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Am Morgen des 1. August ließ ich Happy Valley hinter mir und startete auf meine Solo-Tour durch die Brooks Range. Ein paar Vorbemerkungen:
1. Idee
Eigentlich hatte ich diese Tour schon im letzten Jahr vor, musste jedoch aufgrund widriger Umstände abbrechen (Erklärungen). Damals rechnete ich mit einer Dauer von etwa 32 Tagen und wollte mir nach den ersten drei Trekking-Wochen von einem Buschpiloten einen Verpflegungs-Nachschub und meine Packrafting-Ausrüstung einfliegen lassen.
In diesem Jahr sollte es „by fair means“ ablaufen: kein Buschflugzeug, alles aus eigener Kraft. Das bedeutete, dass ich wesentlich schneller sein und auf mein Packraft verzichten musste, der Plan lautete nun also: in 22 Tagen solo vom Dalton Highway nach Kaktovik. Zwischen den beiden Orten liegt klarerweise nichts als pure Wildnis; kein Zeichen von Zivilisation. Mein Rucksack war mit Essen für 25 Tage gefüllt (3 Reserve-Tage). Kaktovik ist übrigens ein (größtenteils von Eskimos bewohntes) Dorf auf einer Insel im Nordpolarmeer, Barter Island. Von dort aus gibt es fast täglich einen Linienflug nach Fairbanks.

2. Route
Ich bin nicht der erste, der durch die Brooks Range marschiert, meine Route habe ich trotzdem völlig eigenständig entwickelt. Ich gebe hier auch nur grobe Anhaltspunkte weiter, damit potentiellen Nachahmern nicht der Spaß geraubt wird.
Galbraith Lake (Dalton Highway) – Atigun Gorge – Atigun River – Accomplishment Creek – Elusive Lake – Ribdon River – Ivishak River – Porcupine Lake – Canning River – Marsh Fork – Franklin Creek – Neruukpuk Lakes – Hulahula River – Okpilak River – Kaktovik (Barter Island)

3. Karten
Anstatt USGS Karten zu kaufen, wovon ich womöglich einen ganzen Haufen gebraucht hätte, stellte ich mir meine eigenen Karten mit niedrigem Maßstab zusammen. Es gibt eine Website, auf der man sich kostenlos kleine Ausschnitte von USGS Maps als Bilder runterladen kann. Aus etwa 300 Downloads, die ich mit einem Bildbearbeitungsprogramm in mühsamer Kleinarbeit zusammenfügte, entstanden dann 4 Karten, die ich im Printshop drucken ließ. Ein GPS Gerät hatte ich nicht dabei.

4. Verpflegung
Aus Gewichtsgründen zog ich ohne Kocher los und verzichtete damit komplett auf warme Mahlzeiten. Morgens gab es Müsli, danach nur noch (teilweise hausgemachte) Müsli-Riegel. Das hat für mich sehr gut funktioniert; ich war meistens froh darüber, am Abend nicht noch kochen zu müssen, sondern direkt in den Schlafsack kriechen zu können.

5. Herausforderungen
Zunächst einmal musste ich mich an die Schwere meines Rucksacks gewöhnen. Proviant für 25 Tage, etwa 7,5 kg Fotoausrüstung und all der sonstige Kram ließen mein Rucksackgewicht auf 42 kg steigen. Das ist mehr als die Hälfte meines Körpergewichts. Angesichts des weglosen und teilweise sehr schweren Geländes sowie einer täglich zu bewältigenden Distanz von 25 km war das wirklich kein Kinderspiel. Im Video sieht man, dass die Bodenbeschaffenheit das Vorankommen oft sehr erschwerte: größtenteils marschierte ich über „Tussocks“ und stark nachgebende Moos- oder Grasflächen, was man mit dem Gehen auf einem Trampolin vergleichen kann.
In der gesamten Zeit vergingen nur drei Tage ohne Regen. Das Wetter stellte mich in der Brooks Range auf die Probe: sowohl physisch, als auch psychisch. Physisch deshalb, weil einige Flussüberquerungen wirklich nur mit größter Not machbar waren – oftmals wäre ich lieber umgekehrt und zurückgegangen, anstatt einen Fuß in die über die Ufer getretenen Bäche und Flüsse zu setzen. Hier kam mir jedenfalls das anfangs enorme Rucksackgewicht zu Gute: ohne das hohe Gewicht auf meinem Rücken, das mich bei Furtungen stärker nach unten drückte, hätte ich sicher mindestens zweimal den Halt verloren und wäre baden gegangen.
Und was die psychische Belastung angeht, nun ja, das ist eine sehr subjektive Sache. Mir kam es auf der Tour jedenfalls so vor, als sei alles, was ich zuvor in der Natur unternommen hatte, nur Spielerei gewesen. Das ist natürlich nicht ganz wahr, aber so fühlte es sich an. Ich werde hier nicht lang und breit darüber referieren, wie hart und anspruchsvoll dieser Trek war - ich kann nur sagen, dass ich erstmals wirklich das Gefühl hatte, eine Art „Grenzerfahrung“ zu machen. Die Wahrheit ist, dass ich (besonders in den ersten zwölf Tagen, in denen es fast nur regnete) nicht viel genießen konnte: zwischen 7.00 und 20.00 Uhr war ich auf den Beinen, täglich. Die übrige Zeit verbrachte ich im Zelt - in der Waagerechten, beim Ausruhen. Es gab diesmal keine Seitenausflüge, keine abendlichen Foto-Sessions, keine langen Pausen zum Aufhängen der nassen Klamotten. 25 Kilometer pro Tag hören sich jedenfalls weitaus einfacher an, als es unter diesen Bedingungen war.
Nur vier Grizzlies sind mir auf der Tour begegnet, an der Küste sah ich dann noch 3 Eisbären. Probleme gab es diesmal mit Wölfen: einmal kamen 4 Wölfe aus dem Gebüsch gesprungen und laut bellend auf mich zu gerannt, diese Situation beschreibe ich weiter unten noch detaillierter. Solche Erfahrungen können jedenfalls schon mal am Gemütszustand kratzen, vor allem auf Solotouren. Wenn meine Route nur ein paar Tagesmärsche entfernt eines Highways verlaufen wäre, hätte sie vielleicht schon ein früheres Ende gefunden – die Tatsache, dass es zwischen Start- und Endpunkt keine Ausstiegsmöglichkeit gab, ist jedenfalls auch Grund, warum ich tatsächlich in Kaktovik angekommen bin.



6. Fotografie
Das Wetter war meistens schlecht. Es kam vor, dass ich tagelang fast kein einziges Foto machte und dann, sobald die Sonne für ein paar Stunden zwischen den Wolken hindurch schien, plötzlich ein paar hundert. Wenn ich dann Bilder zeige, heißt es oft: „Sieht doch alles easy aus, und gutes Wetter hattest du auch die ganze Zeit!“ Ich möchte klar zum Ausdruck bringen, dass die hier gezeigten Bilder nicht gerade repräsentativ sind – aber es schaut sich einfach keiner gern dutzende Bilder von flauen Regentagen und dichtem Gestrüpp an. Und gute Bilder bei schlechtem Wetter zu machen ist gar nicht so einfach, zumindest fällt es mir schwer. Den kompletten Fotokram mitzuschleppen wäre wahrscheinlich nicht nötig gewesen; zum richtigen Fotografieren gab es zu selten gutes Licht und prinzipiell zu wenig Zeit.
Das Video habe ich in FullHD (1080p) hochgeladen - zum Anschauen würde ich diese Auflösung empfehlen, ansonsten leidet die Qualität zu stark unter der Youtube-Kompression. Die Szenen, in denen ich beim Gehen filme, sind übrigens mit der GoPro auf meinem Kopf entstanden.
(INFO: Bitte kein Bildmaterial einfügen, das die Rechte Dritter verletzt. d.h. i.d.R. keine Musikvideos, TV-Serien etc. )
Technisch war das Gelände in den ersten Tagen nicht schwierig. Es ging zunächst entlang der Atigun Gorge Richtung Osten, auf einem Hochplateau liefen überall Caribous umher. Ab dem zweiten Tag regnete es für drei Tage fast ohne Unterbrechung, was die Flüsse stark anschwellen ließ. Selbst ein unbenannter Flusslauf mit deutlich kleinerem Einzugsgebiet als andere Flüsse, die ich queren musste, bereitete mir schon Schwierigkeiten (zu sehen im Video ab 1:30). Als ich die andere Seite erreichte war das schon der erste „point of no return“: ich hatte wenig Lust, da nochmal durchzuwaten.

















Am fünften Tag erwachte ich unter blauem Himmel. Nach drei Tagen Fußmarsch in Dauerregen hatte ich das auch bitter nötig. Das Gewicht, das auf Schultern und Hüfte lastete war zwar aushaltbar, hielt allerdings den Genuss der ersten Woche in Grenzen. Ich folgte dem Ribdon River flussaufwärts und begegnete noch am gleichen Nachmittag einem für mich völlig unerwarteten und neuartigen Phänomen: das ganze Tal war ausgetrocknet. Der obere Flusslauf führte kein Wasser mehr, auch alle kleinen Bachläufe, die in das Tal mündeten, waren trocken. Ich füllte meine 1,5 l Flasche gegen 16.00 Uhr in einer kleinen Pfütze auf und marschierte weiter – der nächsten Auffüllmöglichkeit begegnete ich erst 20 Stunden später. Damit hatte ich nicht gerechnet, obwohl ich wusste, dass keiner der umliegenden Flussläufe von Gletschern gespeist wurde und deshalb an warmen, trockenen Tagen weniger Wasser führen (anders, als bei gletschergespeisten Flüssen). Nun ja, am nächsten Tag regnete es schon wieder – keine Wasserprobleme mehr!









Richtig düster wurde das Wetter wieder, als ich den Pass hinter dem Ribdon River überquerte und mich dem Ivishak Valley näherte. Es schneite dann auch ein wenig. Glücklicherweise fiel mir die Flussüberquerung leichter, als vorher befürchtet: der Ivishak River führte weniger Wasser als manch sogenannter „Creek“, den ich Tage zuvor überqueren musste.










Am 8. Tag meiner Reise, ich befand mich etwa 10 Kilometer westlich des Porcupine Lakes, sah ich auf der anderen Seite eines Bachufers einen Wolf entlang spazieren. Ich dachte an nichts Böses, machte sowieso gerade eine Pause, also nahm ich meine Kamera in die Hand und fotografierte die Szene. Ich habe keine Angst vor Wölfen, die Tiere sind mir schon oft begegnet. Typischerweise sind sie scheu und verschwinden, sobald Menschen in der Nähe sind. So auch dieser – kaum hatte er mich gesehen, war er weg. Ich stand also auf und wollte gerade weitergehen, als er und seine drei hungrigen Freunde aus dem Gebüsch sprangen und bellend auf mich zu rannten. Als sie nur noch etwa 20 Meter von mir entfernt waren, teilten sie sich auf: zwei standen mir direkt gegenüber, einer lief nach rechts, ein anderer nach links. Das war der Moment, in dem ich für kurze Zeit wirklich um mein Leben fürchtete, denn genau dieses Verhalten zeigen Rudeltiere oft beim Erlegen ihrer Beute.
Mir fiel in dem Moment nichts anderes ein, als das typisch Verhalten zu zeigen, das ich bei Bären an den Tag lege: laut und mit ruhiger, tiefer Stimme reden; die Arme heben um größer zu erscheinen, Blick nach unten und langsam zurückziehen. Auf keinen Fall nervös wirken, auf keinen Fall rennen! Hinter mir lag ein kleiner Hügel, den ich zu meinem Vorteil nutzte, indem ich da hinauf stieg: das verschaffte mir eine dominierende Position gegenüber den Wölfen, die sich dann quasi „unter mir“ befanden. Anstatt ihren Angriff weiter auszuführen, folgten sie mir im Abstand von etwa 20 Metern, behielten ihre Formation jedoch nicht bei: einer der Wölfe folgte mir zwar auf gleicher Höhe, die anderen drei sammelten sich aber unten im Bachbett und hielten parallel Schritt zu mir. Das ging für etwa eine Viertelstunde so. Sie bellten mich an, rannten immer mal wieder kurzzeitig auf mich zu, blieben dann wieder länger stehen… Irgendwann vergrößerte sich dann der Abstand und wenig später war ich wieder allein.
Wie es dazu kam? Schwer zu sagen; in Alaska sind nur extrem wenige Angriffe von Wölfen auf Menschen bekannt. Als die Wölfe auf mich zu rannten, habe ich echt in Erwägung gezogen, dass es mir jetzt an den Kragen gehen würde. Aber dann vermutete ich, dass sie mich einfach nur loswerden wollten. Sehr wahrscheinlich lag im Gebüsch ein totes Caribou oder ein toter Elch – irgendetwas, das sie erlegt hatten und nun verteidigen wollten. Es kommt auch vor, dass ein Bär irgendein großes Tier tötet, es aber nicht vollständig verzehrt oder, wie es oft der Fall ist, vergräbt. Dann kommen Wölfe und beanspruchen den „kill“ für sich. Menschen sind dann im höchsten Maße unerwünscht.
Ich war jedenfalls froh darüber, in dieser durchaus brenzligen Situation, die bis dato meine gefährlichste Tierbegegnung überhaupt gewesen ist, einigermaßen die Nerven behalten und keinen Fehler gemacht zu haben. Die Konzentration reichte sogar noch für ein paar Schnappschüsse aus dem Handgelenk.



Die hügelige Gegend um den Porcupine war eigentlich wunderschön. Leider allerdings sehr schwer zu begehen – Tussocks und tiefes, weiches Gras so weit das Auge reicht. Der Regen begleitete mich nicht nur bis zur Marsh Fork, sondern auch noch an den kommenden beiden Tagen, an denen ich dem Fluss nach Norden folgte. Die Nacht zum 12. August verbrachte ich direkt am Zusammenfluss von Marsh Fork und Canning River und erwachte am Morgen erneut unter tief hängenden Wolken (siehe Timelapse Sequenz ab 3:40), wenig später klarte der Himmel jedoch auf. Vor dem Canning River war ich zuvor gewarnt worden: Mike, der Pilot in dessen Camp ich zuvor 2 ½ Wochen verbracht hatte und der diese Berge schon dutzende Male in seinem Buschflugzeug überflogen hatte, meinte, der Canning River sei der größte und wasserreichste Fluss auf meiner Route. Ich war auf alles vorbereitet und wäre, wenn nötig, auch geschwommen.
Das war aber nicht nötig. Als ich das andere Ufer erreicht hatte, war mir klar, dass ich diese Tour nun wirklich zu Ende bringen würde. Bis dahin, in den vergangenen 12 Tagen, hatte ich daran noch arge Zweifel. Jeder Tag brachte mich meinen physischen Grenzen sehr nahe und ich wusste nie, ob ich die nächste Flussquerung erfolgreich meistern würde. Mein Fokus lag jedes Mal auf der Erreichung des nächsten Tagesziels – nicht auf der Erreichung meines Tourenziels. Einen sehr schwierigen Moment hatte ich übrigens, als ich am Abend des achten Tages feststellen musste, dass ich mein Bear Spray verloren hatte. Das war die einzige „Waffe“, die ich im Ernstfall zu meiner Verteidigung einsetzen konnte – nun fühlte ich mich bei den nachfolgenden Bärenbegegnung irgendwie „nackt“.
(Die Bilder unten zeigen nicht den Canning River, sondern einen namenlosen Fluss und Marsh Fork - aus irgendeinem Grund habe ich keine Bilder vom Canning mit nach Hause gebracht.)




Wie auch immer, am Ostufer des Canning River fühlte ich mich wieder stark und motiviert. Und erstmals dachte ich daran, wie es wohl sein würde, in Kaktovik anzukommen.
In herrlichem Sonnenschein folgte ich dem Franklin Creek flussaufwärts und erreichte am 13. August den Pass, wo ich an einem kleinen Bergsee mein Lager errichtete (Video ab 8:15). Zunächst hatte ich mit schwerem Terrain zu kämpfen, aber je höher ich kam, desto leichter wurde es. Letztendlich befand ich mich auf alpinen Grasflächen und relativ festen Geröllfeldern – das war natürlich ein Traum! Auf der anderen Seite des Passes folgte ich einem Fluss nach Norden. Dieser Fluss, der in den Lake Peters mündet, hat auf meiner Karte auch einen Namen – leider kann ich ihn nicht entziffern; das gibt der Maßstab meiner Karte nicht her (fragt mich nicht nach dem Maßstab, ich habe die Karten ja selbst zusammengestellt und dann auf eine beliebige Größe drucken lassen; den Maßstab könnte man natürlich berechnen, das habe ich allerdings nie getan).













Im Regen kämpfte ich mich durch die sumpfigen, nassen Grasflächen entlang der Neruukpuk Lakes. Jetzt gab es auch wieder Caribous zu sehen: je flacher es wurde, desto größer wurden die Herden.
Schon am 17. August erreichte ich die Sadlerochit Mountains, die ich im wahrsten Sinne des Wortes „links liegen“ ließ. Dann folgten ein paar monotone Tage am Westufer des Hulahula Rivers, die eigentlich einfacher zu bewältigen waren, als ich zuvor angenommen hatte. Es gab doch weite Abschnitte, in denen ich nicht durch die bereits vertrauten Tussocks gehen musste, sondern den festen und nur leicht bewachsenen Flächen des weitläufigen Flussbetts folgen konnte. Die Dimensionen der Tundra im Norden Alaskas sind einfach unglaublich: die in meinem Rücken liegenden Gipfel der Brooks Range wurden immer kleiner und ich sah mich von nichts anderem umgeben, als grenzenloser Weite. Die „Arctic flats“ sind wirklich ausgesprochen flach. Vielleicht kommt daher auch der Name.












Ich näherte mich der Küste. Am Horizont meinte ich, Eisberge erkennen zu können, es roch nach Meer und die Luft war von Vogelschwärmen aller Art gefüllt. Zwei Flüsse galt es noch zu furten: den Hulahula River und den Okpilak River. Als das auch erledigt war, verlangsamte sich mein Tempo ungemein. Jetzt, so nah an der Küste, war wirklich alles nass und sumpfig; trotz des guten Wetters bekam ich schon bald nasse Füße. Aber das war mir jetzt auch schon egal, schließlich war ich meinem Ziel nahe - es konnte nichts mehr schief gehen. Die Wasserversorgung bereitete mir größere Probleme: die Tümpel, die direkt an der Küste lagen, waren salzig. Und alles, was weiter im Landesinneren lag (alles, was mindestens 500 Meter von der Küste entfernt lag, war Süßwasser), schmeckte grauenvoll. Ich bin beim Wasser wirklich nicht zimperlich und hatte auch diesmal – wie immer in Alaska! – auf einen Filter verzichtet. Aber diese kleinen Tümpel da oben, diese gelbbraune Suppe… da kamen mir öfter mal beinahe die Müsli-Riegel wieder hoch.
Um 7.00 Uhr morgens am 20. August befreite ich mich aus dem Schlafsack und trat ins Freie. Draußen vor meinem Zelt stand ein Grizzly und glotzte mich an. Ich entschied, dass es für laute Verscheuchungs-Rufe noch zu früh war und griff stattdessen nach der Kamera. Ein paar Sekunden zu spät, denn schon schoss der Bär an meinem Zelt vorbei und verschwand Minuten später in der Weite der sumpfigen Tundra.










Am späten Vormittag erreichte ich den Ort am Festland, welcher der Insel – Barter Island – am nächsten war. Ich sah Spuren von ATVs im Sand, anscheinend werden die Dinger mit einer Art Fähre hier rüber transportiert und dann zum schnelleren Vorankommen beim Jagen genutzt. Mich trennten nur 300 Meter von der Insel. 300 Meter eiskalten Wassers – und nun?
Natürlich hatte ich auch dieses Problem in meine Planung einbezogen und zuvor mit einigen „Locals“ gesprochen. Alle meinten, dass die Einwohner Kaktoviks tagsüber mit Booten in den Lagunen zum Angeln unterwegs seien. Es wurde mir versichert, dass es keine Probleme geben würde, auf die Insel zu kommen: irgendjemand würde mich sehen und mich aufsammeln.
Das war nicht der Fall. Ich sah zwar das Dorf, das im Nordostzipfel der kleinen Insel lag, also etwa 5 ½ km entfernt von mir, aber keiner sah mich. Da konnte ich mit meinem XXL-Drybag wedeln, wie ich wollte: niemand würde mich von da aus sehen. Und es waren auch keine Boote unterwegs. Ich war allein, obwohl das Ziel bereits in Sichtweite war.
Ich wartete über vier Stunden und dachte mir letztendlich: wenn bei diesem herrlichen Wetter keiner mit dem Boot unterwegs ist, dann werden hier prinzipiell nur sehr selten Leute vorbeischauen. Und wenn ich weiter warte, riskiere ich eine Verschlechterung des Wetters. Das wiederum würde meine „Rettung“ gefährden, denn bei Sturm hat wahrscheinlich kein Eskimo Lust, die Küste nach einem deutschen Wanderer abzusuchen.
Also ging ich am Nachmittag zu Plan B über und drückte den „Custom Button“ meines SPOT GPS Messengers. Dies sendete eine kurze, vordefinierte Email an Mike, meinen Freund aus Happy Valley. Wir hatten die Sache natürlich vorher abgesprochen. Er bekam die Email noch am gleichen Tag und rief in Kaktovik an. Einen Tag später, am 21. August um 14.30 Uhr sah ich ein Boot am Horizont auf mich zurasen. Ich wurde abgeholt. In Windeseile packte ich meine Sachen, begrüßte die beiden Bootsinsassen aufs Herzlichste und ging an Bord. Obwohl ich viel erlebt hatte und eine ganze Weile allein war, hatte ich kein Bedürfnis, viel zu erzählen. Sie fragten nach Bären und Wölfen, ich erzählte das „Interessanteste“ in aller Kürze. Die beiden meinten, dass sich inzwischen 35 Eisbären in einem Umkreis von 5 Kilometern um die Insel befinden würden und dass ich Glück gehabt hätte, keinen in meinem Zelt begrüßen zu müssen. Die Eisbären versammeln sich zu dieser Zeit an der Küste und hoffen darauf, dass die etwa 300 Bewohner Kaktoviks beim Ausschlachten der beiden Wale, die jährlich Anfang September gefangen werden dürfen, nicht allzu gründlich sind und sie auch noch davon satt werden. Im Übrigen sind die Eisbären da oben nicht sonderlich aggressiv – vor Grizzlies haben die Eskimos größeren Respekt. Auf dem Weg zum Hafen von Kaktovik sahen wir eine Eisbär-Mutter mit zwei Jungen am Wasser liegen.



Zwei Nächte verbrachte ich in Kaktovik – ein durchaus interessanter Ort! Ich hatte die Chance, an einer Beerdigung teilzunehmen und war eigentlich gespannt darauf, ein wenig Tradition der „Natives“ da oben kennenzulernen. In dieser Hoffnung wurde ich allerdings enttäuscht – alles lief „typisch christlich“ ab; nichts erinnerte an die jahrtausendealten Traditionen der Völker des Nordens.



Nun ein ganz kurzes Fazit.
Die Brooks Range ist das faszinierendste Gebirge, in dem ich bisher unterwegs war. Es ist einer der wildesten und ursprünglichsten Orte der Welt – nicht überall kann man 500 Kilometer in eine Richtung gehen, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Oder einer Straße oder einem Haus. Es ist aber auch ein rauer Ort; mit der gebührenden Strenge wird dort oben jeder Fehler bestraft. Ich war auf diese Reise gut vorbereitet und hatte trotz des schlechten Wetters irgendwie das Gefühl, hier und da „noch mal Glück gehabt“ zu haben. Die Flussüberquerungen, die Wölfe, Eisbären an der Küste…
Wie eingangs erwähnt, war dies meine erste „so richtig anspruchsvolle“ Tour. Manchmal hätte ich mir einen Partner an meiner Seite gewünscht, wobei mir das Alleinsein prinzipiell keine Schwierigkeiten bereitet. Ja, ich würde wieder eine solche Tour unternehmen. Und ja, bevor ich das Risiko eingehe, mit einem weniger ausdauernden oder leidensfähigen Partner unterwegs zu sein, würde ich es wieder alleine machen.
In den letzten 150 Jahren fanden zahlreiche Expeditionen im arktischen Bereich dieser Erde statt, die mein dreiwöchiges Intermezzo hier natürlich weit in den Schatten stellen. Ich spiele nicht in der Liga von Dick Griffith, Roman Dial, Andrew Skurka und all den anderen international bekannten Expeditionsreisenden, von denen ich manchmal so lese. Aber für mich, für meinen Horizont, war das schon ein Abenteuer. Auf Tour fühlte es sich oftmals sehr „krass“ an, sehr herausfordernd; eine Grenzerfahrung eben. Jetzt, zwei Monate später, denke ich nicht mehr, dass ich den Horizont meiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit in der Brooks Range bereits erreicht habe, so schlimm war’s eigentlich gar nicht. Ich denke jetzt, dass ich diesen Horizont erweitert und meine Grenzen ein wenig „gepusht“ habe. Proviant für 25 Tage zu schleppen war schwer, aber wahrscheinlich könnte ich auch 30 oder 35 Tage vertragen (ohne auf die immer schwerer werdende Foto-Ausrüstung verzichten zu müssen). Und an die 21 Tage des Alleinseins hätte ich auch locker noch mal 21 Tage dranhängen können. Man wächst mit seinen Aufgaben, nicht wahr?
Und ich bin ja noch jung.
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Am Morgen des 1. August ließ ich Happy Valley hinter mir und startete auf meine Solo-Tour durch die Brooks Range. Ein paar Vorbemerkungen:
1. Idee
Eigentlich hatte ich diese Tour schon im letzten Jahr vor, musste jedoch aufgrund widriger Umstände abbrechen (Erklärungen). Damals rechnete ich mit einer Dauer von etwa 32 Tagen und wollte mir nach den ersten drei Trekking-Wochen von einem Buschpiloten einen Verpflegungs-Nachschub und meine Packrafting-Ausrüstung einfliegen lassen.
In diesem Jahr sollte es „by fair means“ ablaufen: kein Buschflugzeug, alles aus eigener Kraft. Das bedeutete, dass ich wesentlich schneller sein und auf mein Packraft verzichten musste, der Plan lautete nun also: in 22 Tagen solo vom Dalton Highway nach Kaktovik. Zwischen den beiden Orten liegt klarerweise nichts als pure Wildnis; kein Zeichen von Zivilisation. Mein Rucksack war mit Essen für 25 Tage gefüllt (3 Reserve-Tage). Kaktovik ist übrigens ein (größtenteils von Eskimos bewohntes) Dorf auf einer Insel im Nordpolarmeer, Barter Island. Von dort aus gibt es fast täglich einen Linienflug nach Fairbanks.

2. Route
Ich bin nicht der erste, der durch die Brooks Range marschiert, meine Route habe ich trotzdem völlig eigenständig entwickelt. Ich gebe hier auch nur grobe Anhaltspunkte weiter, damit potentiellen Nachahmern nicht der Spaß geraubt wird.

Galbraith Lake (Dalton Highway) – Atigun Gorge – Atigun River – Accomplishment Creek – Elusive Lake – Ribdon River – Ivishak River – Porcupine Lake – Canning River – Marsh Fork – Franklin Creek – Neruukpuk Lakes – Hulahula River – Okpilak River – Kaktovik (Barter Island)

3. Karten
Anstatt USGS Karten zu kaufen, wovon ich womöglich einen ganzen Haufen gebraucht hätte, stellte ich mir meine eigenen Karten mit niedrigem Maßstab zusammen. Es gibt eine Website, auf der man sich kostenlos kleine Ausschnitte von USGS Maps als Bilder runterladen kann. Aus etwa 300 Downloads, die ich mit einem Bildbearbeitungsprogramm in mühsamer Kleinarbeit zusammenfügte, entstanden dann 4 Karten, die ich im Printshop drucken ließ. Ein GPS Gerät hatte ich nicht dabei.

4. Verpflegung
Aus Gewichtsgründen zog ich ohne Kocher los und verzichtete damit komplett auf warme Mahlzeiten. Morgens gab es Müsli, danach nur noch (teilweise hausgemachte) Müsli-Riegel. Das hat für mich sehr gut funktioniert; ich war meistens froh darüber, am Abend nicht noch kochen zu müssen, sondern direkt in den Schlafsack kriechen zu können.

5. Herausforderungen
Zunächst einmal musste ich mich an die Schwere meines Rucksacks gewöhnen. Proviant für 25 Tage, etwa 7,5 kg Fotoausrüstung und all der sonstige Kram ließen mein Rucksackgewicht auf 42 kg steigen. Das ist mehr als die Hälfte meines Körpergewichts. Angesichts des weglosen und teilweise sehr schweren Geländes sowie einer täglich zu bewältigenden Distanz von 25 km war das wirklich kein Kinderspiel. Im Video sieht man, dass die Bodenbeschaffenheit das Vorankommen oft sehr erschwerte: größtenteils marschierte ich über „Tussocks“ und stark nachgebende Moos- oder Grasflächen, was man mit dem Gehen auf einem Trampolin vergleichen kann.
In der gesamten Zeit vergingen nur drei Tage ohne Regen. Das Wetter stellte mich in der Brooks Range auf die Probe: sowohl physisch, als auch psychisch. Physisch deshalb, weil einige Flussüberquerungen wirklich nur mit größter Not machbar waren – oftmals wäre ich lieber umgekehrt und zurückgegangen, anstatt einen Fuß in die über die Ufer getretenen Bäche und Flüsse zu setzen. Hier kam mir jedenfalls das anfangs enorme Rucksackgewicht zu Gute: ohne das hohe Gewicht auf meinem Rücken, das mich bei Furtungen stärker nach unten drückte, hätte ich sicher mindestens zweimal den Halt verloren und wäre baden gegangen.
Und was die psychische Belastung angeht, nun ja, das ist eine sehr subjektive Sache. Mir kam es auf der Tour jedenfalls so vor, als sei alles, was ich zuvor in der Natur unternommen hatte, nur Spielerei gewesen. Das ist natürlich nicht ganz wahr, aber so fühlte es sich an. Ich werde hier nicht lang und breit darüber referieren, wie hart und anspruchsvoll dieser Trek war - ich kann nur sagen, dass ich erstmals wirklich das Gefühl hatte, eine Art „Grenzerfahrung“ zu machen. Die Wahrheit ist, dass ich (besonders in den ersten zwölf Tagen, in denen es fast nur regnete) nicht viel genießen konnte: zwischen 7.00 und 20.00 Uhr war ich auf den Beinen, täglich. Die übrige Zeit verbrachte ich im Zelt - in der Waagerechten, beim Ausruhen. Es gab diesmal keine Seitenausflüge, keine abendlichen Foto-Sessions, keine langen Pausen zum Aufhängen der nassen Klamotten. 25 Kilometer pro Tag hören sich jedenfalls weitaus einfacher an, als es unter diesen Bedingungen war.
Nur vier Grizzlies sind mir auf der Tour begegnet, an der Küste sah ich dann noch 3 Eisbären. Probleme gab es diesmal mit Wölfen: einmal kamen 4 Wölfe aus dem Gebüsch gesprungen und laut bellend auf mich zu gerannt, diese Situation beschreibe ich weiter unten noch detaillierter. Solche Erfahrungen können jedenfalls schon mal am Gemütszustand kratzen, vor allem auf Solotouren. Wenn meine Route nur ein paar Tagesmärsche entfernt eines Highways verlaufen wäre, hätte sie vielleicht schon ein früheres Ende gefunden – die Tatsache, dass es zwischen Start- und Endpunkt keine Ausstiegsmöglichkeit gab, ist jedenfalls auch Grund, warum ich tatsächlich in Kaktovik angekommen bin.



6. Fotografie
Das Wetter war meistens schlecht. Es kam vor, dass ich tagelang fast kein einziges Foto machte und dann, sobald die Sonne für ein paar Stunden zwischen den Wolken hindurch schien, plötzlich ein paar hundert. Wenn ich dann Bilder zeige, heißt es oft: „Sieht doch alles easy aus, und gutes Wetter hattest du auch die ganze Zeit!“ Ich möchte klar zum Ausdruck bringen, dass die hier gezeigten Bilder nicht gerade repräsentativ sind – aber es schaut sich einfach keiner gern dutzende Bilder von flauen Regentagen und dichtem Gestrüpp an. Und gute Bilder bei schlechtem Wetter zu machen ist gar nicht so einfach, zumindest fällt es mir schwer. Den kompletten Fotokram mitzuschleppen wäre wahrscheinlich nicht nötig gewesen; zum richtigen Fotografieren gab es zu selten gutes Licht und prinzipiell zu wenig Zeit.
Das Video habe ich in FullHD (1080p) hochgeladen - zum Anschauen würde ich diese Auflösung empfehlen, ansonsten leidet die Qualität zu stark unter der Youtube-Kompression. Die Szenen, in denen ich beim Gehen filme, sind übrigens mit der GoPro auf meinem Kopf entstanden.
(INFO: Bitte kein Bildmaterial einfügen, das die Rechte Dritter verletzt. d.h. i.d.R. keine Musikvideos, TV-Serien etc. )
Technisch war das Gelände in den ersten Tagen nicht schwierig. Es ging zunächst entlang der Atigun Gorge Richtung Osten, auf einem Hochplateau liefen überall Caribous umher. Ab dem zweiten Tag regnete es für drei Tage fast ohne Unterbrechung, was die Flüsse stark anschwellen ließ. Selbst ein unbenannter Flusslauf mit deutlich kleinerem Einzugsgebiet als andere Flüsse, die ich queren musste, bereitete mir schon Schwierigkeiten (zu sehen im Video ab 1:30). Als ich die andere Seite erreichte war das schon der erste „point of no return“: ich hatte wenig Lust, da nochmal durchzuwaten.

















Am fünften Tag erwachte ich unter blauem Himmel. Nach drei Tagen Fußmarsch in Dauerregen hatte ich das auch bitter nötig. Das Gewicht, das auf Schultern und Hüfte lastete war zwar aushaltbar, hielt allerdings den Genuss der ersten Woche in Grenzen. Ich folgte dem Ribdon River flussaufwärts und begegnete noch am gleichen Nachmittag einem für mich völlig unerwarteten und neuartigen Phänomen: das ganze Tal war ausgetrocknet. Der obere Flusslauf führte kein Wasser mehr, auch alle kleinen Bachläufe, die in das Tal mündeten, waren trocken. Ich füllte meine 1,5 l Flasche gegen 16.00 Uhr in einer kleinen Pfütze auf und marschierte weiter – der nächsten Auffüllmöglichkeit begegnete ich erst 20 Stunden später. Damit hatte ich nicht gerechnet, obwohl ich wusste, dass keiner der umliegenden Flussläufe von Gletschern gespeist wurde und deshalb an warmen, trockenen Tagen weniger Wasser führen (anders, als bei gletschergespeisten Flüssen). Nun ja, am nächsten Tag regnete es schon wieder – keine Wasserprobleme mehr!









Richtig düster wurde das Wetter wieder, als ich den Pass hinter dem Ribdon River überquerte und mich dem Ivishak Valley näherte. Es schneite dann auch ein wenig. Glücklicherweise fiel mir die Flussüberquerung leichter, als vorher befürchtet: der Ivishak River führte weniger Wasser als manch sogenannter „Creek“, den ich Tage zuvor überqueren musste.










Am 8. Tag meiner Reise, ich befand mich etwa 10 Kilometer westlich des Porcupine Lakes, sah ich auf der anderen Seite eines Bachufers einen Wolf entlang spazieren. Ich dachte an nichts Böses, machte sowieso gerade eine Pause, also nahm ich meine Kamera in die Hand und fotografierte die Szene. Ich habe keine Angst vor Wölfen, die Tiere sind mir schon oft begegnet. Typischerweise sind sie scheu und verschwinden, sobald Menschen in der Nähe sind. So auch dieser – kaum hatte er mich gesehen, war er weg. Ich stand also auf und wollte gerade weitergehen, als er und seine drei hungrigen Freunde aus dem Gebüsch sprangen und bellend auf mich zu rannten. Als sie nur noch etwa 20 Meter von mir entfernt waren, teilten sie sich auf: zwei standen mir direkt gegenüber, einer lief nach rechts, ein anderer nach links. Das war der Moment, in dem ich für kurze Zeit wirklich um mein Leben fürchtete, denn genau dieses Verhalten zeigen Rudeltiere oft beim Erlegen ihrer Beute.
Mir fiel in dem Moment nichts anderes ein, als das typisch Verhalten zu zeigen, das ich bei Bären an den Tag lege: laut und mit ruhiger, tiefer Stimme reden; die Arme heben um größer zu erscheinen, Blick nach unten und langsam zurückziehen. Auf keinen Fall nervös wirken, auf keinen Fall rennen! Hinter mir lag ein kleiner Hügel, den ich zu meinem Vorteil nutzte, indem ich da hinauf stieg: das verschaffte mir eine dominierende Position gegenüber den Wölfen, die sich dann quasi „unter mir“ befanden. Anstatt ihren Angriff weiter auszuführen, folgten sie mir im Abstand von etwa 20 Metern, behielten ihre Formation jedoch nicht bei: einer der Wölfe folgte mir zwar auf gleicher Höhe, die anderen drei sammelten sich aber unten im Bachbett und hielten parallel Schritt zu mir. Das ging für etwa eine Viertelstunde so. Sie bellten mich an, rannten immer mal wieder kurzzeitig auf mich zu, blieben dann wieder länger stehen… Irgendwann vergrößerte sich dann der Abstand und wenig später war ich wieder allein.
Wie es dazu kam? Schwer zu sagen; in Alaska sind nur extrem wenige Angriffe von Wölfen auf Menschen bekannt. Als die Wölfe auf mich zu rannten, habe ich echt in Erwägung gezogen, dass es mir jetzt an den Kragen gehen würde. Aber dann vermutete ich, dass sie mich einfach nur loswerden wollten. Sehr wahrscheinlich lag im Gebüsch ein totes Caribou oder ein toter Elch – irgendetwas, das sie erlegt hatten und nun verteidigen wollten. Es kommt auch vor, dass ein Bär irgendein großes Tier tötet, es aber nicht vollständig verzehrt oder, wie es oft der Fall ist, vergräbt. Dann kommen Wölfe und beanspruchen den „kill“ für sich. Menschen sind dann im höchsten Maße unerwünscht.
Ich war jedenfalls froh darüber, in dieser durchaus brenzligen Situation, die bis dato meine gefährlichste Tierbegegnung überhaupt gewesen ist, einigermaßen die Nerven behalten und keinen Fehler gemacht zu haben. Die Konzentration reichte sogar noch für ein paar Schnappschüsse aus dem Handgelenk.



Die hügelige Gegend um den Porcupine war eigentlich wunderschön. Leider allerdings sehr schwer zu begehen – Tussocks und tiefes, weiches Gras so weit das Auge reicht. Der Regen begleitete mich nicht nur bis zur Marsh Fork, sondern auch noch an den kommenden beiden Tagen, an denen ich dem Fluss nach Norden folgte. Die Nacht zum 12. August verbrachte ich direkt am Zusammenfluss von Marsh Fork und Canning River und erwachte am Morgen erneut unter tief hängenden Wolken (siehe Timelapse Sequenz ab 3:40), wenig später klarte der Himmel jedoch auf. Vor dem Canning River war ich zuvor gewarnt worden: Mike, der Pilot in dessen Camp ich zuvor 2 ½ Wochen verbracht hatte und der diese Berge schon dutzende Male in seinem Buschflugzeug überflogen hatte, meinte, der Canning River sei der größte und wasserreichste Fluss auf meiner Route. Ich war auf alles vorbereitet und wäre, wenn nötig, auch geschwommen.
Das war aber nicht nötig. Als ich das andere Ufer erreicht hatte, war mir klar, dass ich diese Tour nun wirklich zu Ende bringen würde. Bis dahin, in den vergangenen 12 Tagen, hatte ich daran noch arge Zweifel. Jeder Tag brachte mich meinen physischen Grenzen sehr nahe und ich wusste nie, ob ich die nächste Flussquerung erfolgreich meistern würde. Mein Fokus lag jedes Mal auf der Erreichung des nächsten Tagesziels – nicht auf der Erreichung meines Tourenziels. Einen sehr schwierigen Moment hatte ich übrigens, als ich am Abend des achten Tages feststellen musste, dass ich mein Bear Spray verloren hatte. Das war die einzige „Waffe“, die ich im Ernstfall zu meiner Verteidigung einsetzen konnte – nun fühlte ich mich bei den nachfolgenden Bärenbegegnung irgendwie „nackt“.
(Die Bilder unten zeigen nicht den Canning River, sondern einen namenlosen Fluss und Marsh Fork - aus irgendeinem Grund habe ich keine Bilder vom Canning mit nach Hause gebracht.)




Wie auch immer, am Ostufer des Canning River fühlte ich mich wieder stark und motiviert. Und erstmals dachte ich daran, wie es wohl sein würde, in Kaktovik anzukommen.
In herrlichem Sonnenschein folgte ich dem Franklin Creek flussaufwärts und erreichte am 13. August den Pass, wo ich an einem kleinen Bergsee mein Lager errichtete (Video ab 8:15). Zunächst hatte ich mit schwerem Terrain zu kämpfen, aber je höher ich kam, desto leichter wurde es. Letztendlich befand ich mich auf alpinen Grasflächen und relativ festen Geröllfeldern – das war natürlich ein Traum! Auf der anderen Seite des Passes folgte ich einem Fluss nach Norden. Dieser Fluss, der in den Lake Peters mündet, hat auf meiner Karte auch einen Namen – leider kann ich ihn nicht entziffern; das gibt der Maßstab meiner Karte nicht her (fragt mich nicht nach dem Maßstab, ich habe die Karten ja selbst zusammengestellt und dann auf eine beliebige Größe drucken lassen; den Maßstab könnte man natürlich berechnen, das habe ich allerdings nie getan).













Im Regen kämpfte ich mich durch die sumpfigen, nassen Grasflächen entlang der Neruukpuk Lakes. Jetzt gab es auch wieder Caribous zu sehen: je flacher es wurde, desto größer wurden die Herden.
Schon am 17. August erreichte ich die Sadlerochit Mountains, die ich im wahrsten Sinne des Wortes „links liegen“ ließ. Dann folgten ein paar monotone Tage am Westufer des Hulahula Rivers, die eigentlich einfacher zu bewältigen waren, als ich zuvor angenommen hatte. Es gab doch weite Abschnitte, in denen ich nicht durch die bereits vertrauten Tussocks gehen musste, sondern den festen und nur leicht bewachsenen Flächen des weitläufigen Flussbetts folgen konnte. Die Dimensionen der Tundra im Norden Alaskas sind einfach unglaublich: die in meinem Rücken liegenden Gipfel der Brooks Range wurden immer kleiner und ich sah mich von nichts anderem umgeben, als grenzenloser Weite. Die „Arctic flats“ sind wirklich ausgesprochen flach. Vielleicht kommt daher auch der Name.













Ich näherte mich der Küste. Am Horizont meinte ich, Eisberge erkennen zu können, es roch nach Meer und die Luft war von Vogelschwärmen aller Art gefüllt. Zwei Flüsse galt es noch zu furten: den Hulahula River und den Okpilak River. Als das auch erledigt war, verlangsamte sich mein Tempo ungemein. Jetzt, so nah an der Küste, war wirklich alles nass und sumpfig; trotz des guten Wetters bekam ich schon bald nasse Füße. Aber das war mir jetzt auch schon egal, schließlich war ich meinem Ziel nahe - es konnte nichts mehr schief gehen. Die Wasserversorgung bereitete mir größere Probleme: die Tümpel, die direkt an der Küste lagen, waren salzig. Und alles, was weiter im Landesinneren lag (alles, was mindestens 500 Meter von der Küste entfernt lag, war Süßwasser), schmeckte grauenvoll. Ich bin beim Wasser wirklich nicht zimperlich und hatte auch diesmal – wie immer in Alaska! – auf einen Filter verzichtet. Aber diese kleinen Tümpel da oben, diese gelbbraune Suppe… da kamen mir öfter mal beinahe die Müsli-Riegel wieder hoch.
Um 7.00 Uhr morgens am 20. August befreite ich mich aus dem Schlafsack und trat ins Freie. Draußen vor meinem Zelt stand ein Grizzly und glotzte mich an. Ich entschied, dass es für laute Verscheuchungs-Rufe noch zu früh war und griff stattdessen nach der Kamera. Ein paar Sekunden zu spät, denn schon schoss der Bär an meinem Zelt vorbei und verschwand Minuten später in der Weite der sumpfigen Tundra.










Am späten Vormittag erreichte ich den Ort am Festland, welcher der Insel – Barter Island – am nächsten war. Ich sah Spuren von ATVs im Sand, anscheinend werden die Dinger mit einer Art Fähre hier rüber transportiert und dann zum schnelleren Vorankommen beim Jagen genutzt. Mich trennten nur 300 Meter von der Insel. 300 Meter eiskalten Wassers – und nun?
Natürlich hatte ich auch dieses Problem in meine Planung einbezogen und zuvor mit einigen „Locals“ gesprochen. Alle meinten, dass die Einwohner Kaktoviks tagsüber mit Booten in den Lagunen zum Angeln unterwegs seien. Es wurde mir versichert, dass es keine Probleme geben würde, auf die Insel zu kommen: irgendjemand würde mich sehen und mich aufsammeln.
Das war nicht der Fall. Ich sah zwar das Dorf, das im Nordostzipfel der kleinen Insel lag, also etwa 5 ½ km entfernt von mir, aber keiner sah mich. Da konnte ich mit meinem XXL-Drybag wedeln, wie ich wollte: niemand würde mich von da aus sehen. Und es waren auch keine Boote unterwegs. Ich war allein, obwohl das Ziel bereits in Sichtweite war.
Ich wartete über vier Stunden und dachte mir letztendlich: wenn bei diesem herrlichen Wetter keiner mit dem Boot unterwegs ist, dann werden hier prinzipiell nur sehr selten Leute vorbeischauen. Und wenn ich weiter warte, riskiere ich eine Verschlechterung des Wetters. Das wiederum würde meine „Rettung“ gefährden, denn bei Sturm hat wahrscheinlich kein Eskimo Lust, die Küste nach einem deutschen Wanderer abzusuchen.
Also ging ich am Nachmittag zu Plan B über und drückte den „Custom Button“ meines SPOT GPS Messengers. Dies sendete eine kurze, vordefinierte Email an Mike, meinen Freund aus Happy Valley. Wir hatten die Sache natürlich vorher abgesprochen. Er bekam die Email noch am gleichen Tag und rief in Kaktovik an. Einen Tag später, am 21. August um 14.30 Uhr sah ich ein Boot am Horizont auf mich zurasen. Ich wurde abgeholt. In Windeseile packte ich meine Sachen, begrüßte die beiden Bootsinsassen aufs Herzlichste und ging an Bord. Obwohl ich viel erlebt hatte und eine ganze Weile allein war, hatte ich kein Bedürfnis, viel zu erzählen. Sie fragten nach Bären und Wölfen, ich erzählte das „Interessanteste“ in aller Kürze. Die beiden meinten, dass sich inzwischen 35 Eisbären in einem Umkreis von 5 Kilometern um die Insel befinden würden und dass ich Glück gehabt hätte, keinen in meinem Zelt begrüßen zu müssen. Die Eisbären versammeln sich zu dieser Zeit an der Küste und hoffen darauf, dass die etwa 300 Bewohner Kaktoviks beim Ausschlachten der beiden Wale, die jährlich Anfang September gefangen werden dürfen, nicht allzu gründlich sind und sie auch noch davon satt werden. Im Übrigen sind die Eisbären da oben nicht sonderlich aggressiv – vor Grizzlies haben die Eskimos größeren Respekt. Auf dem Weg zum Hafen von Kaktovik sahen wir eine Eisbär-Mutter mit zwei Jungen am Wasser liegen.



Zwei Nächte verbrachte ich in Kaktovik – ein durchaus interessanter Ort! Ich hatte die Chance, an einer Beerdigung teilzunehmen und war eigentlich gespannt darauf, ein wenig Tradition der „Natives“ da oben kennenzulernen. In dieser Hoffnung wurde ich allerdings enttäuscht – alles lief „typisch christlich“ ab; nichts erinnerte an die jahrtausendealten Traditionen der Völker des Nordens.



Nun ein ganz kurzes Fazit.
Die Brooks Range ist das faszinierendste Gebirge, in dem ich bisher unterwegs war. Es ist einer der wildesten und ursprünglichsten Orte der Welt – nicht überall kann man 500 Kilometer in eine Richtung gehen, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Oder einer Straße oder einem Haus. Es ist aber auch ein rauer Ort; mit der gebührenden Strenge wird dort oben jeder Fehler bestraft. Ich war auf diese Reise gut vorbereitet und hatte trotz des schlechten Wetters irgendwie das Gefühl, hier und da „noch mal Glück gehabt“ zu haben. Die Flussüberquerungen, die Wölfe, Eisbären an der Küste…
Wie eingangs erwähnt, war dies meine erste „so richtig anspruchsvolle“ Tour. Manchmal hätte ich mir einen Partner an meiner Seite gewünscht, wobei mir das Alleinsein prinzipiell keine Schwierigkeiten bereitet. Ja, ich würde wieder eine solche Tour unternehmen. Und ja, bevor ich das Risiko eingehe, mit einem weniger ausdauernden oder leidensfähigen Partner unterwegs zu sein, würde ich es wieder alleine machen.
In den letzten 150 Jahren fanden zahlreiche Expeditionen im arktischen Bereich dieser Erde statt, die mein dreiwöchiges Intermezzo hier natürlich weit in den Schatten stellen. Ich spiele nicht in der Liga von Dick Griffith, Roman Dial, Andrew Skurka und all den anderen international bekannten Expeditionsreisenden, von denen ich manchmal so lese. Aber für mich, für meinen Horizont, war das schon ein Abenteuer. Auf Tour fühlte es sich oftmals sehr „krass“ an, sehr herausfordernd; eine Grenzerfahrung eben. Jetzt, zwei Monate später, denke ich nicht mehr, dass ich den Horizont meiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit in der Brooks Range bereits erreicht habe, so schlimm war’s eigentlich gar nicht. Ich denke jetzt, dass ich diesen Horizont erweitert und meine Grenzen ein wenig „gepusht“ habe. Proviant für 25 Tage zu schleppen war schwer, aber wahrscheinlich könnte ich auch 30 oder 35 Tage vertragen (ohne auf die immer schwerer werdende Foto-Ausrüstung verzichten zu müssen). Und an die 21 Tage des Alleinseins hätte ich auch locker noch mal 21 Tage dranhängen können. Man wächst mit seinen Aufgaben, nicht wahr?
Und ich bin ja noch jung.
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