• Werner Hohn
    Freak
    Liebt das Forum
    • 05.08.2005
    • 10870
    • Privat


    [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

    Tourentyp Radreise
    Breitengrad 46.164614496
    Längengrad 5.3503417968
    Land: Deutschland, Frankreich, Spanien, Schweiz
    Reisezeit: Mai, Juni 2013


    Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

    Ursprünglich wollte ich mit dem Rad vom heimischen Sofa bis nach Portugal fahren. Selbstverständlich auch zurück, und selbstverständlich über eine andere Route. Vier Monate wollte ich unterwegs sein. Meine Frau würde nach Faro fliegen, wo wir irgendwo an der Küste drei Wochen Urlaub machen wollten. Zurück würde sie wieder das Flugzeug nehmen, ich das Rad. Soweit der Plan. Gegen meine Radtour nach Portugal hatte meine Frau keine Einwände. Gegen die Rückfahrt auch nicht.

    Tja, vorher waren wir zwei Wochen in Südfrankreich, was zur Folge hatte, dass mir nur noch etwas mehr als vier Wochen für die Hinfahrt nach Portugal blieben. Mindestens 2.500 Kilometer, höchstwahrscheinlich mehr. Nun bin ich der Jugend schon sehr lange entwachsen, was nicht weiter schlimm ist, doch es gibt im Alter Tage, an denen man die jugendliche Leistungsfähigkeit gebrauchen könnte. Da die Wissenschaft als Mittel der Verjüngung nur Viagra, Botox und Silikon bereit hält, blieb mir nichts anderes übrig, als ein neues Ziel zu suchen.

    Dann eben an die Costa Brava und wieder zurück, inklusive mehrwöchigem Urlaub mit meiner Frau am Strand. Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr war ich von der Idee angetan. Endlich würde ich mir all das ansehen können, woran ich Jahrzehnte vorbeigefahren bin. Zehntausende Kilometer sind wir mit dem Auto auf dem Weg nach Spanien oder Portugal durch Frankreich gefahren. Die braunen Hinweistafeln auf touristische Sehenswürdigkeiten links und rechts der Autobahnen kannten wir schon lange auswendig. Das ein oder andere Dorf, dessen romanischer Kirchturm über Baumwipfel ragt; in deren frühmorgendlich verlassenen Hauptstraße wir bei Staus einen Blick geworfen hatten; einsame Bauernlandschaften, die nur aus Wiesen und einsamen, grauen, aus der Ferne wie verfallen aussehende Gehöfte zu bestehen scheinen, all das würde ich mir nun ansehen können.

    Zurück sollte es entlang des Canal des Deux Mers zur französischen Atlantikküste gehen. Bis zur Mündung der Loire wollte ich der Küste folgen, dann den Fluss hoch, bis Orléans, wo ich auf direktem Weg nach Osten abbiegen wollte, um erneut an die Mosel zu kommen. Irgendwann und irgendwie muss sich bei dem Punkt ein Missverständnis eingenistet haben. Jahrzehntealte Ehen haben das so an sich. Man(n) glaubt alles sei in seinem Sinne, und wenn er sich das so zurecht biegt dass es seinen Vorstellungen entspricht, und frau wartet ab.

    Der einzige Wermutstropfen an der Route war die Tatsache, dass ich die ersten 350 Kilometer entlang der Mosel die Strecke mehr oder weniger abgewandert hatte, sogar die ersten beiden Tage schon mit dem Rad gefahren bin. Doch in den Apfel musste ich beißen. Egal wohin ich fahren würde, bei Start und Ende an der heimischen Haustür, würde ich immer durch erwanderte Landschaften fahren.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 16.10.2013, 12:33.
    .

  • Werner Hohn
    Freak
    Liebt das Forum
    • 05.08.2005
    • 10870
    • Privat


    #2
    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück


    "Map courtesy National Geographic Education. National Geographic does not review or endorse content added to this background by others."

    "Man müsste sich das alles mal ansehen"

    Etappen roter Strich:

    Tag 1: Zuhause - Cochem 92 km
    Tag 2: Cochem - Trittenheim 110 km
    Tag 3: Trittenheim - Nenning 87 km
    Tag 4: Nenning - Metz (FR) 82 km
    Tag 5: Metz - Nancy (Villers) 67 km
    Tag 6: Nancy - Lac du Bouzey (Epinal) 80 km
    Tag 7: Lac du Bouzey - Vesoul 90 km
    Tag 8: Vesoul - Besançon 81 km (davon 16 km Stadtrundfahrt)
    Tag 9: Besançon - Dole 77 km
    Tag 10: Dole - Chalon-sur-Saône 97 km
    Tag 11: Chalon-sur-Saône - Crêches-sur-Saône 80 km
    Tag 12: Crêches-sur-Saône - St-Clair-du-Rhône 125 km
    Tag 13: St-Clair-du-Rhône - Tain-l'Hermitage 60 km
    Tag 14: Pausentag
    Tag 15: Tain-l'Hermitage - Bollène 115 km
    Tag 16. Bollène - Avignon 56 km
    Tag 17: Avignon - Saint-Gilles 54 km
    Tag 18: Saint-Gilles - Vias Plage 136 km
    Tag 19: Pausentag
    Tag 20: Vias Plage - Le Barcarès 116 km
    Tag 21: Le Barcarès - Argelès-sur-Mer 43 km
    Tag 22: Argelès-sur-Mer - Sant Martí d'Empúries (ES) 82 km
    Tag 23: Pausentag
    Tag 24: Pausentag
    Tag 25: Sant Martí d'Empúries - Sant Antoni de Calonge 54 km
    Tag 26: Pausentag
    Tag 27: Pausentag
    Tag 28: Pausentag
    Tag 29: Sant Antoni de Calonge - Sant Martí d'Empúries 60 km

    Circa 1.850 km
    Durchschnitt (Pausentage rausgerechnet): 85 km/Tag

    Tag 30 bis 49: Urlaub

    Mit der Tour im Rücken oder Sport ist doch nicht Mord

    Etappen blauer Strich:

    Tag 1: Girona Flughafen – Canet-en-Roussillon (FR) 137 km
    Tag 2: Canet-en-Roussillon – Vias Plage 126 km
    Tag 3: Vias Plage – Pont du Gard 149 km
    Tag 4: Pont du Gard - Tain-l'Hermitage 154 km
    Tag 5: Tain-l'Hermitage – Les Abrets 112 km
    Tag 6: Les Abrets – Seyssel 76 km
    Tag 7: Seyssel – Rolle am Genfer See (CH) 95 km
    Tag 8: Rolle – Le Landeron am Bielersee 119 km
    Tag 9: Le Landeron – Lörrach (DE) 119 km
    Tag 10: Lörrach – Kehl am Rhein 150 km
    Tag 11: Kehl am Rhein – Bad Dürkheim 152 km
    Tag 12: Bad Dürkheim – Zuhause 188 km

    Circa 1.580 km
    Durchschnitt: 132 km/Tag

    Insgesamt gefahren: 3.600 km

    Im Bericht werden hin und wieder Straßennummern auftauchen, die es heute nicht mehr gibt. Besonders gilt das für Frankreich. Dort bin ich mit einem Michelin-Straßenatlas aus dem Jahr 2000 gefahren. Zwischenzeitlich haben sich sehr viele Nummern geändert. Auch wurden einzelne Straßen "heruntergestuft". Aus der ein oder anderen Nationalstraße ist eine D-Straße ( Département-Straße) geworden.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 10.07.2013, 13:23.
    .

    Kommentar


    • Werner Hohn
      Freak
      Liebt das Forum
      • 05.08.2005
      • 10870
      • Privat


      #3
      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

      "Man müsste sich das alles mal ansehen"

      Erster Tag: Routine
      Zuhause – Cochem/Mosel (Campingplatz)

      Hatzenport - St. Johannes

      Anfang Mai. Die den 1. Mai standesgemäß mit Wandern und Saufen begangen haben, liegen wohl noch flach. Am frühen Morgen ist nichts los auf der Strecke an den Rhein. Zickzack könnt ich auf der Straße fahren. Durch Neuwied, das in seiner morgendlichen Öde noch hässlicher ist als bei Tageslicht, über die Rheinbrücke auf die andere Rheinseite, auf den Rheinradweg, und direkt wieder runter. Die Straße nach Koblenz läuft viel besser. Glatt und ohne Schlaglöcher freut sich mein Hintern über das Geld, dass das Land den Autofahrern hinterher bläst. An der Mosel, da ist schon mehr los. Die ersten Radwanderer tauchen auf. Zumeist Rentner in kleinen Gruppen.

      Die Weinberge sind noch grau. Kein Grün ist an den Weinstöcken zu sehen. Viele Weinstöcke warten noch auf den Schnitt. Grün ist alles drumherum. Die Büsche, die wenigen Bäume im noch hellgrünen Schimmer der ersten Blätter. Weiter oben, die Hänge hoch bis zur Kante, blüht der Weißdorn. Der Löwenzahn blüht dort wo der Winzer ihn in Ruhe lässt. In den Steillagen ist neben jedem Weinstock eine flach getreten Stelle. Grade so groß, dass zwei Füße hinpassen. Ohne würden auf Dauer die Sehnen und Bänder leiden. Eingleisig, entlang einer gezackten Führungsschiene, schlängeln sich alle halbe Kilometer Weinbergbahnen die Talwände hoch. Zwischen den kahlen Rebstöcken wirken die verzinkten Führungsschienen wie Fremdkörper, doch ohne diese wäre der Weinbau hier zum Erliegen gekommen.

      Es ist ein ereignisloses Fahren. Nichts ist fremd. Vor jeder Moselkehre weiß ich, was dahinter kommt. Längst fahre ich auf dem Radweg, der die Bundesstraße begleitet. Immer dicht neben der Straße, meistens nur durch einen Strich getrennt, wäre alles andere idiotisch. Die Urlaubssaison hat noch nicht richtig angefangen. Nur die Campingplätze, an denen ich alle halbe Stunde vorbei fahre, sind schon gut besucht. An den Tischen unter den roten Sonnenschirmen in Winningen sind noch alle Stühle leer. Die Moselschifffahrt hat mal eben ihre Anleger aus den Winterlagerplätzen an den Anlegestellen neu vertäut. Das Maigeschäft, speziell den Feiertag, wird sich niemand entgehen lassen. Die meisten Kartenverkaufsstellen sind verwaist. Rechtzeitig zur Abfahrt des nächsten Ausflugsschiffs wird jemand hinter der Glasscheibe stehen, oder direkt am Anleger die Fahrkarten verkaufen. In den Schaukästen der Andenkenverkäufer hängt seit eh und je der mehr oder weniger gleiche unsägliche grottenschlechte Nippes. Kitsch, der schon in den Sechzigern des letzten Jahrtausends auf den Müll gehört hätte. Postkarten, bei denen man sich fragt, ob der Fotograf eine Ausbildung erleben durfte, reihen sich aneinander. In Glaskästen, an den Wänden, Teller mit Weinrebenmustern und Sinnsprüchen, gegen die die Schlagzeilen der Boulevardpresse ein intellektuelles Vergnügen sind. Dazwischen die unausrottbaren Schweizer Taschenmesser. Wer kauft den Schrott?

      Cochem

      Durchs bis jetzt so stille Moseltal kreischt der Lärm bis an den Anschlag aufgedrehter Motoren. Über das stille Wasser jagen zwei bekloppte Fahrer mit ihren Jet-Skis. Der Lärm bricht sich an den Steilhängen. Den Moselstausee an der Staustufe rauf und nach einer weiße Wellen aufwerfenden engen Wende mit Vollgas wieder runter. Immer wieder und wieder. Hoffentlich verrecken ihnen die Motoren. An der Moselschleuse Müden ist Schluss damit.

      Durch die Fußgängerzone in Cochem schieben sich schon die Touristenmassen. Am Ufer liegen zwei Flusskreuzfahrtschiffe, die ihre Gäste in die Altstadt enlassen hat. Am Imbiss unter der alten Skagerrak-Brücke werden die Bratwürste im Minutentakt über den Tresen geschoben. Ob jemand unter den Hungrigen weiß, dass die Brücke über ihren Köpfen nach der größten Seeschlacht des Ersten Weltkriegs benannt ist?

      Im örtlichen Fahrradladen, Cochem hat sogar zwei, besorge ich mir noch einige Ersatzspeichen für das Hinterrad. Unterwegs hatte mich der Gedanke an einen Speichenbruch beschlichen, und nicht mehr losgelassen.

      Zweiter Tag: Stammgäste?
      Cochem – Trittenheim (Campingplatz)

      Marienburg bei Zell

      Ob ich aus der Art geschlagen bin, frage ich mich meist, wenn ich morgens auf Campingplätzen als Erster zum Klo und Waschbecken schlurfe. Bis auf einige alte Leute, die wegen seniler Bettflucht oder schwacher Blase auf den Beinen sind, lässt sich in der Regel um 7 Uhr in der Früh kein Mensch sehen. Aus dem einen Wohnwagen hört man Schnarchen, aus dem anderen Kindergeplapper. Die sind schon wach. Raus dürfen die aber nicht, denn Mama und Papa haben schließlich Urlaub. Ja! Genau! Ich habe Urlaub! Wie oft habe ich mir das anhören müssen, wenn ich mit anderen unterwegs war. Als regelmäßige Zugabe, die auf keinen Fall vergessen werden durfte, musste der Spruch „Ich bin doch nicht auf der Flucht“ nachgeschoben werden. Und dann ist es Zehn, bis der Zelt verstaut war und man endlich, endlich unterwegs war.

      Früh morgens packen, wenn alles noch schläft, ist herrlich. Nebel hängt überm Fluss. Zelt und Wiese sind triefend nass. Vorpacken. Leise, ganz leise Schlafsack und Klamotten in raschelnde Plastiktüten von Aldi und Bücher Schaefer aus Limburg stecken. Die Klopapierrolle wird noch gebraucht, weil deutsche Campingplatzbetreiber nicht in der Lage sind, selbiges aufs Klo zu hängen. Alles andere kommt schon in die Packtaschen. Ab aufs Klo, zur Dusche. Auf dem Rückweg ähnelt der Campingplatz immer noch mehr einen Friedhof, denn einer Ferienanlage. Innenzelt aushängen, rollen und in die Tütenkombination aus Rewe und Carrefour stecken. Beide zusammen halten dicht, rascheln jedoch fürchterlich. Heringe ziehen, Gestänge aus den Kanälen ziehen. Nur nicht klappern, mit dem Alugestänge, die Heringe im nassen Gras abstreifen, nicht zusammenschlagen, die Leute wollen nicht geweckt werden. Alles in die himmelblaue Rolle, den Stuhl hinterher, Gurt drumherum und weg.


      Römisches Weinschiff in Neumagen-Dhron

      Zu meinem Glück fehlt jetzt nur eine Bäckerei, die schon geöffnet hat. Ein großer heißer Kaffee, zwei Croissants oder Brötchen am Stehtisch, wenn es ein schöner Tag wird, draußen in der Sonne sitzen; den einen oder anderen belanglosen Satz mit der Verkäuferin wechseln, das ist Urlaub. Wenn die Ich-habe-Urlaub ihre Augen aufschlagen, bin ich schon weit weg. Vielleicht habe ich keine Bäckerei gefunden, keinen Kaffee bekommen, auch egal. Vielleicht hatte ich die einsame Straße so früh am Morgen für mich alleine. So wie heute. Die Pendler nehmen die schnelle Bundesstraße an diesem Morgen. Ich nehme die kleine Straße über Valwig, Beilstein und Messenich nach Senheim. Kein Verkehr um diese Jahreszeit, zu dieser Uhrzeit. Den Kaffee gibt es in Beilstein. Standesgemäß überteuert, ganz wie es sich für eines der kleinsten und malerischsten Dörfchen an der der Mosel gehört.

      Es ist wie zwei Jahre zuvor. Sogar das Wetter ist ähnlich. Frisch am Morgen, angenehm am Nachmittag. Runterspulen der Kilometer. Hier schauen, da schauen. Es ist wie auf der Runde um den Block. Schauen, was sich verändert hat. Wundern, dass sich nichts ändert. Und immer wieder wundern, dass die meisten Moselorte fern jeglichen Tourismus sind. Nicht alle sind schön. Schlaue Gemeinderäte haben vor Jahren ihren Dörfchen WoMo-Stellplätze spendiert. Es gibt Orte da wuchern die Plätze; und ich frag mich auch nach Jahren noch, was macht man da, wenn man da steht. Seit' an Seit' mit dem Nachbarn auf die Mosel und Weinberge schauen? Reicht das fürs Glücklichsein? Kinder sind Mangelware auf diesen Plätzen. Es gibt dort so gut wie nie Kinder. Sie würden nur stören, beim Dösen im Klappstuhl, beim Putzen der Plastikhütte. Ein paar wollten mir mal was von Freiheit und Abenteuer erzählen. Fahren wann und wohin man will. WoMo-Stellplätze gibt es in ganz Europa. Über Deutschland und Österreich waren die Drei nicht hinausgekommen. Ich war so verdutzt, dass ich gefragt hatte, was daran Freiheit und Abenteuer sei. Das ist Jahre her. Das war auf dem WoMo-Stellplatz in Andernach am Rhein. Dort stehen sie im Abstand von 2 Metern mit der Fahrzeugfront Richtung Rhein. Die in der ersten Reihe sehen den Fluss, die dahinter die Rückseite der ersten Reihe. Den Lärm der Güterzüge haben alle zu gleichen Teilen. Viele kommen jedes Jahr vorbei. Stammgäste im Lärmteppich der Deutsche Bahn AG. Für die Stadt Andernach ist es ein einträgliches Geschäft. Freiheit und Abenteuer für ein paar Euro die Nacht.

      Auf dem Moselufer bei Andel liegt wieder das gelbe Flugzeug der einzigen Flugschule in Deutschland, die Wasserflugausbildung durchführen darf. Aus Kanistern wird die kleine Propellermaschine betankt. Oben auf der Leiter steht der Inhaber. Zwei, drei Fragen später muss ich mal wieder den Kopf über deutsche Bestimmungen schütteln. Dass die Piloten für die Landung auf bundesrepublikanischen Binnengewässern den Sportbootführerschein und eine Funklizenz benötigen wusste ich schon, doch dass für die Wasserung in deutschen Küstengewässern der Sportbootführerschein See und die entsprechende Funklizenz verlangt wird, darüber möchte ich nicht weiter nachdenken.

      Trittenheim - Clash der Kulturen? Nö!

      Als ich auf dem Campingplatz am Moselufer in Trittenheim abbiege, ist alles wie immer. Zum vierten Mal bin ich hier. Immer aus eigener Kraft. Das erste Mal auf einer Wanderung von Bingen nach Trier. 2006, während der Fußball-WM war das. Damals war es Zufall, weil ich nicht zu einem näheren doch im Wald liegenden Platz wandern wollte. Von hoch oben über der Mosel sah der im späten Sommerlicht leuchtende Moselort so einladend aus, dass ich die Höhenmeter des nächsten Tages in Kauf nahm. Auf meiner Radtour nach Trier vor 2 Jahren war ich auch hier. Nun wieder. Stammgast für einen Tag.

      Der Besitzer dreht grade seine Runden mit dem Aufsitzmäher, das wichtigste Werkzeug hier. Im Prinzip ist der Platz nur eine Wiese, doch mehr Golfrasen als Wiese. Es gibt nur drei oder vier Dauercamper. Es gibt keine abgegrenzten Parzellen, keine Hecken, keinen Sichtschutz, keine Zäune, keine nummerierten Stellplätze, keine Zugangskontrolle und das Zäunchen im unteren Platzteil könnte ein von Arthrose geplagter Dackel ohne Mühen überwinden. Manchmal schwappt die Mosel über den unteren Platzteil und wenn es dicke kommt, sogar über den oberen. In meinen Augen ist das gut so. Das hält Dauercamper mit ihren unseligen Bretterbuden fern. Eine Campingplatzordnung, die mir woanders schon oft ausgehändigt wurde, habe ich dort noch nie gesehen. Es wird eine geben. Doch die soziale Kontrolle erfolgt durch die Gäste. Alles ist einsehbar. Wer sich nicht hinter Hecken und Zäunen und Sichtschutzplanen verstecken kann, benimmt sich. Zum Feiern als Jugendlicher wäre ich hier nie gelandet. Abends um 10 ist es mucksmäuschenstill. Nur die Dehnungsfuge der Brücke nebenan stört wenn ein Auto drüber rumpelt.
      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 18.03.2016, 23:12. Grund: Die finale Korrekturrunde?
      .

      Kommentar


      • retebu
        Erfahren
        • 15.09.2008
        • 433
        • Privat


        #4
        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

        Geht bestimmt weiter

        Kommentar


        • Enja
          Alter Hase
          • 18.08.2006
          • 4869
          • Privat


          #5
          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

          Auf dem Platz in Trittenheim bin ich auch Stammgast. Da werden wir immer liebevollst versorgt.

          Kommentar


          • Werner Hohn
            Freak
            Liebt das Forum
            • 05.08.2005
            • 10870
            • Privat


            #6
            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

            Klar geht es weiter; und Enja wird noch die eine oder andere Stelle wiedererkennen.
            .

            Kommentar


            • Werner Hohn
              Freak
              Liebt das Forum
              • 05.08.2005
              • 10870
              • Privat


              #7
              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

              Dritter Tag: Ohne besondere Vorkommnisse
              Trittenheim – Nennig (Campingplatz)

              Einsames Anrollen. Kein Mensch ist unterwegs. Ereignisloses Abfahren der letzten Moselschleifen, die diese Bezeichnung verdient haben. Ab Trier wird die Mosel für ein ganzes Stück gradliniger. Der eine oder andere Fotostopp, obwohl es nichts zu fotografieren gibt. Frühstück mit Rentnern am Neukauf in Schweich. Den Moselradweg bis Trier runterspulen. Die Weinberge mit den Sonnenuhren liegen nun hinter mir. Trier lasse ich links liegen. Zu oft bin ich in dieser Stadt gewesen. Schon zu Kindeszeiten wurden wir durch die Kaiserthermen gescheucht. Am Ortsausgang kommt mir ein Tretrollerfahrer entgegen. Vollbremsung fürs Fachsimpeln. Er hat das Auto in die Werkstatt gebracht und fährt nun mit dem Roller zurück. Für ihn gibt es kein besseres Stadtfahrzeug.

              Die Saarmündung ist einen Halt wert. Die Mündung scheint ein gutes Angelrevier zu sein. Wie überall, hocken auch hier nur Männer hinter den Angeln. Eine Frau habe ich noch nie mit einer Rute gesehen. Ab der Mündung der Sauer in die Mosel, habe ich Luxemburg an meiner rechten Seite. Man rüstet fürs nahende Hochwasser, jedenfalls im deutschen Oberbillig. Eine mobile Spundwand wächst aus der Straße. Gegenüber in Luxemburg geht alles seinen normalen Gang. Gegenüber weht eine Europaflagge in der Mittagsbrise, die das Flusstal hinunter weht.

              Die Princesse Marie-Astrid

              Mittagspause in der prallen Sonne. Es ist warm geworden. Die Princesse Marie-Astrid, höchstwahrscheinlich der Stolz der luxemburger Binnenschiffer, zieht an mir vorbei. Passagiere sind nicht viele zu sehen. Nach ausgiebiger Pause starte ich die Aufholjagd. Das ist einfach, doch ich habe eine Beschäftigung, die zwar nicht besonders sinnvoll ist, aber die Zeit geht vorüber. Nennig kündigt sich mal wieder mit seinem mehr oder weniger halboffiziellen Campingplatz an. Einen Halt kann ich mir sparen. Vor Jahren wurden wir hier abgewiesen. Es gibt hier keinerlei Sanitäranlagen, keinen richtigen Eigentümer, keine Verwaltung, angeblich jedoch eine Genehmigung für den Platz, der sich mehr als einen Kilometer das Flussufer entlang zieht. An der Brücke nach Luxemburg sind genug Plätze, die Urlauber aufnehmen, wurde uns damals ziemlich unwirsch beschieden.

              Die vergammelten ehemaligen Zollstationen an der Brückenauffahrt am deutschen Ufer teilen sich Richtung Luxemburg eine Dönerbude und Richtung Deutschland ein Asia-Imbiss. Kaffee trinken am sonnigen Moselufer in Luxemburg. Ein Bummel durchs, na ja, touristische Remich. Ansonsten? Nix! Die Wäsche ist trocken, als ich zurück komme. Meine holländischen Nachbarn haben sich wie es scheint nicht bewegt während meines Spaziergangs nach Luxemburg. Immer noch haben alle vier einen Tablet-PC in den Händen, auf den sie ohne Unterlass starren. Einen „Block“ weiter haben sich – neutral und neudeutsch formuliert – bildungsferne Familien niedergelassen, deren Hauptbeschäftigung im Konsum nicht jugendfreier Getränke zu bestehen scheint. Selbstverständlich unter vergammelter Deutscher Flagge. Es wird Zeit, dass ich über die Grenze komme!

              Vierter Tag: Vive la france?
              Nennig – Metz/Frankreich (Campingplatz)

              Die Nacht war kalt. Mehrmals bin ich wach geworden, weil mein Sommerschlafsack eben ein Sommerschlafsack ist. Ein letztes Frühstück am Rande der Republik, im Wasgau Markt in Perl. Trotz Sonntag hat die Bäckerei offen. Ein letzter Tratsch in der Muttersprache, und dann ab über die Grenze, nach Luxemburg. Eine Runde durch Schengen muss unbedingt sein. Wer freizügiges Reisen liebt, für den ist das Städtchen Pflicht. Zurück über die Brücke. Die Straße runter, der Radwegbeschilderung hinterher, unter der Brücke wieder zurück zur Straße, genau die, die ich eben hinunter gefahren bin. Radwege … ich könnt mal wieder. In Sierck-les-Bains bin ich in Frankreich. Apach, den eigentlichen Grenzort, bekommt kein Mensch mit, der steht nur auf den französischen Radwegweisern in Gegenrichtung. Unter dem Bahndamm hindurch an die Mosel, auf auf den Radweg. Weit, weit voraus schickt das AKW Cattenom drei weiße Rauchwolken in den makellos blauen Himmel. Es müssten vier Rauchsäulen sein. Ein Block liegt mal wieder still.


              Schengen

              Radfahrer sind unterwegs. Ein Fußballspiel an einem namenlosen Dorfrand lockt jede Menge Zuschauer an. Spaziergänger treffe ich nur in der Nähe der Orte. Meist bleibt der Weg diesen fern. Mäandernd, dem Lauf der Mosel folgend, kreise ich um die drei Rauchsäulen. Mal sind diese vor mir, dann neben mir, und wenn ich glaube, es geschafft zu haben, muss ich nur den Kopf drehen, dann sind sie wieder da. Kehre an Kehre schlängelt sich der Radweg durch die in die Breite gegangene, kaum als Tal wahrzunehmende Landschaft. Durch Thionville hindurch, wie schon tausendmal auf der Autobahn. Wollte ich mir nicht alles ansehen? Ist die Stadt sehenswert. Nein, entscheide ich angesichts des Radwegweisers nach Metz und der Véloroute du Téméraire. Die ist makellos glatt, offensichtlich neu oder generalüberholt ist. Alleine auf dem Radweg. Sonntäglich träges Frankreich.


              Cattenom in der Ferne

              Endlich fahre ich nach Süden, und das nun für Tage. Ach was, das wird so bleiben. Als ich Metz erreiche, bin ich im Kopf alle Ort durchgegangen, die mir an der Route zum Mittelmeer eingefallen sind. Und dann stehe ich am Stadtrand von Metz. Vor mir ein Feld, weiter hinten das blaue Zentrallager von IKEA, links eine Batterie Getreidesilos aus Beton. Ist den Franzosen auf den letzten 300 Metern das Geld für den Radweg ausgegangen?

              Der Campingplatz ist nahe der Autobahn und direkt an der Mosel, fast in der Stadtmitte, somit ein beliebter Übernachtungsplatz für Camper. Die Mosel führt Hochwasser. Schmutzig, allerlei Unrat mit sich führend und dreckigbraun, gurgelt das Wasser der Mosel zu Tal. Es schüttet in Frankreich seit Wochen. An unserem letzten Urlaubstag im April in Südfrankreich hat der Regen angefangen. Im Norden des Landes sind die Felder größtenteils abgesoffen. Die Ernte wird bescheiden ausfallen. Eine kurze, schnelle Rundfahrt durch die Stadt mit dem Rad. Nur für die Fotos. Mehr muss nicht sein. Zu oft in der Stadt gewesen. An den Eisbuden stehen die Leute Schlange. Nach einem kühlen Morgen, ist es ein heißer Nachmittag geworden. Beinahe wie ein Sommertag. Wird das Wetter besser werden? Die vergangenen Tage entlang der Mosel waren mehr Sommer, denn nasses Frühjahr.

              Uckange

              Auf dem Campingplatz treffe ich zwei Jungs aus Holland, die auf dem GR 5 auf dem Weg von der Nordsee nach Nizza sind. Nicht am Stück. wochenweise geht es nach Süden. Die beiden schieben einen Pausentag ein. Die Motivation, meint der Ältere, das Satzende auslassend, mit einer sowohl Entschuldigung wie auch Resignation andeutenden Schulterbewegung. Nachmittags bricht an einem ihrer Zelte ohne ersichtlichen Grund ein Gestängebogen.

              Daneben hat ein junger Mann aus London sein Zelt aufgebaut. Sein Rad hat er mit drei Schlössern am Zaun gesichert. Zuhause wäre das anders nicht machbar. Zuhause würde er dieses Rad nicht aus den Augen lassen. Er ist auf dem Weg nach Barcelona. Oh, meine Richtung. Man könnte … schießt es mir durch den Kopf. Lieber nicht, denn mit seinem Englisch habe ich ungeahnte Schwierigkeiten. Was der da redet, hat mit der mir bekannten Sprache nichts zu tun. Es würden schwierige Tage für mich werden. Zudem ist er mindestens 30 Jahre jünger. Am ersten leichten Anstieg würde er davonfahren, am zweiten, auf mich wartend, langsamer kurbeln, am dritten wäre er weg. Beiläufig spricht er vom „Kopf frei fahren“. Ja denn, nun werde ich auf alle Fälle alleine weiter fahren.

              Metz - Kathedrale

              Mit der Dämmerung kommt noch ein Kanadier mit Rad, ein Frankokanadier. Hurra, der spricht ein klares Englisch. Seit 18 Jahren fliegt der jedes Jahr für eine Radtour nach Europa. Drei bis vier Monate wird er diesmal unterwegs sein. Von Paris soll es nach Polen und weiter nach Griechenland gehen. Kanada sei sowas von langweilig. Stundenlanges Radfahren durch Wälder auf schnurgeraden Straßen an deren Rändern keine Orte zu finden sind, seien der Inbegriff der Langeweile. Es wird ein unterhaltsamer Abend.

              Vive la france? Mal sehen. Der erste Tag ist vielversprechend.

              Fünfter Tag: Langstreckenpilger, Langstreckenradfahrer
              Metz – Villers bei Nancy (Campingplatz)

              Hinaus aus der Stadt mache ich kurzen Prozess: Ich nehme den Wanderweg des GRP Metz-Nancy am Ufer des Moselkanals. Für Radfahrer verboten. Alle halbe Kilometer stehen Barrieren mit Schildern, die man nicht missverstehen kann. Morgens, bevor der Tag richtig beginnt, ist kein Wanderer oder Pilger unterwegs der maulen könnte. Wassergebunden, halbwegs glatt und viel wichtiger, der Weg führt ziemlich genau in die Richtung, in die ich muss. Vor Jahren sind meine Frau und ich auf diesem Weg aus der Stadt hinausgewandert, um nach einem Abstecher nach Metz wieder auf den GR 5 zu kommen.

              Am Moselseitenkanal bei Metz

              In Ars-sur-Moselle wechsele ich endgültig auf die Straße. Radwege wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Am Ortsausgang von Novéant-sur-Moselle, fast schon in Arnaville, treffe ich auf einen Pilger. Auf der Bank, auf der auch wir vor Jahren gesessen haben und den Kopf über die Wegführung des Pilgerwegs geschüttelt hatten, sitzt ein Belgier. Alles an ihm strahlt Unterwegssein aus. Verbranntes Gesicht, von der Sonne gebleichte Klamotten, die Farbe des Rucksacks ist nicht mehr zu bestimmen. Der Packsack für das Zelt ist mehrfach mit Klebeband ausgebessert. Trotzdem schaut das Gestänge heraus. Hinten am Rucksack baumelt die unverzichtbare Jakobsmuschel.

              Seit 8 Monaten ist der Mann unterwegs. Gestartet ist er in Saint-Malo an der französischen Kanalküste. Über kaum bekannte Pilgerwege ist er nach Irun in Spanien gewandert. Über den Küstenweg hat er Santiago de Compostela erreicht. Weihnachten hat er mit anderen Pilgern in der Stadt gefeiert. Noch im Januar hat er sich wieder auf den Weg gemacht. Den Camino francés, den Jakobsweg ist er in Gegenrichtung gewandert. Es sei ein nasser, kalter und einsamer Camino gewesen. In Saint-Jean-Pied-de-Port, schon hinter den Pyrenäen, ist er auf den GR 653, die Via Tolosana, gewechselt. Nach 700 km ist er im Frühjahr in Arles am Rande der Camargue angekommen. Ab da ging es nach Norden. Über Le-Puy-en-Velay ist er nun an der Mosel gelandet. Das zählen der Kilometer hat er schon lange aufgegeben. Irgendwas zwischen 5 und 6.000 werden es bis jetzt sein. Es ist nicht mehr weit bis nach Belgien. Geschlafen hat er in Pilgerherbergen oder im Wald. Geld hat er so gut wie keins mehr. Trotzdem sieht er ungemein zufrieden aus. Er schaut aus, als würde er nach der Heimkehr schnellstmöglich wieder aufbrechen. Irgendwo auf dem langen Weg hat er den Schritt aus der bürgerlichen Gesellschaft gemacht. Als ich ihm das sage, muss er lachen, und bestätigt, mit dem Kopf schon wieder unterwegs zu sein. Die beste Art eine Reise zu beenden, ist schon unterwegs eine neue zu planen.

              Der Engländer vom Vortag überholt mich kurz vor Nancy. Wie erwartet, zieht er an einem kurzen Anstieg mühelos an mir vorbei. Ich lasse ihn ziehen, und bin nicht böse drum. Am fünften Tag unterwegs, habe ich mich längst wieder an das Alleinsein gewöhnt.

              Dieulouard - Burg

              Nein, nein, der Campingplatz ist nicht in der Stadt, egal was meine Straßenkarte sagt. Der professionell freundlichen jungen Frau in der Touristeninfo der Stadt Nancy sieht man an, dass es ihr schwer fällt, dem verschwitzten, etwas streng riechenden alten Mann eine erschöpfende Auskunft zu erteilen. Nein, auf dem kostenlosen Stadtplan ist der Campingplatz nicht mehr drauf. Ich muss nach Villers-lès-Nancy. Das liegt am Stadtrand, oben an der Autobahn. Die Frau ist so blasiert, dass es mich in den Fingern juckt, sie solle doch bitte im Grand Hotel De La Rheine am Place Stanislas nebenan anrufen, um mir ein Zimmer zu reservieren. Das Jucken hört schnell auf.

              Grobe Richtung Westen, grober Anhaltspunkt, Berg hoch. Wenn es runter geht, bin ich falsch. An der ersten Tankstelle kaufe ich einen Stadtplan. Ein freundlicher Franzose, der, - Hurra!, Hurra! - der englischen Sprache mächtig ist, gibt mit den Tipp, nicht den direkten Weg zum Campingplatz zu nehmen. Der sei wahnsinnig steil. Ob der weiß, was er spricht, denke ich beim Blick in den Stadtplan. Seine Empfehlung bedeutet einen gehörigen Umweg, der auch nicht flach ist. Doch!, doch!, unterstreicht er seinen Vorschlag mit Nachdruck. Oben angekommen bin ich beim Blick ins Tal froh, dass er mit Nachdruck auf seiner Empfehlung bestanden hat. Der direkte Weg hinunter in die Stadt sieht verdammt steil aus.


              Nancy - Place Stanislas

              Zum Cap Nord will er. Eben dass ich das Zelt aufgebaut habe, krabbelt aus dem Nachbarzelt ein alter, drahtiger Franzose. Vor seinem Tunnelzelt steht gleichfalls ein Fahrrad. Freundlich, verlegen lächelnd, als wolle er sich für sein Ziel entschuldigen, wiederholt er noch einmal, dass er zum Nordkap will. Das habe ich verstanden. Der Rest wird schwierig. Mein Französisch ist um es freundlich auszudrücken, nur noch rudimentär. Mein Gegenüber spricht ausschließlich die Sprache der Grande Nation. Es wird ein lustiges Gespräch. Karten, Gesten und zusammengeschusterte, in keinem Wörterbuch vorkommende Worte füllen den späten Nachmittag aus. Schietwetter hat er seit seinem Aufbruch in Lyon gehabt. Eine Woche ist das her. Das mit dem Schietwetter, daran muss er sich wohl oder übel gewöhnen. Wer zum Nordkap will, sollte nicht mit azurblauem Himmel für Wochen rechnen. Dafür muss er nun für Tausende Kilometer keine Anstiege mehr hoch.

              Gestern der Kanadier, heute Morgen der Belgier und nun der Franzose. Langsam schwant mir, dass ich auf dem Weg durch Frankreich andere Menschen treffen werde nur als nur Dauercamper.

              Der erste Abend mit Regen. Schweinekalt und ungemütlich ist es geworden. Die lange Unterhose wird ran müssen. Im Sanitärgebäude bullert die Heizung auf Hochtouren. Treffpunkt fürs Schwätzchen mit den Nachbarn. Die Busfahrt hinab in die Stadt spare ich mir. Die Dame von der Touri-Info wirkt noch nach. Zu essen gibt es das, was in dem Regalfach in der Rezeption zu finden war: eine Tüte Nudeln und frische Tomaten, gekocht mit einem Trockenwürfel Gemüsebrühe. Nouvelle Cuisine in der Apsis. Nebenan rauscht die Autobahn. Es kann nicht weit sein bis zum Autobahndreieck, wo es hinunter geht nach Metz. Ab hier ist die Autobahn Richtung Süden mautpflichtig. Hier wechselt der sparsame Holländer mit seinem Gespann auf die Nationalstraße, auch wenn ihn das mehr Sprit kostet als die Autobahnbetreiber an Gebühren verlangen.
              Zuletzt geändert von Werner Hohn; 09.12.2015, 20:48.
              .

              Kommentar


              • Enja
                Alter Hase
                • 18.08.2006
                • 4869
                • Privat


                #8
                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                Ja, bisher erkenne ich alles wieder. Auf dem Jakobsweg sind wir zwar nicht über Nancy. Aber auf der Tour die Mosel entlang. Gleiches erleben. Die arrogante Touri-Info. Der CP nicht auf dem Plan. Immer bergauf. Wir haben den direkten Weg genommen. Das war heftig. Aber der Platz dann recht nett.

                Ich könnte zu Vergleichszwecken meinen Jakobsweg-Bericht hier einstellen. Wäre vielleicht interessant.

                Kommentar


                • Wafer

                  Lebt im Forum
                  • 06.03.2011
                  • 9533
                  • Privat


                  #9
                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                  Hallo Werner.

                  Deine Berichte sind immer lesenwert! Es freut mich, dass du uns wieder teilhaben lässt an deiner Reise und deiner Gedankenwelt. Ich freue mich auf die Fortsetzung!

                  Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                  Ich könnte zu Vergleichszwecken meinen Jakobsweg-Bericht hier einstellen. Wäre vielleicht interessant.
                  Das wäre eine gute Idee! Also einen Leser hättest du!

                  Gruß Wafer

                  Kommentar


                  • Werner Hohn
                    Freak
                    Liebt das Forum
                    • 05.08.2005
                    • 10870
                    • Privat


                    #10
                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                    Sechster Tag: Bei Aldi
                    Villers bei Nancy – Lac du Bouzey bei Épinal (Campingplatz)

                    Nasskalt ist es beim Packen. Der Himmel ist wolkenverhangen. Dunkel ist es auch noch. Ich bin früh dran. Der Franzose mit Ziel Nordkap packt ebenfalls schon. Sein bonne route, klingt mir hinterher. Die Regenjacke zugezogen bis unters Kinn, könnte ich Handschuhe gebrauchen, die ich natürlich nicht dabei habe. Mir fällt der Rat vom „derMac“ ein, auch im Sommer nicht ohne Handschuhe auf Radtour zu gehen. Zu spät. Gegen den Berufsverkehr steil hinunter zur Mosel, nach Neuves-Maisons. An der Kreuzung links auf die D 115. Das Sträßchen wird mich zur D 570 und dem Canal de Est bringen. Schon da ist von der immer noch nahen Stadt nichts mehr zu spüren. Unter dem immer noch grauen Himmel gehört die D 570 mir alleine. Die Autofahrer nehmen die gut ausgebaute Nationalstraße. Auf dem Moselseitenkanal ist bis auf den Ponton der Voies navigables de France (VNF) kein Schiff unterwegs.

                    Gripport

                    Radwege gibt es schon seit letzten Nachmittag nicht mehr. Gut so. Es ist einfacher den Straßenschildern zu folgen, denn die sind größer, somit weithin sichtbar. Das allerbeste ist, für Autofahrer wird immer großräumig ausgeschildert. Meistens jedenfalls. Und im Zweifel immer der Straßennummer hinterher. Der elende Stopp, um nachzuschauen, ob das auf dem Radwegweiser grade auftauchende Kaff in meiner Richtung liegt, entfällt.

                    Halt bei Aldi in Roville-devant-Bayon. Das Baguette klemmt schon unter der Packrolle. Der Camembert aus Aldis Kühlregal kostet mich 15 Kilometer. Eine Frau alleine schmeißt den Laden. Der Kundin ganz vorne fällt eine Milchflasche runter. Die Kassiererin unterbricht ihre Arbeit, sucht nach Putzeimer und Putzlappen. Nach 10 Minuten geht es weiter. Das Pärchen vor mir ist dran. Wie alle Supermärkte in Frankreich, hat auch Aldi nur die extrem tiefen Einkaufswagen. Wer es je mit dem Rücken hatte, wird sich fragen, wie die unterste Lage ausgeräumt werden soll, ohne anschließend beim Orthopäden zu landen. Die beiden vor mir haben den Wagen voll gemacht, übervoll. Ein ordentlicher Hügel wölbt sich weit über den chromblitzenden Rand des Einkaufswagens. Es passt nicht alles aufs Band an der Kasse. Er braucht einen Euro für einen leeren Einkaufswagen, damit er einräumen kann, was die Kassierin schon über die Glasscheibe des Scanners gezogen hat. Den Euro hat er nicht. Er startet eine Umfrage im Markt, die sich hinzieht. Nein, angeblich hat niemand einen übrig. Ich auch nicht. Er raus zum Auto. Nach einer gefühlten Stunde kommt er mit dem leeren Einkaufswagen.

                    Es kann los gehen. Die Kassiererin, nun ausgeruht, zieht die Ware im Akkord über den Scanner. Dem Mann ist anzusehen, dass er motorisch nicht zu den schnellsten seines Geschlechts gehört. Weinflasche entkorken oder Bierdose aufreißen liegt ihm mehr. Ob das stimmt? Keine Ahnung, in diesem Augenblick auf alle Fälle, denn für meine Begriffe stehe ich schon viel zu lange. Ich stehe da mit einem Käse, mehr nicht, und der da vorne kommt nicht in die Pötte. Die Frau legt immer noch Ware auf, die Kassiererin scannt im Akkord, der Mann kommt nicht nach. Endlich hat die Frau alles auf dem Band. Was ihr Mann nicht schafft, erledigt sie mit einer Armbewegung. Einmal mit dem Arm quer übers Band und die angestaute, gescannte Ware liegt im Einkaufswagen. Warum sucht sie sich nicht einen neuen Kerl, einen der nicht so lahm im Kopf ist?

                    Kanalbrücke über der Mosel bei Épinal

                    Endsumme: Zweihundertfünfzigundnochwas. Ich staune. Bei Aldi habe ich das für nicht möglich gehalten. Es geht ans Bezahlen. Die Kreditkarte der Frau wird nicht akzeptiert. Der Mann muss ran. Ob dessen Karte noch finanziellen Spielraum aufweist? Meine Vermutung, dem ist nicht so, bestätigt sich umgehend. Mittlerweile stehen ein Dutzend Leute hinter mir. Niemand meckert, keiner schaut ungeduldig auf die Uhr. Das ist so 'ne Art Kino für die.

                    Es geht weiter. Nur wie? Es bleibt nur noch Bargeld. Ehrlich gesagt, in bar traue ich die Summe den beiden nicht zu. Stimmt, haben sie nicht. Ganz, ganz knapp wird die 170-Euro-Marke verpasst. Was tun? Ware ausräumen. Es entbrennt eine lautstarke, vermutlich aufschlussreiche Diskussion über das was wichtig ist im Leben, zwischen dem Mann und der Frau, der ich leider nicht folgen kann. Gestik und Mimik reichen aber auch. Die Palette mit dem Bier und der Karton Rotwein gehören bei ihm nicht zur Verhandlungsmasse, bei ihr schon. Endlich mischt sich die Verkäuferin ein, die darauf hinweist, dass der Laden um 12 Uhr wegen der zweistündigen Mittagspause geschlossen wird, was die Leute hinter mir ziemlich erheitert. Kurz vor 12 bin ich draußen. Was für ein glückliches Land muss Frankreich sein. Aldi macht zwei Stunden Mittagspause!

                    Der Stopp hat auch sein Gutes. Die grauen Wolken haben sich verzogen. Die Sonne kommt immer öfter raus. Épinal, wohin ich zunächst wollte, streiche ich am Ortsrand. Mir steht der Sinn nicht nach Stadt, auch nicht auf so eine kleine wie Épinal. Den Berg hoch, zum Lac du Bouzey, wo es einen Campingplatz gibt, ist dann doch weiter als gedacht und anstrengender als gedacht ist es auch. Den Radweg, der von Golbey, ein Vorort Épinals, entlang des Kanals bis zum See führt, ignoriere ich. Er scheint wassergebunden zu sein und es wäre ein Umweg.

                    Lac de Bouzey

                    An der Rezeption des Campingplatzes werde ich von einem Mann nach dem Woher und Wohin, dem Wieso und Weshalb ausgefragt. Schon wieder einer, der Englisch kann. Immer öfter frage ich mich, ob es nicht ein Klischee ist, dass die Franzosen keine Fremdsprache beherrschen. Ein Klischee, dem wir liebevoll anhängen, weil es uns ein bisschen mehr als weltoffene Reisende dastehen lässt?

                    Der hinter dem Tresen der Rezeption erzählt von der besten Zeit seines Lebens, von einer langen Wanderung. Vor Jahren hat er eine 3.000 Kilometer lange Wanderung gemacht. Alle seine Freunde und Verwandten in Frankreich hat er zu Fuß besucht. Von der Mosel nach Genf. Durch die Westalpen in die südliche Provence, leider nicht bis ans Meer, was er im Nachhinein bedauert. Weiter nach Westen bis in die Pyrenäen. Zum Schluss in einem weiten Bogen über das Zentralmassiv zurück zu seiner Familie. Einige Zeit später hat er geheiratet. Wenn heute jemand auf dem Campingplatz erscheint, der auf einer langen Tour ist, beschleichen ihn dumme Gedanken.

                    Es ist nichts los auf dem Platz. Ein paar Holländer in Miet-Bungalows. Zwei französische Familien mit Kleinkindern. Mit dem Zelt bin nur ich da. Am Abend mache ich noch einen Spaziergang fast um den halben See. In der Dunkelheit erst komme ich zurück. Das Gehen hat ungemein gut getan. Dass man dabei alles intensiver wahrnimmt, hatte ich beinahe vergessen.

                    Siebter Tag: Nationalfeiertag auf dem Land
                    Lac du Bouzey – Vesoul (Hotel)

                    Nationalfeiertag in Frankreich. Seit dem 8. Mai 1945 gehört Frankreich zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Wie groß der Anteil am Sieg letztlich war, darüber hat sich erst in den letzten Jahren die Intelligenz des Landes den Kopf zerbrochen. Mir ist es egal. Dem Gros der Bevölkerung ebenfalls. Man ist Siegermacht und eine weitergehende Diskussion hat sich damit erübrigt. Charles de Gaulle jedenfalls hat frühzeitig erkannt, dass ein Platz auf dem Siegerpodest dem Land gut zu Gesicht stehen wird. Hat es auch, doch heute ist das alles längst vergessen. Dass auch noch Alliierte dabei gewesen sind ist an den Denkmälern für die Toten des Krieges nicht zu erkennen. An den oft kurzen und dünnen Fahnenmasten neben den steinernen, wenn sie noch aus dem Ersten Weltkrieg stammen, oft martialischen Mahnmalen, weht nur die Trikolore. Am Fuß ein Kranz, ein Gebinde, viel zu oft nur Plastikblumen. Meist nichts. Nur im verschlafenen Bains-les-Bains wehen neben der Französischen noch die Amerikanische und Britische Flagge. Vom Feiertag nimmt niemand Notiz. Die Menschen haben frei, müssen nicht zu Arbeit. Das ist noch wichtig. Der Krieg, der Sieg? Hier nur noch Geschichte. Umzüge, Reden sind nirgendwo angekündigt. Rasen wird gemäht, das Auto gewaschen und durch die kurze Hauptstraße des nächsten Dorfs hört man das typische Geräusch laufender Betonmischmaschinen. Das ist vom Sieg geblieben. Auch eine Form von Kriegsgewinn: ein arbeitsfreier Feiertag. Ist auch gut so.


                    Auf dem Land bei Fieuze an der D 4

                    In Girancout stauen sich an der Theke der einzigen Bäckerei die Menschen. Immer wieder bin ich erstaunt, wie viele Arten Baguette es gibt. Das jedes Brot eine eigene Bezeichnung hat, wird mir, der immer Baguette, wenn ich weltgewandt sein möchte, auch mal eine Flûte verlangt, mit einem freundlichen Lächeln nachgesehen. An diesem Morgen fährt der Zeigefinger der Verkäuferin den Ständer mit den Broten ab. Bei einem dunklen, kurzen sage ich Stopp. Na also, was wollen wir mit Fremdsprachen.

                    Es macht immer wieder Spaß über das Land zu fahren. Verlassene kleine Straßen, welliges Land. Gelegentlich fahre ich am Canal de Est entlang. Immer noch gibt diese schmale Wasserstraße die Richtung vor. Einen Radweg gibt es zwar nicht, genau am Kanal entlang fahren geht auch nicht, doch wo ein Kanal ist, kann die Landschaft so steil nicht sein.

                    Durch Fontenoy-le-Château führt der Kanal, hier mal wieder als Seitenkanal neben dem Fluss Côney. Canal de Est darf der Kanal nur noch in meiner alten Straßenkarte aus dem Jahr der Jahrtausendwende heißen, heute ist das der Kanal Canal des Vosges, der sich mit dem Canal de la Meuse den langen alten Kanal teilt.

                    Fontenoy-le-Château

                    Am Kai liegt eine große Motoryacht aus Holland. Genauer aus Brielle. Auf meiner Wanderung über den holländischen Weitwanderweg Deltapad bin ich 2010 durch Brielle gewandert. Europa ist übersichtlich, denke ich; und wenn man reiselustig ist, dazu lange genug lebt, kommt man immer wieder in Orte, die man mit anderen bekannten Orten in Verbindung bringen kann. Der Schiffsbug zeigt nach Süden. Es ist offensichtlich, dass man ans Mittelmeer will. Wenn es hier einen Menschen gibt, der das versteht, dann bin ich das. Das Dorf ist verschlafen. Viele Häuser stehen leer. Das stattliche Postgebäude hat seine beste Zeit lange hinter sich. Früher gab es bestimmt einen stolzen Postmeister, der Herr über dieses Gebäude war. Heute sind die Fenster der oberen Etage blind. Den Ort hinaus geht es über gröbstes Kopfsteinpflaster. Das tut weh bis hoch in die Schultern. Noch bevor ich mit den Überlegungen fertig bin, abzusteigen und zu schieben, bin ich am Ortsausgang.

                    Vauvillers - 'Halles de bois'

                    Ereignislos ist das Land nun. Senke, Hügel, Senke, Hügel. Nicht viel rauf, nicht viel runter. Überwiegend Wiesen, dazwischen gelbe, weithin leuchtende Rapsfelder. Es ist noch nicht lange her, da hat man sich danach umgesehen, heute sind sie alltäglich geworden auf dem Land. Einen steilen Anstieg habe ich bei der Routenwahl gestern Abend übersehen. Auf der zuverlässigen Michelin-Karte sind auf der D 434 hinter Faverney zwei Pfeile zu sehen. Das bedeutet, auf mich kommen 9 bis 13 Prozent Steigung zu. Auf halbem Weg will ich absteigen. Ich bin zum Verkehrshindernis geworden. Warum nicht schieben? Es sieht doch niemand. Elende Quälerei. Der Schweiß rinnt in die Augen, die anfangen zu brennen. Der Hintern leidet, der Schritt leidet. Das T-Shirt klebt am Rücken. Im Polster der Radhose sammelt sich der Schweiß. Verdammt, warum steige ich nicht ab? Falscher Ehrgeiz. Oben angekommen, bin ich für die nächsten Minuten erledigt. Ein vorsichtiger Blick in die Karte: Habe ich noch eine Zwei-Pfeile-Steigung übersehen? Glück gehabt, es kommt nur noch eine Ein-Pfeil-Steigung. 5 bis 8 Prozent, darüber lässt sich wegrollen.

                    Eine Woche unterwegs, Nationalfeiertag. Den Campingplatz überlasse ich anderen und gönne mir ein Hotel. Das Ibis in Vesoul liegt genau an der Strecke zum Campingplatz, weil ich den direkten Weg dorthin, die Kraftfahrstraße, nicht nehmen darf. Ja, kein Problem, das Fahrrad kann mit aufs Zimmer. Da ich jede Menge Ibis Hotels kenne, wird auf der Stelle um einen anderen Platz verhandelt. So groß sind die Zimmer auch wieder nicht. Mit der Frau am Empfang einige ich mich aufs Chefbüro. Der ist sowieso nicht da. Feiertag. Vielleicht mäht er den Rasen vor seinem Haus.
                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 16:42. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                    .

                    Kommentar


                    • Igelstroem
                      Fuchs
                      • 30.01.2013
                      • 1944
                      • Privat


                      #11
                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                      Ich möchte gerne jeden Tag zwei Tage Werner Hohn lesen.
                      Lebe Deine Albträume und irre umher

                      Kommentar


                      • Flachlandtiroler
                        Freak
                        Moderator
                        Liebt das Forum
                        • 14.03.2003
                        • 29704
                        • Privat


                        #12
                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                        OT:
                        Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                        Ich könnte zu Vergleichszwecken meinen Jakobsweg-Bericht hier einstellen. Wäre vielleicht interessant.
                        Aber bitte nicht in den gleichen Thread!



                        Gruß, Martin *auch auf Fortsetzung(en) gespannt*
                        Meine Reisen (Karte)

                        Kommentar


                        • Werner Hohn
                          Freak
                          Liebt das Forum
                          • 05.08.2005
                          • 10870
                          • Privat


                          #13
                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                          Leute, Leute, das ist Arbeit. Zwei Tage pro Tag ... kennt jemand einen guten Scheidungsanwalt, der für mich das maximale rausholen kann?

                          Vor Jahren hatte ich um Zwangssperrung gebeten, wenn ich wieder mit einem langen Reisebericht anfangen sollte.
                          .

                          Kommentar


                          • Werner Hohn
                            Freak
                            Liebt das Forum
                            • 05.08.2005
                            • 10870
                            • Privat


                            #14
                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                            Achter Tag: Auf Frankreichs Straßen
                            Vesoul - Besançon (Hotel)

                            Packen im Hotel ist klasse, denn es gibt nichts zu packen. Einem mageren Frühstück, das wie in beinahe jedem Hotel in Frankreich sein Geld nicht wert ist, folgt ein früher Start. Vesoul habe ich mir gestern nicht angesehen. Ein handfester Grund für einen Stadtbummel ist mir beim besten Willen nicht eingefallen. Die ziemlich ereignislose Runde durch die Stadt auf die ich geschickt werde, weil die Ausschilderung für die Autofahrer meine Richtung bestimmt, bestätigt, dass das Liegen auf der Wiese eine gute Entscheidung gewesen ist. Durch das Industriegebiet am nach Leerstand ausschauenden Peugeot-Werk vorbei, verlasse ich die Stadt. Wohin es genau gehen soll, weiß ich noch nicht. Auf der Liste stehen Gray an der Saône und Besançon am Doubs. Bis Gray ist es nicht weit, vielleicht 40 km, bis an den Doubs maximal 25 mehr. Noch bis Raze kann ich die Entscheidung aufschieben. Nach links, die Karte runter, oder geradeaus zum linken Kartenrand? Wie ich mich kenne, wird der Wind, eine eventuell erkennbare Steigungsstrecke oder einfach der bessere Straßenbelag den Ausschlag geben.

                            Noch lasse ich mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Es ist angenehm, die am Morgen noch nicht stechende Sonne auf der Haut zu spüren. Stopp, Werner, hier stimmt was nicht! Früh am Morgen, Sonne im Gesicht, das kann nicht sein, wenn die potentiellen Ziele im Westen oder Süden liegen. Ach, der Kreisverkehr in der eben durchfahrenden Siedlung! Auf einer Nebenstrecke bin ich auf dem Weg zurück in die Stadt. Vier Kilometer für die Katz. Gut, das waren flache Kilometer, trotzdem.

                            Neuvelle-lès-la-Charité - Abbaye de la Charité

                            Es steht fest. Nach Besançon fahre ich heute. Den Ausschlag hat ein Rudel Rennradfahrer gegeben. Die sind hinter Raze nach links gefahren. Hinterher! So lange wie die gebraucht haben, um mich zu überholen, kann nur bedeuten, dass die nicht trainiert sind, und untrainierte Rennradfahrer, einige mit feister Plautze, fahren keine Steilstrecken, höchstens hinab. Kaffeepause am Supermarkt in Fretigney. Dieser hier hat heute auf, sogar bis in den Abend.

                            Es ist wieder ein Feiertag. Christi Himmelfahrt. Zwei Feiertage hintereinander und dann kommt ein Freitag. Die Franzosen, die sich als Unternehmer betrachten, sehen das ganz praktisch: jeder macht was er will. Die einen machen am weltlichen Nationalfeiertag zu, die anderen am kirchlichen Feiertag, manche sogar an beiden. Beide Feiertage arbeitsfrei hätten nur die Beamten, die Angestellten der SNCF und des Energieversorgers EDF. Das darf jetzt nicht wahr sein. Mitten in der tiefsten französischen Provinz hocke ich mit einem Pappbecher Kaffee vom Imbisswagen in der Sonne, und bekomme auf Deutsch die Eigenheiten der Feiertagsregelungen unseres Nachbarn erklärt. Mein Gegenüber stammt aus dem Elsass und und hat an die dreißig Jahre in Deutschland gearbeitet. Zu seinem Glück, sagt er fröhlich, für ein französisches Staatsunternehmen, was ihm einen frühen Ruhestand bei ziemlich guter Pension beschert hat. Jetzt wartet er auf seine Frau, die den Einkaufswagen durch den Markt schiebt. Weil er Langweile hatte, hat er sich den Radfahrer gekrallt.

                            Ganz so flach wie ich mir die Strecke angesichts der dickbäuchigen Rennradfahrer vorgestellt hatte, ist diese dann doch nicht. Zwischendurch kreuzt mehrmals ein Jakobsweg. Für Wanderwegmarkierungen habe ich immer noch ein gutes Auge. In Oiselay-et-Grachaux kommt ein Mann mit großem Rucksack die Hauptstraße hoch. Ein Jakobspilger? Anhalten, fragen? Es läuft grade so gut. Schade, denke ich später, vielleicht hätte er Interessantes zu erzählen.

                            In Etuz am Ognon sehe ich die erste Markierung der Via Francigena, hinter der Brücke noch mehr. Offensichtlich hat sich was getan, oder bin ich zufällig in einer Region unterwegs mit einem aktiven Verein?

                            Berliet Lastwagen in Cussey-sur-l’Ognon

                            Weiter auf leeren Provinzstraßen, durch einen verlassenen Landstrich. Alte Häuser, manchmal mit Schrottautos im Hof, häufen sich. Ja, lang, lang ist es her, dass Berliet Autos und Lastwagen gebaut hat. Wann ich den letzten auf der Straße gesehen habe, weiß ich nicht mehr. PKWs habe ich von denen nie gesehen, dazu bin ich zu jung. An die LKWs kann ich mich noch erinnern. Nachdem diese aus dem Fernverkehr verschwunden waren, konnte man sie eine zeitlang bei kleinen Fuhrunternehmen im Regionaleinsatz oder als Baustellenfahrzeuge sehen. Ohne das es einem groß aufgefallen ist, sind die Lastwagen von Berliet nach und nach von den französischen Straßen verschwunden. Nach Irrwegen hatte Renault die Marke übernommen. Überlebt haben die Berliet in Museen, bei Sammlern und auf Schrottplätzen. In Cussey-sur-l’Ognon stehen drei alte Lastwagen von Berliet auf der grünen Wiese hinter einem alten Haus. Unter Bäumen gammeln sie sich vor sich hin. Einer ist noch gut in Schuss. Offensichtlich dienen die anderen Fahrzeuge als Ersatzteillager. Berliets auf den Straßen war Frankreich, mehr Frankreich als französischer Wein.

                            In Frankreich sieht man noch oft Schrottplätze mit alten ausschließlich französischen Autos. Oft habe ich den Eindruck, die sammeln den Schrott nur. Ausgeschlachtet und verkauft wird wohl nur an gute Bekannte. Einmal bin ich auf einer Wanderung aus Versehen auf so einem Platz gelandet. Hinten war kein Zaun. Nur alte Citroën, Peugeot, Simca und natürlich Renault. Als der Besitzer mich entdeckt hatte, wurde ich wutentbrannt von Hof gescheucht.

                            Auch die Simcas, diese Heckschleudern, sind von den Straßen verschwunden, mit ihnen die gelben Scheinwerfer der französischen Autos. Auf unseren ersten Urlaubsfahren mit den Kindern war das Ausschauhalten nach gelben Scheinwerfern eine beliebte, wenn auch nicht lange anhaltende Beschäftigung. Wer heute nach gelben Scheinwerfer Ausschau halten möchte, sollte Geduld aufbringen.

                            Nach Besançon zu fahren hatte ich mir so leicht vorgestellt. Dass dies eine hochkomplizierte Angelegenheit werden sollte, war am Abzweig Besançon/Gray nicht abzusehen. Wenn ich dort schon gewusst hätte, dass ich ein Dutzend Extra-Kilometer, mindestens 500 Höhenmeter zusätzlich, mehrere unterschiedliche Auskünfte und zwei Stunden dafür aufwenden muss, wäre es Gray geworden.


                            Die D 3 bei Fretigney

                            Nach Besançon hinein? Kein Problem! Die N 57 führt den Berg hinab bis ins Zentrum. Schade nur, dass die Strecke für Radfahrer gesperrt ist. Einer mit 'nem Rennrad meint, ich soll die Verbotsschilder ignorieren. Ortsfremden könne er keine bessere Lösung bieten. Nee, lass mal, die Straßenkarte zeigt eine Strecke über gelbe und weiße Nebenrouten. Auxon-dessous, Miserey-Salines, École Valentin und dann geradeaus in die Stadt. Wo liegt das Problem?

                            Umleitung in Auxon-dessous. Baustelle. ROUTE BARREE. Kommt, für Radfahrer an einem Feiertag, wird doch wohl was gehen! Die Bauarbeiten ruhen. Schweres Gerät ist keins zu sehen. Am Straßenrand stehen ein paar Überbleibsel der Arbeit: ziemlich dicke Betonrohre. Wenn irgendwo da oben auf dem Berg, da wo der Wald anfängt, noch ein Graben quer zur Straße offen ist … bei den Rohren … drüber über den Graben, würde ich es wohl nicht schaffen. Also Autos fahren keine. Im Garten an der Kreuzung wird mal wieder ein Rasenmäher geschoben. Heftiges Winken, Schreien, Gestikulieren. Ah, Miserey-Salines, oui. Er hat sich nicht geirrt. Die Gräben sind zugeschüttet. Die Bagger, die als Sperre quer auf der Straße stehen, sind aus dem Fahrradsattel schön anzusehen. Na also, klappt doch.

                            Miserey-Salines ist proper. Sanierte Kirche, schön einfallslose Einfamilienhäuser, eine Bushaltestelle mit einer schön bunten, viele, viele Striche und Nummern zeigende Tafel mit den Buslinien, doch Straßenschilder gibt es keine. Grobe Richtung Siedlung, den Berg hoch. Soll ich hoch? Dass nächste Auto wird gestoppt. Vater mit Kindern. Seit ein paar Tagen zwinge ich die Franzosen Englisch zu reden. Keine Frage mehr vorher, ob sie das können, das endet eh immer mit Non. Also ohne Umschweife drauf los. Oft klappt das. Der hier der hier gehört zur Gruppe, die sich keine Blöße geben will. Weil seine Kinder Englisch in der Schule haben, oder das er wirklich helfen will? Egal. Geradeaus den Berg hoch, dann rechts. Wirklich? Oui! Aus dem sich schließenden Fenster kommt noch ein good luck. Wie soll ich das verstehen?

                            Den kurzen Berg hoch. Das darf nicht war sein: ich lande auf der Nationalstraße, die ich bis zur nächsten Ausfahrt nehme. Wären da keine Schilder gewesen mit rotem Rand und kleinem schwarzen Radfahrer, wäre es eine tolle Empfehlung gewesen. Runter ins Industriegebiet, ganz runter. Sackgasse. Den Berg, den ich eben voller Zweifel runter gerauscht bin, wieder hoch bis zu der Nationalstraße. Die andere Straße in ein anderes Industriegebiet nehme ich. Den Berg hinunter natürlich. Unten putzt ein Junge seinen uralten Dreier-BMW. Fragen? Wäre sinnlos. Kreuzung rechts, klar, den Berg weiter runter. Scheiße. Die Kurve führt überall hin, nur nicht in die Stadt. Zurück. Der Junge putzt immer noch. Weiter die Straße hoch. Oben schaut eine Hotelwerbung über die Bäume, daneben das gelbe M von McDonald's.

                            Wo finde ich jemand, den ich fragen kann? Feiertag! Verdammte Feiertage, schafft sie ab, damit die Leute zur Arbeit müssen. Die Straße weiter rauf. Eine Zufahrt zur Nationalstraße. Wieder das runde Schild mit dem roten runden Rand. Soll ich den Rat des Rennradfahrers vom Mittag beherzigen? Bei diesen Überlegungen kommt ein Mann ums Eck, was hier für Kurve steht. Nickelbrille, Umhängetasche aus Stoff, Gesundheitslatschen, Wuschelkopf. John Lennon in seinen Flegeljahren. Der sieht nach 27 Semester Soziologie aus. Der geht zu Fuß. Der kennt sich hier aus. Der spricht Englisch. Ja, das spricht der fließend. Es leben 27 Semester Soziologie! Ich bekomme eine Wegbeschreibung. Ich muss wieder zurück bis zu der Rechtskurve unten im Industriegebiet. Links, im Kurvenscheitel, führt eine Straße nach École Valentin. Da will ich hin. Moment! Das ist die Kurve von eben, die aus der Stadt führt! Ja, deshalb soll ich nach links abbiegen. Wenn es rechts aus der Stadt geht, geht es links in die Stadt. Vermutlich denkt er, einen Blödmann vor sich zu haben. Hoffentlich hat er recht, wenn, wünsche ich ihm weitere 27 Semester.

                            Rechtskurve, Abzweig links. Durchfahrt verboten, weil das die Ausfahrt der Nationalstraße ist. Scheißegal! A-ha, Busse und Radfahrer dürfen hoch nach École Valentin. Dort sehe ich keine Schilder Richtung Besançon. Überall hin, nur nicht in die Stadt. Dann noch einen Hügel hoch, das müsste passen. Neuer Kreisverkehr. Kein Schild. Hier runter. Wird schon. In Pirey dämmert mir, meine Wahl war die falsche. Am Kreisel steht ein Schild: Besançon. Nie wurde es von so liebevoll blickenden Augen gelesen. Die Straße läuft. Guter Asphalt. Kein Verkehr. Willkommen in École Valentin! Da war ich vor Minuten schon einmal. Kurz bevor die Wut hochkocht, der nächste Kreisel: Besançon. Super … Scheiße … Nationalstraße … das blöde Schild … ihr könnt mich am Arsch … Rein in die Auffahrt. Hinter mir hupt es. Blick in ins Spiegelchen. Renault Megan. Und, was soll das? Leck mich! Hinter mir mir heult einmal eine Polizeisirene auf. Die in Frankreich hört sich ziemlich … na ja, ist nun mal so ... lächerlich an. Trotzdem: so schnell hat mein Rad noch nie gestanden. Grinsend fahren die zwei Polizisten an mir vorbei. Von wegen, ihr könnt mich mal.

                            Die Rettung ist nahe, denn die Louvre-Gruppe betreibt in ganz Frankreich Hotels. Kein Mensch kennt die Hotels von denen, denn es gibt keine Louvre-Hotels. Die Gruppe unterhält an den Autobahnen und frequentierten Fernstraßen Hotels unterschiedlicher Preisklasse. Fast immer findet man diese dicht beieinander. Campanile Hotel, Premiere Hotel, Kyriad Hotel bis hin zu den Tulip Hotels. Letztere finden sich eher nicht an der Autobahn. Der Louvre-Gruppe gehört an diesem Nachmittag mein immerwährender Dank. Neben dem Kreisverkehr, zu dem ich reumütig mein Rad zurück schiebe, steht ein Kyriad und gegenüber ein Premiere Hotel. Das billige Haus wird es. Premiere ist trotz des Namens die Billigmarke der Gruppe. Platz für das Fahrrad findet sich in der Garage, wo die Bettwäsche säuberlich wie mit dem Lineal ausgerichtet in Regalen lagert.

                            Hundert Meter neben dem Hotel, dort wo die zweite Auffahrt zur Nationalstraße ist, führt ein gut beschilderter Radweg nach Besançon. Angesichts dessen beschließe ich, auf keinen Fall den Mittag, respektive die zwei Stunden um die Mittagszeit, einer ernsthaften Analyse zu unterziehen. Eins weiß ich jedoch mit Sicherheit. Sollte ich noch einmal einen Streckentipp von einem Rennradfahrer erhalten, wird der umgesetzt.

                            Besançon

                            Nachmittags fahre ich mit dem Rad hinunter in die Stadt Mit Schrecken registriere ich, dass ich 4 Kilometer den Berg hinab fahre. Das muss ich alles wieder hoch! Mit Karacho entlang Vaubans Festungswällen hinein in die Stadt. Vauban hat die Verteidigungslinien so großzügig geplant, dass die heutige Straßenverwaltung mühelos ziemlich breite Straßen zwischen die hohen schwarzen Mauern schieben konnte.

                            Besançon gefällt mir nicht. Die Stadt ist am Ufer des Doubs eine einzige Baustelle. Die Bürger und die Stadtverwaltung wollen eine Straßenbahn. Baustelle das Ufer runter und wieder hoch. Wenn man schon dabei ist, kann man in einem Rutsch auch noch die Brücke sanieren. Und für die eine oder andere Straßensanierung im kleinen Stil, hatte der Stadtkämmerer auch noch Geld in der Kasse. Kurz: eine einzige Baustelle. Die Fahrt hoch auf den Hügel zum Hotel ist ein einziges Vergnügen. Wie leicht das ohne 17 Kilo Gepäck geht.

                            Am Abend drehe ich eine Runde zu Fuß durch École Valentin, bei der ich am Ortsrand die Stelle wiedererkenne wo ich den 27-Semester-Soziolgen getroffen hatte. Oh-je, ja klar. Er hätte mich nur zu McDonald's schicken müssen, dessen Reklamepfahl hinter seinem Rücken in den Himmel ragte. Es wären nur wenige Meter gewesen.
                            Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 16:45. Grund: Dass die "Franzosen" hier den Fehler nicht reklamiert haben ...
                            .

                            Kommentar


                            • hosentreger
                              Fuchs
                              • 04.04.2003
                              • 1406


                              #15
                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                              Danke Dir
                              für Deinen (bisherigen) Bericht, genau die richtige Einstimmung für meine dreiwöchige Radtour Ende Augut - Mitte September von der Saar (Merzig) über Orléans an die Loire-Mündung, dann die Bretagne und Normandie hoch und über Rouen und Reims wieder zurück.
                              Ich werde sicherlich bei einigen Gelegenheiten an Dich und Deine Erlebnisse denken - hoffentlich aber nicht, wenn ich in einem ALDI mit einem Käse in der Hand stundenlang vor der Kasse stehen muss... In dem Zusammenhang: Von guten Weinen habe ich bisher noch nichts gelesen. Magst Du mir da keine Hoffnung machen???

                              Ich freue mich schon auf die Fortsetzung!
                              hosentreger
                              Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                              Kommentar


                              • Gismo834
                                Erfahren
                                • 25.01.2010
                                • 223
                                • Privat


                                #16
                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                Echt genial geschrieben. Macht richtig Spaß zu lesen. Und Grinsen musste ich auch das ein oder andere Mal.

                                Wenn Du in Cochem im Radladen warst könnte es gut sein das das der Laden von Elmar Schrauth war.
                                Ist einer der besten Geschäfte für Cyclocross Fahrräder in Deutschland. Sehr netter und kompetenter Mann, der auch eine Cyclocross Rennstrecke in Cochem betreibt.

                                Die Szene im Aldi kommt mir bekannt vor. Habe ich so ähnlich in einem Supermarkt in der Bretagne erlebt....allerdings mit einem Paket Eis in der Hand Die Franzosen haben echt die Ruhe weg.

                                Freue mich schon auf die Vortsetzung.

                                Kommentar


                                • Werner Hohn
                                  Freak
                                  Liebt das Forum
                                  • 05.08.2005
                                  • 10870
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                  Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
                                  ... In dem Zusammenhang: Von guten Weinen habe ich bisher noch nichts gelesen. Magst Du mir da keine Hoffnung machen???
                                  Nee, hosentreger, da kann ich dir keine Hoffnung machen. Seit ewigen Zeiten trinke ich keinen Alkohol mehr.

                                  Aber sehr gut, dass du dich mit deinem Reiseziel gemeldet hast, denn nun melde ich Interesse an einem Reisebericht an. Die Gegend hatten wir hier noch nicht, und Übung hast du ja mittlerweile. Damit ist nicht nur das Radfahren gemeint.

                                  Zitat von Gismo834 Beitrag anzeigen
                                  ... Wenn Du in Cochem im Radladen warst könnte es gut sein das das der Laden von Elmar Schrauth war.
                                  Ist einer der besten Geschäfte für Cyclocross Fahrräder in Deutschland. Sehr netter und kompetenter Mann, der auch eine Cyclocross Rennstrecke in Cochem betreibt.
                                  Gismo, das war mir zu weit. Der beim Bahnhof war es, aber danke für den Tipp. Nachdem ich mehrere Tage gegen den Mistral gefahren bin, dreht in meinem Kopf ein Randonneur bzw. ein Cyclocross Rad seine Runden. Die Radhändler bei mir vor der Haustür bieten entweder Hausmannskost oder hochpreisiges Gerät für die Straße, mit dem ich nichts anfangen kann. Cochem ist schließlich nicht weit. Schau'n wir mal, ums es mit den Worten eines alternden Fußballers zu sagen.
                                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 14.07.2013, 14:36.
                                  .

                                  Kommentar


                                  • Werner Hohn
                                    Freak
                                    Liebt das Forum
                                    • 05.08.2005
                                    • 10870
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                    Neunter Tag: Siebzehn Minuten
                                    Besançon - Dole (Campingplatz)

                                    Was war das für ein Schild? Aus dem Augenwinkel hatte ich das nur wahrgenommen. Eine enge Wende auf schmalen Radweg. Aufpassen, dass ich nicht ins kalte, graugrüne Kanalwasser falle. Beim nächsten Mal Richtung Land, nicht Richtung Kanalufer wenden. Nantes 729, steht auf dem weißen Radwegweiser. Wow! Das nenn' ich ja mal großräumig ausgeschildert. Schlagartig fällt mir ein, dass ich auf der Eurovélo 6 sein muss. Bei der Planung haben Radwege keine Rolle gespielt, denn es gab einfach keine Planung. Doch die Eurovélo 6 ist selbst an mir nicht spurlos vorüber gegangen. Das ist so was wie der Camino für Radwanderer, glaube ich. Die Langversion des Caminos selbstredend. Steigungsfrei vom Atlantik an das Schwarze Meer. Mit eigener Website, Karten, Unterkunftslisten und all dem Pi Pa Po, der heute von allen erwartet wird, wenn man sich auf die Socken machen will. Die Sicherheit zu wissen, dass man weiß was kommt, fährt immer mit. Jetzt wird es Radfahrer hageln.


                                    Tunnel de Thoraise

                                    Die Eurovélo 6 passt mir an diesem Morgen ganz gut. Nach den gestrigen Irrfahrten tut es gut, einfach einem gut ausgeschilderten Radweg zu folgen. In Dole werden zwar ein paar Kilometer mehr als nötig auf dem Tacho stehen, aber gestern waren das auch mehr als erwartet. Nun denn, dem Radweg und seinen Wegweisern hinterher.

                                    Meine Überlegungen kreisen mehr ums Wetter als um die Route. Gestartet bei frühsommerlichen 23°, wird es von Tag zu Tag kälter. Geregnet hat es beim Start auch noch nicht. Doch nach und nach ist es nicht nur kälter geworden, die Tage sind auch nasser geworden. Der Regen hat sich bis jetzt auf kurze Schauer begrenzt. An den morgendlich Aufbruch unter dunklen Regenwolken habe ich mich seit Nancy gewöhnt. Die sind immer schnell weg gewesen. Heute, so sieht es aus, wird auf ein Unentschieden hinauslaufen. Morgens diffus, ab dem Mittag Sommerhimmel. Ehrlich gesagt, steht mir nicht der Sinn nach Schmuddelwetter. Richtung Südeuropa, ans Mittelmeer, wer dorthin fährt, hat andere Erwartungen ans Wetter.

                                    Dann bin ich also auf dem längsten markierten Radweg Europas unterwegs. Im Gegensatz zu den Wegweisern bekannter Weitwanderwege, hat der Radwegweiser vor wenigen Minuten nicht den Impuls geweckt, diesem zu folgen. Radfahren ist noch immer mehr Mittel zum Zweck, nämlich irgendwohin zu fahren, denn der Sehnsucht hinterher zu laufen.

                                    ...

                                    Immer am Ufer des Doubs hält sich die Wegführung. Nicht jede Flusskehre wird mitgenommen. Der Canal du Rhône au Rhin, der hier oft Seitenkanal ist und sich am Wasser des Doubs bedient, sorgt für gerade Abschnitte. Radfahrer sehe ich immer noch keine. Je länger ich fahre,umso mehr wundere ich mich darüber. Es geht auf Mitte Mai zu. Das Wetter ist nicht das idealste, die langfristige Wettervorhersage schon gar nicht, doch wer dem sommerlichen Trubel aus dem Weg gehen möchte, sollte jetzt unterwegs sein. Kein Mensch auf einem Rad mit Packtaschen begegnet mir. Der Kanal ist genauso verlassen. Wo sind die Charterboote? Was bin ich froh, dass ich mein Geld nicht in diesem Gewerbe verdiene. Es schaut nach einem finanziell miserablen Frühjahr der Branche aus.

                                    Ob bis Dole oder weiter, war in Besançon noch nicht abzusehen. Beim Anblick des gedrungenen Kirchturms über der Altstadt, beschließe ich zu bleiben. Kurz, breit mit vier zierlichen Türmchen an jede Ecke, mit einer kleinen Haube als Abschluss, als hätte das Geld für eine anständige Kirchturmspitze nicht gereicht, thront die Kirche über der Altstadt. Eine pure Machtdemonstration der Kirche.

                                    Am Campingplatz ist die Schranke unten. Zwei Stunden Mittagspause. Noch mehr als eine Stunde warten. Mal sehen, ob ich das Zelt schon aufbauen darf. Hinterm Haus sitzt die Großfamilie beim Mittagessen. Vom Enkel bis zu Oma und Opa sind alle anwesend. Erfreut, dass da einer um die Ecke in die heilige Mittagspause geschlurft kommt, ist keiner von denen. Widerwillig winkt mich ein Mann durch, ja, ich soll schon mal das Zelt aufbauen. Kaum steht das, kommt ein Wohnmobil auf den Platz gefahren. Die Schranke ist oben. Huch, Alter, das nächste Mal schaust du dir Uhr genauer an. Es waren noch 17 Minuten bis zum Ende der Mittagspause. Daher also die angesäuerten Mienen. Mal wieder ein Deutscher, der kein Zeit hat.


                                    Dole - Stiftskirche Notre-Dame

                                    Zehn Minuten nach 14 Uhr stehe ich am Tresen der Rezeption. Die Frau hat mich durch die Glastür kommen sehen, sie hat sogar freundlich gelächelt. Als ich die Tür öffne, ist sie verschwunden. Die Tür zur Terrasse, auf der noch alle sitzen, steht weit offen. Die ganze Familie kann ich sehen und die könnten mich sehen, wenn sie wollten. Sie wissen, dass ich am Tresen stehe. Niemand von denen schaut zur Tür, die in die Rezeption führt. Überall schauen sie hin, nicht zur Tür. Die Frau, die vorhin noch hinterm Tresen stand, geht mehrmals mit schmutzigem Geschirr in den Händen an der Tür vorbei. Sie schaut ebenfalls nicht. Mir wird bewusst, es wird eine Lektion für mich geben. Was waren das nochmal? Fünfzehn Minuten? Nee, siebzehn.

                                    Ja, dann wollen wir mal. Die warten doch nur darauf, dass ich mich lautstark melde. Die da draußen auf der Terrasse haben die Regionalregierung der Franche-Comté nicht auf ihrer Rechnung. In der Rezeption stapeln sich die vielsprachigen Hochglanzprospekte mit den touristischen Höhepunkten. Die Region ist damit reichlich gesegnet. Mir vertreiben die bunten Blätter die Zeit. Es waren genau 17 Minuten, die ich zu früh gewesen bin. Wenn ich noch Zweifel hatte, sind diese um 27 Minuten nach 14 Uhr, hinfällig, denn auf die Minute taucht die Frau in der Tür auf. Es tut ihr leid, dass sie mich übersehen hat. Ich hätte mich melden sollen. Kein Problem, ich hab' Zeit und mir den Weg zur Touristeninfo gespart.

                                    Ob ich mit Karte oder Bargeld zahlen möchte?
                                    Was ist ihnen denn lieber?
                                    Bargeld.
                                    Hab' nur Scheine.
                                    Kein Problem.
                                    Mit erkennbarer Absicht suche ich lange, aber dann wird er doch gefunden, der gelbe 200-Euro-Schein. Sie zögert keine Sekunde.

                                    Dole - Rue Pasteur

                                    Die Altstadt von Dole ist verlassen. Durch Gassen mit grobem Kopfsteinpflaster schiebe ich das Rad. Selbst das ist Plackerei. Graue, von Nässe oft schwarze Mauern, schwarze Fensterscheiben, verlassene Geschäfte mit Schaufenstern an denen noch Plakate vom Ausverkauf vor zwei Jahren hängen. Neben dem Geburtshaus von Louis Pasteur ist ein kleiner Garten. Schwarze Büste auf Betonsockel, etwas Grünzeug, eins blüht rot. Kein Mensch ist dort. Oben, rund um die aus der Ferne so mächtige Kirche öffnen die Geschäfte und Kneipen. Oben, da wo mehr Platz ist, wo das Licht fluten kann, sind Menschen. Unten in der Altstadt hängen die Schilder für den Radweg nach Budapest und nach Nantes. Morgen werde ich die Straße an der Stadt vorbei nehmen. Das wird keine zwei Minuten dauern, bis ich hinten wieder auf dem Radweg bin.

                                    In der abendlichen Dämmerung taucht noch ein Radfahrer auf. Gepäck hat er nicht. Ihm gehört das Zelt neben meinem. Der alte Mann ist Kanadier, mal wieder ein Franko-Kanadier. Seit unglaublichen 34 Jahren macht er jedes Jahr Urlaub in Frankreich. Woanders ist er noch nie gewesen. Frankophil sei er. Er will den Doubs hoch bis an den Rhein, dann weiter nach Basel. Überflüssig zu erwähnen, dass er auf der französischen Seite des Rheins bleiben wird. Meine Versuche, ihm den großen Rest Europas schmackhaft zu machen, fruchten nicht. Es ist nicht das Sprachproblem, wie von mir vermutet, wehrt er sich, denn es gäbe schließlich noch England. Er liebt Frankreich, und wenn seine Frau nicht wäre, würde er schon lange hier wohnen.
                                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 05.10.2013, 20:46.
                                    .

                                    Kommentar


                                    • Gismo834
                                      Erfahren
                                      • 25.01.2010
                                      • 223
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                      Gismo, das war mir zu weit. Der beim Bahnhof war es, aber danke für den Tipp. Nachdem ich mehrere Tage gegen den Mistral gefahren bin, dreht in meinem Kopf ein Randonneur bzw. ein Cyclocross Rad seine Runden. Die Radhändler bei mir vor der Haustür bieten entweder Hausmannskost oder hochpreisiges Gerät für die Straße, mit dem ich nichts anfangen kann. Cochem ist schließlich nicht weit. Schau'n wir mal, ums es mit den Worten eines alternden Fußballers zu sagen.[/QUOTE]

                                      Er hat auch einen Onlineshop und ein Forum

                                      http://www.radsport-schrauth.de/

                                      http://forum.cx-sport.de/index.php

                                      Kommentar


                                      • Werner Hohn
                                        Freak
                                        Liebt das Forum
                                        • 05.08.2005
                                        • 10870
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                        Zehnter Tag: Betreutes Touren
                                        Dole - Chalon-sur-Saône (Campingplatz)

                                        Dünner Regen fällt. Im Zelt hat es sich nach mehr angehört. Beim Zusammenpacken entwickelt sich ein Schwätzchen mit den Nachbarn, die vergangenen Abend noch gekommen sind. In ihrem Kombi stehen zwei Fahrräder. Ein Mann und eine Frau auf dem Rückweg nach Süddeutschland. Mit ihren Fahrrädern waren sie drei Wochen auf dem spanischen Camino del Norte unterwegs. Das letzte große Teilstück seit ihrem Start in der Heimat vor ein paar Jahren. In wenigen, mehrwöchigen Etappen immer dem Jakobsweg hinterher. Frankreich, ganz besonders der Aubrac, das war toll. Der einsame Höhepunkt. Vom Aubrac schwärmen alle. In Spanien haben sie zum Schluss die Randstreifen der Nationalstraßen schätzen gelernt. Mit dem Rad auf Wegen, die für Fußgänger gedacht sind, sei zermürbend gewesen. Dann lieber die breiten Randstreifen. Und nun? Sie brauchen ein neues Ziel. Vielleicht mit den Rädern nach Rom? Es gäbe noch so viel zu erzählen. Ich muss weiter. Eine Regenpause nutze ich zum Aufbruch.

                                        Saint-Symphorien-sur-Saône

                                        Es ist ein verzettelter Aufbruch. Eine Stunde später als normal. Kaum rollen die Räder, gießt es. Unterstellen, warten, weiter. Zwei Radfahrer, Frau und Mann, überholen mich. Später überhole ich sie. Sie sind auf dem Weg von Freiburg an die Biskaya. Die schon gebuchte Rückfahrt treibt Tempo und Etappenlänge in die Höhe. Meine Güte, über die Jahre habe ich vergessen, wie das ist, wenn man in einen knappen Jahresurlaub möglichst viel Tour stecken muss.

                                        Die Eurovélo 6 bleibt dem Canal du Rhône au Rhin treu. Das hatte ich befürchtet und mit einer Route entlang der N 73 geliebäugelt. Unentschlossenes morgendliches Geeiere, bis es zu spät ist. Die Unentschlossenheit endet an der Saône, endlich ein richtiger Fluss. La Voie bleue de la Saône steht auf dem Radwegweisern. Im Erfinden von tollen Namen sind die Franzosen fleißig. Ob es eine zusammenhängende Strecke ist? Es dauert keine Stunde, bis mir das egal ist. Der Wegweiser führt den Radweg auf die andere Kanalseite und dann geht es zurück, wieder den Fluss hoch. Da drüben bin ich doch vor Augenblicken noch gefahren, und das auch noch aus der Richtung in die ich jetzt fahre! Mein Geschimpfe über diese Wegführung hört niemand. Das ist ganz gut so. Zurück über die Brücke nach Seurre, auf die Straße. Die D 5 führt ohne Umwege bis ins Zentrum von Chalon-sur-Saône.

                                        Es ist wieder eine Fahrt übers Land. Ein verschlafener Landstrich. Frankreich hat viele davon. Die Landstraße könnte glatter sein. Der Straßenbelag ist aus grobem, „steinigem“ Teer. Mein Hintern freut sich nicht, meine Handgelenke auch nicht. Jedes Steinchen, jedes schlecht überteerte Schlagloch, krabbelt die Gabel hoch. Wenige Wälder. Grüne Wiesen, gelbe Rapsfelder, ganz vereinzelt Dörfer, die schmale Landstraße. An einer Brücke über die Saône, Mittagspause auf der Leitplanke. Der Fluss führt leichtes Hochwasser. An den Feldrändern steht das Wasser hier.


                                        Gergy

                                        In Gergy kämpfen zwei Frauen mit den Tücken der Autotechnik. Der Anlasser rührt sich nicht. Das Radio will auch nicht. Mein Tipp geht Richtung Batterie. Helfen kann ich nicht. Über den Platz an der Kirche hämmert aus dem offenen Fenster einer Bruchbude eine Bassgitarre. Der Junge mit dem Bass vorm Bauch sieht nicht danach aus, als würde er seine Umwelt wahrnehmen. Die Kirche ist verschlossen. Anderes habe ich nicht erwartet. Der Platz an der Kirche ist mit Pflanztrögen aus Beton zugestellt. Das ist schlimmer als der hämmernde Bass.

                                        Wie schön, dass der Samstag weit fortgeschritten ist. Auf der Hauptzufahrtstraße ins Zentrum von Chalon-sur-Saône kann ich mich alleine austoben. Spiegelglatt mit einem durchgehenden Radweg auf der Straße suche ich nach der „Grünen Welle“. Auf Dauer reicht die Puste nicht. Auf der Brücke über die Saône habe ich die Stadt auf ihren ganzen Länge von Nord nach Süd durchfahren. Einer der Nachteile, wenn man der Ausschilderung für Autofahrer folgt.

                                        Chalon-sur-Saône

                                        Am städtischen Ufer haben zwei große Flusskreuzfahrtschiffe unter deutscher Flagge festgemacht. Alle haben die blickdichten Vorhänge des Panoramafensters ihrer Kabine zugezogen. Es ist Nachmittag, was gibt es da zu verbergen? Auf dem Oberdeck sitzen Menschen, die ihre Reiseziele im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finden.

                                        Der Campingplatz liegt direkt am Ufer der Saône. Die erste Reihe vorne am Ufer ist fest in englischer Hand. Alle sind ausgeflogen. Stadtbummel? Bei meiner Rückkehr aus der Stadt steht ein großer Reisebus auf dem kleinen Platz vor dem Schlagbaum. Alte Männer und Frauen klettern aus dem Bus. Jeder Mann hat mindestens einen Karton mit Weinflaschen unter dem Arm. Den ganzen Tag waren sie mit dem Bus unterwegs. Das Programm für heute sah den Besuch gleich zweier Weingüter mit der unvermeidbaren Weinprobe vor. Die haben nicht gekostet - wer spuckt den Wein schon aus, wenn er nichts kostet -, die haben gesoffen. Ganz nüchtern sind die alle nicht mehr. Organisierte Wohnwagentouren durch Europa, so reisen diese Engländer. Schon zwei Wochen sei man unterwegs. Auf dem Platz wird man drei Tage bleiben. Alles ist durchorganisiert. Von der Streckenauswahl, über Karten, Reiseführer und Ausflüge bis hin zur Vorsorge für den medizinischen Notfall. Wird gefahren, sind es maximal 300 Kilometer am Tag, Begleitfahrzeug inklusive. Wer keinen Wohnwagen hat, bekommt einen geliehen. Glück gehabt. Alte Engländer sind angenehme Zeltnachbarn. Abends ist von denen nichts mehr zu hören. Vor Jahren hatte ich das Vergnügen auf einem Campingplatz zu landen, der fest in der Hand der Fans von Manchester United war, die auf dem Weg nach Barcelona waren. Dem Verein hinterher. Das war 'ne Nacht! Vielleicht waren es die Kinder dieser Alten.

                                        Elfter Tag: Dem Herbst entgegen
                                        Chalon-sur-Saône - Crêches-sur-Saône (Hotel)

                                        Kalt, kalt, kalt. Am Straßenrand krame ich die Regenhose aus der Packtasche. Mir ist kalt bis auf die Knochen. Losgefahren bin ich dick eingemümmelt in Fleecejacke, Regenjacke und Mütze. Eine warme Hose habe ich nicht dabei. Zwei superdünne Sommerhosen, die als Schutz vor der Sonne gedacht sind, sollten reichen. Ich fahre in den Süden, in den Sommer, in die Wärme. Auf Radfahren in der Regenhose bin ich nicht scharf, doch ohne geht es an diesem Tag nicht. Für die Hände habe ich nichts. Zwei kleine Plastiktüten habe ich noch im Gepäck. Soll ich die über die kalten Finger stülpen? Es muss ohne gehen. Wenn das jemand sieht, lande ich in der Klappsmühle.

                                        Dieser Morgen treibt mal wieder das Nordkap aus dem Kopf. Beim Wechsel vom Wanderer zum Radfahrer ändert sich das eine oder andere Ziel. Das Nordkap ist so ein neues Ziel. Nach Skandinavien hat es mich noch nie gezogen. Kalt, nass, dunkel, windig, einsam, teuer, zu viel Natur. Mit dem Rad hat sich das geändert – theoretisch. Theoretisch kann man das ja mal durchspielen. Einmal hinauf in den Hohen Norden, und wenn schon Skandinavien, dann muss es das Nordkap sein. So weit ist das mit dem Rad schließlich nicht. Ein Straßenatlas findet sich bestimmt. Es ist Sonntagmorgen, es ist kalt, der Himmel ist grau. Licht, welches diese Bezeichnung verdient, darauf hoffe ich nicht mehr. Das Nordkap stirbt an diesem Morgen erneut den Kälte-, Nässe- und Lichttod.


                                        Tenarre - Bressehaus (1641)

                                        Schon lange nicht mehr war die Kaffeepause beim Bäcker schöner. Eine große heiße Tasse, die meinen Fingern wieder Leben einhaucht. Noch eine? Noch eine! Die Kundschaft trägt Winterpelz – mehr oder weniger. Von Sommerkleidung sind die Jacken und Mützen jedenfalls ziemlich weit entfernt. Die noch warmen Brote dampfen auf dem Weg von der Ladentür zum Auto.

                                        Das sehenswerte Tournus streiche ich von der Liste. Der Ort muss sehenswert sein, denn oben am Rand der Autobahn steht ein braunes Schild hinter der Leitplanke. Braune Schilder bekommen nur ausgesprochen touristische Orte und Landschaften. Nee, ich verzichte. Zwölf Kilometer Umweg, das bei der Kälte, lass mal. Dann lieber in den Sturmböen. die die Autos hinter sich herziehen, ohne zu denken weiter fahren. Weiter als bis zum Bäcker fährt kein Autofahrer heute. Für Sonntagsausflüge mit der Familie gibt das Wetter zu wenig her. Landstraßenfahren mit dem Rad könnte an diesem Tag so schön sein, wäre die Kälte nicht.

                                        Es geht immer zwanzig, dreißig Meter rauf und wieder runter. Die Saône ist nirgends zu sehen. Mit jedem neuen Tag in der Nähe eines Bachs oder Flusses, bin ich überzeugter, dass die Franzosen ihre Straßen nach Möglichkeit nicht direkt am Ufer bauen. Hochwasserschutz mit Verstand? Lange Geraden, weitab vom linken Ufer der Saône, gehen über in lange Hauptstraßen, von denen wieder lange Geraden abzweigen. Ich muss aufpassen, nicht auf die falsche Gerade abzubiegen, so lullt das ein. Steigungen hinauf fahren ist mir heute lieber, denn hinunter. Dabei wird mir warm. Steigungen hinunter fahren, ist nicht spaßig. Für meine Finger ist das zu kalt. Um mich aufzuwärmen mache ich zu viele Pausen. Während den Ortsdurchfahrten halte ich Ausschau nach den blinkenden grünen Neonreklamen der Apotheken. Neben Uhrzeit und Datum, zeigen die meisten auch die Temperatur an. 12° über Null, das ist die höchste die ich gesehen habe, als ich Mâcon im Hinterland umfahre.


                                        Macon

                                        Die Stadt streiche ich vom Besuchsplan. Überwölbt von grauen Wolken, ist die nicht besonders einladend. Der Stadtrand langt mir. Die Gewerbegebiete entlang der ehemaligen Nationalstraße reichen bis Crêches-sur-Saône. Hier gibt es einen Campingplatz der Gemeinde. Noch ist der geschlossen, doch in wenigen Tagen macht der auf. Schon direkt an der Stadtgrenze steht, dass der geschlossen ist. Mich stört das nicht. Bestimmt ist ein Tor geöffnet und ein Sanitärgebäude ebenfalls. Richtig vermutet. Die Wiese ist zwar noch nicht gemäht, doch auf dem Klo hängt schon Klopapier. Vertrieben haben mich zwei wild gestikulierende Dauercamper. Fermé, fermé! Das habe ich verstanden. Bis zu diesem Tag war mir das in Frankreich noch nicht untergekommen. Tor auf, Klo auf, baue das Zelt auf. Wenn ich Pech hatte, ist abends einer von der Gemeinde gekommen und hat kassiert.

                                        Tja, wieder einmal die Louvre-Gruppe. Das Premiere-Hotel hat das vergammelste um die Stockwerke laufende Geländer, das ich je an einem Hotel gesehen habe, doch die Zimmer sind groß, sauber und warm. Preiswert auch. Wochenendtarif. Die Frau am Empfang hat mir extra ein Zimmer in der ersten Etage gegeben, damit ich mein Rad am Geländer anketten kann. Eins ist schon mal klar: das Rad kommt ins Zimmer! Und noch eins ist klar: der große Heizlüfter, den mir die Putzfrau noch auf das Zimmer stellt, wird bis in die Nacht durchlaufen, und das nicht nur, damit das Zelt trocken wird.

                                        Skandinavien, das Nordkap? Niemals! Die Franzosen bauen prima Heizlüfter. Draußen regnet es. Zwei Reisebusse aus Italien stoppen vor dem benachbarten Campanile-Hotel. Die Italiener sehen aus, als würden sie in den Wintersport fahren. Hinter der Windschutzscheibe klemmt das Schild mit dem Reiseziel: Paris. Im warmen Frühling muss die Stadt toll sein, haben die sich bestimmt bei der Buchung gesagt.
                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 05.10.2013, 21:03.
                                        .

                                        Kommentar


                                        • Enja
                                          Alter Hase
                                          • 18.08.2006
                                          • 4869
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                          Du hättest dich an den Bürgermeister wenden sollen. Der hätte dir bestimmt erlaubt, den CP zu benutzen.

                                          Kommentar


                                          • Werner Hohn
                                            Freak
                                            Liebt das Forum
                                            • 05.08.2005
                                            • 10870
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                            Moin Enja,

                                            an einem Sonntagnachmittag eher nicht. Das mit dem Gang zur Mairie habe ich vor Jahren in Chanas gemacht. Dort gab es nur die unwirsche Auskunft, dass der Campingplatz noch geschlossen ist und sie (die Frau vor mir) die Öffnung nicht anordnen könne. Seitdem schaue ich nur noch, ob ein Eingang (oft nur für Fußgänger, damit keine Wohnwagen und Wohnmobile auf den Platz fahren) und ein Sanitärgebäude offen sind. In der Vergangenheit hat das mehrmals funktioniert, ohne das sich einer daran gestört hat. Für die Zukunft gehe ich davon aus, dass das weiterhin funktionieren wird. In der Regel sehen die Franzosen das ziemlich locker.
                                            Zuletzt geändert von Werner Hohn; 17.07.2013, 10:24.
                                            .

                                            Kommentar


                                            • hosentreger
                                              Fuchs
                                              • 04.04.2003
                                              • 1406


                                              #23
                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                              Viele meiner Fragen beantwortest Du schon, bevor ich sie gestellt habe...

                                              Und das mit dem Bericht hatte ich eigentlich schon befürchtet und mir einen neuen Bleistift besorgt.
                                              Aber Du legst die Latte recht hoch (gilt auch für Enja)!

                                              Meine Probetour vom vergangenen Wochenende (Saar-Blies-Glan-Nahe-Bostalsee-Saar) für Mensch und Material hatte jedenfalls zum Ergebnis, dass ich mich wohl nach einem etwas seniorengerechteren Zelt umsehe. Dank Torres Privat-Konsultation wird es vermutlich das HB Unna. Dafür lege ich in kaum gebrauchtes VAUDE Hogan UL in die Biete-Schale - aber das ist ein anderes Thema. Jetzt warte ich mal auf die weitere Fortsetzung und weitere Tipps. Kann mir immerhin Mitte September auch blüheb, dass einzelne Campingplätze schon wieder zu sind. Dann also trotzdem rütteln...

                                              hosentreger
                                              Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                              Kommentar


                                              • Werner Hohn
                                                Freak
                                                Liebt das Forum
                                                • 05.08.2005
                                                • 10870
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                Das mit dem Hogan kommt mir bekannt vor. Letztes Jahr, erste große Radtour, erste Nacht auf dem Campingplatz in Bingen. Am nächsten Morgen stand fest, dass ich mir sofort ein neues Zelt kaufe. Mit dem Hogan bin ich Tausende Kilometer gewandert weil es so schön leicht ist. Doch als Radfahrer, habe ich mir gesagt, kann es etwas komfortabler sein. Ich bin dann zu Decathlon in Bad Kreuznach geradelt und habe mir für 110 Euro ein Quechua T3 Ultralight gekauft. Ein Zelt für 3 Personen, das nur 3 Kilo auf die Waage bringt. Gut, in einen heftigen Sturm möchte ich mit dem nicht geraten. Nachteilig ist die Farbe. Graue Regentage werden in einem schwarzen Zelt mit einem schwarzen Innenzelt nicht unbedingt schöner. Die Apsis könnte etwas größer sein, doch wenn ich das Innenzelt vorne aushänge, kann ich sogar im Helinox-Stuhl sitzen.

                                                Der Helinox Chair one zählt mittlerweile zu meinen drei wichtigsten Ausrüstungsgegenständen auf Radtouren. Eher bleibt die Isomatte zu hause, als dieser Stuhl. Vorher hatte ich Dreibeinhocker. Auf Dauer sind die eine einzige Quälerei. Auf dieser Tour haben einige Leute im Helinox gesessen und alle, wirklich alle, waren hellauf begeistert. Einer hat mir auf der Stelle 100 Euro geboten, ein alter Japaner. Ich wäre ja nur noch wenige Tage unterwegs.

                                                Das Unna ist ja nicht schlecht, vor allem schön leicht, doch ohne Apsis bei Regen ziemlich unpraktisch. Dass ich bei Schietwetter nur im Zelt liegen kann, hat mich schon immer gestört. Auf Dauer nervt mich das. Dann lieber ein Kilo mehr auf dem Gepäckträger. Ich kenne einen auch nicht mehr jungen Mann, der mit einem Unna unterwegs ist, und zusätzlich ein Tarp mit schleppt.

                                                Der Verein hat doch das eine oder andere Zelt, das für deine Tour passen könnte. Aber das wäre vielleicht einen separaten Thread wert. Leichtes seniorengerechts Zelt für Radtouren gesucht.
                                                Zuletzt geändert von Werner Hohn; 17.07.2013, 16:18.
                                                .

                                                Kommentar


                                                • Enja
                                                  Alter Hase
                                                  • 18.08.2006
                                                  • 4869
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                  Ja, der Helinox-Stuhl. Ohne den verlasse ich auch nicht mehr das Haus. Und selbst wenn ich allein fahre, nehme ich das Nammatj 3 mit. Ein bißchen Komfort muss sein.

                                                  Wir fragen uns inzwischen, ob wir die Helinox-Stühle nicht auch zu Hause benutzen sollten.

                                                  Kommentar


                                                  • lina
                                                    Freak

                                                    Vorstand
                                                    Liebt das Forum
                                                    • 12.07.2008
                                                    • 43828
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                    Das Unna hat so ein wunderbar geräumiges (und teil-aushängbares) Innenzelt. Aber mehr davon hier (wobei ich bei längeren Reisen auch sehr gerne das Nammatj 3 mitnehme ....)

                                                    Schreib bitte schnell weiter, Werner, der Punkt namens Durch-Frankreich-radeln auf meiner Liste der Reisepläne rückt immer weiter nach oben

                                                    Kommentar


                                                    • hosentreger
                                                      Fuchs
                                                      • 04.04.2003
                                                      • 1406


                                                      #27
                                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                      Zitat von lina Beitrag anzeigen
                                                      Das Unna hat so ein wunderbar geräumiges (und teil-aushängbares) Innenzelt. ...
                                                      Mich wundert aber doch sehr, an dieser Stelle noch nicht von Torres dazu gehört zu haben (gell???).
                                                      Aber ich merke schon, dass ich Euch ausrüstungstechnisch sehr nahe bin: Bei meiner Saar-Pfalz-Tour am Wochenende hatte ich den Helinox (zum ersten Mal) auch dabei und neidische Blicke anderer Campingplatznutzer geerntet. Passt man damit bei teilausgehängtem Unna-Innenzelt ggf. unter das Außenzelt (Bin eher der weniger große Ältere...).

                                                      Aber jetzt will ich den Reisebericht mit meinen Ausrüstungsdetails nicht mehr stören - frage Euch ggf. per PN an.
                                                      Trotzdem danke

                                                      hosentreger
                                                      Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                      Kommentar


                                                      • Werner Hohn
                                                        Freak
                                                        Liebt das Forum
                                                        • 05.08.2005
                                                        • 10870
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                        Zwölfter Tag: Durch die Stadt
                                                        Crêches-sur-Saône - St Clair du Rhône (Campingplatz)

                                                        Die rote Linie in der Straßenkarte ist lang. Zuerst Nationalstraße, dann Département-Straße, die allgemein als gemütlich angesehen werden. Michelin macht die Straßen rot sobald es Hauptverkehrswege sind. Die kümmert nicht, ob Département-Straße oder Nationalstraße. Viel Verkehr bekommt eine rote Linie, als wolle die Redaktion von Michelin warnen. Nebenan auf der Autobahn 7 wurde vor 30 Jahren der längste Stau der Welt gemessen. Mehr als 170 Kilometer, ein bis heute ungebrochener Weltrekord. Immer wenn wir mit dem Auto auf Lyon zufahren, fällt mir das ein. Dabei war ich nicht, aber dieser Stau würde sich gut im Lebenslauf machen. Lässig könnte ich abwinken, wenn die Rede auf die Ferienstaus kommt. Kinners … Stau? Ach kommt, ihr habt noch keinen Stau erlebt. Zu spät. Eine neue Chance wird sich seit dem Bau der Umgehungsautobahn nicht bieten. Seitdem fahren Urlauber nur noch selten durch Lyon. Sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

                                                        In Belleville - Hiesiger Berufsverkehr

                                                        Auf der roten Straße nach Lyon ist bestimmt die Hölle los, und erst in der Stadt, nach Paris die zweitgrößte des Landes. Muss ich da unbedingt hin? Ist es nicht besser einen weiten Bogen um die Stadt in Richtung Bourg-en-Bresse zu schlagen? Die Straßen dort sind auf dem Kartenblatt schnurgerade, somit vermutlich weitesgehend steigungsfrei. Den Großraum um Lyon herum würde ich nicht ganz aus dem Weg gehen können, doch bis zum Mittag könnte es ein gemütlicher Tag werden. Dagegen spricht, dass ich schon tausendmal durch Lyon gefahren bin, und trotzdem war ich noch nie in der Stadt.

                                                        Mit dem Auto nach Lyon rein, ist keine Kunst. Von oben die Autobahn hinunter in den dreckigen, stinkenden schwarzen Tunnel, dessen himmelstürmender, betonstarrender Eingang wie eine Mischung aus Betonsilo, sozialem Wohnungsbau und Eiger-Nordwand aussieht, mit einem Tunneleingang, der ohne Umschweife in die Lyoner Unterwelt zu führen scheint, hoffen, im Tunnel, in dieser von Abgasen schwarzen Röhre, nicht in einen Stau zu geraten, dann am Tunnelausgang kräftig bremsen, das Tempo-30-Schild steht nicht ohne Grund da, weil man sonst in der Saône landet, beschleunigen, hier schon wieder autobahnähnlich, einen Blick nach links über die Schulter riskieren, meine Frau wird wie immer einwerfen, dass wir endlich mal die Stadt besichtigen müssen, ihr Mann wird zustimmen und dabei das Gaspedal zum Bodenblech treten, an der Gitterbrücke vorbei, unter der die Saône in Rhône fließt, links wird nun die Rhône fließen, wieder werden wir uns wundern und fragen, warum keine Schiffe auf diesem großen Fluss zu sehen sind, rechts, an der Straße neben der Schnellstraße werden wir den gammeligen Häusern wieder keine Beachtung schenken, den unter Bäumen dort abgestellten LKWs, auf deren Planen sich im Herbst das Laub sammelt, auch nicht, zum ersten Mal auf der Fahrt nach Süden wird das Auto über die Rhône rollen, auf Feyzin zu, an den Raffinerien vorbei, wo ein braunes Schild neben der Autobahn steht und die touristische Sehenswürdigkeit Feyzin mit genau diesen Raffinerien anpreist, die spinnen, die Franzosen, wo riesige Öltanks in Reih und Glied stehen, wo endlose Güterzüge aus Tankwaggons stehen, wo wir dann endlich aufatmen werden, weil wir mal wieder ohne Stau durch die Stadt gekommen sind, und zum Schluss, im Süden der Stadt, zeigen Schilder an, dass wir auf der Autoroute du Soleil fahren. Keine Straße trägt einen schöneren Namen. Und ganz zum Schluss, wenn die Lyoner schon wieder von der Autobahn runter sind, werden wir erneut bedauern, ohne Halt durch die Stadt gefahren zu sein. So sind alle unsere Autofahrten durch die Stadt.


                                                        Lyon - Kathedrale Saint-Jean und Basilika Notre-Dame de Fourvière (oben)

                                                        Dann auf, mit dem Fahrrad in die Stadt! Kilometer abreißen im Werktagsverkehr. Ich hab's mir schlimmer vorgestellt. Ein völlig ereignisloser Morgen auf der Straße. Keine Fotomotive, kein Anlass Stopps einzulegen. Beim LKW-Händler in Villefranche-sur-Saône, jener, der direkt an der Autobahn mit seiner Vielsprachigkeit Werbung macht, wechsele ich an das andere Ufer der Saône. Ab jetzt wird es lauschig. Bisschen hoch, bisschen runter, ab Neuville-sur-Saône flach auf der Uferstraße nach Lyon.

                                                        Nach Lyon mit dem Rad reinzufahren ist einfach. Immer am Ufer der Saône entlang ins Zentrum, durchs Zentrum auf der für Fahrräder freigegebenen Busspur. Das läuft. Grüne Welle hinterm Bus. Ich schaue nach rechts, nach links, zwinge mich zum Fotostopp. Die Motive finde ich auf den Hügeln. Was ich sehe, schaut toll aus. Soll ich ein Hotel ..? Das läuft grade so gut. Das ist das Kreuz mit dem Fahrrad. Viel zu oft läuft es gut. Immer der Ausschilderung Confluence hinterher, ums neue Hafenbecken für Sportboote kurven, über die breiten Bürgersteige des neuen Lyons fahren, dabei die Sonne im Süden nicht aus den Augen verlieren, die Umleitung für Radfahrer nicht übersehen, auf dem Bürgersteig, unweit des Tempo-30-Schilds, schon auf der Gitterbrücke unter der die Saône in die Rhône mündet, habe ich schon wieder nichts von der Stadt gesehen. Lyon rückt auf der ewigen Liste der Orte, die unbedingt besucht werden müssen, unter die ersten 10 vor. Lyon kann sich was darauf einbilden. Das hat noch keine Stadt geschafft.


                                                        Vienne - Saint-Maurice

                                                        Auf Feyzin mit den endlosen Raffinerien habe ich keine Lust, auch wenn dort die Straße neben der Autobahn ohne die geringste Steigung ist. An der Gitterbrücke den leichten Anstieg hoch, hinten wieder runter, an der ersten Ampel links, der nächsten rechts, das war's. Über Irginy, weiter nach Givors komme ich in der Sonne gewaltig an Schwitzen. Sieh an, es ist nicht weit bis in den Süden. Auf der Karte sah das nach einer Fahrt ohne Höhenmeter entlang der Rhône aus, leider nur auf der Karte. Meine Véloroute du Soleil. Vienne sehe ich vom anderen Ufer. Tausendmal vorbei gefahren und doch noch nie so gesehen. Wieder ein Radweg, der mir unbekannt ist. ViaRhôna steht auf dem Wegweiser und das es bis Valence noch 88 Kilometer sind. Flach übern Deich. Übermütig geworden, fällt der Entschluss, die 88 Kilometer „ropp“ ich noch runter. Denkste! Nach nur 11 Kilometer ist der Radweg verschwunden. Na denn, ab auf den nächsten Campingplatz. In einem engen Seitental werde ich fündig. Vier Meter hohe Hecken trennen die Parzellen. Wie ein Knast. Einen Laden gibt es hier nicht. Es ist still hier. Ein Bach gurgelt. Ein Frau sucht im Sanitärgebäude den Bereich für die Frauen. Sie wird nicht fündig werden. Die Franzosen sehen das locker. Alle zusammen und für die Männer 'ne stille Ecke fürs Urinal. Geschlechtertrennung auf französisch.

                                                        Von nebenan gibt es eine Einladung zum Tee. Zwei Männer aus Holland sind mit ihren Frauen unterwegs nach Spanien. Die Frauen fahren den Camper, die Männer fahren Rad. Morgens wird ein Tagesziel abgesprochen, welches es zu erreichen gilt. Die Vier machen das jedes Jahr so. Der Jakobsweg, nach Italien und dieses Jahr eben mal nach Spanien. Das mit der ViaRhôna soll ich mir aus dem Kopf schlagen. Stückwerk. Mal ist sie da, dann wieder nicht. Auch gut. Bin ich nun endlich im Süden angekommen? Die Holländer meinen ja, der Wetterbericht für den kommenden Tag würde vielversprechend aussehen. Sommerwetter. Ich kenne den Wetterbericht für den Tag nach dem Sommerwetter.
                                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 16:52. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                        .

                                                        Kommentar


                                                        • Enja
                                                          Alter Hase
                                                          • 18.08.2006
                                                          • 4869
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                          Aha. Das berühmte "Begleitfahrzeug". Das gibt Punktabzug beim Pilgercasting.

                                                          Solche Kombis haben wir auch öfter getroffen. Allerdings weniger mit niederländischen Kennzeichen.

                                                          Kommentar


                                                          • Werner Hohn
                                                            Freak
                                                            Liebt das Forum
                                                            • 05.08.2005
                                                            • 10870
                                                            • Privat


                                                            #30
                                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                            Die nehmen das locker. Holländer halt, und wenn es ums Pilgern geht, bin ich Holländer. Hauptsache alles zu Fuß, respektive alles getreten.

                                                            So, ich bin dann mal weg - Fehler rausschmeißen.
                                                            .

                                                            Kommentar


                                                            • Enja
                                                              Alter Hase
                                                              • 18.08.2006
                                                              • 4869
                                                              • Privat


                                                              #31
                                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                              Die Niederländer, die wir trafen, waren durchwegs als Paare unterwegs. Während die deutschen Gruppierungen Männer-Ausflüge waren. Aus deren Richtungen stets schiefe Blicke in meine Richtung kamen. Da Niederländer dann auch noch, wie wir, gerne zelten, waren wir stets mit ihnen unterwegs.

                                                              Die deutschen Radler, die ihre Frauen dabei hatten, nutzten sie als Chauffeurinnen der Begleitfahrzeuge. Das waren aber auch eher wenige.

                                                              Persönlich hätte ich nichts gegen ein Begleitfahrzeug gehabt. Solange ich es nicht fahren muss. Auf der anderen Seite mag ich das Gefühl, alles im Gepäck zu haben, was ich unterwegs brauche. Also für mich wohl eher doch keine Reiseform.

                                                              Kommentar


                                                              • lina
                                                                Freak

                                                                Vorstand
                                                                Liebt das Forum
                                                                • 12.07.2008
                                                                • 43828
                                                                • Privat


                                                                #32
                                                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                                                                Auf der anderen Seite mag ich das Gefühl, alles im Gepäck zu haben, was ich unterwegs brauche.
                                                                Das finde ich auch immer wieder faszinierend: So ein kleiner Stapel Gepäck und darin alle Improvisationsgrundlagen, die man braucht. Morgens muss man nur aufsteigen und weiterfahren, man ist für die überwiegende Anzahl an Eventualitäten gerüstet und kann dort alles auspacken, wo man bleiben mag, auch mal spontan. Ein Begleitfahrzeug würde da nur stören.

                                                                Kommentar


                                                                • Enja
                                                                  Alter Hase
                                                                  • 18.08.2006
                                                                  • 4869
                                                                  • Privat


                                                                  #33
                                                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                  Auch, wenn dein über alles geliebter Schatz ihn steuern würde? Der alle haushaltlichen Erfordernisse für dich übernimmt?

                                                                  Nun gut. Meine Vorstellungen von Partnerschaft sind da irgendwie anders. Ich reise entweder allein oder in Gesellschaft. Aber nicht beides gleichzeitig. Aber vielleicht kommen wir da noch hin, wenn einer von uns beiden "nicht mehr kann". Dann kriegen wir das auch irgendwie hin.

                                                                  Kommentar


                                                                  • lina
                                                                    Freak

                                                                    Vorstand
                                                                    Liebt das Forum
                                                                    • 12.07.2008
                                                                    • 43828
                                                                    • Privat


                                                                    #34
                                                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                    Ich sehe da jetzt keinen Widerspruch?

                                                                    Wer weiß was Leute dazu bewegt, mit einem Begleitfahrzeug zu fahren. Ist dann eben eine andere Sorte Urlaub, eher mit Tagesausflugscharakter. Diese ganz besondere Stimmung, dieses Einfach-unterwegs-Sein mit den zahlreichen spontanen Möglichkeiten fällt damit weg. Was ich schade fände.

                                                                    Kommentar


                                                                    • Werner Hohn
                                                                      Freak
                                                                      Liebt das Forum
                                                                      • 05.08.2005
                                                                      • 10870
                                                                      • Privat


                                                                      #35
                                                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                      Für die beiden Pärchen aus Holland war das einfach nur eine praktische Lösung für beide Seiten:

                                                                      - die Männer können mit dem Rad auf Tour, ohne dass es Stress mit dem Frauen gibt
                                                                      - die Frauen haben ebenfalls Urlaub und sehen was von der Welt, anstatt im schönen Holland auf ihre Kerle zu warten

                                                                      Meins wäre es auch nicht unbedingt, doch wenn sich so Probleme lösen lassen, Gott, es gibt Schlimmeres im Leben.

                                                                      Die Holländer waren übrigens nicht auf dem Weg nach Santiago, dass war Jahre vorher ihr Ziel, sondern an die Costa Blanca.
                                                                      .

                                                                      Kommentar


                                                                      • cane

                                                                        Alter Hase
                                                                        • 21.10.2011
                                                                        • 4401
                                                                        • Privat


                                                                        #36
                                                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                        Interessanter Bericht, auch wenn die egomanischen Kommentierungen von alles und jedem Nerven, auch wenn sie authentisch erscheinen

                                                                        Gute Reise!

                                                                        Kommentar


                                                                        • hosentreger
                                                                          Fuchs
                                                                          • 04.04.2003
                                                                          • 1406


                                                                          #37
                                                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                          Zitat von cane Beitrag anzeigen
                                                                          Interessanter Bericht, auch wenn die egomanischen Kommentierungen von alles und jedem Nerven, auch wenn sie authentisch erscheinen

                                                                          Gute Reise!

                                                                          Ich will ja nicht polemisieren, aber ob der Begriff "egomanisch" hier wirklich angebracht ist, schein mir mehr als zweifelhaft. Und das wird durch den zwinkernden Smiley auch nicht unbedingt besser. Ich finde den Begriff hier unpassend! Und wenn Dich etwas so gewaltig nervt, kannst Du ja immert noch die Ignor-Liste benutzen.

                                                                          Wikipedia sagt zu Egomanie "krankhafte Selbstbezogenheit oder Selbstzentriertheit" als psychopathologische Störung....

                                                                          Für mich ist es ein interessanter Reisebericht, der gerade durch die persönlichen Kommentierungen lebt - wie in sehr vielen Reiseberichten hier. Hoffentlich ändert der Autor nicht den Schreibstil!

                                                                          hosentreger

                                                                          edit: geringfügig geändert...
                                                                          Zuletzt geändert von hosentreger; 22.07.2013, 07:55.
                                                                          Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                                          Kommentar


                                                                          • ronaldo
                                                                            Freak
                                                                            Moderator
                                                                            Liebt das Forum
                                                                            • 24.01.2011
                                                                            • 12506
                                                                            • Privat


                                                                            #38
                                                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                            Hi,

                                                                            tolle Beschreibung von Lyon - doch, genau so wirkt die Stadt! Wenn man sich dann mal zwo Tage Zeit nimmt, lernt man durchaus auch die netten Seiten kennen...

                                                                            Zum "begleiteten Reisen": Klar, jeder wie sie/er es mag. Mir würde dabei allerdings das Spontane fehlen, das ist doch das Salz in der Reisesuppe (--> vgl. Linas Kommentar).

                                                                            Gruß, Ronald

                                                                            Kommentar


                                                                            • cane

                                                                              Alter Hase
                                                                              • 21.10.2011
                                                                              • 4401
                                                                              • Privat


                                                                              #39
                                                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                              Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
                                                                              Wikipedia sagt zu Egomanie "krankhafte Selbstbezogenheit oder Selbstzentriertheit" als psychopathologische Störung....
                                                                              Ich glaube der Autor kann mit meiner gezwinkerten Kritik ganz locker leben und weiß wie es gemeint ist

                                                                              mfg
                                                                              cane

                                                                              Kommentar


                                                                              • Werner Hohn
                                                                                Freak
                                                                                Liebt das Forum
                                                                                • 05.08.2005
                                                                                • 10870
                                                                                • Privat


                                                                                #40
                                                                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                Dreizehnter Tag: Shopping
                                                                                St-Clair-du-Rhône - Tain-l'Hermitage (Campingplatz)

                                                                                Rhône bei Serrières

                                                                                Der Tag fängt mit einer Einkaufsliste an. Den fahrenden Bäcker habe ich auf dem Campingplatz eben noch so erwischt. Mit dem Brot alleine komme ich heute nicht weit. Der erste Posten auf der Liste ist Geld, gefolgt von einem Kaffee, eine Straßenkarte brauche ich, eine neue Luftpumpe und irgendwas für aufs Brot. Trocken runterwürgen, muss in der Heimat der Sterneküche nicht sein.

                                                                                Geld gibt es in Le Péage-de-Roussillon, die Tasse Kaffee ebenfalls. Supermärkte gibt es an der N 7 ganz große. Wenn ich das Wetter zum Maßstab nehme, habe ich mich in der vergangenen Woche oft gefragt, wo denn endlich der Süden anfängt. Beim Gang durch die Gemüse- und Fischabteilungen der Supermärkte hier, bin ich im Süden. Frischfisch auf Eis in langen Kühltheken, davor Frauen und Männer, die Fische im Einkaufswagen verstauen, bei denen unsereins vor dem Verzehr zuerst googeln muss, was sich daraus zubereiten lässt. Auch die Gemüseabteilungen sind größer als der komplette heimische Edeka. In den Käsetheken sind Sorten zu finden, für die ich daheim bis Köln fahren muss. Allerdings ist so mancher kleine Käse hier so teuer, als ob die Fahrkarte der SNCF nach Köln inbegriffen wäre.


                                                                                Andancette

                                                                                Mir fehlt die Seite 138 aus meinem alten Michelin-Atlas. Bei DIN A3 ist das eine ganze Menge Strecke. Benötigt wird die Michelin 523 Rhône-Alpes. Karten gibt es in jedem Zeitungsladen. Seit Jahren predige ich das allen. Die Besitzer der Zeitungs- und Tabakläden in Le Péage-de-Roussillon scheinen von meiner Predigt noch kein Wort gehört zu haben. Weiter zum Supermarkt am Stadtrand. Auch hier Fehlanzeige. Was predige ich eigentlich immer? Der Casino Supermarché hier hat Bücher, jedoch keine Landkarten. Merde! Fündig werde ich im Zeitungsladen nebenan. Die 523 ist wie üblich eine 3-m²-Karte. Benötigt wird nur das Stück von hier bis Montelimar. Die beiden Männer am Aschenbecher neben der Automatiktür staunen nicht schlecht, als ich mit dem Messer die Karte passend schneide, immerhin stilecht mit einem Opinel. Einen halben Quadratmeter brauche ich, der Rest wandert in den Mülleimer. Da staunen sie noch mehr.

                                                                                Es fehlt noch eine vernünftige und leichte Luftpumpe. Das Ding in der Packtasche ist nur für den Notfall gedacht. Tankstellen gibt es schließlich überall. Die letzte Tankstelle, die genug Luft hatte, war eine in Remich. Das war keine Kunst, denn an der luxemburger Grenze reiht sich Tankstelle an Tankstelle. Seitdem bin ich auf der Suche nach einer Tankstelle, die genug Luft für mein Rad hat. Der letzte Versuch fand an der Esso in Dole statt. Piep-Piep-Piep-Piep. Fünf Komma fünf Bar zeigte das Display an. Super. Einen Euro hatte ich in den Schlitz gesteckt. Unter der Säule sprang der Kompressor an. Während der ratterte, studierte ich die Instruktionen. Nach meiner freien Interpretation blieben mir 5 Minuten, sobald der Kompressor aufhörte zu rattern. Das dauerte und dauerte. Dann war es still. Schlauch aufs Ventil – nix. Okay, vermutlich blieben mir insgesamt 5 Minuten, schlussfolgerte ich unter dem ausladenden Dach der feierabendlich verwaisten Tankstelle. Erneut verschwand ein Euro im Schlitz der roten Kompressorsäule. Druck wird jetzt wohl da sein. Unter der Säule sprang der Kompressor an. Warum? Hatte der eben 5 Minuten für nichts gerattert? Während der erneut ratterte, studierte ich diesmal nicht die Instruktionen, sondern sah auf die Uhr. Nach 4 Minuten ratterte der Kompressor immer noch. Egal. Schlauch aufs Ventil. Hurra, hurra, es rauscht, es rauscht! Leider in die falsche Richtung, was mir ziemlich spät aufgefallen ist. Mit ziemlich plattem Vorderrad hatte ich das Fahrrad zum Campingplatz geschoben. Mir war eine holländische Gruppe mit Rennrädern aufgefallen, die vor einem der Bungalows ihre Räder säuberlich ausgerichtet stehen hatten. Kein Problem, wie viel soll es denn sein, sprach einer und öffnete die Transportertür. Sieh an, ein Kompressor. In einer Werkzeugkiste fand sich dann auch noch der passende Adapter. Seitdem bin ich ohne Luft. Und weil ich nicht an jeder Ecke Holländer mit Kompressor erwarten kann, muss eine anständige Pumpe her.


                                                                                Tournon-sur-Rhône

                                                                                Einen Fahrradladen oder Decathlon brauche ich. Im Stillen hoffe ich, Decathlon vor einem Radladen zu finden. 'ne Pumpe aus'em Radladen würde ein sehr gutes Menu du jour weniger bedeuten. Die N-7 runter nach Süden. Ausschau halten nach der Decathlon Werbung, die immer und überall unübersehbar an den Hauswänden prangt. Nix. Wenn man mal einen von denen braucht. Beinahe wäre ich vorbeigefahren, an "einen von denen". Neben dem Kreisel in Salaise-sur-Sanne steht ein funkelnagelneuer Decathlon. Der ist so neu, dass die noch nicht mal Zeit hatten, die Zeltausstellung draußen auf den Parkplatz zu nageln. Der ist sogar so neu, dass die Regale noch nicht komplett eingeräumt sind.

                                                                                Jetzt tut sich ein winziges Sprachproblem auf. Ich brauch eine Pumpe, die mindestens 8 Bar schafft, ohne das sich die Kalkschulter meldet. Die Probleme des Alters. Kein Problem, deute ich die Aussage des überaus freundlichen jungen Mannes. Der drückt mir eine Pumpe fürs Rennrad, die bekanntlich keine Autoventile haben, in die Hand. Ob man die umbauen kann? Die Piktogramme bleiben bei dieser Frage stumm. Der Mann vor mir auch. Was heißt „Autoventil“? Soll ich den Herrn Schrader und sein Ventil ins Spiel bringen? Soll ich das Wörterbuch raus kramen? Wir einigen uns auf einen Gang vor die Ladentür. Junge, ist das heiß geworden. Erbarmungslos brennt die Sonne auf den Sattel. Schrader, kommt es undeutlich von unten. Sieh an, den Herrn hätte ich doch ins Spiel bringen sollen. Das Problem ist gelöst. Im Laden drückt er mir eine Pumpe in die Hand die maximal 6 Bar schafft. Die will ich nicht. Ich will mehr, in der Hoffnung mich nicht quälen zu müssen. Das noch verdammt leere Regal gibt nicht viel her. Kein Problem, deute ich die Ausführungen des junge Mannes, der anfängt in den umstehenden Kartons zu suchen. Sieh an, er reckt eine chromblitzende Pumpe ich die Höh'. Sein Zeigefinger klopft auf einen runden schwarzen Punkt. 8 Bar kann ich lesen. Fein, passt die denn auch? Die Kunst der Verständigung hat in der vergangenen halben Stunde gewaltige Fortschritte gemacht. Wir sind wie ein altes Ehepaar. Ohne viele Worte weiß jeder, was der andere will. Schon baut er die Pumpe um. Dann klemmt er sich eine anständige Fußpumpe unter den Arm, und pumpt mir die Reifen auf. Das Jammern mit der Schulter scheint er verstanden zu haben. Wenn es um sowas geht, also ums Jammern, sind Männer schon immer grenzüberschreitend gut gewesen. Erfreulich ist der Preis. Das Tagesmenü kann üppig ausfallen.

                                                                                Tain-l'Hermitage - Passerelle Marc Seguin

                                                                                Aus dem Morgen ist Mittag geworden, als ich endlich wieder auf der Straße bin. Mein Drang zur Nationalstraße wird nach wenigen Metern gebremst. Für Fahrräder verboten. War da nicht ein Wegweiser zur ViaRhôna, irgendwo zwischen Supermarkt und Decathlon? Ja, stimmt. Eine Stunde später rolle ich auf der D 86, und lege angesichts des Schilds vor mir Vollbremsung hin, so überrascht bin ich.

                                                                                Dass ich jede Menge Zeit habe, war mir klar, jedoch das hier, damit habe ich nicht gerechnet. BIS Montpellier 203 steht auf dem gelben Schild am Rand der D 86. Mit den BIS-Wegweisern schildern die Franzosen schnelle Überlandrouten unter Vermeidung kostenpflichtiger Autobahnen aus. Im Zweifel geradeaus, bis zum nächsten gelben BIS-Schild. In vier, allerhöchstens fünf Tagen könnte ich an der Costa Brava sein. Und dann? Weiter nach Südspanien und mit dem Zug wieder zurück an die Costa Brava? Eine große Runde durchs spanische Hinterland oder durchs französische? Oder kürzer treten? Die Ardèche wollte ich vielleicht noch hoch, sofern das Wetter mitspielt. Bis zu deren Mündung in die Rhône ist es noch ein gutes Stück. Heute ist Sommer, morgen nur noch bis zum Mittag. Danach gibt es Regen und für die Höhenlagen ist Schneefall angekündigt.

                                                                                Als ich am Gemeindecampingplatz von Tain-l'Hermitage vorbei fahre, fällt spontan der Entschluss zu bleiben. Tain und Tournon-sur-Rhône am anderen Ufer sehen aus, als könne man hier anderthalb Tage verbringen. Das mit dem Regen wird sich sowieso nicht vermeiden lassen, doch übermorgen wird der Wind auf Nord drehen. Aus dem Gegenwind wird Schiebewind werden.

                                                                                Vierzehnter Tag: Müßiggang
                                                                                Pausentag in Tain-l'Hermitage

                                                                                Tain und Tournon geben nicht so viel her wie erwartet. Die Hauptstraße rauf, die Hauptstraße runter. Über die Passerelle Marc Seguin an das andere Ufer. Auch hier: die Straße rauf, die Straße runter. Gestern waren die Straßen und Cafés in Tournon voll mit Menschen. Heute ist alles leer. Der Anleger für Kreuzfahrtschiffe, an dem am Vortag ein weißes Schiff festgemacht hatte, ist verwaist. Die Kellner stehen beschäftigungslos herum, in den Souvenirläden sitzen Frauen hinter der Kasse und lesen Zeitung, andere halten auf der Straße ein Schwätzchen mit dem ebenfalls auf Kunden wartenden Nachbarn. In Tain sieht es nicht besser aus.

                                                                                Tain-l'Hermitage - Chappele de Larnage

                                                                                Nur beim Schokoladenhersteller Valrhona an der Hauptstraße ist Betrieb. Angesichts der Preise gehen mir die Augen über. Der Holländerin neben mir auch. In der Hand hält sie vier kleine durchsichtige Tüten mit winzigen Mengen Schokolade. Man sieht, dass sie im Kopf die Zwischensumme zieht. Eine Tüte wandert zurück ins Regal, nach kurzem Zögern noch eine. Ich halte mich an die kostenlose Probestücke, die es hier für jedes Produkt gibt. Was soll ich sagen? Als eingefleischter Nutella-aus-dem-Glas-Löffler ist man nicht objektiv. Ich würde sagen, auch meine nächste Tafel Schokolade wird wie immer nur den Bruchteil der billigsten 100-Gramm-Tafel von Valrhona kosten. Banause bleibt Banause.

                                                                                Auf der Uferpromenade passe ich einen Mann ab, den ich vor einem Tag überholt habe. Rucksack auf dem Buckel, Einkaufstüte in der Hand, so ist der mir schon beim Überholen aufgefallen. Einer aus Süddeutschland auf dem Weg nach Barcelona. Er wandert nicht, er geht nach Spanien. Er folgt den Radwegen und den Straßen. Angefangen hat er in Mulhouse, im Anschluss der Radklassiker: Doubs, Saône und nun Rhône. Er wird noch einen Schlenker durch die Cevennen machen. Südfrankreich wird mörderisch heiß werden. Wann er in Barcelona ankommt, sei nicht so wichtig. Auf der Stelle könnte ich mitgehen.

                                                                                Wie angekündigt setzt am Mittag der Regen ein. In Rekordzeit wird es kälter. Fleecejacke an, Regenjacke an. Beim Regenguss rein ins Zelt, bei der Regenpause raus aus dem Zelt. Der Wind hat noch nicht nachgelassen. Und er kommt noch immer nicht aus dem Norden, doch er hat auf Nordwest gedreht. Daher kommt die Kälte, die holt er sich auf den Weiten des Atlantiks. Der Himmel ist grau. Achtundvierzig Stunden war Sommer. Auf der grauen Rhône rauscht ein Frachter zu Tal. Die Rhône führt mächtig Wasser, fließt schnell. Gespannt, ob und wie der Mann im Ruderhaus die Kurve kriegt, schaue ich dem Schiff hinterher. Sogar aus einiger Entfernung ist zu sehen, wie Backbord am Bug weißes Wasser schäumt. Ohne Bugstrahlruder wäre es knapp geworden. Scheiß Wind. Scheiß Hochwasser. Scheiß Regen. Scheiß Kälte. Abends bin ich froh, das Abend ist. Regentage im Zelt, im Süden, sind nix.

                                                                                Fünfzehnter Tag: Wo der Süden anfängt
                                                                                Tain-l'Hermitage – Bollène (Hotel)

                                                                                Losfahren macht keinen Spaß. Grau, grau und nochmals grau. Mittags, sagt zum Abschied der städtische Mitarbeiter, der heute auf dem Campingplatz Dienst schiebt, wird das Wetter besser werden. Ein schwacher Trost. Aber immerhin. Der Radweg ist butterweich. Der nächtliche Dauerregen hat den Belag aufgeweicht. Schwer zu fahren. Als fahre man ohne Unterlass eine leichte Steigung hoch. Neidische Blicke zum blanken Asphalt der Straße nebenan. Ich komme nicht hin, weil der Radweg über den Damm zwischen Rhône und Kanal verläuft. Den Absprung habe ich verpasst. Irgendwas mit Naturschutz soll hier sein. Mir ist das an diesem Morgen egal. Ich will Asphalt! Auf der Straße nebenan rauscht ein Auto, eine lange, hoch aufwirbelnde Gischtfahne nach sich ziehend, vorbei. Was wäre das schön.

                                                                                Vor Valence

                                                                                Wie versprochen kommt der Wind aus dem Norden. Er schiebt. Valence, wie wird die Fahrt durch die Stadt werden? Mit dem Berufsverkehr treffe ich in der Stadt ein. Den Radweg habe ich verloren. Zugegeben, gesucht habe ich nicht, als keine Schilder mehr auftauchten. Morgens fahre ich gerne mit dem Berufsverkehr in Städte. Es muss nur richtig viel sein, so dass der nicht ans Rollen kommt. So wie an diesem Morgen in Valence. Zweispurig steht der Verkehr an der ersten Ampel und setzt sich nur schleichend in Bewegung als die Ampel auf Grün umspringt. Durchschlängeln zwischen den Autos, aufpassen bei den Lastwagen, wenn diese anfahren. Zehn Meter, dann stehen alle wieder. Vorbeifahren am rechten Rand. Rechts, zwei Meter neben mir rauscht die Autobahn. Der Wind weht das dort aufgewirbelte Wasser zu mir rüber. Die Richtung beizubehalten ist einfach. Immer an der Mauer der Autobahn entlang, immer auf der mehrspurigen Straße direkt daneben. Ehe ich mich versehe, bin ich durch die Stadt durch, ohne einen Meter durch sie hindurch gefahren zu sein. Valence an der Rhône liegt nicht am Fluss, habe ich mir bei der Vorbeifahrt auf der Autobahn immer gesagt. Valence liegt an der Autobahn. An diesem Tag liegt Valence an der Nationalstraße 7 und der Autobahn.


                                                                                In Charmes

                                                                                Mal eben im Süden der Stadt, schon wird der Regen stärker. Hinüber ans rechte Ufer der Rhône. Wer weiß, ob die N 7 durchgängig für Radfahrer frei ist. Keine Experimente bei diesem Wetter. Die D 86 ist alles andere als flach. Wasser steht auf der Fahrbahn. Seit Stunden fahre ich nun im Regen. Die Kamera ist nass geworden. Vergessen hängt sie stundenlang am Oberrohr. Als ich sie brauche, ist es zu spät. Fotos sind Glückssache. Im Futter der Zustiegschuhe sammelt sich das Wasser. Die Füße, die Füße! Ach, nicht weiter drüber nachdenken. Längst müssten sie gefühllos sein, so lange tun sie schon weh. Die Kette läuft trocken. So sehr die Füße auch schmerzen, die Sohlen bekommen mit, dass die Kette Öl vertragen könnte. Leichtes Vibrieren in den Füßen, wenn die Kette auf einem der beiden ausgelutschten Ritzel läuft, die immer ran müssen. Es sind die Ritzel für das Flachland.

                                                                                Es ist kein schönes Land, keine schöne Strecke, kein schönes Fahren. Keine gute Bewertung. Das Wetter wird das seinige dazu beitragen, doch, da bin ich mir sicher, bei Sonnenschein würde das Urteil nicht besser ausfallen. Oben auf der Autobahn kommt man auch nicht zu einem anderen Urteil. Einzig der Blick ist ein anderer. Von dort tun sich Blicke ins weite Tal nach Westen auf, werden gefesselt vom Kernkraftwerk Cruas mit den vier Kühltürmen und vier bescheidenen Windrädern. Auf den Beton des nördlichsten Kühlturms hat man ein spielendes Kind gemalt. Das sieht man sogar von der Autobahn

                                                                                Auch von unten, von der Landstraße, wird das große Kernkraftwerk nicht schön, aber kleiner, denn die Ausmaße sind nicht zu überblicken. Die Naben der Rotorblätter sind an diesem Morgen nach Norden gerichtet. Das ist schön, denn sonst hätte ich Gegenwind. An der Kurve vor dem Kernkraftwerk kommt mir auf Fahrrädern ein Ehepaar aus Dänemark entgegen. Er hat auf der Lenkertasche ein an diesem Tag nutzloses kleines Solarpanel. Sie sind auf dem Weg von Gibraltar nach Dänemark. Das Wetter setzt beiden zu. Sie sind schon nach Griechenland gefahren, von Sizilien hoch in die Heimat, aber so kaltes, stürmisches und regnerisches Wetter hatten sie noch nie. Ihr Budget für Hotelübernachtungen ist weit überzogen. Die langfristige Vorhersage ist nicht so, dass die Reisekasse geschont werden kann. Es soll noch kälter werden. Unser aller Leben dreht sich nur noch um die Wettervorhersage.

                                                                                Montélimar im Vorbeifahren

                                                                                An Montélimar vorbei. Leider wieder auf einem kurzen Stück der ViaRhôna. Nichts gesehen, außer Deiche, Seerosen in Tümpeln und grüne Wiesen. Dafür glatter Asphalt, Schiebewind und die Sonne meldet sich auch wieder. Seit dem letzten Kernkraftwerk in Cruas, mal eben zwei Stunden unterwegs, schon wieder ein Kraftwerk. Das hier fällt weniger auf. Weniger Kühltürme. Die Atomanlage Tricastin in Pierrelatte ist der französische All Inclusive-Schuppen fürs Atomare. Vier Reaktoren. Etwas Wärme für die wenigen Haushalte rundum, ein bisschen Strom fürs Land, Wärme für die große Krokodilfarm nebenan, Forschung für Atomwaffen. Die vier Kühltürme rauchen für die Urananreicherung. Traumtänzerinnen, die den Franzosen Ökostrom schmackhaft machen wollen, sollten sich ein Fahrrad kaufen und die Flüsse runter fahren.

                                                                                Wohin heute? Kräftiger Rückenwind bringt für Momente Avignon ins Spiel, noch sechzig, siebzig Kilometer weit weg. Nein, es geht dorthin wo der Süden anfängt. Früher hatte der Süden für uns in Lyon angefangen. Je öfter es weit, weit außerhalb der Sommersaison in den Süden ging, umso weiter rutschte der Süden nach Süden, nach Valence, dann nach Montélimar. Überall gab esauf der Vorbeifahrt kalte Frühlingstage und nasse Herbsttage, sogar Schnee im Frühjahr. Der Süden rückte jedesmal ein gutes Stück weiter Richtung Mittelmeer, bis nach Bollène.

                                                                                Das letzte Bollwerk gegen das Schmuddelwetter aus dem Norden, war und ist immer noch die Firma Gerflor. Gerflor stellt Bodenbeläge her, vielleicht beheizbare, woher soll man das wissen, wenn man im Auto vorbeifährt. Unsereins ist ja schon froh wenn er weiß, dass es das weiß, also dass die Teppiche und Linoleum machen. Wie die Geschäfte der Firma zurzeit laufen weiß ich nicht. Es könnte sein, dass es etwas hängt, denn der Anfang vom Süden hat Macken. Für uns fängt der Süden an der weithin sichtbaren Datum- und Temperaturanzeige der Firma Gerflor an. Für andere ebenso, weiß ich. Draufschauen tut jeder. Die blauen Neonziffern leuchten des nachts weit nach Norden und nach Süden. Vom Norden kommend, auf dem Weg in den Urlaub, hält man gebannt Ausschau danach. Wie warm wird es sein? Vom Süden kommend, auf dem Heimweg, möchte man besonders im Herbst beim Blick auf die Temperaturangabe nicht ans Thermometer auf dem Balkon in der kalten Heimat denken. Das Datum hängt schon lange. Mal fehlt eine komplette Ziffer, dann fehlt sie ganz, dann wieder nur einige Striche. Solange die Temperaturangabe noch leuchtet, soll mir das egal sein. Trotzdem: kauft Bodenbeläge von Gerflor, damit sie Geld für die fällige Reparatur haben, für die Leuchtziffern neben der Autobahn in Saint-Paul-Trois-Châteaux. Von da ist es nicht mehr weit bis an das Mittelmeer. 14,5 Grad zeigen die Leuchtziffern an diesem Nachmittag an. Es ist Mitte Mai. Luftlinie bis zu den Stränden des Mittelmeers, na, großzügig geschätzt, 100 Kilometer.

                                                                                Bollène wird es für diesen Tag. Durchrauschen bis Avignon wäre ein Verbrechen an der Papst-Stadt. Am Abend ankommen, am nächsten Morgen weiter. Darauf würde es hinauslaufen. Außerdem muss ich mal wieder zu Decathlon. Diesmal brauche ich Fahrrad-Überschuhe. Meine Füße sind immer noch kalt. Im Schaumstoff der Zustiegschuhe staut sich noch das Regenwasser vom Morgen. Die Schuhe werden über Nacht nicht trocken werden. Überschuhe sind ausverkauft, wie alle Regensachen. Fahrradhandschuhe sind auch Mangelware. Übergrößen an Hosen und Jacken und Ponchos haben sie noch. Mit billigen wasserdichten Wanderschuhen der Hausmarke verlasse ich das Haus.


                                                                                Viviers

                                                                                Nach dem nassen Vormittag darf das Hotel ein Stückchen besser werden. Campanile hat aufgerüstet, sowohl im Design, wie im Preis. Stechendgrün-Weiß-Braun lehnen sich deren Zimmer nun ans Modische an. Das ist mir egal, genau wie das überteuerte Frühstück, das ich genommen habe. Morgen Früh die Füße unter dem Tisch ausstrecken, um mit aller Zeit der Welt den Tag zu beginnen, wie soll ich das verrechnen. Das Rad darf auf das Zimmer, und dass die neue gläserne Design-Dusche ein auf zwei Meter misst, das ist wichtig. Platz für das Zelt. Über blendend weiße Fliesen, Kacheln, Bad- und Waschmöbel krabbeln innerhalb Minuten die Reste eines Ameisenvolkes. Ein Schnecke finde ich später auch noch.

                                                                                Eine nette ältere Dame wird entscheiden, ob ich nach Avignon oder die Ardèche hoch fahre. Das Wetter ist wichtig geworden in Frankreich. Nicht so wichtig wie bei uns, wo ohne die Erlaubnis von Plöger, Niedeck und Konsorten keiner mehr vor die Tür geht, doch die Franzosen holen auf. Schon ankündigt in der Hauptnachrichtensendung von TF1 am Abend, erscheint die Dame um Viertel vor neun. Leicht verlegen, als würde das wirklich miserable Wetter der vergangenen Wochen auf ihre Kappe gehen, hat sie keine erfreulichen Nachrichten. Das Wetter wird nicht besser werden, eher schlechter. Der Nordwind wird sich zum Mistral auswachsen. Regen wird es geben, Schnee wird es geben, dunkle Wolken wird es geben. Noch ein halbwegs schöner Tag mit Sonne soll folgen. Für den Tag danach hat sie vorsorglich schon eine Sturmwarnung parat. Als sie zum Ende ihrer nicht eben berauschenden Vorhersage kommt, knickt sie leicht in den Knien ein, hebt ihre schmalen Schultern, dreht die Arme mit den Handflächen nach außen, neigt den Kopf leicht und lächelt, kaum dass der Zuschauer es registriert, als tue sie Buße.

                                                                                Sechzehnter Tag: Wo Benedikt XVI. nie Urlaub machen wird
                                                                                Bollène – Avignon

                                                                                Orange - Stadtgründungsbogen

                                                                                Du schaust morgens aus dem Fenster und siehst blauen Himmel, sitzt beim Frühstück und siehst den Menschen hinterher, die hektisch ins Auto steigen, die keine Zeit fürs Frühstück haben. Vielleicht haben sie sich auch nur gesagt, dass ihnen das Gebotene nicht den geforderten Zuschlag auf den Zimmerpreis wert ist. Draußen vor dem Fenster steht dein Rad fertig bepackt. Nicht zum ersten Mal überschlägst du wie weit es bis Avignon ist und wie viele Stunden du bis in die Stadt brauchen wirst. Weil die Rechnung klein ausfällt, ganz im Gegensatz zu „Zimmer mit Frühstück“, drehst du die nächste Runde um das Frühstücksbuffet, bleibst vor der Kaffeemaschine stehen und siehst dem dampfenden Kaffee zu wie er in die weiße Tasse läuft. So hatte ich mir das gestern Abend ausgemalt. Genau so ist es gekommen. Das Frühstück ist auch bei Campanile nicht sein Geld wert, das Gefühl mit jeder Menge Zeitpolster am Frühstückstisch zu sitzen schon.

                                                                                Wohin denn nun? Avignon, Ardèche oder der Pont du Gard? Sollte die Ardèche noch im Spiel gewesen sein, ist sie raus mit dem Wetterbericht, der lautlos links an der Wand läuft. Kein Wetter für Fahrten durch Flusstäler, hinauf auf die Höhen, Vielleicht Avignon und der Pont du Gard? Zwei Ziele, die man gesehen haben muss. Muss man? Ehrlich? Ehrlich! Ja denn. Nein, muss man nicht. Am ollen Viadukt aus römischen Zeiten bin ich unzählige Male vorbei gefahren ohne es gesehen zu haben, ohne dass sich meine kulturbeflissene Abteilung gemeldet hat. Pont du Gard steht seit Jahren neben der Autoroute 9. Das hat nie gezogen. La Languedocienne steht auf schmalen blauen Schildern am Rand der Autobahn. Das hat immer gezogen. Warum haben unsere Autobahnen keine Namen, noch nicht mal prosaische? Sogar die einst so oft genannte Köln-Frankfurter-Bahn ist zur A3 geschrumpft.


                                                                                Weingut bei Châteauneuf-du-Pape

                                                                                „Brücke“ und Stadt an einem Tag, ist eindeutig zu viel Programm. Avignon soll es werden. Mir ist eingefallen, dass ich zu den glücklichen Menschen gehöre, die, sofern sie im Wirkungsbereich der Katholischen Kirche leben und von ihr geprägt wurden, dank Gregor XIII. nicht nur eine Jahrtausendwende erleben durften, sondern nach Jahrhunderten mal wieder mit zwei amtierenden Päpsten leben. Avignon auszulassen wäre somit unverzeihlich. Auf Jahrhunderte hinaus wird sich diese Chance nicht mehr bieten. Würde Benedikt XVI., unser Wir-Sind-Papst, Urlaub in der Stadt der Gegenpäpste machen? Nein, natürlich nicht. Eher geht der Teufel im Kölner Dom ans Taufbecken. Was wäre das für ein Fressen in unserer total beknackten Medienwelt. Schwarze Druckerfarbe würde kurzfristig unbezahlbar. Was für Schlagzeilen. „Papst Benedikt XVI. macht Urlaub in der Stadt der Gegenpäpste!“. Die Vereinigungen der Internationalen Ich-habe-keine-Ahnung-aber-reiß-das-Maul-auf-Kaffeesatzleser würden sich in den Fernsehstudios die Stühle streitig machen. Das würden sogar die Vettel-Anbeter, Fußballtabellenrunterbeter, Facebookprofilpfleger, Discounterweinschlurzer, ja, vielleicht sogar die BohlenundKlumanbeterinnen mitbekommen. Lebt Peter Scholl-Latour noch?

                                                                                Der Morgen ist einfach schön. Endlich fahre ich Fahrrad im Süden. Da stört es nicht, dass mich ein holländisches Wohnmobil in Orange auf den Radweg drängt. Versehen? Absicht? Idiot? Idiot, sage ich mal. Ohne Halt durch die Stadt, fast am Ortsrand ein Schild: Châteauneuf-du-Pape. Diesen Ort kenne sogar ich. Wein en gros, en detail, sprich im 5-Liter-Karton und der Flasche. Aber gut, dass im Hotel Prospekte auslagen. Immerhin weiß ich seit wenigen Stunden, dass in Châteauneuf-du-Pape die Sommerresidenz der Päpste aus Avignon stand. 'ne Ruine. Nicht sehenswert, beschließe ich schon vorab.


                                                                                Avignon

                                                                                Abbiegen ohne große Überlegungen. Zu dem Dorf muss ich. Nach dem ersten Anstieg, getrieben von einem LKW, der nicht überholen kann, bin ich tatsächlich in einer anderen Region. Wellige Weinberge soweit ich sehen kann. Darf man Plantagen schreiben, oder springen dann die Kenner im Dreieck? Vereinzelt stehende Bäume. Weit auseinander die Weingüter. Nur die Schilder, die zu Weinprobe und Direktverkauf einladen, sind kolossal störend. Im Dorf Weinladen neben Weinladen, Touristen mit Kameras, Touristen mit Weinführern, Touristen, die im Kofferraum Weinkarton nach Weinkarton verstauen, Touristen wie ich, die ein schnelles Foto machen und dann weg sind. Für die Ruine der Sommerresidenz muss man wirklich nicht hierher fahren; und den Wein gibt es bestimmt auch beim Discounter; nichts wie weg nach Avignon. Am südlichen Himmel zieht eine schwarze Wolkenwand hoch. Das ist die angekündigte.

                                                                                Weil ich mal wieder einen Abzweig verpasse, gibt es eine Stadtrundfahrt. Was zieht die Touristen in diese Stadt? Avignon, das ist eine Stadt wie jede andere. Und dann fahre ich am Flussufer vorbei, mache den weiten Linksbogen mit, um zur Brücke zu gelangen, ziehe mit nicht für möglich gehaltenem Tempo, zu dem nahendes Unwetter einen treiben kann, die Rechtskurve auf die Brücke hoch, und staune beim flüchtigen Blick über die Schulter. Wahrlich, Avignon, ist mehr als einen Abstecher wert.

                                                                                Das Außenzelt steht, es schüttet aus Eimern. Schwein gehabt. Auf der Nachbarparzelle hat sich ein flacher See gebildet. Vorsichtshalber ziehe ich Abflussgräben. In der Nacht will ich ruhig schlafen. Vor dem Campingplatz stoppen zwei Reisebusse. Achtzig Chinesen machen Fotos. Der Campingplatz hat eine Traumlage. Nirgendwo sonst, bietet sich dieses Panorama. Einzig der Blick von der Brücke ist noch besser. Parken darf dort niemand. Was für ein Glück. Die Reiseleiter stehen gelangweilt am Rand. Meine Vermutung, die Busreisenden kommen aus Japan wird in China korrigiert. China ist im Kommen. Für die Chinesen habe Avignon keinen großen Stellenwert. Die Sache mit den westlichen Religionen sei ihnen schnuppe. Avignon stände wegen der Altstadt, hauptsächlich jedoch wegen des Panoramas auf ihrer Besuchsliste. Die hier seien nur auf der Vorbeifahrt von Barcelona. Noch am Abend wird man in Saint Tropez eintreffen. Dort werden sie zwei volle Tage bleiben.


                                                                                Avignon - Palais des Papes

                                                                                Die Altstadt Avignons ist verschlafen. Vielleicht, weil alles um den Papstpalast so ordentlich sein muss. Leise ist es auch. Keine Spur südländichen Lebens. Die Menschen, die hier leben, sind nicht hier, die sind da, wo die Stadt kein Museum ist. Vor dem Papstpalast tummelt sich ein Gruppe fetter Amerikaner. Eine deutsche Schulklasse zieht mit ihrem dozierenden Lehrer vorbei. Woran werden sie sich nach Jahren noch erinnern? Vielleicht nur an das Lied, das einem vorgesummt wird, wenn den Namen der Stadt nennt. Das ist doch die Stadt mit dem Lied. Wie heißt das nochmal? Moment, ich komm gleich drauf. Und dann fangen sie an zu summen: Sur le pont d' Avignon. Auf der berühmten halben Brücke summen kostet Eintritt.

                                                                                Mit dem Abend kommt die Sonne noch einmal hinter den Wolken hervor und taucht die Stadt in ein unwirkliches Licht. Plötzlich wimmelt es von Menschen mit Kameras vor dem Auge. Morgen, dass wissen alle, wird es solch ein Licht nicht geben. Unwetter sind angekündigt.

                                                                                Siebzehnter Tag: Sturmtag
                                                                                Avignon – Saint-Gilles (Hotel)

                                                                                Packen im Regen. Viel zu früh bin ich fertig. Die Rezeption ist noch geschlossen. Das Selbstbedienungsrestaurant hat schon auf. Kaffee und Croissant zusammen an einem Tisch mit einer Gruppe geistig Behinderter. Wie so viele dieser Menschen, haben sie keine Probleme mit dem Fremden an ihrem Tisch. Da setzt sich einer hin und frühstückt mit. Mehr ist das nicht. Nebenan sitzen zwei Holländer in Radkleidung. Von Barcelona nach Genua soll die Fahrt gehen. Noch haben sie nicht gepackt. Unschlüssig, wollen sie erst einmal die Wetterentwicklung abwarten. Draußen treibt der Wind den Regen waagerecht über das Wasser der Rhône. Als ich losfahre, bin ich alleine. Die D 2 am rechten Flussufer nehme ich. Zuerst sollte es die Straße am linken Ufer werden. Auf der Karte sieht das malerischer aus. Die D 2 ist bei diesem Wetter die richtige Wahl, Sie bietet mehr Schutz vor dem Wind aus Nordwesten. Das Wasser steht in den Spurrinnen. Bei jedem überholendem Auto ist eine Komplettdusche fällig. Das fällt nicht weiter ins Gewicht. Es regnet eh vom Himmel hoch. Viele Autofahrer hupen aufmunternd, als wüssten sie, dass es hilft. Es hilft tatsächlich. Nicht lange, nur eine halbe Stunde, und ich bin raus dem Bereich der schützenden Hecken. Der Wind kommt in Sturmstärke aus dem Landesinneren. Es ist erstaunlich, wie viel Schutz eine popelige, niedrige Leitplanke bietet. Dünne Hecken, vereinzelte Büsche geben unverhofften Windschutz. Dort wo der Wind keine Barriere findet, muss ich aufpassen, von einer der vielen Böen nicht auf die Gegenfahrbahn geweht zu werden.

                                                                                Bis auf die Haut bin ich nass. Der Sturm treibt dass Wasser unter den Saum der Jacke. Dazu kommt der Schweiß. Ich ackere wie ein Pferd. Über die Brücke an der Mündung des Gard ou Gardon traue ich mich nicht zu fahren. Quer zum Wind, würde ich nicht heil ans andere Ufer kommen. Obwohl ich absteige und gehe, muss ich mich am Geländer festhalten. Das Rad kann ich nur halten, weil es zwischen mir und dem Geländer eingeklemmt ist. Arm und Hand werden zu Ankertau und Anker. Unter dem weit ausladenden Dach der Tankstelle oben in Beaucaire finde ich keinen Schutz. Der Wind treibt den Regen einmal quer hindurch. Ein Mann erklärt mir den Weg nach Bellegarde. Viel Wind, verstehe ich. Gibt es keine Hecken, keinen Wald? Das Sprachproblem erweist sich mal wieder als hinderlich. Es wird schon nicht so schlimm werden. Weiter.

                                                                                Mündung Gard ou Gardon in die Rhône

                                                                                Die D 38 bietet nur bescheidenen Schutz vor dem Wind. Offenes, flaches Land über dem der Sturm seine Kraft nicht verliert. Hecken? Fehlanzeige. Mühsam, überwiegend im kleinsten Gang trete ich gegen den Mistral an, der, wie es scheint, nach und nach auf West dreht. Sturmwind von vorne, der das Wasser in die knatternde Kapuze treibt. Von Fahren kann keine Rede mehr sein. Mittags suche ich Schutz hinter einem niedrigen mit mächtigen Platanen bewachsenen Erdwall. Im Nu kühle ich aus. In den neuen und wasserdichten Schuhen steht das Wasser. Sie sind tatsächlich wasserdicht, lassen das Wasser aber auch nicht mehr hinaus. Wie auch. Wenn ich mir nicht den Tod holen will, muss ich weiter. In der Unterführung an der Nationalstraße 115 bei Bellegarde komme ich mir vor wie im Windkanal. Ich schaffe es nicht, die Kurbel zu treten. Warten, bis die hämmernden Böen nachlassen und dann schnell, schnell das Rad durch die Betonröhre schieben.

                                                                                Am Canal du Rhône à Sète stehen Wohnmobile, aus deren Fenstern Licht nach draußen fällt. Bis jetzt ist der Tag nicht hell geworden. Dämmerlicht seit meinem frühen Aufbruch. Was bin ich neidisch auf die Leute in den Caravans! Was würde ich nicht alles für eine trockene und warme Unterkunft geben! Am Anleger zerren die Boote an den Leinen. Zwischen den Bordwänden werden altersschwache Fender platt gedrückt. Kein Mensch ist zu sehen. Von rechts bläst der Wind ohne Unterlass. Le-Grau-du-Roi werde ich heute nicht erreichen. Mehr als 120 Kilometer bei diesem Wetter ist pure Utopie. Die Sehnsucht nach dem Meer, tagelanger Antrieb, wird heute nicht befriedigt werden.

                                                                                Die freundliche, bei Hannover aufgewachsene Frau hinter dem Tresen der Touristeninformation in Saint-Gilles ist derselben Meinung. Die zweithöchste Sturmwarnung hat Météo France ausgerufen. Da fährt man kein Rad. Im Handumdrehen bin ich überzeugt, auch, weil sie mir verspricht, dass Hotel habe eine gute Küche.


                                                                                Saint-Gilles - Abteikirche

                                                                                Ist das Putzwasser? Warm ist das Wasser über mein Gesicht gelaufen. Die Kopfhaut unter der Kapuze ist ebenfalls warm. Auf der Gepäckrolle ist Schmutz zu sehen, der nicht von der Straße stammt. Den gleichen Dreck sehe ich auf der Regenjacke, auf der Regenhose. Verdammt, ja, dass ist Putzwasser! Da hat jemand in den oberen Etagen mal eben einen Eimer mit heißem Putzwasser vom Balkon geschüttet. Angeekelt stelle ich mich minutenlang in den Regen, bis auch der allerletzte Schmutzpartikel verschwunden ist.

                                                                                Am anderen Bürgersteig stoppt ein Radfahrer. Es braucht nur Sekunden, bis Henk den Entschluss, den Tag schon so früh in einem Hotel ausklingen zu lassen, für gut befindet. Er ist auf dem Weg von Rotterdam nach Saintes-Maries-de-la-Mer und wieder zurück nach Holland. Henk ist zwar eben erst in Arles gestartet, doch ihm reicht es für heute. Wir beschließen den Vormittag mit einem standesgemäßen, in dem Fall nicht dem allerteuersten, Menu du jour. Es wird ein langes, unterhaltsames Mittagessen. Die Kellner müssen nachhelfen, damit das ein Ende findet. Ihre drei Stunden Pause sind unantastbar.

                                                                                Alleine drehe ich Runden durch das Städtchen. Lange Gespräche sind anstrengend geworden. Schwatzen ja, stundenlang einen Menschen neben mir, sich auf ihn konzentrieren, nein. Das ist immer so, wenn ich alleine unterwegs bin. Zehn Tage, vielleicht wenige mehr, vielleicht einer weniger, dann bin ich weg, tatsächlich weg. Ohne das es mir anfangs bewusst wird, entferne ich mich nach und nach aus der Gesellschaft. Mangels Austausch sind die eigenen Maßstäbe das einzige Maß, das zählt. An manchen Tagen macht sich niederdrückende Einsamkeit breit, an den allermeisten bin ich glücklich. Alleine Reisen kann zur Droge werden.

                                                                                Saint-Gilles - Via Tolosana, hier Sackgasse.

                                                                                Die zentrale Kreuzung ist fest in der Hand nordafrikanischer Einwanderer. Ausschließlich Männer sitzen auf den Bürgersteigen vor den beiden Bars. Alte Stühle aus fleckigem, ehedem chromblitzenden Stahl, mit abgewetzten, rissigen, hie und da aufgerissenen Polstern, aus denen vormals gelber Schaumstoff quillt, gruppieren sich um die kleinen runden Tische, auf den stehen Gläser mit Tee, liegen zusammengeknüllte Zigarettenschachteln. Das ist das Frankreich, welches viel zu vielen Franzosen nicht gefällt. Hotelgäste hatten uns vor denen gewarnt. Mir tun sie nichts. Wenn sie jeden Tag hier sitzen, wissen sie, dass ich nicht hierher gehöre. Es kann sein, dass sie in mir einen Pilger sehen. Die sind seit einiger Zeit wieder häufiger in der Stadt zu sehen; denn erneut kreuzt ein Jakobsweg meine Route. In Saint-Gilles ist das der GR 653, die Via Tolosana, die wirklich historisch verbürgt ist. Das wäre eine Route für den Winter. Rund um die Kirche ist an jeder Ecke das bekannte Muschelsymbol zu sehen. Die Pilgerherbergen scheinen noch abends leer zu stehen. Pilger sind wohl bei dem Wetter nicht unterwegs. Oder ist keine Saison?

                                                                                Achtzehnter Tag: Am Mittelmeer
                                                                                Saint-Gilles – Vias Plage (Campingplatz)

                                                                                Pfingstsonntag. Schon im Morgengrauen bin ich wach. Ich schaue der Sonne zu, wie sie den Tag hell macht. Mit dem Sonnenlicht beginnt ein Mittelmeertag. Extra wegen des Lichts bin ich aufgestanden, um eines der hier allgegenwärtigen Fliegengitter zu Seite zu schieben. Wenigstens eine halbe Fensterbreite ungestörte Sicht in den beginnenden Tag.


                                                                                Bei Canavere am Rand der Camargue

                                                                                Mit Henk habe ich mich zum Frühstück um 8 Uhr verabredet. Wir werden die ersten Kilometer gemeinsam fahren. Bis zum Frühstücken ist noch lange hin. Einschlafen gelingt mir nicht mehr. Mich treibt ein Gedanke um. Was mache ich, wenn Henk seinen Plan ändert, sein Ziel ändert und statt bis an die Mündung der Rhône zu fahren, den Vorschlag macht, gemeinsam zu fahren? Denn, wenn er an der Mündung war, dreht er sein Rad er um und fährt mir eigentlich hinterher. Immerhin für die kommenden zwei Tage. Was, wenn er Saintes-Maries-de-la-Mer sausen lässt? Plötzlich wäre ein Fahrrad an meiner Seite. Dauerndes Anpassen ans Tempo, an die Pausen, wo Abbiegen, anpassen an Fotostopps, Stopps für den Bäcker, den Supermarkt, das Restaurant oder die Dönerbude? Verbissenes Mithalten oder erzwungenes Trödeln? Unterhalten müssen, weil nun einer da ist der zuhört, der womöglich Unterhaltung sucht? In den ersten Tagen hatte ich hin und wieder mit dem Gedanken an eine Begleitung die Einsamkeit überbrückt. Mit jedem Tag mehr, bin ich nach und nach wie beim Wandern zum Alleinfahrer geworden. Wie soll ich ihm sagen, dass ich alleine fahren möchte? Sorgen, noch bevor der Tag hell geworden ist. Muss ich mir überhaupt den Kopf zerbrechen?

                                                                                Aigues-Mortes

                                                                                An diesem Morgen gibt es das beste Frühstück seit ich unterwegs bin. Zwei Sterne hat das Hotel nur, doch im Gegensatz zu den Hotelketten, gibt es hier eine Familie, die das Haus betreibt. Der Hotelier ist schon auf und kümmert sich um jeden Gast. Hemdsärmelig, ist er das genaue Gegenteil seiner Frau. Im schicken Kostüm, wohlfrisiert und mehrsprachig, strahlte sie gestern eine Weltläufigkeit aus, als würde sie ein Grand Hotel an der Côte d'Azur leiten.

                                                                                Henk lässt sich Zeit beim Frühstück. Da geht es schon los. Alleine wäre ich schon unterwegs. Die Franzosen dagegen sind schnell mit dem Frühstück. Kaffee, trockenes Croissant, ein viertel Meter trockenes Baguette, alles kommt in den Kaffee, schmatzen, dabei wird die Zeitung gelesen, die Frau ignoriert. Noch ein Kaffee? Die Frau auch? Ja. Wenig später bleiben Schlachtfelder zurück, mit denen sich die halbe Welt ernähren ließe.

                                                                                Es ist tatsächlich ein verbissener Start. Abtasten wie schnell der andere fährt, wie lange er das Tempo halten kann. Meine Sache ist das nicht. Aufgeben auch nicht. Henks auch nicht. Am Abzweig nach Stes. Maries ist er vorbeigerauscht. Ich bin schon ein Stück zurück, und rufe nach ihm. Nein, meint Henk, sein Ziel wird er nicht ändern. Händedruck, schön, dass wir uns getroffen haben, tot ziens!. Er hatte vermutlich dieselbe Sorgen wie ich.

                                                                                Der Mistral ist abgeflaut und über Nacht zum Tramontana geworden. Heftiger Gegenwind aus Nordwest. Im Großen und Ganzen ist das die Richtung in die ich muss. Es verspricht ein schöner Tag zu werden. Endlich Sommerfarben, endlich Sonne und heute werde ich endlich, endlich das Meer sehen - und wenn ich mir das Rad auf den Rücken binden muss. Die Luft ist ganz klar, wenn auch kalt. Keine Hügel mehr, vorerst keine großen Straßen mehr. Die Camargue ist hier, wo sie nach Westen ausläuft, langweilig. Einfach nur platt. Die Kanäle stehen bis zum Rand voll mit Wasser. An einigen Stellen hat das Wasser auf den Straßen gestanden. Das war einfach zu viel Regen in den vergangen Wochen. Alle Häuser sind mit Fliegengitter verbarrikadiert. Gut, dass heftiger Wind weht. Besser gehen den Wind treten, als Fliegen fressen. Die Wiesen mit den schwarzen Kühen bleiben zurück. Reis, später vermehrt Wein, bringt mehr Gewinn.

                                                                                La Grande-Motte

                                                                                Aigues-Mortes ist von Autofahrern belagert. Ach-ja, Pfingsten. Das Foto mit der Außenansicht muss reichen. Andere Ansichten der Stadt gibt es eh nicht. Noch bin ich nicht am Meer. In Le Grau-du-Roi bin ich am Meer, nur sehe ich es nicht. Zu viel Betrieb. Das zweifelhafte Vergnügen, mein Rad durch die Menschenmengen zu schieben erspare ich mir. Le Grande-Motte, die von vielen als größte Bausünde Südfrankreichs angesehene Ansammlung von Hoch- und Terrassenhäusern, durchfahre ich mutterseelenallein auf mehrspurigen Schnellstraßen. Unter den hohen schattigen Kiefern wird im Sommer der Verkehr toben. Immer noch habe ich das Meer nicht gesehen. Étangs, diese Flachwasserweiher, die sich die Küste entlang bis beinahe nach Spanien hinziehen, ja, die habe ich gesehen, durch die bin ich heute sogar auf Deichen gefahren, habe einen neben mir. Das Meer? Nein!

                                                                                Das Meer, wo ist das Meer? Zwischen den Häusern hätte ich ans Meer fahren können, Ich will kein Meer zwischen Häusern. Ich will die Illusion, das Meer für mich alleine zu haben. Endlich ein Stück unbebaute Küste. Eine kleine Düne, nicht mehr als ein vom Wind aufgeworfener Sandhaufen, ein Durchlass im von der Sonne gebleichten Lattenzaun, eine Stranddusche, ein gutes Dutzend Holzbohlen, ein Streifen Sandstrand, dahinter ist das Meer. Keine vier Wochen ist es her, dass ich hier in der Nähe am Meer war. Das heute ist ganz anders. Ich bin aus eigener Kraft hierher gefahren. Tagelang. Vor einem Jahr bin ich mit dem Rad an die Nordsee gefahren. Wie langweilig. Die Nordsee ist kein Mittelmeer. Im warmen Sand sitzend, schreibe ich eine SMS an meine Frau. „Bin am Meer. Sitze am Strand.“ Sie ist auf der Arbeit, und wird das verstehen.


                                                                                Étang de Vic - Die 'Lorelei' im Canal du Rhône à Sète

                                                                                Jetzt beginnt endlich das Küstenfahren, auf das ich mich seit dem Start gefreut habe. Da stört nicht, dass ich durch Frankreichs Feriengebiet mit den größten Bausünden fahre. Hier wurde für Massentourismus geplant und gebaut. Hier macht Urlaub wer die bunten Blätter liest, wer Urlaub mit Sonne und Strand gleichsetzt. Im Augenblick fühle ich mich dazugehörig. Wo ich am Abend landen werde, ist egal. Der heftige Gegenwind hat den ganzen Tag noch keine Pause eingelegt. Im Windschatten der Häuser von Carnon-Plage fahren, ist schön. Der Ort ist grauselig. Zweistöckige Ferienhäuser. Sollten Architekten mitgebaut haben, haben sie ihr Können gut versteckt. Der Verkehr soll hier rechts vor links rollen. Es gibt keinen Verkehr. Das Rad läuft über die Kreuzungen, bis das erste Auto von rechts kommt. Die Fahrerin besteht auf der Vorfahrt. Das war knapp. Rechts vor links endet erst am Yachthafen vor Palavas-les-Flots, hier endet der fahrbare und bebaubare Teils des sandigen Fingers, der den Étang du Méjean vom Mittelmeer trennt. Längst bin ich mit den Namen der Flachwasserteiche durcheinander gekommen. Einmal ums Eck, schon schiebt sich eine Landzunge, ein Kap in die Tümpel, schon ist einer neuer Name fällig. Der Wind wirft nur kurze Riffelblech-Wellen auf. Für wirklichen Seegang ist das Wasser nicht tief genug. Der Canal du Rhône à Sète ist nun auch wieder da. Im Unwetter vom Vortag habe ich nicht viel von dem mitbekommen. Hier hat man den Kanal in die Seen gebaut. Ein Kanal im Wasser. Erstaunlich.


                                                                                Sète - Die Proa 'Jo's Toy'

                                                                                Wie gerne würde ich am Meer weiterfahren. Es geht nicht. Immer dünner, immer sandiger wird der lange Finger, am Ende so dünn, dass sogar das Mittelmeer mühelos über die Sandbänke kommt. Ich muss aufs „Festland“. Sollte ich nicht über die letzte Brücke in Richtung Montpellier dürfen, habe ich mir vorgenommen, das zu ignorieren. Alles wieder zurück? Nee, dann lieber Strafe zahlen. Ein Radweg vereitelt den vorsätzlichen Gesetzesbruch. Villeneuve-lès-Maguelone ist schon am anderen Ufer. Vom Mittelmeer bin ich plötzlich sehr weit weg, weiter als beim Blick in die Karte erwartet. Am Städtchen ist der Tourismus spurlos vorbei gehuscht. Das haben alle Orte an der Landseite der Étangs gemeinsam. Vorne, da wo das Meer und die Strände sind, hat man sich in den Sechzigern ausgetobt. Hinten hat das Languedoc seine ländliche Verschlafenheit behalten. Vom Land mit Schwung wieder zurück ans Meer. Frontignan-Plage soll das nächste Ziel sein. Campingplatz? Quatsch, weiter! Sète ist ums Eck. Von da ist es nicht mehr weit bis Agde. Und wenn ich schon in Agde bin, kann ich noch ein Stück weiter fahren, bis zu den Campingplätzen rund um Vias. Sechzehn große quetschen sich in die Gemeinde.

                                                                                Voie Verte du Lido de Sète Marseillan-Plage

                                                                                So leer die Zufahrstraßen nach Sète auch sind, in der Innenstadt drücken sich Menschenmassen am Canal de Sète entlang. Die Vereinigung der Golden Oldies Multihulls hat zur Trophy 2013 geladen. Mehrrumpfboote, einige haben Segelgeschichte geschrieben, liegen am Kai. Segeln ist in Frankreich so populär wie Fußball – na, fast. Schräge Köpfe und Helden im Geschwindigkeitsrausch unter Segeln sind im Land bekannter als so mancher Held der Tour. Die Franzosen haben es schon auf den Meeren krachen lassen, als in Deutschland noch mehr Wert auf traditionelle Gebräuche und überlieferte Yachtetikette als aufs seglerische Können gelegt wurde. Daran hat sich übrigens immer noch nichts geändert. Gibt es irgendwo einen Segelrekord zu brechen, rüsten die Franzosen auf. Rasende Mehrrumpfboote sind dem deutschen Durchschnitts-Segelgustav höchst suspekt. Besonders die Rekordkisten der Hochsee. Wirft man einem deutschen Segler Banque Populaire an den Kopf, wird der „Bankenkrise“ antworten. Der Franzose wird sich an die Weltumseglung in 45 Tagen des Trimarans Banque Populaire V erinnern. Weltrekord! Jules Verne müsste sein Buch umschreiben. Französisches Boot, französisches Geld, französische Bank, französischer Skipper, was sonst. La Grande Nation halt. Der Deutsche ist zu blöd fürs Schnellsegeln, anders lässt sich nicht erklären, dass wir nirgends mitmischen, noch nicht einmal beim America's Cup. Autofahrer mit Prinz-Heinrich-Mütze.

                                                                                Agde - Kathedrale Saint-Étienne

                                                                                Die Strecke über den langen und sandigen Finger von Sète bis Marseillan Plage ist trotz makellos geteerter Voie Verte mühselig. Wind, Wind, Wind. Kein Baum, kein Hügel, der den Wind bremst. „Hast du gesehn, wie der sich quält, der Idiot!“ Der Wind weht die Worte klar und deutlich bis an mein Ohr. Der andere lacht. Eben haben mich zwei fette alte Säcke auf ihren e-Bikes überholt, ohne in die Pedale zu treten. „Arschlöcher“, brülle ich so laut ich kann gegen den Wind, hinterher. Sie haben es gehört. Dann sind sie hinter der nächsten Biegung verschwunden. Vor Agde will mich einer mit einem Rennrad auf der zweispurigen Gegenfahrbahn den Berg hoch schicken. Ich hatte mir ja vorgenommen, in Zukunft die Vorschläge der Rennradfahrer zu beherzigen. Das Navi-Programm seines iPhones ist der Meinung, dass es einen Radweg auf dem Standstreifen gibt. Es gibt keinen Standstreifen, aber Gegenverkehr. Zurück, noch habe ich das Alter fürs Abtreten nicht erreicht. Der Rest ist Routine. Wege suchen in verlassenen Feriensiedlungen. Wenn ich in denen vom Rad falle, wird man mich erst mit dem Einsetzen der Sommersaison finden. Am Stadtrand ist alles wieder vertraut. Hier sind wir vor vier Wochen mit dem Auto oder dem Rad oder dem Tretroller gefahren. Ab Agde kenne ich sogar ein paar Abkürzungen durch grüne Wiesen.
                                                                                Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:17. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                .

                                                                                Kommentar


                                                                                • Werner Hohn
                                                                                  Freak
                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                  • 05.08.2005
                                                                                  • 10870
                                                                                  • Privat


                                                                                  #41
                                                                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                  Neunzehnter Tag: Camping vier Punkt null
                                                                                  Ruhetag in Vias Plage

                                                                                  Canal du Midi bei Vias

                                                                                  Nach drei Wochen auf Tour fällt das Ausschlafen schwer. Wie andere Menschen das unterwegs geregelt bekommen, ist mir ein Rätsel. Tag für Tag früh aufstehen und dann kommt der eine zum Ruhetag auserkorene Tag, und man ändert von einer Nacht auf den nächsten Morgen seinen Rhythmus. Wie geht das? Zu den Glücklichen gehöre ich nicht. Immerhin bleibe ich so lange liegen, bis Schritte vorne auf dem Weg zu hören sind. Badeschlappen auf dem Weg zur Dusche.

                                                                                  Gemütliches Frühstücken mit der F.A.Z. und der „Zeit“. Bildungsvormittag mit den Zeitungen der Vorwoche. Nach vielen Jahren halte ich wieder die „Zeit“ in den Händen. Was ist die betulich geworden! Und bunt, und Leser schreiben Stussbeiträge. Eine ganze Seite hat man denen gegeben. Journalisten verfassen Artikel, die das pralle Leben von allen Seiten beleuchten wollen, und dabei so viel Licht verbreiten, dass vom prallen Leben nichts mehr bleibt. Gähnende Ausgewogenheit. Politische Beiträge, die keinem Politiker weh tun. Okay, die „Zeit“ hat noch nie die Revolution ausgerufen. Doch so lahm kann sie vor Jahrzehnten nicht gewesen sein. Etwa doch? Vertragen pensionierte, verwitwete Oberamtsratsgattinnen keine klaren Worte? Ab in den Mülleimer - so gut wie ungelesen. Dagegen ist die „Frankfurter“ das reinste Revolverblatt.

                                                                                  Die große Wäsche dauert nur Minuten. Die Mutter mit zwei Kindern an den Bändseln der Bikinihose beneidet mich. Nicht ums Radfahren, um die Aldi-Tüte mit meiner Schmutzwäsche. Sieben Teile in Polypropylen-Color. Sie werden trocken sein, noch bevor die zweifache Mutter ihre Wäscheberge auf der Leine hängen hat.

                                                                                  Camping 4.0

                                                                                  Das Campen hat sich geändert. Früher ist mir das nie aufgefallen. Auf dem Platz hier ist das schwerlich zu übersehen. Hunderte Plastikhäuser, Mobilhomes, haben aus dem Campingplatz eine Siedlung gemacht, Fahrgestelle unten drunter hin oder her. Die Stars heißen nicht mehr Hymer, Concorida, Detlefs oder Bürstner. Der Camper muss sich an neue Namen gewöhnen: O'HARA, IRM, SUN ROLLER. Hütten aus Plastik, in jedem gewünschten Look und jeder Größe. Transportiert wird schließlich nur einmal. Wer es ganz groß haben will, kombiniert die Häuser. Schon im Frühjahr ist uns aufgefallen, dass die Platzbetreiber in Südfrankreich auf diesen Urlaubstrend bauen. Viele haben das Komplettangebot am Zaun hängen: Dauerplätze mit Parzelle und Haus aus einer Hand. Ob ein Zusammenhang mit den Billigfliegern besteht? Rund um den wirklich schnuckeligen Miniflughafen von Béziers kommt kein Camping mehr ohne diese Hütten aus. Ratternde Rollkoffer im Ryanair-Handgepäckmaß hätte ich niemals mit Campingplatz in Verbindung gebracht. Hier gehören sie dazu. Der Campingplatz hat ungezählte Hütten; und mit den Hütten wird das Urlaubsgefühl verkauft. Ohne Themenviertel und -landschaften geht es offenkundig nicht: Louisiane, Chardonnay, Patio und Tropica, Bali, Piraten und Prestige Beach Farret. Und vorne am Strand hat TUI ein Viertel. Wer hätte gedacht, dass Campingurlaub im Reisekatalog Platz findet. Hütten, meist aufwertend als „Bungalows“ beschrieben, waren schon immer auf den Campingplätzen zu sehen, doch dass Zelte, Wohnwagen, sogar Wohnmobile auf immer mehr Plätzen keinen Stellplatz mehr finden, ist neu. Mal sehen, wie lange der hier noch aufs überkommende Camping baut.


                                                                                  Canal du Midi bei Vias - Hochwasserdurchlass des Libron (der nicht zu sehen ist)

                                                                                  Abends kann ich nicht einschlafen. Lange höre ich der Musik zu, die von der Hauptstraße aus den offenen Kneipen den Campingplatz beschallt. Um Mitternacht ist Schluss. Wenig später hört man Schlüssel klirren, gefolgt vom dumpfen Schlagen der Plastiktüren. Meine Nachbarn von den Hütten gegenüber sind nun auch da. Acht feierfreudige Polinnen mit Rollkoffern.
                                                                                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:22. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                  .

                                                                                  Kommentar


                                                                                  • Enja
                                                                                    Alter Hase
                                                                                    • 18.08.2006
                                                                                    • 4869
                                                                                    • Privat


                                                                                    #42
                                                                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                    Vias - da habe ich mal mit den Kindern eine Woche am Meer verbracht.

                                                                                    Kommentar


                                                                                    • Trampelwurm
                                                                                      Anfänger im Forum
                                                                                      • 19.04.2012
                                                                                      • 20
                                                                                      • Privat


                                                                                      #43
                                                                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                      ..... Und dann fangen sie an zu summen: Sur le pont d' Avignon.

                                                                                      Ich weiss nicht ob ich dieses Lied hasse.
                                                                                      Wie oft mussten wir in der Schule dazu anstimmen...Und nochmal..Sur le pont d' Avignon lal la lala...
                                                                                      Heute beginnt der Rest deines Lebens....

                                                                                      Kommentar


                                                                                      • Werner Hohn
                                                                                        Freak
                                                                                        Liebt das Forum
                                                                                        • 05.08.2005
                                                                                        • 10870
                                                                                        • Privat


                                                                                        #44
                                                                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                        Bei mir war das der "Bruder Jakob", mehrstimmig selbstverständlich. Kein Mensch hatte verstanden, um was es in dem Lied geht.

                                                                                        Dann sehe ich zu, dass ich nach und nach aus dem Land, das sich eine Nationalhymne mit einem martialischen Text leistet, in eines der wenigen Länder komme, das auf Text in der Hymne verzichtet. Da muss man auch nichts auswendiglernen und zu singen gibt es ebenfalls nichts. Vielleicht spielt die Spanische Fußballnationalmannschaft aus diesem Grund den besseren Fußball.
                                                                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 13.08.2013, 14:55.
                                                                                        .

                                                                                        Kommentar


                                                                                        • Werner Hohn
                                                                                          Freak
                                                                                          Liebt das Forum
                                                                                          • 05.08.2005
                                                                                          • 10870
                                                                                          • Privat


                                                                                          #45
                                                                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                          Zwanzigster Tag: Übers Land und vorbei am Meer
                                                                                          Vias-Plage - Le Barcarès (Campingplatz)

                                                                                          Canal du Midi bei Cers

                                                                                          Viel zu früh wach geworden vom knatternden Außenzelt. So geschützt wie das Zelt steht, muss es draußen heftig wehen. Hier, hinter die Hecke, dürfte eigentlich kein Wind hin kommen. Der Wind hat nun endgültig auf Nordwest gedreht. Daher also. Ein stabiler Tramontana weht draußen. Die Surfer auf den flachen Étangs werden jubeln. Zweiundsiebzig Euro knöpft mir die Mannschaft hinter dem Tresen für zwei Übernachtungen ab. Ein stolzer Preis für hundert Quadratmeter Wiese. Peinlich ist ihnen, dass sie mir einen Euro und noch-was Kurtaxe abknöpfen müssen.

                                                                                          Béziers - Kathedrale St. Nazaire

                                                                                          Es weht tatsächlich. Doch im Windschatten der Platanen längs des Canal du Mid ist es nahezu windstill. Gepflanzt, um der Wasserverdunstung Einhalt zu bieten, sind die mächtigen Bäume ein idealer und schöner Windschutz für Radfahrer. Béziers möchte ich auf alle Fälle mitnehmen, nicht schon wieder an der Schleusentreppe vorbei fahren. Dass die Sommersaison noch Tage weit weg ist, ist auf dem Kanal zu sehen. Hobbyskipper sind rar an diesem Morgen. Nur ein Boot ist auf dem Kanal unterwegs. Vater steht am Ruder, Mutter deckt den auf Deck stehenden Tisch. Dass selbst bei wenig mehr als Schrittgeschwindigkeit der Fahrtwind über dem schattigen Wasser kalt ist, wird hingenommen. Wehe, sie lassen mit ihrem weißen Boot den Windschatten der Platanen hinter sich. Die Kaffeetassen werden nicht mehr zu halten sein. Vom Deck wehen holländische Sprachfetzen bis ans Ufer. Franzosen machen noch keinen Urlaub, die warten bis zum Sommer, dann reichen Badehose, T-Shirt und Sonnenbrille.


                                                                                          Bei der Domaine de Fontrames

                                                                                          Ehemalige Frachschiffe sind am Ufer festgemacht, umgebaut zu Wohnschiffen, werden sie nicht mehr bewegt. Vom verrotteten, mit langen Rostfahnen überzogenen schmalen Kahn, der dem Absaufen näher ist als der Restauration, bis hin zur liebevoll zum Wohnschiff umgebauten Péniche, säumt alles, was irgendwie zum Wohnschiff geeignet ist das schattige Kanalufer. Geschäftstüchtige Eigner vermieten sogar Zimmer an Bord. Einer hat einen alten Wohnwagenaufbau auf einen Prahm gestellt, fertig ist die Bleibe auf dem Wasser. Dazwischen viel zu viele ihrer Takelage beraubte Segelboote aus der Frühzeit des Kunststoffbaus, die nun als Motorbootersatz herhalten müssen. Ein trauriger Anblick. An erstaunlich vielen Wohnschiffen weht am Heck der Union Jack.

                                                                                          In Narbonne

                                                                                          Die Schleusentreppe der Écluses de Fonserannes ist ein Muss für jeden Charterskipper. Am Kai des Wartebeckens liegen die weißen Schiffe der Bootsvermieter dicht an dicht. Darum war auf dem Kanal kein Betrieb. Die sechs Schleusenkammern kosten Zeit. Wer hier nicht versauern will, muss früh da sein. Im Wechsel wird den Berg hoch geschleust, und wenn nach einer Dreiviertelstunde die Boote oben sind, geht es die Treppe abwärts. Im Augenblick wird ein Ausflugsboot zu Berg geschleust. Obwohl keine Passagiere an Bord sind, hat das Schiff Vorrang, wie der ganze gewerbliche Verkehr auf dem Kanal. Fracht fährt zum Glück niemand mehr. Mancher Charterschiffer mit engen einwöchigem Zeitplan wird froh drum sein. Die dann fälligen Wartezeiten an der Schleusentreppe würden im Stunden-Rhythmus getaktete Urlaubspläne zunichte machen.


                                                                                          Bages am Étang de Bages-Sigean

                                                                                          Nach der Schleusentreppe, Nationalstraßenfahren im Hügelland mit Gegenwind. Das mediterrane Languedoc in Postkartenansicht fliegt vorbei. Orte ohne Halt bleiben zurück, kaum dass ich ihre Namen registriere. Die Steigungen sind überschaubar, der Wind reicht nicht in jede Senke hinein und über die wellige Landschaft kann man dank der klaren Luft weit blicken. Endlich, endlich wieder übers Land fahren! Seit Lyon bin ich nicht mehr über das Land gefahren. So einfach das Radfahren in Flusstälern auch ist, so langweilig ist es auf Dauer. In dieselbe Schublade gehört das Übers-Flachland-Fahren. Die Camargue steckt in dieser Schublade. Für den Rest des Tages werde ich auf Straßen unterwegs sein, auf denen sich im Sommer Stoßstange an Stoßstange reiht.


                                                                                          Étang de Bages-Sigean

                                                                                          Übergang N 9/D 627

                                                                                          Narbonne hat mich am Ortseingang mit dem Schild Halles de Narbonne ins Zentrum gelockt, das eine einzige Baustelle ist. Alte Fußgängerzonen und die Mauern, die den Canal de la Robine im Bett halten, werden aufpoliert. Fotostopp und weiter. Sigean ist das nächste Ziel. Vorher spontan von der Nationalstraße hinunter an den Étang de Bages-Sigean. Ganz so spontan doch nicht. Nur Berechnung nach einem Blick in die Straßenkarte. Der Gegenwind oben auf der Nationalstraße ist zu heftig geworden. Unten am Wasser fahre ich windgeschützt. Vom Massentourismus unberührte Dörfer säumen das Westufer. Wo die Hügel zurückbleiben, muss ich oft vom Rad absteigen und auf der ebenen Straße schieben. so stark bläst dort der Wind. Immer wenn sich ein Pass in der niedrigen Hügelkette andeutet, ein Sattel, eine Senke, wird der Wind auf Sturmstärke beschleunigt.

                                                                                          Die Lydia auf dem Strand bei Bacarès

                                                                                          Der Tierpark Réserve Africaine de Sigean wird von der Liste gestrichen. Wer in Südfrankreich oder Katalonien unterwegs ist, kann der Werbung des Parks nicht aus dem Weg gehen. Die Zahl der Werbeplakate scheint unendlich. Mittags ist mir noch zu früh für den Tagesabschluss; zudem dürfte es nicht einfach sein, Einlass als Radfahrer zu erhalten. Für die freilaufenden Löwen und Bären wäre ich ein gefundenes Fressen.

                                                                                          Mit Sturmwind im Rücken hinunter nach Leucate-Plage. Surfers Paradise auf dem Étang de Salses ou de Leucate. An der Uferstraße stehen Wohnmobile aus ganz Europa. Überwiegend die einfachen, billigen Kastenwagen. Man ist noch jung, und die Surfausrüstung kostet Geld. Ein Brett, zwei Segel? Ach-wo, damit kannst du nichts anfangen. Unter drei Brettern und mindestens fünf Segeln geht hier niemand aufs Wasser. Stimmt. Die Luxuswohnmobile sind noch fern. Die kommen erst im Alter, wenn man auch im Urlaub die Verbindung über die Satellitenschüssel zur gewohnten Abendunterhaltung nicht mehr missen möchte. Der eine oder andere wird dann vielleicht sagen, „Weißt du noch, wie das damals war. Da ging es auch ohne großes Wohnmobil und ohne Fernseher“. Die Frau wird nicken und sich ihren Teil denken. Gut möglich, dass sie zu den Frauen gehört hat, die heute im Windschatten der Kastenwagen hocken und darauf warten, dass „ihr Sportler“ Zeit für sie hat.

                                                                                          Strand bei Bacarès

                                                                                          In Le Barcarès endet der Tag. Der Campingplatz gehört zu denen, auf dem Camper keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Für die ist nur noch Platz wo die Parzellen zu klein oder die Bäume zu niedrig sind, um Plastikhäuser aufzustellen. An der Rezeption hat eine urlaubende Engländerin mit einem ellenlangen Fragenkatalog den Verkehr aufgehalten. Ja, man hat alles, bis hin zum mehrsprachigem Babysitter. In der platzeigenen Pizzeria sehnen sich Kellner und Köche nach Gästen. Alle Stühle werden den Abend verwaist bleiben. Der platzeigene Supermarkt hat schon seit Mittag zu. Bei der abendlichen Runde über den Platz sehe ich keine Menschen. Vor vielen Hütten stehen Autos. Aus vielen Fenstern fällt warmes Licht. Im frühen Halbdunkel unter dem dichten Laubdach der hohen Bäume ist es einsam. Der Wind weht immer noch. Es ist wieder kalt geworden.

                                                                                          Einundzwanzigster Tag: Rumgegurke
                                                                                          Le Barcarès – Argelès-Plage (Campingplatz)

                                                                                          Nachbau historischer Fischerhütten am Étang de Canet-Saint-Nazaire

                                                                                          Lustlos fängt der Tag an. Ob der dunkle Campingplatz aufs Gemüt geschlagen hat? Heute noch nach Spanien? Oder doch nicht? Ich muss gegen den Wind fahren, weil Radfahrer hier nicht auf die parallel zur Küstenlinie verlaufende D 81 dürfen. Die wollte ich bis an den Rand der Pyrenäen fahren. Na, dann eben nicht. Noch keine 2 Kilometer gefahren und schon reicht es mir. Der Wind schlägt brutal aufs Gemüt. McDonald's hat noch zu. Keine Kaffeepause also. Lidl hat schon auf, hat aber keinen Kaffee. Aldi hat neu gebaut, macht in der nächsten Woche auf. Wie im heimischen Gewerbegebiet ist das hier. In Saint-Laurent-de-la-Salanque biege ich mehrfach falsch ab, immer gegen den Wind. Und dann habe ich doch die passende Richtung. Man lässt mich zurück an die Küste. Mit einem Mal habe ich Rückenwind, und was für einer. Ein Tritt ins Pedal, der Rest macht der Wind. Der Tacho klettert auf neun, elf auf fünfzehn, weiter auf dreiundzwanzig Kilometer, ohne das ich für den Vortrieb sorgen muss. Kaum zu glauben. So muss e-Bike-Fahren sein. Augenblicklich bekommen alle von mir Geschmähten die Absoulution. Nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Der Wegweiser schickt mich erneut gegen den Wind. Richtung Pyrenäen, so scheint der mir zu sagen, musst du dich halt anstrengen.

                                                                                          Strand bei Le Racou

                                                                                          Was nun? Spanien oder nicht Spanien? Ich weiß es nicht! Wieder eine Eurovèlo, die mit der Nummer 8. Woher kommt sie, wohin führt sie? Keine Ahnung. Fürs Erste neben der Straße am Strand entlang. Das ist ziemlich wenig Information für einen Europäischen Fernradweg. Wie sollen die Leute ans Träumen kommen, wenn nur die Nachbarorte ausgeschildert werden? Saint-Cyprien Plage ist trostlos. Urlauber sind keine zu sehen. Der Strand gehört noch den Arbeitern der Gemeinde. Die Strandbars sind rundum vernagelt. Noch darf ich mit dem Rad die Strandpromenade entlang fahren. Ab nächsten Monat ist das verboten.


                                                                                          Fort Saint-Elme

                                                                                          Die Gegend hier ist nicht schön. Hinterm Strand ist alles flach, alles ist zugebaut. Campingplatz neben Campingplatz. In der ersten Reihe am Strand stehen nicht die schönsten Appartementhäuser, ist kein Platz für die besten Hotels Frankreichs. Die Schönen und Reichen wird es nicht nach Saint-Cyprien ziehen. In der Ferne wachsen die Hügel der Pyrenäen aus dem Gegenlicht. Mittags steht das Zelt hinter einer schützenden Hecke auf dem Campingplatz am Rand der Pyrenäen. Richtung Osten ist alles flach, Richtung Westen fangen die Berge an. Es ist schön hier. Vierzig Meter über dem Meer, komme ich mir vor wie in den Bergen. Der Wind bläst immer noch. Das Meer ist übersät mit niedrigen, weiße Kämme tragenden Wellen. Sogar von meinem Zeltplatz kann ich sehen, wie der Wind Gischtfahnen abreißt. Vorsichtshalber drehe ich das Zelt mit dem Wind, der nach und nach dreht. An den Pyrenäen stauen sich die Regenwolken, die der Wind Richtung Mittelmeer, Richtung Sommer, treibt.

                                                                                          Unglaubliche 43 Kilometer habe ich geschafft. Alles lustlose Kilometer. Die zählen doppelt. Eins steht jetzt unumstößlich fest: morgen bin ich in Spanien! Ich freu mich tierisch. Ist 'ne Art Heimkommen.

                                                                                          Zweiundzwanzigster Tag: España!
                                                                                          Argelès-Plage - Sant Martí d'Empúries (es)

                                                                                          Die Côte Vermeille entlang bei Gegenwind. Davon habe ich immer geträumt. Seit meinem Start von drei Wochen soll das der Tag mit den meisten Höhenmetern werden. Wie viele es am Abend sein werden … keine Ahnung. Doch mehr als 1.000 aufwärts werden nicht zusammenkommen. Und wenn ich mich etwas spute, wird am Mittag das Schlimmste hinter mir liegen. Die niedrigen Pässe auf der Route du littoral kommen mal eben auf magere 200 Meter, das jedoch ziemlich häufig. „Normal-Null“, also das Wasser des Mittelmeers, die Strände in den überschaubaren Buchten, die alten Befestigungsanlagen, der ehedem mal mehr mal weniger bedeutenden Städtchen, all das werde ich mitnehmen. Ausweichem auf die oben verlaufende D 914 nur um Höhenmeter zu sparen, wäre Blödsinn.


                                                                                          Collioure

                                                                                          Die ersten Kilometer den Berg hinauf sind angenehm. Die morgendliche Kühle, der in die tiefen und engen Taleinschnitte nicht hinein reichende Wind! Die Weinberge im klaren Sonnenlicht, der weite Blick aus dem Einschnitt hinaus aufs blaue Meer! Radfahren ist einfach nur schön, bis ich auf dem ersten Pass zum Stehen komme. Bäumchen biegen sich mir entgegen, die Mütze macht Flugversuche, das Rad ist kaum zu halten. Der angenehme Teil des Vormittags ist vorbei. Frühstückspause in Collioure. Die Croissants sind noch warm. An den Enden tropft die Nougatfüllung. Die Frau hinter der Verkaufstheke ruft mich nicht zurück, als ich mit der Kaffeetasse in der Hand die Bänke an der Promenade ansteuere. Vorläufig ist das mein letztes Frühstück in Frankreich. Grau und wenig einladend sind die im Schatten liegenden Festungsmauern der kleinen Stadt, bis das Sonnenlicht in die enge Bucht fällt. Alle Nuancen zwischen Grau und Braun, Blau und Meerwasserblau leuchten im Licht des frühen Morgens. Der Wind ist weit weg, bewegt nur die Palmzweige über meinem Kopf. Auf der Straße halten die ersten Kleintransporter mit Lebensmitteln, Bier, Wein, Mehl und Backzutaten. Es hilft nichts, ich muss weiter.

                                                                                          Von rechts oben nach links unten und weiter nach vorne geschoben

                                                                                          Kein einziger Kilometer, der flach ist. Rauf, eine Kuppe, wieder runter, windgeschützt durch die Orte, elende Quälerei in den wenigen weiten Buchten, an den langezogenen Taleinschnitten, an deren Flanken die Straße zur nächsten Kehre über dem Meer führt, wo der Wind in Sturmstärke blasen kann. In den scharfen Kurven oben auf dem Kaps, werfen unerwartete Kehrwinde mich beinahe vom Rad. Vor Cerbère muss ich absteigen. Im Gegenwind komme ich keinem Meter den Berg hinunter. Eine halbe Stunde bergab schieben, bis ich im Windschatten des nächsten Kaps bin! Im Flachland habe ich schon bei Gegenwind schieben müssen, den Berg hoch auch, den Berg hinunter noch nie. In Port-Vendres hält ein Straßenbauarbeiter mein Fahrrad fest, bis ich vom Einkauf zurück bin. Sogar an die Wand gelehnt, drohte das umzukippen. Wie lange soll der Tramontana noch anhalten?


                                                                                          Côte Vermeille

                                                                                          Der letzte Anstieg in Frankreich vorbei an den vernagelten, dem Verfall preisgegeben Grenzstationen beider Länder. Hoffentlich werden sie nie mehr in Betrieb genommen. Abseits der Straße, hinter einem die Sicht versperrenden Erdwall, erinnert ein Denkmal an das Leid der Flüchtlinge, die Francos Regime aus dem Land getrieben hat. Hier fängt Spanien an. Portbou unten in der Bucht ist traurig. Eingeschnürt von engen, braunen Tälern, an deren Hängen die farblosen Häuser von den langgestrecken ehemaligen Abfertigungshallen des Zolls, der Guardia Civil und des Grenzbahnhofs erdrückt werden, ist Portbou so weit von der Leichtigkeit des Südens weg, wie man hier nur sein kann. Wenn die ganze Costa Brava so wäre, würden die Urlauber fern bleiben. Erneut fahre ich nicht zum Denkmal für Walter Benjamin. Weshalb nicht? Auf der Flucht vor den Nazis hat er sich 1940 hier das Leben genommen, wohl weil er keinen anderen Ausweg sah. Im kleinen Zentrum des Grenzorts erinnert eine schmale Infostele mehrsprachig an seinen Tod im damaligen Hotel de Francia. Benjamin soll Kafka zitiert haben: „... es gibt viel Hoffnung, aber nicht für uns“. Ein Unbehagen bleibt, als ich das Rad durch die winzige Fußgängerzone schiebe. So weit bin ich gefahren und noch immer ist die deutsche Geschichte oft mein Begleiter.

                                                                                          Vorfreude

                                                                                          Die erste spanische Straße ist die N-260. Noch zwei Orte, Colera und Llançà, danach bleiben die Hügel zurück. Ab Kilometer 24 wird die N-260 schnurgerade nach Figueres führen, das weiß ich, lange bevor ich den Kilometer 24 erreicht habe. Sanftes Auf und Ab, kaum das Rennradfahrer die Steigungen wahrnehmen, bis in das Hinterland der Costa Brava. Von wenigen sehenswerten Orten abgesehen, ist das nach vierzig Jahren Massentourismus immer noch unbekannt. Vorne am Wasser der Strand, fürs Abgrenzen vom Massentourismus, eine Fahrt nach Cadaqués, eine geführte Tageswanderung im Naturpark Cabo de Creus und als kultureller Höhepunkt ist ein Besuch in Dalis Wirkungsstätten fest eingeplant. Der geniale Selbstvermarkter würde sich vor Freude ins Fäustchen lachen, wenn er es noch erleben könnte.

                                                                                          Ausgiebige Pause am Spar-Supermarkt in Llançà. Den ersten spanischen Kaffee gibt es im Pappbecher. Egal, dass wusste ich vorher. Wie immer um die Mittagszeit, ist der große Parkplatz leer. Am Gebäude der Touristeninfo fehlen noch immer Kacheln. Seit Jahren fehlen die schon, sie werden noch Jahre fehlen. Dort wo der Parkplatz endet, da hinten wo die Straßenlampe an der Straßeneinmündung steht, sind die Wegweiser für den GR 11. Hinauf zum Kloster Sant Pere de Rodes geht es da, und weiter zum Leuchtrum auf dem Cabo de Creus. Etwas mehr als eine gute Tagesetappe, vielleicht zwei, bis zum Ende des GR 11 am Mittelmeer. Hinter meinem Rücken, auf der anderen Seite der Straße, neben der ein Feldweg in die Senke führt, steht der andere Wegweiser. GR 11 Sant Silvestre de Valleta und Vilamaniscle steht da. Wie weit es bis zur Biskaya ist, zu meinem Leidwesen nicht.

                                                                                          N-260 - Fünfzehn Kilometer geradeaus bis zu Dalis Eier

                                                                                          Für die letzten 50 Kilometer brauche ich die Karte nicht mehr. An sich schon seit dem Grenzübergang nicht mehr. Die Kilometer, die wir hier mit dem Auto gefahren sind, wird manch Sonntagsfahrer im ganzen Leben nicht fahren. Der Wind ist weg. Der Tramontana ist zusammengefallen. Die Steigungen sind zurück geblieben. Vorbei an Obstplantagen, Ackerland, Gemüsefeldern, an Wiesen und Windschutzhecken geht die jetzt mühelose Fahrt. Auf den Feldern sind die Saisonarbeiter bei der Gemüseernte. Tief gebückt stehen, hocken, sitzen sie zwischen den Reihen mit den Erdbeeren. Das Getreide steht hoch. Die ersten Felder sind schon abgeerntet. In kleinen Häusern rattern die Wasserpumpen. Dort wo der Wind bläst, wo die Hecken nicht schützen, wo es nicht lohnt Wasser zu pumpen, Unland. Diesen Teil der Costa Brava haben die Urlauber nicht vor Augen, die in Barcelona oder Girona aus dem Flugzeug steigen. Ohne hinzusehen zählt nur die Ankunft an der Küste. Radfahrer, stelle ich fest, kennen das Hinterland sehr wohl. Die guten Straßen locken Rennradfahrer aus ganz Europa. Bis zum Campingplatz werde ich von mindestens fünfzehn Grüppchen und Einzelfahrern überholt. Spanische Werbung hat keiner auf dem Trikot. Franzosen, Holländer, Belgier und jede Menge Deutsche. Das hatte ich komplett verdrängt: in Baden-Württemberg und Bayern sind Pfingstferien. Auf dem Campingplatz geben Deutsche den Ton an. Überall schwäbelt es. Es wird Zeit, dass die Ferien enden.
                                                                                          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 29.08.2020, 14:20. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                          .

                                                                                          Kommentar


                                                                                          • blauloke

                                                                                            Lebt im Forum
                                                                                            • 22.08.2008
                                                                                            • 8843
                                                                                            • Privat


                                                                                            #46
                                                                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                            Hallo Werner,
                                                                                            heute habe ich mir Zeit genommen und deinen Bericht gelesen. Wie immer hervorragend geschrieben.
                                                                                            Lass uns nicht zu lange auf die Fortsetzung warten.

                                                                                            Was hat dich eigentlich zum Radfahrer gemacht? Früher warst du doch nur zu Fuß unterwegs.
                                                                                            Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                                            Kommentar


                                                                                            • Werner Hohn
                                                                                              Freak
                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                              • 05.08.2005
                                                                                              • 10870
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                              Tja, was hat mich zum Radfahrer gemacht? Höchstwahrscheinlich das Wandern.

                                                                                              Vorneweg: Wandern gehe ich immer noch. Gut 1.000 km im Jahr kommen noch zusammen. Es sind im Augenblick halt nicht die großen Touren. Im Herbst machen meine Frau und ich wieder eine Wanderung in Spanien, über die es hier im Forum noch nichts gibt. Und für das kommende Jahr ist eine lange Wanderung in Aussicht - und (vielleicht) eine ziemlich lange Radtour.

                                                                                              Wanderungen mache ich ja schon seit anderhalb Jahrzehnten, und das nicht nur im Urlaub, sondern so gut wie immer. Irgendwann ist es genug gewesen. Im Nachhinein kann ich sagen, es war ein schleichender Prozess. Vom Wanderweg auf den Pilgerweg, von dem als Wanderer auf die Straße. Bis zum Fahrrad ist es dann nicht mehr weit.

                                                                                              2010, nach einer Wanderung überwiegend auf Radwegen habe ich mir ein Fahrrad gekauft. Innerhalb weniger Wochen folgten 2 Radtouren auf Radwegen. Moselradweg von Koblenz nach Trier und Rheinradweg von Bad Breisig bis ungefähr holländische Grenze und wieder zurück. Gefallen hat mir das Fahren auf Radwegen nicht. Das ist sterbenslangweilig, und das oft auf alles andere als schönen Strecken. Einer Markierung muss ich mit dem Rad nicht unbedingt hinterher fahren, war ich mir danach sicher. Fahrradfahren sollte für mich ein Stück Freiheit sein. Irgendwie die Sonntag-Nachmittag-Autotour, wo man oft auch nicht weiß, wo man schlussendlich landet. 2011 ist das Rad abgesehen von den Touren vor der Haustür nicht weit weg gerollt. Radwege waren schrecklich.

                                                                                              2012 wollte ich ans Mittelmeer und zurück. Weil German Tourist entgegen der leise gehegten Hoffnung nicht früher als angekündigt bei mir aufgetaucht ist, ich unterwegs wegen Rückenprobleme einige Tage pausieren musste, ist es statt dem Mittelmeer die Strecke Rhein-Basel-Bodensee-Alb-Neckar-Heidelberg-Rhein geworden. Das hat sich unterwegs spontan ergeben. Ein Straßenatlas reicht. Ist ein Radweg neben der Straße ist es gut, ist einer in der Nähe, könnte ich, muss aber nicht. Die Tour dauerte zweieinhalb Wochen und war 1.300 km lang. Ungefähr so hatte ich mir das vorgestellt.

                                                                                              Drei Monate später war die nächste Tour fällig. Es sollte nach Belgien, weiter an die Kanalküste Richtung Bretagne und irgendwie zurück gehen. In zwei Tagen über Düren-Aachen-Maastricht nach Antwerpen. Bei der Ankunft an der belgischen Küste waren von Westen aufkommende Gewitter, Hitze und dauerhafter Gegenwind angekündigt. Darauf habe ich mir an der nächsten Tankstelle einen Straßenatlas Belgien-Holland gekauft und bin in die Gegenrichtung gefahren. Die komplette holländische Küste hoch bis nach Ostfriesland. An einer Tankstelle in Leer hat der ADAC-Autoatlas Deutschland den holländischen ersetzt. Ich wollte rüber nach Hamburg. Weil die Isomatte verreckt ist, musste eine neue her. In Leer war keine brauchbare zu bekommen. In Papenburg auch nicht. Erst bei Sport-Klahsen in Aschendorf. Da war ich schon ein Stück nach Süden gefahren und auf den Schildern tauchte immer wieder die Magnetschwebebahn auf. Das wollte ich mir ansehen. Dass die nach dem tötlichen Unfall nicht mehr fährt, erfuhr ich erst in Lathen.

                                                                                              Hamburg war jetzt fern. Auch egal, denn ich hatte einen Straßenatlas für das ganze Land. Der Dümmer See war das nächste Ziel. Einmal quer durchs maisverseuchte Emsland. Der Dümmer ist eine Katastrophe. Eine Wiese unter Wasser. Immerhin weiß ich das jetzt. Wie sollte es weitergehen? Mittellandkanal und rüber Richtung Münsterland und Pott? Beim Kartenwälzen vor dem Zelt, hielt ein älterer Mann auf einem MTB an. Wohin soll die Reise gehen? Meine Überlegungen fand der nicht so toll. Die Weser und die alten Fachwerkhäuser soll ich mir ansehen. Gemeinsam haben die Nasen in den Autoatlas gesteckt und eine Route gebastelt.

                                                                                              Bei Minden bin ich auf die Weser gestoßen. Von da hoch bis Hann. Münden, weiter nach Kassel wollte ich, zur Documenta. Zwei Tage würde ich für die abzwacken können. Kassel und seine ...... Documenta sind mir schon in der Touristen-Info auf die Eier gegangen. Bis zu diesem Tag habe ich es für nicht möglich gehalten, dass solche Massen von blasierten Menschen, dazu ohne jeglichen Kunstverstand, zusammen kommen können, ohne das eine höhere Macht Blitze und Donner vom Himmel schickt. Die Masse plapperteinfach nach, was im Feuilleton steht. Kein gutes Urteil, ich weiß. Vielleicht kommt das auch nur zustande, weil ich schon am Stadtrand von einer uralten Tankstellenbesitzerin angeblafft wurde, wie man in Zeiten von Navi und GPS auf die bescheuerte Idee kommen kann, in einer Tankstelle nach einem Stadtplan zu fragen. Außerdem hatten die Geldautomaten an der Touri-Info mir bescheinigt, dass meine Karten ungültig sind. Der Documenta-Virus im Zentralrechner, oder was? Und die sanitären Anlagen auf dem Campingplatz wären über die Bezeichnung "Saustall" freudig erstaunt gewesen.

                                                                                              Zwischendurch hat meine Frau vorsichtig nachgefragt, wohin die Reise gehen soll. Richtung In-guten-wie-in-schlechten-Zeiten würde sie positv bewerten. Also einmal quer durch den Norden von Hessisch-Sibirien an die Lahn bei Marburg. Zwei Tage später war die Tour nach 1.600 km zu Ende.

                                                                                              Als vermutlich planungsfaulster User des Forums, war diese Tour der Startschuss für die nach Spanien. Auf der hat sich eine ungeahnte Dimension aufgetan: Ich kann den Urlaub auf mehrere Monate ausdehnen, indem ich mit dem Rad dorthin fahre, wo es meiner Frau (mir auch) gefällt. Ich starte Wochen vorher, sie kommt nach, ich fahre weiter oder zurück. Monate weg, ohne Monate getrennt zu sein. Die Idee wurde aus der Not eines alten Mannes geboren, der sich mit dem Rad auf den Weg nach Sizilien gemacht hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Außerdem kann ich noch mit dem Rad fahren, wenn ich nicht mehr laufen kann. Alte Männer behaupten das steif und fest. So gesehen, ist das eine Altersvorsorge XXL.

                                                                                              Radtouren haben auch Nachteile: Im Gegensatz zum Wandern bleibe ich mehr oder weniger (eigentlich mehr) im Hier und Jetzt. Tagträumereien, Kopfwelten steht der Straßenverkehr entgegen. Sogar auf menschenleeren Radwegen ist man mit einem Auge immer wachsam, das wiederum ist äußerst hinderlich, wenn man Reiseberichte schreiben muss.

                                                                                              Gegen Radwege habe ich eigentlich nichts. Wenn einer auf meiner Route liegt, nehme ich den, aber Radwegen nachfahren, um den Radweg zu fahren, ist nichts für mich. Mit so einer Planungsvorlage wäre ich nie nach Spanien gekommen und zurück auch nicht.

                                                                                              So, das waren jetzt zwei Reiseberichte im Reisebericht.
                                                                                              Zuletzt geändert von Werner Hohn; 12.01.2015, 15:28.
                                                                                              .

                                                                                              Kommentar


                                                                                              • hosentreger
                                                                                                Fuchs
                                                                                                • 04.04.2003
                                                                                                • 1406


                                                                                                #48
                                                                                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                                                                                                ...Zwischendurch hat meine Frau vorsichtig nachgefragt, wohin die Reise gehen soll. Richtung In-guten-wie-in-schlechten-Zeiten würde sie positv bewerten. ...
                                                                                                Gut, dass meine Frau nicht hier im Forum liest!
                                                                                                Den Satz würde ich wohl sonst häufiger zu hören bekommen...
                                                                                                Danke für die beiden eingestreuten Berichte. Der ursprüngliche Bericht ist dann wohl eher eine Rahmenerzählung (nennt man das heute auch noch so???).
                                                                                                hosentreger
                                                                                                Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                                                                                                Kommentar


                                                                                                • blauloke

                                                                                                  Lebt im Forum
                                                                                                  • 22.08.2008
                                                                                                  • 8843
                                                                                                  • Privat


                                                                                                  #49
                                                                                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                  Danke für deine ausführliche Antwort.

                                                                                                  Ein paar Jahre habe ich noch mit meinen Wanderungen zu tun.

                                                                                                  Wie du schreibst ist das Radfahren ideal für ältere Herren. Ich kann mir durchaus vorstellen in ein paar Jahren ebenfalls, für längere Strecken, aufs Rad zu steigen. Lasse mich mal überraschen, meistens kommt es doch anders als man denkt.

                                                                                                  Servus
                                                                                                  Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                                                  Kommentar


                                                                                                  • Meloney
                                                                                                    Anfänger im Forum
                                                                                                    • 14.08.2013
                                                                                                    • 16
                                                                                                    • Privat


                                                                                                    #50
                                                                                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                    Ich habe mir gerade den Bericht von vorne bis hinten durchgelesen. Toll geschrieben!

                                                                                                    Gerade der Beginn interessiert mich, da ich bereits den Moselradweg in Form einer Karte hier daheim liegen habe. Soll nach dem Rheinradweg mein nächstes Ziel werden.

                                                                                                    Freue mich auf Fortsetzung...

                                                                                                    Kommentar


                                                                                                    • Werner Hohn
                                                                                                      Freak
                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                      • 05.08.2005
                                                                                                      • 10870
                                                                                                      • Privat


                                                                                                      #51
                                                                                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                      Dreiundzwanzigster und vierundzwanzigster Tag: Unter Landsleuten
                                                                                                      Zwei Pausentage in Sant Martí d'Empúries (Campingplatz)

                                                                                                      Bucht von Roses

                                                                                                      „Mama, ist der Mann krank?“. Kinder können ziemlich direkt sein. Der kleine Junge, der vor meinem Zelt stehengeblieben ist, wird niemals auf die Idee kommen, dass er der erste ist, der ausspricht was Erwachsene denken, wenn sie mich sehen. Kopf, Gesicht, Ohren und Hände sind von der Sonne verbrannt. Meine Handoberseiten sind von Hitzeblasen übersät und die Haut am oberen Drittel der Finger ist lila. Der Rest ist weiß, das ist die Häfte, die beim Lenkerhalten nach unten zeigt. Die Nase ist blutig. Die Haut auf den Wangenknochen sieht aus wie rissiges, altes Schuhleder. So fühlt sie sich auch an. Die Ränder der Ohrmuscheln sind eine einzige Reihe aus blutigen oder verkrusteten Blasen. Die ältesten sind nur noch leere, harte Hautfetzen, die lose am Ohr hängen. Mangels südländisch dichter Haarpracht, zeigt der Kopf alle Farbtöne zwischen schwarz-verbrannt bis hellrosa-kurz-vor-blutig. Wenn ich je Zweifel hatte, ob ich im Süden Europas bin, beim Blick in einen Spiegel, sind die ausgeräumt. Der Mutter des Jungen ist die Frage extrem peinlich. Ohne das ich Zeit für eine Antwort finde, zieht sie ihren Jungen schleunigst von meinem Zelt weg. Lasst die Kinder doch fragen! Irgendeiner muss schließlich Fragen stellen.

                                                                                                      Überall auf dem Platz sind Deutsche, die meisten sind dem Augenschein nach Wiederholungstäter. Über mehrere Duschreihen hinweg tauschen Jugendliche ihre gemeinsamen Erlebnisse vom letzten Urlaub aus. Von „weißt du noch, letzten Sommer ...“ bis zur „Blonden vom letzten Jahr“. Der Sommer will immer noch nicht so richtig. Macht nichts. Meine Landsleute haben an alles gedacht. Man macht halt einen Strandspaziergang in der vorsorglich mitgebrachten Dreilagenjacke. Tatzen überall. Knöchelhohe Wanderschuhe haben fast alle. Morgen, wenn die Sonne scheint, langt dann wieder die Badehose. Die Stauräume der Wohnmobile speien aus, was die Freizeitgesellschaft braucht, ohne das heute keiner mehr an die frische Luft geht. Zelte sind nur wenige zu sehen. Wenn es hoch kommt, eben mal ein Dutzend. Vorne in der ersten Reihe am Strand stehen zwei Hilleberg Nallo nebeneinander, eins rot, eins grün. Dazwischen knattert ein Tarp im wieder auffrischenden Tramontana. Es ist nur einer leichter Wind, beinahe ein Sommerwind, trotzdem drehe ich mal wieder mein Zelt in den Wind.

                                                                                                      Pyrenäen am Sommeranfang

                                                                                                      Die nahe Kette der Pyrenäengipfel ist für diese Jahreszeit und so nahe am Mittelmeer bis ungewohnt weit nach unten schneebedeckt. Die Thermometer am Strand machen bei 15° schlapp. Die in Spanien vorgeschriebene Pool-Aufsicht wacht über leere Becken. Die Frau in der Strandbar kann ungestört die Tageszeitung lesen. Immer wieder regnet es. Dann hocken die Leute unter ihren hohen Pavillions, unter den Wohnwagenmarkisen, ich im schwarzen Zelt. Nach zwei Tagen warten auf schönes Wetter und zwei verregneten Strandspaziergängen reicht es mir. Der Wetterbericht ist nicht berauschend, doch einen ganzen Tag soll es trocken bleiben. Der Wind wird von den Pyrenäen hinab wehen. Das passt. Rückenwind! Morgen fahre ich weiter. Nichts wie weg, das auch, weil ich in wenigen Tagen wiederkommen werde.

                                                                                                      Fünfundzwanzigster Tag: Die Costa Brava von hinten
                                                                                                      Sant Martí d'Empúries - Sant Antoni de Calonge (Campingplatz)

                                                                                                      Seit Beginn der Finzanzkrise wollen sie nicht mehr. ¡Viva Madrid!

                                                                                                      Auf dem katalanischen Weitwanderweg GR 92 werde ich heute ein Stück fahren. Lücken schließen mit dem Fahrrad. Da fahren, wo wir vor zwei Jahren nicht wandern wollten, weil der Weg entlang der Küste schöner ist. Bis ich auf den Wanderweg stoße, sind es noch ein paar Kilometer durch das rollende Hinterland der Costa Brava, das auch hier, wo Tausende im Sommer auf den großen Campingplätzen am Meer Urlaub machen, von den Urlauberströmen völlig unberührt geblieben ist. Noch nicht einmal die obligatorischen Golfplätze habe sich breit gemacht. Vereinzelt sind braune Bauerndörfer auf flachen Hügeln zu sehen, die aus den Wiesen, den Obstbäumen herausragen. Ganz oben ragt meist ein Kirchturm über die verwitterten Dächer der sehr oft leer stehenden Häuser. Unterwegs auf schmalen Straßen mit langen Geraden, unterwegs auf gutem, glatten Teer, ganz alleine bin ich unterwegs. Die Spanier bauen gute Straßen.


                                                                                                      Gualta - Pont Vell

                                                                                                      Zeit genug für eine sehr frühe Pause auf der schattigen Bank neben den Denkmal für die Opfer des Guerillakrieg von 1809 gegen Napoleon. Über die alte Steinbrücke Pont Vell mit den alten, tief ausgefahrenen Spuren der Karrenräder führt der GR 92. Sogar als Wanderer muss man aufpassen, sich nicht die Knochen zu brechen, so tief sind die mittelalterlichen Karrenspuren. Einer mit einem Mountainbike steigt nach kurzen Zögern ab. Auf die Schnauze fallen, könnte auf der Steinbrücke verdammt weh tun. Trotz häufigem Regen werden die Felder um die Dörfer nach der Ernte schon nicht mehr grün. Wenn die Sonne scheint, brennt sie erbarmungslos. Über dem Wasser des Daró flimmert schon morgens die Luft. Libellen schwirren über dem Schilf. Ein klappriger VW-Bus aus Belgien unterbricht die Stille als er durch das Dorf fährt. Blödsinn, still ist es nur, wenn der sich verausgabende Köter vorm Haus an der Brücke Luft holen muss.

                                                                                                      Die Wettervorhersage am Vortag hat richtig gelegen: der warme Frühlingstag ist in der Mittagssonne nahe am heißen Sommertag. Abseits der C-31, dieser Rennbahn zu den Sammelpunkten der Urlauber, fährt an diesem Sonntag kein Auto; nur ein Motorrad-Club aus dem nahen Palamós ist auf dieselbe Idee gekommen wie ich. Landstraßentingeln! Drei Maschinen kommen langsam von hinten auf. In grelle Warnkleidung gehüllte Beifahrer weisen mich herrischer Machopose an sofort am Straßenrand anzuhalten. Sofort! Jeden Augenblick können hunderte Motorräder über die Hügel rollen. Das ist typisch für den spanischen Mann: gib ihm eine Aufgabe, eine Anweisung, etwas worüber er bestimmen kann, und er wird den Chef, den Ordnungshüter nach außen kehren. Das könne sie noch besser als die Deutschen.


                                                                                                      Palau Sator

                                                                                                      Ob es Hunderte sind, wage ich zu bezweifeln, aber es sind jede Menge, die mich überholen. Das dann doch so langsam, dass ich ohne Mühe mit dem Hauptfeld durch das verschlafene Torrent rolle. Mehrmals muss ich sogar mit dem Tempo runter, damit ich nicht auf den Vordermann auffahre. Mittendrin fahren eine handvoll Roller mit, sogar kleine, schwachbrüstige. Das wäre in Deutschland undenkbar. Im Gänsemarsch rollen wir durch den verwinkelten Ort. Wir sind so langsam, das wir uns von Sattel zu Sattel unterhalten können. Als Schlusslicht folgt ein Krankenwagen vom Spanischen Roten Kreuz. Das war's, das Überrolltwerden. Ich sag's ja: spanisches Machogehabe mit viel heißer Luft.

                                                                                                      Für die letzten 10 Kilometer muss ich auf die nun vierspurig ausgebaute C-31. Auch egal, denn es ist Sonntag und zudem ist der Randstreifen breit. Wenn ich Ausfahrten zu den endlosen Gewerbegebieten queren muss, muss ich trotzdem aufpassen, nicht untergemangelt zu werden. Du denkst an nichts böses, und ausgerechnet dann kommt einer von hinten im Dreier-BMW aus den Anfangsjahren des neuen Jahrhunderts und mangelt dich unter! Dann doch lieber einen Blicke nach hinten riskieren, egal ob Verkehr oder kein Verkehr. Teppichhallen neben Gartencentern, Autowerkstätten neben Keramikaustellungen. Leere, hellblaue, hochkant gestellte Swimmingpools machen schon von weitem Reklame. Verwitterte, ausgefranste Fahnen machen Werbung für Strandhotels, die noch geschlossen sind. Auf den großen Straßenschildern rauschen die Namen bekannter, ehedem leuchtender, für lange Zeit verblasste, nun langsam wieder in Mode kommende Touristenzentren auf. Später muss ich runter von meiner „Autobahn“. Das große Schild, dass ab hier für alles, was langsam fährt, Schluss ist, kann sogar ich nicht übersehen. Die Lust auf ein saftiges Knöllchen hält sich in Grenzen, schon alleine weil ich ohne den in Spanien vorgeschriebenen Helm fahre. Man soll das Glück nicht zu sehr strapazieren. Bis jetzt ist die Polizei immer an mir vorbei gefahren. Dabei soll es bleiben.

                                                                                                      Ende für Radfahrer. Schade

                                                                                                      Der Campingplatz in Calonge ist das Gegenteil von dem in Sant Martí, der groß, brettflach und rechtwinkelig ist. Von solchen Plätzen träumen Gelegenheitswohnwagenfahrer. Der hier ist in Terrassen angelegt. Schmale Straßen und enge Kurven halten die Massen ab. Und noch lange nicht jeder Stellplatz ist mit rollenden Häusern erreichbar. Auf dem Platz ist angenehm wenig los – sehr zum Leidwesen der Mitarbeiter. Das anhaltend schlechte Wetter würde viele Stammgäste weiter nach Süden, auf auf die sonnigen Campingplätze an der Costa Dorada treiben. So viele Stornierungen wie in diesem Frühjahr hat es noch nie gegeben. Bei allem Verständnis für die Nöte der Mitarbeiter, mir passt das gut in den Kram. Eine ganze Terrasse habe ich für mich allein. Drüber ist auch niemand, drunter auch nicht, links auch nicht, rechts auch nicht, nur unten am Strand stehen mehr Urlauber. Hier werde ich bleiben, bis meine Frau kommt, das heißt: drei Tage Nichtstun, drei Tage Regenschauer abwettern. Zum Ausgleich habe ich den schönsten Weg vor dem Zelt, den man für einen Einkauf bei Lidl europaweit erwarten kann. Mit leeren Händen hin zu Lidl, mit Kartoffelsalat und Frankfurter zurück. Alles auf dem GR 92. Hin und zurück gut und gerne 5 Kilometer.

                                                                                                      Das Fahrrad, schwant mir, wird abgesehen von der Rückfahrt nach Sant Martí, die nächsten Wochen nicht die Hauptrolle spielen.

                                                                                                      Sechsundzwanzigster bis achtundzwanzigster Tag: Regentage
                                                                                                      Drei Pausentage in Sant Antoni de Calonge (Campingplatz)

                                                                                                      Bei Sonne raus aus dem Zelt, bei Regen rein in das Zelt, zwischendurch Gräben ziehen, weil der sandige Boden das Regenwasser nicht mehr aufnimmt. Nachschauen, ob das Wasser auf den Terrassen über der meinen nicht doch den Weg zu meiner findet. Regenjacke trocknen, Schuhe trocknen. Letzteres gelingt mir in den drei Tagen auf dem Campingplatz in Sant Antoni de Calonge nicht wirklich. Das Wasser in den Duschen ist super heiß. Sobald ich drunter stehe, kommt der gefühlte Sommer zurück. Am Abend, kurz bevor ich in den Sommerschlafsack krieche, springe ich noch einmal drunter. Aufwärmen, bis die Haut rot ist, und dann ab auf die Matte. In den Morgenstunden bin ich weit vor dem Sonnenaufgang wach, entweder weil mir zu kalt wird, oder weil der Regen auf das Außenzelt prasselt.

                                                                                                      Während der wenigen Sonnenstunden mache ich Einkaufswanderungen© zu Lidl und zu dessen spanischen Mitbewerbern, fahre kurz mit dem Rad rüber nach Platja d'Aro. Dort gibt es einen Decathlon. Lange halte ich mich in dem Gang mit den warmen Schlafsäcken auf.

                                                                                                      Camping Treumal

                                                                                                      Auf dem Platz ist wirklich nicht viel Betrieb. Nur wenige Camper sind mit dem Wohnwagen da, noch weniger mit dem Wohnmobil. Die meisten sind Saisoncamper auf dem Heimweg. Mit Anbruch des Winters nach Süden, spätestens mit Anbruch des Sommers nach Norden. Der neueste Trend ist der Langzeiturlaub von März bis Juni, denn die Wintertage in Andalusien oder an der Steilküste der Algarve halten nicht immer was der Rentner sich beim Aufbruch gen Süden verspricht. Graue Tage gibt es auch dort. Bei einer Pechsträhne sogar ganze Wochen. Außerdem ist Weihnachten ohne die Familie kein Weihnachten. Im März runter, dann passt alles. Und dann ganz langsam zurück. Spätestens mit Beginn der deutschen Sommerferien wollen alle wieder auf dem Heimweg sein. Die, die unbedingt ihre Ruhe haben wollen, machen sich erst dann auf den Weg nach Norden, wenn die Pfingstferien der Baden-Württemberger enden. Zu viele Kinder auf den Campings sind so manchem Rentnerpaar ein Dorn im Auge. Zwei von denen stehen drei Terrassen über mir. Der Mann hat am ersten Tag mein Zelt so lange umkreist, bis ich ihn gefragt habe, ob er das kaufen möchte. Kommentarlos ist er abgedampft, und beobachtet mich seitdem aus seinem Vorzelt. Wenn er verhindert ist, übernimmt die Frau. Bitter wird ihnen aufstoßen, dass sie nur den rückwärtigen, damit langweiligen Teil meiner Unterkunft sehen können. Meine Ein-Mann-Grabenzieh-Orgien vor der Apsis bekommen sie nicht mit.

                                                                                                      Nach vier Nächten wird es Zeit zu gehen. Ich muss auch los. Meine Frau landet am nächsten Tag in Girona. Das Wetter hat ein Einsehen. Mindestens bis Mittag soll es trocken bleiben. Die Frauen in der Rezeption bedauern ehrlich meine Abreise. Täglich haben sie für mich das Internet angeschmissen, ja, sogar für mich ins Netz gebracht. In diesem Jahr wollt' s noch keiner haben.

                                                                                                      Neunundzwanzigster Tag: Ende Radtour römisch eins
                                                                                                      Sant Antoni de Calonge - Sant Martí d'Empúries (Campingplatz)

                                                                                                      Kaum zu glauben, aber wahr, die Sonne scheint. Noch beim Heringziehen sah es nach Regen aus. Jetzt, da mein Budget um 80 Euro geschrumpft ist, scheint die Sonne. Kaum dass ich auf dem Rad sitze, ist der Sommer zurück. Na ja, richtig da war er noch nie. Also dann, den Weg kenne ich zu genüge, jedenfalls bis Palafrugell. Immer die vierspurige C-31 entlang, bilde ich mir ein. Was habe ich verpasst? An jeder Ausfahrt aus dem Kreisverkehr stehen Radverbotsschilder. Noch 'ne Runde. Es bleibt dabei: ich darf nicht auf der Straße zurück fahren, die in der Gegenrichtung für Radfahrer frei ist. Runter in die Stadt, hinten wieder raus. An der Tankstelle neben der Einfahrt darf ich auch nicht auf die C-31. Über den Berg hinunter nach la Fosca. Nein, aus der Bucht führt keine Straße nach Palafrugell. Der alte Mann, den ich frage, ist sich in dem Punkt sicher. Nur ein Wanderweg. Ich weiß, den kenne ich. Fürs bepackte Rad ist das nichts.


                                                                                                      Pals

                                                                                                      Zurück, erneut am Camping King vorbei. Der lag eben schon am Weg. Vor dem Tor werden zwei große Reisebusse lautstark von englischen Schülern in Uniform geentert. Ferien auf dem Campingplatz. Was bin ich froh, auf dem ruhigen Platz ein Stück die Küste hinunter gelandet zu sein. Mein Rentner-Ehepaar vermisse ich schon jetzt. Die hätten ihren Spaß.

                                                                                                      Warum darf ich aus der Gegenrichtung nicht auf die C-31? Schwein gehabt. Hinter der Tankstelle steht der Radwegweiser für den Radweg nach Palafrugell. Einer der neuen Via Verde-Wege. Wassergebunden und flach windet der sich durch die Wiesen. Dafür ist das nun ein Umweg. Doppelt so lange wie hin brauche ich. Nach und nach fahre ich auf einen blauen Ford Transit auf, der hinter einem Pulk Fahrräder den Verkehr aufhält. Mein erster Gedanke ist Holländer, nein, das sind Spanier. Eine gemischte Gruppe, sowohl Männer wie Frauen, sowohl Rennräder, wie MTBs. Wenn das mal gut geht. Wir haben dasselbe Ziel: L'Escala. Als das vorne ankommt, wird kurzerhand die Route geändert. Von einem auf'm Reiserad lassen sich auch Spanier in Urlaubslaune nicht gerne überholen. Überholt hätte ich sie nicht. Dafür bin ich viel zu faul.

                                                                                                      Die letzten Kilometer ist mehr durch die Gegend tingeln als ernsthaftes Fahrradfahren. Vermeiden, bekannte Wege zu fahren, lenkt eine kurze Zeit ab. Ganz gelingt mir das nicht, trotz Zeit im Überfluss. Die Reisfelder, die auf der Hinfahrt noch trocken waren, werden nun geflutet. Störche staksen durch das Wasser. Zwischen den langen Apfelbaumreihen stehen ganze Mauern aus großen, bunten Obstkisten. Plastikkisten haben die Holzkisten verdrängt. Auf den alten steht noch Costa Brava, auf den neuen, zweckmäßigen, nichts.

                                                                                                      ...

                                                                                                      Kurz vor dem Ziel springt die Kette ab und verklemmt sich. Ein dünner Ast hat sich zwischen Ritzel und Speichen verklemmt. Ein roter Volvo mit Ludwigsburger Kennzeichen hupt wie wild, weil ich plötzlich stehen bleiben muss. Obwohl ich mir Mühe gebe, kann ich mich nicht erinnern, dass in den vergangenen dreißig Tagen ein Autofahrer wütend gehupt hat.

                                                                                                      Um Mittag gebe ich die Sucherei nach unbekannten Straßen auf. Je näher ich meinem Urlaubsziel komme, umso aussichtsloser wird das. Den kürzesten Weg und fertig. Zum Ende der Siesta bin ich in Sant Marti, und nun fängt der Urlaub an. Drei Wochen Nichtstun, drei Wochen in einem richtigen Bett mit richtiger Bettwäsche schlafen. Morgen fahre ich zum Flughafen bei Girona und hole meine Frau ab. Ich bin gespannt. Drei Wochen Urlaub ohne Programm haben wir seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gemacht. Das beste wird sein, wir machen Wanderungen, Strandwanderungen, so ganz, ganz lange oder wir erkunden die Teilstücke des GR 92 im Hinterland, die wir noch nicht kennen. Drei Wochen nur am Strand hocken … das könnt' in eine Strafarbeit ausarten.
                                                                                                      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:47. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                                      .

                                                                                                      Kommentar


                                                                                                      • Meloney
                                                                                                        Anfänger im Forum
                                                                                                        • 14.08.2013
                                                                                                        • 16
                                                                                                        • Privat


                                                                                                        #52
                                                                                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                        Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                                                                                                        Dreiundzwanzigster und vierundzwanzigster Tag: Unter Landsleuten
                                                                                                        Zwei Pausentage in Sant Martí d'Empúries (Campingplatz)

                                                                                                        „Mama, ist der Mann krank?“. Kinder können ziemlich direkt sein.
                                                                                                        An der Stelle mußte ich echt lachen. Ich kenne das nur zu gut und ich liebe Kinder für diese ehrliche offene voruteilslose Neugier.

                                                                                                        Tolle Reise. Hat Spaß gemacht zu lesen.

                                                                                                        Take care
                                                                                                        Meloney

                                                                                                        Kommentar


                                                                                                        • Werner Hohn
                                                                                                          Freak
                                                                                                          Liebt das Forum
                                                                                                          • 05.08.2005
                                                                                                          • 10870
                                                                                                          • Privat


                                                                                                          #53
                                                                                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                          Danke. Nach dem Treffen am nächsten Wochenende geht es zurück an den Rhein. Dann in nur 12 Tagen.
                                                                                                          .

                                                                                                          Kommentar


                                                                                                          • Rainer Duesmann
                                                                                                            Fuchs
                                                                                                            • 31.12.2005
                                                                                                            • 1642
                                                                                                            • Privat


                                                                                                            #54
                                                                                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                            Hallo lieber Werner.
                                                                                                            Vielen Dank für diesen wunderbaren Bericht.
                                                                                                            Hast Du eigentlich kein stolzes Foto von dem "kranken Mann" gemacht?
                                                                                                            Da ich ja auch zu den alten Säcken hier zähle lasse ich mir die Sache mit dem Radfahren mal durch den Kopf gehen.
                                                                                                            Noch will ich ja per pedes durch die Lande, aber mal sehen was kommt.
                                                                                                            LG
                                                                                                            Rainer
                                                                                                            radioRAW - Der gesellige Fotopodcast

                                                                                                            Kommentar


                                                                                                            • Werner Hohn
                                                                                                              Freak
                                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                                              • 05.08.2005
                                                                                                              • 10870
                                                                                                              • Privat


                                                                                                              #55
                                                                                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                              Hallo Rainer,

                                                                                                              das würde noch fehlen. Auf solch ein Foto wartet meine Frau seit Jahren, damit sie mir das immer wieder als Beweis meiner Unvernunft unter die Nase reiben kann. Die Predigt über mein ........... Verhalten, hatte sich jedenfalls gewaschen. So ganz unrecht hat sie leider nicht. Außerdem sehe ich mich nicht gerne auf Fotos. Auf der Festplatte stauben circa 18.000 Fotos vor sich hin, darunter dürften keine 50 sein, auf denen ich zu sehen bin.
                                                                                                              .

                                                                                                              Kommentar


                                                                                                              • Werner Hohn
                                                                                                                Freak
                                                                                                                Liebt das Forum
                                                                                                                • 05.08.2005
                                                                                                                • 10870
                                                                                                                • Privat


                                                                                                                #56
                                                                                                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                Drei Wochen später

                                                                                                                In den letzten Wochen haben wir das gemacht, was alle Urlauber hier machen, wir haben nichts gemacht. Unsere Bilanz nach drei Wochen fällt angesichts dessen, was wir uns vorgenommen hatten, sehr dürftig aus. Ein paar lange Wanderungen am Strand entlang, anderthalb Wanderungen auf dem GR 92, im Mietwagen durch Katalonien geschaukelt, das Internet gequält, bei schlechtem Wetter in Dreilagenjacken am Strand gewesen. Immer wieder sind wir zu Fuß hinüber nach L'Escala gegangen, das immer noch nicht ganz von den Touristen übernommen ist. Die Fahrrad-Bilanz fällt noch schlechter aus. Mindestens 300 Kilometer in der Woche wollte ich fahren. Bei dürftigen 200 in drei Wochen ist es geblieben. Unendlich langes Frühstücken auf der Terrasse, faules Schleppen an den Strand, dort herumlungern und dem Wind hinterherschauen, damit haben wir die Tage ausgefüllt.

                                                                                                                Wahrheiten auf Fahnenstoff

                                                                                                                Für einige Tage hatte am Strand die PWA World Windsurfing Tour Station gemacht und ihre Rennen ausgetragen. Auf dem Bildschirm sieht das immer so toll aus. Braungebrannte Jungs mit von der Sonne gebleichten Haaren, drumherum eine Horde schöner Frauen. Alle strahlen unbändige Lebensfreude in die Kameras. Die PWA im prallen Leben? Eine einsame Bühne am Strand, mit trockenen Palmwedeln als Deko, Teilnehmerlisten mit Namen, die nur noch Eingeweihte kennen, bunte Flaggen im Wind, die Kameras katalanischer Fernsehsender, zwei, drei Sponsorenpavillions, das war sie, die weltberühmte Tour der Windsurfer, die in der Heimat keinen Widerhall mehr findet. Rauf auf das Brett, Parcours surfen, kurzer Schnack, ab ins Wohnmobil. Allerspätestens seit Bjørn Dunkerbeck oder Robby Naish nicht mehr durch die Medien geprügelt werden, ist es Windsurfen bei uns Geschichte. In Düsseldorf, wo in den Achtzigern auf jedem fünften Auto ein Dachgepäckträger fürs Surfbrett zu sehen war, war man schon viel eher weiter. Wer heute surft, ist alt und hat oft eine Wampe, die vom Neoprenanzug notdürftig in Form gepresst wird. Kiteboarder sind die Könige am Strand und auf dem Wasser. Die neben uns, die kommen alle aus Düsseldorf.
                                                                                                                Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:49. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                                                .

                                                                                                                Kommentar


                                                                                                                • Werner Hohn
                                                                                                                  Freak
                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                  • 05.08.2005
                                                                                                                  • 10870
                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                  #57
                                                                                                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                  Mit der Tour im Rücken oder Sport ist doch nicht Mord

                                                                                                                  Erster Tag: Beginn der Radtour römisch zwei oder Über die Pyrenäen
                                                                                                                  Girona Flughafen – Canet-en-Roussillon, FR (Campingplatz)

                                                                                                                  Girona am frühen Morgen

                                                                                                                  Mit dem Fahrrad in die Pyrenäen kommt immer gut an. Berge, Pässe, Qual, Schweiß und schnelle Abfahrten. Noch vor dem Start der ersten Etappe für die Rückreise weiß ich, dass ich später damit punkten kann. Über die Pyrenäen! Ach, das reicht nicht, noch ein Ausrufezeichen hinterher! Schon für die Überquerung der Pyrenäen an der Küste habe ich im Netz Höhenmeterangaben gefunden, die an Hochgebirgsquerungen denken lassen. Immer wieder auf sechshundert, siebenhundert Meter rauf. Was für ein Quatsch. Aber jetzt, wo ich im Inland die Berge überqueren werde, damit kann ich angeben. Links und rechts meiner Route sind richtig hohe Berge. Wenn auch nicht direkt neben der Straße, aber in Sichtweite sind die schon. Mit dem Auto über die Autobahn durch die Pyrenäen, bedeutet von Frankreich ein langer, langer Anstieg mit Extraspur für die langsamen Lastwagen. Mit sonor bollerndem und schwarz qualmenden Auspuffrohren quälen die Fahrer aus Osteuropa die Lastwagen die Berge hoch. Wenn sie beim Runterschalten Zwischengas geben, kann man das an der schwarzen Rußwolke schon von weit hinten mitverfolgen. Die Spanier sind schnell oben, da meist leer. Zwei Tage zuvor sind sie mit Obst und Gemüse aus Andalusien in den Norden gefahren. Zurück geht es viel zu oft ohne Fracht.

                                                                                                                  An der Nationalstraße II. Jetzt keine ernsthafte Panne

                                                                                                                  Aus der Gegenrichtung sieht das nicht besser aus. Autofahrer werden sich an die langen Steigung aus dem spanischen Flachland hinauf zu den Bergen erinnern. Wenn ich denen erzähle, wo ich hochgefahren bin, werden sie vor Ehrfurcht erstarren. Da bist du mit dem Rad hoch! Ja, so ähnlich habe ich das vor Tagen gehört, als der Nachbar vom Campingplatz gefragt hat. „Wirklich? Da willst du hoch?“ Ja doch, da will ich hoch. Der Col du Perthus ist nur 290 Meter hoch, egal ob aus Frankreich hinauf oder aus Spanien. Hoch muss man so oder so, doch so hoch nur, wer über die Autobahn fährt. Über die Landstraße sind es sogar noch 40 Höhenmeter weniger. Das alles habe ich dem Frager verschwiegen. Wer will schon die Details wissen. Bei Pyrenäen denkt jeder an hohe Berge, an hohe Pässe. Nachfragen, wo man drüber ist, macht keiner. Ich werde das nicht ändern. Ja, ich werde die Berge der Pyrenäen mit dem Fahrrad überqueren. Noch in dreißig Jahren werde ich im Altersheim mit der Pyrenäenüberquerung angeben. Dass ich von Girona bis zum Rand der Bergkette mehr Höhenmeter sammeln werde als hinauf auf den niedrigen Pass, wird kein Mensch als berichtenswert erachten.

                                                                                                                  Bevor es soweit ist, hätte ich gerne mein Fahrrad zurück. Leider ist das über Nacht verschwunden. Gestern hatte der Portier das in einem Konferenzraum des Hotels abgestellt. Nachtmittags hatten wir Stimmen aus dem Raum gehört, und noch geflachst, dass hoffentlich niemand auf die Idee kommt, mein Rad mitzunehmen. Jetzt ist es weg. Der Nachtportier gibt sich alle Mühe gelassen zu wirken. Das schwarze Fahrrad wird auftauchen, das kann nicht weg sein. Mit seinem dickem Schlüsselbund klappern wir gemeinsam alle möglichen Räume ab. Nein, nein, nein! Nirgendwo in diesem Hotel steht mein Fahrrad. Nicht in den anderen Konferenzräumen, nicht im ohnehin viel zu kleinen Kofferabstellraum, nicht hinten in der Wäschekammer, nicht noch weiter hinten, wo die Ware für die Küche angeliefert wird. Ratlose Gesichter bei den Angestellten der Nachtschicht. Ich weiß, dass mein Rad nicht geklaut wurde. Das sagt mein Verstand, doch was ist, wenn doch?


                                                                                                                  Noch 10 Kilometer bis Frankreich

                                                                                                                  Alles Grübeln hilft nicht weiter, meine Frau muss zum Flughafen. Der Rückweg zu Fuß zum Hotel ist ein einziges Was-wäre-wenn. Den nächsten Flug buchen, warten bis sich alles geklärt hat und mein Rad auftaucht, warten und hoffen, dass mir der Hotelbetreiber ein neues kauft, direkt zum Radhändler in die Stadt fahren lassen oder zum nahen Decathlon? Alle Optionen spiele ich auf dem viertelstündigen Rückweg durch. Egal, wie das ausgeht, der Rückflug ist keine Option.

                                                                                                                  Schichtwechsel im Hotel. Der Portier vom Vortag schiebt wieder Dienst an der Rezeption. Das ist der, der mir gestern hoch und heilig versprochen hat, dass das Rad sicher ist. Wortlos schnappt er sich den dicken Schlüsselbund und öffnet die erste Zimmertür im Flur. Soll ich ihm einen Heiratsantrag machen?

                                                                                                                  Über Nebenstraßen fahre ich nach Girona. Ungewohnt fühlt sich das Rad an. Die leichten Anstiege hoch habe ich das Gefühl mich zu quälen. Der Nationalstraße II werde ich ab der Innenstadt folgen. Immer den Schildern nach zu der Bergkette. Jede Ortsumgehung nehme ich mit. Die N-II ist alles andere als flach. Oft genug führen Zwei-Spur-Anstiege über die Hügel. Leider sind es immer nur Hügel, nie eine Hochebene. Immer wieder runter in das langweilige katalanische Hinterland vor Figueres. Durch die Stadt? Nein, es läuft gerade verdammt gut auf der Nationalstraße, auf der der Verkehr überschaubar ist. Mittags stehe ich schon am Rand der Pyrenäen. Der Schnitt ist viel zu hoch für einen alten Mann. Auf Dauer werde ich das nicht durchhalten können. Hier hat vor einem Jahr ein Feuer gewütet, das es bis in die Tagesschau gebracht hat, weil die Autobahn kurzfristig gesperrt wurde. Nur ein Jahr später ist alles wieder grün. Die Natur kann das ganz gut ab. Nur der Mensch macht Stress.


                                                                                                                  In der Plaine de Roussillion

                                                                                                                  La Jonquera scheint ausschließlich aus Supermärkten mit sehr großen Parkplätzen zu bestehen. Entlang der N-II reiht sich einer neben den anderen. Schnaps und Tabak werden hier verkauft. Nahezu an jedem Kreisverkehr wartet eine junge Frau auf Kunden, meist Lkw-Fahrer. Der Teer in den großen, in ihrem Durchmesser ohne Zweifel auf Lastwagen ausgelegte Kreisel, ist rau wie eine Schotterpiste. Unzählige mehrachsige Anhänger haben die feine Deckschicht abgerieben, haben die grobe Teerschicht darunter frei gelegt. Dicker, schwarzer Gummiabrieb hat Kreise hinterlassen, als hätte ein kleines Kind erste Versuche im Kreise malen gemacht. Durch das Dorf fährt niemand. Das möchte auch niemand. Das Museum für die Flüchtlinge des Franco-Regimes, das MUME - Museu Memorial de l'Exili, im Zentrum ist leider verschlossen. Vor der Tür parkt ein dunkelgrüner Geländewagen der Guardia Civil. Unpassend oder nach so langen Jahren der Normalität doch tröstlich?

                                                                                                                  Aus dem letzten Kreisverkehr hinaus liefere ich mir ein Rennen mit eine Zugmaschine ohne Auflieger aus Portugal. Gegen 460 leichtgewichtige Volvo-PS komme ich nicht an. Dabei verdrehe ich mir das rechte Knie. Noch 10 Kilometer bis zur Grenze. Die letzten Kilometer durch Spanien. An den Ausgängen enger Seitentäler sind unter den Bäumen kleine, zugemauerte Bunker zu sehen. Man muss schon wissen wonach man schauen soll, so versteckt sind die. Francos Erbe an die Nachkommen. Das Tal vom Pass hinab ist ein natürliches Einfallstor für die Feinde seine Phantasie gewesen. Heute werden Führungen und Geländewagentouren zu den Bunkern angeboten. Hat der alte Faschist sich sein Erbe so ausgemalt?

                                                                                                                  Elne - Maternité suisse d'Elne

                                                                                                                  Kilometerlang war der Anstieg so flach, dass er mal eben als Steigung wahrzunehmen war. Vor der Grenze überholt mich ein alter Mann auf einem Rennrad. Danach wird es steil für die letzten 3 Kilometer. Nicht weit voraus quält sich nun der alte Mann den Berg hoch. Keine Sekunde kommt das Verlangen auf, ihn einzuholen. Wehmut? Nein. Nicht lange, dann werde ich wieder in Spanien sein. Außerdem freue ich mich auf Frankreich.

                                                                                                                  Wer über die Autobahn fährt, verpasst das Dörfchen Le Perthus. Bedauern muss nicht aufkommen, nicht, weil das Dorf keine Schönheit ist, sondern weil einem der Stau auf der steilen dörflichen Hauptstraße erspart bleibt. Le Perthus ist eine einzige,wenn auch kurze Einkaufsmeile. Die spanisch-französische Grenze verläuft mitten auf der Hauptstraße. Entlang des einen Bürgersteigs Spanien, zu erkennen an den Schnaps- und Zigarettenläden, am Bürgersteig gegenüber, Frankreich, erkennbar an den hochpreisigeren Läden. Mehrmals muss ich absteigen, sei es, weil ein Auto unverhofft aus einer Parklücke ausschert, sei es, dass mir jemand ein Bündel Sonnenbrillen vom Mittelstreifen her vor das Gesicht hält. Oben angekommen bin ich glücklich, alles hinter mir gelassen zu haben. Nicht nur den Trubel in Le Perthus, auch die Pyrenäenüberquerung. Schon bei der langen Abfahrt hinein in das Languedoc wird aus der anstrengungslosen Fahrt über die Berge eine Heldentat. Damit werde ich angeben können. Wie hoch sind die Berge, der Pass, danach wird nie einer fragen.

                                                                                                                  Schönheiten aus alten Zeiten

                                                                                                                  Die französische Straße hinunter in die Ebene ist schmaler, windungsreicher als die breite Nationalstraße in Spanien. Die Franzosen fahren forsch, überholen da, wo ich es nicht erwartet habe. Viele sind mit Wohnmobilen unterwegs. Die mit der wenigsten Geduld wollen einfach nicht einsehen, dass die Straße nicht breit genug ist für sie, den Gegenverkehr und mich. Wenige Minuten mache ich das mit, dann fahre ich mitten auf der rechten Spur. Heute scheine alle keine Zeit zu haben, doch nicht um den Preis meiner Gesundheit. Unten angekommen ist Ruhe. Die D 900 neben der Autobahn wirkt wie ausgestorben. Abbiegen nach Elne, nicht nur weil ich an die Küste will, auch weil ich mir die ehemalige Kathedrale anschauen möchte. Diese steht in der Oberstadt. Steil sieht der Weg hinauf von unten aus. Zu steil nach dem Pyrenäenpass. Na dann weiter, das neue Ziel ist die Bootswerft Catana in Canet-en-Roussillon.


                                                                                                                  Eine Catana 59

                                                                                                                  Catana baut Mehrrumpfboote, Katamarane. Die Werft fängt preislich da an wo andere aufhören. Unbezahlbare, dafür schnelle Schiffe. Schon immer habe die das so gemacht. Wer eine Bratwurstbude mit Mast und Segel bevorzugt, muss woanders kaufen. Schon vor einem Vierteljahrhundert habe ich von einer Catana geträumt, beim Segeln auf einem Hobie Cat auf dem sauerländischen Biggesee. Für das Alter sollte es ein Katamaran aus Canet-en-Roussillion werden. Der Traum ist ein Traum geblieben. Damals unbezahlbar, heute immer noch. Wenigstens einmal wieder eine dieser großen Yachten sehen. Am Kai neben der Festmacherleine stehen, dem grade noch vernehmbaren Knirschen der Polypropylen-Leine zuhören, die sich im leichten Hafenschwell reckt. Zwischen den schlanken Rümpfen hindurch schauen und am anderen Ende die Inseln der Südsee erblicken. Die Ecke im Kopf, die für die Verwaltung lebenlanger Träume zuständig ist, wird die Leinen lösen und noch in der Hafenausfahrt Genua und Großsegel hissen. Der Motor würde ersterben, ganz still würde es an Bord sein. Nur das leise Pfeifen des Windes in den Fallen, den Wanten, den Stagen wäre zu hören. Von unten könnte man das Gluckern der zwischen den Rümpfen hindurchlaufenen Wellen hören. Gelegentlich würde das Achterliek leise flattern, Zeit für eine Korrektur der Segelstellung. Der Kurs könnte zur Straße von Gibraltar zeigen, hinaus aus dem kleinen Mittelmeer. Auf dem Atlantik dann Kurs 270 Grad, Kurs Weltumseglung. Jugendträume soll man tunlichst nicht sterben lassen. Die Welt ist voll von Menschen, die ihre Träume verloren haben. Nicht wenige scheint die Angst umzutreiben, sie könnten von ihren Träumen eingeholt werden.

                                                                                                                  Zweiter Tag: Auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre
                                                                                                                  Canet-en-Roussillon - Vias Plage (Campingplatz)

                                                                                                                  Die direkte, schnelle, schon bekannte Route oder Straßen, die ich auf dem Hinweg nicht gefahren bin? Probleme tun sich auf, die niemand beim Tourstart erwartet. Auf keinen Fall die Strecke von vor wenigen Wochen. Mehrmals werde ich diese kreuzen müssen, vielleicht für Minuten auf bekannter Straße unterwegs sein, doch im Großen und Ganzen ist am gestrigen Abend eine mir noch unbekannte Strecke aus der Karte entwachsen. Hinten raus, am späten Nachmittag, wird es die Route von vor einem Monat werden müssen. Gelegenheit, Strecke zu machen. Ganz vorne steht heute der Besuch der Forteresse de Salses. Das Fort ist direkt neben der Autobahn, und nie nie nie haben wir es geschafft, dort einen Stopp einzulegen. Es gibt sogar einen Autobahnparkplatz mit dem Namen der Festung. Heute soll es endlich sein. Zum fünfundzwanzigsten Jahrestag des Vorbeifahrens will ich die Festung sehen. Von innen eher nicht, dafür bin ich zu geizig, und soweit geht mein Interesse an alten Gemäuern dann doch nicht. Die Außenansicht und gut ist es. Auf nach Salses-le-Château, auf zu Vaubans Festung.


                                                                                                                  Bei Salses-le-Château

                                                                                                                  Ich fahre durch eine Landschaft, in der vor Wochen der Tramontana buchstäblich versucht hat, mich vom Rad zu wehen, in der ich damals geflucht habe wie lange nicht mehr. An diesem Morgen wünsche ich mir Wind. Nur eine leichte Brise, damit das Radeln auf holpriger Straße durch die Weinfelder erträglicher wird. Bitte, bitte, etwas Wind! Blauer Himmel seit dem Aufbruch. Kein Schatten soweit das Auge reicht. Im Hinterland versinken schon jetzt die kargen Ausläufer des Corbières im Dunst. Es wird ein heißer Tag werden. Weit bevor der Campingplatz erwacht ist, bin ich um die Schranke gekurvt. Noch ein letzter Blick zur Tafel mit den Veranstaltungen für diesen Tag. Es sind fassungslos viele. Tagesbeschäftigung für gelangweilte Urlauber. Ein letztes Winken hinüber zum Nachtwächter und Canet; mit seinem Yachthafen, mit den großem Mehrrumpfbooten und der sehr perfekt organiserte und gestylte Campingplatz bleiben zurück.

                                                                                                                  Trotz ausbleibendem Wind tut die Hitze gut. Extra dafür bin ich in den Süden gefahren. Tagelang habe ich auf der Fahrt von der Heimat nach Spanien von diesem Wetter nur träumen können. Immer, wenn es nicht warm werden wollte, wenn ich bei Regen nachts im Zelt gelegen habe, dann hat das Erinnern an frühere heiße Tage geholfen. Die ganze Woche wird sommerlich werden, das hat in der spanischen Zeitung vom Vortag gestanden. Es wird Zeit, mir eine französische zu suchen. Für die Wettervorhersage reichen sogar für mich als Französisch-Legastheniker deren bunte Grafiken.


                                                                                                                  Canal de la Robine und GRP - Sentier du Golfe Antique

                                                                                                                  Die Festung werde ich im Ort vergeblich suchen, das weiß ich. Am Rand vielleicht, doch auf keinen Fall mitten in der Stadt. Einen Wegweiser sehe ich nicht. Sind die alle zugeparkt? Kein Problem, hinten wieder aus Salses raus und dann müssen neben der Autobahn Vaubans Wehrmauern auftauchen. Der Gedanke, einen Blick in die Straßenkarte zu werfen kommt mir nicht. Von der Av. Armand Claret auf die D 900 nach Osten. Wo bleiben die Wegweiser? Müsste die Festung nicht längst zu sehen sein? Mit Fragen im Kopf, weiter Richtung Osten. Salses bleibt zurück. Auf Höhe der Bahnunterführung dämmert mir, dass ich die Festung verpasst haben muss. Beim Blick in die Karte stellt sich die Frage, wie das passieren konnte. Von der D 900 zum Besucherparkplatz sind es noch keine 400 Meter. Versteckt hinter der Bahnlinie, ist das alte Gemäuer an diesem Tag für mich nicht in dieser Welt. Nur selten mache ich kehrt. Vertan, ist vorbei. Auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre. Die verpasste Gelegenheit wird dann ein halbes Jahrhundert alt sein.

                                                                                                                  Narbonne

                                                                                                                  Über das Wasser möchte ich fahren. Dafür muss ich nach Port-la-Nouvelle, das alleine wegen des dünnen, betongrauen und himmelhohen Turms der Zementfabrik Lafarge schon aus der Ferne alles andere als zum Besuch einlädt. Die Fahrt dorthin ist schön. Die einsame Straße am Ufer des Étang de la Palme entlang endet am Ortsrand, wo in einer Industriebrache ein einsamer, neuer Aldi in flirrender Hitze Schatten wirft. Port-la-Nouvelle ist keine Schönheit. Wie aus der Ferne angekündigt, nicht, aus der Nähe nicht. Hier am Étang, dieser idealen Schnittstelle zwischen Land und Meer, hat der Canal de la Robine seinen Anfang. Bevor dieser Narbonne erreicht, führt der viele Kilometer durch das Wasser. Links Wasser, rechts Wasser und dazwischen ein schmaler, oft künstlich angelegter Landstreifen, für den Kanal, eine Bahnlinie und einen Wanderweg. Das ist der GRP - Sentier du Golfe Antique. Einmal komplett um den großen Étang de Bages et de Sigean. Siebzig Kilometer durch ein unbekanntes Frankreich, inklusive Löwenpark und vergessene Fischerdörfchen zwischen Autobahn und Meer.

                                                                                                                  Der Wanderweg ist so breit, so flach und so einsam, dass das Radfahren Spaß macht. Leichter Wind ist am Mittag aufgekommen. Wie immer um diese Tageszeit am Mittelmeer. In der ersten Schleuse wird ein Charterboot geschleust. Ab da bin ich alleine. Der kurze Canal de la Robine, der Narbonne mit dem Meer und mit dem Canal du Midi im Hinterland verbindet, ist einer der schönsten kleinen Kanäle hier, was nur wenige Skipper als Anreiz sehen. Oder dürfen sie mit ihren Charterbooten den Midi nicht verlassen? Sie ahnen nicht, was ihnen entgeht. Mittagspause unter einer Schirmkiefer; wie es sich gehört, mit Baguette und Käse – nicht von Aldi. Ein einsamer Radfahrer kommt aus der Gegenrichtung. In seinem Rücken fährt ein Personenzug scheppernd durch den Binnensee. Von meinem Sitzplatz unter der Kiefer sieht es aus, als würden die Waggons über das Wasser fahren. Erst ganz zum Schluss biege ich vom Kanal ab. Nach Narbonne rein will ich nicht.

                                                                                                                  Béziers - Kathedrale St. Nazaire und Pont Vieux

                                                                                                                  Die N 9 ist wieder mein Ziel. Jetzt kommen Wiederholungen, auf die ich mich freue. Die Nationalstraße ist schön zu fahren, hat ein bisschen was von Panoramastraße im welligen Flachland. Einkaufsstopp und Kaffeepause in Corusan. Die Bäckereifrau hält mich wegen des Fahrrads für einen Holländer. Eine englisch sprechende Brotverkäuferin, wer hätte das gedacht. Die Straßenbaustelle vor Béziers ist endgültig fertig. Ich verfahre mich total, weil ich der Ausschilderung zum Flughafen folge. Wieder Baustellen, kein noch so schmaler Randstreifen. So viele Autos wie schon lange nicht mehr. Mit weit überhöhter Geschwindigkeit werde ich dicht am Ellenbogen überholt. Ausweichen können die Fahrer nicht wegen des Gegenverkehrs. Hinten dran bleiben will keiner. Für einen Blick in die Karte anhalten ist nicht möglich. Offensichtlich habe ich hier nichts zu suchen. Nächste Ausfahrt runter von der Straße, hinein in Zentrum von Béziers. Eine Runde um den halben Fuß der Altstadt muss reichen. Mit dem Canal du Midi wieder raus aus der Stadt.

                                                                                                                  Der Rest ist auf Zeit, auf Tempo fahren. Je früher ich auf dem Campingplatz ankomme, desto mehr Freizeit habe ich. Der Beginn der zweiten Tageshälfte ist folglich harte Arbeit. Ein langer und geruhsamer Ausklang vor dem Zelt, wird die Belohnung sein. An der Rezeption kennt man mich schon. So oft fährt hier keiner mit dem Rad vor.

                                                                                                                  Der alte Mann aus Irland von der Parzelle nebenan, der mich angesprochen hat, kann nicht glauben, dass ich mit dem Rad hier bin, dass ich so lange Etappen fahre. Seine Frau muss kommen um unser beider Missverständnis zu klären: er denkt in britischen Meilen, ich in kontinentalen Kilometern. Kein Wunder, dass der ungläubig aus dem Häuschen war. Abendessen aus den Kühlregalen des Supermarkts. Der Kocher bleibt kalt. Keine Lust, müde und dann ist da noch die Sache mit dem französischen Wetterbericht in der französischen Zeitung. Es wird wieder Wind geben. Morgen bekomme ich noch eine Schonfrist. Übermorgen ist Starkwind bis 70 km/h aus Nord angekündigt. Übermorgen ändert sich mein Kurs auf Nord. Die Rhône muss ich hoch. Das darf nicht wahr sein! Übermorgen, am Abend, soll es vereinzelte Schauer geben. Auch das darf nicht wahr sein. Habe ich den Gegenwind im Schlepptau?

                                                                                                                  In Agde

                                                                                                                  In der Nacht liege ich noch lange wach. Die Urlaubersaison steuert unübersehbar auf den ersten Ansturm zu. Im Vergnügungspark, dessen Gerüste, Stellagen und Abspannseile hinter Vias in den hellen Abendhimmel ragen, war man bei der Vorbeifahrt am Nachmittag bei den abschließenden Tests. Die Zeit für den Spaßurlaub ist da. Ab dem kommenden Wochenende wird es laut werden in der Region.

                                                                                                                  Mitternacht. Die Kneipen auf der Hauptstraße stellen die Musik ab. Eine halbe Stunde später wird die schwarze Harley gestartet. Sie gehört einem der Wirte da draußen. Genau wie vor Wochen, blubbert die Maschine leise über die Hauptstraße aus dem Ort raus. Im Kreisverkehr vor Vias wird der Mann auf die Schnellstraße Richtung Westen abbiegen. Dort erst wird er den Gasgriff aufreißen und mit einer immer leiser werdenden Donnern in die Nacht verschwinden. Das hat er vor Wochen schon gemacht, in den Aprilwochen zuvor auch schon. Wann fängt Heimat an? Wenn man weiß, wer mit dem Motorrad durch die Nacht fährt?

                                                                                                                  Dritter Tag: Nouvelle Cuisine
                                                                                                                  Vias Plage – Pont du Gard (Campingplatz)

                                                                                                                  Einmal mehr stehe ich viel zu früh vor den großen Fenstern der Rezeption. Die Türen sind noch alle verrammelt. Um halb neun, für meine Begriff kurz vor Mittag, werden die Türen auf sein. Immerhin steht an der Mauer eine Bank in der Sonne. Zeit, sich ernsthafte Gedanken zu machen wohin die Fahrt an diesem Tag gehen soll. Der für den nächsten Tag angekündigte Mistral spornt an. Je mehr Kilometer ich heute und morgen Vormittag schaffe, umso weniger muss ich am Tag darauf gegen den dann starken Wind fahren. Mit viel Glück biege ich dann schon wieder aus dem Tal der Rhône ab in ruhigere Landschaften. Mit Unterbrechungen soll die N-113 soll der rote Faden des Tages werden. Nîmes will ich auf jeden Fall erreichen. Und wenn es dann noch immer gut läuft, die olle römische „Brücke“ über den Gard. Auf den beiden 200.000er-Kartenblättern ergibt das eine sechzig Zentimeter lange Gerade. Aus der linken Ecke ganz unten, hoch zur rechten Ecke ganz oben. Diagonal durch zwei A3-Seiten des gelben Michelin aus dem Jahr 2000.

                                                                                                                  Montpellier - Tour de la Babotte

                                                                                                                  Agde umkurve ich am Rand, Marseillan am Binnenufer des Bassin de Thau. Im Anschluss um Meze herum und dann auf die Nationalstraße, die keine mehr ist. D 613 steht auf den neuen Schildern. Das verordnete Ende einer Straßenkarriere. Von oben ein allerletzter Blick auf den Etang und Sete. Die Sicht auf das Mittelmeer muss ich mir dazu denken. Ungewollt lange bleibe ich auf der Bank an der Straße sitzen. Lange wird es dauern, bis ich das Meer erneut zu sehen bekomme. In diesem Urlaub nicht mehr. Ab hier fahre ich in den Norden. Jetzt kommt tatsächlich Wehmut auf. Der Wind wird ebenfalls aus dem Norden wehen. Schlechtes Wetter wird von dort kommen. Weiter, mir bleibt keine Zeit für Trübsal. Der kostenlose Autobahnabschnitt macht sich auf der Nationalstraße bemerkbar, denn der Verkehr bleibt überschaubar. Es wird am Wochentag liegen. Samstags fährt in Frankreich auch nur eine Minderheit zu Arbeit.

                                                                                                                  Spontaner Halt in Saint-Jean-de-Védas an einem Imbiss mit bunter Werbung. Draußen stehen Tische und Stühle. In der Küche werkelt ein alter, hagerer Mann. Für den Kaffee ist er nicht zuständig. Er ruft einen Frauennamen. Widerwillig schaut eine junge Frau um die Ecke. Ein Kaugummi wandert von einer Backe in die andere. Jeder Falte auf der jungen Stirn ist eine Anklage. Mein Anliegen ist eine Zumutung für sie. Kein Gast ist zu sehen, nur der radebrechend nach einem Kaffee fragende Mann, dem in der warmen Bude der Schweiß in Bächen durch das Gesicht rinnt. Sie geht vorbei an der großen, schweren Kaffeemaschine, deren Ein/Aus-Schalter rot leuchtet, auf der sich weiße Tassen aus Porzellan stapeln. Sie geht zu einer kleinen, schwarzen Pad-Maschine, greift sich einen Pappbecher, einen Plastikrührer, steckt in Papier eingewickelten Kaffee in den Halter und knöpft mir die Kohle ab. Premiere! Die erste Pad-Maschine in Frankreich. Draußen wird verständlich, warum ich der einzige Gast bin: der Kaffee ist widerlich.

                                                                                                                  Mit den Verkehrsschildern ins Zentrum Montpelliers. Aufpassen muss ich bei den Schienen für die Straßenbahn. Wann hatte ich zuletzt Straßenbahnschienen? Auf dieser Tour noch keine. Nach Montpellier von Westen rein, im Zentrum abbiegen nach Süden. Richtung Flughafen abbiegen und in Lattes auf die D 189, das ist Plan A. Einen Plan B gibt es nicht. Dafür ist keine Zeit. Aus der Stadt führt die französische Version einer Kraftfahrstraße. Verbot der Durchfahrt für Fahrräder – oder so. Weiter, heute ist Samstag. Wenig später bin ich runter von der verbotenen Straße. Gehupt hat keiner. Vermutlich wird die halbe Stadt in der Woche auf dem Weg an das Meer die Kraftfahrstraße mit dem Rad nutzen. Von Montpellier habe ich nicht viel gesehen, bis auf den südlichen Stadtrand. Sauber, gepflegt, langweilig, ein Haus wie das andere, Supermarkt an Supermarkt. Das Konglomerat, das so viele südeuropäische Städte umgibt. Am Straßenrand stehen gelbe Schilder mit der Ankündigung der Tour de France, die demnächst hier durch kommt. Gesperrt von-bis, Parken verboten von-bis. Die Autofahrer hupen, wenn sie mich gewahr werden. Spornt das an? Im Augenblick noch.

                                                                                                                  Die Tour kommt

                                                                                                                  Ein tägliches Problem treibt mich an, der Hunger. Schon der zweite McDonald's, der total überfüllt ist. Nicht nur Frankreichs Kinder, selbst die Alten belagern die amerikanischen Bulettenbuden. Von wegen „französische Küche“. Die hat Speisekarten mit Preisen, bei denen sich nur noch Bedienstete des Staates nicht fragen, wie man das bezahlen soll. Und dann diese Wartezeiten. Essen wird schon im einfachsten französischen Restaurant immer noch zelebriert. Schon um das preiswerteste Menu du jour wird nach außen, für den Gast, ein Aufwand betrieben, als stehe in der Küche ein zukünftiger Sternekoch. Stets wird der Kellner die Menüwahl der Gäste mit wohlwollendem Kommentar bestätigen. Die könnten den ersten Gang in Minuten auf dem Tisch haben. Suppe ist Suppe. Suppe hat schon die französische Oma im voraus gekocht. Nein, nicht in einem Restaurant, das auf die überkommende Tradition des Hauses und die Manieren seiner Kundschaft stolz ist. Überdies hat der Gast Zeit zu haben. Aber bitte nicht nachmittags, da schließt die Küche pünktlich. Und am Abend soll der Gast tunlichst erst erscheinen, wenn die Töpfe auf Temperatur sind, also zu der Uhrzeit, wo müde Radfahrer den Reißverschluss am Schlafsack zuziehen. Konsterniert wird der Kellner auf die Tradition der Landesküche verweisen, wenn ein hungriger Radfahrer auf den letzten Drücker noch ein Mittagessen verlangt oder abends schon um sechs nach der Speisekarte fragen sollte.

                                                                                                                  Ein Hoch auf die amerikanische Küche! So sehen das an diesem Samstag alle südfranzösischen Familien zwischen Montpellier und Nîmes. Die Warteschlange beim dritten McDonald's ist noch länger als bei dem vorher. So viel Zeit nur fürs Anstehen! Diese Zeit habe ich nicht! Weiter, trotz nagendem Hunger. Lunel ist mir nur ein Blick im Vorbeifahren wert. Keine Zeit für den schattigen Park mit dem großen Springbrunnen. Die Suche nach einem Restaurant ist wichtiger. In der kleinen Kurstadt müsste es doch eins geben, nur eins, das am Nachmittag mehr als Kaffee und Wein anbietet. Irrtum. Weiter und am Stadtrand der nächste Stopp. McDonald's! Gegen die Ausfahrt auf den Parkplatz geschossen. Der Franzose hinter dem Lenkrad zeigt mir einen Vogel. Er hat ja so recht, doch der Hunger der Hunger. Ernüchterung bereits an der Tür. Die bis dahin längste Schlange aller heutigen McDonald's reicht bis zur Tür. Vorne wandert ein Karton mit Kinderfutter nach dem anderen über die Theke. Aufgereiht stehen leere Papiertüten neben leeren Papiertüten. Die Großbestellungen junger Familien. Hier werde ich genauso verhungern, wie in jedem auf Tradition bedachten französischen Restaurant zwischen Nachmittag und Abend.

                                                                                                                  Das letzte Mars rettet mich. Das ist jenes Notfall-Mars, welches seit Girona mitgeschleppt wird. Zum Notfall-Mars wird ein Mars, wenn ich vergesse, noch ein Mars im Gepäck zu haben; denn Schokoriegel, die bei mir nur eine einzige Nacht überstehen, sind eine Abweichung vom Normalfall. Dem Mars sind die drei Tage in der Lenkertasche nicht bekommen. Die ungewohnte Form diagnostiziere ich als Hitzeschock. Die nächste halbe Stunde ist gerettet. Nîmes ist in Reichweite.

                                                                                                                  Zwischen Montpellier und Nîmes lässt sich die Straßenverwaltung nicht lumpen. Dort darf aus der Departementsstraße wieder die Nationalstraße 113 werden. In Nîmes ist die N 113 zugleich südlicher Stadtring. Ein Kreisverkehr löst den nächsten ab. Ganz große, in deren Grün sich Gartendesigner ausgetobt haben, kleine, dessen Grün vom Rasenmäher des städtischen Gartenbauamts getrimmt wird. Nîmes Nîmes Nîmes, soll ich tatsächlich die Stadt vom Stadtring aus links liegenlassen? Wäre das eine Sünde? Ohne Zweifel, das wäre es. Die Entscheidung muss warten.


                                                                                                                  Ins Tal des Gardon

                                                                                                                  Die N 113, die sich hier in der Stadt Av. Président Salvadore Allende nennt, wird aus dem Norden von der Av. Pierre Gamel und aus dem Süden von der Route de Saint-Gilles gekreuzt. Obwohl, korrekt ist das nicht, denn wo gibt es in Frankreich noch Kreuzungen? Es ist später Nachmittag, um die 17 Uhr. Am Kreisverkehr ist ein McDonald's! Auf der Terrasse ist nur ein Pärchen zu sehen. Sollte das dem um diese Uhrzeit nicht vorhandene urbanen Leben zu verdanken sein? Drinnen ist bis auf die in jedem südeuropäischen McDonald's anzutreffenden zwei, drei WiFi-Kaffeebecher-Festhalter keine Menschenseele.

                                                                                                                  Ein Big Mac Menu groß, große Fanta, großer Kaffee, ein Hamburger, ein Cheeseburger, einmal 6er-Nuggets und ein Filet-o-Fish – wegen der Omega-3-Fettsäuren, schließlich soll die Gesundheit nicht zu kurz kommen! - sammeln sich im Handumdrehen auf dem Tablett. Über die Menge hat sich der Schwarze hinter der Kasse nicht gewundert, über meine Auswahl dann doch. Kurzerhand habe ich genommen, was in der Warmhalterutsche in seinem Rücken zu sehen ist. Hunger schraubt Ansprüche runter.

                                                                                                                  Pont du Gard

                                                                                                                  Zurück auf der Terrasse, kaum das ich sitze, sind alle Tischmanieren vergessen. Fressen, anders lassen sich die ersten Bissen nicht beschreiben. Das beste an der amerikanischen Papp-und-Styroporschachtel-Küche ist, dass jenes was drin steckt, nicht gekaut werden muss. Schlingen steht nichts im Weg. Nach dem Big Mac und den Pommes geht es mir deutlich besser. Das scheint das junge Pärchen drei Tische weiter mitbekommen zu haben. Zeit, mich anzusprechen, direkt auf englisch. Meine sprachliche Höchstleistung an der Theke vorhin, ist ihnen nicht entgangen. Das Übliche: Woher, wohin, warum, wie lange. Sie hat sich grad eben ein MTB bei Decathlon gekauft. Ein Rockrider, die Hausmarke für schmales Geld. Nun ist sie mit ihrem Freund auf Stadtrundfahrt. Er fragt, sie übersetzt, ich esse nun, fresse nicht mehr, rede mit vollem Mund. Ihr Urteil über das Essverhalten deutscher Männer wird nicht komplett vernichtend ausfallen. Beide faziniert plötzlich die Idee einer Radtour durch ihr Land. Bis vor Minuten haben sie keine Gedanken an so etwas verschwendet.

                                                                                                                  Vollgefressen, zufrieden und ja, ohne schlechtes Gewissen, streiche ich Nîmes von der Liste. Das Weltkulturerbe McDonald's ist genug. Noch eine Stunde bis zum UNESCO-Weltkulturerbe Pont du Gard. Die „Bridge“ würde ich einen halben Kilometer hinter dem Zaun des Campingplatzes finden. Von der Frau mit dem Meldeformular bekomme ich noch den Tipp, nach 20 Uhr zum römischen Aquädukt zu gehen. Die Eintrittspreise seien unverschämt. Spätestens um diese Uhrzeit sind die Kassen geschlossen. Später ärgere ich mich, weil mir um diese Uhrzeit nur die Wahl zwischen Gegenlicht oder Dunkelheit bleibt. Zusätzlich nerven zwei kichernde Amerikanerinnen, die mit 10er-Tablets vor dem Kopf Videofilmchen drehen, denen nur der Weg ins Unterschichtenprogramm offen stehen wird.

                                                                                                                  Das Mittelmeer liegt jetzt schon weit zurück. Die Zeitung von heute hat bestätigt, was in der von gestern zu lesen war. Morgen und die Tage danach, gibt es Gegenwind. Mit dem Hellwerden soll der einsetzen und nach und nach an Kraft zulegen. Morgen wird das Radfahren anstrengend werden. Morgen bin ich endgülitg auf dem Heimweg.

                                                                                                                  Vierter Tag: Therapeutisches Radeln
                                                                                                                  Pont du Gard - Tain-l'Hermitage (Campingplatz)

                                                                                                                  Viel zu früh bin ich unterwegs. Der erste Tag, der ohne Kaffee beginnt. Brot gibt es in allen möglichen Sorten bei den Bäckern in Remoulins. Kaffee hat keiner. Die Bars sind noch zu. Vor dem Hotel auf der Hauptstraße stehen gepackte Reisetaschen in der Sonne. Ein Häufchen Urlauber wartet auf den Transfer zum Flughafen. Ein Mann fegt den Bürgersteig um die Taschen herum. Ob es drinnen einen Kaffee für mich gibt? Nein, nur für Gäste. Das fängt ja gut an! Es soll ein langer Tag werden. Mindestens Valence soll es werden, besser noch weiter nach Norden.


                                                                                                                  Hinab ins Tricastin

                                                                                                                  Der angekündigte Wind ist da. In den ersten Morgenstunden ist der noch schwach. Er ärgert trotzdem. Den Berg rauf und auf der anderen Seite wieder runter mit Gegenwind. Ich habe mich für eine Route abseits der Rhône entschieden. Hügelig, an manchen Hängen sogar steil ist der Straßenverlauf. Dafür in annähernd gerader Linie nach Norden durch die zum Fluss hin sanft auslaufenden Hügel des Département Ardèche. Noch immer Südfrankreich, jedoch anders als das unten an der Küste. Kein Tourismus. Auf dem Land eben. Wenig Verkehr. Mehr Wind, je weiter ich nach Norden komme.

                                                                                                                  Stures Fahren ohne Verstand. Auf die Geräusche vom Fahrrad hören. Weshalb knackt es unten, hinten, vorne? Warum vibriert das Vorderrad ganz leicht? Ist das nur der Straßenbelag, oder die Ankündigung einer Panne? Mit jeder Stunde wird das Rasseln der Kette lauter. Ein Tropfen Öl wird das am Abend abstellen.

                                                                                                                  Das rechte Knie tut weh. Nicht viel. Besser ignorieren. Mit jeder Umdrehung der Kurbel meldet sich das Knie zuverlässig. Dann doch auf das Knie konzentrieren. Stundenlang. Wird es schlimmer, je mehr ich auf das helle Stechen achte, das direkt aus der Kniescheibe zu kommen scheint? Geht es weg, wenn ich nicht an das Knie denke? Das weiß ich nicht. Ich denke ausgiebig an das rechte Knie, jenes das ich mir noch in Spanien verdreht habt. Am letzten Kreisverkehr vor der Grenze. Als ich mir mit der leeren Zugmaschine aus Portugal ein Beschleunigungsrennen geliefert und absehbar verloren habe. Der Fuß hat verdreht auf dem rechten Pedal gestanden. Mehrere mit äußerster Kraft getretene Kurbelumdrehungen lang hat sich das Knie nicht gemeldet. Erst als der Lastwagen auf und davon ist, war das Stechen da, und dann auch wieder weg. Heute bekomme ich endgültig die Quittung, oder? Stunde um Stunde beschäftigt mich das Knie. Ich will nach Hause und das schneller als runterzu. Ein kaputtes rechtes Knie hindert nur.

                                                                                                                  Cruas - Centrale nucléaire

                                                                                                                  Denke ich nicht ans Knie, höre ich nicht auf das Knacken, Fiepen, Rasseln des Fahrrads, beschäftigt mich der Wind. Wird es stärker, oder bilde ich mir das nur ein. Doch, sicher, der Wind legt zu. Oder liegt es an dem engen Taleinschnitt, in dem der Wind beschleunigt? Wird es hinter der Kuppe erträglicher werden, obwohl ich immer weiter nach Norden gegen den Nordwind fahre, wenigstens die Straße hinab? Weshalb vibriert der Lenker? Warum ist der Spiegel plötzlich verstellt? Ist der Schmerz im Knie weniger oder mehr geworden? Würde ein Verband aus Diclofenac helfen? Habe ich Diclofenac in den Packtaschen? Nein. Soll ich stattdessen eine halbe Palette Aspirin schlucken? Was macht der Wind? Der treibt die Wolken immer schneller vor sich her. Ist das Einbildung?

                                                                                                                  Zeigt der Pfeil am Tacho, der die Welt in über und unter dem Durchschnitt teilt, öfter nach unten oder öfter nach oben? Was ist mit dem Knie? Fahre ich schon lange unter dem Durchschnittstempo? Das Knie tut nicht mehr weh. Endlich! Doch, jetzt, wo ich daran denke, kommt das Piksen auf der Kniescheibe zurück. Zu früh gefreut. Die Kette rasselt lauter. Soll ich jetzt ölen, damit ich wenigstens die aus dem Kopf habe? Das Schaltröllchen rattert ebenfalls. Dreck oder fehlt Öl? Oder verstellt? Das Knie, was macht das Knie, das von den leeren 460-Volvo-PS vorgeführte Knie? Eben, beim Schaltröllchen-Rasseln war es gut, nun tut es wieder weh. Die Schlaglöcher fühlen sich so weich an. Fehlt Luft im Hinterrad? Soll ich nachschauen. Das geht aus dem Sattel. Sieht gut aus, der Reifen. Besser anhalten und den Manometer aufstecken? Was sagt das Knie dazu, die Schaltung und die Kette, das Schaltröllchen und überhaupt, was sagt der Wind dazu? Der ist stärker geworden. Vor lauter Wehklagen ist mir das nicht direkt aufgefallen. Jetzt brennt der Hintern. Fahre ich mich wund, fahre ich mir eine Blase am Hintern, oder scheuert es nur? Das ist nun wirklich alles Einbildung.

                                                                                                                  Cruas - Basilique de Cruas

                                                                                                                  Abends gibt es endlich den ersten Kaffee des Tages, Instandbrühe aus dem Titantopf vor dem Zelt. Nebenan stehen die Zelte zweier alter Franzosen. Kurz vor dem Siebzigsten sind sie. So sehen sie auch aus. Die beiden sind auf ihrer alljährlichen Radtour durch ihr Land. Diesmal von Narbonne die Rhône hoch bis in die Lorraine. Über eine andere Strecke zurück ans Mittelmeer. Sie sind auf dem Rückweg zu ihren Frauen. Jeden Tag starten die Alten pünktlich um 5 Uhr mit dem Morgengrauen. Jeden Tag, Ausnahmen gibt es keine. Zwei preußische Franzosen. Dafür liegen sie am frühen Abend um Sieben auf der Luftmatratze. Morgen wollen die beiden zur Ardèche. Mit dem Gedanken hatte ich schon vor dem Mittag gespielt, als ich über die Brücke bei Saint-Just gefahren bin. Am Kreisverkehr sind so viele Autos Richtung Fluss abgebogen, dass der Verzicht nicht schwer gefallen ist.

                                                                                                                  Was macht das Knie am Abend? Keine Ahnung. Was soll damit sein? Dem Knie geht es gut. Was macht die Luft im Hinterrad? Das Manometer hat auf den Strich genau bestätigt, dass der Blick aus dem Sattel nicht geirrt hat: Luft genug. Die Kette, das Schaltröllchen? Ein wenig Öl und alles läuft so leise wie gewohnt. Der Wind? Welcher Wind? Doch, doch, der ist heftig gewesen. In den Schlafsack falle ich kaputt wie selten zuvor. Dem Flusstal werde ich unter keinen Umständen weiter folgen. Morgen wird es zwischen den Berghängen das enge Tal hinunter blasen. Neue Richtung, Schweiz, weg vom Wind.

                                                                                                                  Fünfter Tag: Alte Geschichten
                                                                                                                  Tain-l'Hermitage – Les Abrets (Campingplatz)

                                                                                                                  Dem Wind gefällt die Kurve. Eine Beschleunigungsstrecke wie aus dem Lehrbuch. Mit Macht stürmt er das Tal hinunter, legt sich in der langen Rechtskurve an die steilen Hänge an, beschleunigt und rauscht ums Eck. Das Wasser der Rhône wirft niedrige Wellen. Dünne Bäumchen zwischen Ufer und Leitplanke biegen sich bis auf den Boden. In Böen fauchend, dann wieder nur brausend, jagt der Mistral das Tal hinunter. Die Rechtskurve des Windes, ist meine Linkskurve. Wo der an Tempo zulegt, werde ich mit Macht gebremst. Bei harten Böen schlingere ich an den Fahrbahnrand, ins Grün, wenn ich Pech habe, gegen die Mauer. Verpasse ich das Nachlassen der Bö, lande ich ehe ich mich versehe auf dem Mittelstreifen der N 7. Der Fahrer eines Tanklastzuges sieht wie ich kämpfe, mich quäle. Den Überholvorgang bricht er auf meiner Höhe ab, drosselt das Tempo und bleibt eine Armlänge neben mir. Was soll das? Idiot, überhole gefälligst! Es braucht ein paar Augenblicke, bis mir klar wird, was er da macht. Windschutz durch einen 40-Tonner. Ich nehme alles zurück. Die ganze lange Linkskurve vor Ponsas bleibt der hellblaue Auflieger neben mir. Nichtsdestotrotz klettert der Tacho nicht weit über Schritttempo hinaus. Erst auf der Geraden, als der Wind genau von vorne kommt, beschleunigt der Fahrer seinen Tanklaster. Hinterm Steuer saß bestimmt ein Radfahrer. Merci.


                                                                                                                  Bei Hauterives

                                                                                                                  Wenig später verlasse ich in Saint-Vallier das Tal der Rhône. Die wenigen Kilometer bis hierhin waren eine einzige Quälerei. Zwei Stunden Fahrt für 16 Kilometer! In der Schlucht zwischen dem Städtchen und Saint-Uze ist es windstill. Dahinter kommt die Autobahn. Danach bin ich aus Südfrankreich raus. Grüne Wiesen, Kühe, Bauernhöfe, Buchenwälder, weite Täler, beinahe Ebenen. Dörfer, die nicht mehr nach Süden aussehen. Mitteleuropäisches Bauernland. Erstaunt drossele ich das Tempo. Dass das so schnell gehen kann. Ist der Urlaub zu Ende? Fängt hier die eigentliche Rückfahrt an?

                                                                                                                  D 121 bei Moras-en-Valloire

                                                                                                                  Der Wind hat abgeflaut. Schirmt das bisschen Berg das Hinterland so sehr vom Mistral ab? Lange Geraden, wenige Kurven. Schon auf dem Kartenblatt schaut es nach einer einfachen Strecke aus. Zweimal werde ich sehr niedrige Hügel queren müssen, die sich als allerallerletzte Ausläufer der Westalpen nach der Eiszeit noch gehalten haben. Dörfer ohne Menschen auf den Straßen. Ein Rennradfahrer schließt auf und bleibt eine zeitlang an meinem linken Ellenbogen kleben. Es dauert lange, bis er einsieht, dass seine Kommunikationsversuche ins Leere führen. Auf schöner, aber welliger Strecke auf halber Hanghöhe durch das Tals des Bourbre. Der Wind ist wieder da. Nicht viel, nicht von vorne. Ein Abstecher zum Château de Pupetières. Vergebens. Nocht ist für die Öffentlichkeit nicht geöffent. Die Saison beginnt nächste Woche.

                                                                                                                  Beaurepaire, La Côte-St-Andrè. Zwischen den Dörfern bin ich vor acht Jahren gewandert. Nicht hier unten auf der Straße, oben über den langgestreckten Hügelkamm, durch den Wald. Erinnerungen von unten? Keine! Le Grand-Lemps. Mit Mühe finde ich die Kirche wieder, vor der wir vor Jahren unser blaues Auto eine Woche geparkt hatten. Unterwegs suche ich nach Erinnerungspunkten, nach Blicken, die ich schon einmal gesehen habe. Nichts. Mit Regenschauern hoch nach Les Abrets. Oben weht der Wind. Also doch. Den Schildern zum Campingplatz hinterher. Camping Le Coin Tranquille, auf dem bin ich vor neun Jahren schon einmal gelandet. Daran erinnere ich mich gut. Damals war ich als Wanderer von zu Hause aus gestartet. 2004 während der Fußball-Europameisterschaft ist das gewesen. Schon kurz nach der Jahrtausendwende war der Platz von Holländern überlaufen. Kein Wunder, als Hollands Campingplatz des Jahres 2000. Mir blieb nur das Staunen über ein Stück Holland in der Fremde. Ein Camping wie ein VW Golf: zuverlässig, vorhersehbar, ordentlich, ruhig, langweilig. Das hat sich nicht geändert.

                                                                                                                  Château de Pupetières

                                                                                                                  Weil der Platz schon damals schweineteuer gewesen ist, durfte der vorsorglich organisierte Pilgerausweis erstmals ran. Auf den hat es zu der Zeit noch ordentlich Rabatt gegeben. Die Holländer, die immer an der Rezeption herumlungern, haben nicht schlecht gestaunt. Ein Pilger! In dieser Gegend im Jahr 2004 ein Exot. In dem Glauben habe ich sie gelassen. Im Nu ist das über den Platz gegangen. Als mein oranges - jenes aus den Fußballstadien bekannte Oranje boven-Orange - Zelt aufgebaut war, hatte ein Mann aus einem der Wohnwagen am anderen Ende der Zeltstraße zielstrebig mein Zelt angesteuert. In der einen Hand hielt er Messer und Gabel, in der anderen einen großen Teller Bratkartoffeln mit Schnitzel und Salat. Bei „Ik ben geen Nederlander” hatte seine Hand nur ganz kurz gezuckt. Wirklich nur ganz kurz, kaum dass ich es wahrnehmen konnte.


                                                                                                                  An der D 73 vor Virieu

                                                                                                                  Es ist wieder ein Pilger auf dem Platz. Nicht ich. Diesmal ist es ein Dauercamper. Gegenüber am ausgestellten Wohnwagenfenster dreht sich eine Jakobsmuschel im Abendwind. Es wird ein schwieriger, anstrengender Ausklang des Tages. Radebrechend, händeringend wühlen wir zwei uns durch unsere Pilgerwege und -geschichten. Vor zwei Jahren ist mein heutiger Platznachbar von hier in drei Monaten nach Santiago de Compostela gepilgert. Er ist Frührentner der SNCF, der französischen Staatsbahn, und hat die Zeit dafür. Auf dem Platz übernachten nicht mehr so häufig Pilger, was er sehr bedauert. Erst durch einen dieser Übernachtungsgäste ist er auf den Jakobsweg aufmerksam geworden. Der führt immer noch draußen an der Schranke vorbei. Muschelwegweiser sind keine mehr zu sehen.
                                                                                                                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 18:20. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                                                  .

                                                                                                                  Kommentar


                                                                                                                  • Werner Hohn
                                                                                                                    Freak
                                                                                                                    Liebt das Forum
                                                                                                                    • 05.08.2005
                                                                                                                    • 10870
                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                    #58
                                                                                                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                    Sechster Tag: Müde
                                                                                                                    Les Abrets – Seyssel (Campingplatz)

                                                                                                                    Mit Irrfahrten in den Morgen. Mit überflüssigen Steigungsstrecken in den Tag. Anstatt in die Karte zu gucken, fahre ich nach Erinnerung. Die Orte auf den Straßenschildern kommen mir bekannt vor, die haben Jahre im Hinterkopf überlebt. Falsch. Im Kreis über allerkleinste Landsträßchen rund um den Campingplatz. Erst als der Schulbus mit der auffälligen Reklame von vor einer halben Stunde mit seiner zweiten Tour, vermutlich Kindergartenkinder, zum zweiten Mal wegen mir auf den Grünstreifen ausweicht, dämmert es. Eine ganze Stunde ist verschenkt. Die Minuten an den Steigungen zählen doppelt. Und das ausgerechnet an diesem Tag. Heute will ich bis zum Genfersee fahren. Schon vor den Irrfahrten ahne ich, dieses Ziel wird pures Wunschdenken bleiben. Doch aufgeben gilt nicht - nicht schon in der Früh.

                                                                                                                    Bei La Balme-de-Sillingy

                                                                                                                    Am Mittag fahre ich immer noch nach Genf. Im Kopf ist das keine große Sache. Doch die Beine denken nicht, hängen keinen Tagträumen nach, die Beine sind müde und tun weh. Keine Kraft fürs schnelle Rollen gen Genf. Ausgerechnet in den letzten Stunden müsste ich dann noch einmal über einen Berg. Die Gedanken an den langen Anstieg auf den Schlusskilometern machen die Beine noch schwerer. Die Oberschenkel überrollen den Kopf.

                                                                                                                    Viele Pausen summieren sich am Nachmittag zu zwei Stunden. Nach all den Irrfahrten ist erneut die Rhône die Richtschnur für den Weg in die Schweiz. Während ich diagonal über das Land abkürzen konnte, musste der Fluss einen sehr weiten Bogen über Lyon machen. Zwei Tage habe ich gespart. Aus dem breiten Fluss ist ein breiter Bach geworden, der schnell fließt. Schiffe auf dem graugrünen Wasser gibt es nun nicht mehr. Selten sehe ich die Rhône an diesem Tag. Meist nur auf den Verkehrsschildern. Hier scheinen die Dörfer auf den Zusatz -sur-Rhône keinen Wert zu legen.

                                                                                                                    Mittagessen aus dem spärlich bestückten Kühlregal eines Supermarkts. Sandwiches zu 99 Cent das Stück. Schon in der dreieckigen Plastikpackung sind die unappetitlich anzuschauen. Der Geruch erinnert an Salatdressing. Ekel macht sich im Hals breit. Der Hunger treibt vier dieser pampigweichen Dreiecke mit der Geschmacksrichtung “Unbekannt” runter. Ein Restaurant gibt es weit und breit nicht. Vom Döner oder Bic Mac gar nicht zu reden. Allertiefste französische Provinz mit dem Willen, das soll so bleiben.

                                                                                                                    Château de Mécoras

                                                                                                                    In Seyssel steige ich vom Rad. Genf ist zwar nah, doch von den Beinen her in sehr weiter Ferne. Die Steilstrecke durch die Montagne de Vuache wird um einen Tag verschoben. Mit ausschlaggebend sind auch der große Carrefour-Supermarkt gegenüber des städtischen Campings und die Musik, die von der Terrasse des Platzrestaurants bis zur Straße schallt lockt auch. Unbekannte französische Rockmusik. Am Wochenende findet ein kleines Musikfestival auf dem Platz statt. Der junge, ungebremsten Enthusiasmus versprühende Platzwart rattert im Stakkato die Namen der einheimischen Bands runter, die in zwei Tagen ihren Auftritt haben werden, erst dann verlangt er das Geld und das Anmeldeformular soll ich bitte selbst ausfüllen. Mir gefällt es hier. Um zu zeigen, was ich verpasse wenn ich am kommenden Tag schon abreise, dreht er die Musik lauter.

                                                                                                                    Später kommt ein alter Japaner mit Reiserad auf den Platz. Kaum steht sein Zelt, sitzen wir zusammen. Er wird im Herbst siebzig. Es ist seine achte Radtour in Europa. Wir quatschen übers Radfahren, über das in Europa und das in Japan. Europa ist toll fürs Fahrrad, Japan, schlecht, wenn nicht sogar miserabel. Übers Essen. Das in Europa ist miserabel. Über die Supermärkte. Die in Europa gehen so. Immerhin gibt es Reis, der meist so so lala ist. Übers Alter. Das, was alte Männer so von sich geben. Über die ViaRhôna, die auf seinen Ausdrucken von Google Maps durchgängig zum Mittelmeer führt. Da will er hin. Von Genf bis Seyssel hat er schon gelernt, dass hinter der blauen Linie durch die Google-Welt Wunschdenken steckt. Einen Radweg hat er nicht gefunden. Doch ohne die Google-Welt ist er in Europa verloren. Google macht die Welt zweisprachig, bringt seine japanische Schrift an die Rhône. Wir reden über Packtaschen. Seine sind von Ortlieb. Einmal das Komplettprogramm rund ums Fahrrad. Alles in Ortlieb-Gelb-Schwarz. Er schwört drauf. In Japan gibt es keine Fahrradtaschen in der Qualität von Ortlieb. Wir reden über Stühle. Er hat einen ohne Stuhlbeine. Nur Sitzkissen mit Rückenlehne, die von einem nach hinten ragenden Aluverhau in den Rücken stützender Form gehalten wird. Ein Kompromiss, ein miserabler, sagt mein neuer Bekannter. Wir reden über meinen Stuhl. Der Helinox ist klasse. Ich sehe ihm an, dass er den gerne mitnehmen würde. Ja, keine Frage. Ob ich mit 100 Euro zufrieden bin? Keine Woche mehr, dann sei ich zu Hause. So schwer es mir auch fällt, der Stuhl bleibt meiner.


                                                                                                                    Seyssel

                                                                                                                    Es ist ein schöner Nachmittag geworden. Einer der schönsten überhaupt seit Beginn der Heimfahrt. Französische Rockmusik weht von der Terrasse hinab, vorne rauscht die Rhône und mit der untergehenden Sonne strahlt Seyssel in kräftigen Farben. Neben der Brücke im Ort steht ein Radwegweiser mit der Aufschrift du Léman à la mer. Umkehren?

                                                                                                                    Siebter Tag: Der erste Grenzübertritt
                                                                                                                    Seyssel – Rolle/Schweiz (Campingplatz)

                                                                                                                    Zweifel kommen auf. Da soll ich hoch? Der Radwegweiser nach Genf am Straßenrand zeigt kurz vor Frangy nicht nach Frangy. Der Wegweiser für die Autos zeigt nach Genf, das aber nicht den Berg hoch, sondern flach hinüber Richtung Frangy. Das ist der erste Wegweiser für Radfahrer nach Genf für diesen Tag. Über Frangy, über die höchstwahrscheinlich gut laufende D 992 auf direktem und schnellen Weg in die Schweiz, oder soll ich dem Wegweiser fürs Rad folgen? Über Frangy scheint kürzer zu sein. Was soll die Grübelei. Ab, den Berg hinauf. Überraschen lassen, wohin die Radwegplaner mich führen. Steil auf schmaler Straße den Berg hinauf. Schwitzen sogar in der frischen Morgenluft. Oben bietet sich eine tolle Sicht zurück ins Tal.


                                                                                                                    Bei Crêt de Feu/Tanay

                                                                                                                    Am Horizont verläuft die A 40. Das Rollen schwerer Lkw-Reifen trägt der Wind bis hier hin. Die Windböen prallen ab von der senkrechten, kahlen Wand der Montagne de Vuache, und machen mir das Leben im Aufstieg zusätzlich schwer. Ein kleines Bauerndorf ohne Bauern nach dem anderen. Verstreute Bauernhöfe auf grünen Wiesen. Vieles hier sieht nach Wochenendhaus und Altersruhesitz aus. Überhaupt, vieles sieht hier nach Schweiz aus. Ein alter, von den Zeit verblasster Wegweiser an einer Kreuzung zeigt die Richtung nach Genf an. Alte Befestigungsanlagen auf einer Bergkuppe. Von der Straße, Blicke tief hinunter zur Rhône. Vor lauter Wald und Hügel ist die oft nicht zu sehen. Wenn dann doch einmal , verschwindet der Grenzfluss nach wenigen hundert Metern hinter der nächsten Biegung.

                                                                                                                    An der Grenze bei Chancy/Schweiz

                                                                                                                    Das kalkweiße Fort l'Écluse klebt wie ein Schwalbennest am Hang. Von hinten drücken schwere Kieslaster die enge Bergstraße hoch. Der Platz zwischen Leitplanke und senkrechter Felswand ist knapp. Das Fahrrad ist im Weg. Keine Zeit für ein anständiges Foto. Noch einmal um einen Bergvorsprung, dann sollte Genf zu sehen sein. Fehlanzeige. Im Dunst sind nur Flugzeuge im Landeanflug zu erkennen.

                                                                                                                    In Chancy überquere ich die Grenze zur Schweiz. Augenblicklich wird der Straßenbelag perfekt. Fast auf der Grenzlinie liegt im Gebüsch eine dreisprachige Warntafel. HALT – SCHIESSGEFAHR Durchgang verboten. Ja, jetzt bin ich in der Schweiz. Es ist die erste wirkliche Grenze auf meiner Fahrt. Zwar fehlen alle Insignien einer Grenze, doch Zweifel sind nicht angebracht. Perfekte Radwegausschilderung. Kopfzerbrechen bereiten die Vielzahl der Routen. Links die Straße rüber nach Genf, geradeaus der Steigung folgend nach Genf? Geradeaus ist immer gut. Geld brauche ich auch. Fremdes Geld. Wiederauferstehung eines Rituals, das lange vergessen schien: nach dem Grenzübertritt zur erstbesten Wechselstube oder zum ersten Geldautomaten. Nahezu ins Zentrum muss ich fahren, bis ich einen Geldautomaten finden. Sag noch einer, in der Schweiz dreht sich alles um das Geld. Oder haben die Schweizer aus Angst vor den amerikanischen Finanzminister vorsorglich abgerüstet? Der Bankgeheimnis ist jedenfalls futsch.

                                                                                                                    Platinis Volkssport

                                                                                                                    Für eine Straßenkarte der Westschweiz und eine Tafel Ovomaltine-Schokolade geht der erste Frankenschein drauf. Als Kraftfutter geschätzt seit unserer Durchquerung der Schweiz vom Bodensee zum Lago Maggiore auf dem Europäischen Fernwanderweg E1, ist die Schokolade ein Muss an diesem Tag. Auf den Fahrradstreifen der Stadt toben sich Motorrollerfahrer beider Geschlechter aus. Grauer Anzug, neben kurzem Schwarzen. Obendrauf ein Helm, vors Gesicht eine verspiegelte Sonnenbrille – und ich steh in den Abgasen. Genf sehen und weiterfahren. Immer auf dem Radweg am Genfersee entlang. Feine Villen hinter mannshohen Mauern am Seeufer. Eine nach der anderen. Kamerabewehrte Tore. Blickdichte Grünanlagen. Mir bleibt der Blick auf die Straße und den Parkstreifen. Fürs gemeine Volk bleiben hin und wieder freie Seegrundstücke, ein paar Strandbäder. Der Sommer ist noch nicht so weit. Die Anklage der leeren Liegewiesen ist eindeutig. Kein Blick auf die so nahe Alpenkette am anderen Seeufer ist mir vergönnt. Der verdammte Mittagsdunst deckt alles zu.


                                                                                                                    Schloss von Rolle

                                                                                                                    Spontane Vollbremsung in Nyon. Die UEFA, das Reich des Michel Platini, hat einen Protzbau ans Seeufer gestellt. Abbiegen vor den Augen des Wachmanns, der schon oben auf dem Bürgersteig aufpasst, dass den Fußballbonzen keiner in die raumhohen Fensterfronten schaut, und das Rad in der flachen Einfahrt ausrollen lassen. Über einen Weg im Park kommt die schwedische Frauen-Fußball-Nationalmannschaft im Gänsemarsch. Sogar ein diplomierter Fußballdepp wie ich, weiß, dass das Schwedinnen sind. Alle sind blond? Nein, alle tragen gelb-blaue Trainingsanzüge. Ein schnelles Foto der UEFA-Säule, dann ist der Wachmann vom Bürgersteig auch schon zur Stelle. Das Gelände ist unverzüglich zu verlassen! Alles klar. Volkssport Fußball. Nein, nicht diese Einfahrt hoch, die andere! Einbahnstraßenregelung. Ordnung muss sein.


                                                                                                                    Nachbau einer Genfersee-Barke vor Rolle

                                                                                                                    Camping am Seeufer in Rolle. Ein nicht mehr erhoffter warmer Sommerabend. Leider ohne Gesellschaft. Jeder ist hier gerne für sich. Auf dem See findet eine kleine Regatta statt. Farblose schlaffe Segel im Dunst. Das Zelt steht auf der grünsten Wiese der Tour. Ach was, auf einem Rasen. Das Handtuch soll ich bitte vom Lattenzaun nehmen. Das macht man hier nicht. Gut, dann flattert es halt mit vier Wäscheklammern gesichert an der aus einer Abspannschnur improvisierten Wäscheleine. Muss ich das Fahrrad für die Nacht anschließen, hier wo alles seine Ordnung haben muss?

                                                                                                                    Achter Tag: Drei-Seen-Tag
                                                                                                                    Rolle – Le Landeron/Bieler See (Campingplatz)

                                                                                                                    Am Aufstieg nach Lussery

                                                                                                                    Wie komme ich vom Genfersee zum Lac de Neuchâtel? Nach Lausanne hinein und dann nach Nordwesten abbiegen, auf die kleinen, wenig befahren Landstraßen zwischen den beiden Seen ausweichen, oder schon vorher das Seeufer verlassen, damit mir die Stadt erspart bleibt? Die Entscheidung nimmt mir der Straßenwegweiser nach Yverdon-les-Bains ab. Vor Lausanne links hoch ins Land. Unter grauem Himmel ein klein wenig umherirren, bis ich auf die Schilder der Mittellandroute stoße. Mich erstaunt nicht, die mehr oder weniger „motorfahrzeugfrei“ vorzufinden, was mit einer Wegführung auch über schlammige Waldwege erkauft wird. Da geht im Kopf die Schublade mit den Schimpftiraden auf.

                                                                                                                    Warum nur bin ich dem Radwegweiser gefolgt? Kann man so blöd sein? Ja, man kann. Denn die Hoffnung, dass auf der Mittellandroute Steilstrecken eher nicht den größten Anteil stellen werden, dass mich die zuverlässige – wer wird die Schweizer Gründlichkeit anzweifeln? - Ausschilderung dahin führen wird, wo ich hin will, hat mal wieder meinen Grundsatz, den direkten und schnellen Weg über die Straße vorzuziehen, den Weg aller Grundsätze nehmen lassen: grundsätzlich sind Grundsätze gut, doch mit dem Leben haben sie nichts gemein. Gelbe Wanderwegweiser einträchtig an einem Pfosten neben den burgunderroten Schildern der Radroute, und das mitten im Buchenwald. Sehr viel schneller als zu Fuß komme ich nicht voran. Straße? Bei der ersten Straßenquerung kneife ich noch. Weiter der Mittellandroute hinterher. Bei der zweiten reicht es mir. Karte raus und gut ist.


                                                                                                                    La Sarraz - Schloss

                                                                                                                    Das hier ist nicht die Schweiz aus den Hochglanzbroschüren der Schweiz Tourismus. Hierher verirren sich nicht die Bergwanderer und Platin-Kreditkarten-Urlauber. Die schicke Schweiz ist am Seeufer unter grauem Himmel zurück geblieben. Überhaupt, was macht der nahende Sommer? Er macht einen Bogen um die Schweiz an diesem Morgen. Am Mittag immer noch. Mittagspause auf der Bank vor der auf dem Feld stehenden Kirche in Lussery. Regentropfen fallen aus den grauen Wolken. Nur wenige, doch mir verderben sie die Laune.

                                                                                                                    Römischer Meilenstein bei den Mosaiken von Boscéaz bei Orbe

                                                                                                                    Orbe mit der der großen Nestle-Fabrik am Stadtrand. Auf den Gleisen stehen lange Güterzüge. Ein Silowaggon an dem anderen. Nespresso lese ich in großen weißen Buchstaben auf jedem Waggon. What else? Ob der George Clooney gleich ums Eck kommt? Die Blonde, die mit dem immer gleichem Lächeln, würde ich bevorzugen. Noch lieber wäre mir der John Malkovich, der macht für eine Tüte Kaffeekapseln den Weg in den Himmel frei. Musste der deshalb der Blonden weichen? Doch, doch, der Malkovich in dem weißen Anzug, wenn der dereinst vor der letzten Tür stehen sollte, das könnte mir gefallen. Jedoch muss ich vorher noch unser Kaffeesystem anpassen. Mit den falschen Kapseln in der Papiertüte möchte ich nicht vor ihm stehen. Der würde mir die Tür nicht öffnen.

                                                                                                                    Krachen lassen ab Yverdon. Immer auf der Straße am Seeufer vorbei. Wellig hoch, wellig runter im steten Wechsel. Der Lac du Neuchâtel ist bei weitem nicht so mondän die der Genfersee. Wasser mit Land drumherum. Mit Karacho das Schloss Vaumarcus verpasst. Die Finger springen zu den Bremshebeln und greifen nicht zu. Geschwindigkeiten jenseits der 40 soll man nicht zum Stillstand bringen. Über die Dächer von Neuchâtel schiebt sich eine graue Wolkendecke nach der anderen. So weit weg wie heute war der Sommer schon seit ewigen Zeiten nicht mehr. In der Stadt wuchert eine Zeltstadt. Der Zirkus Knie begräbt öffentliche Plätze, ganze Straßenzüge unter sich.

                                                                                                                    In Neuchâtel

                                                                                                                    Am Nachmittag baue ich das Zelt in Le Landeron auf. Ich bin am Bieler See. Eine unsichtbare Grenze verläuft hier. Deutsch umweht mich nun wieder. Freue ich mich? Die kleinen Boote an den kurzen Stegen unten im Yachthafen verschwinden alle unter Planen. Sommer wo bleibst du? Landerons Zentrum ist reinstes Museum. Das "Museum" hat keine Besucher am Nachmittag. Abends werde ich wiederkommen. Die Speisekarte an der Mauer des Restaurants scheint bezahlbar. Oder rechne ich falsch um? Mir fehlt die Übung. Waren das noch Zeiten. Gut, dass sie vorbei sind.


                                                                                                                    Bieler See

                                                                                                                    Ein wackeliger, dünnbeiniger Tisch ,auf dem sich leere Bierflaschen drängen. Zwei rostige Campingstühle, deren Stoffbespannung den Sommer nicht überstehen wird. Stilleben unter Laubdach auf Schweizer Camping. Wer hätte das gedacht. Später hält ein mit Rostfahnen dekorierter Mercedes Sprinter am Tisch. Zwei junge Franzosen, meine Nachbarn für den Rest des Tages, laden mich zum Abendessen ein. Englisch kann einer, der muss dann für den Rest des abends dolmetschen. Der andere kocht. Ob ich mitessen möchte. Nein, danke. Drüben im Ort, das Restaurant …

                                                                                                                    Man ist in den Fraises, und man ist unzufrieden. Mit der Polizei in der Schweiz, weil wegen der sind sie auf dem viel zu teuren Campingplatz. Mit dem Vorarbeiter, der kommt aus Polen. Mit den Kollegen vom Erdbeerfeld, die kommen aus Polen. Mit den Vorgaben, die sie bekommen haben. Mit allen Vorgaben. Wie die Erdbeeren nach dem Pflücken auszusehen haben. Auf keinen Fall wie in ihren ersten Kisten, matschig. Welche Farbe die Erdbeere haben muss. Auf keinen Fall wie in ihren ersten Kisten, mit grünen Stellen. Wie klein die kleinsten Erdbeeren sein sollen? Auf keinen Fall so klein wie in ihren ersten Kisten. Die Arbeitszeit ist auch zu lang. Zwölf Stunden auf dem Feld, um dann mit einem Stundenlohn von 14 Franken abgespeist zu werden. Das nur, wenn es keine Beanstandungen gibt. Bei den Polen gibt es nie Beanstandungen. Bei ihnen oft. Beide werden morgen nicht mehr aufs Feld gehen. Rückenschmerzen und ein paar Hunderter hat man schlieplich schon gespart. Das muss reichen.


                                                                                                                    Le Landeron

                                                                                                                    Arbeitsnomaden wie man sie auf vielen Campingplätzen findet. Die meisten sind Saisonarbeiter im Dienst des urlaubenden Mitteleuropäers. Ohne sie wird nicht nur auf Schweizer Gemüsefeldern die Ernte verfaulen, auch auf den großen katalanischen Campingplätzen geht ohne diese Nomaden nichts. An den Kassen, in der Wäscherei, im Handwerkerschuppen, in den Blumenbeeten, beim Müll arbeiten über den Sommer Menschen aus der Extremadura, aus Andalusien oder aus einen der anderen Armenhäuser Spaniens. Dass Franzosen ebenfalls zu diesem Heer gehören, ist mir neu. Das liegt wohl an den Besonderheiten der Schweiz. 14 Franken die Stunde fürs Erdbeerpflücken! Soll ich meine Frau anrufen, es wird später werden? Benötige ich Arbeitspapiere?

                                                                                                                    Neunter Tag: Transitradeln
                                                                                                                    Le Landeron – Lörrach/Deutschland (Campingplatz)

                                                                                                                    Heute soll der Tag in der Republik enden. Lörrach wird es werden. Da bin ich mir ganz sicher. Vereiteln können das nur Pannen in Serie. Bis jetzt haben Pannen einen großen Bogen um die Tour gemacht, warum ausgerechnet heute? Nein, darum muss ich mir keinen Kopf machen. Vom Bieler See, dem am Nordwestufer Bahnlinie, Straße und Radweg so nahe treten, dass sein Wasser oft unter hangabschneidenden Brücken ans Ufer plätschert, sehe ich nicht viel. Fahren, stoppen fürs Foto, fahren. Stures Radfahren am Seeufer vorbei. Radweg, Straße, Radweg, Straße, gekiester Radweg, Radweg, Straße, Stadt, Biel. Café an der Hauptstraße, Kaffee. Fahren.

                                                                                                                    Zwischen Biel und Sombeval

                                                                                                                    Straßenschilder nach Delémont, auf der anderen Seit des Jura. Fahren, jetzt den Berg hoch. Lastwagen um Lastwagen kommen den Berg hinunter. Sicheres Zeichen, dass die gewählte Strecke nicht so steil sein kann. Runter mit den Gängen. Nicht so weit runter, wie beim Start vor zwei Monaten. Viel größere Gänge trete ich jetzt, als müsse ich mir selbst etwas beweisen. Ja, muss ich. Die Schinderei an manchen Tagen muss auch was Gutes gehabt haben. Fahrbahnteilung. Der Gegenverkehr ist weg. Randstreifen durch Tunnel, entlang der Straße. Sorgen, in den dunklen Tunneln übersehen zu werden. Licht an. Zweihundert Meter hinterm Tunnel, das obligatorische Schild, mit dem Scheinwerfer und dem Fragezeichen. Licht noch an? Ich tu mal so, als sei das wichtig. Nach vorne beugen, am Ring drehen. Ja, das Licht ist nun aus. Das Bundesdeutsche Verkehrsministerium will am helllichten Tag alle Autos mit Licht auf der Straße sehen. Der ADFC ist dagegen, weil die die Fahrräder am Tag mit Licht auf den Straßen haben wollen. Wenn alle mit Licht fahren, fallen Fahrräder nicht mehr auf. Ich fahre ohne Licht. Ist schließlich die Schweiz hier.

                                                                                                                    Das mit Sorge erwartetet Verbotsschild für Radfahrer ist schon von weitem zu sehen. An einem Kalksteinbruch muss ich runter vom Seitenstreifen. Die lärmende Schnellstraße verschwindet in Tunneln. War alles Bergfahren für die Katz? Glückliche Schweiz. Nebenan ist eine ruhige Straße. Autoverkehr? Fehlanzeige! Ein Ortsschild: Péry. Wie im Urlaub ist das hier. Grüne Wiesen, schmucke Häuser, Schweizer Nationalflaggen und keine Schilder „Zimmer frei“. Hier könnte man Urlaub ohne Urlauber machen.


                                                                                                                    Gorges de Court

                                                                                                                    Eine letzte Höhenmeter vergeudende Gefällstrecke nach Sonceboz-Sombeval vor dem letzten Anstieg zum Col de Pierre-Pertuis. 827 Meter steht auf dem blauen Schild. Der höchste Punkt meiner Radtour. Auf dem Tacho steht 3002. Knapp verpasst, aber immerhin. Ab hier geht es bis an den Rhein nur noch bergab. Siebzig Kilometer das Rad laufen lassen. Anfangs steil, gefolgt von einem langen, langen Auslauf nach Basel. Radwege ignorieren. Die Supermärkte sind geschlossen wegen der Mittagspause. Ach, Schweiz. dir geht es gut. Weiter unten sei einer, der habe offen. Die alte Frau mit der großen Einkaufstasche meint es gut. Dort könnte ich etwas essen. Sie ahnt nicht, dass ich keine Zeit habe. Zwei trockene Brötchen auf die Hand und ein Flasche Wasser würden mir reichen.

                                                                                                                    Courrendlin - Tour de l'Horloge

                                                                                                                    Die Gorges du Court ist so breit wie die Teerstraße. Keine Zeit. Schnelles Foto und weiter. Gorges de la Birse, ebenso ein Stern in der Karte. Sehenswert. Hindurch! Links und recht der Straße ein Stahlwerk. Von Roll! Der Stahlbaron der Schweiz? Keine Zeit. Weiter. An der Straße ein komischer Turm, mitten in Courrendlin. Halt. Foto. Weiter.

                                                                                                                    Die Sprache mäandert über die Ortsschilder. Französische Namen auf den Firmenschildern. Erst ab Laufen rolle ich auf sprachlich sicherem Boden. Eine Containerbackstube am Straßenrand. Ein Schwizerdütsch-Türke hinter der Theke. Keine Sprachprobleme mehr. Brötchen, Kaffee, Wasser. Wucherpreise. Belanglos, die Franken müssen weg. In zwei Stunden werde ich hinter der Grenze sein. Das Tal hinunter weht ein kräftiger Wind. Schön, nachher wird der schieben. Noch ein Kaffee auf dem Bürgersteig im Durchzug. Der Umtauschverlust wird höher sein, als der Kaffee kostet. Zwei bepackte Reiseradler kommen den leichten Ansteig hoch. Noch 50 Kilometer Bergfahrt. Ob die das wissen?

                                                                                                                    Nach Basel rein, der Radausschilderung hinterher. Sicher ist sicher. Keine Experimente in der Großstadt. Wo geht es nach Lörrach, nach Deutschland, ins Zentrum? Basel verwirrt durch mehrere ausgeschilderte Zentren. Woher soll ich wissen, welches meins ist? Zentrum Nordstadt kann so falsch nicht sein. Über den Rhein. Mitten über dem Fluss, ein Foto. Weiter, vom Gefälle der Wettsteinbrücke Richtung Deutschland getrieben. Rote Radwegweiser. Riehen, noch immer Basel. Am linken Rad der Straße das Museumsgebäude von Renzo Piano für die Fondation Beyeler. Diesmal tut das Vorbeifahren weh. Überdachungen quer auf der Straße. Die Grenze. Am Gebäude ein altes Schild: Großherzogtum Baden. Heimat? Na ja, bis dahin ist es noch ein gutes Stück.


                                                                                                                    Kontrastprogramm

                                                                                                                    Ohne Abzweig in die Stadt. Erste Anlaufstelle, Lutz – Die Buchhandlung. Die Karten sind im Obergeschoss. ADAC Deutschland 1:300.000, 8 Euro 95. Keine zwei Minuten hat das gedauert. Weiter ohne abzubiegen zum Campingplatz. Fünf Minuten Routenplanung in der Sonne. Sieben Seiten reiße ich aus dem Autoatlas raus. Der Rest wandert zum Altpapier. Vom Nachbarzelt staunt man rüber. Sieben ausgefranste Seiten in A4 noch bis zur Haustür.

                                                                                                                    Zehnter Tag: Regenradeln
                                                                                                                    Lörrach – Kehl am Rhein (Campingplatz)

                                                                                                                    Lörrach am Samstagmorgen zum Beginn des Sommers. Kalt und grau müht sich der Tag aus der Nacht hoch. Ziemlich weit weg ist der frühe Morgen vom sommerlichen Breitwandcolor. Endlose Bindfäden fallen vom Himmel. Vor den Ampeln stauen sich auf dem nassen Asphalt lange Spurrillenpfützen. Rotes Wasser, grünes Wasser im Lichtwechsel der Ampeln. Für gelbes Wasser reicht die Zeit nicht. Farbloses Wasser rinnt die blaue Jacke hinunter. Rinnsale, Bäche sammeln sich auf der schwarzen Regenhose. Zuallerletzt, in den grünen Zustiegschuhen, ist es nur noch kaltes Wasser.

                                                                                                                    Weil am Rhein - VitraHaus von Herzog & de Meuron

                                                                                                                    Gelbes, warmes Licht am linken Straßenrand im Gewerbegebiet, das McDonald's-Gelb. Nur fünf Minuten gefahren und schon muss ich mich aufwärmen mit einem Becher Kaffee und einem warmen Frühstück. Die Regenklamotten sind dann auch wieder trocken. Die Füße immer noch kalt. Stur die Bundesstraße weiter. Immer den Schildern nach Weil am Rhein folgen. Graues Haus unter grauem Himmel. Das VitraHaus von Herzog & de Meuron ist an diesem Tag wie das Wetter: nackte, kalte Unbehaustheit.

                                                                                                                    Jahrelang hing bei uns an der Wand ein Plakat mit den Stühlen der Vitra-Kollektion. Für die Originale war nie genug Geld da, nur für eine preiswerte Kopie des Wassily Chair von Marcel Breuer. Für das „Feuerwehrhaus“ der Architektin Zaha Hadid waren wir vor vielen Jahren nach Weil gefahren. Damals hatte das Auswechseln der Preisschilder bei den Personal Computern gerade Fahrt aufgenommen. Die Preisschilder im Schaufenster, beginnend bei 10.000 Deutsche Mark, konnte Vobis nicht so schnell austauschen wie die Preise fielen. Die Wahl zwischen Personal Computer oder Vitra-Kollektion hatte der IBM-Kompatible mühelos für sich entscheiden können. Zaha Hadid hatte sich wohl auch gefreut, über das Wuchern der Rechenleistung für immer weniger Geld. Ohne immer leistungsfähigere Rechner wäre es bei ihrem „Feuerwehrhaus“ geblieben. Ihre Enwürfe verschlangen Computerpower.


                                                                                                                    Bei Bremgarten (?)

                                                                                                                    Bundesstraße 3. Wenig Verkehr. Seitenwind treibt die Gischtwolken von mir weg. Der Regen wird dünner. Die Kälte bleibt. Beide Füße sind taub, schmerzen trotzdem. Wie taub müssen Füße werden, dass der Schmerz nicht mehr zu spüren ist? Bei Schlingen die Anhöhe hoch. Jede Steigung ist willkommen. Da wird es warm unter der Regenjacke. Die Abfahrten fahre ich ungewohnt langsam, weil der Schmerz in den Fingern nur bei niedrigem Tempo erträglich bleibt.

                                                                                                                    In Müllheim runter von der Bundesstraße. Tingeln über die Landstraßen in Rheinnähe. Das ergibt immerhin eine gerade Linie. Kaum bin ich abgebogen, hört der Regen auf. Über meiner rechten Schulter, über dem immer dunklen Schwarzwald, stauen sich schwarze Regenwolken. Weit weg von mir, regnet es. Lange bis zum Boden reichende Regenfahnen wehen den Horizont entlang. Breisach am Rhein, kalte Mittagspause im Park unter dem Dach des Pavillons. Am Anleger haben zwei Kreuzfahrtschiffe der Viking River Cruises festgemacht. Schnell weiterfahren, bis zum Park, bevor der Neid auf die warmen Kabinen zu groß wird.

                                                                                                                    Noch bis zum Stromkilometer 623

                                                                                                                    Ein Abstecher zum Rhein und zum Rheinradweg. Der Regen setzt wieder ein und hört auf, als ich den Rheinradweg verlasse. Der ist wegen Hochwasser eh nicht fahrbar. Die Schranken sind unten. Ich will es gerne glauben. Der Kaiserstuhl wird am westlichen Rand geschnitten. Rebreihen wälzen sich über die flachen Hügel, niedergedrückt von einem grauen Himmel. Weisweil, Niederhausen, unscheinbare Dörfer, denen schon nicht mehr der Zusatz „am Kaiserstuhl“ vergönnt ist.

                                                                                                                    Rust, Rust, Rust, überall Rust. Und dann ist der Ort von den großen gelben Schildern verschwunden, hat Europa-Park Platz gemacht. Das reicht auch. Schon aus der Ferne sichtbar, flattert eine große Hochformatflagge Spaniens in den grauen deutschen Himmel. Der Freizeitpark hat passend zu seinen Themenhotels geflaggt. Johlende, schreiende Menschen sausen auf den Achterbahnen unter dem niedrigen Himmel umher. Hier soll es einen Campingplatz geben. Nichts für mich. Weiter. Wie zur Belohnung scheint für eine Weile die Sonne.


                                                                                                                    Kaiserstuhl bei Burkheim

                                                                                                                    Ländliche Straßen durch Wiesen. Eigentlich langweilig, doch der Regen ist weit weg. Eine tiefschwarze Wolke schiebt sich den halben Restnachmittag von West nach Ost. Wenn die sich ausregnet, kann ich einpacken. Zwei spannende Stunden braucht die Wolke, bis sie sich weit vor mir ausregnet. Mit einem Umweg nach Kehl hinein. Diese elende großräumige Ausschilderei für die Autofahrer! Vor den Schulen reiht sich eine leere Reihe Fahrradständer an die nächste. Am Rand der Campingplatzwiese reihen sich die Zelte der Reiseradler aneinander. Frauen und Männer in Radtrikots auf dem Weg zu den Duschen. Die Frauen kommen als Frauen wieder raus, die Männer bleiben in ihrer Kluft Radfahrer. Die Kundschaft vom Rheinradweg. Mein Zelt baue ich weit entfernt auf. Übers Radfahren möchte ich mich nicht für den Rest des Tages unterhalten.

                                                                                                                    Elfter Tag: Über Grenzen fahren
                                                                                                                    Kehl am Rhein – Bad Dürkheim (Campingplatz)

                                                                                                                    Der niedrige Himmel mit den grauen Regenwolken ist verschwunden. Der Himmel ist hoch. Der Sommer ist da. Nicht der heiße Hochsommer, der Frühsommer meldet sich zurück. Eine halbe Stunde durch Kehl irren, weil mich die Schilder immer und immer wieder Richtung Neuried schicken wollen. Dorthin möchte ich nicht, da war ich gestern. Warum soll ich zurück fahren? Die Wegweiser zum Rheinradweg werden mit Verachtung gestraft. In der Folge drehe ich eine Runde durch den Rheinhafen. Sackgasse. Hier kommt man nur mit dem Schiff weiter. Lange Reihen Bürstner-Wohnmobile harren unter über hohe Pfosten gespannte Gewebedächer auf neue Kunden. Wenn ich da vorbei fahre, bin ich richtig, hat das Mädchen an der Tankstelle gesagt. Die Ausschilderung nach Neuried wird sich schon an der ersten Abfahrt verabschieden. Rheinau oder doch Baden-Baden, in diese Richtung wolle ich wohl, sollte dann auf den Schildern stehen. Das Mädchen kennt sich aus.

                                                                                                                    Auenheim bei Kehl

                                                                                                                    Abzweigen von der Bundesstraße in das Hanauer Land. Das steht so im ADAC-Atlas. Durch die Hauptstraßen der Rheindörfer nach Norden. Links und rechts der Dorfstraßen reiht sich ein niedriges schmales Fachwerkhaus nach dem anderen mit der Giebelseite zur Straße. Sonntägliche Stille in den Dörfern, auf den Straßen, auf den Bürgersteigen. Mein Ziel ist erneut Frankreich. Auf der anderen Seite des Rheins komme ich schneller voran. In den herausgerissenen Kartenblättern sind Frankreichs Straßen wie mit dem Lineal gezogen.

                                                                                                                    Frauen und Männer vom Roten Kreuz, ein Serviceposten mit Getränkeflaschen, ein rotes Auto der Feuerwehr belagern den Platz an der Brückenauffahrt nach Gambsheim. Die Radfahrer eines Triathlon sind im Anflug. Schnell, schnell über die Brücke, bevor die kommen. Region Alsace und Canal de dérivation de I'LL steht auf den beiden Schilder am Straßenrad. Nun bin ich wieder in Frankreich. Schön. Die Straßen sind genauso verlassen wie in Deutschland. Immer wieder Radwege neben der D 468. Die Straße ist eben wie das Land hier. Reiter queren die Straße ohne Eile. Zur Sicherheit wechsele ich die Fahrbahnseite. Das harte Klackern der beschlagenen Hufe klingt hinterher bis ein Auto die Straße hoch kommt. Im Schatten unter den Straßenbäumen ist es immer noch frisch. Die Temperatur des Frühlings nur. In der Sonne auf der Straße wird mir warm. Die Temperatur des Sommers. Ich fahre Schlangenlinien, damit die Sommertemperaturen bleiben.

                                                                                                                    Mothern/Frankreich

                                                                                                                    Irgendwo rechts zieht der alte Rhein Schleife nach Schleife durch das platte Land. Die Rheindörfer diesseits der Grenze sehen aus wie die jenseits der Grenze. Wegweiser mit deutschen Namen führen von der Straße weg zu kleinen Wäldchen. Zum Biergrund, einem Bunker der Ligne Maginot, zum Salmengrund, einem Baggersee bei Seltz. Vorbei an der Moto Cross-Strecke in Mothern. Wegen eines Rennens an diesem Sonntag ist die Straße gesperrt. Großzügig werde ich durchgewunken. Jeder andere zahlt Eintritt. Niemand scheint davon auszugehen, dass ich wegen des Rennens hier bin.

                                                                                                                    Lauterbourg, Frankreich, Lauterburg, Deutschland. Wechsel von der Département-Straße auf die Landesstraße. Leerstehende Abfertigungsgebäude. Ein Restaurant, auf dessen Parkplatz Unmengen Motorräder parken. Sonntagsrocker auf Tagesausflug. Auf der Bundesstraße 9 durch Wald in die Südpfalz hinein. Ausgedehnter Wald, hatte ich den je auf dieser Reise? Vermisst habe ich den Wald nicht. Speyer oder Bad Dürkheim? Jugendherberge oder Campingplatz? Die Chance ist hoch, am Sonntagabend ein Einzelzimmer in der Speyerer Jugendherberge zu ergattern. Dann doch noch zum Pfälzerwald hinüber. Einfach geradeaus durch die wellige Weinrebenlandschaft nach Neustadt a. d. Weinstraße. Weit im Westen, kaum im Dunkel des Pfälzerwalds auszumachen, ist das Hambacher Schloss grade so an seinen hellen Mauern zu erkennen.

                                                                                                                    Ruppertsberg

                                                                                                                    Über das Grün der Weinstöcke ragen niedrige rote Dächer. Nur die Kirchtürme schauen weit über das Weinland. Die Wassertürme machen den Kirchtürmen Konkurenz. In jedem Dorf reißen schwarze Solaranlagen schwarze Löcher in die Dorfansichten. Wer von Süden kommt, muss das aushalten. Die Dörfer sehen anderes aus als die unten am Rhein. Viel heller Sandstein und an jedem zweite Haus rankt eine Weinrebe die Mauern hoch. Weinverkauf, Flaschenweinverkauf, Weinversand, Weinprobe, Weinausschank, die Werbung der allgegenwärtigen Winzerbetriebe, gerne in rustikaler Schrift. In Familienbesitz scheinen alle zu sein. Wo sind die großen, deren Flaschen im japanischem Supermarkt zu finden sind. Der Japaner von vor einigen Tagen hatte das erwähnt. Freimersheim, Altdorf, ein Ort so unbekannt wie der nächste. Weinkennerdörfer umgeben von Weinkennerlagen tief im Weinkennerland? Mitten durch Haßloch und in einem Bogen über die Bundesstraße 271 hinein ins Städtchen Bad Dürkheim. Das Fass dort wollte ich mir nach 50 Jahren endlich mal wieder ansehen. Einer dieser Orte, die nur von den Erzählungen anderer immer noch zum eigenen Leben gehören. Schon am überfüllten Parkplatz an den Salinen ist es genug. Nichts wie weg hier. Der Tag endet als Sommernachmittag am Seeufer auf dem Campingplatz. Alles künstlich, doch das ist einerlei. Hauptsache warm, Hauptsache das schwarze Zelt steht in der Sonne.
                                                                                                                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 09.04.2019, 20:41. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                                                    .

                                                                                                                    Kommentar


                                                                                                                    • Werner Hohn
                                                                                                                      Freak
                                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                                      • 05.08.2005
                                                                                                                      • 10870
                                                                                                                      • Privat


                                                                                                                      #59
                                                                                                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                      Zwölfter Tag: Bundesstraßentag
                                                                                                                      Bad Dürkheim – Rheinkilometer 623

                                                                                                                      Wird das der vorletzte oder der letzte Tag meiner Radtour? Noch bin ich 200 Kilometer von daheim weg. Sind das optimistische Nur-Kilometer oder doch pessimistische Zuviel-Kilometer? Zu schaffen ist das in einem Tag. Nur noch ein einziges Mal quälen, und zum Schluss am Abend ins eigene Bett fallen. Auch als Reiseradler sollte man sich Anstregungen hin und wieder zumuten. Die Lust auf einen langen Tag im Sattel ist da. Bundesstraßen will ich fahren. Die ergeben keine gerade Linie, schon wegen des Rheintals ist das unmöglich, doch sie sind schnell. Immer der guten Ausschilderung hinterherfahren, das Rad über den glatten Asphalt rollen lassen. Keine langsamen Umwege entlang der Bäche, der Niederungen in Kauf nehmen. Statt Kartenstudium an jeder Kreuzung, einfach dem Schild nach drüber rollen. Über die Bundesstraßen also.

                                                                                                                      Rheinhessen - Weck, Worscht un Schtrom

                                                                                                                      Über unzählige Hügel werde ich fahren müssen, bevor ich am Rhein bin. Das Meiste davon bin ich vergangenen Sommer gefahren, einiges ein Jahr zuvor sogar gewandert. An diesem Tag ist das wurscht. Das Rad laufen lassen, der Kette beim Surren zuhören. Wind in den Ohren, wo ich über die flachen Anhöhen fahre. Brausen in den Ohren wenn das Rad in den großen Gängen hinab in die Senken rollt. Nicht einfach nur laufen lassen, kurbeln, damit ich schneller unten bin. Der Kette zuhören, wie sie annähernd lautlos die Ritzel am Hinterrad wechselt. Sattes Schleifen zwischen den Füßen, beim Steigen aufs große Blatt. Bei den Anstiegen, bis aufs kleinste Blatt, aufs größte Ritzel wechseln. Dabei kann ich mir Zeit lassen. Bei Abfahrten schnell hoch bis aufs größte Blatt und noch viel schneller aufs kleinste Ritzel wechseln. Dabei kann ich mir keine Zeit lassen. Stunde um Stunde geht das so. Rheinhessen ist hügeliger, als Weinlesemaschinen das glauben machen. Rheinhessen ist an diesem Morgen toll zu fahren.

                                                                                                                      Wenn ich nicht durch die Schaltung klicke, bleibt Zeit für das weite Land. Überall hier fehlt der Grenzen aufbauende Wald, fehlen engsichtig machende Berge. Der Blick geht weit, bis hinab in die Rheinebene unten bei Ludwigshafen. Industrieanlagen, Hochhäuser sind schemenhaft im Dunst zu erkennen. Traktorspuren zerteilen grüne Getreidefelder. Beide verlieren sich hinter der nächsten Anhöhe. Die Schattenwürfe der wenigen Büsche ziehen Grenzen, wo keine Grenzen sind. An Unkraut-Böschungen zerbricht die berauschende Monotonie wogender Getreidelandschaften. Im Westen ist der Himmel blau, im Osten hat der im Dunst keine Farbe. Diffuse, farblose rechte Seite, klare, farbkräftige linke Seite.

                                                                                                                      Auf allen Hügellinien stehen Windräder. Kein Rotor dreht sich. Plumpe und vielstrebige Gittermasten reihen sich in die Linien gewohnter schlanker Masten. Wie kommt man an eine Genehmigung für die scheußlichen Gittermasten? Über die Weinfelder - sicher, in Rheinhessen sind das Felder - ragt ein gelber Gitterkran in den blauen Himmel. Nebenan stehen vier weiße Maststummel. Neuer Strom für Europas ächzende Stromnetze.


                                                                                                                      Rheinhessen farbreduziert

                                                                                                                      Hinauf und hinab nach Alzey. Bei der Kaffeepause weiß ich noch immer nicht, wie weit ich heute fahren werde. Wird es doch ein Tag mehr werden? Überschlägig liege ich gut in der Zeit. Noch immer fahre ich auf der B 271. Am langen Anstieg nach Wörrstadt hoch, da wo die Oberschenkel brennen, kommen die Zweifel, ob das mit dem Bundestraßenfahren wirklich eine gute Idee ist. Wörrstadt ist Zufall, unten in Alzey eine Verwechselung mit Wöllstadt. Oben angekommen ist alles gut. Die B 420 ist schnell. Wieder springt die Kette nicht flott genug in die schnellen Gänge. Neben der Autobahn über die B 50 nach Bingen am Rhein. Aussichtsloses Wettfahren mit den Lastwagen.

                                                                                                                      Besinnungspause auf einer Parkbank an der Nahemündung in den Rhein. Durchfahren bis zur Haustür oder trödeln bis zu einem der vielen Campingplätze am Rhein? Noch gut 100 Kilometer sind es über die B 42 auf der anderen Rheinseite bis zuhause. Der Rheinradweg ist tabu. Was sich auf der schmalen Brücke über die Nahe in einer halben Stunde abspielt, reicht mir. Zu viel Radverkehr. Zu viele, die mit dem Rad nicht umgehen können, zu viele, die schnell unterwegs sein wollen. Es trifft aufeinander, was nicht aufeinander treffen sollte. Der Ausweg ist auf der anderen Rheinseite zu finden. Über die B 42 fährt kein Radfahrer, obwohl der Radweg dort schon ziemlich weit ausgebaut ist.

                                                                                                                      Mit der Rheinfähre hinüber nach Rüdesheim. Der Ärger über den weit überzogenen Preis, der Radfahrer aus der Tasche geluchst wird, verfliegt auf der Bundesstraße. Mit Rückenwind das Tal hinunter. Bei Tempo 30 ist kein Fahrtwind mehr zu spüren. Das Leben kann so schön sein. Kilometerlange Wettrennen mit den weißen Bugwellen der zu Tal fahrenden Frachter. Nach links schielen, zum Fluss, zum Heck des nächsten Gegners, auf den ich auflaufe. Am schäumenden Schraubwasser mit dem Zählen der Sekunden anfangen. Beiläufig die Länge des Binnenfrachters an der Bordwand suchen. 110 Meter, „Großes Rheinschiff“. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig … vorbei. Schleppschiffe, die einen Radfahrer den Strom hinunter ziehen.

                                                                                                                      Wo es passt, wechsele ich von der quirligen Bundesstraße auf den neuen Radweg. Jungfräulicher Beton mit Dehnungsfugen alle 20 Meter. Bei jeder gibt es einen kurzen Schlag die Gabel hoch. Am Radweg wir immer noch gebaut. Könnte jemand auch die Dehnungsfugen glätten?


                                                                                                                      Rheinhessen von Wörrstadt aus gesehen

                                                                                                                      Die Welt der Postkartenansichten fliegt vorbei. Kein Blick für die Rheinburgen über mir. Alle Viertelstunde bleibt eine zurück. Die auf der anderen Uferseite bleiben lange im Blick. Über die Prospektansichten der Mittelrhein-Touristik, in alle Welt getragen via Internet, schiebt sich der Sommer. Egal, deshalb wird das Rheintal nicht noch schöner. Alles tausendmal gesehen. Vorbei, vorbei an all den Burgen, den wenigen intakten Fachwerkdörfern. Vorankommen alleine zählt. An diesem Ufer fahren die Güterzüge der Deutschen Bahn. Lange Güterzüge kommen von hinten lautlos auf, rauschen vorbei, hallen unglaublich laut durch das Tal. Die verschämt verschwiegene Seite des romantischen Rheintals. Kein Sekundenstopp für Fotos. Fotos vom Rhein und seinen Burgen habe ich Unmengen. Die „Feindlichen Brüder“ kann ich nicht sehen, muss ich auch nicht, ich weiß, dass ich jetzt unter ihren Burgen fahre. Die eine Weiß, die andere Braun. Gemeinsam teilen sie sich einem schmalen Sporn. Weiter mit dem Verkehr. Die Autos sind leiser als die Güterzüge. Dafür kommen sie mir näher, rücken meiner Pelle sehr nah. Die, die immer hier fahren, nutzen kürzeste Geraden zum Überholen, brettern in den langezogenen Kurven dicht am Rad vorbei, als wollten sie das Rad im Fahrtwind mitziehen. Urlauber, Rheintouristen tun sich schwer in den Kurven. Auch auf den kurzen Geraden fährt die Angst vor dem Gegenverkehr mit. Unverhofft könnte der um die nächste Kurve kommen. Wenn man lange genug zögert, auf alle Fälle. Für das zügige Vorbeifahren, müssten sie sich Burgensucherblick lösen. Viele lösen sich erst spät, dann wird es knapp.

                                                                                                                      Gau Bickelheim - Obelisk an der Kreuzung B 420/B 50

                                                                                                                      Hintern raus, der Wechsel zur anderen Rheinseite in Koblenz. Das muss sein, denn Andernach darf ich nicht auslassen. In Andernach gibt es den schon traditionellen Kaffee zum Tourende, und eine ganze Stunde Pause. Ohne beides würde ich den letzten Anstieg nicht schaffen. Auf den flachen Straßen merke ich nicht, wie erledigt ich bin. Das ist allereinfachstes Rollen. Kraftaufwand, gleich null. Brutal sind jetzt schon allerkleinste Anstiege. Die letzte Stunde ohne Kaffee, der lange Anstieg aus dem Rheintal hinaus? Fahrbar nur mit dem Kaffee. Schwarze Regenwolken schieben vom Südwesten über die Ausläufer des rheinischen Westerwalds. Das Wetter bleibt mir bis zum letzten Meter treu. Auf dem siebtletzten Kilometer erwischt mich der letzte Regenschauer der Radtour, sogar ein Gewitter, bevor ich den allerletzten langen Anstieg hoch fahre.

                                                                                                                      Mit Einsetzen der Dunkelheit rolle ich vor dem Haus aus. Auf den Tag genau bin ich zwei Monate unterwegs gewesen.
                                                                                                                      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 18:49. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                                                                                                      .

                                                                                                                      Kommentar


                                                                                                                      • stoeps
                                                                                                                        Dauerbesucher
                                                                                                                        • 03.07.2007
                                                                                                                        • 537


                                                                                                                        #60
                                                                                                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                        Ich habe heute frei, wollte zuhause für die Arbeit was lesen. Aber ich habe beim Frühstück diesen Bericht angefangen …

                                                                                                                        Der ist großartig. Das ist gar kein Forumsbeitrag – das ist Literatur.

                                                                                                                        Danke. Vielen Dank



                                                                                                                        stoeps
                                                                                                                        „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                                                                                                                        ― John Muir

                                                                                                                        Kommentar


                                                                                                                        • Werner Hohn
                                                                                                                          Freak
                                                                                                                          Liebt das Forum
                                                                                                                          • 05.08.2005
                                                                                                                          • 10870
                                                                                                                          • Privat


                                                                                                                          #61
                                                                                                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                          Vielen Dank, stoeps. Das freut mich, auch weil das von einem Menschen kommt, mit dem ich etwas gemeinsam habe. So unwahrscheinlich es auch ist, dass ein Hannoveraner und ein Rheinländer unter demselben Vordach einer abseits der üblichen Wanderrouten gelegenen Kapelle gesessen haben: doch auch ich kenne die Kapelle in Schindelberg.

                                                                                                                          2004 bin ich auf meiner Wanderung auf dem E1 durch Östringen gekommen. Auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit mit Dusche (ich habe gestunken wie ein Schweinestall) wurde ich zum Kraichgau-Camping geschickt. Etwas abseits des E1, doch der Umweg war vertretbar. An dem Abend hatte sich die Gelegenheit ergeben, mit zwei Männern aus dem Weiler über den Neubau der Kapelle zu reden. Ich war baff, dass sich in unserer Zeit Menschen finden, die Kapellen aus privaten Mitteln bauen. Der kleine Hügel auf dem die Kapelle steht, wurde extra angeschüttet, damit sie wie in alten Zeiten das höchste Gebäude im Ort ist.

                                                                                                                          Abends habe ich mit einer Tüte Haribo Gummibärchen bis zum Sonnenuntergang auf der Bank gesessen. Im Nachhinein war es einer der Abende, für die ich immer wieder den Rucksack, heute eben die Packtaschen fürs Rad, packe.
                                                                                                                          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 21.11.2013, 12:24.
                                                                                                                          .

                                                                                                                          Kommentar


                                                                                                                          • Enja
                                                                                                                            Alter Hase
                                                                                                                            • 18.08.2006
                                                                                                                            • 4869
                                                                                                                            • Privat


                                                                                                                            #62
                                                                                                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                            Hallo Werner,

                                                                                                                            was ich noch fragen wollte. Benutzt du Sonnencreme? Du schriebst, dass deine Hände völlig verbrannt waren......

                                                                                                                            Ich bin da eigentlich auch ziemlich empfindlich. Mit LSF 50 hat es aber dieses Jahr geklappt. Die Haut wurde zwar trotzdem immer dunkler. Aber ohne Sonnenbrand.

                                                                                                                            Kommentar


                                                                                                                            • Werner Hohn
                                                                                                                              Freak
                                                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                                                              • 05.08.2005
                                                                                                                              • 10870
                                                                                                                              • Privat


                                                                                                                              #63
                                                                                                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                              Moin Enja,

                                                                                                                              klar benutze ich Sonnencreme. LSF 50 ist immer dabei, doch vergesse ich immer den Ölwechsel. Beim schwitzen ist das Zeug ja ziemlich schnell runter, besonders, weil der meiste Schweiß über den Kopf läuft. Zweimal mit einem Tuch drüber, das war es dann. Als mildernde Umstände muss ich noch den kalten Wind anführen. Dadurch war es oft bis mittags ziemlich kalt, so dass ich die Kraft der Sonne überhaupt nicht gemerkt habe.
                                                                                                                              Zuletzt geändert von Werner Hohn; 11.12.2013, 14:44.
                                                                                                                              .

                                                                                                                              Kommentar


                                                                                                                              • Enja
                                                                                                                                Alter Hase
                                                                                                                                • 18.08.2006
                                                                                                                                • 4869
                                                                                                                                • Privat


                                                                                                                                #64
                                                                                                                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                Dadurch war es oft bis mittgas ziemlich kalt, so dass ich die Kraft der Sonne überhaupt nicht gemerkt habe.
                                                                                                                                Das kenne ich. Ich habe mich dieses Jahr bei einer April-Radtour durch Brandenburg so verbrannt, als die Sonne mal durchkam, dass ich am nächsten Tag mit Handschuhen, Schirmmütze und Buff über den Ohren (wegen verbrannter Ohrläppchen) weiterfuhr. Sonnencreme hatte ich gar nicht dabei, kaufte sie mir aber dann natürlich, als es zu spät war. Die Ohrläppchen waren so verbrannt, dass ich das immer noch merke.

                                                                                                                                Kommentar


                                                                                                                                • Palle
                                                                                                                                  Erfahren
                                                                                                                                  • 15.02.2009
                                                                                                                                  • 115
                                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                                  #65
                                                                                                                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                  Hallo Werner,

                                                                                                                                  nachdem ich die letzten Tage über Handy mitgelesen habe, möchte ich mich auch noch für den schönen Reisebericht bedanken (bin noch nicht ganz durch, aber das hat ja durchaus Vorteile :-)). Vielleicht schaffe ich es ja auch einmal, nach Spanien zu kommen (Frankreich reizt mich offen gestanden weniger). Ich muss allerdings gestehen, dass die Reisefotos auf Flachbild noch viel beeindruckender aussieht als auf meinem schmalen Handydisplay.

                                                                                                                                  Viele Grüße
                                                                                                                                  Palle

                                                                                                                                  Kommentar


                                                                                                                                  • Werner Hohn
                                                                                                                                    Freak
                                                                                                                                    Liebt das Forum
                                                                                                                                    • 05.08.2005
                                                                                                                                    • 10870
                                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                                    #66
                                                                                                                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                    Danke, Palle. Frankreich hat uns viele Jahre auch nicht gereizt. Durchfahren, um zur Iberischen Halbinsel zu kommen. Ein Tankstopp, zwei Kaffee, mehr Frankreich brauchten wir nicht. Irgendwann haben wir uns gesagt, so geht das nicht weiter und haben angefangen, dort Wanderungen zu machen. Frankreich hat uns wider Erwarten gefallen und gefällt uns immer noch. An einige Eigenheiten muss man sich halt gewöhnen, aber dafür fährt man schließlich von Daheim weg.
                                                                                                                                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 11.12.2013, 12:46.
                                                                                                                                    .

                                                                                                                                    Kommentar


                                                                                                                                    • gast3202010119
                                                                                                                                      GELÖSCHT
                                                                                                                                      Erfahren
                                                                                                                                      • 03.10.2008
                                                                                                                                      • 225
                                                                                                                                      • Privat


                                                                                                                                      #67
                                                                                                                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                      Moin Werner, eher per Zufall (Südl. Europa) kam ich auf Deinen tollen Bericht mit der amüsanten Schreibe und den schönen Bildern. Echt gudd! Und noch einen speziellen Gruß an Deine "meins", die Dich und Deine laaangen Touren offensichtlich aushält. Ich lese den ganzen Bericht demnächst, aber die Stationen Metz, Besancon, Thoraise-Tunnel, Macon usw. kamen mir irgendwie bekannt vor. Auch stieß ich dabei auf meinen Landsmann mit den Hosenträgern, mit dem, und 2 weiteren, ich tatsächlich vor X Jahren mal eine Art "Stammtischwanderung" zusammen bekam.
                                                                                                                                      Nun bist Du wohl am Planen für 2014. Dabei viel Vorfreude und weiter so " ... so weit die Füße tragen" (Roman aus 1959)!
                                                                                                                                      Gruß aus 'em Saarländche
                                                                                                                                      (Wander- und Radl-) Hans

                                                                                                                                      Kommentar


                                                                                                                                      • Werner Hohn
                                                                                                                                        Freak
                                                                                                                                        Liebt das Forum
                                                                                                                                        • 05.08.2005
                                                                                                                                        • 10870
                                                                                                                                        • Privat


                                                                                                                                        #68
                                                                                                                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                        Moin Hans,

                                                                                                                                        das mit "Meins" und den langen Touren erfordert schon etwas Kreativität, ganz besonders wenn es um eine Radtour geht. Eine lange Wandertour würde meine Frau mitmachen, vielleicht nicht die ganze Strecke, aber einige Wochen sind schon drin. Vorher alleine anfangen oder danach alleine weiter, ist kein Problem.

                                                                                                                                        Beim Rad fällt diese Lösung unter den Tisch. Aufs Fahrrad will meine Frau partout nicht. Mich so lange alleine lassen, war auch keine Option. Die Lösung, dass ich mit dem Rad nach Spanien fahre, wohin sie mit dem Flugzeug für den gemeinsamen Strandurlaub nachkommt, und ich im Anschluss mit dem Fahrrad die Heimreise antrete, war schon ziemlich optimal. So waren wir nicht Monate getrennt. Vielleicht ist diese Art des Reisens auch etwas für euch.

                                                                                                                                        Deine Radtour Saarland-Kopenhagen hat mich übrigens ziemlich beeindruckt. Jenseits der 70 und dann noch einen Schnitt jenseits der 80 ist schon 'ne Nummer.

                                                                                                                                        Vielleicht sieht man sich mal. Luftlinie bist du auf der Tour nach Kopenhagen 5 km an der Matratze für dich vorbeigefahren.
                                                                                                                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 15.12.2013, 12:52.
                                                                                                                                        .

                                                                                                                                        Kommentar


                                                                                                                                        • rockhopper
                                                                                                                                          Fuchs
                                                                                                                                          • 22.04.2009
                                                                                                                                          • 1239
                                                                                                                                          • Privat


                                                                                                                                          #69
                                                                                                                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                          Zitat von stoeps Beitrag anzeigen
                                                                                                                                          Ich habe heute frei, wollte zuhause für die Arbeit was lesen. Aber ich habe beim Frühstück diesen Bericht angefangen …
                                                                                                                                          Der ist großartig. Das ist gar kein Forumsbeitrag – das ist Literatur.
                                                                                                                                          Danke. Vielen Dank

                                                                                                                                          stoeps
                                                                                                                                          Hallo Werner,

                                                                                                                                          natürlich habe ich Deinen Bericht schon gelesen! ...ich werde ihn heute nochmal in aller Ruhe genießen.
                                                                                                                                          Ein paar Stellen kenne ich von früheren Radtouren. Wir waren 2008 am Pont du Gard und haben keinen Eintritt bezahlen müssen. Das muss neu sein.
                                                                                                                                          Ich kann mich dem Zitat von stoeps nur anschließen. Da kann ich einiges von Dir lernen.
                                                                                                                                          Da kommt Fernweh auf,....ich will weg...und ODS lesen macht süchtig
                                                                                                                                          Grüße rockhopper

                                                                                                                                          Kommentar


                                                                                                                                          • Papilotta
                                                                                                                                            Neu im Forum
                                                                                                                                            • 03.03.2014
                                                                                                                                            • 1
                                                                                                                                            • Privat


                                                                                                                                            #70
                                                                                                                                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                            Hallo Werner,

                                                                                                                                            ich überlege auch schon seit langem, ob ich nicht auch mal so eine Trecking Tour mit Rad mache. Was sollte man bei seinen Planungen auf jedenfall beachten und was darf man auf jedenfall nicht zu Hause vergessen? Wie kann man seine Tour am besten planen? Ich bin noch nicht ganz entschlossen aber dein Bericht ist so schön das ich es immer mehr erwäge.

                                                                                                                                            LG

                                                                                                                                            Papilotta

                                                                                                                                            Kommentar


                                                                                                                                            • Werner Hohn
                                                                                                                                              Freak
                                                                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                                                                              • 05.08.2005
                                                                                                                                              • 10870
                                                                                                                                              • Privat


                                                                                                                                              #71
                                                                                                                                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                                                                                                                              Hallo Papilotta,

                                                                                                                                              du richtest deine Fragen an den planungsfaulsten Nutzer des Forums. Mehr als 30 Minuten habe ich nicht für die Planung aufgewendet. Ich wusste wo ich landen werden (Spanien) und dass ich zu einem festen Datum am Flughafen von Gerona stehen muss. Das war es aber schon. Die Rückfahrt war dann ja auch ganz anders, als ursprünglich geplant.

                                                                                                                                              Für die Grobplanung habe ich Google Maps mit Start und Ziel gefüttert, auf "Autobahnen vermeiden" geklickt, die blaue Linie ein bisschen hin und her geschoben, damit ich die ungefähren Kilometer bekomme. Diese geteilt durch den angepeilten Schnitt (80 km/Tag), und fertig war die Planung. Bis Nancy stand die eh Strecke fest. Alles danach habe ich von Tag zu Tag geplant. Gefahren bin ich mit Straßenkarten, die Campingplätze enthalten. Das war es schon.

                                                                                                                                              Was ich auf keinen Fall vergessen sollte:

                                                                                                                                              - Ausweispapiere
                                                                                                                                              - Kreditkarte
                                                                                                                                              - Debitkarte (Bankkarte)
                                                                                                                                              - Krankenversicherungskarte (je nach Land reicht die nicht)
                                                                                                                                              - verschreibungspflichtige Medikamente
                                                                                                                                              - Telefon
                                                                                                                                              - neongrelle Windjacke und/oder T-Shirt weil ich fast nur Straße fahre

                                                                                                                                              Bei meinen Reisezielen, Ansprüchen und durchfahrenen Regionen lassen sich damit alle Probleme lösen - hoffentlich.

                                                                                                                                              Das Rad steht hinterm Haus und wird fleißig genutzt (3 bis 7.000 km/Jahr), was den Vorteil hat, dass der Hintern dran gewöhnt ist. Wartung und Reparaturen mache ich selbst. Das hilft, wenn es ernst werden sollte. Bis auf ein paar platte Reifen auf anderen Radtouren hatte ich aber noch nie Probleme.

                                                                                                                                              Da es genug Leute gibt, die detailierter planen, alleine schon weil es bei vielen zur geliebten Reisevorbereitung gehört, und es in anderen Gegenden der Welt ohne Planung nicht geht, mache ich mit deinen Fragen und meiner Antwort einen Thread im Unterforum für Radtouren auf.

                                                                                                                                              Und den findest du hier.

                                                                                                                                              rockhopper, vielen Dank. Ich habe halt die Zeit dafür - irgendwas muss ich ja tun -, und mit jedem Bericht mehr wird es einfacher. Aufpassen muss ich, mich nicht zu wiederholen. Manchmal flutschen mir bei ähnlicher Gemütslage, ähnliche Zeilen für unterschiedliche Tage raus. Fördernd dafür sind auch lange Schreibpausen. In Abwandlung eines bekannten Spruch, "was kümmert mich mein Geschreibsel von gestern".
                                                                                                                                              Zuletzt geändert von Werner Hohn; 04.03.2014, 18:44.
                                                                                                                                              .

                                                                                                                                              Kommentar