatte mich gestern gegen Camping und für ein Hostel entschieden. Das Hostel liegt sehr nah am Bahnhof und ich habe das Problem mit der Aufsicht über meine Sachen nicht. Mein Plan, zum Campingplatz zu rollern, hatte ich als unrealistisch gecancelt. Außerdem ist es im Zelt einfach zu warm. Kurz: Ein Hostel ist einfach flexibler. Ich hatte dort gestern angerufen, aber leider werden Reservierungen nur noch per e-mail vorgenommen (das gilt auch für andere Hostels). Bald wird Reisen ohne Internet der Vergangenheit angehören. Es scheint aber genug Platz vorhanden zu sein.

                              Als ich in Roma Termini aus dem Zug steige, wird meine Entscheidung, ein Hostel zu nehmen, untermauert. Es ist brütend heiß. In der Eingangshalle ist es sehr hektisch und an dem Fahrkarten- und Reservierungsschalter für den Fernverkehr stehen Trauben von Menschen an. Die Schlange ist noch größer als in Lugano. Das muss ich morgen erledigen. Erst einmal muss ich hier raus. Vor der Tür ist die Lage aber nicht übersichtlicher, hier ist der Busparkplatz und Menschenmassen strömen zu den Gefährten. Ticketverkäufer rufen irgendetwas und noch weiß ich nicht, dass man in Italien die Bustickets für den öffentlichen Nahverkehr nicht beim Fahrer, sondern in Kiosken, Zeitungsläden oder an eigenen Verkaufsstellen bekommt. Ich bin froh, dass ich jetzt keinen Bus zum Campingplatz suchen muss. Das würde mich überfordern.
                              Ich verdrücke mich in eine ruhigere Ecke und schalte das Navi ein. Rom wird angezeigt. Uff. Ich gebe die Adresse ein und das Navi zeigt mir eine längere Strecke an. Hä? Der Hostelmitarbeiter sprach gestern von 3 Minuten vom Bahnhof entfernt. Ich vertraue dennoch dem Navi und es lenkt mich vom Bahnhof aus gesehen erst ans Ende des Vorplatzes, dann nach rechts. Ich brauche etwas, bis ich begreife, dass ich auf der Längsseite des Bahnhofes entlang fahre. Dann muss ich durch eine lange Unterführung und komme an der anderen Längsseite des Bahnhofes heraus. Okay – ein riesiger Umweg. Immerhin finde ich das Hostel: Es ist das Downtown Hostel Allessandro Rome.

                              Es befindet sich in einem unauffälligen Wohnhaus. Ich betrete den kleinen, altertümlichen Aufzug, mein Gepäck passt gerade so rein. Die Rezeption ist im zweiten Stock. Es geht zu wie im Taubenschlag. Eine buckelige Italienierin mit nordafrikanischen Wurzeln schreit herum, sie scheint psychisch krank zu sein. Die Mitarbeiter beobachten ihren Weg aus dem Haus auf den Überwachungsmonitoren und sind erleichtert, als sie weg ist. Ich erkläre, dass ich gestern angerufen habe und werde freundlich begrüßt. Die Preise sind nach Wochentagen gestaffelt: Sonntag 21 Euro, Montag 22 Euro, Dienstag 24 Euro. Frühstück kostet 4 Euro, Tickets dafür gibt es am Automaten. Okay. Später erfahre ich, dass mittwochs Papstaudienz ist. Ob das der Grund für die Preisstaffelung ist? Ich bitte um ein ebenerdiges Bett und mein Wunsch wird erfüllt. Eine perfekte Logistik. Ich bin beeindruckt.

                              In meinem Zimmer treffe ich auf Australien – nett und mitteilsam, England – nett, Taiwan – total nett und mitteilsam und China – mein Gruß wird angewidert abgewiesen. China kommuniziert nicht, sondern raschelt ständig mit dem Gepäck, knabbert in den kurzen Zeiten der Anwesenheit krachend trockene Chinanudeln im Raum und schnarcht. Da hilft nur ignorieren. Ich packe mein Zelt zum Trocknen aus und verschließe den Rest des Gepäck im Schrank – mein kleines Vorhängeschloss ist wieder sehr nützlich. Als Backpacker sollte man immer eines dabei haben, die JH Wien hatte extra darauf hingewiesen. Die tageswichtigen Sachen kommen in den kleinen Rucksack.

                              Dann marschiere ich los, um Mineralwasser zu kaufen. Bei einer derartigen Hitze bevorzuge ich Aqua frizzante (Mineralwasser mit Kohlensäure) und ein bisschen Brot für morgen wäre auch nicht schlecht. Für heute abend brauche ich auch noch etwas zu essen. Ich gehe ans Ende der Straße, aber ein Supermarkt ist nicht in Sicht. Ich biege links ab und frage eine Italienerin, aber sie spricht kein Englisch. Sie zeigt an das Ende der Straße und sagt etwas von Piazza. Also laufe ich weiter und komme an eine belebtere Straße. Unter den Arkaden stehen Straßenhändler. Die meisten sind nordafrikanischer oder afrikanischer Herkunft. Vermutlich ist Straßenhandel der einzige Bereich, in dem sie Beschäftigung finden. Einen Supermarkt sehe ich nicht. Da ich nicht gerne umkehre, versuche ich es mit der nächsten Straße, nichts. Okay, noch eine Straße und dann kehre ich um. Ich stoße auf altes Gemäuer und einen Park. Gegen einen Park ist nie etwas zu sagen und ich betrete ihn. Es sind einige Menschen unterwegs, man lacht, spielt Fußball, unterhält sich mit anderen, flaniert oder ruht sich aus. Ein kleiner Junge fällt mir auf, der fasziniert zuschaut, wie sich seine Geschwister ärgern und darüber seinen Feuerwehrwagen vergisst.





                              Ich lenke meine Schritte nach rechts und sehe plötzlich etwas, was ich später scherzhaft als „altes Gerümpel“ bezeichnen werde: Alte Steine. In runder Form. Das kann eigentlich nur.... Richtig. Das ist es. Das Colosseum. Cool. Kaum aus dem Haus gegangen und schon über eine Sehenswürdigkeit gefallen. Jetzt aber zurück. So lange darf ich meinen Fuß nicht belasten.
                              Aber irgendwie kann ich nicht umdrehen. Irgendetwas zieht mich näher. Ein richtiges Foto machen? Gar nicht so einfach. Das Ding ist groß und die Sonne steht ungünstig. Vielleicht von der Seite? Rechts oben steht ein Haus im Sonnenlicht, davor sind ebenfalls alte Steine. Klick. Das Foto gelingt. Vielleicht gehe ich einfach mal ein Stück weiter, um es von der Seite zu fotografieren? Gott sind hier viele Menschen. Aber hier ist ein Baugerüst davor. Mist. Verdammt, warum habe ich meinen Roller nicht mitgenommen. Aah, sieh mal an. Da vorne ist eine Touristeninformation. Da bekomme ich einen Stadtplan. Sehr gut. Was machen bloß die ganzen Leute hier? So toll sieht das Colosseum nun auch nicht aus. Und dahinter ist Baustelle. Immerhin ist die Straße hier autofrei. Ein weißes Gebäude blinzelt am Ende der Straße. Ein paar Säulen ragen in den Himmel. Auf Pappschildern wird irgendwas zu Ausgrabungen und zum Colosseum erklärt. Muss man sich mit so etwas beschäftigen? Städtebesichtigungen sind langweilig, das weiß ich schon seit meiner Kindheit. Eine Pferdekutsche mit Touristen fährt vorbei – so etwas gibt es also auch hier und nicht nur in Wien. Da ist die Touristeninformation. Sprechen Sie Englisch? Das ist gut. Danke für den Stadtplan. Der nächste Supermarkt ist im Hauptbahnhof? Fein, da komme ich her. Danke schön. Nein, das lese ich mir jetzt nicht durch. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich verlasse die Touristeninformation und trete wieder auf die Straße.





                              Und da passiert es.

                              Ich weiß nicht, wieso es passiert und was die Ursache ist. Es passiert einfach. Ich trete auf die Straße und plötzlich ist die Umgebung verändert. Ich werde von einer Stimmung erfüllt, die unbeschreiblich ist. Immer noch sind viele Menschen auf der Straße, aber plötzlich liegt ein Zauber über den Dingen. Die Menschen sind fröhlich und gelöst, und ich merke, wie auf einmal alles einfach und leicht wird. Und ich reihe mich in den Strom glücklicher Menschen ein und sehe es an ihrem Lächeln und den Augen, dass es ihnen in diesem Moment genauso geht wie mir. Und ich lassen mich forttreiben. Vom Straßenrand her ertönt irische Musik. Junge Leute laufen einen Pfahl hinauf und landen nach einem Salto wieder auf den Füßen. Es sind Filmaufnahmen. Die Obsthändler bieten ihre Waren feil und es riecht nach Sommer und Sonne. Junge Mädchen kaufen Wasser oder Obst, junge Männer machen Fotos mit ihrem I-Pad. Kinder spielen auf der Straße. Ehemännern erklären ihren Frauen die Altertümer, und ältere Leute sitzen auf den Bänken und schauen zu. Ein Gewirr von Sprachen ist zu hören und gibt einen ruhigen Klangteppich. Wieviele Nationen mögen sich an diesem Abend in dieser einen Straße versammelt haben? Fünzig? Oder mehr? Das Colosseum färbt sich rot in der Abendsonne. Straßenkünstler zeigen ihre Kunststücke, Straßenmaler malen Passanten und am Wegesrand steht das über 2000 Jahre alte Forum Romanum mit den übrig gebliebenen steinernen Zeugnissen und Säulen. Eine friedliche Stille liegt über der Straße, obwohl die Menschen reden.





                              Ich setze mich auf eine Bank und schaue dem Treiben zu. Tauben picken Beeren unter einem Gebüsch hervor. Rom. Ja, ich glaube, die Antwort auf die Frage nach dem Grund dieser Stimmung ist: Rom. Was für eine Stadt. Rom, die ewige Stadt. Hier verbinden sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer wunderbaren Mischung, als gäbe es kein gestern und kein morgen. Wie viele Tausende oder Millionen von Menschen mögen schon diesen Weg hier gegangen sein oder werden ihn noch gehen? Dieser Ort kennt keine Zeit, er ist zeitlos. Hier ist Ewigkeit.

                              Langsam gehe ich die Straße weiter und immer wieder entdecke ich neue Spuren des Alten im Neuen. Später werden mir andere Reisende erzählen, dass sie schon seit Jahren nach Rom fahren und Rom jedes Mal völlig neu entdecken. Rom endet nie.
                              Ein weißes Gebäude mit Pferden auf dem Dach kommt näher und ragt eindrucksvoll in die Dämmerung hinein. Es ist das Monumente Vittoria Emanuelle II an der Piazza Venezia. Auf der Piazza ist viel Verkehr, aber die meisten Menschen sind – wie ich – noch in Trance. Es fällt schwer, sich in die Realität zurück zu versetzen und noch längere Zeit drängen die Fußgänger die Autofahrer zurück. An der nächsten Hauptstraße wird es dann ernst und die Menschen zögern, als sie den Zebrastreifen betreten. Ein Anfängerfehler. Die Italiener fahren zwar schnell, aber gut, und man muss sich schon durchsetzen, wenn man die Straße überqueren will. Zunächst versucht man es im Rudel, aber bald merkt man, dass es erheblich effektiver ist, wenn man den Zebrastreifen offensiv und energisch betritt. Die Autofahrer rechnen damit und halten.





                              Ich halte mich rechts. Das Wachsfigurenkabinett zeigt Papst Joh. Paul II (Wojtyla), mittlerweile heilig gesprochen und einen Vorgänger. Aus einer Palme ertönt Kreischen und ich vermute Papageien im Baum. Erst heute sehe ich bei einer Vergrößerung der Bilder, dass es vermutlich Wellensittiche waren. Am Teatro dell´ Opera riecht es nach Marihuana. Das Theater steht an der Piazza Benjamino Gigli. Benjamino Gigli war Anfang des letzten Jahrhunderts ein sehr berühmten Tenor. Ich biege in Nebenstraßen ab. Langsam wird es dunkel und es scheint, als würde die Stadt erst jetzt zum Leben erwachen. Auf den Bürgersteigen stehen die Tische der Restaurants und man wirbt um Kundschaft. Kleine einladende Seitengässchen verlocken zur Einkehr. Was für eine Atmosphäre.





                              Nach langem Suchen finde ich im Bahnhof den Supermarkt, er ist vom Hostel aus gesehen weit weg am anderen Ende des Bahnhofs. Zur Feier des Tages gönne ich mir für 2,50 Euro einen frisch zubereiteten halben Hahn, sowie ein Joghurt und ein Sixpack Mineralwasser. Brot ist ausverkauft. Ein großgewachsener Türsteher mit afrikanischen Wurzeln steht an der Tür und prompt geht die Warnanlage los, als ich durch die Sicherheitsschranke schreite. Sofort wird er offiziell. Ich zeige meinen Kassenzettel vor. Der Hahn ist der Übeltäter. Bezahlt hatte ich ihn aber. Als ich die 9 Liter Mineralwasser durch die Gänge des Bahnhofes schleppe, rückt sich mein Fuß wieder in Erinnerung. Ich hatte ihn ganz vergessen. Ein gutes Zeichen! Dennoch verfluche ich mich mehrmals. Diese Schlepperei war nicht notwendig. Ich hätte ja morgen wieder kommen können. Typisch!

                              Ich esse mein Hähnchen im ziemlich trostlosen Aufenthaltsraum und quatsche dann noch mit meinen Mitbewohnern. Taiwan ist ganz aufgeregt. Morgen ist der letzte Tag und die größte Sorge ist, irgendetwas verpasst zu haben. Ich lächele und denke an die Reisevorbereitungsthreads im Forum, in denen einige am liebsten haarklein vorher wissen wollen, was sie sehen und erleben werden und müssen. „Die Sachen, die wirklich wichtig sind, begegnen einem von selbst und was man nicht gesehen hat, war nicht wichtig. Dafür sieht man dann etwas anderes“, ist meine Antwort. Sie überzeugt nicht. Mein Zelt ist bereits trocken. Ein schöner Tag war das. Was wohl morgen passieren wird?
                              Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 23:11.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                                • 12.07.2008
                                • 43828
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                                #16
                                AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                Ah, Rom, wunderbar! Diese Bäume kommen mir bekannt vor – aber so viel Wasser hättest Du, dank der vielen römischen Leitungen, die noch immer funktionieren, doch gar nicht kaufen müssen?

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                                • Torres
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                                  #17
                                  AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                  Wenn es heiß ist, mag ich Wasser mit Kohlensäure. Die Brunnen habe ich auch genutzt. Ich habe ja täglich fast 4 Liter getrunken. Da reicht eine 1,5 Liter Flasche nicht für den ganzen Tag.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    #18
                                    AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                    Ok, seh ich ein, Kohlensäure kannten die alten Römer wahrscheinlich noch nicht

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                                      #19
                                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                      Wow, bin total begeistert.
                                      Werd mir den Bericht mal für nen richtig
                                      ekligen kalten nassen Tag aufbewahren :-)

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                                      • Torres
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                                        • 31757
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                                        #20
                                        AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                        09.09.213 Roma


                                        Nach dem Frühstück nehme ich meinen Roller und rollere los. Mein Ziel ist der Staat Vatikanstadt. Nach ein paar Metern tauchen die ersten Fotomotive auf: San Maria Maggiore und der dazugehörige Platz. Ich suche mir kleine Nebenstraßen, und das Gebäude der Guardia di Finanza, einer Spezialeinheit für Wirtschaftskriminalität, gerät in mein Blickfeld. Eine ältere Dame quält sich mit vollen Einkaufstüten über das Kopfsteinpflaster den Hügel hinauf. Sie geht auf der Straße, denn die Bürgersteige sind in den Seitenstraßen oft nur sehr schmal und in schlechtem Zustand. Oder sie sind einfach zugeparkt. Die Straße endet vor einem eleganten Stadthaus, und als ich zufällig zur Seite schaue, sehe ich das bemalte Einbahnstraßenschild, dass sich am Anfang dieses Berichtes befindet. Es ist also hier entstanden. An der Hauptstraße sitzen arabischstämmige Männer auf einer Treppe herum und langweilen sich. Motorroller werden auf offener Straße vor kleinen Werkstätten repariert. Die Motorroller sind auf den Straßen allgegenwärtig und die Fahrer fahren teilweise halsbrecherisch.
                                        Ich komme am Forum Romanum heraus und wieder ist die Atmosphäre gelöst, doch der Zauber von gestern abend ist verschwunden. Als ich die Beeren pickenden Tauben fotografiere, schrecken sie auf und fliegen davon.





                                        So interessant die Ausgrabungen auch sein mögen, ich steige lieber den Hügel hinter dem Monument zur Kirche hinauf. Oben schaue ich von einer Mauer aus auf antike Säulen. Eine österreichische Reiseführerin erklärt temperamentvoll ihre Bedeutung, und selbst eine Schülerin in Gruftie-Kleidung scheint interessiert. Etwas weiter oben macht ein Mann Verrenkungen und versucht irgendein Gebüsch zu fotografieren. Erst fotografiere ich ihn bei seinem Tun, dann schaue ich das Gebüsch näher an und entdecke einen Bären ähh, eine Wölfin. Da war doch was: Romulus und Remus, 753 - Rom kroch aus dem Ei. Knapp die Kurve bekommen. Die Kirche lasse ich rechts liegen und betrete den Hof: Ich stehe auf dem Kapitolsplatz. Er wurde von Michelangelo entworfen und im Mittelpunkt steht ein Reiterstandbild des Kaisers und Philosphen Mark Aurel. Allerdings handelt es sich um eine Kopie, das Original steht im Museum. Eine französische Reisegruppe strebt einem Aussichtspunkt zu und ich überhole sie rollernd. Von dort hat man einen guten Ausblick über die Stadt. Mehrere Teilnehmer starren gebannt auf meinen Roller. Endlich mal etwas Abwechslung. Zuviel Geschichte ist ermüdend.





                                        Das sehe ich auch so und versuche einen Weg zum Tiber zu finden. Obwohl ich manchmal Zweifel habe, ob mich der Weg wirklich dahin führt, so habe ich doch Glück. Nachdem ich eine Treppe abgestiegen bin, befinde ich mich auf der anderen Seite des Hügels. Kurzzeitig verliere ich den Überblick, wo ich bin, aber ein Lehrer aus den Niederlanden zeigt mir meine Position. Ich komme an der Kirche Santa Maria vorbei, in welcher der Wahrheitsmund aufgestellt ist, doch ein Foto mache ich nicht. Es sind zu viele Menschen dort.





                                        Und dann bin ich endlich – fast – Outdoor. Vor mir ist der Tiber. Es handelt sich um den drittlängsten Fluß Italiens. Ein Radfahrer radelt direkt am Wasser entlang – es ist der erste, den ich in Rom sehe. Tatsächlich. Dort ist ein Fahrradweg. An der Brücke Ponte Cestio gehe ich die Treppen hinunter. Auf einer Insel im Tiber wird Veranstaltungsequipment aufgebaut. Ein Tanklaster kommt, und ich bin mir nicht sicher, ob er Wasser holt oder Flüssigkeit loswerden will. Ein Motorradpolizist kommt hinzu und prüft irgend etwas. Die Fahrt wird nun immer idyllischer. Menschen sind nur wenige da – meist Radfahrer. Unter den Brücken heißt es aber Vorsicht Glas. Die Unsitte, Glasflaschen von Brücken zu werfen, scheint hier auch Verbreitung gefunden zu haben. Auch die Zelte der Obdachlosen entgehen meinen Blicken nicht. Wasservögel flattern umher, und der Verkehr scheint weit weg zu sein. Ein Schiff taucht auf – ich glaube, es ist das hässlichste Schiff, das ich je gesehen habe. Ein Vogel betrachtet mich misstrauisch. Als ich ihn fotografieren will, fliegt er davon, um kurz darauf wieder zu kommen. Er weiß nicht, was er will. Auch ein Angler darf nicht fehlen.





                                        Auf den Brücken staut sich der Verkehr. Anscheinend ist mein Ziel nicht weit. Gefühlt jedes zweite Fahrzeug ist ein Reisebus. Ein Mann pinkelt auf der Treppe gegen die Wand. Kein Wunder, dass es an den Zugängen so stinkt. Auf dem Wasser befinden sich kleine Inseln, auf denen Enten sitzen, aber sie sind zu weit weg, um sie zu fotografieren. Dafür scheint die Engelsburg nicht mehr weit zu sein, sie lugt durch die Brücken durch. Vor mir sind Straßenhändler aus Bangladesh oder Pakistan, die Ware oder Geld tauschen. Sie schauen mich misstrauisch an, und ich entscheide mich, den Radweg zu verlassen und mein Glück an der Straße zu versuchen. Der Treppenaufgang hat sogar eine Fahrradrinne, ich bin überrascht. Oben herrscht das blanke (Verkehrs-)Chaos und ich rollere so schnell ich kann auf den nächsten autofreien Platz. Ein Straßenhändler verkauft Seifenblasen. Als er sieht, dass ich das fotografiere, gibt er sich richtig Mühe, kaufen tue ich dennoch nichts. Ich überlege, den Garten der Engelsburg an zu schauen und ein wenig Pause zu machen.





                                        Aber da sehe ich das:





                                        Und da muss ich hin.












                                        Die Zahl der Menschen hält sich in Grenzen, man kann sich gut bewegen. Ich setze mich an den Rand, denn es ist sehr warm draußen, und ein wenig Schatten kann nicht schaden. Ich trinke Mineralwasser und erhole mich von meiner Rollertour. In der Nähe sitzen Leute aus dem Odenwald, und wir unterhalten uns ein bisschen, und ich kläre sie über meinen Roller auf. Aus der Richtung der Basilica di San Piedro kommen viele Menschen, und ich frage naiv, was die da so machen. Naja, die Kirche anschauen und Fotos machen. Hhm. Keine schlechte Idee, wenn man schon mal da ist. Sie erzählen, dass am Mittwoch Papstaudienz ist, man muss allerdings Karten kaufen. Sie waren letzte Woche dabei – zusammen mit 70.000 Menschen. Ein tolles Erlebnis. Schade. Da bin ich nicht mehr da. Den Papst sehen, wäre ja was. Ich bin zwar nicht katholisch, aber das macht ja nichts. Ich verabschiede mich und rollere zum Seiteneingang der Kirche. Die Schlange ist nur kurz, aber Schilder weisen darauf hin, dass man a) korrekt gekleidet sein muss – meine Kollegin wird später lachen und sagen, dass sie beim ersten Mal nicht hinein durfte, da sie nur ein kurzärmliges T-Shirt und kurze Hosen anhatte. Das ist nicht erwünscht. Und b) keine Scheren oder Messer dabei haben darf. Mist. Im Rucksack ist mein Opinel. Ich wende und entscheide mich, den Vatikanstaat zu umrunden. Als ich den Platz verlasse, macht es plötzlich „Klick“. Basilica di San Piedro. Basilica di San Piedro? DAS IST DER PETERSDOM!!! Mein Gott, manchmal bin ich echt ein Daddel. Natürlich muss ich mir den Petersdom anschauen. Der Petersdom. Natürlich. Ich bin in Rom!

                                        Ich rollere um die Kurve, aber die Gebäude im Vatikanstaat sehen unauffällig auf. Buntgekleidete Wachen stehen an den Eingängen. Ständig rollen Autos hinein und wieder heraus. Natürlich wird das Gelände bewacht, aber es fällt kaum auf. Eine Polizistin grinst mich an, als sie meinen Roller sieht. Steil geht es auf einem schmalen Bürgersteig einen Hügel hinauf, und ich schnaufe etwas. Die Mauer immer im Blick. Dann geht es wieder herunter, und ich rollere auf der Straße. Hui, macht das Spaß. Ein paar Autos hupen. Ich komme am Vatikanmuseum heraus. Leider erfahre ich erst am nächsten Abend, dass der Zugang zur Sixtinischen Kapelle nur über das Museum möglich ist, und so besichtige ich sie nicht. Ich muss wohl irgendwann einmal wieder kommen.





                                        Ich bin müde geworden und entscheide mich, nicht mehr zurückzurollern, sondern die Metro zu nehmen. Ich rollere durch ein schönes Wohnviertel und finde den Eingang nach kurzem Suchen. Der Ausgang führt über mehrere Rolltreppen zum Seiteneingang des Hauptbahnhofes. Ich rollere auf kurzem Weg Richtung Hostel. Müll liegt auf dem Bürgersteig und ich nehme das erste Mal den Park richtig wahr, der sich kurz vor dem Hostel befindet. Ich suche den Eingang, aber als ich ein Foto von den Beeten mache und mit einem Fuß den Rasen betrete, stürzt ein Ordner auf mich zu. Ich verstehe ihn nicht, und er schiebt mich zum Fahrradständer. Das ist ein Roller, verdammt noch mal. Schlagartig vergeht mir die Lust, mich im Garten nieder zu lassen.





                                        Ich gehe erst einmal ins Hostel. England ist abgereist und dafür ist Mexiko gekommen. Wir unterhalten uns sehr nett. Aber der Petersdom lässt mir keine Ruhe. Ich leere meinen Rucksack und mache mich zu Fuß auf den Weg. Mit der Metro fahre ich wieder zurück und hetzte Richtung Petersdom. Wann macht er zu? Es ist kurz vor fünf. Hoffentlich habe ich Glück.

                                        Das Glück ist mir hold, und ich reihe mich in die Schlange ein. Natürlich schlägt die Sicherheitsschleuse an, und ich leere meine Taschen. Die Umstehenden grinsen, als ich Zahnbürste und Zahnpasta auf das Laufband lege. Aber die Sicherheitsanlage piept immer noch. Die Schuhe, sage ich, und klopfe meine Kleider ab, um zu zeigen, dass ich nichts mehr am Körper habe. Das kenne ich nämlich schon. Der Sicherheitsbeamte ist etwas genervt und winkt mich durch. Und dann staune ich nur noch. Das schwebende Gefühl ist wieder da. Damit habe ich nicht gerechnet.








                                        Diese Höhe und diese Weite. Ich kann mich nicht satt sehen.















































                                        Ganz zuletzt fotografiere ich noch die Skulptur von Michelangelo. Fast hätte ich sie übersehen.





                                        Als ich aus der Kirche ins Freie trete, bin ich wie benommen.






                                        Voller Eindrücke humpele ich zur Metro und fahre nach Hause. Dieses Erlebnis muss man erst einmal verarbeiten. Ich finde einen kleinen Einkaufsmarkt in einer Seitenstraße. In einer Pizzeria an der Straße esse ich eine Pizza. Der Teig ist dünn, so muss eine Pizza sein. Das Essen ist preiswert in Rom.





                                        Wieder ist es ein milder Abend. Rom ist schön.
                                        Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:04.
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                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                          Interessant! Muss nicht immer Fahrrad sein Danke für den Bericht!
                                          Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                                          Gruß, Wi grenzenlos

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                                            10.09.2013 Roma


                                            In der Nacht habe ich mäßig geschlafen. China ist gegen halb vier morgens abgereist – nicht ohne eine Stunde lang herum zu rascheln, ein paar Mal die Leiter vom Bett geräuschvoll hoch- und runterzuklettern, mit der Taschenlampe anderen ins Gesicht zu leuchten und ein paar Mal die Tür zu zu knallen. Taiwan entschwindet dagegen gegen 5 Uhr geräuschlos. Australien hat für heute eine Busfahrt nach Neapel gebucht und gestern noch erzählt, dass der Bus in Neapel keinen Stopp einlegen wird, weil das zu gefährlich ist. Immerhin gibt es dort viel Kriminalität und eine gewisse Organisation hat dort die Strukturen fest im Griff. Zielort des Busses ist daher Pompeij. Upps. Eigentlich hatte ich Napoli fest eingeplant.

                                            Am Frühstückstisch recherchiere ich auf wikitravel. Die Sicherheitslage ist tatsächlich nicht gut, aber wenn man etwas vorsichtig ist und den Neapolitanern vorurteilsfrei begegnet, kann man sich dort wohlfühlen. Die Autoren empfehlen bed and breakfast, das man aber nur vor Ort buchen kann oder als günstige Alternative das Hotel San Giorgio in der Nähe des Bahnhofs. Die Jugendherberge befindet sich in Hafennähe etwas außerhalb und ist nicht so gut zu erreichen. Ich schaue nach Campingplätzen, aber der nächste Platz befindet sich in Sorrentino. Der Ort ist zwar mit der Vorortbahn zu erreichen, aber so ganz zufrieden stellen mich die Beschreibungen nicht.
                                            Aber mich plagen noch andere Sorgen. Neapel ist eigentlich ein Umweg. Wenn ich zwei Tage für Neapel einplane, muss ich mich sputen, um nach Kroatien zu kommen. Griechenland ist keine Option. Die Fährfahrt dauert lange und die Bahnverbindungen zu unberechenbar. Am besten wäre es wohl, über Venedig zu fahren. Laut Karte ist Venedig gar nicht weit von Kroatien entfernt und es gibt dort auf den vorgelagerten Inseln Campingplätze.

                                            Draußen nieselt es, und ich beschließe, heute mal einen Ruhetag ein zu legen. Ich brauche Urlaub vom Urlaub. Auf dem Stadtplan sehe ich den Park der Villa Borghese, und ich entscheide mich, ihn an zu steuern und dort etwas Ruhe zu finden. Als ich das Hostel verlasse, scheint schon wieder die Sonne. Ich rollere Richtung Bahnhof und da fällt mir ein, dass ich mir noch eine Reservierung für morgen holen muss. Wieder stehe ich gut eine Stunde in der Warteschlange, aber ich bin ganz ruhig. Hilft ja nichts. Als ich dran bin, erhalte ich für 10.00 Euro eine Reservierung für den Highspeed-Train nach Napoli. Spontan buche ich auch noch Venedig. Die Reservierung kostet 3.50 Euro. Ich habe die Wahl zwischen einem Zug um 8.12 Uhr oder gegen 14.00 Uhr. Ich wähle 8.00 Uhr, aber irgendwie kommt mir die Sache spanisch vor. Fast jede Stunde fährt ein Zug nach Venedig, das hatte ich meinen Interrail-Planer entnommen. Ich frage extra nach, ob das schnelle Züge sind, und sie nickt. Ganz überzeugt bin ich nicht, aber da ich kein Internet habe, nehme ich die Reservierung mit. Ich kann es mir ja immer noch anders überlegen. Am Abend werde ich sehen, dass es tatsächlich kein Highspeedtrain ist, sondern ein schneller IC, der allerdings fast 3 Stunden länger braucht. In meiner Interrail-App ist er nicht aufgeführt. Nun ja, wer weiß, wofür das gut ist. Vielleicht ist das Schicksal.

                                            Mit den Reservierungen in der Tasche rollere ich los. Es ist bereits nach 11.00 Uhr. Ich entscheide mich, die Straße zu fahren, zu der mich mein Navi bei der Ankunft gelenkt hat. Diesmal biege ich links ab und komme an öffentlichen Gebäuden vorbei. Unter einem Schild „DHL Service Point“ erklärt ein älterer Herr einer jungen Dame den Stadtplan. Das wäre eine gute Werbung. Die Straße ist eine Hauptstraße und mit Behindertenzugängen versehen. Die gibt es in Rom öfter und die sind für das Rollerfahren sehr praktisch. Es sind in Asphalt eingelassene kleine Rampen. An einer Hauswand hängt in Lebensgröße ein Plakat von Armani. Es passt perfekt zur Umgebung.

                                            Für einen kurzen Moment verliere ich die Orientierung, und merke kurz darauf, dass ich meinen Weg korrigieren muss. Ich rollere an einem Bürohaus vorbei und rechts von mir steht mal wieder altes Gerümpel herum – eingezäunt. Ein Italiener spricht mich an, als ich ein Foto mache und erklärt mir, dass der Tempel des Diokletian ein Stück weiter weg ist. Ich bedanke mich, aber da wollte ich gar nicht hin.

                                            Vor mir ist auch wieder irgendein altes Gerümpel, und ich will ein Foto machen, aber zwei überbreite Engländer, die auf ihre Frauen warten, versperren den Weg. Vor dem Gerümpel ist ein Hof ,und ich rollere hinein, um ein Foto ohne Engländer zu machen. Dann sind die Engländer weg und ich mache doch noch ein Foto. Der Innenhof ist hübsch und ich sehe sogar eine Tafel: „Basilica Santa Maria degli Angeli dei Martiri“. Darunter steht „450 anniversario“. Vielleicht eine Kirche? Ich setze mich auf einen Stein und trinke erst einmal Mineralwasser. Ameisen krabbeln über den Hof. Die Tür ist offen, und ich denke, ich könnte ja mal schauen, was das für eine Kirche ist. Als ich mich der Treppe mit dem Roller nähere, schaut mich ein Italiener strafend an. Okay. Ich schließe den Roller an der Treppe an. Im Eingang steht eine Figur und dann kommt ein Raum mit Tafeln, welche wohl die Ruine erklären. Ich will schon wieder gehen, da sehe ich, dass es hinter den Tafeln einen weiteren Raum geht.

                                            Und stehe mitten in einer traumschönen Kirche. Nicht ganz so imposant wie der Petersdom, aber ebenfalls atemberaubend. Die Konzeption der Kirche ist ein Projekt von Michelangelo und ein Teil der Decke ist unbemalt. Es stellt mich zufrieden, dass die Schilder die Bauform damit erklären, dass der Eindruck eines Zeltes entstehen sollte :-)
                                            Die Kirche wird nur von wenigen Menschen besucht und so kann man sich viel intensiver in die Details vertiefen. Einige Altäre sind wunderschön, und moderne Skuplturen gehen eine gute Verbindung mit der jahrhundertealten Kunst ein. Besonderer Höhepunkt ist die Sonnenuhr mit einem Meridian, der quer durch die Kirche verläuft. Auch eine Bronze, die das Pendel von Galileo darstellt (Guiseppe Gallo, Felice Farina, 2008) fasziniert oder der Kopf von Johannes der Täufer (Igor Mitoraj, 2006). Natürlich mache ich Bilder, da ich aber nicht weiß, ob ich die hier veröffentlichen darf, hier ein Link zu der Kirche. http://de.wikipedia.org/wiki/Santa_M..._e_dei_Martiri

                                            Eine Marienfigur rührt mich an und ich denke an Werner (Cervantes). Morgen ist sein Todestag. Ich gehe zu dem Altar nebenan und zünde ein Licht für ihn an. Hoffentlich geht es ihm gut, wo er jetzt ist.





                                            Nachdenklich verlasse ich die Basilica. Nun will ich doch noch einen Blick auf die Therme des Diokletian werden, auf deren Ruinen die Kirche erbaut wurde. Als ich um die Ecke biege, macht ein Obdachloser mit Fahrrad an einer Mülltonne Essensrecycling. Flink packt er eine mitgebrachte Mülltüte aus und trennt in professioneller Geschwindigkeit Essbares (Brot) von nicht Essbaren. Dann stehe ich vor dem gesuchten Gebäude und entdecke, dass hier das Nationalmuseum untergebracht ist. Ich umrunde die Anlage weiter und stoße auf einen Kiosk, der gleichzeitig Ferrari Fan-shop ist. Ich entscheide mich, einen Ferrariaufkleber für meinen Roller zu erwerben, aber leider muss man mehrere Aufkleber zu einem entsprechenden Preis abnehmen. Das ist mir dann doch zuviel.

                                            Am Haupteingang des Museums betrete ich die Zufahrt, um den durch Bäume verborgenen Teil zu fotografieren. Ein Pförtner, der in einem Häuschen sitzt, macht mir unmissverständlich klar, dass der Roller draußen bleiben muss. Ich versuche zu diskutieren – immerhin stehen an der Zufahrt auch Autos – aber mangels ausreichender Italienisch Kenntnisse stehe ich auf verlorenem Posten. Ich wende und dann bekomme ich mal wieder einen Hormonschub, drehe wieder um, werfe den Roller wie ein trotziges Kind auf den Rasen und laufe los, das Foto zu machen. Als ich zurück komme, sehe ich einen anderen Mitarbeiter in der Einfahrt, der mich anlacht und mir irgendetwas zuruft. Ich vermute, dass diese Geste dazu geführt hat, den beiden klar zu machen, dass das ein Roller und kein Fahrrad ist. Auch der Sicherheitsbeamte, der mittlerweile telefoniert, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Grummelnd, aber dennoch aufrechten Hauptes, entferne ich mich. Ein Stück weiter ist der Haupteingang der Basilica, die ich vorhin besucht habe, aber auch er wirkt eher schmucklos.

                                            Es fängt wieder an zu regnen, und ich merke, dass mir die Lust auf Park vergangen ist. Ich bin immer noch in der Nähe des Hauptbahnhofes und dem Park kein Stück näher gekommen. Links von mir ist ein Brunnen, und ich suche eine Möglichkeit, auf die andere Straßenseite zu kommen. Es handelt sich um den Platz der Republik (Piazza del Republica). Ich nehme die erste Hürde und stoße auf eine lange Reihe Buden, in denen gebrauchte Bücher verkauft werden. Leider sind die Bücher auf italienisch, sonst hätte ich vermutlich ein paar Stunden hier geschmökert. Wieder überquere ich die Straße und befinde mich am Piazza del Cinquecento, an dem auch der Palazzo Massimo alle Terme steht. Es wird auf Ausstellungen hingewiesen.

                                            Ich biege in mein Viertel ein. Eine Straßenbahn rattert vorbei. Ein Obdachloser sitzt vor einem Fastfoodrestaurant und stopft sich wahllos die Essensreste aus dem davorstehenden Mülleimer in den Mund. Ich bin müde und lege mich ein wenig auf das Bett. Wieder recherchiere ich nach Übernachtungsmöglichkeiten in Neapel, aber schlauer macht mich das nicht. Ich muss morgen spontan schauen, was sich ergibt.



                                            Aber lange halte ich es im Zimmer nicht aus. Verdammt, nun war ich in Rom und haben den Trevi Brunnen nicht gesehen. Das geht gar nicht. Ich schaue auf den Stadtplan, wo er ist. Okay, das kann ich mir merken. So starte ich ohne Stadtplan.

                                            Am Anfang geht auch alles gut, aber irgendwo biege ich falsch ab. Was soll man auch machen, wenn man ständig über Fotomotive stolpert, die einen vom Weg ablenken. Immerhin finde ich irgendwann ein Straßenschild: Ich bin in der Via Quirinale. Das nutzt mir aber nicht viel, denn ich habe ja keinen Stadtplan dabei. Offizielle Gebäude säumen den Weg und in einer Einfahrt steht nicht nur ein Mann in einer geknöpften Uniform, dessen Hosen wie Reithosen aussehen, sondern auch ein Wachsoldat mit glänzendem Helm. Ich bin beeindruckt. Das Foto veröffentliche ich aber nicht.





                                            Wieder eine Kirche, die Chiesa Di Sant´Andrea Al Quirinale. http://de.wikipedia.org/wiki/Sant%E2...a_al_Quirinale. Besichtigen tue ich sie nicht. Ein Park schließt sich an, aber der Eingang ist verschlossen. Ich hätte ihn gerne besichtigt. Dann komme ich an eine merkwürdige Kreuzung. An jeder Ecke ist ein Brunnen. Arno, Tiber, Diana und Juno. http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Vier_Brunnen. Da an der Kreuzung viel Verkehr ist, fotografiere ich sie einzeln. Hier sind nun auch wieder Touristen und ich frage ein englisches Ehepaar nach dem Weg. Es weiß das auch nicht so genau, aber ein Blick auf ihre Karte lässt mich die Orientierung wieder gewinnen. Ich bin ziemlich stark vom Weg abgekommen, aber so groß ist Rom ja nicht :-). Wieder komme ich an einem imposanten Museum vorbei. Und dann geschieht ein Wunder: Ich finde einen Wegweiser! Jetzt kann nichts mehr passieren!





                                            Die Dichte an Touristen nimmt zu, und dann weiß ich nicht, was lauter ist: Das Rauschen des Wassers oder das Rauschen der Worte. Der Brunnen ist aus meiner Sicht gelungener Kitsch, aber die Atmosphäre ist wieder wunderbar. Lange halte ich es dennoch dort nicht aus und laufe Richtung Hauptbahnhof. In den Gassen finden sich kleine Restaurants, deren Speisekarte hohe Kochkunst verspricht, kleine Läden und gehobene Souvenirshops. Ein schönes Viertel hier. Ein Feinkostgeschäft zeigt seine Auslagen ,und ich bin froh, dass lina nicht dabei ist. Ich wette, sie hätte hier stundenlang eingekauft und den Ladenbesitzer in ein Fachgespräch verwickelt :-) (nicht hauen, bitte!).





                                            Als ich zurück in mein Viertel komme, wähle ich ein anderes Restaurant, das vor allem von Italienern besucht wird. Aber die Preise für die köstlichen Kleinigkeiten (in Italien isst man ja mehrere Gänge: 1. Vorgang, 2. Vorgang, Hauptgang, Dessert) übersteigen mein Budget. So begnüge ich mich mit einer Vorspeise: Spaghetti. Und schaue neidisch auf die Teller meiner Nachbarn, die sich an der echten italienischen Küche erfreuen.

                                            Mein letzter Tag in Rom. Noch viel gäbe es hier zu entdecken. Aber diese zwei Tage waren genau richtig. Morgen will ich weiter. Langsam schlendere ich zurück. Ein Laden, der die letzten Tage noch renoviert wurde, ist plötzlich voller Schmuck und Asiatinnen zeichnen die Preise aus. Ich gebe der ODS – Hotline meine Position durch und erzähle, dass ich morgen nach Neapel fahre. Dort soll es gefährlich sein und ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist. Ich bekomme zur Antwort: „Neapel, wie spannend. Das wird bestimmt großartig“. Na dann....
                                            Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 23:16.
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                                              <- gespannt auf die Fortsetzung wartet


                                              Ich habe schon öfters bei dir was von ODS Hotline gelesen. Ist das blos nen Insider oder gibbet sowas hier?
                                              Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
                                              Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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                                                Zitat von changes Beitrag anzeigen
                                                <- gespannt auf die Fortsetzung wartet


                                                Ich habe schon öfters bei dir was von ODS Hotline gelesen. Ist das blos nen Insider oder gibbet sowas hier?

                                                Nein, das ist ein Insider. Es ist halt jemand, der auch bei ODS ist und dem ich immer meine Position durchgebe und der auch so nett ist, mal für mich etwas zu recherchieren, wenn ich kein Internet habe. Sozusagen das backup an Land. Das hat sich bei meiner ersten Wintertour so entwickelt und ist dann beibehalten worden. Besser, als die Familie zu verunsichern, die nicht weiß, worum es geht.

                                                Danke übrigens mal dafür, liebe ODS Hotline.
                                                Oha.
                                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                  11.09. (-12.09.) 2013 Napoli (Neapel, Naples)

                                                  Am Morgen bin ich früh wach. Ein letztes Mal Frühstück ("Good morning. How many slices do you want? Ham and Cheese? Have a nice day" – wie lebt man, wenn man jeden Tag 50 oder 100 Mal im gleichen asiatisch singenden Tonfall die gleichen Sätze sagt?) und dann rollere ich mein Gepäck zum Bahnhof. Ich bin viel zu früh und mein Zug ist noch nicht angekündigt. So setze ich mich ein wenig hin – am Bahnsteig sind in den Pfeilern Ausbuchtungen, denn Bänke sucht man im Eingangsbereich vergebens – und schaue den Leuten zu. Es sind viele Geschäftsleute dabei, aber es ist ein Fluss von Menschen und alle wirken entspannt. Die unterschwellige Aggressivität, die man bei uns oft spürt, fehlt. Eine Mentalitätssache?
                                                  Schon vorgestern, als ich durch Rom rollerte, hatte ich mich gefragt, wo eigentlich die Italiener meiner Kindheit geblieben sind? Immer waren sie fröhlich, gut gelaunt, besaßen unglaubliches komödiantisches Talent, sangen gerne und waren immer zu einem Spaß zu haben. Wer schwarze Haare hatte und ein bisschen italienisch aussah, bekam immer ein wenig mehr Eis als die anderen und das Eis wurde nicht in Kugeln serviert, sondern mit einem Schaber in runde, essbare Becher gestrichen. Wenn eine Fußballweltmeisterschaft anstand, ging man zum Italiener. Es war völlig egal, ob Deutschland gewann oder Italien oder irgendeine andere Mannschaft spielte, jedes Tor der bevorzugten Mannschaft wurde bejubelt und jedes Gegentor führte zu dramatischen Leiden und wenn im direkten Vergleich Deutschland gewann, war man für Deutschland und wenn Italien gewann, war man für Italien. Am Ende war alles nur ein Spiel und man freute sich, dass es ein gutes Spiel war. Wann sind sie hier im Norden aus dem Straßenbild verschwunden? Und haben die meisten der ursprünglich italienischen Eislokale und Restaurants an Deutsche, Inder oder Pakistani übergeben? Oder wurden einige von ihnen einfach Deutsche?

                                                  Mein Zug soll um 10.10 Uhr fahren, doch ich habe noch keine Zuordnung zu einem Bahnsteig. Ich frage einen Bahnbeamten, auf welchen Bahnsteig ich muss (Binari), und er erklärt, dass sich das erst 15 Minuten vor Einfahrt herausstellt. Endlich begreife ich das System und verstehe, warum so viele Leute vor den Schautaufeln im Eingang stehen. Einen Moment überlege ich, was wäre, wenn die deutsche Bahn dieses System einführen würde. Sicherlich wäre sie damit flexibler, vor allem in Kopfbahnhöfen, aber den Proteststurm kann ich mir lebhaft ausmalen. Als ich den Bahnsteig weiß, rollere ich vor. Statt der Abschnitte A B C D stehen am Bahnsteig Nummern, welche die Waggons bezeichnen. Mein Waggon ist relativ weit hinten und so habe ich etwas Weg vor mir. Dann packe ich wieder den Roller ein. Der Zug kommt etwas verspätet kurz vor 10 Uhr und ich steige ein.

                                                  Der Wagen ist so gut wie leer, nur 4 junge Frauen in Sommerkleidung und mit nichts an Gepäck als einem Handtäschchen sitzen im vorderen Bereich. Eine sitzt auf dem von mir per Reservierung zugeteilten Platz, schaut eine Sekunde verwundert, als ich neben ihr stehe, springt aber sofort auf, als ich die Reservierung zeige. Ich glaube, zu hören, dass sie spanisch sprechen und verorte sie als Südamerikanerinnen.
                                                  Ein junger Mann betritt das Abteil und auf Englisch fragen sie ihn, ob die Basilica in Naples in der Innenstadt sei. Er schaut etwas irritiert und fragt noch einmal nach. Ja, ob die große Basilica von Naples in town centre sei. Er stutzt und sagt langsam auf englisch, dass Neapel keine große Basilica hat, da müsse man schon etwas weiter fahren. Doch, doch, hüpfen die Frauen auf ihrem Sitz herum, da gibt es eine große Basilica. Ich mische mich jetzt auch ein und sage, dass ich nichts von einer großen Basilica in Neapel gelesen habe. Rom hat eine große Basilica, aber nicht Neapel. Nein, sagt die Wortführerin, wir wollen nicht nach Rom, sondern nach Neapel, das steht auf unserem Ticket und man hat uns gesagt, dass in Neapel eine große Basilica sei. In einem Moment spiritueller gesteuerter Eingebung, frage ich sie, ob sie mir das Ticket mal zeigen kann. Auf dem Ticket steht als Ziel „Roma Termini“. Das sage ich ihr. Da steht Rom. Ihr müsst hier raus. Die Basilica ist hier, in Rome. Die erste der Frauen will schon hochspringen, doch die Wortführerin sagt, nein, wir wollen nach Napoli und auf dem Ticket steht schließlich Napoli drauf. Tatsächlich hat jemand mit Kugelschreiber „7 Napoli“ geschrieben. Aber eingedruckt steht Rom, moniere ich schwach und gebe das Ticket zurück (der Schaffner hat vermutlich Gleis und Zugziel darauf geschrieben, damit sich die Damen nicht verirren...). Ich werde nicht gehört. Die Damen bleiben frohen Mutes sitzen. Vertraulich schaut mich das Mädel, das schon aufspringen wollte, an und sagt mit leuchtenden Augen „We want to see the Pope“.
                                                  „Klick“, macht es bei mir und mit hellsichtiger Klarheit weiß ich, dass der Zug jede Sekunde los fahren wird, da er schon über der Zeit ist und ich werde laut: „Go out, the Pope is here, go out“. Das wirkt. Die Mädels springen augenblicklich auf, die Wortführerin ruft „Thank you“, rennt zur Tür, die Tür öffnet sich tatsächlich noch und sie springt raus. Zwei andere hinterher. Die Türen beginnen sich schon zu schließen, aber auch die letzte kommt noch raus, anscheinend hat sie der Zugführer gesehen, und dann schließen sich die Türen endgültig, und der Zug fährt los. Das war Sekundensache. Kurz sehe ich noch die Wortführerin, wie sie unbeeindruckt auf die anderen einredet und nach jemandem Ausschau hält, den sie jetzt fragen kann. Gingen die Fenster auf, würde ich ihr „Metro, Statione Ottaviano“ nachrufen, aber das wird sie wohl selbst herausfinden. Puhhh. Mein Adrenalinspiegel muss sich erst einmal beruhigen und ich denke nur, wie glücklich ich wäre, wenn ich so schmerzfrei und unbedarft durchs Leben gehen könnte.

                                                  Die Fahrt nach Napoli ist kurz, knapp eine Stunde. Ich habe mich mittlerweile für das Hotel San Giorgio entschieden, denn wenn der nächste Zug kurz nach acht fährt, möchte ich in der Nähe des Bahnhofes wohnen und nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein. Ich kann nicht einschätzen, wie weit es vom Hostel zum Bahnhof ist. Als ich aussteige, erwarte ich Gewusel, Taschendiebe und Menschen mit Koffern, die den Weg versperren (kurz: Den Hamburger Hauptbahnhof), aber nichts dergleichen ist zu sehen. Alles ordentlich, sauber und Menschen, die hier nicht hergehören, scheint der Eintritt verwehrt zu sein. Auch der Bahnhof überrascht mich, er ist neu und attraktiv. Es sind erheblich weniger Menschen hier, als in Rom. In der Vorhalle befinden sich kleine Geschäfte und die Beschilderung ist exzellent. Gut gekleidete Männer mit Schildern der Hotels oder Namen von Reisenden stehen herum und suchen ihre Gäste. Sollte Neapel ganz anders sein, wie in den Zeitungen beschrieben?

                                                  Als ich den Bahnhof verlassen, trifft mich die Realität mit voller Härte. Es ist sehr heiß und vor der Tür ist das vermisste Gewusel. Männer preisen irgendetwas an – Hotel, Taxi? Keine Ahnung - und ich bin froh, aus einer Großstadt zu kommen und die körpersprachlichen Strategien zu beherrschen, mit denen man Desinteresse zeigt. Ich schalte das Navi an und es zeigt mir eine merkwürdige Straßenführung, aber ich verstehe, dass ich geradeaus muss. Der Bahnhofsvorplatz ist eine riesige Baustelle und das Navi lenkt mich zur Straße rechts davon. Die Straße besteht aus einer schmalen Bahn für Autos (Taxis) und einem davon abgegrenzten breiten Bürgersteig, der voller Menschen ist. Ich schließe mich einem Ehepaar mit Rollkoffern an, um mich nicht so alleine zu fühlen. Den Roller zu nutzen, ist hier kaum möglich. Auf der rechten Seite des Fußweges sind kleine Geschäfte und auf der linken Seite Buden, in denen Souvenirs verkauft werden. In der Mitte des Fußweges stehen Italiener, Afrikaner und Araber, sie unterhalten sich familiär und lebhaft, gehen aber sofort respektvoll zur Seite, wenn jemand durch will - nicht ohne einen kurzen interessierten Blick auf meinen Roller zu werfen. Roller scheint man hier nicht zu kennen. Ich bin schon bald erstaunt, wie rücksichtsvoll und gut erzogen man hier ist, bei uns hätte ich mich nur mit Gewalt durchschlängeln können.

                                                  Als ich an der nächsten Kreuzung ankomme, will ich einfach nur noch nach Hause. Ich befinde mich an der Piazza Garibaldi, d.h. am Rande eines Platzes mit mehreren darauf zu laufenden Straßen. Autos, Motorroller und Busse, die teilweise zweispurig auf die Kreuzung zufahren, ohne dass ich ein System erkennen kann, geben ein unentwirrbares Knäuel an Verkehr. Ständig wird gehupt, es ist Stau und doch kein Stau, nichts geht voran und dennoch fließt der Verkehr, Motorroller schlängeln sich behände durch das Chaos, so dass mir fast schlecht wird, Busse nehmen ihr Vorrecht des Stärkeren in Anspruch und: Eine Fußgängerampel fehlt. Zwar gibt es für die Autos eine rote Ampel, aber das heißt noch lange nicht, dass die Fußgänger nun eine grüne Ampel vorfinden. Man muss – wenn die Autos rot haben – sein Glück versuchen. Leider hält sich kaum jemand an die rote Ampel, so dass dennoch Vorsicht geboten ist. Ich bin in Italien angekommen.

                                                  Da ich mit meinem Gepäck keine Experimente machen will, biege ich vor der Kreuzung rechts ab, in der Hoffnung, dort später besser die Straße queren zu können. Ein Schild weist auf das Hotel San Giorgio hin und ich habe den Eindruck, ich müsse jetzt links einbiegen. Tatsächlich finde ich eine Lücke im Verkehr und und tauche in eine Nebenstraße ein. Auf dem Bürgersteig und der Straße liegt Glas und ich realisiere, dass Neapel keine Stadt für Roller ist. Wäsche hängt aus den Fenstern, die Straßen sind sehr eng, viele Menschen wohnen hier auf engem Raum und ich komme mir fremd vor. Tatsächlich ist die Bevölkerungsdichte in Neapel in einigen Stadtteilen sehr hoch. In Rom wohnen ca. 2000 Menschen auf einem qm, hier sind es ca. 8500 Menschen auf einem qm. Mit einer Million Einwohnern ist Neapel übrigens die drittgrößte Stadt Italiens (Quelle: Wikipedia). Der Straßenzustand bringt mich dazu, wieder zur Hauptstraße zurück zu wollen, zumal dem Navi zufolge das Hotel links liegen muss. Ich komme fast wieder an der Kreuzung heraus, die ich eben umgegangen habe. Und dann frage ich einfach jemanden und der Italiener zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite. Tatsächlich. Da steht es.

                                                  Das Hotel ist verschlossen und es sieht so aus, als hätte es nicht geöffnet. Ich betätige die Klingel und augenblicklich erscheint der Portier und lässt mich samt bepacktem Roller ein. Das Hotel ist sehr gepflegt und die Gäste vor mir machen einen guten Eindruck. Ich bin angenehm überrascht. Hier werde ich bleiben. Ich buche ein Zimmer für zwei Tage. 50 Euro kostet das Zimmer, sagt er und ich nicke erleichtert. Das kann ich mir leisten. Pro Tag, setzt er warnend hinzu. Ich nicke. Das hatte ich schon richtig verstanden. Im Vergleich zur Jugendherberge München ist das völlig okay. Ich hatte mehr befürchtet. Tatsächlich kostet das Zimmer laut Anschlag an der Tür 77 Euro und das ist es auch wert. Ein Aufzug fährt mich in den 7. Stock. Das Zimmer ist klein, hat aber ein Doppelbett. In einer Nische sind Schrank und Safe und im Nebenraum ist eine moderne Dusche mit Toilette. Welch ein Luxus nach dem Hostelleben. Auf dem gleichen Stock ist ein Balkon und ich schaue mir die Dächer der Umgebung an.

                                                  Das ist also Neapel. Die Stadt, in der die Pizza erfunden wurde, die Stadt, in der das Entreißen der Handtasche vom Motorroller aus erfunden wurde und in der die Tasche mit langem Schultergurt „erfunden“ wurde, um diese Diebstähle zu verhindern. Die Stadt, die in der deutschen Medienberichterstattung mit Kriminalität, Korruption, Drogen und Müll in Verbindung gebracht wird. Das seit seiner Zugehörigkeit zu Italien (Ende des 19. Jhs.) vom wirtschaftlich starken Norden als Stiefkind behandelt wurde, was eines der Gründe für die wirtschaftliche Rückständigkeit ist. Dessen Arbeitslosenquote bei den 15-24 jährigen fast 50 Prozent beträgt. Und in der die Menschen dennoch fröhlich sind. Das ist also Neapel. Mal schauen, was der Tag bringt.

                                                  „Eines Tages werde ich nach Neapel zurückkehren,
                                                  weil es meine Heimat ist, die ich liebe.
                                                  Aber nicht, um zu singen,
                                                  sondern um Pizza zu essen.“
                                                  Enrico Caruso (Quelle: Wikipedia)

                                                  Zunächst aber einmal habe ich Hunger. Ich frage an der Rezeption nach einem Restaurant und man empfiehlt mir das Restaurant La Brace. Wieder stehe ich an der Kreuzung und traue mich nicht hinrüber. Ein riesiger Afrikaner bahnt sich einen Weg durch den Verkehr und ich lerne. Man muss noch energischer als in Rom loslaufen und den Verkehr mit einer Handbewegung in die Schranken weisen. Es funktioniert. Diesmal wirken die Straßenhändler und die Herumstehenden gar nicht mehr so bedrohlich und ich kaufe Wasser in einem kleinen Laden, der rumänische Spezialitäten verkauft. Ich bin überrascht, wie günstig die Preise hier sind, gegen Hamburg ist das kein Vergleich. Nun entdecke ich auch ein unauffälliges und sicherlich sehr teures Hotel und ein bed and breakfast Schild in einer Seitenstraße. An den Buden werden BVB Schals und Schals mit dem Aufdruck Napoli VS Borussia, 18. Settembre 2013, Stadio San Paolo verkauft (Dortmund hat das CL Spiel verloren). Ob das Lizenzware ist? Mit Erstaunen stelle ich fest, dass hier die Händler und Geschäftsleute mit ganz anderem Respekt behandelt werden, als in Deutschland. Niemand stellt hier den Eingang zu oder behindert die Gewerbetreibenden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit. Auch später werde ich feststellen, dass Neapel überwiegend von Kleingewerbe geprägt wird. Im Gegensatz zu Deutschland sind kleine Geschäfte noch allgegenwärtig und viele Menschen arbeiten eben auch noch im Handel oder im Handwerk. Daher haben sie einen anderen Bezug dazu. Laut Wikipedia gibt es in Neapel 246.956 Betriebe (2005) und auf 1000 Einwohner kommen 108 Betriebe (2010). Supermarktketten oder mondäne Einkaufszentren sehe ich keine.

                                                  Der Mann in der Touristeninformation reicht mir einen Stadtplan und zeichnet mir auf, wo das Restaurant ist. Es ist ganz in der Nähe auf der anderen Seite des Bahnhofsvorplatzes. Diesmal laufe ich auf der anderen Seite des Platzes entlang. Schülergruppen aus Deutschland kommen mir entgegen, und hier ist die Straße ruhiger. Das Restaurant ist ein nettes Straßenlokal und ich sehe dem Pizzabäcker beim Pizza backen zu. Man empfiehlt mir Nudeln mit Meeresfrüchten und ich willige ein. Es schmeckt köstlich. Mit einer Literflasche Mineralwasser zusammen zahle ich um die 12,00 Euro. Das lässt auf geringe Kaufkraft in der Stadt schließen.





                                                  Ich studiere den Stadtplan und gehe noch einmal zur Touristeninformation, denn die Stadt erscheint mir recht weitläufig. Der Mann empfiehlt mir in Richtung Hafen den Touristenbus R 21. Er fährt an dem unübersichtlichen Kreisverkehr mit der abenteuerlichen Kreuzung ab. Ich lerne, dass es Bustickets in Zeitungskiosken und Lottoläden gibt und erwerbe ein Tagesticket. Die Preise sind verglichen mit Hamburg lächerlich, ich glaube, ich zahle 3.60 Euro, weiss das aber nicht mehr genau. Ich verfeinere meine Entschlossenheit, die Straße zu überqueren und nehme an der Piazza Garibaldi den Bus. Aus einer Recherche weiß ich, dass man sich notieren soll, wohin der Bus fährt, da die Busfahrer die Stationen nicht ansagen. Ich mache ein Foto von der Übersicht, aber es wird mir nicht helfen. Es sind nur die wichtigsten Stationen aufgeführt, und der Bus hält viel öfter als verzeichnet. Die Busfahrt ist abenteuerlich. Der Bus fährt zügig und schwankt und es ist empfehlenswert, einen Sitzplatz zu ergattern. Fast alle Fahrgäste – auch die Männer – tragen Taschen mit langem Henkel, die sie quer über die Schulter gespannt haben.

                                                  Nach der fünften Haltestelle höre ich auf zu zählen und irgendwann steige ich einfach aus. Verdammt, wo zum Teufel bin ich? Ich laufe ein Stück nach vorne und lande an einer Kreuzung. Der Verkehr ist immer noch dicht und ein Chaos, aber komisch, das stört mich viel weniger als in Wien. Vermutlich, weil der Verkehr fließt und nicht steht. Es ist unglaublich, die Straßen sind völlig verstopft und dennoch fließt der Verkehr. Zu meiner linken ist das Kreuzfahrtterminal, vor mir ist eine durch Bauabeiten verhüllte Burg (Macchio Angioino)und oben auf dem Berg ein schlossähnliches Gebilde, das Castel San Elmo. Ich finde ein Straßenschild und weiß nun langsam, wo ich bin.





                                                  Ich nehme den nächsten Bus und fahre zu der Haltestelle Teatro San Marco. Hinter mir ist ein großes Gebäude und ich denke, es könnte ein Einkaufszentrum sein. Weit gefehlt. Es ist eine riesige Halle (Galleria Umberto I) und ich bin beeindruckt. Hier ist sie wieder – die Weite und die Höhe. Was für eine Architektur. Zwei Paare in Hochzeitskleidung lassen sich fotografieren, ich bin mir aber nicht sicher, ob es wirklich ein Paar ist oder ob es nur Modeaufnahmen sind. Auf dem Boden – Marmor? - sind um die Mitte angeordnet Bilder aller Sternzeichen eingefügt.





                                                  Nach einiger Zeit verlasse ich die Galerie wieder und gehe am Teatro di San Carlo vorbei.





                                                  Ich entscheide mich, Richtung Wasser zu laufen, um ein wenig Ruhe und Natur zu finden. Die Geräusche einer Parade dringen an mein Ohr und tatsächlich ist auf dem Platz eine Parade im Gange. Es ist die Piazza del Plebiscito mit der Kirche San Francesco di Paola und hinter mir ist der Palazzo Reale. Touristen laufen dennoch über den Platz und machen Fotos. Die Parade scheint öfter stattzufinden.





                                                  Dann komme ich an eine Straße und es sieht aus, als würde sie direkt ins Meer führen. Hier bin ich richtig. Am Ende der Straße stehen Reisebusse, aber es sind nur wenige Touristen da. Und es gibt einen wundervollen Blick auf Neapel. Malerisch liegt es in der Bucht des Golfes von Neapel und grenzt an einen ebenso malerischer Berg. Ist das der Vesuv? Er sieht so freundlich aus in seiner geschwungenen Form. Seit 1944 befindet er sich in einer Ruhephase, aber er ist immer noch ein aktiver Vulkan.








                                                  Einen Strand gibt es hier nicht, aber immerhin einen Fahrradweg, der vor allem von Joggern für das Trainingsprogramm genutzt wird. Einer läuft wie ein krummer, nasser Schwamm und ich denke an meinen Fuß. Das erste Mal habe ich wieder die Einlagen in die Schuhe gelegt und es läuft sich gut. Das Schlimmste scheint überwunden. Vergebens suche ich nach einer öffentlichen Toilette und entscheide mich, weiter nach rechts zu gehen.
                                                  Ein paar junge Männer baden und ein Boot voller Japaner entfernt sich aus dem kleinen Hafen. In der Ferne liegen die Hügelketten des Golfes von Neapel und vermutlich auch von Sorrentino und rechts von mir das Castel dell´Ovo, das in das Wasser hineinragt.














                                                  Die Häuser sehen mondän aus, es scheint sich hier um ein wohlhabendes Viertel zu handeln. Für Autos ist die Promenade gesperrt. Die Polizei sorgt für Sicherheit. Ein Marmorbrunnen lacht mich an – übrigens der Brunnen der Unbefleckten Empfängnis (Fontana Imacolatella) :-) - und ich würde gerne ein sonnenbeschienenes Foto machen, aber die Sonne ist hinter Wolken entschwunden. So gehe ich weiter und bald kommt die Sonne wieder heraus. Zu spät. Ich passiere das Castel del´Oro. Die Restaurants an der Straße werben um Kundschaft, aber es sind nur wenige Menschen unterwegs. Auf den Steinen sonnen sich junge Männer, denn einen Strand gibt es auch hier keinen.

















                                                  Die verkehrsberuhigte Zone ist zu Ende und am Wasser verläuft nun eine Hauptstraße. Ich steuere auf einen Park zu. Oben zeigt sich wieder das Castel San Elmo.
                                                  Meine Hoffnung auf eine öffentliche Anlage wird nicht erfüllt, aber in dem Park gibt es ein Café. Unmutig gibt mir der Gastronom den Schlüssel und zum Dank kaufe ich für 2.50 ein Eis. Vanille, Joghurt Kirsch und Zitrone. Es ist heiß in Neapel, 28 Grad. Und schlagartig bin ich wieder in meine Kindheit versetzt. Dieses Zitroneneis. So muss Zitroneneis schmecken. So und nicht anders. Dieser Hauch von Zitrone, nein, das können nur die Italiener – ich korrigiere – nur die Neapolitaner. Auch die anderen Kugeln schmecken köstlich. Das beste Eis seit Jahren. Ein Mann produziert riesige Seifenblasen und Kinder spielen auf dem Kinderspielplatz.





                                                  Ich sehe auf meinem Stadtplan, dass hier ein Bus zum Bahnhof fährt (ich glaube, es ist die 140) und stelle mich an die Bushaltestelle. Der Verkehr ist dicht, aber er fließt. Motoroller überholen die Autos rechts und links, es wird hart gebremst und manchmal sind nur Millimeter dazwischen, aber der Verkehr rollt und alles sieht elegant aus. Was für eine wunderbare Stadt. Alle Vorbehalte sind verflogen.

                                                  Der Bus ist gut gefüllt und fährt an der Wasserkante entlang. Es ist ein wilder Ritt, und ich werde gut durchgeschüttelt. Aber die Atmosphäre ist freundlich und nach einiger Zeit bekomme ich einen Sitzplatz. Ein italienische Ehepaar fragt mich, wo ich hin will und kümmert sich rührend darum, dass ich richtig aussteige. Es weiß nicht, dass ich mich hier schon ganz gut auskenne. Der Bus stockt, man hört die Sirenen eines Rettungswagens, und ich mache Fotos von der Kirche San Maria del Carmine. An der Piazza verabschiede ich mich von meinen Begleitern und gehe Richtung Hotel. An der Ecke, neben dem arabischen Fleischgeschäft, befindet sich eine Apotheke. Seit zwei Tagen habe ich starkes Halsweh, verursacht vermutlich durch die Klimaanlagen, die nachts die Schlafzimmer herunterkühlen, und der Apotheker spricht zwar kein Englisch, weiß aber sofort, was ich benötige. Eigentlich suche ich Salbeibonbons, aber er gibt mir Halstabletten und ist sehr zufrieden, als ich bejahe. In einer Ecke sehe ich Vollkornnudeln und Bioprodukte und merke mir das vor. In einer Apotheke hätte ich derartiges niemals gesucht.
                                                  Ich lege mich in das kühle Zimmer und ruhe ein wenig aus. Dann mache ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Wieder gehe ich zur Piazza Garibaldi und das erste Mal nehme ich wahr, dass man hinter dem Bahnhof den Vesuv sehen kann. Ich biege in die Parallelstraße ein. Die Straße ist breit und voller Geschäfte. Hier bekommt man auch Luxuswaren, aber die großen Ketten fehlen. Langsam setzt die Dämmerung ein und ich entscheide, nicht mehr zu weit zu gehen. Ich weiß nicht, wie sicher Napoli in der Nacht ist. Ich biege in eine sehr enge Seitenstraße ein und nach einiger Zeit trifft ein kleiner Kulturschock. Es sind viele Menschen auf der Straße, alle kennen sich irgendwie und auch hier ist Stau. Müllbeutel liegen an der Straße, es wird laut gestikuliert und drei Jungen, die ich auf 12 Jahre schätze, fahren mit ihrem Motorroller geschickt in der Straße herum. Hier lernt man erst laufen und dann Roller fahren. Afrikanerinnen rufen auf italienisch den Umstehenden etwas zu und diese lachen. Am Straßenrand sitzen Männer oder fliegende Händler und man handelt, disputiert, begrüßt sich. Eine gut gekleidete Frau kommt mit ihrem Kind aus einem Spielzeuggeschäft und besteigt einen Roller, das Kind auf dem Schoß. Ein Supermarkt taucht auf, aber ich sehe keinen Eingang. Die Fenster sind aus Milchglas und man kann nicht in das Innere sehen. Ich möchte nicht fragen und gehe weiter. Auch Fotos zu machen, traue ich mich nicht. Das wird hier nicht gut ankommen. Einige der Menschen registrieren mich, aber es ist klar, dass ich nicht dazu gehöre und hier auch nichts zu suchen habe.





                                                  Als ich wieder die Hauptstraße entlang gehe, an der auch das Hotel liegt, ist mein Blick geschärft. Auch hier liegt Müll auf der Straße und junge Männer lungern um die Buden herum, die Obst und Wasser verkaufen, aber irgendwie ist hier ein Zusammenhalt, den ich von zu Hause her höchstens in türkischen Vierteln kenne. Ist es Familie? Nachbarschaft? Oder der Glaube? Immer wieder wird spürbar, dass trotz der bunten Vielfalt die deutsche Beliebigkeit nicht das Straßenbild prägt. Die Reeperbahn ist da eine ganz andere Nummer, nur um mal ein Beispiel zu nennen.

                                                  Ich gehe Richtung Apotheke und schaue noch einmal in den arabischen Laden, aber das Sortiment, das bei uns auch die türkischen Läden führen, ist nicht mein Geschmack. Ich schaue noch einmal aufmerksam die Häuserzeile an und da sehe ich meine Rettung: Unverkennbar steht in Leuchtschrift über einem Geschäft: „Sklep polski“. Ein Sklep! Ich trete ein. An der Tür steht ein Bewacher polnischer Abstammung, der den Laden bewacht, während zwei Polinnen den Laden wischen. An der Kasse sitzt ein Afrikaner. Das Sortiment ist polnisch und italienisch: Ich erwerbe die dünnen polnischen Würste, ein Ciabatta, etwas Käse, einen Fertigsalat mit Mozarelle sowie Mineralwasser und zahle dafür 6 Euro.
                                                  Mit meiner Einkaufstüte laufe ich zum Hotel zurück und sehe, wie mich ein Mann sehr genau taxiert. Man sieht, dass das hier sein Gebiet ist. Ruhig gehe ich an ihm vorbei. Am nächsten Abend gehe ich wieder an ihm vorbei, werde aber nicht mehr beachtet. Es ist nun klar, dass ich zum Hotel gehöre. Ich gehe früh schlafen und werde gegen Mitternacht von einem knatternden Feuerwerk geweckt. Aus meinem Fenster kann ich in den gegenüberliegenden Fenstern das Leuchten sehen. Als ich mich gerade aufraffen will, zu schauen, ob ich es vom Balkon aus sehen kann, ist es schon vorbei. Am nächsten Abend wird sich das wiederholen. Als ich bei meiner Abreise den Portier frage, was denn gefeiert wurde, zuckt er mit den Schultern: „Irgendetwas wird hier immer gefeiert.“ Ich kann es nicht leugnen: Napoli gefällt mir.
                                                  Zuletzt geändert von Torres; 26.09.2013, 06:19.
                                                  Oha.
                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                  Kommentar


                                                  • boehm22

                                                    Lebt im Forum
                                                    • 24.03.2002
                                                    • 8242
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                    toll - ich muß mal dringend nach Neapel :-)
                                                    Viele Grüße
                                                    Rosi

                                                    ---
                                                    Follow your dreams.

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                                                    • schneehuhn
                                                      Gerne im Forum
                                                      • 08.07.2005
                                                      • 57


                                                      #27
                                                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                      ein großartiger Bericht - und viele schöne Fotos. Danke schön!

                                                      Gruß Anne

                                                      Kommentar


                                                      • Torres
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                                                        Liebt das Forum
                                                        • 16.08.2008
                                                        • 31757
                                                        • Privat


                                                        #28
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                                                        12.09.2013 Napoli und Amalfi-Küste

                                                        Am nächsten Morgen frühstücke ich erst einmal – das Frühstück ist einfach, aber völlig ausreichend und der Service sehr gut – und setze mich dann an den Rechner. Ich muss mir Gedanken über mein nächstes Ziel machen. In Venedig selbst gibt es ein Hostel, doch so ganz sehe ich mich da mit Roller und Gepäck noch nicht hinkommen. Die Wegbeschreibung klingt kompliziert. Und es sind 16 Bett-Zimmer. Auf den Inseln vor Venedig sind Campingplätze, doch von dort wieder zum Zug oder nach Venedig zu kommen, ist umständlich. Am besten wäre eine Unterkunft in Venedig Mestre. Auch hier gibt es bed and breakfast, aber als ich auf einer website nach der Verfügbarkeit schauen, ist alles belegt. Immerhin ist morgen Freitag und damit Wochenende. Ich bin ratlos. Bis morgen muss mir etwas eingefallen sein.

                                                        Am Morgen hat es etwas geregnet und der Himmel ist bedeckt. Ich horche in mich hinein und nach Kirchenbesichtigung oder Stadtbesichtigung steht mir weniger der Sinn. So entscheide ich mich, nach Sorrento zu fahren. Sorrento ist etwas südlicher und ein Touristenort. Er ist mit einer Vorortbahn zu erreichen und war als Ziel im Gespräch, da dort ein Campinglatz ist. Theoretisch könnte ich mich dort ein wenig umgucken und dann entweder Pompei besichtigen oder am Vesuv aussteigen. Eine Wanderung am Vesuv traue ich aber meinem Fuß noch nicht zu. Bloß nicht übertreiben.

                                                        Ich laufe Richtung Bahnhof und fotografiere den Vesuv. Groß und eindrucksvoll steht er über dem Bahnhofsvorplatz. In einem Lottogeschäft kaufe ich einen Retour Fahrschein. Was er gekostet hat, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube, um die 4 Euro. Ich suche den Bahnsteig 2 und finde ihn. Aber von Sorrento steht hier nichts. Dieser Bahnsteig ist auch nicht renoviert und die Regionalzüge, die hier fahren, haben wenig mit dem Fernverkehr zu tun. Ein Mann mit Sicherheitsweste steht an den Rolltreppen und mit meinem Mut zu italienisch frage ich ihn, ob hier der Zug nach Sorrento fährt. Er lächelt und verneint. Ich muss zur Circumvesuviana. Ich verstehe sofort, was den Mann überrascht und noch mehr freut. Die Schilder hatte ich gesehen, wusste nur nicht, was es damit auf sich hat. Ich verabschiede mich dankend – auf italienisch, natürlich.

                                                        Nun bin ich am richtigen Bahngleis und es ist relativ voll. Einige wollen natürlich Pompei anschauen, andere sind auf dem Weg zur Amalfiküste, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Ein Familie aus Deutschland macht sich Gedanken über die Abfahrt des Zuges und ich erkläre ihnen, dass sie richtig sind. Besonders helle sind sie leider nicht und das Gespräch ist mühsam. Daher bin ich erfreut, als ein amerikanisches Ehepaar seine Fragen von einem sehr gut englisch sprechenden Italiener beantwortet bekommt, der sehr interessante Tipps gibt. So erfahre ich den Namen der Stationen und dass man den Vesuv mit dem Bus besichtigt. Er berichtet, dass er heute verschlafen hat und eigentlich schon vor zwei Stunden bei der Arbeit sein sollte. Glücklicherweise hat er Gleitzeit und muss nur zwei Stationen fahren. Zuletzt gibt er uns noch den Tipp, in welchen Waggon wir einsteigen sollen, weil man dort nämlich mit großer Sicherheit noch einen Sitzplatz bekommt. Herzlichen Dank dafür, es funktioniert nämlich.





                                                        Die Bahn fährt ruckelig und es dauert endlos, bis Neapel hinter uns liegt. Immer wieder schaue ich zum Vesuv, doch er ist wolkenverhangen. Viele Menschen steigen in Pompei aus, doch einen Blick auf die Altertümer erhascht man nicht. Die Amerikaner, die bisher mit ihren Koffern gestanden haben, setzen sich zu mir, denn auch ihnen wurde es zu schaukelig. Sie fahren nach Sorrento und suchen Urlaub und Erholung. Rom war ihnen zu busy. Ich kommentiere das nicht, denn ich kenne Sorrento nicht. Aber ein kleines, lauschiges Dörfchen ist es vermutlich eher nicht, denn es lebt vom Tourismus. Der Vesuv ist nun auf der anderen Seite der Bucht und man schaut von den Hügeln, die ich gestern fotografiert habe, auf Neapel. Ein Schild Basilica di Pozzano erinnert mich an die vier Damen von gestern im Zug. Ist das wirklich erst einen Tag her? Hier – gut 45 Minuten von Neapel entfernt, gibt es also eine Basilica. Aber ein Bild gelingt mir nicht, hier fährt die Bahn in einem Tunnel.


                                                        Als ich in Sorrento ankomme, sieht es nach Regen aus. Ich überlege, was ich mache, denn Sonne am Strand ist wohl Wunschdenken. Vor dem Bahnhof steht ein Stadtrundfahrtbus, aber da habe ich keine Lust drauf. Ich gehe ein Stück weiter und an der Kreuzung steht ein weiterer Bus. „Amalfi“ steht darauf und eine lange Schlange von Menschen steht an der Bustür. Ich erinnere mich an meinen Kollegen: „Du musst unbedingt die Amalfi-Küstenstraße fahren, das ist die schönste Straße Italiens“. Ohne es zu wollen, steuere ich auf einen Straßenstand zu, wo ein Italiener die Fahrkarten verkauft. 7.60 hin und zurück. Warum eigentlich nicht? Wie von Geisterhand gesteuert, kaufe ich eine Fahrkarte. Der nächste Bus fährt in einer halben Stunde. Ich reihe mich in die lange Schlange der Wartenden ein. Wieviele Plätze hat so ein Bus? 24? 32? Das könnte knapp werden. Der erste Bus ist voll und fährt los.

                                                        Nach einer halben Stunde kommt der nächste Bus, keine Sekunde eher. Aus einem Reiseführer weiß ich allerdings, dass man in Italien froh sein kann, wenn überhaupt ein Bus kommt. Trotz Fahrplan ist das in Italien nicht selbstverständlich und manchmal muss man sich vor Ort einigen. Aber irgendwie funktioniert alles immer irgendwie dann doch. Die Koffer müssen von den Fahrgästen selbst im Gepäckfach verstaut werden und der Bus füllt sich zunehmend. Leider gehöre ich zu den Fahrgästen, die keinen Sitzplatz mehr bekommen, so dass ich im Gang stehen muss. Der Bus fährt durch den Ort und angesichts des Verkehrs und des Trubels, den ich ausschnitthaft sehe, wüsste ich gerne, ob die Amerikaner dort glücklich geworden sind. Kurz darauf geht es auf die kurvenreiche Küstenstraße. Zunächst sieht man nur Bäume und Gebüsch, und es regnet nun tatsächlich, aber plötzlich hat man einen Ausblick auf die Bucht von Sorrento. Malerisch liegen zwei Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Das Wetter verschlechtert sich nun zunehmend und Wolken und Regennebel hüllen die Landschaft und Hügel um Sorrento ein. Ein Kreuz auf einem Berg weist auf eine Kirche oder einen Friedhof hin, während sich der Vesuv im Hintergrund nur erahnen lässt.











                                                        Der Bus hat nun eine Schleife gedreht und erreicht den Colli di Fontanelle. Man schaut noch auf Sorrento und gleichzeitig gibt der Hügel den Blick auf das Mittelmeer frei. Bald verziehen sich die tief hängenden Wolken und ich mache Bild um Bild. Freihand, natürlich, und mit dem anderen Arm an einem Griff hängend. Als hätte ich meine alte Kleinknipse mit. Ich muss feststellen, ich habe mich an meine spiegellose Spiegelreflex gewöhnt. Dann fährt der Bus Kurve um Kurve, Serpentine um Serpentine. Teilweise kann ich nur in Schräglage fotografieren und immer wieder streift der Tragegurt der Kamera die Glatze des Mannes auf dem Sitzplatz neben mir, aber er trägt es mit Fassung. Diese Gelegenheiten kann ich mir nicht entgegen lassen. Diese Küste ist wunderschön und aufgrund der erhöhten Position des Busses und der Tatsache, dass ich nicht selbst fahren muss, sieht man unglaublich viel. Irgendwann schreit mein Fuß vor Schmerzen, aber ich höre nicht auf ihn. Viele Bilder sind schief und ich muss sie im folgenden beschneiden, aber unter den Umständen bin ich überrascht, dass sie überhaupt etwas geworden sind. Wieder schraubt sich der Bus die Straße hoch, und man sieht wieder Sorrento und Neapel, aber dann entschwindet Sorrento endgültig aus dem Blickfeld. Dafür faszinieren die Li Galli Inseln. Und das Wetter wird langsam besser.





                                                        Die Serpentinen führen über Viadukte und die Straßen sind eng. Vor den Kurven hupt der Bus und manchmal muss er sich im Millimeterabstand an parkenden Autos verbeidrängen. An den Aussichtspunkten stehen Motorradfahrer oder Autofahrer und fotografieren. Langsam kommt Positano ins Blickfeld. Hier soll es den schönsten Strand geben. Fähren fahren von hier aus nach Amalfi, aber leider weiß ich davon nichts, sonst hätte ich mir Positano genauer angeschaut.














                                                        Der Busfahrer sagt „Positano“ und die ersten Fahrgäste steigen hektisch aus. Ein Ehepaar aus Deutschland fragt extra noch einmal nach, ob er Positano gesagt hat, und ich nicke. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass es die einzige Haltestelle ist, denn der Ort ist doch recht tief im Tal. Die Eheleute steigen dennoch aus und holen ihren Koffer aus dem Gepäckfach. Sicher ist sicher. Anscheinend trauen sie italienischen Busfahrern nicht. Tatsächlich hält der Bus insgesamt dreimal: Jeweils am Ortseingang und am Ortsausgang, sowie in der Mitte. Und es wird sich auf der Fahrt ebenso herausstellen, dass Positano nicht gerade klein ist. Aber mir solle es recht sein. Für mich heißt das nämlich jetzt: Ich habe einen Sitzplatz, und mein Fuß bedankt sich artig. Jetzt müssen diejenigen stehen, die in Positano zusteigen und das sind nicht wenige Fahrgäste.








                                                        Von einem Sitzplatz aus betrachtet, ist die Fahrt natürlich viel entspannter, und man kann auch die eine oder andere versteckte Villa sehen. Beeindruckend, was sich einige hier in die Felsen gehauen haben. Teilweise auch mit Privatstrand, der durch steile Treppen erreicht wird. Oft aber zusätzlich mit Swimmingpool. Ich vermute, dass diesen Bewohnern das eine oder andere am Straßenrand parkende Auto gehört.





                                                        Eine Töpfereifabrik taucht in einer Kurve auf. Es sind schöne Stücke, die gezeigt werden. Und erst hier ist Positano zu Ende.
                                                        Wieder ist der Ausblick grandios, nur leider spiegelt sich mein Hintermann in der Scheibe. So angenehm es ist, zu sitzen und so gut die eine Hälfte der Fotos auch wird – die andere Hälfte wird von einem karierten Hemd überdeckt, das nicht immer heraus zu schneiden ist.


                                                        (Im Vordergrund Haus unkenntlich gemacht.)


                                                        Die nächsten Ortschaften erscheinen. Vettica Maggiore mit seiner charakteristischen Kirche, das bereits zu Praiano gehört. Wir durchfahren den Tunnel grotta di diavolo und in Praiano erscheint in Wassernähe ein runder Turm, der wie der Rest einer Burg aussieht. Leider gelingt es mir nicht, ihn scharf zu fotografieren. Immer wieder sorgen die Kurven dafür, dass man einen Blick zurück auf die zerklüftete Küste werfen kann, die man eben durchfahren hat. Conca dei Marini schmiegt sich an die Felsen, und an einer Schlucht steht ein Mann mit einem kleinen, komprimierten Lastwagen auf dem Parkplatz und betrachtet das Treiben unter sich im Tal. Auf der anderen Seite des Felsens befinden sich Burgreste und Heiligenbilder aus Pappe. Das Ortsschild von Furore taucht auf und wieder einmal hält der Bus ruckelnd, während der Autoverkehr versucht, sich endlich an ihm vorbei zu schlängeln. Überholen ist hier fast unmöglich. Die Busse hupen vor jeder Kurve, um zu zeigen, dass sie kommen und die Straße verengen. Teilweise ist die Straße nur mit einem normalen Geländer gesichert und es geht sehr tief runter. Ich bin heilfroh, dass ich diese Straße nicht selbst fahren muss.





                                                        Ein Felsen fasziniert mich und eine Italienerin ermutigt mich, ihn zu fotografieren und sagt etwas von: Das ist die Madonna. Ich weiß immer noch nicht, ob die Bezeichnung dem menschlich aussehenden Felsen gilt oder ob sich dort ein Heiligenbild oder eine Kirche befindet.
                                                        Kurz darauf passieren wir ein gelbes Gebäude, auf dem Grotta della Smeraldo steht. In dieser Bucht befindet sich eine Blaue Grotte.





                                                        Wir passieren noch einen Ort mit Burg und Turm und dann taucht auch schon langsam Amalfi auf. Meine Kamera ist heiß gelaufen. Ich habe in der letzten Stunde ungefähr 450 Bilder gemacht und selten gewartet, bis die Kamera die Bilder verarbeitet hat, sondern gleich weiterfotografiert. Das war wohl ein wenig viel. Oder liegt es an der Hitze? Schäden trägt sie allerdings nicht davon.





                                                        Der Bus hält am Hafen von Amalfi und alles steigt aus. Ich schaue auf die Uhr: 1 Stunde hat die Bahn nach Sorrento gebraucht und 1,5 Stunden der Bus. Jetzt ist es halb drei. Es hilft nichts, ich muss mit dem nächsten Bus zurückfahren. Mittlerweile wird es ja schon erheblich schneller dunkel. Dass diese Entscheidung goldrichtig sein wird, weiß ich da natürlich noch nicht.








                                                        Ich laufe ein wenig umher und kaufe ein Zitroneneis. Auch hier wieder der wunderbare Geschmack, und ich genieße es. Dann schaue ich, wo der Bus fährt. Schilder gibt es keine. Ich frage jemanden, und er deutet auf den Platz. Auf einem der eingezeichneten Busparkplätze wird er fahren. Gut. Dann warten wir mal, was passiert. Die Traube an Menschen, die nach Sorrento will, wird größer. Es sind alle Altersstufen vertreten, die Mehrheit wird aber von Ehepaaren zwischen 50 und 60 gestellt. Ich beginne, mich zu positionieren, auch ich habe keine Lust, die Fahrt über zu stehen.

                                                        Ein Bus kommt und parkt an der Stelle ein, wo der Bus nach Sorrento abfahren könnte. Die Traube bewegt sich auf den Bus zu. Die Insassen steigen aus und jemand aus der Traube fragt, ob der Bus nach Sorrento fährt. Der große, stämmige Busfahrer mit Zopf, der einem irischen Pub alle Ehre machen würde, lässt das Fahrtrichtungsschild „Amalfi“ über der Frontscheibe stehen, zieht den Schlüssel ab, sagt „No“, steigt aus und schließt den Bus. Ungerührt bahnt er sich einen Weg durch die hoffnungsvoll schauende Traube, setzt sich in das gegenüberliegende Café, um eine Zigarette zu rauchen und macht seine wohlverdiente Pause. Empörung unter den Ehepaaren und ich höre grummelndes Tuscheln auf englisch, deutsch und holländisch. Ich muss lachen und stelle mir vor, diese Szene würde in Deutschland passieren. Im Geiste schreibe ich grinsend das Beschwerdeschreiben, das in unserem Land unweigerlich folgen würde – in fünffacher Ausführung an das Busunternehmen, den Ort, die Touristeninformation, den Bürgermeister und den Landrat und zur Sicherheit natürlich per e-mail.
                                                        Sehr geehrte Damen und Herren,
                                                        wir sind immer wieder gerne Gast des Ortes A. und sind regelmäßige Nutzer Ihres Busunternehmens. Dass es am Hafen von A. keine Beschilderung der Bushaltestelle gibt, daran haben wir uns bereits gewöhnt und immer Geduld gezeigt. Am x.x.2013, gegen xx.xx Uhr, wurde unsere Treue zu Ihrem Unternehmen jedoch überstrapaziert. Der Busfahrer XY beantwortete unsere Frage, ob dies der Bus nach Sorrento sei, lediglich mit einem knappen „Nein“ und entschwand, ohne uns des Blickes zu würdigen, oder uns darüber auf zu klären, wo der Bus nach Sorrento fährt. Dieses Verhalten war so unverschämt, dass meine Frau Herzbeschwerden bekam und uns die Lust verging, uns weiterhin in diesem Ort auf zu halten. Wir mussten unseren Urlaub daher abbrechen.
                                                        Da wir bisher immer gute Erfahrungen mit Ihrem Busunternehmen gemacht haben, möchten wir Sie auffordern, dem besagten Busfahrer sein Verhalten vor Augen zu führen. Bisher waren wir immer freundlich behandelt worden, und sein Verhalten hat einen Misston bewirkt, der uns den Urlaub verdorben hat, und uns darüber nachdenken lässt, ob wir noch einmal die Dienstleistungen Ihres Unternehmens in Anspruch nehmen und dieses auch weiterhin unseren Freunden und Bekannten empfehlen. Es sollte für Ihr Unternehmen selbstverständlich sein, dass der zahlende Kunde König ist, und die Dienstleistungsqualität im Vordergrund stehen.

                                                        In der Hoffnung, dass Sie umgehend eine Veränderung herbeiführen,
                                                        verbleibt mit hochachtungsvollen Grüßen

                                                        xxxxxx
                                                        (Ähnlichkeiten mit ähnlich lautenden Schreiben sind rein zufällig und nicht gewollt. Okay – ich gebe zu, dass ich ab und zu solche Schreiben lesen darf und mich hier etwas austoben musste )


                                                        Ich stelle fest, dass ich auf den Busfahrer ein bisschen neidisch bin, der ungerührt die Traube betrachtet und erstaunlicherweise auch nicht länger von den Wartenden belästigt wird. Es sieht so aus, als seien hier Mitarbeiter noch Menschen und müssten sich nicht dem Diktat der Ansprüche einer infantilisierten Gesellschaft unterwerfen, die zu jeder Zeit absolute Bedürfnisbefriedigung verlangt. Die Befürchtung, dass er vielleicht doch der Busfahrer ist und dann gar nicht mehr fährt, ist wohl höher, als das Bedürfnis, seine Aggressionen auf verbaler Ebene ungefiltert aus zu leben.
                                                        In dem Zusammenhang sei auch einmal erwähnt, dass die Reiseführer eindeutig klar machen, dass die an meinem Wohnort grassierende (Un)Sitte von Touristen, sich auf Treppen von Gebäuden, Kirchen, Brunnen, Bahnhöfen oder sonstigen Zugängen zu Verkehrseinrichtungen oder Geschäften nieder zu lassen und erst einmal ausgiebig das mitgebrachte Essen zu verspeisen, in Italien nicht erwünscht ist und bestraft werden kann. Es gibt ausreichend gastronomische Betriebe, bei denen man sich versorgen kann und andere haben ein Recht, die Treppen ihrem Zweck entsprechend zu benutzen. Leben und leben lassen.

                                                        Ein weiterer Bus kommt und ich erkenne den Busfahrer wieder, der mich auf der Hinfahrt gefahren hat. Das wird der richtige Bus sein und ich gehe in seine Richtung. Die Traube teilt sich in die Fahrgäste nach Salerno und die Fahrgäste nach Sorrento. Auch dieser Fahrer stellt sein Schild nicht um, nachdem er eingeparkt hat, und als er die Tür öffnet, um die Fahrgäste ein zu lassen, frage selbst ich einen Italiener hinter mir, ob das der Bus nach Sorrento ist. Er nickt, und als ich lachend den Kopf schüttele, sagt er in singendem Tonfall: „Das ist Italien“ und zuckt fatalistisch lächelnd mit den Schultern.
                                                        Ich finde einen Sitzplatz am Fenster zur Seeseite und bin erleichtert, dass ich nicht stehen muss. Neben mich setzt sich eine junge Deutsche und wir kommen ins Gespräch. Sie ist mit ihrer Freundin mit Mitfahrgelegenheiten unterwegs und macht vorrangig Couchsurfing. Das Fahren mit Mitfahrgelegenheiten funktioniert gut, allerdings nur zwischen den größeren Städten. Das ist etwas bedauerlich, denn gerade die Küstenorte am Meer sind nur sehr umständlich mit Bussen oder – im besten Fall - mit Vorortbahnen zu erreichen, die zudem extrem unzuverlässig sein können. Die beiden waren im Cinque Terre Nationalpark wandern, an der Küste baden, haben Florenz besichtigt, das ihnen gut gefallen hat und waren ebenso in Venedig. Nur in Venedig hatten sie Pech mit einer Mitfahrgelegenheit, da diese sie einfach versetzt hatte. Ich erfahre, dass die Regionalzüge in Italien sehr günstig sind, selbst lange Strecken kosten oft nur zehn oder zwanzig Euro. Wie ich später sehen werde, ist man dafür aber auch sehr lange unterwegs. Ich frage sie, ob sie in Venedig im HiHostel waren und sie verneint. Mit Couchsurfing hatte es Venedig nicht geklappt und da sind die beide in Mestre auf einen Campingplatz gegangen. Rialto, heißt er. Dort haben sie für 30 Euro eine Hütte gemietet. Ich frage, ob es ein reiner Wohnmobilplatz mit Hütten ist, oder ob auch Zelte da waren. Nein, sagt sie, da waren auch Zelte, das ist ein normaler Zeltplatz. Der Platz war schön, zwanzig Minuten mit dem Bus vom Bahnhof entfernt, in der Nähe war ein Lidl Markt und sie fand es angenehm, nach dem Trubel in Venedig mit den vielen Menschen abends ein wenig in der Natur zu sein.
                                                        Bingo. Mein Übernachtungsproblem ist gelöst. Morgen geht es nach Venedig und endlich kann ich wieder im Zelt schlafen. Zur richtigen Zeit im richtigen Bus.








                                                        Der Verkehr scheint dichter zu sein, als auf der Hinfahrt, und als sich auf der Strecke zwei Busse begegnen, wird es Millimeterarbeit. Aber der Busfahrer schafft es, und der ganze Bus applaudiert. Ein Cabrio mit deutschem Kennzeichen weicht dem Bus aus, und die Damen sehen aus, als wären sie auf der Suche nach dem Traumprinzen. Viel Glück. Fahrradfahrer sehe ich übrigens keine. Die Strecke ist zu eng und zu viel befahren und später erfahre ich, dass es für Radfahrer Routen oberhalb gibt, welche die Küstenroute nur auf Abschnitten tangieren.

                                                        Erwartungsgemäß steigen in Positano viele Menschen zu, und der Bus ist krachend voll. Die Stehenden tun mir aus ernsthaft leid, und ich versuche mich unsichtbar zu machen, denn es sind auch ältere Leute dabei, für die man eigentlich aufstehen müsste.








                                                        Die Fahrt vergeht wie im Fluge, und wieder taucht auf der gegenüberliegenden Seite des Golfes von Neapel der Vesuv auf. Als wir durch das nunmehr sonnenbeschienen Sorrento fahren, überlege ich einen Moment, ob ich aussteige und mir den Ort anschaue. Er hat an einigen Stellen ein bezauberndes Flair, und ich weiß nicht, dass es dort auch eine Gedenktafel für Enrico Caruso (1873-1921) gibt, der heute noch der größte Tenor aller Zeiten ist. Caruso, Neapolitaner und in armen Verhältnissen aufgewachsen, wurde übrigens als junger Sänger (fehlerfrei war seine Darbietung nicht, aber er war bereits ein Star) im berühmten Teatro San Carlo ausgebuht, von der High Society Neapels als Gassenjunge behandelt und am nächsten Tag von einem Theaterkritiker verrissen, der das Potential seiner Stimme entweder nicht erkannte oder nicht erkennen wollte. So schwor sich Caruso, nie wieder in seiner Heimatstadt zu singen und daran hat er sich gehalten. Gestorben ist er in einem Hotel in Neapel und seine Stimme hat ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht.
                                                        Ich schaue auf die Uhr, aber es ist schon recht spät, und so fahre ich bis zum Bahnhof.





                                                        Eine Durchsage „Der Zug nach Neapel steht abfahrtbereit auf Gleis X“ (sogar in deutsch!) lässt mich eilen, aber tatsächlich steht der Zug noch mindestens 25 Minuten, bis er endlich abfährt. Vor mir sitzen zwei uralte Engländerinnen, die sich in leidendem Tonfall über das laute Geräusch der Bahn beschweren. Eine von ihnen feilt sich konzentriert die Fingernägel. In Pompei setzen sie sich um und eine fröhliche Truppe Norweger betritt das Abteil. Ich unterhalte mich mit einem Ehepaar. Sie machen Urlaub in Rom und sind für eine Tagestour mit dem Highspeedtrain nach Neapel und von da aus nach Pompei gefahren. Das ist natürlich auch eine Idee. Ich versuche, Bilder vom Vesuv durch das gegenüberliegende Fenster zu machen, aber die meisten sind verwackelt oder schlecht. Auch die Scheibe spiegelt. Heute sind keine Wolken über dem Gipfel und das erste Mal sieht man, dass es kein Berg wie jeder andere ist.





                                                        In Neapel angekommen, gehe ich kurz ins Hotel und suche den Campingplatz heraus. Die Beschreibung klingt gut. Dann gehe ich noch ein wenig bummeln. Eigentlich schade, dass ich Neapel morgen bereits verlasse. Ich biege in eine Einkaufsstraße ein und wieder fällt mir auf, dass die ganzen Ketten, die bei uns mittlerweile selbst in den Stadtteilen das Stadtbild prägen, fehlen. Ein Bettler steht vor der Tür eines Hauses, als warte er auf Menschen, die ihm Geld geben. Instinktiv schaue ich auf die Tür und stelle erstaunt fest, dass es sich um eine Kirche handelt. Eine Frau auf der Kirchenbank sieht mich an der Tür stehen und schaut mich scharf an. Es ist Gottesdienst. Und plötzlich habe ich das Bedürfnis, diesem Gottesdienst bei zu wohnen. Ich weiß, es ist sträflich, den Gottesdienst zu stören, und ich fühle mich als Eindringling, aber ich betrete dennoch die Kirche und gehe auf Zehenspitzen zu den Bänken. Ich reihe mich in eine Bank ein. Der Gottesdienst ist fast zu Ende, und ich bekomme noch den Segen und ein Kirchenlied mit. Wieder zünde ich ein Licht für Werner an.
                                                        Die Kirche ist nicht groß, aber ebenfalls wundervoll ausgemalt. Das erste Mal kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht nicht Prunksucht ist, welche die Kirchen so schön gestalten lässt, sondern die Erfahrung der Armut. Dass die Kirche der Ort ist, der sich von allen anderen abhebt und wo man das Schöne und Erhabene findet, das einen von dem bitteren Alltag ablenkt. Ein Ort, der den Menschen das Gefühl gibt, dass es neben den Mühen des Lebens noch etwas Großes, Gewaltiges gibt, das über das Menschsein hinausgeht: Gott.

                                                        Als ich hinaustrete, ist es bereits dunkel geworden. Ich lenke meine Schritte zu der Pizzeria von gestern. Eine andere Pizzeria lockt, aber sie ist stärker auf Touristen ausgerichtet. Hier im übrigen noch der Hinweis, dass es in Neapel Sitte ist, das Eindecken des Tisches (Coperta, ca. 0,50 bis 1,50 Euro) und den Service (Servizia, ca. 3 Euro) gesondert zu berechnen. Man sollte also das Kleingedruckte lesen, damit man sich hinterher nicht über das Ohr gehauen fühlt. In dem Restaurant, in dem ich war, wurde nur Coperta berechnet und sie waren stolz, dass Servizia im Preis enthalten war. Angesichts der Preise, die für unsere Verhältnisse - gemessen an der Qualität - günstig sind, ist der Aufschlag aber kein Problem. Die besten Restaurants soll es wohl im historischen Zentrum geben. Zudem ist Neapel bekannt für seinen Büffelmozzarella und für Weihnachtskrippen. Und es gibt es noch viele Schneider, die Maßanzüge fertigen. Einem Reiseführer zufolge, soll man außerdem immer einen Blick halb nach oben haben, da die Neapolitaner in einigen Wohnvierteln die Angewohnheit haben, sämtlichen Müll zum Fenster hinaus zu werfen. Das soll an Neujahr dazu führen, dass die Anwohner ihre Autos umparken, da zu dieser Zeit traditionell neue Möbel und Elektrogeräte angeschafft werden.

                                                        Im wähle einen Tisch vor der Tür mit Blick auf die Straße. Am Nebentisch sitzen italienische Schweizer und empfehlen mir die 4 Käse Pizza. Sie ist köstlich. Der Käse verbindet sich zu einer ganz eigenständigen Geschmacksnote und die Pizza ist ungewohnt leicht. Nicht dieser Käsehammer mit aufdringlich schmeckenden Käsen, wie man sie bei uns gerne bekommt. Ein verhaltensauffällig aussehender junger Mann mit schwankendem Gang nähert sich der Pizzeria, es scheint, als sei er drogensüchtig. Der Kellner beobachtet ihn und wie zufällig stehen plötzlich der Pizzabäcker und ein anderer Angestellter neben ihm und tuscheln etwas, ohne die Miene zu verziehen oder den Kopf zueinander zu drehen. Der Drogensüchtige sieht sie, stutzt und entfernt sich wieder. Ich bin beeindruckt. Hier gibt es Grenzen, die ganz fein gewoben sind und nur dem guten Beobachter deutlich werden. Als die Straßenmusiker und die pakistanischen Blumenhändler kommen, wiederholt sich die Szene nicht.





                                                        Als ich das Lokal verlasse, sehe ich, dass nebenan im Mauerwerk eine Heiligenstätte eingerichtet ist. Und ich ahne, dass man in dieser Stadt noch so viel sehen, entdecken und erleben kann, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Bitte nicht falsch verstehen: Neapel ist immer noch eine gefährliche Stadt, und das Risiko, ein Opfer von Kriminalität zu werden, hoch. Man sollte sich nicht naiv anstellen, sein Geld nicht offen herumtragen und nicht in jede Straße oder jedes Vierteil hineinlaufen, was man sieht. Vor allem nachts ist erhöhte Vorsicht geboten, denn es gibt viele Jugendbanden. Aber wenn man die Regeln anwendet, die man auch in deutschen Großstädten beachten sollte und noch etwas zusätzliches Sicherheitsbewusstsein drauf packt, kommt man auch mit Neapel klar. Diesem Sicherheitsdenken folgend, gehe ich auf direktem Weg Richtung Hotel, kaufe im Sklep die Wegzehrung für morgen und gehe früh zu Bett.
                                                        Morgen geht es also nach Venedig. Die Motive des Malers „Kanal-Otto“ (Canaletto) besichtigen, den ich als Kind so mochte. Ich bin gespannt. Und ich freue mich auf mein Zelt.
                                                        Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2013, 06:32.
                                                        Oha.
                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                          • 13.01.2013
                                                          • 79
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                          Schöne Bilder, einer schönen Tour... bin gespannt wie es weiter geht.

                                                          Ein kleiner Kritikpunkt:
                                                          Meen Jung, als ich in deenem Alter war habe ih ned so rumgjammert.

                                                          Ich schlage vor das du dir beim nächsten Abstecher zu uns unten verlinktes Gefährt zulegst.
                                                          http://www.fystek.fi/galleria/index.php/IMG_1224

                                                          Mit so einem Teil hat mich mal ne Oma bergab überholt... ich fuhr etwa 50km/h.
                                                          Das wäre echt was für dich, massig Platz für Zuladung, ein Plätzchen zum ausruhen der müden Knochen.....

                                                          Ales Gute

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                                                            Liebt das Forum
                                                            • 16.08.2008
                                                            • 31757
                                                            • Privat


                                                            #30
                                                            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                            Auch kein schlechtes Gefährt. Sieht aus, als wäre das klappbar? Ihr habt in Finnland wirklich hervorragende Rennmobile, ich staune.... Ich glaube, ich muss da mal wieder hin.....
                                                            Oha.
                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                            • Rattus
                                                              Lebt im Forum
                                                              • 15.09.2011
                                                              • 5177
                                                              • Privat


                                                              #31
                                                              AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                              Zitat von supi Beitrag anzeigen
                                                              Ich schlage vor das du dir beim nächsten Abstecher zu uns unten verlinktes Gefährt zulegst.
                                                              http://www.fystek.fi/galleria/index.php/IMG_1224
                                                              Ist ja irre. Sieht nur ziemlich unbequem aus - da muss man ja absolut breitbeinig drauf stehen, oder täuscht da die Perspektive?
                                                              Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                                                              • Torres
                                                                Freak

                                                                Liebt das Forum
                                                                • 16.08.2008
                                                                • 31757
                                                                • Privat


                                                                #32
                                                                AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                13.09.(-15.09.)2013 Venezia

                                                                Mein Wecker klingelt um 6.00 Uhr und um 6.30 Uhr laufe ich in den Frühstücksraum. Ich bin tatsächlich der erste Gast. So etwas passiert mir sonst nie. Nur im Urlaub. Ich esse zwei Brötchen und labe mich noch einmal an dem exzellenten Kakao, der aus der Maschine kommt und dann heißt es Abschied nehmen. Schnell mache ich noch ein paar Bilder vom Hotel und der Portier posiert für mein Foto.





                                                                Neapel schläft noch, und während der Verkehr auf den Straßen bereits die üblichen Geräusche macht, bauen die ersten Straßenhändler langsam ihre Läden auf. Nur wenige Menschen sind schon unterwegs. Als eine Frau neben mir aus einem Haus kommt, erschrecke ich mich. Hier wird die Haustür nicht ganz aufgemacht, sondern ein kleines Loch in der Tür öffnet sich und die Frau muss die Beine heben, um auf die Straße zu kommen. Diese Tür ist mir ein Foto wert. Der Vesuv ist immer noch da und wehmütig verabschiede ich mich. Mein Zug ist bereits angekündigt und ich wandere zu dem Gleis. Wie erwartet, handelt es sich nicht um einen Highspeedtrain, sondern um eine Art Interregio mit Abteilen. Natürlich könnte ich den Zug noch tauschen, aber ich hake die Buchung unter Schicksal ab. Mal sehen, wozu das gut ist.

                                                                Das weiß ich spätestens, als ich im Abteil sitze. Ich habe den mittleren Platz in Fahrtrichtung (und da Rom ein Kopfbahnhof ist, weiß ich, dass ich den größten Teil der Fahrt rückwärts sitzen werde... Ich hasse Kopfbahnhöfe!) und links neben mir, rechts vor mir und rechts neben mir schnattern ein paar Italienerinnen, die ich auf um die 50 Jahre schätze. Sie kennen sich nicht, sondern stellen sich erst vor und würden mich ja auch mit einbeziehen, aber ich muss passen. „Germania“, sage ich. „Aaaaaah, Germania“ ertönt es (man beachte das gerollte „r“!) und dann rattern sie los und irgendwie geht es um Silvio Berlusconi und Frauen und was auch immer. Wieder kann ich mich nicht zurückhalten und fotografiere den Vesuv, der aus dem morgendlichen Dunst auftaucht. Bye, bye Neapel.





                                                                Ich biete meiner Nachbarin zur linken an, den Platz zu tauschen, damit sie sich mit den anderen Damen besser unterhalten kann, und sie freut sich. So lese ich ein bisschen und fotografiere zwischendrin.





                                                                Als sich der Zug Formia-Gaeta nähert, werden die Frauen ganz aufgeregt und machen mir klar, dass ich unbedingt fotografieren muss. Tatsächlich sieht man für kurze Zeit das Meer und die Umrisse von Gaeta.













                                                                Eine weitere Italienerin im gleichen Alter steigt zu und wird überschwänglich von einem Mann – vermutlich ihrem Bruder – verabschiedet, der ihr die Koffer in den Zug getragen hat und sich nicht so ganz trennen kann. Immer wieder bekommt sie ein Küsschen aufgedrückt. Es ist ihr selbst ein wenig unangenehm und sie schickt ihn mehrmals fort. Ich erinnere mich plötzlich, dass unser Vater uns früher auch die Koffer in den Zug gebracht hat und ich immer Angst hatte, dass er nicht rechtzeitig heraus kommt und dann ohne Fahrkarte mitfahren muss. Ich habe mir da immer ganz furchtbare Abenteuer überlegt, die dann passieren. In den letzten Jahren habe ich solche Szenen bei uns nicht mehr gesehen, denn meistens haben die Züge ja nur 2 Minuten Aufenthalt.
                                                                Dann ein Schock: Meine Kamera sagt "Kartenfehler" und alle Bilder von heute und ein Bild von gestern sind gelöscht. Mein Herz rast. Das einzige, was mir einfällt, ist die Speicherkarte zu wechseln und die alte Speicherkarte gut weg zu stecken. Tatsächlich wird mir zu Hause ein Programm helfen, die Daten wieder zu finden.

                                                                Vor Rom tauchen am Rande der Eisenbahnstrecke Reste einer Stadtmauer auf, die bis Rom mehr oder weniger hinter Bäumen, Sträuchern und Häusern sichtbar sein wird.








                                                                Hinter Rom stellt sich heraus, dass der Neuzugang im Abteil Englisch und ein bisschen Deutsch spricht. Als die Wortführerin, die seit Neapel das Gespräch dominiert hat, aussteigt, outet sich auch die andere Frau am Fenster und erzählt, vorsichtig nach Worten ringend, dass sie als Kind in Freiburg aufgewachsen ist und bis zur 5. Klasse in einer deutschen Schule war. Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts sind sie zurückgekehrt. Eine leichte badische Färbung hört man immer noch. Sie guckt mich vorsichtig an und sagt dann, dass viele Menschen in Italien uns um Frau Merkel beneiden. Die Politiker in Italien taugen nichts. Und die Wirtschaftskrise wird immer schlimmer. Ich denke, sie spricht von Süditalien, aber die andere Frau schüttelt mit dem Kopf. Auch dem Norden geht es schlecht. Die Fabriken schließen. Ihr Sohn ist arbeitslos geworden und keiner weiß, wie es jetzt weiter gehen soll.

                                                                Andere Fahrgäste kommen in das Abteil und die Gespräche verlaufen sich. Wieder lese ich ein wenig, schaue aber auch viel heraus. Die Fahrt ist viel interessanter als mit dem Highspeedtrain. Obwohl die Trasse gar nicht so weit von der Hochgeschwindigkeitstrasse entfernt ist, wirkt die Landschaft dennoch lebendiger und vielfältiger als auf der Hinfahrt. Ich sehe viele schöne Kirchen und Burgen und überlege, dass so ein kleiner „Taschengöga“ gar keine schlechte Erfindung wäre. Leider werden die Bilder anschließend nicht mehr besonders gut – die Sonne und die Scheibe spielen nicht mehr mit. So lese ich wieder ein Buch mit "Wachtmeister Studer".





                                                                Die letzten zwei Stunden werden dann doch zur Qual. So schön es ist, nicht umsteigen zu müssen, so sind 8 Stunden Zugfahrt in einem Ratterzug, und die damit verbundene körperliche Untätigkeit, einfach nichts für mich. Diese Erfahrung wird letztlich besiegeln, dass ich Kroatien nicht bereise, denn die Zugdistanzen sind mir einfach zu weit.

                                                                Gegen 17.30 Uhr komme ich in Venedig-Mestre an und darf Roller und Gepäck erst einmal die Treppen herunter und wieder hinauf schleppen. Behindertenaufzüge oder -rampen gibt es in Mestre nicht.
                                                                Als ich vor die Tür des Bahnhofs trete, bekomme ich einen kleinen Kulturschock. Ordentlich, aufgeräumt, zivilisierter Verkehr, niemand hupt. Vor dem Ticketbüro stehen 3 oder 4 Kunden. Einen bitteren, kurzen Moment ohrfeige ich mich, dass ich nicht in Neapel geblieben bin. Was soll ich in dieser langweiligen Gegend? Das ist ja wie zu Hause. Aber die Vorstellung, wieder 6 Stunden im Zug zu sitzen, bis ich wieder in Neapel bin, schreckt mich dann doch. Also vorwärts schauen.

                                                                Zusammen mit einem englisch sprechenden Paar rätsele ich vor einer Tafel mit Stadtplan, wo ich denn nun genau bin. Der junge Mann erkennt als erstes, wo wir sind, und seine Freundin stöhnt und ist kurz davor, aus zu flippen. Sie müssen wieder durch den Bahnhof durch und zur anderen Seite raus. Ich atme dagegen auf, denn ich bin auf der richtigen Seite. Ich fotografiere den Stadtplan, weil mein Navi mal wieder nichts anzeigt, präge mir die Straßennahmen ein und versuche, die richtige Straße zu finden, um zum Campingplatz zu rollern. Sinnlos. Ich finde keine Straßenschilder.
                                                                Vor mir (d.h. an der dem Bahnhof gegenüberliegenden Seite) hält Bus Nr. 15 und durch Zufall sehe ich im Laufschriftfenster neben anderen Straßen den Namen „Via Orlanda“. An dieser Straße befindet sich der Campingplatz. Mein Gehirn rattert und sagt: Den Bus nehmen. Man muss sich nach dieser Zugfahrt nicht noch stundenlang verfahren.

                                                                Ich versuche hektisch den Roller zu klappen, aber der Bus fährt bereits los. Dabei hätte er mich sowieso nicht mitgenommen, da ich kein Ticket habe und beim Fahrer auch keins kaufen kann. Eine Passantin zeigt mir, dass der Ticketshop genau hinter mir ist, und ich kaufe für 1.30 einen Fahrschein. Dann warte ich eine geschlagene halbe Stunde (und denke noch ein wenig an Neapel...), da der Bus Verspätung hat. Eine elektronische Schautafel zeigt seine genaue Ankunft an. Als ich endlich im Bus sitze, bin ich angenehm überrascht, dass der Innenstadtkern von Mestre sehr hübsch ist. Bald fährt der Bus aber auf großen Ausfallstraßen, und ich bin heilfroh, dass ich nicht gerollert bin. Ein Jungspund macht mich an, weil mein Gepäck einen zweiten Sitz verstellt, ich springe auf und gebe ihm meinen Platz. Er grummelt vor sich hin und bleibt stehen, das ist ihm dann doch peinlich. :-) Kurz darauf meldet sich ein anderer Mann, den ich am Anfang gefragt habe, ob er mir sagen können, wo ich raus muss, und erklärt mir, dass ich in zwei Stationen raus muss. Seine Ansage ist zuverlässig, und ich bedanke mich sehr herzlich bei ihm. Das hätte ich nie gefunden. Falls jemand mal in die Verlegenheit kommt: Die Fahrt dauert ca. 20 Minuten. Irgendwann kommt ein sehr großer Kreisel und man hat das Gefühl, der Bus fährt jetzt auf eine Autobahn, was er aber nicht tut. Kurz darauf hält der Bus am Campingplatz Venezia, der gut ausgeschildert ist. Dann kommt eine Haltestelle, die man sehr leicht übersieht und danach (bzw. spätestens wenn man rechts eine Tankstelle sieht und links den Lidl), muss man ganz schnell den Halteknopf drücken. Der Bus hält direkt vor dem Campingplatz.

                                                                Ich checke ein und das Übernachten kostet mich 12.00 Euro und ein paar Cent die Nacht. Das sind doch mal wieder reelle Preise, und ich kündige 3 Übernachtungen an. Gezahlt wird aber erst, wenn die Abreise erfolgt. Ich finde eine Zeltwiese und da steht schon ein Hubba Hubba, und sofort fühle ich mich heimisch. Auch ein Quechua mit Spitzbogen erfreut mein Herz. Mein Zelt ist schnell aufgebaut, und da das Wetter die nächsten Tage durchwachsen sein soll, stelle ich mich so an den Zaun, dass ich das footprint wieder als Tarp nutzen kann. Zu meiner Schande stelle ich fest, dass ich es in Rom nicht getrocknet habe. Der Regen von Lugano ist noch drauf. Ist das lange her....

                                                                Ich gehe in den kleinen Supermarkt des Campinglatzes, aber das Angebot ist dürftig. Also rollere ich zu Lidl. Lecker, was man dort so alles kaufen kann. Platz müsste man haben. Neben vertrauten Sachen gibt es dort eine gute Auswahl regionaler Produkte. So erwerbe ich Büffelmozarella, Salami, etwas Gemüse, Tomatensoße und eine Flasche Wein. Eigentlich hätte ich Lust auf Tiefkühlspinat, aber den gibt es nur in der 1 Liter Packung. Ich packe den Reactor aus und koche Nudeln mit Tomatensoße und Mozarella. Meine Nachbarn sind Deutsche. Er erzählt, dass sie 4 Hostels abgeklappert haben und alle waren belegt. Dann sind sie in ihrer Not hier auf den Campingplatz gelaufen. Sie haben eine Stunde gebraucht, bis sie zu Fuß hier waren. Ich bin froh, dass ich mir so etwas durch mein Gespräch von gestern ersparen konnte. Da ich aus UL Erwägungen keinen Flaschenöffner dabei habe, frage ich zwei französische Ehepaare, die gemütlich draußen sitzen und Whiskey trinken, nach einem Korkenzieher. Natürlich haben sie einen. Wir quatschen noch ein wenig und lachen viel.

                                                                An der Ecke meines Platzes stehen Hütten und vor der Tür sitzen Engländer und trinken Bier. Ich befürchte Schlimmstes. Aber die Befürchtungen sind grundlos. Ich habe selten so einen ruhigen Platz erlebt. Die meisten Gäste sind nur auf der Durchreise. Man kommt an, besucht Venedig und fährt früh morgens wieder oder man besucht den nächsten Tag Venedig und fährt dann den Tag darauf früh wieder. Da ist für Parties keine Zeit. Die meisten jungen Leute mieten sich sowieso eine Hütte und es sieht so aus, als würden sie sich in Venedig einfach mal richtig ausschlafen. Kurz: Gegen 21.00 Uhr ist erstaunlicherweise Platzruhe. Die Nacht wird kühl, so dass ich den Schlafsack als Decke nehme, und dann schlummere ich tief und fest. My home is my castle.


                                                                Zuletzt geändert von Torres; 29.09.2013, 23:09.
                                                                Oha.
                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                                  GELÖSCHT
                                                                  Dauerbesucher
                                                                  • 08.10.2012
                                                                  • 510
                                                                  • Privat


                                                                  #33
                                                                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                  schöner bericht!
                                                                  neapel...kleine läden....
                                                                  tja, fast nur die deutschen fahrn mitm porsche :-)) zum discounter, is halt n psychogeografischer schaden, dasses essen billig und schlecht sein muss, aber war bei dir bestimmt nur eher abschiedstraining fürn rückweg.

                                                                  Kommentar


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                                                                    • 16.08.2008
                                                                    • 31757
                                                                    • Privat


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                                                                    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                    Tja, das Problem war, die kleinen Läden erst einmal zu finden. Und das nächste Problem war, dass ich immer nur das kaufen konnte, was ich unmittelbar verzehren konnte oder was haltbar war. Ich konnte ja nicht kühlen. Aber selbst die von mir im Sklep oder im Discounter gekauften regionalen Lebensmittel waren qualitativ hervorragend. Und ich frage mich, wie dann erst die Erzeugerprodukte auf den Märkten schmecken mögen!

                                                                    Edit: Ich muss mich korrigieren: Der Wein hätte besser sein können.
                                                                    Zuletzt geändert von Torres; 30.09.2013, 14:25.
                                                                    Oha.
                                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                    Kommentar


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                                                                      • 31757
                                                                      • Privat


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                                                                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                      14.09.2013 Venezia

                                                                      In der Nacht hat es ein wenig geregnet und morgens ist es bewölkt, doch bald kommt die Sonne heraus. Ich frühstücke die Reste vom Abend und gehe zur Rezeption, um mir ein Busticket zu kaufen. Eine rote Dyane 6 verzückt mich – ein Relikt aus einer Zeit, als der Besitz eines Autos noch lange nicht bedeutete, jemals in angemessener Zeit das gewählte Ziel auch zu erreichen. So bin ich erst kurz vor 10.00 Uhr am Schalter und das ist genau die Auscheckzeit für die Hütten. Ein netter Franzose lässt mich vor und mit meinem Ticket stelle ich mich an die Bushaltestelle. Die Rezeption hat jedem Gast einen Stadtplan in die Hand gedrückt, worauf steht: Bus 19 nach Venezia, Bus 5 zurück zu Camping Rialto. Nach ca. 20 Minuten kommt der Bus und biegt nach einiger Zeit auf einen Damm ein. Man sieht eine breite Bucht, Fabrikanlagen am Festland und so ganz romantische Stimmung kommt bei mir nicht auf. Kitsch à la „Eine Nacht in Venedig“ über die Verfilmungen der Bücher von Donna Leon (Commissario Brunetti) bis hin zum köstlichen Buch von Hannu Raittila „Canale Grande“, in der vier Finnen Venedig vor dem Versinken retten wollen, schießen mir durch den Kopf. Nun, schauen wir uns die Sache erst einmal vorbehaltlos und in Ruhe an.

                                                                      Ich steige am Busterminal aus und es geht über eine kleine romantische Brücke an einem öffentlichen Park vorbei. Ein junger Mann steht an einem Stand und sammelt Unterschriften. Ich sehe zwei Bilder und mir ist augenblicklich klar, dass er gegen den zunehmenden Kreuzfahrttourismus in Venedig ist. Sog und Schwall. Das kann nicht gut gehen. Ich unterschreibe.
                                                                      Es ist heiß geworden. Kurz darauf stehe ich an dem ersten Kanal und schaue auf das Treiben. Verschiedene Wassertaxis pflügen zügig durch das Wasser und mir ist innerhalb von Sekunden klar, wie der Unfall mit der Gondel, der vor kurzem einen deutschen Bürger das Leben kostete, passieren konnte. Es ist hier einfach zu voll.








                                                                      Ich überquere eine Brücke und nähere mich einer Kirche. Ich fotografiere in alle Richtungen und in einem Haus entdecke ich sogar das deutsche Konsulat. Ich lasse mich einfach treiben, die Sonne ist schön warm, und die Häuser gefallen mir.





                                                                      Kleine Kanäle und kleine Brücken tauchen auf, aber auch das eine oder andere Haus, das schwere Wasserschäden hat. Es riecht nicht richtig modrig, dazu ist es noch zu warm, aber es ist ein Geruch, den ich auch von unseren Kanälen her kenne. Wer übrigens glaubt, dass Venedig die meisten Brücken in Europa hat, täuscht sich. Hamburg liegt mit ca. 2496 Brücken vor Berlin (2100, die Zahl variiert aber nach unten), Amsterdam (ca. 1200), London (ca. 850) und Venedig (426). Diese Zahl berücksichtigt allerdings nur das historische Venedig. Einige Straßen sind angenehm breit, aber immer wieder gibt es auch enge, verwinkelte Straßen, die ein wenig an die Gängeviertel Hamburgs erinnern. Ein Kinderroller liegt an der Straße und ich vermisse meinen Roller. Venedig ist nicht nur autofrei, sondern auch fahrradfrei. Viele Gassen sind einfach zu eng und die Brücken haben teilweise Stufen, so dass Venedig auch für Rollstuhlfahrer nur bedingt geeignet ist.








                                                                      In einem Kiosk erwerbe ich einen Stadtplan für 3,00 Euro, denn das Stadtplanblatt des Campingplatzes ist zu ungenau. Es ist nicht leicht, zu erraten, wo man sich gerade befindet und der neue Stadtplan hat sogar ein Straßenverzeichnis, welches die Suche erleichtert. Immer wieder stechen mir Details ins Auge: Das Haus, dessen Fensterfassade teilweise zugemauert ist, das kleine Heiligenbild an einer Mauer, das Grün zwischen den Mauern, die Wäsche vor dem Fenster. Eine Kirche – die Chiesa di San Rocco - taucht auf und mir ihr die ersten touristischen Reisegruppen. Und kurze Zeit später weiß ich, wie Venedig mit Waren versorgt wird: Durch Muskelkraft und riesige Sackkarren.





                                                                      Die Kirche ist wunderschön ausgestaltet, und ich mache Fotos, die ich hier aber lieber nicht veröffentliche. Schräg gegenüber ist die Scuola Grande di San Rocco und sie scheint etwas Besonderes zu sein, denn sie kostet Eintritt und viele Menschen stehen davor. Ich entnehme einem Plakat, dass die Innengestaltung ein Meisterwerk des Malers Tintoretto darstellt und tatsächlich sieht das Bild auf dem Plakat sehr beeidruckend aus. http://de.wikipedia.org/wiki/Scuola_Grande_di_San_Rocco

                                                                      Mir ist das allerdings zu viel Rummel und so laufe ich weiter. Ein Ledergeschäft lockt und da mein Gürtel den Tag zuvor gerissen ist, ersetze ich ihn durch einen in Italien gefertigten Ledergürtel. Die Touristendichte nimmt nun zu und überall findet man Reiseführer mit lustigen Regenschirmchen, die sie hochhalten, damit die Gruppe weiß, wem sie zu folgen hat. Menschen mit riesigen Rollkoffern bahnen sich den Weg über die Treppen der Brücken und suchen mehr oder weniger verzweifelt ihr Hotel. Ich denke an UL und bin mir sicher, dass sie verfluchen, so viel Gepäck mitgenommen zu haben.
                                                                      Die Touristendichte ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass ich – wie alle anderen - langsam anfange, die Schilder zu beachten, welche wahlweise zur Rialtobrücke oder zum Markusplatz lenken. Bei diesen vorgezeichneten Routen wird man nicht nur an Sehenswürdigkeiten vorbeigeführt, sondern man kann sich auch darauf verlassen, dass die Straße weiterführt und nicht unvermittelt an einem Kanal endet. Zudem sind die Straßen hier infrastrukturell gut ausgebaut und es finden sich mehr oder weniger noble Geschäfte oder Restaurants, die der Stadt neben der Vielzahl an Hotels das nötige Geld einbringt. Auch Ableger internationaler Konzerne dürfen da nicht fehlen. Unvermittelt stehe ich vor einem Maskengeschäft und der Maskenmacher berät gerade einen seiner Kunden. Fotografieren des Geschäftes ist nicht erwünscht, aber ich mache dennoch ein Foto. Diese Masken haben nichts mit den billigen Imitaten zu tun, die man überall in den Souvernirgeschäften findet.
                                                                      Die Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari erscheint vor meinen Augen, aber auch sie besichtige ich nicht von innen. Dennoch kann ich einen Eindruck gewinnen. Durch ein Seitenfenster kann man ein Blick auf das Innere erhaschen, und sie ist wundervoll gestaltet. Als ich weiter gehe, kommen wieder Kanäle und die allgegenwärtigen Gondeln ins Blickfeld. Erstaunlich übrigens die Technik, mit der die Gondeln bewegt werden. Derartige Bewegungsabläufe habe ich vorher noch nie gesehen.











                                                                      Immer weiter lasse ich mich treiben und immer mehr Eindrücke prallen auf mich ein. Ein Souvenirhändler repariert das Dach seines Geschäftes. Und wieder Kanäle, Kanäle, Kanäle.





                                                                      Jäh stört ein Motorboot die Idylle und wirft Wellen an die Häuser. Kein Wunder, dass der Putz blättert – Umweltverschmutzung, Wellenschlag und Hochwasser hinterlassen unübersehbare Spuren am Gemäuer. Ein Vater mit seiner kleinen Tochter nähert sich per Boot und ich beobachte fasziniert, wie die Tochter geschickt ins Haus springt und die Waren annimmt, die der Vater gerade erworben hat. Der Computermonitor – oder ist es ein Flachbildfernseher? - wird als letztes ins Haus gebracht. Ein Bekannter mit einem zweiten Boot unterstützt. Dann springt die Tochter wieder in das Boot und vermutlich wird weitere Ware geholt. Die Gondeln werden nun immer prächtiger und auf einem Platz lockt eine maskierte Schöne in einem prächtigen blauen Kleid die Touristen, für ein Foto etwas Geld zu spenden. Ein Straßenschild verkündet, dass ich mich am oder in der Rio Terra San Silvestro befinde. Und dann bin ich plötzlich am Canale Grande.





                                                                      Zugegeben, beeindruckend ist es schon, wenn man plötzlich an einem Ort steht, den man schon hundertmal auf Fotos, Gemälden, in Filmen oder in Zeitschriften gesehen hat. In der Realität überlagern andere Gefühle die Gedanken: Ist das voll hier. Ist hier ein Schiffsverkehr! Was wollen alle die Menschen hier? Das sind also die berühmten Paläste. So prunkvoll sehen die eigentlich gar nicht aus. Lastkähne gibt es hier auch. Das habe ich mir idyllischer vorgestellt.
                                                                      Und dann wendet sich mein Blick nach links und ich sehe: Die berühmte Rialtobrücke. Brechend voll von Menschen. Behängt mit einem Plakat, das mit seiner Botschaft über die geschossenen Fotos vermutlich die ganze Welt erreicht. Es geht um die Kunstbiennale 2013 und der Sponsor wird sicherlich auf seine Kosten kommen. Ich entschließe mich für das volle Programm und steige die Treppen hoch. Überall sind Menschen und der Blick nach vorne verheißt noch mehr Menschen.





                                                                      Die meisten Fotos werden von Paaren gemacht, die sich wechselseitig vor der Kulisse fotografieren. Ich nutze eine Lücke und muss dann doch während des Blickes von der Brücke neidlos anerkennen: Das hat schon ´was.








                                                                      Die Brücke ist von zwei Seiten begehbar und in der Mitte sind an der einen Seite Souvenirläden. Ich laufe die Brücke an der einen Seite hoch und an der anderen wieder herunter.





                                                                      Und dann reicht es selbst mir. Venedig ist ja eine schöne Stadt, aber das ist nun doch ein bisschen sehr viel Urban Outdoor. Aber ich muss ja noch zum Markusplatz. Andernfalls hat man wohl das wichtigste verpasst. Also dann auf.





                                                                      Und dann bin ich plötzlich da. So im Nachhinein durch das Auge des Fotografen betrachtet, ist das schon ein beeindruckender Platz mit beeindruckenden Gebäuden und es ist schade, dass die Markuskirche (Basilica di San Marco) zum Teil hinter einer Abdeckung verborgen ist. Unschwer erkenne ich den Platz aus Filmen wieder. Nur eine Touristengruppe wagt sich, die legendären Tauben zu füttern. Mittlerweile ist das nämlich bei Strafe verboten.





                                                                      Vor Ort stoße ich dagegen an meine Grenzen. Menschen, überall Menschen und da Nachsaison ist, ist das vermutlich nur ein Bruchteil der Menschen, die sich im Sommer in der Ferienzeit Venedig anschauen. Hilfe. In so einer Stadt zu wohnen, muss eine Qual sein. Überall sind größere Touristengruppen unterwegs, die in Trauben um irgendeine Säule herumstehen. Ein paar Sportler haben Surfbretter aufgebaut und es ist mir nicht klar, was sie damit bezwecken. Es gibt außerdem einige Souvernirläden und Menschen, Menschen, Menschen.

                                                                      Ich flüchte Richtung Canal Grande und der Ausblick auf das Wasser und die zwei Gebäude auf der anderen Seite des Kanals besänftigt mich etwas. Ich halte Ausschau nach irgendeinem grünen Flecken und in der Ferne scheint ein Park zu sein, aber sicher bin ich mir nicht. Am nächsten Tage werde ich sehen, dass man sich dort tatsächlich setzen kann, aber ob es dort ruhig ist, entzieht sich meiner Kenntnis. So setze ich mich auf eine steinerne Bank unter dem Vordach eines der langen Gebäude – zusammen mit anderen Touristen, die ebenfalls eine Auszeit brauchen.
                                                                      Ich horche in mich hinein und sage: Nein. Die Leichtigkeit und die Beschwingtheit, die Rom so faszinierend gemacht hat, fehlt hier völlig. Diese Stadt ist ein Museum. Mag sein, dass hier im historischen Venedig 60.000 Menschen wohnen. Und sicherlich bestreiten viele ihren Lebensunterhalt mit dem Tourismus. Aber genauso, wie die Stadt schutzlos dem Wasser ausgeliefert ist (der Markusplatz liegt sehr tief und wird regelmäßig überflutet), so hat sich diese Stadt auch schutzlos den Touristen ausgeliefert. Die Touristen sind das Lebenselixier, aber sie ersticken auch das Leben und den Fortschritt. Später werde ich hören, dass die Touristen früher zwei Wochen in der Stadt blieben, um sich zu erholen. Heute kommen sie für einen Tag und fahren wieder. Wie im Taubenschlag. Wie ich. Ich muss hier weg.





                                                                      Ich entscheide mich, mich anhand meines Stadtplanes zu orientieren, um den Menschenmassen aus dem Weg zu gehen. Es ist Zufall, dass ich ein Foto der Seufzerbrücke mache, ich habe sie nicht gesucht und auch nicht gewusst, wo sie sich befindet.





                                                                      Ganz einfach ist die Orientierung aber auch mit einem Stadtplan nicht. Würde jemand von einem Tag auf den anderen alle Hinweisschilder und Straßenschilder entfernen, hätte der Ortsunkundige kaum eine Chance, den Weg aus der Stadt zu finden.











                                                                      Irgendwann komme ich an der Rialtobrücke heraus und bei dem Versuch, Nebenstraßen zu finden, verirre ich mich in Sackgassen. So finde ich zunächst den Gemüsemarkt – und fühle mich an Litauen erinnert – und schließlich den Fischmarkt von Venedig, der leider schon geschlossen ist. So bleibt nur ein Foto von den Säulen. Der Geruch in der Halle ist natürlich unverkennbar.





                                                                      Wieder verirre ich mich und lande am Canal Grande. Ein älteres Ehepaar aus Dresden versucht, sich gegenseitig zu fotografieren, aber mein Angebot, sie zusammen zu fotografieren, lehnen sie ab. Wir werden uns noch zweimal wieder begegnen, denn auch sie verlaufen sich.
                                                                      Dann weiß ich mich wieder zu orientieren und finde die Schilder zur Piazzale Roma. Hier fahren die Busse ab.





                                                                      Der moderne Bahnhof St. Lucia gerät in mein Blickfeld. Noch einmal ist ein Kanal zu queren und dann bin ich am Busbahnhof. Aber wo fährt der Bus? Ein Busfahrer hilft: Die Bushaltestelle ist weiter vorne. Dort, wo ich ausgestiegen bin, ist nur der Ausstieg.





                                                                      Die Bushaltestelle ist tatsächlich groß mit der Nummer des Busses versehen. Nun ist es der Bus Nr. 5. Da er zugleich der Flughafenbus ist, stehen viele Menschen mit viel Gepäck herum. Ich ergattere mit dem Geschick des Großstadtkindes einen Platz und sitze einem älteren wohlsituierten amerikanischen Ehepaar gegenüber. Es hat den Jetlag. Sie haben 14 Stunden im Flieger gesessen und haben sich anschließend Venedig angeschaut. Geschlafen haben sie bisher nicht. Sie wohnen in einem Hotel am Flughafen. Morgen werden sie zu einer Kreuzfahrt mit dem derzeit größten Kreuzfahrtschiff der Welt Richtung Spanien aufbrechen – den Namen des Schiffes habe ich vergessen. Ich denke an meine Unterschrift und muss lächeln. Tatsächlich sieht man vom Bus aus, dass am heutigen Tage acht Kreuzfahrtschiffe Venedig angelaufen haben. Groß und wie ein Fremdkörper stehen sie am Kai. Es sind riesige schwimmende Hotels und die Eleganz der alten Kreuzfahrtschiffe fehlt ihnen völlig.

                                                                      Ich drücke rechtzeitig den Halteknopf und steige an der richtigen Haltestelle aus. Als ich auf dem Campingplatz ankomme, bin ich froh über den Anblick. Bäume, Wiese, mein Zelt und mein Roller. Ich atme tief durch. Morgen werde ich auf eine der vorgelagerten Inseln fahren. Ich brauche eine Dosis Natur.
                                                                      Am Abend setze ich mich in das Restaurant und esse eine vegetarische Pizza. Der Pizzabäcker backt die Pizza frisch, aber Neapolitaner kann er nicht sein. Die Aubergines sind angebrannt und durch besondere Raffinesse zeichnet sich der Geschmack nicht aus. Ich überlege, wie ich am Montag weiter fahren soll und stelle erneut fest, dass Venedig nicht so zentral liegt, wie ich dachte. Nach Kroatien käme ich wohl am besten über Wien. Nach Paris am besten über Deutschland. Und nach Hause komme ich am besten von Innsbruck oder von Zürich und Basel aus. Vielleicht sollte ich Innsbruck und Zürich einplanen? Nach Innsbruck fahren und dann von Innsbruck aus Zürich besuchen? Ich habe noch einige Tage auf meinem Ticket übrig. Andererseits soll das Wetter in Österreich und der Schweiz nicht mehr so gut sein. Es wäre besser, in Italien zu bleiben. Florenz, vielleicht? Das soll wunderschön sein. Aber auch das ist eine längere Zugfahrt. Und ich müsste wieder zurück. Umstiegspunkt nach Innsbruck ist Verona. Gibt es etwas Besonderes in Verona? Eine Opernarena, ja, das weiß ich. Aber sonst? Gibt es dort eine Jugendherberge?
                                                                      Es ist eigentlich eher Spaß, dass ich die Übernachtungsmöglichkeiten in Verona im Internet überprüfe. Ein Hostel scheint es dort zu geben, aber auch einen Campingplatz. In einem Castel. Es soll einer der schönsten Campingplätze Europas sein. Ach. Vielleicht sollte ich einfach mal mit Städtetouren aufhören und Campingplätze besichtigen? Verona kommt auf meine Liste. Ich kann jetzt schon verraten, dass es tatsächlich Verona wird. Wie richtig diese Wahl sein wird, weiß ich natürlich noch nicht. Ich glaube, ich wäre sofort abgereist.
                                                                      Zuletzt geändert von Torres; 01.10.2013, 11:35.
                                                                      Oha.
                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                      Kommentar


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                                                                        Freak

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                                                                        • 16.08.2008
                                                                        • 31757
                                                                        • Privat


                                                                        #36
                                                                        AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                        15.09.2013 Lido di Venezia

                                                                        Am Morgen bin ich früh auf und kaufe mir gegen 9.00 Uhr ein Busticket für die Hin- und Rückfahrt. Ich habe mich entschieden, nach Lido di Venezia zu fahren und ein wenig zu rollern. Mit dem Roller unter dem Arm stelle ich mich an die Bushaltestelle. Es ist Sonntag und die Busse fahren seltener als wochentags. So ist er bereits sehr voll, als er ankommt, zumal sich viele Menschen mit Koffern im Bus befinden, die zum Bahnhof Venezia Santa Lucia wollen. Die mittlere Tür macht der Busfahrer daher erst gar nicht erst auf und so versuche ich mein Glück vorne beim Fahrer. Fast komme ich nicht mit, aber die Freundin einer jungen Frau zögert zu lange und da die Frau Angst hat, dass die beiden getrennt werden, springt sie wieder aus dem Bus. Wunderbar. Das ist meine Chance. Mein Roller und ich können einstiegen und für ein asiatischen Paar ist auch noch Platz. Nun geht wirklich niemand mehr hinein und der Bus fährt ohne weiteren Halt nach Venedig.

                                                                        Ich kaufe ein Ticket für die Vaporettos (Linienschiffe) und zahle 18.00 Euro für ein Tagesticket. Erst hier sehe ich, dass der Bus in dem Preis einbegriffen wäre. Da habe ich einen Fehler gemacht und zuviel bezahlt. Ich hätte das Ticket gestern kaufen sollen. In Italien wird mit Entwertern gearbeitet, so dass man Tickets im voraus kaufen kann.

                                                                        Ich besteige die Linie 1, die praktischerweise von der Piazzale Roma bis nach Lido fährt. Da ich an der ersten Haltestelle einsteige, ist das Boot fast leer, und so ergattere ich einen Sitzplatz. Den Roller stelle ich neben mich.

                                                                        Der Himmel ist bedeckt und daher fehlt der milde, gnädige Glanz freundlichen Lichts auf den Häusern Venedigs. Vom Boot aus sieht man die Schäden an den Häusern besonders deutlich: Die Farbveränderungen, den Ruß, die Wasserschäden, das Moos und den abgeblätterten Putz. Ich sitze in Fahrtrichtung rechts und fotografiere aus dem offenen Fenster heraus, aber nur wenige Motive finden meine Gnade. Die Häuser sehen aus der Nähe einfach zu angegriffen aus. Nur zwei Paläste gefallen mir wirklich. Sie sind mit Malereien geschmückt. In einem anderen Palast sieht man die Kronleuchter leuchten.





                                                                        Die Fahrt dauert sehr lange und immer mehr Menschen steigen zu. Ich bin froh, einen Sitzplatz zu haben. Am Markusplatz leert sich das Boot zunächst, aber dann steigen wieder weitere Gäste ein und die meisten müssen stehen. Von Ferne sieht man die Touristenmassen auf dem Platz und ich freue mich auf eine ruhige Insel.

                                                                        Und dann glaube ich, Halluzinationen zu haben. Ein Schiff kommt auf uns zu und ich denke: HADAG. Das ist ein Typschiff der HADAG. Jahrelang haben die Schiffe dieses Typs den Hamburger Hafen geprägt. Aber das kann nicht sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass eines der Schiffe in Italien fährt und schon gar nicht in Venedig. Ich muss mich irren. Das Schiff kommt näher und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es sieht fast so aus wie die Kirchdorf, die heute noch in Hamburg für Hafenrundfahrten eingesetzt wird. Die Fenster im unteren Bereich fehlen, an ihrer Stelle ist das gezeichnete Stadtpanorama angebracht. Aber der Aufbau ist gleich. Ich warte, bis das Schiff so nahe ist, dass ich ein gutes Bild machen kann. Das muss ich unbedingt zu Hause recherchieren.





                                                                        Und das habe ich soeben getan. Es ist: Tamtam: Die ehemalige Pöseldorf. HADAG Typschiff IIIc, Baujahr 1960, gebaut in der Hanseatischen Werft. Heute trägt sie den Namen Trafaria Praia und ist in Transtejo, Lissabon beheimatet. Von 1996 bis 2011 wurde sie auf dem Tejo als Fährschiff eingesetzt und jetzt ist sie als Botschafterin der Biennale 2013 unterwegs. Klick. Ich kann es nicht fassen. Die Welt ist klein. Gute Fahrt, alte Dame. Es war schön, Dich wiederzusehen.

                                                                        Langsam verschwindet der Markusplatz in der Ferne.





                                                                        Nach insgesamt gut einer Stunde Fahrt erreicht das Schiff den Anleger Lido. Lido di Venezia ist der mittlere Teil einer der Lagune von Venedig vorgelagerten Nehrung und trennt Venedig von der offenen Adria. Der Lido dient den Veneziern als Erholungsort und hat den Charakter eines Seebades. Es gibt ausgedehnte Strände, die aber zum Teil in Privatbesitz sind. Auch ein Campingplatz findet sich hier, den ich mir aber nicht anschauen werde. Der Hauptort Lido ist der jährliche Austragungsort der Internationalen Filmfestspiele Venedig.

                                                                        Da ich Menschen möglichst aus dem Weg gehen will, rollere ich auf dem Bürgersteig von der Fähranlegestelle, die sich in San Maria Elisabetta befindet, in Richtung Malamocco. Es sind im Ort erstaunlich viele Fahrradfahrer unterwegs und mir fällt auf, dass ich bisher in Italien kaum Radler gesehen habe. Nach kurzer Zeit bin ich alleine. An einer Brücke mache ich Fotos und versuche, einen Weg zum Wasser zu finden. Das gelingt mir. Kurz darauf befinde ich mich an einem kombinierten Fuß- und Radweg. Nur sehr wenige Radfahrer und ab und zu mal Fußgänger mit Kinderwagen sind unterwegs. Ich genieße die Ruhe und atme tief durch. Bänke locken auf einem Grünstreifen und ich setze mich ein paar Minuten hin. Das Wetter ist trist, aber das stört mich kein bisschen. Ein Motorboot heizt vorbei. Dann ist es wieder still.





                                                                        Ich rollere weiter und bin ein wenig übermütig. Die Quittung kommt nach kurzer Zeit: Mein Fuß muckt wieder auf. Also mache ich langsamer, aber ich fühle, dass er wieder dick wird. Als die Küstenstraße endet und an einem Kanal zur Straße führt, entscheide ich mich, die andere Seite der Insel an zu schauen. Kurz bevor ich den Strand erreiche, entdecke ich ein Schild: E5. Ist damit der Europäische Fernwanderweg gemeint oder handelt es sich um einen Fernradweg? Ich dachte, der E5 endet in Verona.





                                                                        Der Anblick der Adria enttäuscht. Mag sein, dass es hier bei Sonnenschein sehr schön ist, doch der Strand ist nicht sehr breit und die Häuserkulisse an der Promenade lässt mein Herz nicht gerade Sprünge machen. Ich passiere ein unbesetztes Pförtnerhäuschen, die Umkleidekabinen und ein von zwei Personen besuchtes Restaurant mit ausladender Terrasse und gehe auf einem steinernem Pier in Richtung Meer. Ein Schwimmer hat die Adria (fast) für sich alleine. Das Wasser ist klar und vermutlich warm, aber nach Schwimmen ist mir heute nicht zumute. Ich verweile ein wenig, hänge meinen Gedanken nach und gehe dann langsam zurück.





                                                                        Ich rollere weiter in Richtung Malmocco und merke, dass sich der Weg zieht. So nehme ich einen Bus, der mich nach Alberoni führt. Ich rollere durch eine nette Ortschaft und biege dann auf eine Landstraße ein. Hier sind Bäume und Büsche und der Asphalt ist perfekt. Ich muss mich zwingen, aus Rücksicht auf meinen Fuß, langsam zu fahren. Autos begegnen mir keine. Zwei Radfahrer kommen mir entgegen und grüßen mich lächelnd. Das Bild zeigt also die Strecke hinter mir. Ich genieße es, in der Stille vor mich hin zu rollern und bin enttäuscht, als die Straße schon bald zu Ende ist. Ich komme an einer Fähranlegestelle heraus und bedauere, meine Ausrüstung nicht dabei zu haben. Ich würde jetzt gerne an der Küste entlang weiterrollern. In der Ferne sehe ich einen Turm und grübele, ob es sich um einen Leuchtturm handelt. Sicher bin ich mir nicht.

                                                                        Ein Schild informiert über einen Fernradweg. Ist das mit E 5 gemeint? Zwei italienische Reiseradler im Papageienlook erscheinen und warten auf die Fähre, die sie zum nächsten Teil der Nehrung fähren wird. Ich beneide sie. Ich überlege, ob ich zurückrollern soll, entscheide mich aber, die Bushaltestelle in der Nähe aufzusuchen. Es ist besser, meinen Fuß zu schonen. Schade. Wäre ich fit, würde ich die Straße von eben noch einmal zurückfahren. Vollspeed, natürlich.
                                                                        An der Bushaltestelle entdecke ich einen Sendeturm und einen kleineren leuchtturmartigen Turm. Aber ob es sich hierbei um einen Leuchtturm handelt, entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis und eine Internetrecherche hat bisher auch kein Ergebnis gebracht.





                                                                        Der Bus fährt mich bis zur Anlegestelle und einen Moment überlege ich, mir noch den Ort an zu schauen. Aber nach Häusern steht mir heute nicht der Sinn. Außerdem muss ich damit rechnen, dass bald der Sonntagsrückreiseverkehr einsetzt. Daher reihe ich mich in die Schlange der Wartenden ein, die von dem vorhergehenden Schiff nicht mehr mitgenommen werden konnten und habe Glück, im nächsten Schiff zunächst innen und später auch auf den wenigen Plätzen hinten im offenen Heck sitzen zu können. Nun kann ich ungestört und ohne Sichtbehinderung fotografieren. Von dem Gedränge auf dem spätestens ab Markusplatz völlig überfüllten Schiff bekomme ich nichts mit.

                                                                        Wieder bin ich fasziniert, mit welchem Geschick die Gondoliere ihre Gondeln bewegen.





                                                                        An einer Brücke lässt sich ein „Porter Service“ erkennen, der mit einem auf die Treppen abgestimmten Handkarren die Koffer der Gäste transportiert und sich mühsam seinen Weg durch die Massen bahnt. Sind heute noch mehr Touristen unterwegs als gestern? Es kommt mir so vor. Wieder taucht eines der von außen bemalten Häuser auf. Schön anzusehen. Ein Gast mit Hund steigt zu und hat eine Tasche dabei, auf der viele kleine Pfoten aufgedruckt sind. Ein Tatzenverbrechen. Was macht eigentlich ODS?





                                                                        Eine Truppe Kajakfahrer paddelt vorbei und die Umstehenden murmeln „Oh“ und „Ah“. Es scheint ihre Vorstellungskraft zu überfordern.





                                                                        Immer wieder sehe ich Details, die ich fotografierenswert finde. Dann kommen wieder ganze Häuserzeilen, die ich als sanierungs- oder renovierungsbedürftig einstufen würde. Guterhaltene Häuser sind oft Hotels oder Museen und an einem besonders stolz wirkenden Palast hängen die Werbebanner eines Unternehmens. Ein Boot mit der Aufschrift Ambulanza steuert mit hoher Geschwindigkeit einen engen Kanal an. Natürlich. In dieser Stadt kann weder ein Rettungswagen fahren, noch ein Hubschrauber landen. Eine Braut im Brautkleid feiert fröhlich winkend mit Freundinnen auf einem Boot. In einem zweiten Boot folgen weitere Freundinnen. Es sieht nach Junggesellenabschied aus. Der Führer einer Yacht nimmt vor einem Hotel die Koffer der Gäste in Empfang.





                                                                        Als ich Venedig verlasse, sehe ich in der Ferne die Kreuzfahrtschiffe stehen. Die Amerikaner von gestern sind vermutlich schon auf hoher See. Die größten Kreuzfahrtschiffe fassen derzeit um die 5000 Gäste. Acht Schiffe gleichzeitig am Pier und jedes mit 5000 Gästen an Board - das wären alleine 40.000 Kreuzfahrtgäste pro Tage. Puh. Aber ein Wirtschaftsfaktor, kein Zweifel.





                                                                        Am Abend gehe ich wieder in das Restaurant, weil es nur an dieser Stelle W-Lan gibt. Die Pizza ist noch schlechter als gestern und aus billigen Zutaten gemacht. Aber es ist Sonntag und die Geschäfte haben geschlossen, so dass ich nichts zum Kochen da habe. Ich checke noch einmal alle möglichen Bahnverbindungen in Richtung Kroatien, Ungarn und Frankreich und entscheide mich schließlich für Verona. Eine Stunde Zugfahrt ist in Ordnung. Mehr Zeit möchte ich morgen nicht im Zug verbringen. Von Verona aus ist es außerdem nicht weit nach Innsbruck, falls ich ab Innsbruck nach Hause fahren will. Und Innsbruck liegt wiederum günstig, falls ich noch Zürich anschauen will. In beiden Städten gibt es Hostels und ich fotografiere die Adressen ab. Dann fotografiere ich die Anreisebeschreibung für den Campingplatz Castel San Pietro in Verona. Sorgen macht mir allerdings, dass auf der Beschreibung ein Fußweg eingezeichnet ist, der Treppen beinhaltet. Mit Roller und Gepäck dürfte das mit meinem Fuß nicht zu schaffen sein. Ich lese mir gefühlt 32 Bewertungen des Campingplatzes durch, bis ich erfahre, dass es 258 Treppenstufen sind. Das ist nicht wenig. Drei oder vier Bewertungen später schreibt ein Amerikaner, er hätte für sieben Dollar ein Taxi genommen. Das ist natürlich auch eine Idee. Ich verschiebe das Problem auf morgen. Mir wird schon etwas einfallen.
                                                                        Zuletzt geändert von Torres; 02.10.2013, 11:12.
                                                                        Oha.
                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                        Kommentar


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                                                                          Lebt im Forum
                                                                          • 22.08.2008
                                                                          • 8843
                                                                          • Privat


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                                                                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                          Hallo Torres, wegen dir komme ich heute spät ins Bett.
                                                                          Ein wie üblich gut geschriebener und unterhaltsamer Bericht von dir. Die Beschreibungen der italienischen Städte haben Erinnerungen in mir wachgerufen. Früher war ich öfters in Italien, leider die letzten Jahre nicht mehr. Ich muss doch mal wieder hin. Freue mich auf die Fortsetzung mit Verona, da war ich auch schon mal.

                                                                          Ich bin gespannt mit welchem Fortbewegungsmittel du deine nächste Reise durchführst. Du überrascht immer mit ungewöhnlichen Fahrzeugen.
                                                                          Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                          Kommentar


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                                                                            Freak

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                                                                            • 16.08.2008
                                                                            • 31757
                                                                            • Privat


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                                                                            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                            Danke für Deinen positiven Kommentar. Morgen geht es mit meinem Bericht weiter. Aber ob mir jetzt noch so viele neue Fortbewegungsmittel einfallen? Schauen wir mal
                                                                            Oha.
                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                            Kommentar


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                                                                              Freak

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                                                                              • 16.08.2008
                                                                              • 31757
                                                                              • Privat


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                                                                              16.09.(-17.09.)2013 Verona

                                                                              In der Nacht hat es aus Kübeln geschüttet und am morgen ist das Zelt klitschnass. Ich entscheide mich, es in die Morgensonne zu legen, die bald hinter den Bäumen auftauchen wird. Wie gewohnt lege ich es auf den Rücken, damit die Innenwände als erstes trocknen. Das Innenzelt hängt merkwürdig am Außenzelt dran und ich sehe, dass erneut eines der Gummibänder, die das Innenzelt mit dem Außenzelt verbinden, abgerissen sind. Erst denke ich, dass es daran liegt, dass die Gummibänder nach sieben Jahren ihre Elastizität verloren haben, aber sie dehnen sich völlig normal. Irgendetwas stimmt hier nicht. Es sieht aus, als würde das Gestänge das Zelt auseinanderdrücken. Richtig. Das Zelt hat kein Bodenband. Ich nehme eine Tarpschnur und bastele eines. Na also. Jetzt sieht das Zelt ja wie neu aus. Nicht mehr so flach und irgendwie - geodätischer.

                                                                              Ich stelle das Zelt auf den Kiesweg und beschließe, einen kleinen Spaziergang zu machen. Der Campingplatz ist wirklich schön und wenn ich nur zum Campen gekommen wäre, könnte ich hier durchaus noch ein paar Tage verbringen. Der hintere Teil des Platzes ist mit Flatterband abgesperrt, damit sich die Gäste auf die vorderen Plätze verteilen und das nasse Gras und die nassen Bäume glitzern in der Sonne. Kurz vor Ende des freigebenen Teils steht eine kleine, weiße Dackelgarage. Ein Billigzelt ist das nicht, das sehe ich sofort, auch wenn der hintere Teil vom Regen eingedrückt wurde. Ein MTB steht daneben. Das Material sieht weder nach SilNylon, noch nach PU aus. Eher wie eine Mülltüte. Und in dem Moment weiß ich, was das ist. Tatsächlich finde ich an der Seite ein Schild: Tarptent. Yes. Dieser Tag wird ein guter Tag.
                                                                              P.S. Es ist übrigens ein Sublite und das Material Tyvek.





                                                                              Ich schlendere die gesperrte Wiese entlang und am Ende ist ein Tor, das mit einem Schloss verriegelt ist. Dahinter verbirgt sich ein verwunschen anmutender Nutzgarten.





                                                                              Der Campingplatz, den ich heute aufsuchen werde, soll gleichzeitig ein botanischer Garten sein und Vorfreude kommt auf.
                                                                              Als ich auf der anderen Seite zurückgehe, entdecke ich ein großes weißes Familienzelt (oben im Bild). Die Form, die Verarbeitung und die Qualität: Das kann nur ein De Waard sein. Wieder liege ich richtig. Das Schild zeigt, dass das Zelt noch in Holland gefertigt wurde. Der Besitzer, natürlich ein Holländer, kocht gerade Kaffee. Wir unterhalten uns auf Englisch und es erfolgt der denkwürdige Dialog, den ich bereits in einem thread gepostet habe: „Ist das ein altes Zelt?“. „Nein“. „Wie alt ist es denn?“ „Erst 15 Jahre. “ Er hat Recht. Für ein De Waard ist das kein Alter.

                                                                              Mein Zelt ist nun trocken und ich verstaue es im großen Rucksack. Zwei Deutsche packen ebenfalls und gestehen, dass sie in der Nacht gefroren haben. Es ist kühl geworden, in der Tat. Nachdem ich gezahlt habe, stelle ich mich an die Bushaltestelle. Der Bus 15 kommt und ich bin noch ganz auf die Nr. 19 ausgerichtet. Als ich meinen Irrtum bemerke, setze ich schnell den Rucksack auf und schnappe mir den Roller. Fast fährt der Bus vorbei, und ich bin dem Busfahrer dankbar, dass er an meinem hektischen Treiben erkennt, dass ich mit will und doch noch hält.
                                                                              Nach zwanzig Minuten bin ich am Bahnhof und bitte um eine Reservierung für den nächsten Zug nach Verona. Die Bahnmitarbeiterin fragt extra nach, ob es wirklich der nächste Zug sein soll, und als ich nicke, reserviert sie mir einen Platz um kurz nach 11.00 Uhr im Highspeedtrain. An der Anzeigetafel sehe ich, dass ein paar Minuten später ein regionaler Zug gefahren wäre, der auch nicht sehr viel länger braucht, aber das ist mir jetzt egal. Im Schnellzug kann ich jedenfalls mein Handy noch einmal aufladen.
                                                                              Während der Fahrt ziehen Wolken über die Sonne und es scheint, als würde sich das Wetter verschlechtern. Ich dämpfe meine Erwartungen an Verona, da ich davon ausgehe, dass es sich um eine Industriestadt handelt, die im Idealfall einen kleinen Altstadtkern aufweist. Vielleicht gibt es dort aber ein wenig grün oder ein schönes Hinterland, so dass ich ein wenig Urlaub machen und rollern kann. Immerhin kommt die Sonne wieder heraus, als ich Verona erreiche.

                                                                              Der Bahnhof wirkt freundlich und routiniert trage ich mein Gepäck die Treppe hinunter. Dass der Bahnhof behindertengerecht ausgebaut ist, kommt mir gar nicht in den Sinn. Ich laufe durch den Ausgang und vor mir stehen, wie Perlen aufgereiht, in sonnenbeschienenem beige: Taxis.

                                                                              Wenn das Schicksal so unbarmherzig zuschlägt, muss man sich ergeben. Also steuere ich den vordersten Wagen an. Gutgelaunte Taxifahrer halten gerade ein Schwätzchen und als ich mich nähere, erkenne ich das Zentrum ihrer guten Laune: Eine blonde, schlanke, fröhliche Naturschönheit in den Endvierzigern mit ganz vielen Lachfältchen. Die Männer zeigen auf ihr Auto und sie bedankt sich fast schüchtern bei den Kollegen, lächelt mich mit ihrem wunderbaren Lächeln an und wuchtet mit mehr gutem Willen als Technik den großen Rucksack in den Kofferraum des Taxis. Damit ist der Kofferraum voll und sie schaut mich verlegen mit großen Augen an. Ich packe den Roller und bedeute ihr, dass sie den Rollwagenrucksack auf die schmale Seite legen soll und siehe da, nun passt auch der Roller davor. Sie strahlt, haucht „Grazie“ und wir besteigen ihr Gefährt. Was für eine Frau!
                                                                              Leider spricht sie kaum Englisch und ich spreche kaum italienisch, aber wir unterhalten uns prächtig. Das Taxi nimmt zunächst eine große Ausfallstraße und ich bin überrascht, wie wenig Verkehr hier ist. Die Autofahrer fahren zivilisiert und ich erzähle, dass ich in Neapel war. Sie schaut mich erschrocken an. Neapel, nein, nach Neapel würde sie nie fahren. Das Taxi biegt ab und kurz sehe ich die Arena. Die Opernfestspiele sind leider vorbei, erzählt sie, die gehen nur bis Ende August. Schade, aber ich vermute, die Vorstellungen sind sowieso schnell ausverkauft. Wir fahren den Innenstadtring entlang und ich erhasche einen kurzen Blick auf die Altstadt (UNESCO Weltkulturerbe seit 2000). Ich bin erstaunt. Diese Stadt scheint richtig hübsch zu sein. Die Straße windet sich nun in Serpetinen einen Hügel hinauf und ich erinnere mich an die schematische Anreisebeschreibung. Ich hätte also durchaus ohne Treppen den Campingplatz erreichen können. Es gibt sogar einen schmalen Bürgersteig, auf dem man den Roller hätte schieben können. Vermutlich hätte ich für dieses Teilstück allerdings eine Stunde gebraucht.
                                                                              Plötzlich biegt die Taxifahrerin in einer Serpentine in eine Seitenstraße unter einem Torbogen ein und wenige Meter später sind wir da. Ich gebe Trinkgeld und sie schenkt mir ein so strahlendes Lächeln, dass ich unwillkürlich überlege, ob man so etwas lernen kann. Aber sie wirkt völlig natürlich und ich freue mich, als im Eingang ein junges Paar auftaucht und sie bittet, die beiden mit in die Stadt zu nehmen.


                                                                              Ich entdecke ein Schild „Reception“, bin mir aber nicht sicher, ob ich nach links oder nach unten muss. So gehe ich erst einmal nach links und lande auf der oberen Terrasse, wo gerade Abbauarbeiten stattfinden. Später werde ich erfahren, dass dort gestern eine Hochzeit gefeiert wurde. Als die Feierlichkeiten begannen, setzte unerwartet starker Regen ein und die ganze Mühe war umsonst, aber die Feier war trotzdem schön. Ich trete an die Brüstung und genieße den Anblick. Verona hat einen Fluss. Das ist schon mal gut. Und an den Seiten steigen Hügel empor. Es scheint wirklich eine wunderschöne Stadt zu sein. Das hätte ich nicht erwartet.






                                                                              Ich laufe den steilen, schmalen Weg zur Rezeption hinunter und es riecht nach Natur und nach Spätsommer. Am Walnussbaum hängen Nüsse und ich sehe, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie herunterfallen. Ich laufe zunächst an der Rezeption vorbei, die sich unauffällig in die Natur einfügt und muss ein kurzes Stück wieder zurücklaufen. Im Büro sitzt eine Italienerin und telefoniert, und die Atmosphäre kommt mir ein wenig vor wie in einer Wohngemeinschaft. Nebenan ist ein kleiner Laden, der gleichzeitig ein Café ist. Hier bekommt man zur Not neben Nudeln, Dosen und Getränken auch ein paar wenige frische Sachen. Ich frage die Frau nach einem Platz für mein kleines Zelt und für mich. Sie hat Platz, sagt sie auf Englisch, aber einchecken kann ich erst ab 14.00 Uhr, denn jetzt ist Mittagspause. Mir soll es recht sein und ich setze mich auf die von Bäumen umgebene Terrasse vor dem Café in den Schatten. Um ein Uhr kommt sie zu mir und ich darf schon früher einchecken. Das ist nett. Auf meinen Wunsch gibt sie mir einen Platz mit guter Aussicht und wenig Treppen :-). Im Internet hatte ich gelesen, dass die Plätze teilweise sehr klein sind und man bei der Angabe „kleines Zelt“ auch wirklich ein kleines Zelt dabei haben sollte. Meines ist klein und ich bekomme einen schmalen Platz an der ehemaligen Stadtmauer zugewiesen, der einen Durchguck besitzt, mit dem man auf ein Stück Verona schauen kann. Der ganze Zeltbereich ist von Weinranken überdeckt, die für menschliche Räuber hoch genug hängen und verlockende Weintrauben tragen. Die Bewertungen hatten recht. Das ist wirklich ein schöner Platz.














                                                                              Daneben befindet sich eine Terrasse, die man nutzen kann, um zu reden, zu kochen oder den Blick über Verona zu genießen. Am Rand befinden sich Wasser, Waschbecken und Mülleimer. Und eine Bank ist sogar überdacht. Ein Platz für Zelter, keine Frage.








                                                                              Ich laufe ein wenig herum und schaue mir Teile des Platzes an. Unter der Terrasse meines Zeltplatzes ist ebenfalls ein Zeltplatz. Man sieht große Zelte auf einer Zeltwiese im Schatten stehen. Auf der anderen Seite unserer Terrasse sind Einzelplätze für Zelte, die in Hecken eingefasst sind. Noch weiter unten muss es noch eine Ebene geben, das sehe ich auf dem Plan. Ich gehe aber erst einmal wieder nach oben, weil ich Wäsche waschen muss. Ganz oben, neben dem Eingang, befinden sich ein paar kleinere Wohnwagen und Campingbusse und die meisten Reisenden sind Deutsche oder Briten. Auch hier steht man eng und ich schätze mal, dass vielleicht 10 oder 15 Wagen hier hin passen. Die Monstermobile schon gar nicht. Die Camper haben direkten Zugang zu der oberen Terrasse, von der aus man auf die Terrasse des Cafés schaut, ich sehe sie allerdings nur vor ihren Autos in der Sonne hocken. Einige der Wohnwagen sind vermutlich Mietwohnwagen, denn dieser Service wird angeboten. Mietzelte gibt es auch.





                                                                              Die Sanitäranlagen meines Platzes sind auf halber Höhe und davor gibt es ungefähr 8 schmale Parkplätze für Autos. Sie fallen vor dem Hintergrund der Bäume und Sträucher kaum auf. Viele Pflanzen sind mit Schildern versehen, die die Pflanze und ihre Charakteristik in vielen Sprachen erklären. Auch ein Schild, wie man sich zu verhalten hat, darf nicht fehlen. Ich überlege mir, mir auch noch die unteren Plätze an zu schauen, denn auch dort sind laut Karte Parkplätze ausgewiesen. Keine Ahnung, wie die Autos dort hinkommen, ich sehe am Platz keine Zufahrt. Aber ich will erst einmal die Stadt sehen und später vergesse ich das wieder. Hunde sind auf diesem Platz übrigens nicht erlaubt, auch wenn ich eine Ausnahme gesehen habe. Möglicherweise lag das daran, dass der Hund stark bewegungseingeschränkt war.





                                                                              Ich hole meinen Roller und entscheide mich, den kürzeren Weg ins Tal zu nehmen. Er führt über das Castel San Pietro. Einen Stadtplan habe ich nicht, sondern ich verlasse mich auf mein Glück und meine Fähigkeit, Fragen zu stellen. Ich biege am Eingang rechts ab und rollere die Straße zum Castel entlang. Das Castel gibt dem Campingplatz anscheinend nur den Namen. Den Platz selbst umgeben alte Stadtmauern.

                                                                              Der Parkplatz vor dem Castel ist ein beliebter Platz für Liebespaare, Frischvermählte, Touristen und alle, die den Ausblick auf Verona schätzen oder Bilder machen möchten. Es gibt sogar die fest installierten Ferngläser, in die man Geld einwirft, um die Sehenswürdigkeiten von Nahem sehen zu können. Der Platz ist tatsächlich perfekt. Verona und die benachbarten Hügel liegen vor einem. Und nun sieht man, dass Verona in einer Flussschleife liegt. Es ist die in Südtirol entspringende Etsch, ital. Adige, der zweitlängste Fluss Italiens.





                                                                              Das Rauschen des Flusses dringt von unten hoch, und ich laufe die Stufen hinunter. Kurz darauf bin ich an der Ponte Pietra. Dass die Brücke 100 vor Christi gebaut wurde, 1945 von deutschen Soldaten teilweise zerstört und mit den Originalsteinen wieder aufgebaut wurde, ist mir nicht bewusst. Ich betrachte fasziniert das Spiel des Wassers. Leider hat sich die Sonne verzogen, so dass die Stelle auf den Fotos nicht ganz so zur Geltung kommt, wie ich es mir wünschen würde. Aber ich bleibe bestimmt 15 Minuten auf der Brücke stehen. Diese Stadt hier ist kein Museum und das Wasser ist ungestüm und gewaltig.





                                                                              Die Brücke führt zu einem Tor und ich mache zwei Bilder der angrenzenden Straßen.





                                                                              Da rechts eine Einbahnstraße ist, fahre ich nach links und finde mich bald auf schmalen Straßen wieder, die sich gut rollern lassen. Sie sind verkehrsberuhigt oder weisen wenig Verkehr auf, so dass ich die schmalen Bürgersteige verschmähe. Radfahrer machen das auch so, sehe ich bald, denn auch die Einheimischen fahren hier Rad. Ein Schild mit einem Bild von Luciano Pavarotti (ein Tenor...) lässt mich stutzen und eine junge Frau erklärt mir, dass dieses Gebäude ein Museum ist und es dort eine Ausstellung über die Arena, die Oper sowie als Sonderausstellung über Pavarotti gibt. Ich verspreche ihr, morgen zu kommen und frage sie, wo ich einen Stadtplan bekomme. Sie beschreibt mir den Weg zur Arena: Fahren sie an xy links, dann wieder rechts und dann immer geradeaus. Klingt einfach und wäre es auch gewesen, wenn ich links abgebogen wäre. Aber ich verpassse die Abfahrt, weil ich an irgendetwas anderes denke, und als ich dran denke, bin ich schon auf der Piazza Erbe. Der Platz ist längst nicht so prächtig wie die zentralen Plätze, die ich in Rom oder Venedig gesehen habe, aber er ist so schön lebendig. In der Mitte stehen nicht nur Souvenirbuden (das erste Mal seit Jahren sehe ich wieder Pinocchio Marionetten), sondern auch Obst- und Gemüsehändler, es sind nette Cafés und Restaurants da, und die Anzahl der Menschen ist gerade richtig. Es sind Touristen da, aber nicht zu viele, und ich merke, wie ich mich entspanne. Sollte ich hier die Leichtigkeit wieder finden, die Rom zu einem Erlebnis werden ließ? Ich mache Fotos und erspähe ein Outdoorlabel. Der Laden reizt mich nicht.





                                                                              Zwei Fahrradfahrer kommen aus einer Straße und ich erkenne Zeltnachbarn wieder. Hah. Kaum in Verona und schon Bekannte. Ich frage, wo die Arena ist und sie schildern mir den Weg.
                                                                              Die Haupteinkaufsstraße ist Fußgängerzone und sehr voll, so nehme ich eine schmale Seitenstraße und habe Glück, zu sehen, dass sich an einer Stelle, wo die Straße zu Ende scheint, Fußgänger durchschlängeln. Noch ein wenig Straße und unvermittelt stehe ich vor der Arena.





                                                                              Nein, so beeindruckend wie das Collosseum ist sie nicht. Viel kleiner. Es ist die drittgrößte Arena Italiens und sie fasst 22.000 Menschen. Die letzten Katharer wurden hier verbrannt. Und seit 1913 ist sie wieder ein Theater. Vor ihr stehen viele Menschen, und im ersten Moment denke ich: Schon wieder alles voller Touristen. Viel zu viele Menschen hier. Verdammt. Ich brauche eine gewisse Zeit, um zu bemerken, dass der eigentliche Platz völlig leer ist. Die Leute stehen vor allem vor den Eingängen der Arena. Viele haben Schals um den Kopf. Oder um die Handgelenke. Ziemlich jung sind sie auch. Ist das hier ein Versicherungsevent oder eine Promotionaktion? Ich bemühe mich, die Aufschrift zu entziffern: „Ligabue“. Aha. Vielleicht eine Bank?

                                                                              Von allen möglichen Seiten strömen junge Leute, teilweise auch Kinder herbei. T-Shirts Ligabue, Fahnen Ligabue, am Arm Ligabue. Zwei Mädchen geben dem Fernsehen Interviews. Es hilft nichts, ich muss fragen. Ein Italiener steht neben mir, ich schätze ihn auf 20 Jahre. „Was ist Ligabue“? „Wie, Sie kennen Ligabue nicht?“ „Nein, muss man das?“ „Ja, unbedingt“. „Und was ist Ligabue?“ „Ein Sänger. Der beste Sänger der Welt“. „Oh. Okay. Ich bin alt.“. Er lacht. „Keine Sorge, das macht nichts, außerhalb Italiens kennt man ihn wohl tatsächlich eher nicht.“ Ich frage nach dem Eintrittspreis. Die Karte kostet 70,00 Euro. Einen Moment lang überlege ich, ob ich eine Karte kaufe. Gerne würde ich die Arena einmal als Konzertstätte sehen. Aber 70,00 Euro sind zuviel. Vermutlich ist es ja sowieso eine Teenieband. Inzwischen weiß ich: Weit gefehlt. 1960 geboren und zusätzlich Schriftsteller und Regisseur, ist Luciano Ligabue ein Star, der den Rekord hält, das größte Konzert eines Einzelkünstlers gegeben zu haben - mit ca. 180.000 Zuschauern (2005). Und er ist verdammt gut.

                                                                              Und das verpasse ich:





                                                                              Ein Fernsehbericht über das Konzert


                                                                              http://youtu.be/O-LN07QoK70


                                                                              Ich wende mich ab und suche das Schild der Touristeninformation. Da ich nichts finde, quere ich die Piazza Bra, die nun plötzlich fast leer wirkt. Nur wenige Touristen sind unterwegs. Autos fahren auf der Piazza keine, aber am Rande der Piazza gehen die wichtigsten Straßen ab. Dennoch ist die Verkehrsdichte eher gering. Oder bin ich seit Neapel unsensibler? Später werde ich bemerken, dass sich der Verkehr am Innenstadtring durchaus staut. Aber als störend empfinde ich das nicht.

                                                                              Am Ende der Piazza Bra sehe ich, dass ich links muss (Via degli Alpini). Die Touristeninformation befindet sich in einem alten Gemäuer, vermutlich einer Stadtmauer. Ich erhalte einen Stadtplan und sehe, dass Verona gar nicht so groß ist. Insgesamt hat es ca. 250.000 Einwohner. Zudem erfahre ich, dass das Konzert von Ligabue eines von fünf Konzerten ist, die in den nächsten Tagen in der Arena statt finden. Er scheint also wirklich eine Berühmtheit zu sein, wenn man ihm zutraut, mehr als 100.000 Menschen in seinen Bann zu ziehen.

                                                                              Ich rollere zurück und erneut zieht mich das Treiben vor der Arena an. Und ich spüre wieder die Leichtigkeit, die ich in Rom so genossen habe.





                                                                              Alle um mich herum sind glücklich und gelöst. Mädels, die ihre Eintrittskarte küssen, als sie von der Kasse zurück kommen. Jungs, die ganz cool tun, aber in Wirklichkeit stolz sind, eine Eintrittskarte in der Hand zu halten. Jungs, die ihre Mädels in Erwartung des Konzertes zärtlich in den Arm nehmen. Schüler, die für Bier eigentlich noch zu jung sind und die Flaschen unauffällig auf dem Boden entsorgen. Schüler in dem gleichen Alter, die das nicht gut finden und die Flaschen aus dem Weg räumen. Eltern mit minderjährigen Kindern, denen man die freudige Erwartung von weitem ansieht. Ein strahlender 13jähriger mit Italienflagge und Ligabue T-Shirt. Eltern, die zur Vernunft aufrufen und angesichts der fröhlichen Kindergesichter nicht streng sein können. Schwarzhändler, die herumstreichen und mit ihren Geschäften anscheinend nicht zufrieden sind. Ein Kameramann, der die Atmosphäre einfängt. Und die Gruppe, die ganz am Zaun der Arena steht, mit Sprechchören Jubel hervorruft und für den Kameramann „Certe Notti („Gewisse Nächte“)“ im Chor singt. Ich drehe von der Szene ein Video mit meiner Kamera und mittendrin muss eine ältere deutsche Frau, der ich blöderweise vorher auf deutsch erklärt hatte, dass Ligabue ein Sänger ist, in mein Ohr brüllen: „Haben Sie bei dem Film auch Ton?“ Der Klassiker!

                                                                              Daher hier „Certe Notti“ in einer Aufnahme, in der Luciano Ligabue zusammen mit Luciano Pavarotti auftritt. Wann die Aufnahme entstanden ist, ist unklar, aber ich würde sie wohl auf um die Jahrtausendwende datieren, denn 2005 ist Pavarotti das letzte Mal aufgetreten. Mit diesem Video weiß dann auch jeder, wer Pavarotti ist, von dem ja bereits die Rede war und noch sein wird.


                                                                              http://youtu.be/CN8YF8e_lTU


                                                                              Ein gutaussehender, weißhaariger Italiener, vielleicht Mitte 50, spricht mich an. Er bewundert meinen Roller und fragt, wo ich ihn herhabe. Er rollert viel mit seinem kleinen Enkel. Ich erzähle ihm, dass dieses ein Erwachsenenroller ist und erkläre ihm, wo er ihn bestellen kann. Er bedankt sich und sein Lächeln umrankt ein kaum merklicher Zug der Resignation, den Menschen haben, die versuchen, die Fassade aufrecht zu erhalten. Und ich weiß: Wirtschaftskrise, arbeitslos, wenn er Glück hat Frührente. Rollern mit dem Enkel und Gartenarbeit anstatt gebraucht zu werden. Er tut mir leid.


                                                                              Es sieht nach Regen aus, und so rollere ich langsam zurück. Auf der Piazza Erbe erstehe ich Paprikaschoten und eine reife Avocado. Ich erkläre der Markfrau, dass die Avocado weich sein soll, und sie erklärt auf italienisch, die Avocado wäre perfekt. Ich bin nicht der Meinung, und sie nimmt sie wieder in die Hand und empört sich lautstark. Sie würde nur gute Avocados verkaufen. Sie lässt mich eine angeschnittene Avocado probieren, und ich nicke. Sie schaut zufrieden, greift nach der von mir gekauften Avocado, tauscht sie unauffällig aus und siehe da, diese Avocado ist besser, allerdings auch noch recht hart. Dennoch wird sie fantastisch schmecken. Leider sehe ich die Marktfrau nicht mehr, ich hätte es ihr gerne mitgeteilt.

                                                                              An die Piazza Erbe schließt sich die Piazza di Signori an, und ich fotografiere ein bisschen herum. Auf dem Platz steht Dante, der Dichter der „Göttlichen Komödie“. Die ehemaligen Paläste beherbergen jetzt staatliche Institutionen.





                                                                              Als ich weitergehe, komme ich an einer merkwürdigen Anlage vorbei. Sie wirkt ein bißchen unheimlich. Es ist die Kirche Santa Maria Antica aus dem 8. Jh. Sie war laut wikipedia eine Privatkirche der Scaliger, welche die Paläste auf dem eben fotografierten Platz um das Denkmal von Dante herum erbaut haben und die kunstvollen Türme im Garten sind Grabmäler.





                                                                              Ich fahre Richtung Ponte Pietra und bleibe eine Zeitlang vor einem Teppichgeschäft stehen. Die Motive sehen selbstgemacht aus. Etwas weiter befindet sich ein kleines Geschäft, das italienischen Käse und italienische Wurst anbietet. Leider hat es beretis geschlossen und auch am nächsten Tag nicht geöffnet, als ich dort etwas kaufen will.
                                                                              Und dann warten die Stufen auf mich. Gar nicht weit von der Ponte Pietra, versteckt zwischen zwei Häusern, geht es hoch. Die Stufen sind gehfreundlich angelegt: Nicht zu hoch und und nach steilen Abschnitten kommen langgezogene Abschnitte. So packe ich meinen Roller in die rechte Hand und gehe Schritt um Schritt. Es geht erstaunlich gut. Mein Knie muckt nicht, der Fuß ist okay, nur der Arm wird zwischendrin lang und länger. So mache ich ab und zu Pause, auch weil ich feststelle, dass die Angelegenheit ziemlich schweißtreibend ist. Ein Ehepaar, das mir entgegenkommt, wird mich am nächsten Tag darauf ansprechen, dass sie mich bewundert haben, wie ich den schweren Roller da hoch schleppe. Naja, so schlimm war das auch wieder nicht.

                                                                              Auf halber Höhe gibt es einen Park, und ich nutze ihn als Rechtfertigung für eine Pause. Man sieht, dass die Sonne langsam untergeht und ein Fotograf balanciert auf der Mauer, um Fotos zu machen. Auch ich versuche mein Glück. Wohl wissend, dass der Sonnenuntergang noch nicht vorbei ist, gehe ich aber kurz drauf weiter.





                                                                              Als ich am Castel ankomme, habe ich 229 Stufen gezählt. Dieser Weg ist also kürzer als der beschriebene Fußweg an den Serpentinen. Ich rollere zu meinem Zelt und nehme meine Kochsachen, um mich auf unsere Terrasse zu setzen. Es gibt Spaghetti mit Avocado und Käse. Nun dreht die Sonne richtig auf und versinkt glutrot hinter den Häusern. Meine Kamera übersteuert bei den nächsten beiden Bildern und es gelingt mir nicht, das durch manuelle Einstellung abzuschwächen. In Wirklichkeit ist der Farbkontrast etwas schwächer, der Orangeanteil geringer und die Farben weicher. Da ich aber meine Bilder nachträglich nicht bearbeite (Ausnahme: Beschneiden), lasse ich das hier einfach mal so stehen.





                                                                              Es fängt an in dicken Tropfen zu nieseln, und ich hole meine frischgewaschene Wäsche von der Leine. Und da ich gerade dabei bin, packe ich auch die Wäsche und Schlafsäcke der anderen in die jeweiligen Zelte und schließe zudem das vordere Zelt, in das es sonst gnadenlos hineinregnen würde. Erst glaube ich, dass ich voreilig gehandelt habe, denn der Regen hört schnell wieder auf.











                                                                              Aber dann prasselt er auf den Zeltplatz ein. Starkregen nennt man so etwas. Ich denke an die Konzertbesucher der Arena. Sie tun mir leid. Hoffentlich ist die Bühne überdacht.

                                                                              Die Bewohnerin des ersten Zeltes kommt und freut sich, dass ich das Zelt geschlossen habe. Da ich an dem einzigen überdachten Tisch sitze, setzt sie sich dazu, und wir quatschen lange. Sie hat sich eine sechsmonatige Auszeit genommen und fährt ein wenig in Europa herum. Hier wollte sie nur kurz bleiben, ist jetzt aber bereits zwei Wochen hier. Es gefällt ihr hier einfach zu gut, denn man trifft immer wieder neue Leute und erlebt auch in der Stadt immer wieder Neues. Die deutschen Radfahrer, die ich in der Stadt getroffen habe, kommen zurück und erzählen ähnliches. Sie wollten eigentlich eine Radtour über die Alpen machen, haben es sich dann aber anders überlegt, waren am Gardasee und sind zuletzt in Verona hängen geblieben. Sie packen Brötchen und Käse aus und beschreiben mir, wo man in der Nähe des Platzes einen kleinen Supermarkt findet. Die niederländischen Radfahrer kommen später. Wir verständigen uns auf Englisch. Sie haben eine Alpenquerung hinter sich und ebenfalls überlegt, das Konzert an zu schauen. Aber 70 Euro waren ihnen auch zu teuer. In der leeren Arena waren sie heute nachmittag schon, aber sie meinten, das lohnt sich nicht.

                                                                              Kurz vor 24.00 Uhr heben wir die gemütliche Runde auf. Als alle in den Zelten liegen, kommt das italienische Paar zurück, das in dem Billigzelt wohnt. Nicht nur, dass sie ungehemmt reden und lachen, nein, die Frau schmeißt auch die im Zelt verstauten Töpfe um, so dass auch die letzte Maus auf dem Platz noch wach wird. Die Rache folgt kurze Zeit später: Ein Sturzregen mit Blitz und Donner setzt ein, der so stark sein wird, dass am nächsten Morgen mein Innenzelt mit hochspritzendem Sand und Schlamm versehen sein wird. Das Unwetter wird die ganze Nacht anhalten. Erfreulicherweise hält mein Zelt dicht. Das Zelt der Nachbarn nicht.


                                                                              Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2013, 06:31.
                                                                              Oha.
                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                              Kommentar


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                                                                                • 12506
                                                                                • Privat


                                                                                #40
                                                                                AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                Danke dir!
                                                                                Deine Veronabeschreibung weckt ne Menge Erinnerungen - tolle Stadt! Und der Camping hat eine Wahnsinnslage, der Blick auf die Stadt einfach unbeschreiblich...

                                                                                Kommentar


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                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                  • 31757
                                                                                  • Privat


                                                                                  #41
                                                                                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                  17.09.2013 Verona


                                                                                  Im nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Als ich zur Dusche gehe, finde ich ein paar Walnüsse, die vom Baum gefallen sind. Sie sind innen noch ganz weich und die Schale bitter. So mag ich sie am liebsten.
                                                                                  Ich beschließe, diesmal den Weg an den Serpentinen zu nehmen, um die Bäckerei zu finden. Ich durchquere das Tor und laufe mit dem Roller unter dem Arm ein paar Treppen hinunter. Sie sind unangenehmer zu laufen als die anderen. Kurz darauf stelle ich fest, dass ich etwas vergessen habe – was, weiß ich nicht mehr – und als ich zurück komme, entscheide ich mich für die Straße. Ich entdecke, dass man in der Kurve ebenfalls einen schönen Ausblick über die Stadt hat und hier ein öffentlicher Park mit einem Wanderweg beginnt. Ich bin hin- und hergerissen, was ich jetzt tun soll, denn der Weg sieht nett aus. Er scheint die Hügel hinauf zu führen. Dann entscheide ich mich aber doch, in die Stadt zu fahren.
                                                                                  So rollere ich auf der Straße die Serpentinen hinunter und mache ein Bild von dem Turm, hinter dem mein Zelt steht. Die Abfahrt macht Spaß, denn ich bin ganz schön schnell, doch ich erkenne auch, dass die Serpentinen für die Abreise mit Gepäck keine gute Wahl sind. Dazu sind zu viele Autos unterwegs.




                                                                                  Ich finde die Bäckerei und kaufe Brötchen. Dann erwerbe ich in einem kleinen Gemüseladen Kartoffeln und etwas Obst. Die Verkäufer sind gut gelaunt und machen Späße. Vor der Tür stehen ein schwedischer Reisebus und ein Auto mit Hamburger Kennzeichen und St. Pauli Aufkleber.
                                                                                  Am Ende der Straße komme ich auf der Höhe der Kirche San Giorgio heraus. Sie hat eine Kuppel, und ich dachte bis dahin, sie sei der Dom. Tatsächlich ist der helle schlanke Turm, den ich abends fotografiert habe, der Campanile des Doms. Klick. Hätte ich gewusst, dass der Dom ein Bild von Tizian aufweist, hätte ich ihn vielleicht besichtigt. Aber da ich das nicht weiß, bin ich in diesem Moment eher fürs Rollern zu begeistern. Vor San Giorgio befindet sich ein Radweg am Fluss, den ich gerne nehme. Mein Ziel ist der alte Friedhof, der beeindruckend sein soll und mir von den anderen empfohlen wurde. Zunächst mache ich aber einmal wieder Fotos in Richtung Ponte Pietra und Castel San Pietro.








                                                                                  Der Radweg endet an der Ponte Garibaldi, und ich entscheide, quer durch die Innenstadt zu fahren. Ich fahre nach Stadtplan und als ich die Punkte der Sehenswürdigkeiten genauer betrachte, überlege ich, dass ich bei der Gelegenheit einen Blick auf die Häuser von Romeo und Julia werfen könnte. Es gelingt mir nicht. Ich finde die Häuser einfach nicht, obwohl sie ganz in der Nähe sein müssen. Zwar gehe ich davon aus, dass Romeo und Julia fiktive Figuren sind, aber Familien gleichen Namens lebten wohl in Verona und so hat man für Touristen die Häuser ausgewiesen und in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an das Haus von Julia sogar einen Balkon angebaut.

                                                                                  Dafür komme ich an einem Platz heraus, der auch ganz schön ist. Ein Denkmal zeigt Guiseppe Garibaldi. Auf einer Bank esse ich ein Brötchen, während es zu nieseln anfängt. Durch Zufall finde ich das Museum, in dem die Rene Burtti Ausstellung gezeigt wird, welche die anderen besuchen wollten. Einen kurzen Moment überlege ich, ob ich sie mir anschaue, aber mir ist mehr danach, zu rollern. So quere ich wieder den Platz, an dem die Arena steht und biege zur Touristeninformation ab. Die Sonne strahlt jetzt wieder und ich flitze über den Bürgersteig. Hinweisschilder weisen auf das Grab von Julia hin und ich denke, dann suche ich eben dieses, wenn ich die Häuser schon nicht finde. Aber auch das finde ich nicht auf Anhieb. Ich rollere gefühlt dreimal um den Block, entdecke eine Parkanlage, in der deutsche Schüler Brote essen, zwei Gedenktafeln in der Nähe der Ponte Aleardi und einen Busparkplatz mit Sandwichkiosk, der von älteren deutschen Herrschaften frequentiert wird und jede Menge kleiner Cafés. Dann frage ich endlich jemanden, der mir zeigt, wo sich der Eingang befindet. Nämlich dort, wo ich schon zweimal war – ich habe es nur nicht gesehen. Nun bin ich aber richtig und fotografiere das Schild. Eine weiße Skupltur steht in der Zufahrt, es ist ein Geschenk von chinesischen Künstlern, die Romeo und Julia orientalisch interpretiert haben. Im Vorraum ist eine Büste Shakesspeares zu besichtigen. Das Grab selbst – sofern es das denn gibt - entpuppt sich als Bestandteil eines eintrittspflichtigen Museums. Enttäuscht wende ich und nehme den Friedhof in Angriff.





                                                                                  Es ist wieder heiß geworden und ich rollere über die Ponte Aleardi. Weithin sichtbar befindet sich vor mir ein Gebäude mit der Aufschrift „Resurrecturis“. Seine Majestät lässt vermuten, dass sich dahinter der Friedhof verbirgt, aber sicher bin ich mir nicht. Ich kenne das Wort nicht (es bedeutet: Auferstehung) und kann mir nicht vorstellen, dass ein Friedhof an so zentraler Stelle steht und ein derart imposantes Gebäude ein Haupteingang zu Gräbern ist. Da niemand da ist, den ich fragen kann, rollere ich nach rechts und finde einen weniger monumentalen Eingang. Blumenhändler stehen in der Nähe und ich werte das als Zeichen, dass ich richtig bin. Denkfehler! Blumenhändler verkaufen ihre Blumen wohl kaum dort, wo die Angehörigen schon lange verstorben sind. Es ist der neue Friedhof, den ich anschauen werde. Als ich ihn betrete, bemerke ich den Irrtum, aber der Friedhof ist so unglaublich still und gewaltig, dass ich lange in der Nähe des Eingangs verweile. Vor allem die Angewohnheit, die Bilder der Verstorbenen auf die Grabsteine zu setzen, berührt. Aber obwohl hier der Ort der Toten ist, ist es, als wäre etwas Heiteres, Tröstliches über diesem Platz. Das Leben nach dem Tode?
                                                                                  Nachdenklich verlasse ich den Friedhof. Nach alten Grabmälern steht mir jetzt nicht mehr der Sinn und ich habe das Bedürfnis, ein wenig zu rollern.





                                                                                  Ich überquere die große Kreuzung am Friedhof und bin erneut überrascht, wie rücksichtsvoll die Autofahrer hier sind. Dann passiere ich das Universitätsviertel. An der Ponte Navi komme ich heraus und fotografiere die Liebesschlösser, die in Sichtweite der Kirche San Fermo über den Fluss gehängt wurden. Auch ein paar Schuhe sind dabei und ich denke an den ods-Fotowettbewerb „Schuhe“. Das Motiv hätte gepasst. Auf der Brücke stauen sich Reisebusse und Busse und erneut zeigen sich dunkle Wolken. An der Ponte Nuovo biege ich in die Innenstadt ein und erstaunlicherweise - man hat ja Ehrgeiz - finde ich nach kurzem Suchen die Straße mit dem Haus der Julia. Trauben von Touristen stehen davor und der Torbogen wird von einer Polizistin gesichert, die nur so viele Touristen durchlässt, wie der Eingang fasst. Das wird mir dann doch zuviel und so muss ich auf den Anblick des Balkons verzichten. Kurz darauf fängt es in Strömen an zu regnen und ich flüchte mich in die Kirche Santa Anastasia, eine gotische Dominikanerkirche. Wieder eine wundervolle Innenausgestaltung, wie ich sie an italienischen Kirchen so schätzen gelernt habe. Am meisten beeindruckt mich ein neuer Altar, der eine Mischung aus alten Elementen und Neugotik darstellt. Ein paar Informationen zu der Kirche hier.





                                                                                  Als ich die Kirche verlasse, gießt es immer noch. Ich denke an das Museum von gestern und beschließe, mir die Ausstellung über die Arena, die Oper und über Pavarotti an zu schauen. Die Ausstellung ist menschenleer, nur ganz am Ende werde ich kurz ein britisches Ehepaar treffen. Ein wenig gespenstisch ist es schon, alleine durch eine Ausstellung zu gehen. Unvermittelt und unhörbar tauchen an den Stellen, an denen ich die Räumlichkeiten oder das Stockwerk wechseln muss, die Wächterinnen auf, und ich vermute, dass die Räume komplett videoüberwacht sind. Die Ausstellung ist interessant und enttäuschend zugleich, denn sie richtet sich mehr an den Laien und die Schwerpunkte Kostüme oder Originalpartituren interessieren mich weniger. Eine Installation, in der auf einer großen Leinwand, in vier unterschiedlichen Bildabschnitten, in der Arena aufgeführte Opern parallel in einer aktuellen und in vergangenen Inszenierungen gezeigt werden, ist sehr berührend. Leider muss man einen Teil der Bilder wie ein Dirigent am Notenpult selbst aktivieren. Vermutlich ist das der pädagogische Versuch, hyperaktiven Schulklassen die Oper näher zu bringen. Mich überfordert das völlig, und ich bin froh, dass eine Wächterin die Koordination für mich übernimmt und ich mich in die Musik versenken kann.
                                                                                  Gut gelungen ist dafür die Pavarotti-Ausstellung, und ich habe mich gefreut, noch einmal seine junge Stimme hören zu können, die nichts mit der Stimme der kommerziellen Auftritte im Alter zu tun hat. Letztlich resumiere ich jedoch, dass ich mir mehr Oper und Opernaufnahmen gewünscht hätte. Die Frage ist, ob das eine derartige Ausstellung schon aufgrund urheberrechtlicher Erwägungen überhaupt leisten kann.

                                                                                  Als ich aus dem Gebäude trete, ist der Regen in Nieseln übergegangen und hört bald auf. Ich habe keine Lust mehr, in der Stadt zu verweilen und beschließe, mir etwas zu essen zu kochen. Die Treppen sind heute viel einfacher zu bewältigen als gestern und unerwartet schnell bin ich oben. Auf dem Parkplatz des Castel steht ein Reisebus, und ich rollere schnell weiter. Kurz hinter dem Castel sehe ich eine Abzweigung und kombiniere anhand des Stadtplans, dass dies der Weg sein dürfte, den ich treppenfrei mit Gepäck zum Bahnhof gehen kann. Also kein Taxi auf der Rückfahrt, das steht fest. Am Zeltplatz angekommen, erfreue ich mich an den glitzernden Regentropfen auf den Blättern und am Zaun.





                                                                                  Ich setze die Kartoffeln auf (sie werden mir mal wieder anbrennen, wie üblich, schmecken aber köstlich) und beobachte, wie ein italienisches Ehepaar auf dem Zeltplatz heimlich ein paar Reben Weintrauben pflückt.
                                                                                  Der Sonnenuntergang ist beeindruckender als der von gestern, und eine Frau aus Malaysia postiert ihre Kamera auf einem Gorillapod. Als ich das Wort Gorillapod nenne, lacht sie mir zu, und wir kommen kurz ins Gespräch. Sie und ihre Freunde – alle mit beeindruckender Kameraausrüstung bewaffnet - reisen morgen ab. Sie wollen nach Finnisch-Lappland, um Nordlichter zu sehen. Ich wünsche viel Glück. Die Niederländer setzen sich zu mir, und wir unterhalten uns nett. Die Frau ist Künstlerin und fertigt Skulpturen. Die deutschen Radler waren in der Rene Burtti Ausstellung, und sie umfasste bekannte Werke aber auch Unbekanntes. Vielleicht hätte ich mich doch für eine Ausstellung über Fotografie entscheiden sollen? Die Frau von gestern Abend bleibt diesmal nicht lange. Sie hat ein Date und ist schon ganz aufgeregt.





                                                                                  Später entscheide ich mich, noch ein wenig spazieren zu gehen und laufe Richtung Castel. Ein Kreuz leuchtet in der Dunkelheit und ich muss mehrere Fotos machen, bis ich es erkennbar auf die Speicherkarte bannen kann, ohne dass das Licht zu einer Kugel zerfließt.





                                                                                  Und dann liegt die Stadt zu meinen Füßen.














                                                                                  Ich denke an die Arena und sie muss bei diesem klaren Himmel heute eine großartige Kulisse für Sänger, Musiker und Publikum sein.








                                                                                  Ein Auto kommt in hoher Geschwindigkeit angefahren und eine Gruppe erwachsener Männer steigt zügig aus. Im Hinterkopf gehen bei mir Alarmglocken an, aber sie wollen nur die Aussicht genießen. Einer von ihnen ist ein Mönch und es ist schön zu sehen, wie der Anblick der Stadt sie in Bann zieht. Ein Liebespaar sitzt auf der Brüstung und kuschelt, den Motorradhelm neben sich, und ich bekomme einen kurzen Anfall von Höhenangst, denn hinter der Brüstung geht es steil nach unten. Langsam gehe ich zurück und fotografiere auf der oberen Terrasse den Mond. Die Beleuchtung des Platzes lässt die Bäume irreal wirken.





                                                                                  Ich beschließe, dass dieser Moment der Moment des Abschieds ist. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Mein nächstes Ziel wird Innsbruck sein. Ich setzte mich an den öffentlichen Computer im Café und überprüfe die Bahnverbindungen. Morgen um 11.02 Uhr fährt ein Zug nach Innsbruck. Ich werde versuchen, ihn zu bekommen. In den Sanitäranlagen sitzt unbeweglich ein Falter.





                                                                                  Die Niederländerin ist bereits schlafen gegangen, während ihr Freund noch liest. Ich kuschele mich in meinen Schlafsack und versuche ein zu schlafen. Doch das ist nicht einfach. Nicht nur, dass mir schmerzlich bewusst wird, dass der Abschied morgen auch der Abschied von Italien sein wird. Ein Fahrzeug mit aufgebohrten Auspuff röhrt die Serpentinen hoch und fährt zum Castel. Kurze Zeit später röhrt es wieder zurück. Der Sound schallt über das ganze Tal und der Fahrer wird noch ein paar Male die Straße hoch- und runterfahren. Ein paar deutsche Jugendliche nisten sich auf der Terrasse vor dem Zeltplatz ein und unterhalten sich lautstark. Als ich sie darauf hinweise, dass hier ein Schlafplatz ist, entschuldigen sie sich und reden leiser. Kurz darauf wirft jemand in regelmäßigen Abständen etwas auf meine Apsis. Erst denke ich, die Jugendlichen werfen kleine Steinchen, aber das ist nicht logisch. So genau könnten sie aus der Ferne nicht treffen. Welches Tier es war, weiß ich nicht. Aber am nächsten Tag kleben auf meiner Apsis mehrere Weintrauben ohne Schale. Noch einmal röhrt das Fahrzeug durch die Straßen Veronas. Und wie gestern hört man Feuerwerksgeräusche - vielleicht wird das Konzert in der Arena mit einem Feuerwerk beendet? -, aber ich bin zu müde, um nachzuschauen und womöglich ein Foto zu machen. Dann schlafe ich endlich ein.




                                                                                  Text
                                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2013, 22:02.
                                                                                  Oha.
                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                  Kommentar


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                                                                                    • 31757
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                                                                                    18.09.2013 Innsbruck

                                                                                    Am Morgen bin ich früh wach und packe konzentriert. Ich befreie mein Zelt von den Weintraubenresten und wische es gut ab, damit das Zeltmaterial von der Säure nicht angegriffen wird. Wieder ist ein strahlender Tag und leicht fällt mir der Abschied nicht. Verona ist sicherlich nicht so emotionalisierend wie Neapel oder so vielfältig wie Rom. Und dennoch hat diese Stadt mein Herz erobert – auf eine ganz eigene Weise. Ohne dass ich weiß, warum.
                                                                                    Der Mann an der Rezeption ist noch nicht ganz wach, und ich denke einen Moment schmunzelnd an einen ods-bekannten Campingplatz an der Elbe. Dann rollere ich mein Gepäck nach oben. Ich habe den großen Rucksack auf dem Rücken und den kleinen Rucksack an den Lenker gehängt, damit bergab der Roller nicht kippt. Die Lösung ist erstaunlich gut und wird von jetzt an beibehalten. Bei Probetouren hatte der kleine Rucksack zuwenig Stabilität bewiesen, aber seit ich aufgrund des UL-Vortrages von Jörgen Johansson (Autor von „Smarter Backpacking“), den dieser auf dem Forumscamp gehalten hatte, die Idee hatte, meine Hausschuhe als Rückenplatte zu verwenden, lässt er sich sehr gut befestigen und hat ausreichend Halt.

                                                                                    Ich biege in den steilen Weg ab und stelle fest, dass ich richtig bin. Es ist eine nette kleine Straße, und ich komme an einer Jugendherberge heraus. Eine Kirche steht am Wegesrand, und während ich fotografiere, klingelt es hinter mir so energisch, dass ich instinktiv zur Seite springe. Sekunden später saust ein Fahrrad an mir vorbei. Es ist eine Nonne. Und ich muss einen Moment an die rasende Nonne in einem der Filme von Louis de Funès denken.





                                                                                    Ein letztes Mal rollere ich über die Ponte Pietra. Ein Angler wirft seine Angel aus. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Ich bin in Gedanken und nehme den falschen Weg. Aber die Innenstadt von Verona ist ja nicht groß. Auf der Piazza Erbe haben die ersten Souvenirläden bereits geöffnet. Ich rollere die Haupteinkaufsstraße entlang. Am Ende der Straße drängele ich mich in neapolitanischer (Motor)Rollermanier am Lieferverkehrsstau vorbei. Vor der Arena stehen ein Polizeiwagen und ein römischer Krieger, und ich brauche leider zu lange, die Kamera zu zücken, denn im ersten Moment sieht es so aus, als wäre der Krieger ein Carabinieri.





                                                                                    Die Piazza Bra ist fast leer ,und ich rollere in Richtung Corso Porta Nuova, eine der großen Einfallstraßen. Als Bestätigung, dass ich richtig bin, frage ich eine Polizistin, die den Verkehr regelt, und sie nickt gut gelaunt. Der Bürgersteig ist sehr breit und ein Teil ist Radweg. Die meisten Menschen gehen zur Arbeit, einige sind aber auch Touristen, die früh auf sind, und ich werde ein paar Mal von schnellen Radfahrern überholt. An einem Kiosk halte ich an. Ich hatte nicht gefrühstückt und gönne mir ein frischbelegtes Ciabatta Caprese (Mozarella, Tomaten, Kräuter, Öl). Ich „streite“ mit dem Mann hinter dem Tresen, weil ich ihn bitte, kein Öl darauf zu machen. Er ist entsetzt. Das ist gegen seine Ehre. Ich gebe ihm gegenüber zu, dass Öl eine unverzichtbare Zutat ist, bitte ihn aber zu bedenken, dass ich das Ciabatta im Zug essen werde, und das Öl dann überall landet, nur nicht in meinem Magen. Er muss lachen und ist besänftigt. Das sieht er ein.

                                                                                    Als ich denke, dass sich die Straße ganz schön in die Länge zieht, bin ich schon in der Nähe des Bahnhofs. An der vielbefahrenen Kreuzung steht die Porta Nuova, und ich halte mich rechts. Ein Fußgängerschild weist auf die Parkanlage hin, die parallel zum Innenstadtring verläuft, und die ich gestern schon als mögliches Ziel einer Rollertour im Auge hatte. Das Wegstück, das ich sehe, geht einen Hang hinauf und besteht aus Sand und Schotter. Fahrradfahren ist verboten. Schwer zu sagen, ob sich der Weg zum Rollern eignet. Übrigens umfasst die Parkanlage fast die Hälfte der Innenstadt und wenn man auf dem Stadtplan Parkanlage und Fluss zu einer Einheit verbindet, ergeben sie die Form eines Herzens. Verona, die Stadt der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt.

                                                                                    Ich überquere eine vielbefahrende Straße und sehe bereits den Bahnhof. Und stelle fest, dass ich traurig bin. Es kommt mir vor, als wäre diese Stadt eine große, reiche Tafel und ich hätte gerade mal eine Weintraube genascht. Ich schaue, ob ich die Taxifahrerin wieder sehe, aber sie ist nicht zu sehen.
                                                                                    Am Bahnschalter ist eine kleine Schlange und ich reihe mich ein. Vor mir steht ein Mann von geschätzt Mitte 50 mit einem riesigen Koffer und der Koffer ist so groß, dass sich darin nur ein Fahrrad befinden kann. Ich linse nach der Aufschrift. Ja, es ist ein Fahrradkoffer (Bild oben). Kurzerhand spreche ich ihn an. Er ist Radrennfahrer. Ich frage ihn, ob er berühmt sei und er lacht. Er sei Titelträger in Südafrika, aber berühmt sei er nicht. Er ist lange Mountainbike gefahren, aber nach einem Unfall fährt er Straßenrennen. Für ihn ist das noch sehr ungewohnt. Heute will er zu einem Rennen nach Trient.

                                                                                    Ich rate ihm, dass er nach einem Zug fragen soll, der zu seinem Gepäck passt, denn in den meisten Zügen wird er diesen großen Koffer nicht verstauen können. Er stöhnt und guckt etwas genervt.
                                                                                    Am Schalter erhalte ich eine Reservierung für den Zug um 11.02 Uhr nach Innsbruck und sehe an der Anzeigetafel, dass das Gleis bereits feststeht. Nun entdecke ich auch den Behindertenaufzug, denn es stehen einige Reiseradler davor. Immer mehr Radler sind zu sehen und in mir keimt der Gedanke auf, dass dieser Zug die Anlaufstelle für Radfahrer Richtung Norden sein könnte. So ist es. Der Zug fährt nach München und hat ein Fahrradabteil. Der Rennradler wartet auf den gleichen Zug, und wir unterhalten uns ein wenig. Kurz darauf sehe ich die Niederländer aus dem Aufzug kommen. Es gibt ein großes Hallo und ich mache die drei miteinander bekannt. Dann tauchen auch noch die beiden deutschen Radler auf und auch von ihnen kann ich mich nun verabschieden. Es ist einer der schicksalhaften Momente, in denen sich Wege von Menschen kreuzen, ohne dass man etwas dazu getan hat oder sich abgesprochen hat.

                                                                                    Der Zug wird in Verona eingesetzt und so bleibt genug Zeit für die anderen, die Fahrräder im vorderen Wagen zu verstauen. Ich verabschiede mich von ihnen, während der Rennradler im gleichen Waggon, jedoch im Nebenabteil Platz nimmt. Unübersehbar steht sein Fahrrad im Eingang, so dass es für andere Fahrgäste praktisch unmöglich ist, in den nächsten Waggon zu wechseln oder die Toilette zu nutzen. Ich frage mich, wie lange das gut geht. Fünf Minuten. Dann kommt ein Schaffner und bittet ihn, den Koffer ganz nach vorne in das Fahrradabteil zu bringen.

                                                                                    In meinem Abteil sitzt ein Vater mit seinen zwei fast erwachsenen Söhnen. Einer von ihnen ist schwer erkältet. Sie sind aus Russland. Die Söhne tragen ein T-Shirt „I love Verona“ und ich stutze. Das hat in Deutschland eine Doppelbedeutung. Dunkel erinnere ich mich, irgendwo gelesen zu haben, dass die Eltern die Person, die diesen Vornamen trägt, nach der Stadt benannt haben, weil sie die Stadt so schön fanden. Da kann man nichts gegen sagen.
                                                                                    Als der Zug Verona verlässt, sehe ich in der Ferne die Berge. Schnell gewinnt der Zug an Fahrt und wir durchqueren Valpolicella. In den Tälern wird Wein angebaut und der Gardasee ist nicht weit. In Trient steigt der Rennradler aus und verabschiedet sich. Ich wünsche ihm viel Glück. Wenn ich seine Kommentare im Internet richtig interpretiert habe, erreicht er Platz 18. Im Rennen und in der Gesamtwertung.





                                                                                    In Bozen haben wir eine kurze Zeit Aufenthalt. Das deutlich sichtbare Schild an den Bahnsteigen „Es ist verboten, die gelbe Linie zu übertreten“ lässt österreichische Einflüsse erkennen.





                                                                                    Ein Italiener arabischer Herkunft ist in Bozen zugestiegen. Er spricht ziemlich gut Englisch. Wir kommen ins Gespräch und er fragt mich, warum die europäischen Touristen Italien besuchen und nicht den Irak, wo sich die erste Hochkultur entwickelt hat. Ich suche nach einer vereinfachten Erklärung und erläutere ihm, dass Rom nun einmal das Zentrum der christlichen Religion war / ist, und dass das römische Reich und Italien die Kultur der europäischen Ländern nachhaltig geprägt hat. Zudem können sich in Italien die Touristen frei bewegen, während im Irak Einschränkungen der Reisefreiheit, spezielle Regelungen für Frauen und eine schwierigere Sicherheitslage abschreckend wirken. Wir unterhalten uns lange und das Gespräch ist für beide Seiten hochinteressant.

                                                                                    Die ersten schneebedeckten Wipfel tauchen auf. Der ältere der russischen Jungen kommt aus dem Speisewagen, um etwas zu holen und lässt sein gelbes Kissen zurück: „University of Love. Romeo + Juliet. Verona“. Kurz darauf sind wir am Brenner.





                                                                                    Etwas später steht ein Mann auf einem Weg neben der Bahnlinie und mir gelingt aus dem fahrenden Zug heraus ein Zufallsfoto.





                                                                                    Gegen 14.30 Uhr komme ich in Innsbruck an. Die Gipfel der Berge sind schneebedeckt. Der Bahnhof erinnert eher an ein Einkaufszentraum als an einen Bahnhof, und ich entdecke Vollkornbrot und ein Geschäft mit Schinkenspezialitäten. Das Wetter ist durchwachsen und in der Nacht soll es regnen. Ich entscheide mich, das Hostel aufzusuchen. Die Vorstellung, auf einem Campingplatz voller Wohnmobile mein Lager auf zu schlagen, erfüllt mich mit Unbehagen. Vielleicht zu Unrecht, ich weiß es nicht. Aber der Platz in Verona war einfach zu schön.

                                                                                    Ich stelle mein Navi ein, und es lenkt mich in die Reichenauerstraße zum Hostel. Die Straße zieht sich, und eine Hochhaussiedlung säumt den Weg. Ich hatte gehofft, das Hostel wäre näher an der Innenstadt dran und die Umgebung etwas ansprechender. Auch das Hostel selbst entpuppt sich als futuristischer Zweckbau. Ein Schild an der Rezeption verkündet, dass Check-In um 17.00 Uhr ist und ich gebe mir Mühe, eine gute Laune zu bewahren. Das wäre in ungefähr eineinhalb Stunden. Ich mache es mir in der viel zu weichen Sofagarnitur gemütlich und versenke mich in einen Krimi. Das Telefon im Büro klingelt, und ich sehe, dass die Rezeption besetzt ist. Also versuche ich mein Glück. Die Frau hinter dem Tresen ist sehr freundlich, und ich kann sofort einchecken. Das Schild bezöge sich auf die Nachsaison ab Oktober. Es würde überall die Information stehen, dass diese Regelung jetzt noch nicht gilt. Sehr schön.

                                                                                    Ich bekomme ein Zimmer im zweiten Stock. Die Treppen dürfen nur mit Hausschuhen betreten werden, und ich frage nach. Es geht um Bergschuhe, weil diese Striemen auf dem Bodenbelag hinterlassen. Ich verweise auf meine Wanderschuhe, und sie empfiehlt mir nach kurzem Abwägen, vorsichtig zu gehen. Nun denn. Also steige ich mit vollem Gepäck und Bettwäsche in den zweiten Stock. Seit den Treppen von Verona ein Kinderspiel. Das Zimmer soll mit einer Person belegt sein, doch es sind noch weitere Betten nicht abgezogen. Die Nachfrage ergibt, das könne vorkommen, dann hätten die Personen es wohl vergessen. Ich denke an Rom, wo jeden Tag ein Putzdienst die Zimmer gesäubert hat und die Betten der abgereisten Gäste gerichtet hat.

                                                                                    Mein Bett ist am Fenster und bietet einen Blick auf die Berge. Ein Pluspunkt. So fällt es mir leicht, die höflich formulierte Bitte im Waschraum zu übersehen. Man sollte nur in Länder verreisen, deren Sprache man nicht versteht. Meine Mineralwasserflasche spendet Trost. Hinter dem Hostel befindet sich eine kleine Parkanlage, und ich beschließe, mir die Stadt an zu schauen. Es ist warm in Innsbruck, aber es sieht nach Regen aus.





                                                                                    Da ich nicht weiß, ob der Park in die Innenstadt führt, rollere ich zunächst auf der Straße Richtung Innenstadt, finde aber an der nächsten Ecke schnell einen Zugang zum Inn. Straßenlärm dringt an mein Ohr, aber der Fluss und die Berge gefallen mir. Eine Infotafel weist auf „Verfehmte - Verfolgte - Verkannte“ hin. Es geht um Unkräuter, besonders um Brennessel („Brennesselkrieg ist Falterkrieg“), Löwenzahn, Hirtentäschel und den Breiten Wegerich.
                                                                                    Es sind nur wenige Menschen unterwegs, und sie beäugen interessiert meinen Roller. Ich komme an der Sillmündung heraus und lese die Infotafeln. Die Sill sieht harmlos aus, hat aber Innsbruck immer wieder verheerende Hochwasser beschert. Eine Schild weist darauf hin, dass die Einsetzstelle für Paddelboote und Surfer gesperrt ist, und die Stadt nach einer Alternative sucht.







                                                                                    Da ich hier nicht geradeaus fahren kann, rollere ich auf gut ausgebauten Fahrradwegen unter Bäumen an der Sill weiter.





                                                                                    Der Weg gehört zu einer Parkanlage, in der weder gezeltet, noch Lagerfeuer gemacht werden darf :-). Ein Gedenkstein erinnert an die alte Pradlerbrücke, die vermutlich dem Hochwasserschutz weichen musste. Eine Pension, die ich schon auf dem Hinweg gesehen habe, steht an dieser Stelle, und vielleicht hätte ich mir dort ein Zimmer nehmen sollen, anstatt ins Hostel zu gehen. Überlegt hatte ich es.





                                                                                    Ein doppelter Regenbogen erscheint am Himmel und jetzt bräuchte ich ein anderes Objektiv, denn ich bekomme ihn leider nur zur Hälfte aufs Bild. Also mache ich eine Nahaufnahme.





                                                                                    Der Radweg geht in einen Park über, der wunderschön angelegt ist. Fahrradfahren ist hier verboten und ich grübele, an welcher Stelle ich den Fahrradweg verlassen habe. Aber ein Roller ist ja kein Fahrrad. Ich mache einige Fotos und überprüfe meine Position anhand des Stadtplanes, komme aber zu keinem befriedigenden Ergebnis.








                                                                                    So halte ich mich rechts und lande an einer Hauptverkehrsstraße, die gerade eine langgestreckte Baustelle ist. Ich finde einen Fußgängerübergang und fahre Richtung Bahnhof, um die Orientierung wieder zu gewinnen. Vor dem Bahnhof führt eine Straße Richtung Innenstadt. Sie ist fast menschenleer. Die Geschäfte sind bereits geschlossen. Vor meinem geistigen Auge taucht Neapel auf und mühsam dränge ich die Bilder zurück. Vorwärts schauen.
                                                                                    Auf der linken Seite sehe ich in der Ferne ein Tor und rechts eine Fußgängerzone. Ich biege rechts ab und bin erleichtert, dass sich hier doch noch ein paar Menschen befinden. Ein Rockmusiker rockt vor überschaubarem Publikum und macht das wirklich sehr gut. Es sind einige internationale Touristen unterwegs.








                                                                                    Eine Kunstinstallation von Paul de Marinis namens „Raindance“ begeistert eine Asiatin. Ich mache ein Foto von der Szene, aber da ich nicht weiß, ob Fotos von der Installation urheberrechtlich geschützt sind, veröffentliche ich es nicht. Man nimmt sich einen Regenschirm und stellt sich unter die Überdachung. Sobald man sie betritt, fängt es an zu regnen und man kann durch Herumlaufen unterschiedliche Klänge erzeugen. Dumm nur, dass es ausgerechnet zu der Zeit, als ich davor stehe, zu nieseln anfängt. Das nimmt mir die Lust, es auch einmal aus zu probieren. So laufe ich weiter. Kurz versuche ich mir die Fußgängerzone im Winter vorzustellen, wenn Schnee liegt. Es gelingt mir nicht.
                                                                                    War die Touristeninformation davor oder dahinter? Ich weiß es nicht mehr. Sie hat auf jeden Fall geschlossen, denn es ist schon 19.00 Uhr. Zwei Asiatinnen fragen mich hilflos vor der Tür, wo hier ein Supermarkt ist. Ich sage, dass ich mich nicht auskenne und empfehle ihnen den Bahnhof. Sie bedanken sich und laufen los, und wenn ich mich nicht täusche, werden sie ein paar Meter weiter drei geöffnete Supermärkte finden.

                                                                                    Ich rollere dorthin, wo die meisten Touristen stehen. Das von mir mittlerweile als "Goldenes Dacherl" identifizierte Gebäude ist von Menschen umringt, und ich fotografiere es, da es anscheinend wichtig ist. Tatsächlich ist es das Wahrzeichen von Innsbruck. In der Seitenstraße locken Restaurants, und es duftet verführerisch nach Essen. Kochen kann man hier, das weiß ich. Einen Moment überlege ich, ob ich schwach werden soll, denn viel habe ich heute noch nicht gegessen. Eine deutsche Familie macht Essenspläne und schon allein die Tatsache, dass ich jetzt wieder die Sprache um mich herum verstehe, treibt mich weiter. Auch die Vorstellung, dann spät abends im Dunkeln zum Hostel rollern zu müssen, hält mich ab.





                                                                                    Ich rollere zum Dom und es gießt jetzt in Strömen. Die Häuser auf dem Domplatz sehen heimelig aus. Ich lande in einer winzigen Sackgasse und rollere wieder zurück.








                                                                                    Ich nähere mich der Hofburg und finde ein Schild vor, dass Fußgängern zu einer bestimmten Zeit das Betreten verbietet. Ich gehe dennoch durch den Bogen. Die Hofburg sieht imponierend aus, nur die Autos stören. Als ich zurückgehe, ist das Verlassen erlaubt. Aber ich gebe es auf, die Schilder verstehen zu wollen. Vielleicht sollen sie Besucherströme lenken. Jetzt ist alles geschlossen. Also weiter.





                                                                                    Das Staatstheater gerät in mein Blickfeld. Wieder ein paar Fotos. Eine schöne Stadt. Aber nach Italien ist Innsbruck ein kleiner Kulturschock.





                                                                                    Es wird langsam dunkel, und die Berge sind nur noch anhand kleiner Lichtpunkte zu erahnen, die von den Häusern in Hochlage ausgehen. Ich beschließe, mich auf den Weg zum Hostel zu machen. Ich schaue auf die Uhr, um abschätzen zu können, wie lange ich vom Hostel zum Bahnhof brauche.
                                                                                    Als ich die Kreuzung hinter dem Bahnhof erreiche, sticht mir ein McDonalds ins Auge, und schlagartig bekomme ich Hunger. Soll ich oder soll ich nicht? Ach ja, zu jeder vernünftigen Tour gehört ein Fastfoodabend dazu. Wann war ich das letzte Mal dort essen? Vor anderthalb Jahren in Rovaniemi, glaube ich. Also los. Die Ampel wird grün und ich fahre frohgemut auf das Schild zu. Und sehe: Das Restaurant befindet sich in einem Einkaufszentrum - und das hat geschlossen. Ahhhrg. Schlagartig bekomme ich schlechte Laune, wie immer, wenn ich Hunger habe. Und nun? Neben dem Hostel ist eine Tankstelle. Dann gehe ich eben zur Tanke. Es wird Zeit, sich wieder an ungesundes urbanes Leben zu gewöhnen. Und denke dabei an die verlockenden Gerüche aus den Restaurants in der Innenstadt. Zu spät.

                                                                                    Eine Bushaltestelle lockt verführerisch, aber Hunger hat bei mir schon immer Energien freigesetzt. Ich rollere mit dem Bus um die Wette und die ersten drei Stationen klappt das sogar. Hui, macht das Spaß. Mein Fuß meldet sich, und ich verfeinere meine Technik. Zu Hause kann ich mich immer noch schonen. Mein Roller und ich fliegen dahin, und ich stelle fest, dass ich richtig Kondition bekommen habe. So macht das Spaß. An der Pradlerbrücke steht eine beleuchtete Figur. Auf dem Hinweg habe ich sie nicht gesehen. Foto.





                                                                                    Eine Sparkasse taucht auf und ich erinnere mich, dass ich morgen Geld holen muss. Meine Reisekasse ist fast leer. Ich passiere eine Ladenzeile und muss lachen. Hier versammelt sich fast alles, was man braucht. Oder so. Foto.





                                                                                    Der Betrieb ganz rechts ist übrigens ein italienisches Restaurant. Nach dreiundzwanzig Minuten (ich vergesse natürlich, bei der Ankunft auf die Uhr zu schauen, kann das aber anhand der Fotos recherchieren), komme ich am Hostel an und rollere zu der Tankstelle. Zwei riesige Reisebusse versperren die direkte Zufahrt, und ich fahre an der Tankstelle vorbei, um mich von hinten heran zu schlängeln. Dort befindet sich ein Parkplatz, und ich sehe eine beleuchtete Anlage. Vielleicht ein Restaurant? Ich rollere etwas näher und sehe das Wort „Folklore-Center“. Hhmm. Vermutlich sind das Geschäfte, die Handarbeiten verkaufen. Die Fahrgäste des ersten Busses setzen sich in Bewegung und gehen zielstrebig in Richtung der beleuchteten Räume auf der linken Seite. Es sind viele Asiaten dabei, aber sie sprechen englisch. Vielleicht ist hier doch ein Restaurant? Ich überhole die Gruppe und sehe, dass sich auf der rechten Seite tatsächlich ein Restaurant befindet. „Sandwirt am Inn“, heißt es. Links ist ein großer Gesellschaftsraum, rechts ein Lokal. Ich parke meinen Roller. Dann setze ich mich an einen der Tische im Mittelgang und habe einen guten Blick in den Gesellschaftsraum.

                                                                                    Die Bedienung fragt mich, was ich essen will. Nun, wenn ich schon einmal hier bin, will ich natürlich einheimische Küche essen. Ich bitte sie, mir etwas zu empfehlen. Das überfordert sie etwas, und ich frage, welche Speisen typisch für diese Region sind. Sie nennt mir zwei Sachen und ich entscheide mich für Kassspatzeln mit Rässkäse und Röstzwiebel. Dazu nehme ich einen Salat. Beides schmeckt vorzüglich und schlagartig bin ich wieder gut gelaunt. Als sie fragt, ob es mir schmeckt, bejahe ich. Es schmeckt wirklich ausgezeichnet. Sie freut sich, und wir unterhalten uns kurz.





                                                                                    Der ersten Reisegruppe folgt eine zweite Reisegruppe und schließlich 5 oder 6 weitere, vielleicht auch mehr. Unglaublich, wie viele Menschen in diesen Saal gehen. Die Bedienungen stemmen Bierseidel über Bierseidel, um alle mit Getränken zu versorgen. Ich erfahre, dass heute Tiroler Abend ist und die Gäste sind Amerikaner. An den Nebentischen platzieren sich die Reiseführer und die Busfahrer. Und dann geht es los. Dirndl und Lederhose, Volksmusik, Schuhplattler, Jodeln und als mein persönlicher "Höhepunkt" der rührig auf einer Singenden Säge gegeigte Song „Edelweiß“ (Rogers und Hammerstein, „Sound of Music“ - das Lied kenne sogar ich und es ist definitiv kein Lied aus Tirol. Immerhin war die in Amerika berühmt gewordene Trapp Familie, deren Geschichte das Musical erzählt, aus Salzburg). Ich kann nicht anders. Ich muss zum Abschluss einen Apfelstrudel bestellen.





                                                                                    Satt, und bis über beide Backen grinsend, entferne ich mich von dem Ort, der mir einen so wunderbaren Einblick in das Tiroler Brauchtum gewährt hat. Das nenne ich doch mal das volle Programm. Wer hätte das erwartet!

                                                                                    Im Hostel angekommen, schlafen die anderen schon. Mein Bett knarzt und quietscht, als ich mich im Dunkeln ausziehe und in der Nacht werde ich, sobald ich mich umdrehe, wach. Das – und nur das - gibt den Ausschlag. Morgen fahre ich nach Zürich.
                                                                                    Zuletzt geändert von Torres; 09.10.2013, 13:11.
                                                                                    Oha.
                                                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                    Kommentar


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                                                                                      • 16.08.2008
                                                                                      • 31757
                                                                                      • Privat


                                                                                      #43
                                                                                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                      20.09.(-22.09) Zürich

                                                                                      Am nächsten Morgen sind die Berge vor dem Fenster weg. In der Nacht hat es in Strömen geregnet, und ich bin froh, nicht gezeltet zu haben. Nicht, dass ich nicht regenfest bin, aber es ist ein gutes Gefühl, das Zelt trocken im Gepäck zu wissen. Aus dem Fenster mache ich ein paar Fotos vom Hostel und der Umgebung. Das Foto von den Bergen am Inn wird leider nichts, aber viel gesehen hätte man sowieso nicht.





                                                                                      Das Frühstück wird in einem Raum serviert, der den Charme einer Bahnhofskantine hat, aber es ist reichlich und gut. Ein Pluspunkt. Ich zahle und freue mich auf Zürich. Zwar hatte Vegareve in einem anderen Zusammenhang gefragt, was ich ausgerechnet in Zürich will, aber irgendetwas wird mir schon einfallen. Ich habe nach der Fahrt heute noch zwei Reisetage übrig. Schade nur, dass ich mir in Zürich nichts leisten können werde. Aber Innsbruck kann nicht der Endpunkt der Reise sein, das steht für mich fest. Irgendetwas muss noch kommen.

                                                                                      Ich rollere an der Hochhaussiedlung vorbei, schaue wieder zu den verschwundenen Bergen und plötzlich erschrecke ich mich. Eine dunkle Wolke steht am Himmel. Ich brauche etwas, um zu realisieren, dass es ein Berg ist, der durch ein Wolkenloch zu sehen ist. Ich greife nach der Kamera und bete, dass sich das Licht nicht verändert. Die Oberleitungen der ehemaligen Oberleitungsbusse sind im Weg, aber das Ergebnis gefällt mir dennoch:





                                                                                      Es ist kaum jemand auf der Straße und ich komme gut voran. An der Sparkasse ziehe ich Geld. Ein Café lockt, aber es ist leider nur eine Konditorei und keine Bäckerei. In einer Seitenstraße hat jemand einen kaputten Schirm an den Zaun gehängt. Ich fotografiere das Schild der Maderspergerstraße und erfahre, dass Joseph Madersperger (1768-1850) ein Schneidermeister aus Tirol war und der Erfinder der Nähmaschine ist.
                                                                                      An der Pradlerbrücke steht vor der Pension ein Motorroller mit deutschem Kennzeichen. Das Gepäck wurde kugelförmig mit einer silbernen Plane umwickelt. Interessante Konstruktion. Ich spreche die Fahrer an, doch sie sprechen kein Deutsch. Wir unterhalten uns auf Englisch. Die Nationalität habe ich vergessen.
                                                                                      Ich entscheide mich, der Straße zu folgen und über die Brücke zu fahren, um nicht wieder im Park den Weg zu verlieren. An der Kreuzung vor dem Bahnhof hält eine rote Lok. In der Ferne sieht man eine Sprungschanze. Ist das etwas „die" Sprungschanze?





                                                                                      Ich hole mir im Reisezentrum eine Reservierung für den Zug um 9.54 Uhr und kaufe Reiseproviant. Eine Truppe älterer Herren mit Mountainbikes bewundert meinen Roller. Sie machen jetzt eine Bergtour. Sie sind ein Verein und das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 70 Jahren. Ich setze mich am Bahnsteig auf eine Bank und warte. Ein Skateboarder rollt zu seinem Regionalzug und ich überlege, ob das auch ein Fortbewegungsmittel für mich wäre. Packmaß und Gewicht wären nicht schlecht. Der Zug nach Verona steht vor mir und ich lasse ihn seufzend fahren. Dann besteige ich den Zug nach Zürich. Es ist ein Railjet der ÖBB, gefertigt von Siemens. Der Railjet ist eine gemeinsame Zuggattung von ÖBB, DB, Schweizer Bahn und ungarischer Bahn. Das wird noch wichtig.

                                                                                      Das Abteil ist fast leer. Schräg gegenüber sitzte eine Frau und liest die Kronen Zeitung. Die Überschrift handelt von dem Geheimbunker eines Serienkillers. Es hat Vorteile, eine Zeitlang keine Zeitung zu lesen. Es beruhigt die Nerven. Während der Fahrt kommen wir ins Gespräch. Die Berge von Innsbruck sind immer noch von Nebelschwaden umgeben und das Wetter wird sich nicht bessern.





                                                                                      Das WC in meinem Waggon ist defekt und diese Tatsache lässt mich zweifeln, dass es sich um einen Wagen der ÖBB handelt. Es kann nicht anders sein: Es muss ein Wagen der DB sein. Auf halber Strecke lässt sich bei einem Zwischenhalt eine Tür nicht mehr schließen, und mein Verdacht erhärtet sich. Der Zug hat nun Verspätung, und irgendwann hält er dann aus betriebsbedingten Gründen auf offener Strecke. Die genaue Formulierung habe ich vergessen. Ich mache mir den Spaß, mir die Gespräche und Beschwerden vorzustellen, wenn dieser Zug in Deutschland fahren, äh stehen, würde.





                                                                                      In Buchs SG betreten zwei Schweizer Polizisten den Zug. Ein Mann mit tiefgezogener Mütze und Hund wird kontrolliert, aber er ist Schweizer und nimmt das mit Fassung. Die Berge geraten aus dem Sichtfeld und lange Zeit führt die Bahnstrecke am Züricher See entlang, bevor der Zug in einem Tunnel verschwindet.





                                                                                      Der Züricher Bahnhof ist eine wunderschöne Halle. So stelle ich mir den Bahnhof einer Großstadt vor. Ich gehe zum Bahnschalter, und der Mann hinter dem Schalter ist so richtig nach meinem Geschmack. Hier redet man Tacheles. Er könnte aus Norddeutschland sein. Ich buche für Samstag, 12.00 Uhr den ICE nach Hamburg. Die Zugfahrkarte kostet viel Geld, 130 Franken, glaube ich, und er sagt in der typischen trockenen Art der Schweizer, dass für die Schweizer die Schweiz auch teuer sei. Dann erklärt er mir, dass es für mich besser sei, wenn ich den Betrag in Franken abbuchen lasse. Ich frage ihn, ob es einen Ort gibt, der ungefähr eine Stunde von Zürich entfernt ist, und den ich mit meinem letzten noch offenen Tag besichtigen kann. Biel fällt ihm spontan ein. Oder Luzern. Er gibt mir einen Fahrplan mit, in dem die Züge der Region enthalten sind. Dann weist er mich mahnend darauf hin, dass ich den letzten Tag meines Interrailtickets für die Fahrt von Zürich nach Basel brauche. Gut, dass er das noch einmal deutlich gesagt hat. Ich bedanke mich herzlich. Ich glaube, hier werde ich mich wohlfühlen.

                                                                                      Ich laufe zur Touristeninformation, und eine nette junge Dame gibt mir einen Stadtplan. Sie empfiehlt mir ein unabhängiges Hostel in der Innenstadt und erklärt mir, dass das Hostel zwar Mittagspause hat, die freien Betten aber an der Tür angeschlagen sind. Buchen kann sie es leider nicht. Die andere Alternative wäre die von mir recherchierte Jugendherberge in der Mutschellenstraße. Andernfalls würde es schwierig. Am Donnerstag sind die Geschäftsreisenden noch nicht abgereist. Das günstigste Hotel würde mich 145 Franken die Nacht kosten. Sie nennt mir auch den Namen des Campingplatzes am Züricher See, den ich ebenfalls bereits recherchiert hatte. Er wird mein Notfallplan sein, aber eine innere Stimme sagt mir, dass es besser ist, in einem Hostel zu übernachten. Preislich ist der Unterschied nicht groß und das Hostel ist näher an der Innenstadt.

                                                                                      Gut gelaunt verlasse ich den Bahnhof und rollere in Richtung des Hostels in der Innenstadt. Ein Stein fällt mir auf und ich lese den Namen Berlin. 1959 haben die Städte einen gemeinsamen Bund geschlossen. Klick.





                                                                                      Ich schiebe den Roller durch eine Fußgängerzone und stehe bald vor dem empfohlenen Hostel. Es ist ein schmales Haus mit schmalen Treppen und das Hostel ist im 5. Stock. Die Treppe ist eng und im 3. Stock habe ich schon keine Lust mehr. Dennoch kämpfe ich mich ganz nach oben und befinde mich in einem kleinen Raum, wo ein paar Engländer herumhängen und mit ihren Smartphones und Tablet-PCs herumspielen. An der Tür ist ein Anschlag und anscheinend sind nur noch Einzelzimmer für 70,00 Franken frei. Ich schaue mir die Sache ein paar Minuten an und dann weiß ich, dass ich hier falsch bin. Also die Treppen wieder runter und unten fühle ich mich befreit. Mal schauen, was die Jugendherberge bietet. Aus dem Internet weiß ich, dass zumindestens die Häuserfarbe gewöhnungsbedürftig ist: Lila.

                                                                                      Ich rollere in Richtung See und mir geht das Herz auf. Der See und der Blick auf die Berge. Wunderbar. So habe ich mir das vorgestellt.





                                                                                      Ich fahre eine Parkanlage am See entlang und nehme dann den gut ausgebauten Fahrradweg. Als ich an der Sukkulentensammlung ankomme, ist der Radweg zu Ende, und ich muss an der viel befahrenen Straße weiter rollern. Ich suche eine Seitenstraße, die mich über die Bahngleise führt, die parallel zur Straße verlaufen, aber ich sehe nichts. Links von mir wird irgendetwas gebaut und die einzige Brücke, die ich sehe, endet auf dem abgesperrten Gelände. Eine Bahnstation kommt in Sicht und mit ihr eine Unterführung. Ich frage Passanten und sie bestätigen, dass man durch diese Unterführung auf die anderen Seite kommt. Ich packe meinen Roller samt Gepäck und merke, dass ich im Treppensteigen Routine bekommen habe. Schon bin ich an der richtigen Zufahrtsstraße und muss jetzt nur noch einen für norddeutsche Verhältnisse recht steilen Berg hochschieben. Eine Baustelle produziert Baulärm, und ich hoffe, dass man ihn im Hostel nicht hört. Nein, wird man nicht.

                                                                                      Die Jugendherberge ist ein großes Hostel, 290 Betten, aber als ich es betrete, sehe ich sofort, dass es perfekt organisiert ist. Ich bekomme ein Bett im Vierbettzimmer für zwei Nächte (32 Franken pro Nacht) und das Frühstück ist inklusive. Die Zimmer sind sauber, und mein Bett ist perfekt. Statt einer Wand habe ich neben mir ein Fenster zum Innenhof, und ich kann ins Grüne schauen. Die Schränke sind abschließbar, und die Sanitäranlagen sind neu und richtig nobel. Eine gute Entscheidung. Ich bin völlig k.o. Das Zimmer teile ich mit der Schweiz, und eine leere Tüte Zweifelchips liegt auf dem Boden. Ich denke an balticskin. Für diese Chipsmarke würde er alles tun. :-) Und lege mich erst einmal für ein paar Minuten aufs Ohr.

                                                                                      Und dann betritt Schweden das Zimmer. Ich dachte immer, Schweden wären ruhige, in sich verwurzelte, eher wortkarge Menschen. Diesmal nicht. Zunächst werden die Klamotten gewaschen und da der von der Rezeption zugesagte Trockner des Hostels kaputt ist, die ca. 12 T-Shirts und 2 Hosen zum Trocknen im ganzen Zimmer verteilt. Es stellt sich heraus, dass die Baustelle, die ich gesehen habe, ein Sportevent ist, und ich jemanden vor mir habe, der Snowboarder betreut. Leider weiß Schweden weder genau, wo das Briefing ist, noch wo das Event ist, und gemeinsam erarbeiten wir anhand des Stadtplans Locations und Anfahrtsweg. Dann gehen wir einkaufen. Im Migros ist alles sehr teuer – die Schweiz ist nunmal sehr teuer – und Schweden jammert. Ich mache Produktberatung, aber zugehört wird mir nicht. Aus dem Kühlregal werden Frikadellen genommen und, weil sie zu teuer sind, beim Brot fallen gelassen. Ich packe sie ins Regal zurück. Dann wird ein eingeschweißtes halbes Hähnchen genommen, aber das ist noch roh und muss erst gebraten werden. Ich übersetze, was auf der Packung steht, aber erst die Verkäuferin muss bestätigen, dass das Teil roh ist, bis mir geglaubt wird. Dann sind Reiswaffeln die neuste Idee, aber welche mit Vanille. Die gibt es aber nicht, nur Schoko. Auch nicht richtig. Ich finde heraus, dass zum Migros ein Imbiss gehört, und ein halbes Poulet 6 Franken 50 kostet. Das ist das günstigste Essen dort, denn alles andere kostet über 15 Franken. Auch in der Jugendherberge wird Essen angeboten und dafür zahlt man 20 Franken. Nach etwas hin und her sind wir uns einig und lassen uns zwei halbe Hähne einpacken. Gute Stimmung auf dem Heimweg. Wir tragen das Huhn in unser Zimmer, wo wir es unerlaubterweise verzehren. Ich bin überrascht, wie gut es ist, wenn man es mit deutschen Erzeugnissen vergleichbarer Theken vergleicht.





                                                                                      Ich lese ein wenig und mache dann die Augen zu. Ich bin immer noch unglaublich müde. Föngeräusche dringen an mein Ohr. Und sie hören nicht auf. Okay, Schweden war duschen. Aber so lange kann man kurze Haare doch nicht fönen? Ich stehe auf und schaue in den Vorraum, in dem sich ein Waschbecken und die Schränke befinden. Schweden fönt die T-Shirts mit dem Fön der Schweiz. Ich bleibe ganz ruhig und freundlich. Das Fönen wird eingestellt. Zweimal werde ich noch geweckt, weil irgendetwas vergessen wurde und erfahre, dass der Chef immer noch nicht im Hostel war und überhaupt, ich weiß ja gar nicht wo wir uns treffen etc. Beim dritten Mal erfahre ich, dass der Chef jetzt endlich da ist und eigentlich ein ganz anderes Zimmer gebucht hat, und Schweden jetzt umziehen muss. Einerseits schade, im Grunde war die Sache ja schon lustig, und ich hätte gerne gewusst, wie es weitergeht, aber auch: Hallelujah. Die nassen T-Shirts werden eingepackt und in der nächsten Etappe der Koffer geholt.
                                                                                      Mitten im Getümmel steht plötzlich Brasilien. Brasilien kommt gerade von einem Englischkurs in Irland, schaut sich Europa an und ist rücksichtsvoll und leise. Perfekt. Kurz darauf fallen mir die Augen zu und ich schlafe durch bis zum nächsten Morgen.


                                                                                      Zuletzt geändert von Torres; 10.10.2013, 22:12.
                                                                                      Oha.
                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                      Kommentar


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                                                                                        Alter Hase
                                                                                        • 30.05.2007
                                                                                        • 3996
                                                                                        • Privat


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                                                                                        AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                        Genialer Bericht mit tollen Bildern,.
                                                                                        Grüße aus Pb.
                                                                                        So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                                        A. v. Humboldt.

                                                                                        Kommentar


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                                                                                          Alter Hase
                                                                                          • 14.03.2012
                                                                                          • 3583
                                                                                          • Privat


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                                                                                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                          ganz ehrliche Frage:

                                                                                          Was ist daran genial? In meinen Augen ist dieses Kompliment ein total schwaches. Was hat das mit Outdoor zu tun??
                                                                                          Fotos nicht besonders gut, Didaktik zweifelhaft bis teilweise rassistisch In meinen Augen : 6 - setzen!
                                                                                          Two roads diverged in a wood, and I—
                                                                                          I took the one less traveled by,
                                                                                          And that has made all the difference (Robert Frost)

                                                                                          Kommentar


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                                                                                            Fuchs
                                                                                            • 12.02.2012
                                                                                            • 1610
                                                                                            • Privat


                                                                                            #46
                                                                                            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                            OT: Ist dein einziger und erster Post hier wirklich eine ungerechtfertigt schlechte Kritik an einem Reisebericht? *KopfmeetsTischplatte*

                                                                                            Kommentar


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                                                                                              Freak

                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                              • 16.08.2008
                                                                                              • 31757
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                              20.09.2013 Zürich, 1. Teil

                                                                                              Das Frühstück im Hostel ist gut und reichlich. Ein Mann steht an der Rezeption und versucht, ein Bett zu bekommen, aber das Hostel ist seit gestern Abend ausgebucht. Ich habe Glück gehabt. Ich empfehle ihm den Campingplatz. Ich nehme meinen Roller und fahre die Straße Richtung Innenstadt, um zu schauen, ob ich hier eine Brücke oder einen Weg finde. Das ist nicht der Fall, und so biege ich irgendwann rechts ab, finde eine Unterführung und gelange in eine Grünanlage.





                                                                                              Und kurz darauf bin ich wieder am See.











                                                                                              Der Himmel ist wolkenverhangen und es ist kühler geworden. Es sieht nach Regen aus. Ich lasse mir Zeit.








                                                                                              An der Bürkliterrasse steht eine Skulptur von Hermann Hubacher. Sie bildet die Entführung Ganymeds in den Olymp durch den als Adler verkleideten Zeus ab und ist heute ein Symbol der Schwulenkultur Zürichs.





                                                                                              Ich überquere die Limmat und lasse das Opernhaus rechts liegen. Dann tauche ich in die verkehrsberuhigten Gassen ein.














                                                                                              Aber so ganz befriedigt mich der Spaziergang nicht, und ich entwickele ein neues Hobby: Schilder fotografieren. Es gibt sehr edel gestaltete Schilder und später werden mir Züricher Bürger erzählen, dass diese Schilder sehr viel Geld kosten, da sie eine Zugehörigkeit zu den Zünften anzeigen, und eine Aufnahme in die Zünfte wohl eine sehr exklusive Angelegenheit ist. Außerdem gibt es auf den Hauswänden auch gemalte oder figürlich gestaltete Darstellungen, meist Tiere.





                                                                                              Das Großmünster kommt in mein Blickfeld, und ich beschließe, es zu besichtigen. Es ist das Gebäude auf der rechten Seite. Der Turm in der Mitte gehört zur St.Peter-Kirche, die auf der anderen Seite der Limmat steht.





                                                                                              Vom Vorplatz aus schaut man über die Limmat auf die Fraumünster-Kirche. Und auf das Oettingerhus, das ehemalige Amtshaus des Klosters Oettingen (hinter den Autos).





                                                                                              Außerdem hat man einen Blick auf das „Haus am Loch“ (rechts im Bild), das im 13. und 14. Jh. bis zur Mordnacht in Zürich das Wohnhaus der Ritter Wisso war, bis 1218 vermutlich auch der Herzöge von Zähringen, und in dem der Sage nach Kaiser Karl gewohnt hat.





                                                                                              Das Großmünster ist ursprünglich eine Grabkirche gewesen und wurde die Mutterkirche der Reformation Ulrich Zwinglis, der die evangelisch-reformierte Kirche begründete. Der zweite Zweig der evangelisch-reformierten Kirche wurde nach seinem Tod von dem Genfer Johannes Calvin begründet. Der Baubeginn des Münsters war 1100. Es ist die Kirche mit den zwei großen Türmen, die vorhin schon einmal auf einem Bild war und die sich am besten aus der Ferne fotografieren lässt. Daher das Bild der drei Türme noch einmal.





                                                                                              Das Großmünster ist weitläufig und – wie bei den Reformierten üblich - schmucklos eingerichtet. Nur der Altar ist mit drei bunten Kirchenfenstern ausgestattet und in einer Nische sehe ich sogar ein Bild. Aber ansonsten ist die Innenausstattung karg und funktionell. Ich denke an die italienische Leichtigkeit und die erhabene Kunst, die einem das Gefühl gab, dass Gott größer sei, als alles auf Erden. Hier ist davon nichts zu spüren.

                                                                                              Auf dem Platz steht eine Gruppe Amerikaner und lauscht gerade einer Führung. Einem Mann ist mein Roller wichtiger, und er spricht mich an. Ich erfahre, dass die Amish People Roller herstellen, weil sie kein Fahrrad fahren dürfen. Interessiert betrachtet er meinen Roller und fragt: „Kann der auch bergauf fahren?“ Ich kontere: „ Der Roller schon. Das Problem bin ich“. Er guckt verdutzt, und seine Frau, die dabei steht, lacht herzlich.

                                                                                              Lässig rollere ich weiter und komme in einen sehr schönen Teil Zürichs. Welche Straßen das im Einzelnen sind, weiß ich nicht. Nicht alle Gassen kann ich zuordnen. Weiter fotografiere ich Schilder. Lange bleibe ich in der Münstergasse vor dem Geschäft Schwarzenbach Kaffeerösterei und Colonialwaren Eier, gegründet 1864 stehen. Die Gestaltung der Schriften, die Innenausstattung und die Warenpräsentation sind einfach wunderbar. Steil geht rechts die Spiegelgasse bergauf. Das cabaret voltaire seit 1916 verkündet mit einem Schild, dass im Jahre 2002 „der Dadaismus für kurze Zeit wiederbelebt wurde. R.I.P.“





                                                                                              Außerordentlich gefällt mir der kackende Hund, den jemand an eine Wand gemalt hat. Da muss auch mein Roller mit auf´s Bild.





                                                                                              Im Haus zur Sichel verlebte Gottfried Keller seine Jugendzeit von 1821-1848. Gottfried Keller (1819-1890) war ein Züricher Dichter und Politiker und ist auch in Deutschland bekannt. Seine bekanntesten Werke sind „Der grüne Heinrich“ und „Die Leute von Seldwyla“. Als ich das Haus hochschaue, sehe ich, dass die Überhänge der Dächer bemalt sind. Das findet sich noch öfter, aber warum das so ist, weiß ich nicht.
                                                                                              Die "Oepfelchammer" weist links neben ihrem Schriftzug ein Bild von Hans Waldmann (1435-1489) auf, der erst Zunftmeister und dann Bürgermeister von Zürich war. 1848 wurde er hingerichtet. Diese Stelle ist nicht die einzige Erinnerung, die sich an Hans Waldmann findet, von dem ich ehrlich gesagt noch nie etwas gehört habe. Auf der rechten Seite des Schriftzuges ist ein Portrait von Gottfried Keller aufgemalt. Bei der "Oepfelchammer" handelt es sich übrigens um die älteste Weinstube Zürichs.





                                                                                              "Zum Gießfass".





                                                                                              Und später an der Ecke die "Alte Burg". Laut der angebrachten Tafel ist es ein mittelalteriches Wohnhaus mit einem für die Züricher Altstadt typischem Halbgiebel. Die ältesten Bestandteile sind aus dem 13. Jahrhundert. So recht weiß ich allerdings nicht, wie ich es fotografieren soll. Wie die Häuser zuvor steht es am Rindermarkt.





                                                                                              Ich rollere weiter. Das Haus zum Rech. Hier wohnten mehrere Bürgermeister.





                                                                                              Wieder Schilder und die zweite Hälfte der Spiegelgasse. Das Haus zum Steinberg. Ein Schuh über „Zur Schuhmachern“. Die Zunft Höttingen wurde 1897 gegründet. Das Haus des Deutschen Arbeiterbildungsvereins Eintracht 1888, 1911 Gewerkschaftshaus Eintracht. Das Haus „Zum Tannenberg.“ Und das Haus „Zum Adler Berg 1608“. Nicht im Bild ist das Haus, in dem Konrad Grebel gewohnt hat, der zusammen mit Felix Manz die Täuferbewegung begründete, die später von den Reformierten auch gewaltsam verfolgt wurde.





                                                                                              Quartiersbriefkasten: „Nächste Leerung bei Leermond nur für Quartiersanliegen.“ Ein Haus, in dem Hans Roelli wohnte, „Lyriker, Liedschöpfer und Dichter zur Laute: Alle Rosen sie blühen am Wege rot...“ Das Friseurhandwerk. Ein Schwarzafrikaner in klischeehafter Darstellung. Das Haus „Zur Blauen Lilie“. Leider ist der Schriftzug schlecht erkennbar. Die Tür steht auf.










                                                                                              Und immer noch finde ich Fotomotive, obwohl ich langsam ermatte.







                                                                                              Auch das Geburtshaus von Gottfried Keller entgeht mir nicht. Weitere Schilder. Dann biege ich in eine kleine Gasse ein.





                                                                                              Vor mir ist nun die Predigerkirche. Sie war laut Schautafel ursprünglich eine Dominikaner- oder Predigerkirche eines Klosters und wurde dann eine refomierte Kirche. 1611 erhielt sie ihre Innenausstattung. In der Kirche ist fotografieren nicht erlaubt, so dass ich keine Fotos der Innenausstattung zeigen kann. Sie ist nicht ganz schmucklos, sondern an den Seiten mit Stuck verzeiert. Das Gewölbe zeigt runde und viereckige Stuckelemente, in deren Mittel Rosetten angebracht sind. Der Hintergrund des Altarraumes weist einen Stuckschmuck in Form eines Gebäudes mit einem Torbogen auf. Der Altar selbst ist schlicht und besteht aus einem Tisch. Daneben an der Wand aus Holz die Kanzel. Klick.

                                                                                              Ich setze mich in eine der langen Kirchenbänke und lasse die Kirche auf mich wirken. Vor meinem geistigen Auge taucht eine frierende, verhärmte Mutter mit ihren hungernden Kindern auf und ich stelle mir vor, wie diese Kirche auf sie gewirkt haben muss. Groß, mächtig und doch so kalt. Allgegenwärtig der strafende Gott des Alten Testamentes, und aus dem Alten Testament leitet sich auch das Bilderverbot ab. Wie muss sie sich gefühlt haben, wenn der Pastor mit protestantischer Strenge von Moral sprach? Über dem Altar steht „Du soll Gott dinen Herren lieben von gantzem dinem hertzen und von gantzer diner seel und von gantzen dinem gemüt und den nächsten als dich selbs“. Hat diese Kirche wirklich Trost spenden können und die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf den Beistand Gottes nähren können? Oder ging man in diese Kirche, um seine Pflicht zu tun? Um zu erreichen, dass es nicht noch schlimmer kommt?
                                                                                              Mich fröstelt und ich fühle das Bedürfnis, diesen Ort zu verlassen.





                                                                                              Ich befreie meinen Roller von seinem Schloss und gehe Richtung Bahnhof. An der Hauptstraße befindet sich ein McDonalds und es interessiert mich, was in Zürich ein Big Mac kostet. Bei meinem Gang durch die Innenstadt war ich an den verlockensten Schildern vorbei gekommen, auf denen die verlockensten Speisen standen. Das durchschnittliche Preisfenster befand sich zwischen 26 Franken (21 Euro) und 32 Franken (26 Euro). Das kam mir viel vor. Mal sehen, wie die Preise bei McDonalds sind. Der Hamburger kostet 2,50 Franken. Das sind 2,03 Euro (Wechselkurs von heute). Bei uns kostet er 1,00 Euro. Der BigMac kostet 6,50 Franken (5,27 Euro). Bei uns kostet er 3,59 Euro (derzeit 2,99 Euro). Funktioniert der BigMac-Index nun oder nicht?





                                                                                              Es ist kurz vor 12.00 Uhr und ich merke, dass ich unzufrieden bin. Das ist mir einfach zu wenig Outdoor. In den italienischen Städten (bis auf Venedig) war das Outdoorgefühl erheblich größer, weil die Bebauung weitläufiger war, Parks die Stadt aufgelockert hatten oder auf den Piazzas viel zu sehen war. Ob man nun den ganzen Tag auf einer staubigen Landstraße radelt, die immer wieder durch Dörfer führt oder in einer Stadt mit Parks und Plätzen herumrollert, ist nicht so der Unterschied. Hier dagegen ist alles eng und zugebaut, und ich merke, dass mich das herunterzieht. Einen Tag habe ich auf meinem Interrailticket noch zur Verfügung, und ich beschließe, zum Bahnhof zu rollern, um mein Ticket vollständig aus zu nutzen.
                                                                                              Ich setze mich in Bewegung und glaube, ich sehe nicht richtig: Ich werde von einem Kontrabass überholt. Ich meine zumindest, dass es ein Kontrabass ist, ich kann die Größe von Streichinstrumenten immer schlecht einschätzen. Der Kontrabass ist natürlich nicht alleine. Er wird von einer zierlichen Frau geschoben. Mein Hirn sagt „Foto“ und ich gebe Gas. Dieser Moment war einer der frustrierendsten Momente dieses Urlaubs, denn ich trete und trete und komme nicht vom Fleck. Sie ist unglaublich schnell, und ich habe nicht den Hauch einer Chance, sie einholen zu können. Als sie weit vor mir über die grüne Ampel rennt, mache ich ein Foto aus der Entfernung, das ich hier natürlich entsprechend vergrößert habe. Ich fühle mich alt.

                                                                                              Als ich den Bahnhof betrete, fällt mir auf, dass der Bahnhof wie eine Kathedrale wirkt. Er wurde 1871 gebaut und ist einer der meistfrequentierten Bahnhöfe der Welt. Pro Tag fahren hier fast 3000 Züge ab. Auf der breiten Glasfront am Ende der Halle sind Vögel angebracht. Außerdem ein Hirsch. Als ich unter dem Glasfenster hindurchgehe, sehe ich auch noch einen Seehund. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, ob man ihn nur aus einem bestimmten Winkel heraus sehen kann, oder ob ich Halluzinationen hatte.





                                                                                              Ich schaue auf die Anzeigetafel und der nächste der für mich in Frage kommenden Züge fährt nach Biel/Bienne. Gut. Dann eben Biel. In einer Stunde werde ich dort sein.
                                                                                              Zuletzt geändert von Torres; 14.10.2013, 11:34.
                                                                                              Oha.
                                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                              Kommentar


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                                                                                                Gerne im Forum
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                                                                                                • 57


                                                                                                #48
                                                                                                AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                                Das erinnert mich: "Irgendwann mußt du nach Biel" - ein Laufbuch aus den 70-ern; war schon ein bißchen Kult.....

                                                                                                Kommentar


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                                                                                                  Freak

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                                                                                                  • 31757
                                                                                                  • Privat


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                                                                                                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                                  Zitat von schneehuhn Beitrag anzeigen
                                                                                                  Das erinnert mich: "Irgendwann mußt du nach Biel" - ein Laufbuch aus den 70-ern; war schon ein bißchen Kult.....
                                                                                                  Habe das Buch gerade mal recherchiert. Klick. Davon habe ich heute das erste Mal gehört, klingt aber interessant.
                                                                                                  Oha.
                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                    Gerne im Forum
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                                                                                                    • 57


                                                                                                    #50
                                                                                                    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                                    ein schöner Link! Mir war die Strecke allerdins immer zu lang - Marathon reichte mir. Vielleicht hat man ja doch Manches versäumt...

                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                      Biel / Bienne


                                                                                                      In Biel ist es nicht nur wärmer, sondern es scheint strahlend die Sonne. Biel liegt in der französischen Schweiz und das merkt man sofort. Ein anderes Flair, ein anderer Fahrstil, französische Werbetafeln und Restaurants. Die Zweisprachigkeit ist hier gesetzlich verankert. Plakate weisen auf das „Festival du film francais d´helvétie“ hin, das vom 18.-22. Septembre 2013 stattfindet. Ich frage eine Bahnmitarbeiterin nach der Altstadt, von der ich gehört habe, und sie beschreibt mir den Weg. Blöderweise frage ich nicht nach einem Stadtplan. Aber ich will mich hier ja nicht lange aufhalten.

                                                                                                      Der Baustil und die Straßen sind völlig anders. Großzügig. Breite Straßen. Altbau. Eine schöne Stadt. Nach der engen Innenstadt Zürichs mit seinen kleinen schmalen Häusern eine Wohltat. Einen Fluss scheint es auch zu geben.





                                                                                                      Kurze Zeit später bin ich in der Altstadt.





                                                                                                      Die Altstadt erinnert wieder an Zürich. Klein und eng. Kaum Menschen. Ich rollere am Stadttheater vorbei, vor dem noch die Tische und Bänke einer Veranstaltung stehen. Am Ende des Platzes steht eine Statue und nicht weit davon eine zweite. Wie üblich lasse ich mich treiben und entdecke erneut die schön gestalteten Schilder, die sich auch in Zürich fanden. Ein Mann steht am Fenster und beobachtet, wie ich Fotos mache. Am Ausgang der Altstadt entdecke ich oben am Hügel ein Schild "Rolex". Inzwischen weiß ich, dass in Biel / Bienne die Uhrenmanufaktur von Rolex angesiedelt ist.











                                                                                                      Groß ist die Altstadt wirklich nicht und nach kurzer Zeit bin ich wieder am Anfang angekommen. Und nun? Ich mag keine Häuser mehr sehen. Vielleicht sollte ich mich an dem Kanal – oder ist es ein Fluss? - auf eine Bank setzen?

                                                                                                      Als ich die Hauptstraße queren will, sehe ich ein weiteres schönes Gebäude. Das kann ich mir ja schnell noch anschauen, entscheide ich. Es entpuppt sich als Standesamt. Eine Hochzeitsgesellschaft steht davor, und Braut und Bräutigam küssen sich für die Fotografen und Angehörigen. Es herrscht eine fröhliche Stimmung. Durch die Bäume erkenne ich einen Kirchturm und rollere etwas weiter, um die Kirche zu fotografieren. Schöne Häuser stehen oben am Hang und es sieht so aus, als wäre Biel ein zwar kleiner, aber durchaus wohlhabender Ort.
                                                                                                      Ein zugewachsener Altbau gerät in mein Blickfeld und in der Garage erblicke ich einen restaurierten gelb-grünen 2CV. Die Farbe habe ich noch nie gesehen, aber die Form ist unverkennbar. Ein modernes Gebäude – oder doch der Altbau daneben? - scheint ein Museum zu sein. Leider endet der Bürgersteig kurz darauf, und ich überlege, ob ich so leichtsinnig sein soll, auf der von Bäumen eingefassten Landstraße weiter zu fahren, um eine kleine Ausflugstour zu machen. Bestimmt gibt es hier irgendwo Wanderwege (ja, gibt es, wie ich mittlerweile weiß und sie sind gar nicht weit entfernt). Aber die Befürchtung, mich zu überschätzen, ist zu groß. Man muss sich am letzten Tag des Urlaubes nicht noch ins Krankenhaus schießen. Hätte ich einen Stadtplan....

                                                                                                      Noch ein sehnsuchtsvoller Blick auf die Bäume, und ich wende. Auf der anderen Straßenseite steht ein rosafarbenes Gebäude, und ich beschließe, die Straßenseite zu wechseln, um zu erkunden, was es damit auf sich hat. Es ist das Museum Biel.





                                                                                                      Und ich sehe, dass hinter dem Museum eine Allee beginnt. Auf einem Schild steht „Seevorstadt / Faubourg du Lac“. Ich bin elektrisiert. Biel hat einen See? Ich horche in mich hinein. Ja, ich bin mir sicher. Der Fluss, die Atmosphäre: Biel hat garantiert einen See. Es kommt mir fast so vor, als könne ich ihn riechen. Aber ob er in der Nähe ist? Ich kann vorweg nehmen: Biel hat einen See. Berichten von Freunden zufolge ist es sogar ein wunderschöner See. Ich finde ihn nur nicht. Hatte ich schon erwähnt, dass das Navi im Hostel liegt?





                                                                                                      Die Allee sieht einladend aus und ich beschließe, noch ein paar Meter zu rollern. Und atme tief durch. Schön ist es hier. Natur. Bäume. Der Fluss. Spaziergänger sind unterwegs. Die Sonne scheint. Es könnte Italien sein.
                                                                                                      Auf der anderen Seite des Kanals befinden sich liebevoll renovierte Häuser und Villen. In einem verwunschen wirkenden Garten picken Fasane. Laub bedeckt den Boden und man merkt, dass es Herbst geworden ist. Immer noch sind 26 Grad Lufttemperatur, aber der Sommer ist vorbei.





                                                                                                      Ein paar Schüler kommen auf mich zu und ich mache mich bereit, sie zu fragen, ob hier in der Nähe ein See ist. Da haut der eine Junge dem anderen den Ranzen in den Rücken und der betroffene Junge schreit vor Schmerzen und ist kurz davor, zu weinen. Ein Mädchen tröstet und die anderen schimpfen den Täter aus: Die Gruppe ist anderweitig beschäftigt.

                                                                                                      Kurz darauf stehe ich vor einem Eisenbahndamm. Pech. Kein See. Schön ist es dennoch hier. Still und kein Verkehr. Dann sehe ich durch Zufall eine Unterführung. Vielleicht geht es hier doch zum See? Ich fahre hindurch und nach einem kurzen Stück erscheint eine starkbefahrene Straße. Ich bin ratlos. Menschen, die ich fragen kann, sehe ich keine. Infotafeln auch nicht. Heute weiß ich: Ich bin den Quai du Bas entlang gerollert, vor mir liegt die Ländtestraße, und wenn ich die Straße einfach überquert hätte, wäre ich nach allerhöchstens 5 Minunten: An den Bieler See gekommen. Aber man kann nicht immer Glück haben.

                                                                                                      Wieso ich auf dem Sandweg mit den Pollern lande, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht liegt es an dem Schild, aber zu meiner Enttäuschung zeigt es nicht den Weg zum See, sondern eine Seilbahn an. Einen kurzen Moment überlege ich, mich hier in die Sonne zu setzen. Es ist schön hier. Es blüht und grünt, und ein Apfelbaum steht im Gebüsch. Ich schaue auf die Uhr, entscheide mich aber, zurück zu rollern. Ich kann nicht einschätzen, wie lange ich hierher gebraucht habe.
                                                                                                      Plötzlich höre ich Geräusche, die mir bekannt vorkommen. Rollkoffer. Es sind Soldaten in Uniform, die ihre Rucksäcke auf Rollen hinter sich her ziehen. „Die Jungs wollen zum Bahnhof“, kombiniere ich scharf. Vielleicht gibt es eine Abkürzung? Ich nehme die Verfolgung auf. Der jüngste Soldat hat am meisten Gepäck dabei und ist mit dem Transport hoffnungslos überfordert. Der Routinierteste hat dagegen nur die Hälfte mit und treibt die anderen zur Eile an. Ich muss lächeln. Haben wir nicht alle mal so angefangen?

                                                                                                      Drei Minuten später ahne ich, wo ich bin und zwei Minuten später bin ich am Bahnhof. Anscheinend bin ich eine Art Halbkreis gefahren. Es ist fast 15.00 Uhr und es ist Freitag. Der Wochenendreiseverkehr wird bald einsetzen. Ich setzte mich kurz auf eine der Bänke vor dem Bahnhof und blinzele in die Sonne. Und nun? Den See suchen, falls es einen gibt? Nein. Ich bin müde. Zürich hat auch einen See. Vielleicht habe ich Glück, und ich kann die Sonne mitnehmen. Aber Biel hat mir gut gefallen. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, werde ich wieder kommen.


                                                                                                      Zuletzt geändert von Torres; 15.10.2013, 08:32.
                                                                                                      Oha.
                                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                        Zürich, 2. Teil

                                                                                                        Um 15.15 Uhr fährt der nächste Zug nach Zürich, und er ist tatsächlicher erheblich voller als der Zug auf der Hinreise. In Solothurn werden noch einmal viele Menschen einsteigen, und die Sitzplätze sind ab da alle belegt. Mein Roller befindet sich zusammengeklappt zwischen meinen Beinen. Eine Frau, die mir gegenübersitzt, hat antiquarisch ein Buch über „Sophia Loren“ erworben und betrachtet es vorsichtig. Ich frage sie nach dem Film „Es begann in Neapel“. Diesen Film hatte der Neapolitaner auf der Zugfahrt nach Rom nicht gekannt, und auch sie findet den Titel nicht in dem Buch. Die Handlung war tatsächlich nicht beeindruckend, die Landschaftsaufnahmen des Fischerdorfes waren mir aber in Erinnerung geblieben. Es gibt den Film. Ich erfahre, dass Sophia Loren in Rom geboren wurde und in einem armen Vorort Neapels aufgewachsen ist. Heute wohnt sie am Genfer See. Die Frau blättert in dem Buch und mein Auge fällt auf ein Zitat: „Die beiden größten Vorteile in meinem Leben waren, mit Verstand geboren zu werden und arm geboren zu werden.“ Sophia Loren und ihre Zitate...

                                                                                                        Die Landschaft erstrahlt im Sonnenlicht. Auf der linken Seite grenzen die Felder an Hügel, rechts ist es dagegen flach. Die Innenstadt von Solothurn sieht hübsch aus. Eine Burg steht eindrucksvoll am Hang. Bei Olten sehe ich einen Kühlturm, und ich überlege, ob hier ein Atomkraftwerk steht. In der Tat. Es ist das Kernkraftwerk Gösgen – Däniken. Auch die Schweiz hat übrigens unter dem Eindruck von Fukushima einen Atomausstieg beschlossen, der spätestens in 50 Jahren vollzogen sein soll.









                                                                                                        Als ich am Züricher Hauptbahnhof ankomme, traue ich meinen Augen nicht. Es ist voll. Richtig voll. Auf den Bahnsteigen drängeln sich die Menschen, und ich muss aufpassen, nicht mit Rollkoffern zusammen zu stoßen. Wie gut, dass ich so früh gefahren bin. Ich nehme den nächsten Ausgang (es ist der Haupteingang), widerstehe tapfer der Versuchung, mir in der verlockende Auslagen präsentierenden Confiserie Sprüngli (gegründet 1836 in der Marktgasse in Zürich, Sitz in Zürich) Schokolade zu kaufen, folge den Menschenmassen über eine Ampel und befinde mich in einer mondänen Einkaufsstraße, der Bahnhofstraße. An der Ecke das repräsentative Hotel Schweizerhof. Die Bahnhofstraße ist eine Fußgängerzone, in deren Mitte Straßenbahnen fahren, und ich frage mich, woher die vielen Menschen, welche die Bahnhofstraße entlang schlendern oder eilen, das Geld haben, hier einkaufen zu gehen. Später sehe ich, dass die Bahnhofstraße bis zum See geht und vor allem genutzt wird, um zum Bahnhof zu kommen.
                                                                                                        Ich lasse mich kurz in der Masse treiben, biege dann aber links ab. Das hier ist nicht meine Welt. So richtig komme ich in der Nebenstraße aber nicht weiter und wende mich der Straße an der Limmat zu, dem Bahhnhofquai. Hinter der Brücke steht ein mit Landszenen bemaltes Gebäude, in dem ein Geschäft mit der Bezeichnung „Schweizer Heimatwerk“ untergebracht ist. Hier erhält man Schweizer Messer und Souvernirs. Ich entdecke, dass man neben dem Gebäude direkt an der Limmat entlang gehen kann. Es ist ein Weg nur für Fußgänger. Mit einem Klapproller natürlich kein Problem.

                                                                                                        Der kleine Weg gefällt mir. Schwäne und Enten haben neben der Brücke einen kleinen eigenen Bereich und auf der anderen Seite der Limmat steht erhaben das Großmünster. Der Weg geht in eine kleine kopfsteinbepflasterte Straße über, und ich bemerke, dass dass rechts oben Menschen auf einer Mauer sitzen. Vielleicht führt der Weg dort hin?














                                                                                                        Steil geht es nun bergan. Vor einem Stein stehen zwei gebildete alte Männer und der eine von ihnen erklärt dem anderen auf französisch die Geschichte Zürichs und die Bedeutung des Steines. Unauffällig lausche ich seinen Ausführungen, aber leider verstehe ich nicht alles. Es handelt sich bei dem Stein um den „Grabstein des Lucius Aelius Urbicus um 200 n.Chr., auf dem erstmals der römische Name von Zürich, nämlich sta(tionis) Turicen(sis) genannt wird.“ Der Stein ist eine Kopie. Kurz darauf bin ich auf einem schattigen Platz angelangt und vor mir ist die Mauer, von der aus man einen Blick auf die andere Seite der Limmat hat und in der Ferne sogar die Berge sehen kann. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes sind Schachspieler in ihr Spiel vertieft. Schön ist es hier oben. Friedlich.

















                                                                                                        Nur langsam quere ich den Platz und kann mich von den Eindrücken nicht so richtig losreissen. Als ich gehe, wähle ich nicht den Aufgang, sondern die Treppe auf der gegenüberliegenden Seite. An ihrem Fuß biege ich links ab und gerate in eine Einkaufsstraße.






                                                                                                        Enge ist ein Züricher Quartier (Stadtteil). Die Sukkulentensammlung liegt zum Beispiel in Enge. Wo das Quartier Enge genau beginnt, weiß ich allerdings nicht.
                                                                                                        Ich habe Hunger bekommen und setze mich auf eine Bank. Ich esse etwas Brot mit Käse und schaue den Menschen zu. 22 Franken habe ich in der Tasche, das Wechselgeld von gestern, als ich mit Euro bezahlt hatte. Ich studiere den Victorinox Aufsteller vor der Tür eines Souvenirladens, und es ist wohl Schicksal, dass ausgerechnet das Taschenmesser, das zu dieser Tour passt, genau 22 Franken kostet: Das Modell „Camper“. Mit Säge. Für den Survivaleinsatz als Ergänzung zur Axt. Perfekt. In blendender Laune betrete ich mit dem zusammengeklappten Roller in der Hand das Geschäft. Die Verkäuferin schaut entsetzt auf den Roller, aber als ich mich entschuldige und sofort sage, was ich will, läuft sie los. „Mit Säge?“, fragt sie noch einmal sicherheitshalber. „Ja“. Klar mit Säge. Was soll ich mit dieser winzigen Schere, die mochte ich schon als Kind nicht leiden.





                                                                                                        Ich laufe weiter. Die Geschäfte sind mit Fahnen des Filmfestivals Zürich beflaggt. Ich passiere die St. Peter Kirche. Ein Schild erinnert an den reformierten Pfarrer, Philosph und Schriftsteller Johann Caspar Lavater. Die Robert-Walser-Gasse und eine reich verzierte Weinstube. Wieder geht es eine Treppe herunter. Und wieder fotografiere ich die reichverzierten Geschäftsschilder. Bunt dazwischen das Schild eines Chinarestaurants.








                                                                                                        Ich laufe an dem Haus „Neuhaus“ vorbei und bewundere das Arrangement der Schuhe in dem Geschäft. Die Warenpräsentation wirkt exklusiv und luxuriös. Das Haus "Schirmfabrik" und das Restaurant „Zunfthaus zur Waag“. „Café und Restaurant Orsini“. Das Hirschsymbol des „Münsterhofes“. Und eine unbekannte Heuschrecke. Dann befinde ich mich plötzlich wieder an der Bahnhofstraße und stehe vor „Tiffany“. Audrey Hepburn. Die Realität sieht teurer aus.








                                                                                                        Ich gehe in Richtung Limmat und sehe, dass der Züricher See nicht weit ist. Das Wochenende wird eingeläutet.








                                                                                                        Es ist 18.00 Uhr und die Stadt reizt mich nicht mehr. Langsam könnte ich zum Hostel rollern. Ich begebe mich in die bereits bekannte Parkanlage am See, und wieder entdecke ich neue Dinge auf dem Weg. „Vaterland nur Dir“, steht auf einem Stein. Ein Gedenkstein für Dr. Arnold Bürkli (1833-1894), Quai-Ingenieur. Nach ihm ist also der Bürkli Platz benannt. Eine Springbrunnenanlage. Ein paar Männer bemalen ein Boot.





                                                                                                        Längere Zeit schaue ich ihnen zu. Ich habe noch keine so richtige Lust, zum Hostel zu rollern. 3 Wochen war ich jetzt unterwegs, und sie kamen mir viel länger vor. So viele Eindrücke. So viele Erlebnisse. Und doch ist alles anders. Normalerweise wäre ich jetzt körperlich erschöpft und würde mich auf zu Hause freuen, doch dieses Mal kommt es mir vor, als müsse mein Urlaub erst beginnen. Als müsse ich jetzt mein Zelt holen und losfahren. Auf Tour gehen. Den Züricher See entlang rollern. Outdoor. Ohne Ziel. Einfach fahren, bis ich müde bin. Mein Zelt aufbauen und den nächsten Tag weiter. Muskeln in den Oberschenkeln habe ich zwar auf dieser Tour auch aufgebaut, aber es fehlt das Gefühl, eine Strecke bewältigt zu haben. Eine körperliche Herausforderung gemeistert zu haben. Landschaften kennen gelernt zu haben. Vorgehabt hatte ich das ursprünglich. Ich wollte von den Städten aus die Umgebung erkunden und nach Naturschutzgebieten Ausschau halten. Aber es hatte sich nicht ergeben.


                                                                                                        Um Zeit zu schinden, fotografiere ich die Sukkulentensammlung durch den Zaun und schaue noch einmal extra, ob ich bei den Männern mit dem Boot am See weiter komme. Dabei weiß ich die Antwort schon. Hier ist der Radweg am Wasser definitiv zu Ende. Ich rollere Richtung Straße und biege auf den Radweg an der vielbefahrenen Straße ein, den ich gestern schon gerollert war. Unübersehbar ist die Baustelle von gestern nun der Ort des Events, von dem Schweden gestern geredet hatte. Ein Bagger schüttet eine Rampe auf.





                                                                                                        Ich schaue ein wenig den Vorbereitungen zu, und dann bin ich auch schon am Bahnhof Wollishofen. Hier ist die Unterführung, und wenn ich sie nähme, wäre ich nach wenigen Minuten am Hostel. Die Sonne scheint, und ich beäuge die Unterführung, aber so richtig habe ich keine Lust. Wo ist eigentlich der Campingplatz? Ich könnte ja mal schauen, ob ich etwas verpasst habe, und wie weit er weg ist.

                                                                                                        Kurze Zeit später befinde ich mich an einem Steg. Es ist der Schiffsanleger Wollishofen.





                                                                                                        Die Sonne taucht Zürich in freundliches Licht. Der See liegt still und verlockend vor mir. Jetzt hätte ich gerne mein Kajak dabei. Die Stille und das leise Glucksen des Wasser.





                                                                                                        Ich rollere auf einem Weg am See entlang. An den Begrenzungswänden befinden sich bunte Graffitis. Ein wenig unheimlich ist die Anlage schon. Ein Industriegebiet? Der Sprungturm eines Schwimmbades? Ich weiß es nicht.
                                                                                                        In einer Kurve stehen ein Junge und seine Großmutter und angeln. Eine kleine Maus läuft ein paar Meter weiter über den Weg, und als der Junge meinen Fotoapparat sieht, sagt er in Mundart ganz aufgeregt: „Da ist eine Maus. Die musst Du fotografieren“. Das tue ich und zeige ihm die Maus vergrößert auf dem Display. Er ist schwer beeindruckt.








                                                                                                        Der von Bäumen überdeckte Weg wirkt nun verwunsche,n und bedauerlicherweise endet er nach kurzer Zeit. Ich befinde mich nun an einem Platz unter Bäumen. Ein paar Leute sitzen an den Tischen eines Lokals.





                                                                                                        Am See komme ich nun nicht weiter und biege rechts ab. Hier steht der Fabrikschornstein, den ich schon von Ferne gesehen hatte. Es ist die „Rote Fabrik“, die heute als Kulturzentrum genutzt wird.





                                                                                                        Ich muss nun ein längeres Stück auf dem Bürgersteig an der Straße entlangfahren, und ich merke, dass meine Beine langsam müde werde. Es geht leicht bergauf. Wieder zeigt sich eine Möglichkeit, ans Wasser zu kommen, und wieder sehe ich Zürich in der Ferne liegen.





                                                                                                        Der Campingplatz ist immer noch nicht zu sehen. Und nun? Ich beschließe, zum Hostel zu fahren, denn am Wasser komme ich anscheinend nicht mehr weiter, und mein Fuß ziept unangenehm. Ein Mann mit einem Golden Retriever betritt den Anleger, und ich schätze ihn als Anwohner ein. Der Weg zum Campingplatz? Er war zu Fuß noch nie dort, aber er schätzt, dass es höchstens zehn Minuten sind. Hhhm. Zehn Minuten zu Fuß oder zehn Minuten mit dem Roller?, frage ich mich. Egal. Das wird jetzt auch noch zu schaffen sein.

                                                                                                        Ich rollere über den Parkplatz – ich glaube, hier war ein Segelclub – und dann wieder zur Straße. Es geht erneut leicht bergauf. Als ich merke, dass mein Fuß immer mehr schmerzt, und ich überlege, aufzugeben, bin ich unerwartet am Ziel. Der Platz sieht schön aus, und ich sehe, dass Zelter eine Wiese am See nutzen können. Der Platz direkt am See kostet im Sommer für eine Person mit normalem Trekkingzelt 31 Franken. Eine andere Zeltwiese ist 4 Franken günstiger. Auto oder Hund kosten extra. Die Tipis, die dort stehen, scheinen die Miettipis zu sein. Wenn ich mich richtig erinnere, stand nur ein 3 Personenzelt auf der Wiese, weitere Zelte sehe ich nicht. Wassersportler, d.h. Surfer, kümmern sich um ihre Ausrüstung, und ich überlege, wie viele Gäste hier wohl morgen auf dem Freestyle-Event starten werden. Die Wohnmobile stehen auf jeden Fall dicht an dicht.
                                                                                                        Ein Holzhaus steht am See, und es riecht verlockend nach Essen. Mein Magen knurrt. Es ist das Restaurant Fischer´s Fritz. Ein Angestellter begrüßt die Gäste, und ich wage nicht, die Preise auf der Speisekarte zu erfragen. Vielleicht ein Fehler. Der Fisch stammt zu großen Teilen aus dem Zürichsee und wird am Vorabend frisch gefischt. Zugegeben, ein attraktiver Platz in toller Lage. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich zwei Tage nach Verona hier wirklich wohl gefühlt hätte. Zu viele Menschen hier. Zu viele Wohnmobile. Heute abend hätte das vielleicht schon anders ausgesehen, aber gestern war nicht heute abend. Ein Foto von der Zeltwiese mache ich übrigens nicht, denn der Aufenthalt auf dem Gelände ist ja nur Gästen gestattet.





                                                                                                        Ich rollere nun wieder auf dem Bürgersteig zurück und merke, dass mein Fuß seine Belastungsgrenze erreicht hat. Mit Umwegen ist jetzt Schluss. War ja auch ein langer Tag. Wie viele Kilometer bin ich heute gerollert? 20 km könnten das schon gewesen sein. Nein. Ich muss mir keine Gedanken machen. Diese Reise war so, wie sie war. Mehr war körperlich nicht möglich, und ich habe das beste daraus gemacht. Alle diese Eindrücke – ich möchte sie nicht missen. Bäume, Wiesen, Felder oder Flüsse sind schön. Aber es ist ebenso schön, mal an Plätzen gewesen zu sein, die Weltgeschichte geschrieben haben.

                                                                                                        An der nächsten Kreuzung sehe ich ein Schild, das zur Jugendherberge weist. So weit ist der Campingplatz gar nicht von der Jugendherberge entfernt, wenn man nicht am See entlang fährt. Es wäre gestern zu schaffen gewesen. An der Ecke steht ein Brunnen, und ich fülle meine Flasche auf.





                                                                                                        Wieder geht es eine Wohn- und Geschäftsstraße bergauf, und ich wandere langsam, weil ich nicht mehr richtig auftreten kann. Dafür kann ich nun in Ruhe die letzten Momente dieses Tages genießen. Menschen sind kaum unterwegs. Kurz vor dem Hostel sehe ich eine Familie, die ein riesiges UfO in ihren Kleinwagen zu pressen versucht. Erst denke ich, es sei ein überdimensionales Wurfzelt, aber es entpuppt sich als 50er Jahre Sofa. Und dann stehe ich auch schon vor der Jugendherberge. Wieder muss ich über die Farbe schmunzeln.





                                                                                                        Ich gehe auf mein Zimmer und notiere mir endlich, was ich dabei hatte.


                                                                                                        Packliste:

                                                                                                        Transportrucksack

                                                                                                        Hauptfach:
                                                                                                        Zelt Dragonfly XT (2 kg)
                                                                                                        Footprint (=Tarp)
                                                                                                        Heringe
                                                                                                        NeoAir
                                                                                                        hauchdünne Evazote
                                                                                                        WM Caribou
                                                                                                        MSR Reactor inkl. mittlerer Kartusche
                                                                                                        Seideninlett
                                                                                                        Küche (Ersatzmesser, Spork, Salz, Brühwürfel, Nähgarn, Nadeln, Holzlöffel)
                                                                                                        Plastiktüte fürs nasse Zelt
                                                                                                        Ersatz T-Shirt
                                                                                                        Ersatz-Hemd
                                                                                                        Dünne Daunenjacke
                                                                                                        Rucksackhülle für den Roller

                                                                                                        Große Fronttasche:
                                                                                                        Kursbuch Interrail
                                                                                                        Karte Europa, Schweiz/Italien und Kroatien (). Später sammeln sich ein paar Stadtplanblätter an, 6 Postkarten und 4 Vatikanbriefmarken.

                                                                                                        Kleine Fronttasche
                                                                                                        Expander
                                                                                                        Kleines Multitool
                                                                                                        Luftpumpe
                                                                                                        Flickzeug


                                                                                                        Tagesrucksack (25l)

                                                                                                        Schlafshirt
                                                                                                        Kappe
                                                                                                        Kulturbeutel inkl. 2 Ersatzsocken, 2 Unterhosen, Zahnpasta, Zahnbürste, Reisehaarbürste, Duschzeug und Shampoo (je 50 ml), Microfaserhandtuch
                                                                                                        Hausschuhe
                                                                                                        Shorts
                                                                                                        Stirnlampe
                                                                                                        Klappteller
                                                                                                        Klappbecher
                                                                                                        Opinel und Spork
                                                                                                        Eletronikkram (Ladegeräte, Batterien)
                                                                                                        Navi
                                                                                                        kleines Schrankschloss
                                                                                                        E-Book-Reader
                                                                                                        Etwas Brot und Käse für den nächsten Tag
                                                                                                        Abus Kettenschloss (2 kg)
                                                                                                        1,5 Liter Wasser


                                                                                                        Am Körper

                                                                                                        Hanwag Alaska
                                                                                                        Funktionshose
                                                                                                        Shirt
                                                                                                        Hemd
                                                                                                        Unterwäsche
                                                                                                        Vaude Albo3in1 ohne Innenfutter, an Reisetagen um die Hüfte getragen.
                                                                                                        Handy
                                                                                                        Smartphone (nur für den W-Lan Einsatz)
                                                                                                        Schlüssel
                                                                                                        Geld
                                                                                                        Ersatzzahnbürste
                                                                                                        Fotoapparat mit 3 Akkus und 3 Speicherkarten.

                                                                                                        UL ist das nicht. Aber ich kann ja weiter an mir arbeiten. Für meine Verhältnisse war das schon wenig, und mehr hätte ich auch nicht gebraucht. Ich gehe im Geist noch einmal die Stationen meiner Reise durch. Unvorstellbar, dass ich morgen abend um diese Zeit bereits zu Hause bin. Dann schlafe ich ein.


                                                                                                        Zuletzt geändert von Torres; 17.10.2013, 21:22.
                                                                                                        Oha.
                                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                          Anfänger im Forum
                                                                                                          • 17.10.2013
                                                                                                          • 34
                                                                                                          • Privat


                                                                                                          #53
                                                                                                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                                          Also ich komm da nicht ganz mit, warum man sich solche strapazen antun muss und dann auch noch philisophen wie den herrn nietzsche zitiert. Man könnte das ganze ja einfacher haben und mit dem Zug reisen. Das war bei mir zu Rucksackzeiten auch schon Abenteuer pur und denk immer wieder gern dran.

                                                                                                          Kommentar


                                                                                                          • Torres
                                                                                                            Freak

                                                                                                            Liebt das Forum
                                                                                                            • 16.08.2008
                                                                                                            • 31757
                                                                                                            • Privat


                                                                                                            #54
                                                                                                            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                                                                                            21.09.2013 Zürich oder: Das große Finale


                                                                                                            Am Morgen bin ich sehr früh wach. Mein Fuß hat sich wieder beruhigt, und ich bin sehr froh darüber. Das ist ein Fortschritt. Ich frühstücke und verlasse gegen 8.00 Uhr das Hostel. Ich habe viel Zeit, mein Zug fährt erst um 12.00 Uhr. Ich möchte den letzten Tag genießen.

                                                                                                            Ich lenke sowohl Roller, als auch Schritte in Richtung der Straße, aus der ich gestern gekommen bin und finde doch tatsächlich ein Radwegschild. Lavendel blüht an der Seite und ich bleibe einen Moment stehen. Die Sonne scheint. Es ist ein wunderbarer Tag.





                                                                                                            Der Radweg geht durch eine Unterführung, und wenn ich mich richtig erinnere, ist dieser Weg ein barrierefreier Zugang zum Bahnhof Wollishofen. Bald darauf bin ich am Schiffsanleger Wollishofen. Und atme durch.





                                                                                                            Es ist still. Menschen sind noch keine unterwegs.











                                                                                                            Auf dem See trainieren Ruderer.





                                                                                                            Nur mühsam reiße ich mich von dem Anblick los und rollere gemächlich Richtung Zürich. Ein Weg fällt mir ins Auge, und ich gelange in ein Art Garten.





                                                                                                            Ich durchquere ihn und schaue auf die Flotte der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft.





                                                                                                            Männer machen die Schiffe startklar für den heutigen Tag. Auf der anderen Seite sehe ich hinter der Tankstelle den Bahnhof Wollishofen.
                                                                                                            Leider ist der Weg kurz darauf zu Ende. Ich muss eine Treppe herunter gehen und vor mir sind die Zäune des Freestyle-Events. Normalerweise müsste hier also ein Weiterkommen sein.





                                                                                                            Ich rollere auf dem Bürgersteig an der Straße entlang. Ein paar Leute kommen mir entgegen, und ich vermute, dass sie auf dem Event arbeiten.
                                                                                                            Wieder komme ich in der gewohnten Parkanlage an und fotografiere die Brunnen diesmal aus einem anderen Blickwinkel.

                                                                                                            Und entdecke einen Stein.





                                                                                                            War der gestern auch schon da? Verwirrt gehe ich um ihn herum und schon wird es klarer. Es ist ein Gedenkstein für Gottfried Keller.

                                                                                                            Und dann sehe ich auch seinen Kopf. Und das Denkmal in seiner Vollständigkeit. Unfassbar, dass es mir bisher nicht aufgefallen ist. Es steht nicht weit von den Springbrunnen entfernt, und ich bin schon zweimal daran vorbei gerollert.





                                                                                                            Vereinzelt tauchen die ersten Jogger auf und eine Fahrradfahrerin zieht sich ihre Handschuhe an. Es ist frisch geworden, in der Tat.





                                                                                                            Eine Ente schwimmt in Ufernähe. Wie klar das Wasser hier ist.





                                                                                                            Auf einer Wiese findet Frühgymnastik statt. Ein Angler steht am See und angelt. Ich lehne den Roller an eine Bank und mache ein paar Fotos von meinem Roller und meinem Gepäck. So sah das also aus.





                                                                                                            Und wie ich mir so meinen Roller betrachte, bin ich schon ein bisschen stolz: Es hat funktioniert. Ich bin tatsächlich mit diesem Gepäck durch 4 Ländern gereist. Sogar in Schnellzügen, in denen der Fahrradtransport nicht erlaubt ist. Als ich damals in Thüringen aus dem Zug stieg, schwante mir Böses, denn die Konstruktion erschien mir sehr instabil. Bekanntermaßen mache ich ja vorher keine Testläufe, um nicht in Gefahr zu geraten, die Tour gar nicht erst anzutreten. Und wie ich dann mühsam auf den Platz in Leutenberg gewackelt bin, und der Roller auf dem Gras bergab fast einen Salto gemacht hat, hatte ich schwerste Bedenken, dass ich mit Roller und Gepäck zurecht komme. Aber es hat geklappt. Wir sind ein Team geworden. Ein perfektes Team. Thanks.





                                                                                                            Aber einen Namen hat der Roller trotzdem nicht, nur dass das klar ist.

                                                                                                            Ich setze mich zu meinem Roller auf die Bank und genieße die morgendliche Stimmung. Es ist wunderschön hier. Wer hätte das gedacht.








                                                                                                            Nach einiger Zeit treibt es mich weiter und ich nähere mich dem Bürkli Platz. Die „African Queen“ kommt auf mich zu.








                                                                                                            Nein, natürlich ist es nicht die „African Queen“. Die ist heute in Key Largo, Florida ausgestellt. Es ist ein Schiff der Zürichsee-Flotte. Auf dem Anlegesteg stehen viele Touristen, man hört es an der Sprache. Die meisten sind aus Deutschland.

                                                                                                            Ich überquere die Straßenbahngleise und gehe Richtung Bahnhofstraße. Es ist Flohmarkt. Die Menschen sind gut gelaunt und hätte ich kein Gepäck dabei, hätte ich gerne ein wenig gekramt und geschaut. Es ist Samstag. Das Wochenende hat begonnen. Unter dem Pavillon sitzt ein Mann mit der Tüte eines (süd)deutschen Discounters und liest Zeitung.





                                                                                                            Ich lenke meine Schritte in Richtung Limmat. Die Straße ist eine Baustelle. Auf dem Boden liegt eine Honigwabe, und ich überlege, wie die wohl hier hinkommt. Die Limmat liegt ruhig und klar vor mir. Heute ist das Licht perfekt, und das Großmünster funkelt prächtig in der Sonne.





                                                                                                            Kurz darauf befinde ich mich an der Fraumünster Kirche. Viele Autos parken an dem Vorplatz und Autotüren knallen. Ein Mann sucht in seinem Luxusauto hektisch seinen Fotoapparat. Auf dem Platz steht eine Kutsche, und ein Brautpaar steigt ein und posiert für die Fotografen und die Familie. Die meisten Familienmitglieder sind italienische Schweizer und man redet auf italienisch temperamentvoll durcheinander. Ein älterer Herr versucht nun auch, Fotos zu machen, weiß aber nicht, wie die Kamera funktioniert, ein junger Mann läuft zu ihm und erklärt. Der ältere Herr schüttelt ihn ab, versucht aufs Neue ein Foto zu machen und die anderen lachen und feuern ihn an. Der Kutscher setzt sich mit ernster Miene auf den Bock, aber die Zurufe sorgen dafür, dass er lacht und den fotografierenden Angehörigen zuwinkt. Er erhält Applaus und man sieht ihm an, dass ihm die Sache ebenfalls Spaß macht. Es ist eine so schöne Stimmung, dass ich meine Freude daran habe, zuzuschauen. So warte ich, bis sich die Kutsche in Bewegung setzt, wendet und über die Münsterbrücke entschwindet. Viel Glück, Euch beiden.





                                                                                                            Ich gehe nun auch über die Münsterbrücke und entdecke auf der anderen Seite der Limmat Schilder, die erklären, dass die Fahnen am Limmatquai die Zunftabzeichen darstellen (von links nach rechts): Zunft zum Schmiden (Huf-, Gold- und Silberschmieden), Zunft zur Weggen (Müller und Bäcker), Vereinigte Zünfte zur Gerwe und zur Schumachern (Rotgerber, Weißgerber, Pergamenter und die Schuhmacher), Zunft zum Widder (Metzger und Viehhändler), Zunft zur Zimmerleuten (Zimmerleute, Maurer, Wagner, Drechsler, Holzküfer und Fassbinder). Am Zunfthaus zur Haue hängt die Fahne der Zunft zum Kämbel, in der die Kleinhändler vertreten waren oder sind (Gartner (Gemüse- und Obstverkäufer), Öler und Grempler (Gewerbetreibende und Kleinhändler). Und wieder ein schöner Blick über die Limmat. Auf dem Gasthaus „Zum Storchen“ steht eine Storchfigur.





                                                                                                            Das Rathaus Zürich. Es ist freischwebend über die Limmat gebaut worden und kann daher vom Schiff aus betreten werden. Zwischen 1694 und 1698 gebaut, tagen heute der Kantonsrat, der Gemeinderat und kirchliche Gremien (ev.-reformiert und röm.-katholisch) in dem Gebäude. Als ich weitergehe, entdecke ich einen Wochenmarkt.





                                                                                                            An der Mauer, von der aus ich gestern auf die Limmat geschaut habe, haben sich die ersten Touristen versammelt.








                                                                                                            Immer noch ist es viel zu früh. Ich könnte jetzt den Zug um 10.00 Uhr nehmen. Aber es gibt keinen Grund zur Eile. Der Morgen ist viel zu schön. So lasse ich mir Zeit, auch wenn der Bahnhof bereits in Sichtnähe ist.





                                                                                                            Ich gehe um den Bahnhof herum, mache erneut ein Foto von seiner repräsentativen Vorderfront und setze mich dann in der Bahnhofstraße auf eine Bank und schaue den Menschen zu.





                                                                                                            Die meisten Menschen sind in Bewegung, und ich vermute, dass viele von ihnen Urlauber oder Wochenendurlauber sind. Ein Junge mit einem Maikäferkoffer eilt die Straße entlang, und seine Eltern sind in heller Aufregung, weil sie befürchten, dass er ihnen davon läuft. Sie rufen ihn zurück und reden ein ernstes Wort mit ihm, aber er versteht das Problem nicht. Er weiß genau, wohin die Familie jetzt muss und eilt weiter.
                                                                                                            Touristen mit Rollkoffern queren die Straßenbahngleise, aber es sind auch viele Menschen ohne Gepäck unterwegs. Einige sind in Eile, andere schlendern und schauen sich die Geschäfte an. Die Stimmung gefällt mir und es wird am Abend ein kleiner Kulturschock sein, als ich auf dem Hamburger Hauptbahnhof ankomme. Ich sehe große Menschen, kleine Menschen, alte Menschen und junge Menschen und keiner gleicht dem anderen. Die Vielfalt der Natur.





                                                                                                            Nach einiger Zeit betrete ich den Bahnhof und gehe ich in Richtung Gleise. An dem Gleis, an dem mein Zug abfahren wird, steht der TGV nach Paris und ich denke „Paris. Urlaub müsste man haben.“ In der Nähe stehen rotgekleidete Menschen und erst denke ich, es sind Bahnbeamte, aber es werden immer mehr. Man begrüßt sich, diskutiert, Kinder laufen herum, und ich stutze. Findet hier gleich eine Demonstration statt?
                                                                                                            Ich trete näher und sehe, dass ein Mann Fahnen verteilt. Unia steht darauf, wobei das „i“ wie eine 1 mit einem Punkt geschrieben wird. Ich versuche, heraus zu finden, was für Demonstranten das sind und wogegen sie demonstrieren, aber das ist gar nicht so einfach. Viele tragen Straßenkleidung. Transparente sehe ich keine. Ich entdecke, dass einige Demonstranten T-Shirts mit dem Aufdruck „Mindestlohn“ anhaben, während weitere Schriftzüge Ausländerpolitik und Asylgesetz thematisieren. Auch Rente, Managergehälter, Abzocke und 24 Stunden Arbeitstag scheinen ein Thema zu sein. Ein Mann mit einem Mikrofon kommt in meine Nähe, und ich bitte ihn, von seinem T-Shirt ein Foto machen zu dürfen. Er reißt seine Jacke auf, und ich mache ein Foto von dem Aufdruck, aber das ist ihm nicht genug. Er besteht darauf, dass ich auch sein Gesicht fotografiere. Na denn. Ich frage ihn, wofür sie demonstrieren, und er antwortet: „Wir sind für vieles!“. Eine Frau verteilt rote Kappen an die Umstehenden, und auch ich bekomme eine in die Hand gedrückt. Später erfahre ich, dass Unia eine Gewerkschaft ist, und ein Schweizer Ehepaar, das ich in Hamburg treffen werde, wird lachen, als ich frage, wofür oder wogegen die Gewerkschaftler demonstriert haben. „Das weiß niemand so genau“, sagen sie, und erklären, dass die meisten Mitglieder wohl den deutschen Grünen entsprechen würden. Ob diese Einschätzung richtig ist, weiß ich leider nicht. Im Internet werde ich später lesen, dass die Gruppe an diesem Morgen zu einer gesamtschweizerischen Demonstration nach Bern gefahren ist.


                                                                                                            Ich verlasse die Demonstranten, suche den Wagenstandsanzeiger am Gleis und rollere zu dem Abschnitt, an dem der von mir reservierte Waggon halten wird. Eine Durchsage ertönt: „Der Zug nach Bern, der für die Gewerkschaftler reserviert ist, steht abfahrbereit an Gleis 16. Wir wünschen allen Fahrgästen eine angenehme Fahrt“. Ich muss lächeln. Da scheint jemand solidarisch zu sein. Hinter dem Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis sieht man Menschen mit Fahnen auftauchen.





                                                                                                            Der TGV setzt sich in Bewegung und mein Zug wird angezeigt.





                                                                                                            Wieder kommt die Durchsage, dass der Zug nach Bern abfahrbereit ist. Wieder sieht man hinter der Scheibe des Zuges auf dem gegenüberliegenden Gleises Menschengruppen mit Fahnen. Ein Sprechchor erschallt „Auf – die - internationale Solidarität“. Ich ertappe mich dabei, dass ich den Text lautlos mitspreche. Musik erschallt und man hört, dass eine Musikanlage auf ihre Funktion überprüft wird. Sie muss wohl auch mit. Kurz wird sie ausgestellt und dann wieder angestellt. Bald kommt sie näher.

                                                                                                            Und während aus blechernen Lautsprechern weithin hörbar „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht. Die Internationale: Erkämpft das Menschenrecht“ schallt, fährt der ICE 72 von Zürich nach Hamburg-Altona langsam in den Züricher Hauptbahnhof ein.


                                                                                                            Was für eine Reise!


                                                                                                            Zuletzt geändert von Torres; 17.10.2013, 20:52.
                                                                                                            Oha.
                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                            Kommentar