• biketourglobal
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    • 07.01.2010
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    [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

    Liebe Leute, es gibt Geschichten, die man eigentlich nie vergisst. Es sei denn, man kann sich an die Geschichte nur teilweise erinnern. Aber dafür gibt es ja Fotos. Und diese Bilder habe ich nun wieder gefunden.

    Nein, es ist keine dieser „Geil, ich war saufen und dabei habe ich gaaanz lustig dies und das getan“-Geschichten. Es war vielmehr ein echtes Erlebnis und ich habe drei Sachen gelernt:
    • Männer mit Pistolen können auch echt nett sein
    • Ukrainischer Wodka ist wirklich viel besser als der russische
    • Auch mit Hangover kann man noch radeln – wenn auch nicht wirklich weit




    1998 radelte ich mit Stephan von Leipzig nach Bombay. Unsere Strecke führte uns auch durch die Ukraine. Ich war schon ganz aufgeregt, wie es wohl sein würde und hatte auch schon diverse Horrorgeschichten aus dem wilden Osten gehört. Umso gespannter war ich, als wir aus der Slowakei kommend die Grenze zur Ukraine bei Uschhorod überquerten. Die Einreise war problemlos, auch wenn wir eine völlig sinnlose Krankenversicherung für 10 Dollar kaufen mussten, die wirklich nur schlecht verbarg, dass es dabei nur um ein Zusatzgeschäft der Grenzer ging. Egal, fröhlich radelten wir durch urige Dörfer, über kaputte Straßen und genossen den Charme eines damals erst aus der Russischen Förderation erwachenden Landes.



    An einem kleinen Dorfladen wollten wir unsere Vorräte aufstocken. Die wirklich nette Bedienung kam sehr schnell mit uns ins Gespräch, vor allem um auszuloten, ob wir als Ehemänner in Frage kämen.

    Mitten ins Gespräch platzte der Besitzer des Ladens, mit dem wir recht schnell in eine Diskussion über die Qualität des ukrainischen Wodkas kamen. Fazit: Er ist besser als der russische und wir sollten das gleich mal testen. Natürlich nicht den aus der Originalflasche, sondern den guten, selbstgebrannten. Dazu gab es Schwarzbrot und Trockenfisch und Speck. Ein Glas folgte auf das andere und nach einer Stunde fühlten wir uns beflügelt, die nächsten Kilometer in Angriff zu nehmen. Allerdings brachen wir das nach 20 Kilometern ab und verzogen uns mit unserem Zelt in ein Wäldchen, wo wir noch den Rest Wodka leerten und dann schliefen. Am nächsten Morgen kein Hangover und sehen konnten wir auch noch! Das Zeug war also wirklich gut!



    Frisch und durch die freundlichen Menschen motiviert starteten wir in den Tag. Gegen Mittag machten wir an einer Brücke im Nirgendwo Rast. Plötzlich hielten zwei Autos neben uns. Aus diesen sprangen mehr oder weniger alkoholisierte Männer heraus, die fröhlich strahlend auf uns zukamen. Besonders fröhlich war der Fahrer des einen Autos, der seiner Begeisterung dadurch Ausdruck verlieh, indem er mit einem Revolver munter rumfuchtelte. Ich hatte gar keine Zeit, mir Sorgen zu machen, denn sofort waren wir in ein Gespräch über unsere Räder und unsere Reise verwickelt.

    Offensichtlich fanden sie das so spannend, dass sie uns spontan in ihr nur 3 Kilometer entferntes Dorf einluden. Angesichts der Waffe gab es da auch keine zwei Meinungen. Wir ergaben uns und fuhren – geleitet durch die Autos – ins Dorf.



    Dort kamen auf einmal viele Menschen zusammen. Man war sichtlich stolz auf unseren Besuch und wir wurden sogleich den Familien vorgestellt. Das musste natürlich gefeiert werden. Ob wir denn schon von der außerordentlichen Qualität des ukrainischen Wodkas gehört hätten? Klar, hatten wir. Also wurde fix ein Team zusammengestellt, das Wodka organisieren sollte. Wir ließen uns nicht lumpen und wollten die erste Runde, als Gastgeschenk quasi, übernehmen. Also sprang ich mit ein paar der Männer wieder ins Auto und ab ging es auf einen Hof im Dorf, bei dem wir einen Kanister kauften. Ja, 5 Liter! Ich hätte damals schon wissen müssen, was nun kommt. Aber da war ja noch der Revolver. Und noch zwei Gewehre, die uns stolz gezeigt wurden.



    So ausgestattet ging es wieder zurück in das Haus unseres Gastgebers (der Revolvermann) und hier wurde nun Essen aufgefahren. Immer mehr Menschen kamen zusammen, die Sonne ging unter und wir im Wodka auf. Es wurde getanzt, gelacht, geredet. Ich habe wohl noch nie so gut Russisch gesprochen wie damals. Da haben sich die 12 Jahre Russisch-Unterricht echt bezahlt gemacht.



    Stephan versuchte gerade eine russischen Tanz zu imitieren, als es bei mir dunkel wurde. Ich kann mich noch an ein, zwei Lichtblicke erinnern. Dann war Schluss.



    Am nächsten Morgen wachte ich in einem Bett auf. Schrubb-Geräusche hatten mich geweckt. Die Frau unseres Gastgebers putzte vor meinem Bett. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Ein vorsichtiger Blick zur Seite zeigte mir dann aber, dass es sehr wohl nötig war. Tief beschämt fiel ich wieder in den Schlaf. Nach ca. einer Stunde wachte ich wieder auf und machte mich mit schwerem Kopf auf die Suche nach Stephan. Und nachdem ich ihn friedlich schnarchend im Nachbarzimmer gefunden hatte, suchte ich noch unsere Räder und unser Gepäck. Die standen friedlich und unangetastet in der Garage, in der wir offensichtlich gefeiert hatten. Nichts fehlte, nichts war durchsucht oder ähnliches. Was für ein tolles Erlebnis: nix war passiert, ganz im Gegenteil. Als ich aus der Garage zurückkam, war der Tisch mit Frühstück gedeckt. Das war so berührend, ich musste mich noch mal schämen.



    An Essen war nicht zu denken, wenigstens eine Tasse Tee trank ich. Heimlich schob ich etwas Geld unter meine Untertasse, als Dank sozusagen, dass diese offensichtlich armen Menschen einfach nur mit uns feiern wollten und ich durch meine Wodka-Unerfahrenheit auch noch Umstände gemacht hatte. Ein Blick zu Stephan genügte, um zu sehen, dass auch er noch mächtig mit sich kämpfte. Wir beide wussten, dass es nun höchste Zeit war aufzubrechen. Denn wenn unser Gastgeber wach wurden, bedeutete das weiter feiern. Und das ging gar nicht, denn wir wollten ja noch nach Indien.

    Müde und völlig zerstört schwangen wir uns auf die Räder und fuhren 10 Kilometer, um uns dann abseits der Straße an einem Fluss wieder hinzulegen. Die nächsten Tage tranken wir nur Milch und Wasser und erst in Russland, wo wir eine Woche auf einer kleinen Insel inmitten der Wolga Pause machten, begegneten wir wieder dem Wodka. Diesmal aber dem russischen, der ja der beste Wodka der Welt ist und überhaupt viel besser als der ukrainische …

    Viele Grüße
    Martin
    www.biketour-global.de

  • DocBrown
    Dauerbesucher
    • 08.05.2009
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    #2
    AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

    saucoole geschichte, dankeschön. hat spass gemacht zu lesen.
    so ähnlich gings uns mal mit ner tschechischen band....
    Zuletzt geändert von DocBrown; 05.08.2013, 10:32.

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    • biketourglobal
      Erfahren
      • 07.01.2010
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      #3
      AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

      Danke!
      Viele Grüße
      Martin
      www.biketour-global.de

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      • grenzenlos
        Dauerbesucher
        • 25.06.2013
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        #4
        AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

        Danke für die schöne Geschichte!

        Hat Spaß bereitet.

        Von Radler zu Radler wünsche ich noch viele erlebnisreiche Touren!
        Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

        Gruß, Wi grenzenlos

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        • hosentreger
          Fuchs
          • 04.04.2003
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          #5
          AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

          Ich bin in ein paar Wochen in Frankreich unterwegs.
          Champagne, Loire, Bretagne, Normandie...
          Was ist denn jetzt besser: Champagner, Rotwein, Weißwein, Calvados, Cidre und was auch immer???

          Du hast mich mit Deiner Gesachichte ganz schön verunsichert.
          Ich werde wahrscheinlich gleich bei Milch bleiben!

          Danke für den netten und lustigen Bericht
          lytze
          Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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          • biketourglobal
            Erfahren
            • 07.01.2010
            • 124
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            #6
            AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

            Nimm alles mit!

            Heutzutage kann man dann am nächsten Morgen gleich die Bilder checken.
            Ich musste noch mehr als 3 Monate warten, bis ich wusste, was auf den Bildern war. Die Dias wollten noch entwickelt werden
            Viele Grüße
            Martin
            www.biketour-global.de

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            • Abt
              Lebt im Forum
              • 26.04.2010
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              #7
              AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

              Jo, solche Dörfer kennen wir auch.
              Zuletzt geändert von Abt; 05.08.2013, 21:39.

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              • Trampvan
                Erfahren
                • 17.09.2009
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                #8
                AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                Hehe ... saubere Geschichte ;)
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                • joeyyy
                  Erfahren
                  • 10.01.2010
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                  #9
                  AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                  ...wunderbar, vielen Dank für's Erzählen.

                  In Kuba ist es ähnlich mit dem selbstgemachten Ron und dem, der aus den Fabriken kommt. Mein Sohn und ich hatten die Gastfreundschaft eines kubanischen Landbesitzers und seiner Leute kennengelernt. Und dass man sie messen kann - in Litern
                  www.gondermann.net
                  Reisen - Denken - Leben

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                  • Ultraheavy
                    Alter Hase
                    • 06.02.2013
                    • 3186
                    • Privat


                    #10
                    AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                    Danke, lache immer noch
                    Ich glaub, ich schlaf am Stock

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                    • stoeps
                      Dauerbesucher
                      • 03.07.2007
                      • 537


                      #11
                      [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                      Herrlich !!!

                      Danke
                      stoeps
                      „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                      ― John Muir

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                      • Martinwalkt
                        Anfänger im Forum
                        • 07.12.2006
                        • 17
                        • Privat


                        #12
                        AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                        Klasse Geschichte. Wunderbar. Dankeschön

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                        • blitz-schlag-mann
                          Alter Hase
                          • 14.07.2008
                          • 4851
                          • Privat


                          #13
                          AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                          Ich hab Kopfschmerzen vom Lesen bekommen

                          Viele Grüße
                          Ingmar
                          Viele Grüße
                          Ingmar

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                          • codenascher

                            Lebt im Forum
                            • 30.06.2009
                            • 5064
                            • Privat


                            #14
                            AW: [UA] Lost in Ukraine - wie ich mit einem ganzen Dorf zu viel Wodka trank

                            Wow, ich habe gerade deinen alten Reisebericht verschlungen und viel gelacht.

                            Herrlich erfrischend geschrieben. Muss eine Wahnsinnstour gewesen sein!

                            Bin im Wald, kann sein das ich mich verspäte

                            meine Weltkarte

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